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Deutschland hat einen der wettbewerbsintensivsten Strommärkte Europas. Seit der Liberalisierung 1998 sind die Marktanteile der größeren Anbieter gesunken. Der Grad der Integration der Strom-Großhandelsmärkte in Europa hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die deutschen Großhandelspreise für Strom waren tendenziell niedriger als in den westlichen Nachbarstaaten. Die Effizienzgewinne als Folge der Liberalisierung sind beim Stromverbraucher allerdings nicht angekommen, wegen der Zusatzlasten, die dem Verbraucher durch neue Steuern und Umlagen aufgebürdet wurden.

Die Ende 2010 von Capgemini1 vorgestellte Studie „European Energy Market Observatory“ zeigt: Der deutsche Strommarkt gehört im Vergleich der 27 EU-Staaten zu den am wenigsten konzentrierten Märkten. Dies gilt sowohl für die Erzeugung als auch für den Vertrieb an Endkunden. In der Stromerzeugung wird unter allen 27 EU-Mitgliedstaaten nur für Bulgarien und die Niederlande eine geringere Anbieterkonzentration als für Deutschland ausgewiesen. Insbesondere in Frankreich, aber auch in Italien und Spanien und selbst in Großbritannien besteht eine stärkere Konzentration der Kraftwerkskapazitäten als in Deutschland. Im Vertriebsbereich weist nur der Markt in Schweden eine geringere Konzentration auf als in Deutschland. In allen anderen 25 Mitgliedstaaten der EU sind die Marktanteile im Vertrieb von Strom an Endabnehmer, gemessen an der Zahl der Kunden, stärker konzentriert als Deutschland.

Marktanteilsentwicklung in Deutschland

Besonderes Kennzeichen der deutschen Elektrizitätswirtschaft ist die Vielfalt der Anbieter. Während der Strommarkt europäischer Nachbarländer teilweise durch monopolistische oder duopolistische Strukturen geprägt ist, gibt es in Deutschland derzeit über 1000 Stromversorger. Diese Unternehmen unterscheiden sich u.a. hinsichtlich der Größe, des Integrationsgrads, der Struktur, des Leistungsangebots, der Eigentümer und der Rechtsform. Die Schwerpunkte der Geschäftstätigkeit differieren nach den einzelnen Wertschöpfungsstufen der Stromversorgung: Erzeugung, Handel, Netz und Vertrieb. Von der gesamten Erzeugungskapazität in Deutschland (155 554 MW zum 31.12.2009) entfallen 67% auf die Energieversorger, 7% auf die Industrie und 26% auf andere Betreiber (z.B. von Wind- und Photovoltaik-Anlagen). Der Anteil der Energieversorger an der Gesamtkapazität hat sich von drei Viertel 2005 innerhalb von nur vier Jahren auf zwei Drittel verringert.

Die vier größten Elektrizitätsversorger (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) sind heute (Stand: 2009) mit 84% an der Kraftwerkskapazität und mit 86% an der Stromerzeugung der Energieversorger beteiligt. Seit 2005 haben diese Unternehmen aber etwa 5 Prozentpunkte Marktanteil in der Wertschöpfungsstufe Erzeugung eingebüßt. Gemessen an der Gesamtkapazität von Stromerzeugungsanlagen hielten die genannten vier Unternehmen Ende 2009 einen Anteil von 57%. 2005 dürften es noch rund zwei Drittel gewesen sein. Zu der in Deutschland insgesamt produzierten Strommenge trugen RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall 2009 knapp 70% bei. 2005 waren es noch über 75%.2 Im Vertrieb an Endkunden halten die zehn größten Energieversorger einen Marktanteil von rund 60%. Davon entfallen 50 Prozentpunkte auf RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall. Ähnlich wie in der Stromerzeugung hat sich der Marktanteil der zehn größten Unternehmen in den letzten Jahren (2003 bis 2008) um rund 3 Prozentpunkte verringert. Die vier größten Unternehmen haben in dem genannten Zeitraum sogar 4 Prozentpunkte Marktanteil zugunsten der kleineren Gesellschaften bzw. neuer Anbieter eingebüßt. Zu den neuen Anbietern gehört eine große Zahl bundesweit tätiger Vertriebsgesellschaften, die sich auch auf das Angebot von Strom aus erneuerbaren Energien konzentriert haben.

Der Stromverbraucher hat die Wahl zwischen einer Vielzahl von Anbietern und Tarifen und macht zunehmend von diesen Wahlmöglichkeiten Gebrauch. So hatten bis September 2010 nach Angaben des BDEW3 8,6 Mio. Haushaltskunden (21,7% aller Haushalte) den Anbieter gewechselt. Ein Großteil der Verbraucher, die zwar bei ihrem bisherigen Versorger geblieben sind, hat ein neues – meist günstigeres – Vertragsangebot ihres bisherigen Lieferanten angenommen; auch dies ist Ausdruck des intensiven Wettbewerbs. Auf die Frage, ob das Bundeskartellamt angesichts der Ankündigung von Strompreiserhöhungen nicht einschreiten müsse, antwortete der Präsident der Behörde, Andreas Mundt4: „…Wir können nicht einschreiten in Märkten, wo der Wettbewerb aus unserer Sicht funktioniert und wo Wechsel möglich ist … Wir sind hier in dem Bereich Versorgung von Haushaltskunden, und es gibt wirklich mannigfaltige Wechselmöglichkeiten. …Jeder Verbraucher, der seinen Strompreis als zu hoch empfindet, sollte von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Anbieter zu wechseln.“

Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel

Die 10. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts hatte im März 2009 eine Sektoruntersuchung „Stromerzeugung und Stromgroßhandel“ auf der Grundlage von § 32e des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeleitet. Gegenstand der Anfang 2011 vorgelegten Analyse waren die Wettbewerbssituation und der Preisbildungsmechanismus auf den deutschen Stromerzeugungs- und Stromgroßhandelsmärkten 2007 und 2008. Im Wesentlichen wurden zwei Ziele mit der Untersuchung verfolgt. Zum einen sollte ein Beitrag zu einem vertieften Verständnis der Funktionsweise der betroffenen Märkte und Marktstufen vermittelt werden. Zum anderen wurde eine möglicherweise missbräuchliche Zurückhaltung von Kapazitäten von deutschen Erzeugungsunternehmen überprüft. Die Pressemitteilung,5 die das Bundeskartellamt bei Veröffentlichung der Studie herausgegeben hat, hält als zentrales Ergebnis der Untersuchung fest: „Eine systematische und gravierende Zurückhaltung von Erzeugungskapazitäten ließ sich auf der Grundlage der untersuchten Daten zur Kraftwerkseinsatzsteuerung und zur Kostensituation der einzelnen Kraftwerke nicht nachweisen.“ Das Bundeskartellamt stellt fest: „Die Analyse der Kräfteverhältnisse auf dem Stromgroßhandelsmarkt und die Berücksichtigung seiner Besonderheiten (insbesondere der Nichtspeicherbarkeit) legen das Ergebnis nahe, dass in Deutschland mehrere Anbieter (RWE, E.ON, Vattenfall und gegebenenfalls auch EnBW) individuell über eine marktbeherrschende Stellung verfügen.“6 Dabei geht es allerdings von Ansätzen aus, die in Frage zu stellen sind. So wird von der Behörde die Erzeugung und Vermarktung von EEG-Strom nicht als Teil des Erzeugungsmarktes angesehen. Diese Verengung der Marktabgrenzung führt rechnerisch zu höheren Marktanteilen der größeren Versorger. Zum anderen ist die räumliche Eingrenzung des Marktes auf Deutschland inzwischen überholt. Zwar erkennt das Bundeskartellamt an, dass künftig Österreich in den Erstabsatzmarkt einzubeziehen ist; allerdings hält die Behörde eine Berücksichtigung weiterer angrenzender Markträume derzeit noch nicht für angezeigt, weil die Integration der Märkte noch nicht so weit fortgeschritten sei.

Tatsächlich haben sich seit der Liberalisierung die Strom-Großhandelsmärkte auf europäischer Ebene weiter entwickelt. Der Wettbewerb hat sich intensiviert. Zahlreiche Marktteilnehmer sind europaweit tätig und nutzen auch grenzüberschreitende Möglichkeiten des Stromhandels. Die Dominanz der bereits auf nationalen Märkten tätigen Unternehmen wurde zurückgedrängt, und es hat sich auf europäischer Ebene ein wettbewerblicher Markt gebildet. In dem 2007 veröffentlichten Abschlussbericht der Europäischen Kommission über die Funktionsweise des europäischen Energiesektors7 (Sector Inquiry) waren insbesondere noch die mangelnde Integration europäischer Großhandelsmärkte, die Marktmacht nationaler Erzeuger sowie geringe Investitionen in die Erzeugungskapazitäten kritisiert worden. Inzwischen stellt sich die Situation in Deutschland deutlich anders dar.

In einer Anfang 2010 von der European School of Management and Technology (ESMT)8 veröffentlichten Studie werden folgende Ergebnisse aufgezeigt:

  • Die deutschen Großhandelspreise für Strom waren tendenziell niedriger als in den westlichen Nachbarstaaten. Sie haben sich meist unterhalb eines Niveaus bewegt, das einen hinreichenden Anreiz für Investitionen in neue Erzeugungskapazität bieten würde.
  • Der Grad der Integration der Strom-Großhandelsmärkte in Europa hat seit dem Zeitpunkt der Sector Inquiry deutlich zugenommen. Die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den europäischen Börsen hat wesentlich zu einer engeren Verknüpfung der Strommärkte beigetragen.
  • Die Strommärkte der Niederlande, Frankreichs und Österreichs sind weitestgehend mit dem deutschen Markt wettbewerblich verbunden. Dies kommt in einer starken Annäherung des Verlaufs und der Höhe der Börsennotierungen zwischen den genannten Staaten zum Ausdruck. Eine starke Preiskorrelation ist auch im Verhältnis zur Schweiz sowie zu den Nachbarstaaten im Norden und Osten festzustellen.

Seit dem 10.11.2010 sind die Day Ahead Spotmärkte für Strom von Deutschland und Frankreich sowie der Benelux-Staaten institutionell gekoppelt (Central Western European Market Coupling – CWE MC). Die Transportnetzbetreiber und die Börsen arbeiten damit so eng zusammen, dass ein gekoppeltes Marktgebiet mit einer besseren Nutzung der Grenzkapazitäten entsteht. Dies führt zu zunehmend einheitlichen Strompreisen sowie zur Preiskonvergenz, soweit keine physischen Engpässe bei den grenzüberschreitenden Übertragungsnetzen bestehen. Die grenzüberschreitenden Netzkapazitäten können so noch effizienter genutzt werden. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Integration der Märkte. Eine vom 10.11.2010 bis 20.1.2011 reichende Analyse der Marktdaten zeigt: Die Einführung des Market Coupling hat den relevanten Markt vergrößert. In 59% der Stunden herrschte für das gleiche Stromprodukt zur jeweils gleichen Zeit ein identischer Preis in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Im überwiegenden Teil der Stunden bildete somit der durch diese Staaten bestimmte geographische Raum den relevanten Markt.9 Soweit Preisabweichungen bestanden, ergaben sich diese überwiegend zugunsten von Deutschland. In den meisten Stunden, in denen Preisabweichungen festgestellt wurden, waren die Strom-Großhandelspreise in Deutschland also niedriger als in westlichen Nachbarländern.

Die Verbraucherpreise für Strom sind in Deutschland nach der Liberalisierung zunächst drastisch gesunken, nach 2000 allerdings erneut angestiegen. Im Gesamtzeitraum 1998 bis 2011 haben sich die Haushaltsstrompreise von 17,1 Cent/kWh um 46% auf 25,0 Cent/kWh (Durchschnitt bei einem Jahresverbrauch von 3500 kWh) erhöht (vgl. Abbildung 1). Ohne die staatlich verursachten Belastungen gerechnet waren die Haushaltsstrompreise 2011 nur 5% höher als 1998. Die Zunahme war damit geringer als die allgemeine Teuerungsrate, obwohl sich die Preise für Brennstoffe zur Stromerzeugung – dies gilt für Erdgas und Steinkohle – im Zeitraum 1998 bis 2011 mehr als verdoppelt haben. Außerdem war 2005 der CO2-Emissionshandel eingeführt worden, der sich Strompreis erhöhend ausgewirkt hat. Die staatlich verursachten Belastungen, die von 1998 bis 2011 um 171% gestiegen sind, hatten Preis treibende Konsequenzen. Gründe waren die 1999 eingeführte und die in den Folgejahren schrittweise auf 2,05 Cent/kWh erhöhte Stromsteuer. Weitere 3,53 Cent/kWh machen 2011 die Aufschläge aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz für den privaten Stromverbraucher aus. Einschließlich Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Konzessionsabgaben und Mehrwertsteuer ist der Staatsanteil an der Stromrechnung eines privaten Haushalts mit einem Durchschnittsverbrauch von 3500 kWh 2011 um 250 Euro höher als 1998. Bei rund 40 Mio. Haushalten entspricht dies einer Mehrbelastung der privaten Haushalte von 10 Mrd. Euro. 2011 zahlt ein privater Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 kWh allein für die EEG-Umlage (einschließlich Mehrwertsteuereffekt) 147 Euro. Das sind 144 Euro mehr, als er 1998 für die Förderung erneuerbarer Energien aufbringen musste. Der Strompreis, den der private Verbraucher 2011 im Durchschnitt bezahlt (25 Cent/kWh), setzt sich wie folgt zusammen: staatlich bestimmte Lasten (46%), regulierte Netzentgelte (20%), Marktbestimmt10 (34%).

Abbildung 1
Durchschnittlicher Strompreis eines Haushaltes mit einem Jahresverbrauch von 3500 kWh/Jahr

in Cent/kWh

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1 Stromeinspeisungsgesetz/Erneuerbare-Energien-Gesetz (ab 2010 Anwendung AusglMechV).

Quelle: BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.: Strompreisanalyse, Januar 2011.

Für die Stromverbraucher (Industrie, Gewerbe/Handel/Dienstleistungen und private Haushalte) haben sich die Staatslasten von 2,3 Mrd. Euro 1998 auf 22,0 Mrd. Euro 2011 verzehnfacht. Dabei haben die einzelnen Komponenten wie folgt zugenommen:

  • Konzessionsabgabe: von 2,00 auf 2,15 Mrd. Euro;
  • Förderung erneuerbarer Energien (Differenzkosten zwischen Einspeisevergütungen und Wert des Stroms): von 0,28 auf 13,53 Mrd. Euro;
  • Förderung Kraft-Wärme-Kopplung: von 0 auf 0,13 Mrd. Euro;
  • Stromsteuer: von 0 auf 6,20 Mrd. Euro.

Die Mehrwertsteuer und die staatlich verursachten Belastungen als Folge der Einführung des Emissionshandels sind in diesen Zahlen nicht ausgewiesen.

Ausblick

Der Stromerzeugungsmarkt ist nicht auf die Grenzen von Deutschland begrenzt; er umfasst neben Österreich weitere Staaten. Mit fortgesetztem Ausbau der grenzüberschreitenden Übertragungsnetze wird die Integration der Strommärkte in Europa weiter vorangetrieben. Damit üben ausländische Unternehmen in Deutschland zusätzlichen Wettbewerbsdruck aus.

Der Netzausbau hat aber noch eine weitere Dimension. Wir benötigen den Ausbau der Stromnetze zur Integration des zunehmenden Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. Dabei geht es nicht allein um das deutsche Verteil- und Übertragungsnetz. Erforderlich ist ein europäischer Stromverbund ohne physische Hindernisse bei der Übertragung von Strom. Neben der Schaffung von Stromspeichern ist dies unverzichtbare Voraussetzung, damit Strom aus nordeuropäischen Wind-Offshore-Anlagen, Solarstrom aus Südeuropa und Biomasse-Strom aus Osteuropa die fluktuierende Einspeisung aus erneuerbaren Energien ausgleichen kann.

  • 1 Capgemini: European Energy Market Observatory, 12. Aufl., 2010.
  • 2 H.-W. Schiffer: Energiemarkt Deutschland, 11. Aufl., Köln 2010, S. 220.
  • 3 Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) Kundenfokus.
  • 4 Andreas Mundt am 24. November 2010 im WDR.
  • 5 Bundeskartellamt: Ergebnis der Sektoruntersuchung Stromerzeugung und Stromgroßhandel, Pressemeldung, Bonn, 13. Januar 2011
  • 6 Bundeskartellamt: Sektoruntersuchung Stromerzeugung Stromgroßhandel, Bericht gemäß § 32e Abs 3 GWB, Januar 2011, S. 20.
  • 7 European Commission: DG Competition Report on Energy Sector Inquiry, Brüssel, 10. Januar 2007.
  • 8 R. Nitsche, A. Ockenfels, L.-H. Röller, L. Wiethaus: Großhandelsmärkte für Strom – Marktintegration und Wettbewerb aus deutscher Perspektive, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 60. Jg. (2010) H. 3.
  • 9 C. Lang: Berechnungen zur Frage des relevanten Marktes für Strom in Zentraleuropa auf Basis der veröffentlichten Spotpreise europäischer Energiebörsen, RWE AG, 25. Januar 2011.
  • 10 BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.: BDEW-Strompreisanalyse Januar 2011, Berlin, Januar 2011 (Die Komponente „Marktbestimmt“ umfasst Stromerzeugung/Strombeschaffung, Vertrieb sowie Messung/Energiedatenmanagement/Netzabrechnung).

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DOI: 10.1007/s10273-011-1219-5