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Nach der Atomkatastrophe in Fukushima hat die Bundesregierung beschlossen, bis Mitte Juni die Zukunft der Atomenergie in Deutschland zu überdenken. Dabei können unterschiedlich weitgehende Szenarien betrachtet werden. Sie reichen von einer Rücknahme der im letzten Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung bis hin zum vollkommenen Ausstieg aus der Kernkraft. Die Autoren vertreten grundsätzlich die Auffassung, dass die wirtschaftlichen Folgen eines Atomausstiegs zu bewältigen sind. Mit einer Steigerung der Energiepreise muss allerdings gerechnet werden – wie deutlich diese ausfällt, und welche Referenzwerte herangezogen werden müssen, hängt von vielen Faktoren ab.

Atomausstieg in Deutschland: klimaverträglich und bezahlbar

Infolge der Ereignisse in Japan vollzieht die Bundesregierung derzeit eine Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik. Bis Mitte Juni soll über die Zukunft der Atomenergie und über Eckpunkte für mehr erneuerbare Energie beschlossen werden. Es gilt als ausgemacht, dass der Atomausstieg schneller kommt, als die Novelle des Atomgesetzes vom 8. Dezember letzten Jahres festlegt. Fast alle energiewirtschaftlichen Analysen der letzten Wochen sind zu dem Schluss gekommen, dass es möglich ist, schneller aus der Atomenergie auszusteigen als im Energiekonzept der Bundesregierung 2010 vorgesehen, ohne die Versorgungssicherheit Deutschlands zu gefährden.1 Allerdings unterscheiden sie sich in den zugrunde gelegten Übergangszeiten, die für einen völligen Ausstieg aus der Kernenergie zwischen 2015 und 2023 liegen. Gleichzeitig warnt der BDI vor einer „drastischen“ Belastung für alle Stromkunden durch einen schnellen Atomausstieg.2

Im Folgenden sollen einige ökonomische Überlegungen über die Folgen eines Atomausstiegs in Deutschland angestellt werden. Nachdem es, wie oben dargelegt, kaum einen Dissens bezüglich der Machbarkeit eines Atomausstiegs gibt, zeigen wir im ersten Teil des Beitrags, dass dieser auch klimaverträglich ist. Im zweiten Teil werden dann theoretische Überlegungen zur Frage gestellt, welche Preissteigerungen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen aus dem Atomausstieg zu erwarten haben.

Ausstieg ist klimaverträglich

Wie oben dargestellt, besteht weitgehende Einigkeit über die technische Machbarkeit eines zügigen Atomausstiegs. Differenzen gibt es aber insbesondere mit Blick auf die zukünftige Rolle der Kohlekraft. Während alle Analysen derzeit im Bau befindliche konventionelle Kraftwerke für notwendig halten, so deutet sich ein Konflikt darüber an, ob weitere neue Kohlekraftwerke gebaut werden sollten. Während sich der BDEW3, die dena4 und Prognos/vbg5 für den Neubau neuer fossiler Kraftwerke aussprechen, wird er von anderen für unnötig und klimaschädlich gehalten.6

Zwar argumentieren die Befürworter vor allem mit Blick auf das komplexe Wechselspiel zwischen erneuerbaren Energien und dem konventionellen Kraftwerkspark mit einem Bedarf an modernen, effizienten und gut regelbaren Kohlekraftwerken. Doch ist es fraglich, ob sich hohe Investitionskosten in große Kohlekraftwerke noch rentieren, wenn diese nicht mehr, wie bisher, weitgehend in der Grundlast laufen, sondern nur noch Lücken in der Versorgung mit erneuerbaren Energien ausgleichen. Zudem würde ein weiterer Zubau von Kohlekraftwerken Deutschlands Energieversorgung auch langfristig auf einen Pfad setzen, der mit den klimapolitischen Zielen nicht vereinbar ist.7 Kohlekraftwerke haben eine Mindestlaufzeit von 35 Jahren und würden, wenn mit dem Bau in den nächsten Jahren begonnen wird, bis 2050 und darüber hinaus in Betrieb sein. Zu diesem Zeitpunkt muss der Elektrizitätssektor praktisch CO2-neutral sein, was mit Kohlekraftwerken nicht zu erreichen ist.8 Das mögliche zukünftige Konfliktpotential eines Kohleausstiegs ist damit enorm.

Zu vertreten ist dagegen der Bau weiterer kleinerer Gaskraftwerke in den nächsten Jahren. Gaskraftwerke haben geringere Investitionskosten, so dass sie sich auch bei intermittierendem Einsatz leichter amortisieren. Außerdem haben sie eine kürzere Lebensdauer, die verhindert, dass die oben beschriebenen Konflikte auftreten. Darüber hinaus emittieren sie weniger Treibhausgase und können flexibler gefahren werden als Kohlekraftwerke. Dadurch können sie deutlich besser mit den fluktuierend einspeisenden erneuerbaren Energien interagieren. Wenn dies nicht ausreicht und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien z.B. wegen Problemen beim Netzausbau nicht so schnell erfolgt wie angenommen, könnten im Notfall ältere Kohlekraftwerke für den Übergang länger in Betrieb gehalten werden.9

Befürchtungen, dass ein Atomausstieg durch verstärkte Nutzung fossiler Energiequellen dem Klima schadet, vernachlässigen die Wirkungen des Emissionshandels. Dieser schafft eine europaweit festgelegte CO2-Obergrenze für alle am Handel teilnehmenden Unternehmen. Zusätzliche Emissionen aus dem Elektrizitätssektor werden durch Vermeidung in einem anderen Sektor ausgeglichen. Somit kann es in der Summe nicht zu Mehremissionen im Emissionshandelssektor kommen. Dabei wird sich der Preis für Emissionszertifikate aus dem Zusammenspiel der Grenzvermeidungskosten aller Emittenten und der festgelegten Angebotsmenge ableiten. Tendenziell führt damit eine höhere Nachfrage nach Emissionsrechten aus dem Elektrizitätssektor zu einer Erhöhung des Zertifikatpreises.

Eine Analyse der Entwicklung der Zertifikatpreise auf dem Spot- sowie dem Terminmarkt zeigt aber, dass der Markt zwar auf das Atom-Moratorium reagiert hat, der Anstieg im Gesamttrend aber unauffällig ist.10 Abbildung 1 zeigt dafür beispielhaft die Entwicklungen auf dem Spotmarkt innerhalb der letzten zwölf Monate. Die Zertifikatpreise haben sich seit Verkündigung des Moratoriums zeitweise um etwa 1,50 Euro/EU-Allowance (EUA) bis 2 Euro/EUA erhöht. Abbildung 2 zeigt jedoch, dass sich bei einer längerfristigen Betrachtung des Marktes die Preiseffekte der letzten Woche eher in Grenzen halten. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist der Emissionsmarkt ein europäischer Markt, auf dem Veränderungen in einem der Handelssektoren in einem Mitgliedstaat nur ein begrenztes Ausmaß haben können. Darüber hinaus ist zu betonen, dass auch die zweite Handelsperiode von einem Überangebot von Zertifikaten geprägt ist,11 weshalb sich selbst der heutige Marktpreis wesentlich durch erwartete zukünftige Preissteigerungen von Emissionszertifikaten erklären lässt, da heute erworbene Emissionsrechte auch in zukünftigen Handelsperioden eingesetzt werden können. Zudem wurde das 20% Emissionsvermeidungsziel bis 2020 im Vergleich zu 1990 zu Zeiten festgelegt, als man in Deutschland von einem allmählichen Atomausstieg ausging, der 2022/23 abgeschlossen sein sollte. Der Ausstieg aus dem Ausstieg hat damit zu Preiseffekten und einer Verlagerung der Emissionen vom Stromsektor zu anderen Handelssektoren geführt, die jetzt wieder rückgängig gemacht werden.

Abbildung 1
Preise für EU-Emissionsberechtigungen auf dem Spotmarkt: letzte 12 Monate
Abbildung 2
Preise für EU-Emissionsberechtigungen auf dem Spotmarkt: Gesamttrend

Es lässt sich festhalten, dass ein schneller Atomausstieg nicht klimaschädlich ist und sich die Preiseffekte auf dem Emissionshandelsmarkt in Grenzen halten. Selbst ein früherer Ausstieg wird die Zertifikatpreise nicht in die 2008 bereits akzeptierte Höhe von 32 Euro steigen lassen.12

Bedeutung des Atomausstiegs für den Preis

Von einigen Seiten werden zurzeit Bedenken vorgebracht, dass der Atomausstieg zu Preissteigerungen führt, die aus sozialen und Arbeitsmarktgründen problematisch seien. Auf der anderen Seite warnen selbst Verbraucherschützer vor einer Panikmache.13

Das ZNES berechnet, dass ein Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 4000 kWh im teuersten Jahr im Übergang zu einer 100% erneuerbaren Stromversorgung Zusatzkosten von jährlich 150 Euro hat.14 Die dena wiederum rechnet für den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Stromnetze und moderner fossiler Kraftwerke mit einer Erhöhung des Strompreises um 4 bis 5 Cent/kWh,15 was bei deutlich weniger ambitionierten Klimazielen aufgrund anderer Annahmen auch in etwa zu einer Mehrbelastung von jährlich 150 Euro führt.

Gleichzeitig äußert der BDI Befürchtungen deutlicher Mehrkosten eines schnellen Ausstiegs.16 Nach seinen Berechnungen würden auf einen typischen deutschen Haushalt (3500 kWh Stromverbrauch im Jahr) 2018 bei aus anderen Gründen steigenden Strompreisen allein durch den vorgezogenen Atomausstieg noch einmal Mehrkosten von etwa 53 Euro im Jahr, also etwa 4,50 Euro im Monat zukommen. Nach den Szenarioberechnungen von Prognos/vbw erhöht sich der Strompreis zu Preisen von 2010 für Haushaltskunden von durchschnittlich 23,5 Cent/kWh (2010) auf 28,5 bis 28,8 Cent/kWh (2025).17 Von dieser Strompreiserhöhung gehen allerdings nur etwa 0,2 bis 0,6 Cent auf den Atomausstieg zurück. Ähnliche Preissteigerungen durch den Atomausstieg sind nach diesen Berechnungen auch für Industriekunden zu erwarten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Übergang auf erneuerbare Energien und die (weitgehende) Dekarbonisierung der Stromversorgung erhebliche Preissteigerungen mit sich bringen werden, die auch ohne den Ausstieg aus der Kernenergie zu einer merklichen Mehrbelastung des Durchschnittshaushaltes und der Industrie führen werden. Der frühzeitige Ausstieg aus der Atomenergie verursacht dagegen relativ geringe Mehrkosten.

Zusammenhang zwischen Kosten und Preisentwicklung

Berechnungen über die durch Dekarbonisierung und Atomausstieg verursachte monetäre Belastung einzelner Gruppen sind von vielen Annahmen abhängig und daher nicht sehr genau. Hier sollen deshalb einige theoretische Überlegungen dargestellt werden, die den Zusammenhang zwischen Kosten und Preisentwicklung etwas näher beleuchten.

Abbildung 3 zeigt dazu eine vereinfachte Merit Order des deutschen Strommarktes (schwarze Linie) mit zwei alternativen und (ebenfalls zur Vereinfachung) vollständig unelastischen Nachfragefunktionen. Wind- und Sonnenenergie sind in dem Abschnitt mit den niedrigsten variablen Kosten zu finden, dann folgen Atomkraftwerke, dann Braun- und effiziente Steinkohle, danach Gas- und ältere Steinkohlekraftwerke und schließlich Erdölkraftwerke. Der Preis am Spotmarkt bildet sich als Grenzkostenpreis. Das zuletzt zugeschaltete Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten ist das preissetzende Kraftwerk und legt damit den Strompreis für jede gelieferte kWh Strom fest.

Abbildung 3
Erzeugungskosten und Preisentwicklung

Quelle: Eigene Darstellung.

Wird – wie durch das Moratorium der Bundesregierung – ein Teil der Atomkraftwerke vom Netz genommen, verschiebt sich die Angebotskurve nach links (blaue Kurve). Bei der Nachfrage N2 erhöhen sich die Kosten zur Deckung dieser Nachfrage um A+B+C, der Preis bleibt jedoch stabil, weil genügend Angebot zu etwa demselben Preis zur Verfügung steht. In diesem Beispiel verringert sich allein die Produzentenrente, also der Gewinn der Stromanbieter. Anders ist dies, wenn die Nachfrage N1 gilt. Hier steigen die Kosten um A und B. Die Ausgaben der Nachfrager steigen aber erheblich, nämlich um die schraffierte Fläche, weil teurere Kraftwerke den Preis bestimmen.

Hieraus lässt sich schließen, dass die Grenzkosten in bestimmten Zeiten nur wenig steigen werden, wenn Kraftwerke mit ähnlichen Kosten wie das preissetzende Kraftwerk noch ausreichend Kapazität haben, um die Produktion aus Atomkraftwerken bei der herrschenden Nachfrage zu kompensieren. In diesen Zeiten wird es kaum zu einem Preisanstieg im Vergleich zu einer Situation mit höherem Anteil von Kernkraftwerken kommen. Hier geht hauptsächlich der Gewinn der Energieversorger zurück. In andere Zeiten, in denen auf erheblich teurere Produktion zurückgegriffen werden muss, könnten die Preise dagegen deutlich steigen. Was überwiegt, ist letztlich eine empirische Frage.

Bei einer Betrachtung der Spotmarktpreise (vgl. Abbildung 4) unmittelbar nach dem Moratorium zeigen sich, wie zu erwarten, keine Preissteigerungen bei den täglichen Höchstpreisen, bei denen bereits teure Kraftwerke in Anspruch genommen werden, wohl aber höhere Minimalpreise. Dies könnte darauf hindeuten, dass – anders als vor dem Moratorium – auch in den Lasttälern Kohlekraftwerke die preissetzenden Kraftwerke waren. Auf den Terminmärkten für Strom war nach der Verkündigung des Atom-Moratoriums durchaus ein preissteigernder Effekt zu erkennen. Die Preise waren im ersten Quartal dieses Jahres jedoch relativ niedrig. Preissteigerungen nach dem 14.3.2011 bewegen sich in einem längerfristigen Betrachtungsraum in keiner ungewöhnlichen Höhe (vgl. Abbildung 5). Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass das Moratorium zunächst zwar einen erkennbaren, aber dennoch nicht ungewöhnlichen Effekt auf den Börsen verursachte.

Abbildung 4
Spotmarktpreise für Strom (Phelix)
Abbildung 5
Preise für Strom-Terminkontrakte (Beispiel Phelix Baseload Year Future (Cal-12))

Mittel- bis langfristig ist die Situation wieder eine andere. Sobald der Zubau von Wind- und Sonnenenergie die Kapazitätsverluste durch AKWs kompensieren kann, kommt es im Vergleich zu der Situation heute nicht zu einer Verteuerung der Börsenstrompreise, sondern unter Umständen sogar zu einem Preisrückgang, weil die variablen Kosten von Wind und Sonne selbst ohne Berechnung von Endlagerkosten noch unter denen von AKWs liegen. Sobald fossile Brennstoffe ersetzt werden, ergibt sich eine Senkung der variablen Kosten auch dadurch, dass bei erneuerbaren Energien keine Kosten für Emissionszertifikate anfallen. Zu diesem Preisrückgang kommt es auch dann, wenn die Erzeugungskosten für die Erneuerbaren Energien oberhalb der Erzeugungskosten für konventionelle Kraftwerke liegen, weil der Preis nur über die variablen Kosten bestimmt wird.18

Entwicklung der Endverbraucherpreise

Noch schwerer als eine Prognose der Großhandelsstrompreise sind Voraussagen über die Entwicklung der Endverbraucherpreise. Darauf soll daher im Detail verzichtet werden. Im Übergang ist allerdings davon auszugehen, dass Endverbraucher die Kosten für einen erforderlichen Netzausbau sowie zumindest für die absehbare Zukunft auch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) finanzieren werden.

Für die energieintensive deutsche Industrie, die unter hohen Strompreisen am stärksten zu leiden hätte, deshalb aber auch von der EEG-Umlage befreit ist, bedeutet dies, dass, wie auch in der Prognosstudie dargestellt, ihre Strompreise von allen betroffenen Gruppen am wenigsten steigen. Prognos nimmt allerdings für 2020 immer noch eine Preissteigerung von 6,8 auf 9,1-9,9 Cent an.19 Langfristig könnte die energieintensive Industrie jedoch von einem Ersatz von Atom- und Kohlekraftwerken durch erneuerbare Energien durchaus profitieren, da sie die höheren Investitionskosten im Umbau nicht tragen muss, aber in den Genuss der durch die geringeren variablen Kosten der Erneuerbaren sinkenden Strompreise kommt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht so sehr der Atomausstieg, wohl aber der Übergang auf erneuerbare Energien vor allem die Haushalte und die umlagepflichtige Industrie belasten wird. Aus Umweltgründen sind Preissteigerungen zwar zu begrüßen, weil sie Stromsparen attraktiver machen und so helfen, Effizienzziele zu erreichen. Sie stellen jedoch gerade für Haushalte mit niedrigem Einkommen, denen es häufig zudem an den finanziellen Mitteln für die Anschaffung energiesparender Geräte fehlt, unter Umständen ein Problem dar. Dies darf aber nicht generell zu einem Verzicht auf die Energiewende führen, sondern stellt eine Herausforderung für die Sozialpolitik dar. Es müssen Wege gefunden werden, damit nicht gerade die verletzlichsten Gruppen in der Gesellschaft unter dem Übergang auf erneuerbare Energien am meisten leiden.

  • 1 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten, Berlin 2011; Greenpeace: Der Atomausstieg bis 2015 ist machbar, Hamburg 2011; Zentrum für Nachhaltige Energiesysteme (ZNES): Atomausstieg 2015 und regionale Versorgungssicherheit, Deutsche Umwelthilfe, Berlin 2011; Öko-Institut e.V. und WWF Deutschland: Schneller Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland. Kurzfristige Ersatzoptionen, Strom- und CO2-Preiseffekte, Berlin 2011; Prognos AG und Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw): Das Energiewirtschaftliche Gesamtkonzept. Konsequenzen eines beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland, München 2011; Bundesverband der Deutschen Energiewirtschaft (BDEW): Außerordentliche Vorstandssitzung des BDEW zur aktuellen energiepolitischen Debatte: BDEW fordert einen energiepolitischen Konsens, Pressemitteilung vom 15.3.2011, Berlin; Deutsche Energieagentur (dena): Energiewende kostet, aber es lohnt sich, Pressemitteilung vom 18.4.2011, Berlin.
  • 2 Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI): Kernergebnisse aus Sicht des BDI: Energieökonomische Analyse eines Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland bis zum Jahr 2017, Berlin 2011; research to business energy consulting (r2b): Energieökonomische Analyse eines Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland bis zum Jahr 2017, Studie im Auftrag des BDI, Ergebnisfoliensatz, Köln 2011.
  • 3 Bundesverband der Deutschen Energiewirtschaft (BDEW), a.a.O.
  • 4 Deutsche Energieagentur (dena), a.a.O.
  • 5 Prognos AG und Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), a.a.O.
  • 6 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), a.a.O.; J. Flasbarth (Präsident des Umweltbundesamtes): Atomausstieg schadet dem Klima nicht, in: Financial Times Deutschland vom 26.4.2011.
  • 7 So auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), a.a.O.
  • 8 Ebenda, S. 30.
  • 9 So auch Zentrum für Nachhaltige Energiesysteme (ZNES), a.a.O., S. 9; oder J. Flasbarth, a.a.O.
  • 10 Dazu auch Öko-Institut e.V. und WWF Deutschland, a.a.O., S. 27.
  • 11 So auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), a.a.O., Kap. 8.2; D. Morris, B. Worthington: Cap or trap? How the EU ETS risks locking-in carbon emissions, London 2010.
  • 12 Europäische Kommission: Commission Staff Working Document accompanying the Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Second Strategic Energy Review. An EU Energy Security and Solidarity Action Plan. Europe‘s current and future energy position. Demand, resources, investments, SEC(2008) 2871, Vol. I, Brüssel 2008.
  • 13 Fokus Online: Verbraucherschützer und Bundesnetzagentur warnen vor Panikmache, in: Fokus vom 18.4.2011, http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/strompreis-verbraucherschuetzer-und-bundesnetzagentur-warnen-vor-panikmache_aid_619626.html (5.5.2011).
  • 14 Zentrum für Nachhaltige Energiesysteme (ZNES), a.a.O., S. 7.
  • 15 Deutsche Energieagentur (dena), a.a.O.
  • 16 Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), a.a.O.
  • 17 Prognos AG und Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), a.a.O.
  • 18 Die Investitionskosten (fixe Kosten) der Erneuerbaren Energien müssen entweder aus der Produzentenrente gedeckt werden (bei Preisen über den variablen Kosten), was langfristig ohne ausreichend Energiespeicher problematisch ist, oder sie müssen anderweitig, in Deutschland über die EEG-Umlage, finanziert werden. Zu Problemen der Deckung der Investitionskosten siehe K. Holm-Müller, M. Weber: Plädoyer für eine instrumentelle Flankierung des Emissionshandels im Elektrizitätssektor, http://www.umweltrat.de/cae/servlet/contentblob/1098104/publicationFile/88541/2010_06_Emissionshandel_Strom.pdf (18.8.2010).
  • 19 Prognos AG und Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), a.a.O.

Die ökonomischen Folgen des „Weiter so“

Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft sind es gewohnt, ökonomische Folgen mit Kostenrechnungen zu bewerten, die von Marktpreisen ausgehen. Das macht auch in vielen Fällen Sinn, wo Marktpreise der „ökologischen und sozialen Wahrheit“ nahekommen. Bei systematischem Marktversagen, wie auf den Energiemärkten, ist diese einfache Rechnung aber zweifelhaft. Sir Nicholas Stern hat den Klimawandel als das größte Marktversagen der Wirtschaftsgeschichte bezeichnet.1 Der überwiegende Teil des Klimawandels wird durch die Verbrennung fossiler Energieträger verursacht, deren Preise weit davon entfernt sind, die zukünftigen – möglicherweise katastrophalen – Schäden des Klimawandels zu berücksichtigen. Neueste US-Schätzungen der externen Kosten der Stromversorgung mit Steinkohle gehen von eine Bandbreite zwischen 10 bis 30 US-Cent/kWh aus.2 Das Umweltbundesamt schätzt für deutsche Stein- und Braunkohle eine Bandbreite von ca. 7 bis 9 Eurocent/kWh.3 In den 1980er Jahren war es noch nachvollziehbar, die externen Kosten des Klimawandels als ein theoretisches Konstrukt ohne weitere energiepolitische Konsequenz zu betrachten. Wer das heute noch tut, handelt fahrlässig. Die Bereitstellung von Energiedienstleistungen mittels Kohlestrom ist bei „wahren Kosten“ im Vergleich zu Energieeffizienz fast immer und im Vergleich zu Strom aus erneuerbaren Energien häufig nicht mehr wettbewerbsfähig.

Bei Atomenergie schwankt die Bandbreite der externen Kosten zwischen etwa 20 bis 50 Eurocent pro kWh. Der hohe Wert stützt sich auf die monetäre Bewertung der Folgen eines Supergau in Biblis.4 Seine ökonomischen Konsequenzen wurden deshalb über viele Jahre ignoriert, weil sie in den Bereich des sogenannten „Restrisikos“ verdrängt wurden, um das man sich bei „sicheren“ Atomkraftwerken in modernen Industrieländern keine weiteren Gedanken zu machen brauchte. Nach Fukushima weiß die Welt, dass es auch in HighTech-Ländern kein absolut sicheres Atomkraftwerk gibt, wenn – aus welchen Gründen auch immer – über mehrere Tage der Strom zum Kühlen ausfällt. Das Restrisiko implizierte daher schon immer das unermessliche Schadenspotential einer Kernschmelze. Keine Versicherung der Welt trägt dieses Risiko, letztlich haften die Bürger mit ihrem Leben und ihrem Vermögen. Wer das heute noch ignoriert, handelt verantwortungslos. Atomenergie ist nicht Ausdruck von Marktversagen, sondern eines politisch gewollten marktfreien Raums.5 Atomenergie bedeutet für Deutschland in ökonomischer Hinsicht nicht nur das größte denkbare Standortrisiko, sondern auch eine latente Innovations- und Investititionsbarriere für technologische Alternativen, d.h. für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Insofern sprechen nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit gewichtige ökonomische Argumente gegen die weitere Nutzung der Atomenergie.

Auf der einen Seite wäre daher das Thema „Die ökonomischen Folgen eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke“ besonders reizvoll.6 Auf der anderen Seite könnte für Wirtschaft und Politik eine Abwägung der heutigen (de facto subventionierten) Marktpreise für Atomstrom mit (noch) teuren Alternativen zu dem Ergebnis führen, dass – trotz der Atomrisiken – aus Gründen der Wirtschafts- und Sozialverträglichkeit und des „bezahlbaren“ Klimaschutzes an der Atomenergie festgehalten werden sollte.

Wie die nachfolgende Analyse zeigt, spricht jedoch auch eine derartige, rein marktorientierte Kostenabwägung gegen die Atomenergie. Aus drei Gründen wird dabei die Kosten- und Preisentwicklung ohne Berücksichtigung der externen Kosten zugrunde gelegt: Die Kraft des Faktischen bewirkt erstens, dass Politik, Wirtschaft und Bürger selbst dann ihre Marktentscheidungen an den „falschen“ Atomstrompreisen ausrichten würden, wenn ihnen die Höhe der externen Kosten bewusst wäre. Zweitens gilt dies besonders im europäischen Kontext, weil im europäischen Wettbewerb derzeit die Einrechnung externer Kosten in Atom- und Kohlestrom nur schwer durchsetzbar erscheint. Drittens spricht hierfür ein einfacher methodischer Punkt: Wenn sich schon bei „falschen Marktpreisen“ eine Energiewende und der Atomausstieg rechnen, dann ist dies bei Einkalkulation der externen Kosten erst Recht der Fall. Insofern argumentieren wir nachfolgend in ökonomischer Hinsicht „auf der sicheren Seite“.

Die Frage lautet also: Kann Atomenergie in Deutschland und anderswo mit vertretbaren Kosten und angemessenem Beitrag zum globalen Klimaschutz ersetzt werden? Die Experten-Antwort lautet für Deutschland eindeutig: Ja! Szenarien für Europa und die Welt zeigen, dass auch eine globale klimaverträgliche Energiewende ohne Atomenergie mit vertretbaren Kosten möglich ist.7

Kein Atomausstieg ohne Gesamtumbau des Energiesystems

Die Folgen von Fukushima für Deutschland werden oft verkürzt auf Fragen der Umstrukturierung des Stromsystems, der Schnelligkeit des Atomausstiegs und des Umstiegs auf die Alternativen, die an die Stelle der Atomenergie treten sollen. Aber der Klima- und Ressourcenschutz verlangt umfassendere Anworten. Generell gilt: Das Atomfiasko von Fukushima ist nur ein Menetekel für eine insgesamt verfehlte Energie- und Resourcenpolitik.8 Oder positiv formuliert: Gelingt es im Hochtechnologieland Deutschland, eine Energiewende erfolgreich umzusetzen, dann wird nicht nur der Ausstieg aus der Atomenergie weltweit ermutigt, sondern die Chancen für eine „Große Transformation“ (WBGU)9 zu einer nachhaltigen Entwicklung steigen. Kein Land der Welt ist für diese Vorbildrolle besser gerüstet als Deutschland, das gilt in Bezug auf Technologieführerschaft, Marktentwicklung bei erneuerbarer Stromerzeugung und Wissensbasis (Szenarien, Datenbasen, Kosten-Nutzen-Analysen).

Bei der Verabschiedung des Energieprogramms der Bundesregierung im September 2010 war bereits klar, dass der Gesamtumbau des Energiesystems, d.h. die Machbarkeit einer klima-, ressourcen- und sozialverträglichen Energiewende, auf dem Prüfstand steht. Insofern können die Leitziele des Energieprogramms durchaus als „revolutionär“ (Bundeskanzlerin Merkel) gewürdigt, und gleichzeitig die seinerzeit vorgeschlagenen Mittel zu ihrer Erreichung (insbesondere die Laufzeitverlängerung) als untauglich kritisiert werden.10

Gestützt auf Szenarienanalysen formulierte das Energiekonzept (September 2010) der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP schon vor Fukushima quantifizierte Leitziele bis 2050, die noch vor einigen Jahren als ökologische Phantasien abgetan worden wären – ein erstaunlicher, aber erklärbarer Erkenntnisfortschritt von Politik und Gesellschaft: Der Vergleich von zehn repräsentativen Energieszenarien11 bis 2050 zeigt nämlich, dass ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens zu Zielen und Leitlinien der Energie- und Klimapolitik für Deutschland besteht: Eine Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 80% bis zum Jahr 2050 ist möglich. Die „Energiewende“ hin zu einer risikominimierenden Energieeffizienz- und Solarenergiewirtschaft – ohne Kernenergie und fast ohne fossile Energieträger – ist technisch und wirtschaftlich realisierbar; das bedeutet im Einzelnen:

  • Der Primärenergiebedarf kann bis 2050 um 40 bis 65% absolut reduziert und – bei steigender Lebensqualität - vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden.
  • Die zunächst steigenden investiven Zusatzkosten des Umbaus des Energiesystems werden langfristig durch Energiekosteneinsparung überkompensiert. Würden die vermiedenen externen Kosten des fossil-nuklearen Systems berücksichtigt, die z.B. bei der Urangewinnung, der Endlagerung und dem Klimawandel anfallen, würde diese Kosteneinsparung schon heute wirksam.
  • Voraussetzung ist eine im Vergleich zur Vergangenheit deutlich schnellere jährliche Absenkung (2,1 bis 2,7%) der Energieintensität.
  • Der Strommarkt steht vor einem radikalen Umbruch; bereits 2030 ist ein hoher Anteil erneuerbarer Energien von rund 50% möglich.
  • Auch eine zu 100% erneuerbare Stromerzeugung bis 2050 ist möglich. Dazu wird keine „Brücke“ in Form von Laufzeitverlängerungen benötigt.

Das Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010 hat diesen Wissenschaftlerkonsens hinsichtlich der Ziele aufgenommen. Beispielsweise wird angestrebt:

  • ein absolut sinkender Primärenergieverbrauch um 20% bis 2020 bzw. um 50% bis 2050 (Basisjahr 2008),
  • ein Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch von 60% im Jahr 2050,
  • ein steigender Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von 35% im Jahr 2020 auf 80% im Jahr 2050,
  • ein Rückgang des Stromverbrauchs um 10% bis 2020 und um 25% bis 2050 (jeweils bezogen auf das Basisjahr 2008).

Diese ambitionierten Ziele sind weltweit einmalig. Sie könnten heute – in Verbindung mit einem unumkehrbaren Ausstiegsfahrplan – als Zielbündel für einen fraktionsübergreifenden Energiekonsens große Bedeutung erlangen, weil damit erstmalig in einem führenden Industrieland ein notwendiges „Mengengerüst“ für die Energiewende und eine Leitorientiertung für Wirtschaft und Gesellschaft festgelegt wäre.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung dieser Ziele und für den in allen Klimaschutzszenarien unterstellten deutlichen Rückgang des Primärenergiebedarfs ist eine starke Reduktion der Endenergieintensität12 in den kommenden 40 Jahren. In allen Szenarien liegt die durchschnittliche jährliche Reduktionsrate der Endenergieintensität zwischen 2008 und 2050 wesentlich höher als in den letzten zwei Jahrzehnten. In den sehr ambitionierten „Innovationsszenarien“ der WWF-Studie erfolgt sogar eine durchschnittliche jährliche Reduktion der Endenergieintensität von 2,7%, während in den letzten zwei Jahrzehnten (1991 bis 2009) eine durchschnittliche jährliche Reduktion von 1,6% stattgefunden hat. Dabei ist zu betonen, dass die vergangene Reduktionsrate zum Teil auf Effekte im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zurückzuführen ist und ohne diese Effekte noch geringer liegen würde.13 Technisch ist diese „Effizienzrevolution“ möglich. Ob sie in der Realität umgesetzt wird hängt davon ab, ob es gelingt Wachstums-, Komfort- und Rebound-Effekte durch ein innovatives Policy Mix zu begrenzen. Eine Kultur der Selbstgenügsamkeit und eine gerechtere Verteilung wachsender Lebensqualität ist dafür entscheidend.14

Kosten und Wirtschaftlichkeit des Umbaus

Was kostet mittel- und langfristig der Umbau des Energie- bzw. Stromsystems auf Basis erneuerbarer Energien? Und wie werden sich diese Kosten in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? Ist die Umstellung auf regenerative Energien teurer oder günstiger als ein konventioneller Referenzpfad? Die transparente Analyse und Beantwortung dieser Fragen ist für die gesellschaftliche Akzeptanz des ökologischen Umbaus des Energiesystems von erstrangiger Bedeutung. Kaum hatte Bundeskanzlerin Merkel und Bundesumweltminister Röttgen deutlich gemacht, dass es ihnen in der Regierungskoalition mit dem Über- und Umdenken in der Atomenergiefrage Ernst ist, da setzte von Betreibern, Industrie, Medien und Experten eine förmliche Kakophonie von widersprüchlichen Kostenschätzungen ein.

Am 18. April berichtete z.B. die Frankfurter Rundschau, dass Bundesumweltminister Röttgen – gestützt auf die Regierungsszenarien von 2010 – bei „einem beschleunigten Atomausstieg“ nur moderat höhere Strompreise zwischen 0,1 bis 0,9 Cent/kWh kalkuliert. Stefan Kohler, Chef der deutschen Energieagentur (dena), wird dagegen mit einer Zusatzbelastung aller Stromverbraucher von 20 Mrd. pro Jahr und mit Preiserhöhungen „um etwa 5 Cent/kWh“ zitiert. Felix Matthes, der Energieexperte des Öko-Instituts, hält dies wiederum für „in keiner Weise fundierte Horrorzahlen“15 und bestätigt die Position des Umweltministers: Unterm Strich seien die Zusatzkosten durch einen beschleunigten Atomausstieg „verkraftbar“. Wir wollen uns an dieser aktualitätsbezogenen Kostendebatte nicht beteiligen, weil zu oft Äpfel (die ohnehin notwendigen Kosten des Klimaschutzes) mit Birnen (Zusatzkosten des „beschleunigten“ (?) Atomausstiegs) verglichen werden. Hinzu kommt, dass die Stromkostenüberwälzung durch das Erneuerbare Energiengesetz auf Haushalte und kleine Wirtschaftsbetriebe flugs als staatliche Subvention fehlinterpretiert, die weitgehende Freistellung der stromintensiven Industrien dagegen oft ignoriert, die Marktüberhitzung durch die Photovoltaik-Überförderung (2009/2010) in die Zukunft fortgeschrieben, die Kostendegression sowie Beschäftigungseffekte der erneuerbaren Stromerzeugung nicht erwähnt und schließlich der strompreissenkende Effekt erneuerbarer Stromerzeugung an der Strombörse nicht vermittelt wird.

Aus all diesen Gründen macht es keinen Sinn, die häufig „quick und dirty“ geschätzten kurzfristigen Kostenangaben eines „vorzeitigen Ausstiegs“ hier nachzuzeichnen. Stattdessen stützen wir uns auf die bereits vor Fukushima vorgelegten langfristigen System- und Kostenanalysen, die im Regelfall einen Ausstieg nach „Regelung Atomgesetznovelle 2002“ zugrunde legen.

Nachfolgend wird aufgezeigt, dass sich der Umbau des Energiesystems volkswirtschaftlich lohnt, wobei mittelfristige Kostensteigerungen unvermeidlich, aber tragbar sind. Dazu werden zunächst zwei Studien herangezogen, die ein unterschiedliches Ausbauziel für 2050 verfolgen. Zum einen das BMU-Leitszenario (2009/2010), welches das Ziel verfolgt 2050 55% der Primärenergie aus erneuerbaren Energien zur Verfügung zu stellen. Daneben wird eine neue Studie des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien (FVEE) zum Vergleich herangezogen. Diese beschreibt ein Szenario, in dem bereits 2050 die gesamte Energieversorgung auf erneuerbaren Energien basieren soll.

Das „BMU-Leitszenario“

Wichtig zum Verständnis von Kostenangaben über die Zukunft ist, dass es sich dabei oft um Differenzkosten zweier unterschiedlicher Entwicklungspfade handelt. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind ja häufig daran interessiert zu erfahren, wie sich ein verändertes Ziel-Energiesystem (z.B. ohne Atomenergie; mit ausreichendem Klimaschutz) gegenüber einem Entwicklungspfad unterscheidet, der die bisherige Entwicklung nur weiter fortschreibt („Business as Usual“ oder „Referenzszenario“). Man spricht daher auch von den „Differenz- oder Zusatzkosten“ zwischen Ziel- und Referenzszenario.

Abbildung 1 stellt die jährlichen Differenzkosten des Ausbaus der erneuerbaren Energien gemäß einem Preispfad -A- (Leitpreis Rohöl 2020 zu Preisen von 2005: 94 US-$/Barrel; CO2-Preis: 39 Euro/t)16 bei einem Ausbauziel von 55% der gesamten Primärenergie bis 2050 dar. Die Differenzkosten umfassen dabei alle Kosten des Umbaus des Energiesystems auf erneuerbare Energien im Vergleich zu einem Referenzpfad („Business as usual“).

Abbildung 1
Differenzkosten des gesamten EE-Ausbaus im Leitszenario bei Preissteigerungen nach Preispfad A
nach BMU 2010
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Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland – Leitszenario 2010, http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/leitstudie2010_bf.pdf.

Es zeigt sich, dass die Differenzkosten in allen Sektoren (Strom, Wärme, Verkehr) zunächst ansteigen (Basisjahr 2000). Der Höhepunkt wird in dieser aktualisierten Version des „Leitszenarios 2009“ 2015 mit jährlich etwa 15 Mrd. Euro erreicht, danach gehen sie deutlich zurück bis etwa im Jahr 2025 keine Differenzkosten mehr anfallen. Danach ergeben sich negative Differenzkosten, d.h. die erneuerbare Energieerzeugung „erwirtschaftet“ eine volkswirtschaftliche Kostenersparnis.17 Der enorme Anstieg bei den Stromkosten ist der Überhitzung der Photovoltaik-Einspeisung in den Jahren 2009/2010 geschuldet, welche die Differenzkosten – aus heutiger Sicht – kontraproduktiv um einige Milliarden aufgebläht hat. Eine Begrenzung des weiteren Zuwachses bei Photovoltaik auf maximal 2 GW/Jahr erscheint notwendig.

Während die zunehmende Verknappung fossiler Rohstoffe die Energieumwandlungskosten konventioneller Kraftwerke tendenziell in die Höhe treiben wird, werden die investitionsbedingten Mehrkosten für die Erneuerbaren aufgrund von technologischen Lern- und Erfahrungseffekten weiter sinken bis der sogenannte „break-even-point“ erreicht sein wird. Ab diesem Zeitpunkt werden die erneuerbaren Energien aufgrund der Einsparungen im Bereich der fossilen Brennstoffe volkswirtschaftlich statt zu Mehrkosten zu Minderkosten, d.h. zu Einsparungen führen.

Das „Energiekonzept 2050“ (FVEE)

Während im „Leitszenario“ (2009/2010) bis zum Jahr 2050 noch mit einem – allerdings klimabezogen noch vertretbaren – Restenergiebedarf an fossilen Energieträgern gerechnet wird, geht die Studie „Energiekonzept 2050“ des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien (FVEE)18 bis zum Jahr 2050 von einem vollständig erneuerbaren Energiesystem in allen Sektoren aus. Auch diese Studie zeigt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien mittelfristig zunächst deutliche Mehrkosten verursachen wird. Die soeben beschriebene Kostendynamik für das gesamte Energiesystem bestätigt auch diese Studie. Der Höhepunkt der Differenzkosten wird hier ebenfalls 2015 erreicht, allerdings konnte der Kostensprung bei der Photovoltaik anders als im Leitszenario 2010 hier nicht berücksichtigt werden (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Entwicklung der gesamten Differenzkosten
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Quelle: Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE): Energiekonzept 2050. Eine Vision für ein nachhaltiges Energiekonzept auf Basis von Energieeffizienz und 100% erneuerbaren Energien. Beitrag der Institute: Fraunhofer IBP, Fraunhofer ISE, Fraunhofer IWES, ISFH, IZES gGmbH, ZAE Bayer und ZSW, zusammengeschlossen im Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE), im Auftrag der Bundesregierung, 2010, http://www.fvee.de/fileadmin/.../10.06.vision_fuer_nachhaltiges_energiekonzept.pdf, S. 40 nach ZSW.

Die gegenüber dem Leitszenario erhöhten Differenzkosten können darauf zurückgeführt werden, dass dieses Szenario das Ziel hat, bereits im Jahr 2050 das Energiesystem vollkommen (100%) auf erneuerbare Energien umzustellen. Entsprechend teuerer stellt sich wegen der forcierten Markteinführung der Umbau dar und der „break-even-point“ erfolgt später. Eine exakte Jahresangabe lässt die Studie offen, gibt aber ein Zeitfenster zwischen 2020 und 2030 an. Die Studie geht davon aus, dass das Maximum der Differenzkosten mit 8%19 im Jahr 2015 in Relation zur gesamten Energiekostenbelastung einen vertretbaren Kostenaufwand für den forcierten Umbau auf ein risikominimierendes Energiesystem darstellt.

Die Stromkostendynamik

Grundsätzlich ist die Dynamik der Differenzkosten im Strombereich vergleichbar mit der des gesamten Energiesystems. Plausibel ist dabei: Je höher die erwarteten Preissteigerungen für fossile Energieträger ist, desto geringer die Differenzkosten des Ausbaus der erneuerbaren Stromerzeugung sowie der Umfang der jährlichen Mehrkosten und desto früher kommt es zum „break-even-point“. Eine vergleichbare Dynamik ergibt sich aus der Annahme steigender Preise für CO2 durch den Zertifikatehandel.

Ein Vergleich der spezifischen Stromgestehungskosten (Umwandlungskosten pro Kilowattstunde) aus erneuerbaren Energien mit jenen konventioneller Energieträger wurde vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)20 vorgenommen (vgl. Abbildung 3). Dabei wird bis zum Jahr 2050 ein Anteil von 100% Strom aus erneuerbaren Energien unterstellt.

Abbildung 3
Entwicklung der spezifischen Stromgestehungskosten
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Quelle: Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): 100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar, 2010, S. 81, http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_ Stellungnahmen/2010_05_Stellung_15_erneuerbareStromversorgung.pdf?__blob=publicationFile.

Hier folgen die Stromgestehungskosten aus erneuerbaren Energien dem aus dem Leitszenario bekannten Verlauf (beide Preispfade abgebildet), d.h. sie steigen kurz- bis mittelfristig (bis 2017) noch an, fallen danach aufgrund der Substitution knapper werdender fossiler Energieträger und wegen der Weiterentwicklung der Technologien (Kostendegression durch Lernkurveneffekte) stetig ab. Die Stromgestehungskosten aus fossilen Energieträgern hängen von der Entwicklung der Brennstoffpreise und den Kosten für Verschmutzungsrechte (CO2-Zertifikate) ab und steigen kontinuierlich an.21

Der forcierte Einstieg in eine zukunftsfähige erneuerbare Stromerzeugung hat also bei konventioneller Kostenrechnung für gut zwei Jahrzehnte einen unvermeidlichen Kostenerhöhungseffekt, der soweit wie möglich durch Steigerung der Energieeffizienz in allen Sektoren abgebremst werden sollte, um die Energierechnungen zu stabilisieren und die gesellschaftliche Akzeptanz für den notwendigen ökologischen Umbau des Stromsystems nicht zu gefährden. Ebenso wie beim Ausbau der Netze muss die Energiewende hinsichtlich der Strompreiserhöhungen durch eine seriöse und langfristige Kommunikationsstrategie flankiert werden. Diese Aufklärungsarbeit geht aber weit über Fragen der Transparenz zu unabwendbaren Strompreiserhöhungen hinaus. Die Forcierung von Stromsparprojekten für sozial schwache Haushalte, die zumutbare Mitfinanzierung des ökologischen Umbaus durch höhere EEG-Umlagen auf die stromintensive Industrie22 und insbesondere auch die Information über gesamtwirtschaftlich positive Effekte des ökologischen Umbaus des Energiesystems sind Teil einer notwendigen und umfassenderen Kommunikationsstrategie.

Gesamt- und regionalwirtschaftliche Effekte

Um für den sozial- und wirtschaftsverträglichen Umbau des Energiesystems („Energiewende“) Akzeptanz zu schaffen, ist es besonders wichtig die zukünftige Dynamik der wirtschaftlichen Gesamteffekte plausibel zu erklären und zu kommunizieren. Die Entwicklung des Investitionsvolumens einer konsequenten Ausbaustrategie der erneuerbaren Energien im Stromsektor kann dem aktualisierten BMU-Leitszenario 2009 entnommen werden. Es zeigt sich, dass eine erhebliche Steigerung des jährlichen Investitionsvolumens um etwa 8 bis 10 Mrd. Euro pro Jahr erfolgt und dass vor allem der Anteil der Windkraftanlagen am gesamten Investitionsvolumen in den kommenden Jahren stark anwachsen wird (Ausbau der Offshore-Anlagen), während technologische Lerneffekte in der Photovoltaik zu geringeren Kosten führen werden. Der aktuelle (2010) – durch die überhitzte Photovoltaik-Konjunktur bedingte – Stromkostenanstieg (um ca. 3,5 Cent/kWh) wird sich also nicht fortsetzen.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei den regionalen und kommunalen Umbauaktivitäten zu. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf die Akteure und den realen Ort der Transformation (ländliche Regionen, Städte, Bundesländer), sondern auch für die regionale Umschichtung und Dezentralisierung von Investitionen und Wirtschaftskraft. Die positiven wirtschaftlichen Effekte einer solchen regionalen Transformationsstrategie können sowohl am Beispiel einer Großstadt wie München, aber auch am Beispiel der Bewegung in ländlichen Regionen zum Aufbau von 100% Erneuerbare Gemeinden („Energieautarkie“) gezeigt werden.23

Für die gesellschaftliche Akzeptanz des Umbaus spielen nachprüfbare und sichtbare Effekte vor Ort ebenso eine wichtige Rolle wie der konkrete Nachweis über positive volkswirtschaftliche Innovations-, Investitions- und Wettbewerbswirkungen. Zweifellos wird z.B. die Akzeptanz vor Ort für Windkraft-, Biomasse-, Geothermie- oder Wasserkraftanlagen steigen, wenn zumindest der überwiegende Teil der Wertschöpfung beim Bau und Betrieb dieser Anlagen in Form von Steuereinnahmen oder Gewinnanteilen im regionalen Wirtschaftskreislauf verbleibt. Eine bürgerfinanzierte Windkraftanlage beeinträchtigt ebenfalls für Naturfreunde das Landschaftsbild, aber es macht einen erheblichen Unterschied, ob eine externe Abschreibungsgesellschaft hiervon profitiert oder die Bürger vor Ort dies als vertretbaren Kompromiss zwischen Landschaftsschutz und Energiewende akzeptieren. Zumal es auch Wirtschafts- und Finanzkreisläufe hilft zu schließen, wenn die Bürger vor Ort dabei buchstäblich wahrnehmen, wie ihr gemeinschaftlich investiertes Bürgerkapital in der eigenen Windkraftanlage „arbeitet“.

Für die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz vor allem in Kreisen der Wirtschaft ist auch die Analyse interessant, wie sich der volkswirtschaftliche Investitions- und Innovationsbedarf in einzelnen Branchen entwickelt und welche volkswirtschaftlichen Chancen sich für den Standort Deutschland durch die Anhebung der volkswirtschaftlichen Investitionsquote ergeben. Generell muss angemerkt werden, dass jeder Strukturwandel – auch der sich im marktwirtschaftlichen Selbstlauf autonom entwickelnde ständige Veränderungsprozess – Gewinner und Verlierer hervorbringt. Für die staatlich forcierte Industrie- und Strukturpolitik zum Schutz von Klima und Ressourcen ist vor allem der Nettoeffekt entscheidend, d.h. die Frage, ob in Summe die volkswirtschaftlichen Gewinne die denkbaren Verluste deutlich überkompensieren. Gleichwohl gilt es industrie- und regionalpolitisch Diversifizierungsstrategien von voraussichtlichen „Verlierer“-Branchen vorsorgend zu flankieren, um negative Struktur- und Arbeitsplatzeffekte zu begrenzen.

Es lohnt sich dazu einen vergleichenden Blick auf die Entwicklung der internationalen Investitionsquoten zu werfen.24 Dabei zeigt sich, dass die Investitionsquote in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten im Trend erheblich zurückgeht. Lag die Bruttoinvestitionsquote 1971 noch bei fast 30% des Bruttoinlandprodukts (netto: 15%) so ist sie im letzten Jahrzehnt bis auf 17% (netto: unter 5%) gesunken. Seit der Jahrtausendwende blieb sie weit unter dem EU- sowie dem OECD-Durchschnitt zurück. Zurückgehende Investitionsquoten führen zu einem veraltenden Kapitalstock und einer Abschwächung des technischen Fortschritts, da potentielle Lernprozesse mit der Zeit verlangsamt werden. Daraus resultiert dann eine schwache Wachstums- und Beschäftigungsdynamik. Die Mehr-Investitionen, die für den Umbau des Energiesystems notwendig sind, heben die Investitionsquote tendenziell an. Gleichzeitig werden durch den Umbau teure Energieimporte eingespart, welche die Nachfrageseite (Bürger, Unternehmen, Staat) entlasten. Beide Effekte, zusätzliche Investitionen und Entlastungen von Energieimporten, können sich wechselseitig verstärken (Multiplikatoreffekt) und dadurch einen – für Klima- und Ressourcenschutztechniken – hoch erwünschten Wachstums- und Beschäftigungsimpuls auslösen. Der konsequente Umbau des Energiesystems erhöht so die Wettbewerbsfähigkeit, senkt die Importabhängigkeit und generiert zusätzliche Beschäftigung (zwischen 1998 und 2009 wurden in der Erneuerbare-Energien-Branche etwa 339 500 Arbeitsplätze (+451%) geschaffen).25 Eine Studie26 kommt zu dem Resultat, dass die Realisierung einer CO2-Reduktion um 40% bis zum Jahr 2020 in Deutschland durch Energiekosteneinsparung sowie Importsubstitutions- und Multiplikatoreffekte (netto) etwa 800 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen kann.

Eine durch Fakten gestützte Kommunikation dieser Effekte ist zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Akzeptanz des ökologischen Umbaus unerlässlich. Daneben gilt es jedoch, die vorübergehend steigenden Energiekostenbelastungen der betroffenen Akteure im Detail zu analysieren und durch flankierende Maßnahmen entlastend zu agieren. Auf der Seite der Unternehmen wird es deshalb wichtig sein, große stromintensive Branchen wie etwa die Stahl- oder die Chemieindustrie nicht so sehr zu belasten, dass Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Eine flankierende Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen spielt hierbei eine wichtige Rolle. Durch systematische Demand-Side-Management-Programme zur Einsparung von Grundlaststrom (z.B. für Kühl- und Gefriergeräte) können z.B. Stromangebotskapazitäten für stromintensive Betriebe freigesetzt werden.

Auf Seiten der privaten Haushalte ist wichtig, dass die Kostensteigerungen sozialpolitisch abgefedert werden. Aufgrund höherer relativer Ausgabenanteile für Haushaltsenergie treffen Strompreiserhöhungen einkommensschwache Haushalte überproportional.27 So hatten vor allem die Bezieher von Transfereinkommen in den vergangenen Jahren erhebliche Probleme, ihre Rechnungen für Haushaltsenergie (vor allem Strom) über den vorgesehenen Satz zu decken.28 Neben einer angemessenen Berechnung der Transfereinkommen sind hier vor allem Energieberatungsangebote und Sofort-Hilfe-Unterstützungen (z.B. Ausgabe von Energiesparlampen) zur Verbesserung der Energieeffizienz zu empfehlen.29

Fazit

Als Ergebnis der technisch-ökonomischen Szenarienanalyse zeigt sich, dass der Umbau des Energiesystems in Richtung einer risikominimierenden Energieeffizienz- und Solarenergiewirtschaft im Hochtechnologieland Deutschland technisch möglich und gesamtwirtschaftlich attraktiv ist. Bei umsichtiger Energiepolitik sind ein unumkehrbarer Atomausstieg innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre und ein erfolgreicher Klimaschutz nicht etwa ein Gegensatz, sondern bedingen sich wechselseitig und verstärken die für die Energiewende notwendigen Innovations- und Investitionseffekte. Würden die durch den ökologischen Umbau vermiedenen externen Kosten des heutigen fossil-nuklearen Systems dabei berücksichtigt, würde dieses positive Ergebnis noch erheblich verstärkt.

  • 1 Vgl. N. Stern: The Economics of Climate Change: The Stern Review, Executive Summary, Cambridge 2007.
  • 2 P. R. Epstein et al.: Full cost accounting for the life cycle of coal, in: Annals of the New York Academy of Sciences, Vol. 1219, 2011, S. 73-98.
  • 3 Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass die externen Kosten der Stromerzeugung zwischen 6,1 (Öl), 6,8 (Steinkohle) und 8,7 Cent/kWh liegen. Vgl. Umweltbundesamt (UBA): Externe Kosten kennen – Umwelt besser schützen. Methodenkonvention zur Schätzung externer Kosten am Beispiel Energie und Verkehr, 2007, http://www.umweltbundesamt.de/uba-info-presse/2007/pd07-024.htm.
  • 4 Paul Welfens schätzt in Anlehnung an Ewers und Rennings 5000 bis 6000 Mrd. Euro Schadenskosten für einen Supergau in Biblis; vgl. H. J. Ewers, K. Rennings: Die monetären Schäden eines Super-Gaus in Biblis, Diskussionspapier, Nr. 2, 1991, Institut für Verkehrswissenschaften an der Universität Münster; H. J. Ewers, K. Rennings: Abschätzung der Schäden durch einen sogenannten „SUPER-GAU“, Prognos-Studie für das Bundesministerium für Wirtschaft, 1992, downloadbar unter www.zukunftslobby.de; vgl. P. Hennicke, P. Welfens: Energiewende nach Fukushima, im Erscheinen. Je nach Versicherungsmodell könnte der Preis für Atomstrom sogar auf das Zehnfache ansteigen; vgl. Versicherungsforen Leipzig: Berechnung einer risikoadäquaten Versicherungsprämie zur Deckung der Haftpflichtrisiken, die aus dem Betrieb von Kernkraftwerken resultieren, Studie im Auftrag des Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. (BEE), Leipzig 2011.
  • 5 Vgl. S. Küchler, B. Meyer: Was Strom wirklich kostet, Vergleich der staatlichen Förderung und gesamtgesellschaftlichen Kosten von Atom, Kohle und erneuerbaren Energien, Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft, Studie im Auftrag von Greenpeace Energy unter Mitarbeit von Christian Kusch und Bea Ruoff, Berlin, April 2011. Die Studie vergleicht für den Zeitraum 1970 bis 2010 die staatlichen direkten und indirekten Förderungen von erneuerbaren Energien, Atomenergie sowie Stein- und Braunkohle und addiert hierzu (bei Atomenergie in Höhe von Braunkohle) die „externen Kosten“. Im Ergebnis summieren sich die Gesamtkosten bei Atomstrom auf 12,8 Cent/kWh, Stein- und Braunkohle auf 12,1 Cent/kWh und bei Wind auf 7,6 Cent/kWh.
  • 6 Vgl. hierzu auch P. Hennicke, P. Welfens, a.a.O., im Erscheinen.
  • 7 Seit 2009 haben zahlreiche Studien für Deutschland (teilweise auch für die EU und für die Welt) gezeigt, dass ambitionierter Klimaschutz in Verbindung mit dem Ausstieg aus der Atomenergie gesamtwirtschaftlich positive Effekte aufweist. Vgl. für Deutschland sowie für die EU und weltweit Ecofys, WWF, OMA: The Energy Report – Globales nachhaltiges und regeneratives Energiesystem bis 2050 möglich, 2011, www.ecofys.de.
  • 8 Vgl. auch P. Hennicke, M. Müller: Weltmacht Energie: Herausforderung für Demokratie und Wohlstand, Stuttgart 2005; P. Hennicke, S. Bodach: Energierevolution: Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien als neue globale Herausforderung, München 2010.
  • 9 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin 2011.
  • 10 Vgl. P. Hennicke, S. Samadi, T. Schleicher: Ambitionierte Ziele – untaugliche Mittel: Deutsche Energiepolitik am Scheideweg, Hintergrundpapier der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) zur Energie- und Klimapolitik in Deutschland 2010, unter Mitarbeit von F. C. Matthes, W. Renneberg, J. Schneider, VDW-Materialien 1/2011, Berlin.
  • 11 Ebenda.
  • 12 Die Endenergieintensität beschreibt die Endenergie, die (durchschnittlich) nötig ist, um eine Einheit des Bruttoinlandsprodukts zu erzeugen. Sie errechnet sich, indem der in einem Jahr aufgetretene Endenergiebedarf durch das (reale) Bruttoinlandsprodukt geteilt wird.
  • 13 So lag diese Rate zwischen 2000 und 2009 auch nur noch bei knapp 1,4%.
  • 14 Vgl. auch P. Hennicke et al.: Ambitionierte Ziele – untaugliche Mittel ..., a.a.O.
  • 15 Ebenda, S. 5.
  • 16 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland – Leitszenario 2009, http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/leitszenario2009_bf.pdf, 67 für den Fall einer „mäßigen“ Preissteigerung, Preispfad -B- (Leitpreis in Preisen von 2005 Rohöl 2020: 78 Euro/Barrel; CO2-Preis: 30 Euro/t).
  • 17 Es sei darauf hingewiesen, dass diese volkswirtschaftliche Kostenersparnis mit weiteren positiven (Neben-)Effekten verbunden ist, wie z.B. Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz, Senkung der Importabhängigkeit, Reduzierung externer Effekte, Aufbau neuer Geschäftsfelder für weltweite Leitmärkte, Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze.
  • 18 Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE): Energiekonzept 2050. Eine Vision für ein nachhaltiges Energiekonzept auf Basis von Energieeffizienz und 100% erneuerbaren Energien. Beitrag der Institute: Fraunhofer IBP, Fraunhofer ISE, Fraunhofer IWES, ISFH, IZES gGmbH, ZAE Bayer und ZSW, zusammengeschlossen im Forschungsverbund Erneuerbare Energien (FVEE), im Auftrag der Bundesregierung, 2010, http://www.fvee.de/fileadmin/.../10.06.vision_fuer_nachhaltiges_energiekonzept.pdf.
  • 19 Ebenda, S. 13.
  • 20 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): 100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar, 2010, http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2010_05_Stellung_15_erneuerbareStromversorgung.pdf?__blob=publicationFile.
  • 21 Ebenda, S. 78.
  • 22 T. Traber, C. Kemfert, J. Diekmann: Strompreise: Künftig nur noch geringe Erhöhung durch erneuerbare Energien, in: Wochenbericht des DIW, Nr. 6, Berlin 2011.
  • 23 Vgl. Wuppertal Institut (WI): Sustainable Urban Infrastructure, Ausgabe München – Wege in eine CO2-freie Zukunft, in Zusammenarbeit mit Ö-quadrat im Auftrag der Siemens AG 2009; sowie B. Hirschl, A. Aretz, A. Prahl et al.: Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien, Schriftenreihe des IÖW, Nr. 196, Berlin 2010.
  • 24 Vgl. C. C. Jaeger, G. Horn, T. Lux: From the financial crisis to sustainability, A study commissioned by the Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety; ECF, Potsdam 2009, http://www.european-climate-forum.net/fileadmin/ecf-documents/publications/reports/jaeger-horn-lux__from-the-financial-crisis-to-sustainabilty.pdf.
  • 25 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, www.unendlich-viel-energie.de, DIW, 2010.
  • 26 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Investitionen für ein klimafreundliches Deutschland, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2008, BSR-Sustainability, European Climate Forum (ECF), Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Öko-Zentrum NRW, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
  • 27 Vgl. DESTATIS: Laufende Wirtschaftsrechnungen, 2007.
  • 28 M. Kopatz: Energiearmut in Deutschland: Brauchen wir einen Sozialtarif?, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Nr. 59, 2009.
  • 29 Vgl. hierzu „Aktion Stromspar-Check“, eaD, Caritas; vgl. M. Kopatz, M. Spitzer, A. Christanell: Energiearmut. Stand der Forschung, nationale Programme und regionale Modellprojekte in Deutschland, Österreich und Großbritannien, Wuppertal Paper, Nr. 184, Oktober 2010, http://www.wupperinst.org/uploads/txwibeitrag/WP184.pdf.

Energiepolitik nach Fukushima

Die nukleare Katastrophe von Fukushima hat weltweit eine Diskussion über Kosten und Nutzen der Kernkraft ausgelöst. Eine Neubewertung der Nutzung der Kernkraft und damit der zukünftigen Struktur der Stromerzeugung ist tatsächlich notwendig, doch diese sollte trotz oder gerade wegen der schrecklichen Bilder aus Japan nicht überstürzt stattfinden. Die „German Angst“ bietet dafür nicht den besten Rahmen. Eine zielführende Energiepolitik für Deutschland muss auch nach Fukushima die verschiedenen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung berücksichtigen, sich am Leitbild der sozial-ökologischen Marktwirtschaft orientieren und die Einbindung nationaler Energiepolitik in europäische und globale Zusammenhänge beachten.1 Ökologische Ziele (Klimaschutz, Emissionsminderung, Abfallvermeidung bzw. ökologische Verträglichkeit über den gesamten Lebenszyklus), ökonomische Ziele (Versorgungssicherheit, Effizienz) und soziale Ziele (soziale Gerechtigkeit, individuelle Lebensqualität und gesellschaftliche Akzeptabilität) nachhaltigen Handelns sind eng miteinander verflochten und unterliegen häufig Zielkonflikten. Die Verbesserung in einer Zieldimension bedeutet oftmals die Verschlechterung in einer anderen Zieldimension. Die Gewichtung der Ziele muss dann in einer demokratisch legitimierten, politischen Abwägung erfolgen und kann je nach Kontext die einzelnen Ziele stärker und schwächer gewichten. Auch gestaltet sich ein nationaler Alleingang Deutschlands in Fragen des Kernenergieausstiegs vor der politischen und ökonomischen Realität eines zunehmend europäischen Energiesystems mit europäischem Emissionshandel als schwierig. Im Abwägungsprozess sind die verschiedenen Vor- und Nachteile offen zu dokumentieren und zu kommunizieren, da kein Energieträger nur positive Effekte oder nur negative Effekte auf die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit hat.

Energiekonzepte als Grundlage der Bewertung

Ausgangspunkt für diese Bewertungen bilden kohärente Energiekonzepte. Die genaue politische Ausgestaltung des beschleunigten Kernenergieausstiegs steht noch nicht fest. Obwohl diese durch die Empfehlungen der Ethikkommission um Klaus Töpfer und Matthias Kleiner und durch die technischen Überprüfungen („Stresstests“) noch beeinflusst werden, scheint doch vieles auf ein Zurückfallen auf die seit 2002 geltenden Restlaufzeiten für Kernkraftwerke hinzudeuten. Die im Rahmen eines Moratoriums von drei Monaten Mitte März 2011 außer Betrieb genommenen Kernkraftwerke werden wohl dauerhaft vom Netz bleiben.

Vor diesem Hintergrund sind zwei Studien besonders aufschlussreich für die Bewertung der Folgen des Atomausstiegs in Deutschland: Zum einen die „Energieszenarien“ von Prognos/EWI/GWS2, die die wissenschaftliche Grundlage für das Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010 und die verabschiedete Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke bildeten, zum anderen die „Energieprognose 2009“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie von IER/RWI/ZEW.3 Beide Energiekonzepte untersuchten neben einem Referenzszenario mit Kernenergieausstieg, also ohne Laufzeitverlängerung über die mit der Atomgesetznovelle von 2002 festgelegten Reststrommengen hinaus, verschiedene Szenarien mit Laufzeitverlängerungen für deutsche Kernkraftwerke. Die Referenzszenarien dieser Energiekonzepte bilden daher einen ersten Anhaltspunkt für die ökonomischen Folgen des Atomausstiegs. Die Laufzeitverlängerungsszenarien beschreiben grob die Veränderungen durch die Rücknahme der beschlossenen Laufzeitverlängerung um acht Jahre bei älteren Kernkraftwerken und 14 Jahre bei jüngeren Kernkraftwerken im vergangenen Jahr.

Allerdings haben die Energiekonzepte einen unterschiedlichen Anspruch: während die „Energieprognose 2009“ die wahrscheinliche Entwicklung von Energieverbrauch und Energieversorgung bei Umsetzung bestehender energie- und klimapolitischer Rahmensetzungen und Maßnahmen darstellt, beschreiben die „Energieszenarien“ mögliche Wege, um vorgegebene energie- und klimapolitische Ziele zu erreichen.

Entwicklung von Energieverbrauch und Energieversorgung mit Kernenergieausstieg

Im Referenzszenario der „Energieprognose 2009“ mit Kernenergieausstieg verringert sich der Primärenergieverbrauch dank effizienterer Stromerzeugungs- und Wärmetechnologien 2020 im Vergleich zu 2007 um etwa 14%. Die Energieproduktivität als Verhältnis aus Bruttoinlandsprodukt und Primärenergieverbrauch steigt entsprechend in diesem Zeitraum um durchschnittlich 2,1%. Der Anteil der erneuerbaren Energien beim Primärenergieverbrauch erhöht sich von 7% im Jahr 2007 auf knapp 14%. Dabei ist die Biomasse wichtigster erneuerbarer Energieträger beim Primärenergieverbrauch noch vor der Windenergie. Erneuerbare Energien werden insbesondere in der Stromerzeugung eingesetzt. Der Beitrag der erneuerbaren Energien zum Bruttostromverbrauch steigt 2020 auf 27%. Zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (insgesamt 173 TWh 2020 gegenüber 87 TWh 2007) trägt vor allem die Windkraft bei (100 TWh), die 2020 zu zwei Drittel Onshore und zu einem Drittel Offshore erzeugt wird. Dabei wird angenommen, dass es zu einem fortlaufenden Repowering und der Ausweisung weiterer Standorte bei Onshore Windenergie kommt und Offshore Windenergieanlagen im Umfang von insgesamt 10 GW installiert werden können. Letzteres erfordert nicht nur die erfolgreiche Installation und Inbetriebnahme umfangreicher Windparks, sondern auch den umfassenden Ausbau der Stromnetze und der Strominfrastruktur sowie eine Anpassung der EEG-Vergütungssätze. Erneuerbare Stromerzeugung aus Photovoltaik steigt zunächst dynamisch an, flacht aber im Laufe der Zeit ab und liefert weiterhin einen relativ geringen Anteil an der erneuerbaren Stromerzeugung. Die Stromnachfrage in Deutschland steigt weiterhin an, wenngleich in abgeschwächter Form. Dies ist auch auf die verstärkte Nutzung effizienter Stromanwendungstechniken wie Wärmepumpe und Elektroantrieb zurückzuführen.

Da die inländische Stromerzeugung bis 2025 leicht zurückgeht, kommt es zu einem Anstieg des Stromimportsaldos. Der angenommene Ausbau der innereuropäischen Stromnetze ist – neben dem Ausbau der Übertragungskapazitäten innerhalb Deutschlands – eine notwendige Bedingung, damit durch den Kernenergieausstieg keine Gefahr für die Versorgungssicherheit in Deutschland entsteht. Der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Stromerzeugung bis 2020 steigt geringfügig, insbesondere gewinnt die Verstromung von Erdgas an Bedeutung – auf Kosten von Steinkohle. Entsprechend nehmen unter den fossil befeuerten Kraftwerksneubauten Erdgas-Kraftwerke eine besondere Stellung ein. Dies erklärt sich zum einen aus der verstärkten Wettbewerbsfähigkeit der Erdgas-Kraftwerke etwa wegen steigender Klimaschutzziele, zum anderen aus der notwendigen Zunahme des Anteils von Mittel- und Spitzenkraftwerken zur Integration fluktuierender Erzeugung aus erneuerbaren Energien.

Der Großteil des Zubaus (etwa zwei Drittel) findet jedoch durch Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien statt. Der Elektrizitätspreis am Großhandelsmarkt, der sich aus den variablen Erzeugungskosten des letzten zur Lastdeckung eingesetzten Kraftwerks bestimmt, steigt zunächst einmal an, um dann in der längeren Frist wieder leicht zurückzugehen. Der Strompreis für Industriekunden und Haushalte setzt sich aus den Kosten für Erzeugung, Transport und Verteilung sowie den Steuern, Abgaben und Umlagen zusammen. Es kommt in Preisen von 2007 zu einem Anstieg der Strompreise sowohl für Industriekunden (von 103 Euro/MWh 2007 auf 118 Euro/MWh 2020) als auch für Haushaltskunden (von 206 Euro/MWh 2007 auf 234 Euro/MWh 2020). Der Anteil der EEG-Umlage steigt weiter an. In der Referenzprognose sinkt der Ausstoß an Treibhausgasen in Deutschland bis 2020 um 34% gegenüber 1990.

Wirkungen der Laufzeitverlängerung

Was wären nun die Wirkungen einer Laufzeitverlängerung gewesen? Eine um acht Jahren verlängerte Laufzeit der Kernkraftwerke führt zu einer leicht höheren Stromnachfrage aufgrund der niedrigeren Strompreise gegenüber der Referenzprognose bei gleichzeitig ansteigender heimischer Stromerzeugung. Die Nettostromimporte gehen daher zurück. Der Zubaubedarf an Kraftwerksleistung sinkt bzw. verschiebt sich zeitlich. Die Laufzeitverlängerung hat allerdings kaum Auswirkungen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, da der Umfang der regenerativen Stromerzeugung insbesondere durch die politische Förderung etwa im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bestimmt wird.

Eine Laufzeitverlängerung belastet vornehmlich die Stromerzeugung aus Erdgas. Der Strommix gleicht sich nach 2020 rasch an die Referenzprognose an. Der Strompreis ist 2020 im Ausstiegsszenario aufgrund der niedrigeren variablen Erzeugungskosten der Kernkraftwerke und der Kostenersparnis bei CO2-Zertifikaten um 8 Euro je MWh bei den Großhandelspreisen und um 16 Euro je MWh bei den Haushaltspreisen jeweils in Preisen von 2007 niedriger. Dies hat positive Rückkopplungseffekte auf Produktion und Beschäftigung und führt zu einem gegenüber der Referenz etwa 0,4% höheren Bruttoinlandsprodukt. Der Treibhausgasausstoß sinkt 2020 um 37% gegenüber 1990 und fällt somit hinter das gesetzte nationale Emissionsreduktions-Ziel von 40% zurück. Zudem ist zu bedenken, dass die höhere Minderung in Deutschland lediglich einen Verlagerungseffekt darstellt: eine stärkere Nutzung der Kernkraft in Deutschland dämpft die Nachfrage nach Emissionszertifikaten im EU-Emissionshandelssystem. Da die gesamte Menge an Zertifikaten bis 2020 fix vorgegeben ist, kommt es durch die Laufzeitverlängerung zu keiner realen Minderung. Vielmehr werden die freiwerdenden Zertifikate, bei gleichzeitig sinkenden Zertifikatepreisen, von anderen Unternehmen im Emissionshandel gekauft. Der Ausstoß an Treibhausgasen in anderen Mitgliedstaaten bzw. Sektoren steigt entsprechend an. Dies zeigt auch, dass nationale Emissionsziele angesichts des europäischen Emissionsrechtehandels ohnehin wenig Sinn machen. Es ist nicht mehr entscheidend, wie viele Emissionen in Deutschland alleine anfallen. Vielmehr zählt die im Rahmen des europäischen Emissionshandels festgelegte Obergrenze für Treibhausgase.

Akzeptanz der Zusatzbelastungen im Transformationsprozess

Im Gegensatz zu den „Energieszenarien“ werden die von der Politik gesteckten Ziele bei erneuerbaren Energien nach diesen Berechnungen auch bei einem Kernenergieausstieg in den nächsten Jahrzehnten nicht erreicht werden. In der aktuellen Diskussion zur zukünftigen deutschen Energiepolitik wird zudem erwogen, die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter anzuheben. Weiterreichende Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien und zum Ausbau der Infrastruktur sind daher notwendig. Sind die Bürger bereit, diese Zusatzbelastungen im Transformationsprozess zu tragen? Vor Fukushima wäre die Antwort wohl klar gewesen: Etwa 30% der Befragten des aktuellen ZEW-Energiemarktbarometers, einer halbjährlichen Befragung von rund 200 Experten aus der Energiewirtschaft, sehen die für die Akzeptanz der Förderung kritische Höhe der EEG-Umlage bei 4 bis 6 Cent pro kWh. Dieses Niveau der Umlagekosten für Haushaltsstrom durch das EEG sieht fast die Hälfte der Befragten in fünf Jahren erreicht. Durch die geplanten zusätzlichen Maßnahmen dürften die Belastungen noch einmal ansteigen. Zudem wird ein dramatischer Umbau der Infrastruktur erforderlich, der sich nicht nur in neuen Höchstspannungsleitungen zum Transport der Offshore-Windenergie in den Süden äußert, sondern etwa auch in neuen Pumpspeicherkraftwerken. Dagegen gibt es – ebenso wie gegen Windkraftanlagen und Biogasanlagen – bereits heute heftigen Widerstand der Bevölkerung vor Ort.

Nach Fukushima könnte sich dies ändern. Die mit dem Kernenergieausstieg einhergehende rasche Energiewende hin zu erneuerbaren Energien findet die breite Zustimmung der Bevölkerung. Während im ZDF-Politbarometer Anfang April 2011 etwa 34% der Befragten zum Szenario vor der Laufzeitverlängerung zurückkehren wollten (also dem Referenzszenario der „Energieprognose 2009“), sprachen sich 55% dafür aus, „so schnell wie möglich“ aus der Kernkraft auszusteigen. Diese Befragungen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn sie sind nicht direkt mit realen Wirkungen verknüpft. Würden die Befragten die ökonomischen Konsequenzen ihrer Antworten konfrontiert, so könnte das Ergebnis anders ausfallen. Erneuerbare Energieträger werden von der Bevölkerung zwar fast durchweg positiv wahrgenommen, ob jedoch die Zahlungsbereitschaft hierfür wirklich vorhanden ist, erscheint fraglich. So zeigte eine Studie am ZEW, dass die Zahlungsbereitschaft für die Vermeidung einer Tonne CO2 im Mittel knapp 12 Euro beträgt.4 Noch interessanter: gut 60% der Teilnehmer an der Untersuchung hatten eine Zahlungsbereitschaft für Klimaschutz von 0 Euro. Dies könnte bedeuten, dass für eine kostspielige Klimaschutzpolitik und den Ausbau der erneuerbaren Energien letztlich doch keine politische Mehrheit existiert. Oder das der Transformationsprozess auf weitaus größere Widerstände stößt als heute erwartet. Deshalb ist es besonders wichtig, dass politisch formulierte energie- und klimapolitische Ziele tatsächlich zu möglichst niedrigen Kosten erreicht werden, dass die Vorzüge und Belastungen des Übergangs offen dargestellt werden und ein breiter gesellschaftlicher Konsens angestrebt wird.

Grenzen der ökonomischen Bewertung

Letztlich stößt die Kosten-Nutzen-Rechnung bei der Beurteilung der Kernkraft an ihre Grenzen.5 Die oben zitierten Kostenschätzungen haben die Risiken eines möglichen Störfalls nur teilweise berücksichtigt, indem Nachrüstkosten für die verlängerte Nutzung der Kernkraftwerke spezifiziert wurden. Fukushima zeigt aber gerade, dass auch dann noch das Restrisiko eines Unfalls bleibt. Dies wird ausgeklammert. Wegen der Seltenheit der Ereignisse gibt es große Unsicherheiten sowohl in der Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten als auch des Schadens – auch unter Fachleuten. Die Erwartungswerte können bis zu einem Faktor von 30 000 auseinander liegen.6 Zudem spielt bei solchen Katastrophenrisiken die Risikoaversion der Individuen, ebenfalls eine weitgehend unbekannte Größe, eine besondere Rolle. Die Kosten-Nutzen-Analyse kann daher letztendlich keine Entscheidungsgrundlage für den Umgang mit diesen Risiken liefern. Entweder kommt es nämlich zu einer absoluten Dominanz („Tyrannei“) der katastrophischen Risiken oder aber zu deren nahezu vollkommenen Vernachlässigung, was beides kaum den intuitiven Erwartungen des „gesunden Menschenverstandes“ entspricht.7 Deshalb ist es eine gesellschaftliche Entscheidung, welche Risiken tolerierbar sind. Ökonomische Abschätzungen liefern hierzu einen wichtigen Beitrag, indem sie zeigen, wie die jeweils kostengünstigste Strategie für einen schnelleren oder langsameren Atomausstieg aussieht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

  • 1 Vgl. hierzu und im Folgenden International Expert Group on Earth System Preservation (IESP): Ein Zehn-Punkte-Programm für eine nachhaltige, marktwirtschaftlich ausgerichtete und global verantwortbare Energiepolitik, München 2010.
  • 2 Prognos, Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI), Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS): Energieszenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung, Basel, Köln, Osnabrück 2010.
  • 3 Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart (IER), Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): Die Entwicklung der Energiemärkte bis 2030 – Energieprognose 2009, Berlin 2010.
  • 4 Vgl. A. Löschel, B. Sturm, C. Vogt: Die reale Zahlungsbereitschaft für Klimaschutz, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 11, S. 749-753.
  • 5 Vgl. G. Klepper, S. Peterson, S. Petrick: Sollten und können wir auf Atomkraft verzichten?, IfW-Fokus, Nr. 94, Kiel 2011.
  • 6 Vgl. Umweltbundesamt: Ökonomische Bewertung von Umweltschäden – Methodenkonvention zur Schätzung externer Umweltkosten, Dessau 2007.
  • 7 Vgl. W. Buchholz, M. Schymura: Expected Utility Theory and the Tyranny of Catastrophic Risks, ZEW Discussion Paper, Nr. 10-059, Mannheim 2010.

Lehren aus der Krise: So kann der Umbau der Energiewirtschaft gelingen

Die heutige Gesellschaft steht wie keine andere zuvor vor großen Herausforderungen. Fossile Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle sind endlich und verursachen beim Verbrennen klimagefährliche Treibhausgase. Dabei werden etwa drei Viertel der weltweiten Treibhausgase von den Industriestaaten wie USA, Europa und Japan verursacht. Die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre hat schon heute fast ein Niveau erreicht, das das Klima irreversibel schädigen würde, wenn es überschritten werden sollte. Um den Klimawandel einzudämmen, müssen die modernen, entwickelten Volkswirtschaften es schaffen, die Klimagase drastisch zu vermindern, und zudem fossile Energien durch alternative Energien ersetzen. Weltweit steigt die Nachfrage nach fossilen Ressourcen weiter drastisch an. Stark wachsende Volkswirtschaften wie China, aber auch Russland und Indien haben einen enormen Energiebedarf. Insbesondere der immer weiter steigende Kohleverbrauch lässt die Treibhausgase unaufhaltsam ansteigen. Dabei wird nicht selten der Verbrauch fossiler Energie subventioniert, was zu Verschwendung führt.

Fossile Energien – allen voran Öl – werden knapper und teurer. Und die Zeit des ausreichenden Ölangebots schwindet. Die volkswirtschaftlichen Kosten eines möglichst frühzeitigen Umbaus der Energieversorgung hin zu einer CO2-freien Energietechnik sind heute geringer, als wenn eine Umstellung erst viel später und damit sehr viel schneller vonstattengehen muss.

Die Katastrophe in Japan führt zu einer Neubewertung der Atomenergie

Die schlimme Katastrophe in Japan hat zu einer Neubewertung des Einsatzes von Atomkraftwerken geführt. Vor allem die Fragen an die Sicherheit aller Atomkraftwerke weltweit sind größer und drängender geworden. Die USA und Russland haben zusammen über 100 Kernkraftwerke im Einsatz, China will angeblich 40 neue Reaktoren bauen, bei unseren Nachbarn in Frankreich stehen über 50. In Deutschland hat die Fukushima-Katastrophe zu einem beabsichtigten schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie geführt als bisher geplant.

Das Energiekonzept in Deutschland sah ohnehin vor, den Anteil der erneuerbaren Energien in den kommenden vier Jahrzehnten auf 80% zu erhöhen. Die Kernenergie sollte im Energiekonzept eine Brückenfunktion hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien einnehmen. Zeitgleich zum Atomausstieg kann ein Großteil älterer Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Der Stromüberschuss, den wir derzeit noch haben, wird folglich tendenziell sinken. Die Energiewende muss somit schneller als bisher geplant vollzogen werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien kann im kommenden Jahrzehnt auf über 30% verdoppelt werden. Um zu verhindern, dass alte durch neue Kohlekraftwerke ersetzt werden, sollten effiziente Gas-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gebaut werden.1 Gaskraftwerke sind wirkliche Brückentechnologien, da sie effizient und gut kombinierbar mit erneuerbaren Energien sind.

Letztendlich steht jede Nation wie nun auch Deutschland vor der Frage, wie man zügig aus der Kernenergie aussteigt. Dennoch: auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen in der EU erhöht und neu bewertet werden sollten, ein Komplettausstieg nach deutschem Vorbild wäre in anderen atomfreundlichen EU-Ländern kaum denkbar. Nichtsdestotrotz wird es keine Renaissance der Kernenergie geben. Viele der Kraftwerke haben bereits ihre Altersgrenze überschritten und werden in den kommenden Jahren vom Netz gehen. Finnland baut derzeit ein Kernkraftwerk, die Fertigstellung verzögert sich jedoch aufgrund erhöhter Sicherheitsvorkehrungen, auch wird es deutlich teurer als bisher geplant. Zwar planen einige andere EU-Länder den Bau von Reaktoren, wie beispielsweise Großbritannien, Schweden oder auch Italien, ob dies allerdings wie beabsichtigt ohne Subventionen zu bewerkstelligen sein wird, ist zu bezweifeln.

Die Kernenergie kann das globale Energieproblem ohnehin nicht lösen, noch immer wird der allergrößte Teil der Energie aus fossilen Trägern gewonnen. Um wirkungsvollen Klimaschutz zu betreiben, müssen Alternativen für Kohlekraftwerke gefunden werden. Da bis vor kurzem auch Gas aufgrund hoher Preise eher unwirtschaftlich war, bleibt den meisten Nationen in erster Linie die Wahl zwischen Atom und Kohle. In Europa wird nur in der Übergangszeit auf Kernenergie gesetzt werden, denn genau wie Deutschland wird in den einzelnen europäischen Ländern der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden. Europa hat sich zum Ziel gesetzt, 20% des Energieverbrauchs bis 2020 aus erneuerbaren Energien zu bedienen, zudem die Energieeffizienz zu verbessern und somit die Treibhausgase um 20% zu mindern.2 20% Energieeffizienzverbesserung soll bis 2020 erzielt werden, erreicht wurde bisher nur knapp die Hälfte. Besser sieht es da bei der Erfüllung der Ziele des Ausbaus der erneuerbaren Energien auf 20% im selben Zeitraum aus. Insgesamt wurden bis heute bereits die Treibhausgase um 16% reduziert. Wenn die Effizienzverbesserungen erfüllt werden, können die Emissionen bis 2020 um bis zu 25% vermindert werden. Die jüngst vorgestellte Roadmap der EU zeigt, dass es beträchtliche Fortschritte bei der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien gibt und auch die Reduktionsziele der Treibhausgase zumindest teilweise erfüllt wurden.3 Insbesondere bei der Erreichung der Effizienzziele zeigt sich jedoch, dass es erheblichen Nachholbedarf gibt. Doch wie will man die Energieeffizienz derart verbessern? Die EU sieht die größten Potentiale zu Recht im Bereich der Gebäudeenergie, gefolgt vom Verkehrssektor. Insbesondere durch die Verbesserung der Gebäudeisolierung kann der Energieeinsatz optimiert werden.

Was muss getan werden?

Wichtig ist vor allem der deutliche Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sowie eine erhebliche Steigerung der Energieeffizienz.4 Insbesondere im Gebäudebereich liegen ungeahnte Energieeinsparpotentiale. Durch gezielte finanzielle Förderung, Steuerersparnisse und verbesserte Möglichkeiten der Kostenüberwälzung für Immobilienbesitzer können hier die richtigen Signale gesetzt werden. Die Förderung der erneuerbaren Energien mittels des Erneuerbare-Energien- Gesetzes (EEG) ist richtig und sollte solange fortgesetzt werden, bis sich die Technik selbst am Markt behaupten kann. Der Vorteil des EEG liegt in der Kostendegression, d.h. der Berücksichtigung von Lernkurveneffekten bzw. Kostendegressionspotentialen. Zudem wird insbesondere aufgrund der sehr hohen Preise für Öl und Gas zum einen die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien schneller erreicht werden können und zum anderen vor allem das Energiesparen immer bedeutsamer. Zudem muss der Anteil der Gelder, die in die Energieforschung fließen, deutlich erhöht werden – zulasten anderer Subventionen im Energiesektor.

Neben dem gezielten Umbau der Energieerzeugung hin zu einer dezentralen Energieherstellung mit Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien, der energetischen Sanierung von öffentlichen Gebäuden, dem Ausbau der Infrastruktur, insbesondere der Netze für Energieherstellung und Mobilität, aber auch zur Stärkung des ÖPNV, muss die Energiepolitik vor allem die Informationslücke schließen: Bürger müssen informiert, Architekten, Handwerker und Stadtplaner ausreichend ausgebildet und geschult werden.

In der Pflicht stehen auch die Unternehmen. Das gilt nicht zuletzt für die Autoindustrie, die nur dann im Wettbewerb bestehen wird, wenn sie mit Blick auf den Energieverbrauch zukunftsfähige Produkte anbieten kann. Die Energieanbieter müssen mit den Entscheidungsträgern, den Bürgern und weiteren beteiligten Unternehmen gemeinsame Lösungen erarbeiten. Die Herausforderungen der nachhaltigen Energieversorgung und Mobilität sowie der gezielten Vermeidung und Anpassung an den Klimawandel können und müssen durch kommunale und nationale Politik erkannt und beantwortet werden.

Die Bürger Deutschlands protestieren seit langem gegen die Stromerzeugung aus der Kernenergie, jedoch nimmt auch die Ablehnung von Kohlekraftwerken zu. Aber auch gegen erneuerbare Energien, insbesondere Windparks, und gegen die Einrichtung von Infrastruktur, insbesondere Stromleitungsnetze, zeigt sich Widerstand. Die zunehmende Ablehnung der Kohle und der Widerwille gegen nahezu alle Energieanlagen wird an den zahlreichen Bürgerprotesten in nahezu allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland deutlich. Außerdem scheint die Akzeptanz in Deutschland zu schwinden, die bei der Verbrennung von Kohle entstandenen Treibhausgase unterirdisch einzulagern (Carbon Capture and Storage). Derzeit werden nahezu alle neuen Investitionsprojekte in Kraftwerke oder Netze durch Bürgerproteste blockiert. Dies kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Energieversorgungssicherheit in Deutschland führen. Deutschland steht vor einem Energieversorgungsproblem, wenn es nicht geschafft wird, die energiepolitischen Weichenstellungen so zu setzen, dass die Investitionen in die Stromerzeugung und Infrastruktur auch getätigt werden können.

Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft

Erneuerbare Energien sind der Baustein für eine nachhaltige Energieversorgung: sie sind klimaschonend, sorgen als heimische Energieträger für Versorgungssicherheit und können zudem als Wachstums- und Jobmotor die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Erneuerbare Energien sind dabei für alle Energiebereiche interessant: sowohl für die Stromerzeugung, als auch für die Wärmeerzeugung und als alternative Kraftstoffe im Transportbereich. Die Branche der erneuerbaren Energien ist dabei wie keine andere Branche in den letzten Jahren zu einer Wachstumsbranche geworden, die Innovationen und Wachstum fördert.

2010 waren bereits knapp 370 000 Beschäftigte in dem Bereich der erneuerbaren Energien tätig, Tendenz steigend. 2020 könnten es schon 600 000 Beschäftigte sein. Der Großteil der Beschäftigung ist in den Bereichen der Windenergie und der Stromerzeugung aus Biomasse angesiedelt, gefolgt von der Solarwirtschaft und Geothermie.

Die in diesen Bereichen geschaffene Wertschöpfung entsteht in der Fläche, und zwar vornehmlich in der Region, also außerhalb wirtschaftsstarker Metropolen. Erneuerbare Energien werden dabei zumeist dezentral mittels Windkraftanlagen, Biomassekraftwerken oder Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt. Die erneuerbaren Energien können dabei nicht nur zur Reduktion des starken CO2-Ausstoßes durch Kohlekraftwerke und somit zum Klimaschutz beitragen. Im Zuge des Ausstiegs aus der Atomenergie leisten sie auch einen hervorragenden Beitrag zur Versorgungssicherheit und zwar durch eine Reduktion der Importabhängigkeit.

Die Expansionschancen erneuerbarer Energien sind groß. Je nachdem, wie sich die weltweite Nachfrage nach erneuerbaren Energien entwickelt, können die Exportpotentiale weit erhöht werden. Wenn neben Deutschland auch viele andere Länder in der Welt den Ausbau erneuerbarer Energien stark voranbringen, erhöhen sich auf der einen Seite die Exportpotentiale für deutsche Firmen, auf der anderen Seite schrumpft damit aber auch der Marktanteil deutscher Unternehmen im Weltmaßstab.

Können wir uns den Umbau leisten?

Häufig wird die Frage gestellt: können wir uns den Umbau überhaupt leisten, was kostet die Energiewende? Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Kosten und Investitionen. In der öffentlichen Diskussion werden beide Begriffe sehr oft durcheinander gebracht. Zum Umbau des Energiesystems sind Investitionen notwendig, die wachstumssteigernd für Wertschöpfung und Arbeitsplätze sorgen. Bis zu 1 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze können durch den Umbau in ein zukunftsweisendes Energiekonzept und nachhaltige Mobilität entstehen. Die Kosten hingegen, insbesondere zur Produktion von Strom, sind durch erneuerbare Energien zu Beginn höher. Aus diesem Grund werden die erneuerbaren Energien mittels des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefördert: eine Umlage erhöht den Strompreis. Die Kosten für fossile Energien werden steigen, die für erneuerbare Energien im Zeitablauf jedoch sinken. Durch den Umbau des Energiesystems und durch das Energiesparen können steigende Kosten fossiler Energien vermieden werden. Bei einem Ölpreisanstieg von 100 auf 120 US-$ pro Barrel würden zusätzliche Kosten für die deutsche Wirtschaft in Höhe von mindestens 20 Mrd. Euro entstehen – pro Jahr! Selbst wenn man annimmt, dass Investitionen zum Umbau des Energiesystems in Höhe von 200 Mrd. Euro in den kommenden zwölf Jahren getätigt würden, wären die vermiedenen Kosten für fossile Energien annähernd genauso hoch.5

Die Anfangsinvestitionen werden sicherlich zum größten Teil von Unternehmen getätigt werden, aber auch eine teilweise Finanzierung durch die öffentliche Hand wird notwendig sein. Der Klimafonds speist sich beispielsweise aus den Geldern aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten. Wenn Atomkraft durch Kohle ersetzt werden würde, würden die CO2-Preise steigen und dadurch auch mehr Geld in den Klimafonds fließen.

Die Wirkungen auf den Strompreis sind ambivalent. Durch den Umbau hin zu mehr erneuerbarer Energie gibt es sowohl preistreibende als auch preissenkende Faktoren. Da Deutschland im europäischen Vergleich ohnehin ein hohes Strompreisniveau hat, wird es vermutlich nur leichte Preisanstiege geben. Durch eine Angebotsverknappung wird der Strompreis an der Börse steigen, dies wirkt insgesamt preissteigernd. Auch der Netzausbau wirkt leicht preissteigernd, obwohl das Ausmaß überschaubar sein wird. Laut dena-Netzstudie II würden die jährlichen Investitionen in Höhe von bis zu 1 Mrd. Euro den Strompreis nur um 0,3 bis 0,5 Cent/kwh steigen lassen.6 Wenn Atom durch Kohle ersetzt wird, steigen die CO2-Preise, das wirkt ebenso preissteigernd. Preissenkend hingegen wirkt die Förderung erneuerbarer Energien, denn die Umlage sinkt mit erhöhtem Börsenpreis. Auch die Importe wirken preissenkend, da der Strom aus dem Ausland billiger ist. Weiterhin könnte die Zunahme von erneuerbaren Energien durch mehr Wettbewerb den Preis verringern.

Fazit: wir benötigen die Energiewende so schnell wie möglich

Kernenergie ist und bleibt eine Technik der Vergangenheit – nicht der Zukunft. Das war vor der Katastrophe in Japan so, das gilt auch danach. Die Atomkrise kann genutzt werden, die Energiewende einzuleiten. Die Energiewende hin zu einer deutlich verbesserten Energieeffizienz und einem erhöhten Einsatz von erneuerbaren Energien schafft mehr Chancen als Risiken. Durch gezielte Investitionen in innovative Energie- und Mobilitätsmärkte werden Energiekosten gespart, sowie Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze geschaffen. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien.

  • 1 C. Kemfert, T. Traber: Strommarkt: Engpässe im Netz behindern den Wettbewerb, in: DIW Wochenbericht, 75. Jg. (2008), Nr. 15, S. 178-183.
  • 2 EU Kommission: Communication from the Commission to the Council and the European Parliament: Report on progress in creating the internal gas and electricity market, Brüssel 2008; EU-Kommission: Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: 20 20 by 2020 – Europe´s climate change opportunity, Brüssel 2008.
  • 3 EU Kommission: Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, The European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: A Roadmap for moving to a competitive low carbon economy in 2050, 8.3.2011.
  • 4 C. Kemfert: The European Electricity and climate policy: Complement or substitute?, in: Environment and Planning/C 25 (2007), Nr. 1, S. 115-130; C. Kemfert: Ein Zehn-Punkte-Plan für eine nachhaltige Energiepolitik in Deutschland, in: GAIA, 16. Jg. (2007), Nr. 1, S. 16-21.
  • 5 Eigene Berechnungen aus Energiebilanzen, BDEW und Energiepreise der Statistik der Kohlenwirtschaft; AGEB: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, Energiebilanz 2010; Statistik der Kohlenwirtschaft e.V.: Entwicklung ausgewählter Energiepreise, Stand März 2011; BDEW: Energiedaten, http://www.bdew.de/internet.nsf/id/DE_Energiedaten, zugegriffen am 27.4.2011.
  • 6 dena: Deutsche Energieagentur dena-Netzstudie II – Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung im Zeitraum 2015-2020 mit Ausblick 2025, Berlin 2010.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1223-9