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Ende Juli haben die Euro-Regierungschefs ein zusätzliches sehr umfangreiches Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Der EU-Gipfel konnte die Märkte allerdings nicht beruhigen. Diese enttäuschende Reaktion heizt die Diskussion auf politischer Ebene, aber auch in der Wirtschaftswissenschaft weiter an. Wie ist die Beteiligung des Privatsektors an der Krisenbewältigung zu bewerten? Wie stark wird der Steuerzahler belastet? Was ist von Eurobonds oder einer europäischen Wirtschaftsregierung mit weitreichenden Kompetenzen zu halten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Autoren der folgenden Aufsätze.

Es ist Gewohnheit geworden, das Krisengeschehen im Euroraum ab Mitte 2007 als zeitliche Abfolge zu sehen. Zunächst die Vertrauenskrise unter Banken aufgrund von massiven Forderungsausfällen bei riskanten Finanzprodukten US-amerikanischen Ursprungs, darauf die Solvenzkrise im Finanzsektor wegen existenzgefährdenden Abschreibungsbedarfs auf Aktivpositionen mit der Pleite von Lehman Brothers im Herbst 2008 als Höhepunkt und dann ab dem Frühjahr 2010 im dritten Schritt die Staatsschuldenkrise mit drastischen Wertverlusten ehemals sicher geglaubter Staatsanleihen sowie außergewöhnlichen Risikoaufschlägen für Staatskredite. Diese Sichtweise verstellt jedoch den Blick auf Komplexität und Schwere der Krisensituation.

Kumulatives Krisengeschehen

Das Krisengeschehen ist vielmehr kumulativ einzustufen. Die Krise war bereits zu Beginn, gemessen am Konvergenzkriterium des Stabilitätspaktes, das höchstens Schulden in Höhe von 60% des Bruttoinlandsprodukts vorsah, geprägt von einem Staatsschuldenproblem im Euroraum. Dies wurde nicht zuletzt durch einen auch auf Betreiben von Deutschland aufgeweichten Stabilitäts- und Wachstumspakt ermöglicht. Das hat sich im Krisenverlauf durch milliardenschwere Bankenrettungsschirme und defizitfinanzierte Konjunkturprogramme allerdings drastisch bis hin zur Insolvenzgefährdung einzelner Staaten verstärkt.

Die Krise ist zudem trotz konsequenter regulatorischer Maßnahmen und flankierender Bankenstresstests immer noch eine Solvenzkrise im Finanzsektor mit Irland und den Südländern an der Spitze. Und die Krise ist nach wie vor eine Vertrauenskrise unter Banken mit jüngst wieder gewachsenen Funktionsstörungen der Geldmärkte. Statt sich gegenseitig bei Liquiditätsklemmen zu helfen, neigen die Banken dazu, das aufgrund der großzügigen Bereitstellung von Zentralbankguthaben durch die EZB reichlich vorhandene Geld sicherheitshalber als Einlagenfazilität bei der Bundesbank und anderen Notenbanken des Eurosystems zu parken.

Mit dieser Gemengelage hat die Politik zu kämpfen. Tritt man beispielsweise für einen deutlichen Haircut bei Staatsanleihen eines gefährdeten Landes ein, wird auf eine mögliche Instabilität des betreffenden Finanzsektors sowie auf Spillover-Effekte auf Bankensysteme anderer Länder hingewiesen. Zusätzlich erschwert wird die Situation dadurch, dass sich die anfängliche Vertrauenskrise unter Banken zu einer Vertrauenskrise gegenüber der politischen Klasse ausgeweitet hat. Die Politiker der Euroländer wirken mittlerweile getrieben, haben sich von Krisengipfel zu Krisengipfel gehangelt und nicht immer mit einheitlicher Stimme gesprochen. Auch kürzlich wurden Interessenkonflikte wieder unter der noch unklaren Vision „Wirtschaftsregierung für mehr wirtschaftspolitische Koordination in Europa“ versteckt. Gewiss ist nur, dass der Takt der oft von strategischen Überlegungen dominierten Gipfeltreffen europäischer Staats- und Regierungschefs auf regelmäßig mindestens zwei pro Jahr festgeschrieben wird. Hinzu kommt, dass diese Zusammenkünfte von einem EU-Ratspräsidenten geführt werden sollen, dessen Kompetenzen vor dem Hintergrund nationaler Souveränitätsinteressen und EU-Vorstellungen schwer auszumachen sind.

Politische Kommunikation fördert Verunsicherung

Zur dringend notwendigen Vertrauensbildung trägt es zudem nicht bei, wenn Spitzenpolitiker und Vertreter der EZB mantrahaft wiederholen, dass das Euroland keine Transferunion sei, weil es sich bei der Stabilisierungsfazilität ausschließlich um Kredite sowie Garantien handele, und dies als Argument gegen Eurobonds vorbringen. Jeder recht und billig denkende Kaufmann weiß allerdings, dass mögliche Kreditausfälle bzw. Garantieinanspruchnahmen zumindest potentiell einen Transfer bedeuten und entsprechend in Rechnung zu stellen sind. Kein Wunder, wenn sich Bürgerinnen und Bürger ob solchen Verhaltens hinters Licht geführt fühlen und für sie ein Garantievolumen der Eurostaaten von insgesamt 780 Mrd. Euro außerhalb der rationalen Vorstellungskraft liegt. Außerdem werden mit derartigen sprachlichen Spitzfindigkeiten unnötig Hürden aufgebaut, die – wenn sie im Verlauf des Krisenmanagements und unter dem Druck des Finanzmarktgeschehens fallen – weitere Verunsicherung bewirken.

Bei derart unberechenbarem Agieren ist es nicht verwunderlich, dass die Finanzmarktakteure krisenverschärfend – wie zuletzt geschehen – reihenweise und offenbar systematisch die Widerstandsfähigkeit der Südländer testen und nach Italien sogar Frankreich ins Spiel bringen. Hinzu kommt, dass die großen Ratingagenturen, wie schon 2007, als sie von ihnen mitentwickelte und mit besten Bonitätsnoten versehene Finanzprodukte zu Beginn der Subprime-Krise rasch herabstuften, Öl ins Feuer gossen, indem sie die Bonität von Staatsanleihen verschlechterten. Gewiss soll man den Überbringer schlechter Nachrichten nicht abstrafen. Die Lehre sollte jedoch sein, dass dem Urteil eines bisher übermächtigen engen Oligopols nicht mehr so entscheidendes Gewicht beigemessen wird, indem die Agenturen gemäß dem Wettbewerbsprinzip zu einer Stimme unter anderen herabgestuft werden – sei es durch Gründung einer unabhängigen europäischen Ratingagentur, beispielsweise in Form einer politikunabhängigen privatwirtschaftlichen Stiftung, oder dadurch, dass die EZB Ratingaufgaben übernimmt.

Weg für Eurobonds frei machen

Was nunmehr jedoch vor allem notwendig ist, ist ein Krisenmanagement der Eurogruppe, das mit einheitlicher Stimme spricht, das auf Besserung hoffend nicht nur danach trachtet, Zeit zu gewinnen und – vor allem – das sich offen zur Transfersituation bekennt. Das würde den Weg für die Ausgabe von Eurobonds im Rahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) sowie – besser noch vor 2013 – des neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) frei machen, zumal staatlich garantierte Anleihen emittiert werden sollen, die Eurobonds sehr nahe kommen. Der Einsatz von Eurobonds zur Erleichterung der Staatsfinanzierung von Krisenländern muss jedoch zeitlich befristet sowie vom Umfang her begrenzt sein. Vor allem dürfen sie nur eingesetzt werden, wenn eindeutige und verbindliche Auflagen für das Haushaltsgebaren der Länder gemacht werden. Hierzu könnten länderindividuell, d.h. an den jeweiligen volkswirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte mittelfristige Schuldenabbaupläne aufgestellt werden, die im Sinne einer Schuldenbremse festlegen, in welchen konkreten Schritten die Maastricht-Verschuldungskriterien erreicht werden.

Die Emission solcher stark regulierter Gemeinschaftsanleihen wird durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 vom Grundsatz her nicht ausgeschlossen. Ganz klar muss schon zu Beginn der Aushandlung der Konstruktionsmerkmale von Eurobonds sein, dass ein Staat, der die Auflagen nicht erfüllt, von der Emission ausgeschlossen wird. Wenn dann – wie möglicherweise im Fall von Griechenland – die Insolvenz und das Verlassen des Euroraums droht, so ist dies im Sinne einer entsprechenden Bonität der Eurobonds zur Unterstützung anderer gefährdeter Staaten des (Rest-)Euroraums in Kauf zu nehmen. In dieser Ausrichtung können Eurobonds sogar zu einem Impulsgeber für die Stabilität und weitere Integration Europas werden und nicht – wie vielfach befürchtet – zu einem Einfallstor für weiterhin laxe nationale Fiskalpolitik.

Eurobonds werden aufgrund möglicherweise steigender Zinsen für Deutschland außerdem mit Zusatzkosten in Milliardenhöhe beziffert – wie hoch diese sind, ist nach wie vor spekulativ. Bei dem gegenwärtig extrem niedrigen Zinsniveau können leicht steigende Zinsen zur Abfederung inflationärer Erwartungen volkswirtschaftlich sogar einen Gewinn darstellen, wenn die Zinssteigerung bei der Staatsfinanzierung auf andere Finanzmarktsegmente durchwirkt.

Bei all dem besteht jedoch die Gefahr, dass das Krisenmanagement der kleinen Schritte, zu dem sich Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy im August 2011 erst wieder bekannt haben, zur Gewohnheit wird und dass darüber die ordnungspolitische Perspektive einer von fallweisen Interventionen möglichst freien marktwirtschaftlichen Ordnung verloren geht. Die Politik wird Vertrauen nachhaltig nur dann zurückgewinnen können, wenn sie in der Lage ist, dauerhafte Lösungen zur Krisenprävention zu bieten.

Exzessive Schuldenakkumulation kennzeichnet Finanzkrisen

Folgt man den Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, dann ist das Schuldenproblem in das Zentrum einer ordnungspolitischen Lösung zu stellen. Die beiden renommierten Krisenforscher haben in einer empirisch fundierten Untersuchung herausgefunden,1 dass das gemeinsame Kennzeichen aller Finanzkrisen über Jahrhunderte hinweg eine exzessive Schuldenakkumulation war – sei es durch die Kreditaufnahme von Regierungen, Banken, Unternehmen oder Konsumenten. Damit sind auch die Hauptbeteiligten der gegenwärtigen Krisendynamik von faul gewordenen Konsumenten- und Gewerbeimmobilienkrediten über die riskante Refinanzierung von Finanzprodukten bis hin zur drohenden Staatsinsolvenz identifiziert. In Bezug auf die Schuldenentwicklung bei Banken sind die neuen bankenaufsichtlichen Regelungen – Basel III genannt – ein durchaus vielversprechendes Regulativ. Was die Staatsverschuldung betrifft sieht die von der europäischen Politik beschlossene Veränderung des Stabilitätspakts vor, dass von der EU-Kommission vorgeschlagene Sanktionen in Kraft treten, wenn eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat nicht dagegen stimmt. Nach bisheriger Erfahrung wird diese Escape-Klausel jedoch ein geöffnetes Tor für die Aufweichung von Sanktionen sein.

Es müsste deshalb eine wirksame Automatik eingeführt werden, nach der Sanktionen bei Regelverstößen nur durch einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates außer Kraft gesetzt werden können. Das müsste auch für die Einhaltung der zuvor erwähnten Schuldenbremse in den Euroländern gelten, selbst wenn diese – wie in Deutschland – in den jeweiligen Länderverfassungen festgeschrieben werden sollte. Für einen europäischen Finanzminister als Kernelement einer effizienten Wirtschaftsregierung ist es wohl noch zu früh. Nach Meinung des Wirtschaftsweisen Lars Feld würde der nur auf eigene Verschuldungskompetenz und europäische Steuern drängen.2

Thesen zur Geldpolitik nach der Krise

Sinnvoll wäre es jedoch, die Regelbindung auf geldpolitischer Seite, also bei der EZB, zu ergänzen, weil nicht nur Inflation, sondern letztlich auch Verschuldung ein monetäres Phänomen ist. Es ist bekannt, dass die Experten der EZB schon seit einiger Zeit an der weiteren Verbesserung der monetären Analyse als Grundlage ihrer geldpolitischen Strategie arbeiten. Bundesbanktradition war es, Regelorientierung in der Geldpolitik in Anlehnung an den Nobelpreisträger Milton Friedman bei eindeutiger Ausrichtung auf mittelfristige Preisstabilität als Endziel durch Vorgabe von monetären Zwischenzielen zu erreichen. Es wäre ein Gewinn, diese Tradition wiederzubeleben und damit die ordnungspolitisch sinnvolle Trennlinie zwischen Fiskalpolitik und Geldpolitik nach Staatsanleihekäufen von Problemländern durch die EZB wieder eindeutiger zu ziehen. Geldpolitik muss im Hinblick auf Unabhängigkeit und Preisstabilität berechenbar sein und bleiben.

Damit würden nicht nur die Fiskalpolitik sowie institutionelle Regelungen im Euroraum auf den Prüfstand gestellt, sondern auch Lehren für die Geldpolitik nach der Krise gezogen. In diesem Sinne sind die folgenden zehn Thesen als Diskussionsbeitrag zu sehen:

  1. Mit Nicht-Standard-Tenderoperationen einschließlich passiver quantitativer Lockerung durch Vollzuteilung von Zentralbankgeldgeboten zum Festzins sowie Verlängerung der Laufzeit der Operationen hat die EZB seit Mitte 2007 im Prinzip bis zum Beginn der Staatsschuldenkrise ausschließlich flexibles, exit-freundliches Liquiditätsmanagement betrieben. Exit-Freundlichkeit ist wichtig, wenn man zu einer benchmark-orientierten, d.h. Gleichgewicht auf dem Geldmarkt und Preisstabilität sichernden, Zentralbankgeldversorgung des Bankensystems zurückkehren will.
  2. Die aktive quantitative Lockerung durch Ankäufe von Staatsanleihen ist jedoch eine Grenzüberschreitung hin zur Monetisierung von Staatsschulden. Die hierfür von der EZB gegebene Begründung als Beitrag zur „Wiederherstellung einer besseren Transmission der geldpolitischen Beschlüsse der EZB und somit zur Gewährleistung der Preisstabilität“3 ist überraschend. Kommunikationspolitik als vertrauensbildendende Maßnahme sollte durchgängig offen und transparent sein.
  3. Um eine mögliche Umgehung des Verbots der Kreditvergabe an staatliche Institutionen nachhaltig zu vermeiden, sollten im Eurosystem Ankäufe von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten untersagt sein. In Krisenzeiten sollte dies – wenn überhaupt – nur durch die EFSF beziehungsweise den ESM möglich sein.
  4. Notenbankkommunikation mit der interessierten Öffentlichkeit – und nicht Verschwiegenheit wie sie in früheren Zeiten auch bei der Bundesbank vorkam – ist geldpolitischer Erfolgsfaktor im Sinne eines „management of expectations“. Die bisher wenig gewürdigte Ad-hoc-Kommunikation der EZB im Zusammenhang mit der Durchführung von Nicht-Standard-Operationen auf dem Geldmarkt hat wesentlich zur Akzeptanz und Effizienz des Krisenmanagements beigetragen.4
  5. Allein die Dynamik der verschiedenen Hauspreisblasen seit Beginn dieses Jahrhunderts – z.B. in den USA, in Großbritannien oder in Spanien – deutet darauf hin: Es ist nicht sehr überzeugend, als geldpolitischer Entscheidungsträger davon auszugehen, dass sich Vermögenspreisblasen nicht frühzeitig identifizieren lassen. Wichtig ist es deshalb, bei Frühwarneinrichtungen wie dem Europäischen Systemrisikorat (ESRB) nicht nur auf systemrelevante Banken, sondern auch auf sich abzeichnende, nicht fundamental begründete Preisentwicklungen, insbesondere auf den Asset-Märkten, zu achten.
  6. Es sollte daher nicht, wie bekanntlich von Alan Greenspan postuliert und nach dem Platzen der Dotcom-Blase praktiziert, ausschließlich darum gehen, nach dem Bersten einer Blase durch eine Politik des sehr leichten Geldes gegenzusteuern. Vielmehr könnte gegen aufziehende Vermögenspreisblasen mit einer „policy of leaning against the wind“ angegangen werden. Dies würde bedeuten, eine restriktivere Geldpolitik kommunikativ vorzubereiten und unter Umständen bereits einzuleiten bevor auf den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gestützte Inflationserwartungen Handlungsnotwendigkeit signalisieren.
  7. Eine vorbeugend restriktivere Geldpolitik muss sich dabei nicht nur auf eine Erhöhung des Leitzinses mit möglicherweise unerwünschten Zweitrundeneffekten auf die realwirtschaftliche Entwicklung stützen. Vielmehr sollte die EZB durchaus eine Reaktivierung der in früheren Zeiten von der Bundesbank betriebenen Mindestreservepolitik in Betracht ziehen. Diese wirkt auf die Kreditvergabemöglichkeit des Bankensystems und damit auf einen Vorlaufindikator von Vermögenspreisblasen. Neuere empirische Untersuchungen des IWF belegen, dass Vermögenspreisblasen oft signifikante Steigerungen der Kreditvergabe durch die Banken vorausgehen (credit boom bubbles).5
  8. Es ist zu erwarten, dass die Banken in ihrer Liquiditätsvorsorge ein höheres Risikobewusstsein entwickeln – ob aus eigenem Antrieb als Lehre aus der Krise oder infolge verschärfter regulatorischer Anforderungen. Dem würde eine längerfristige Versorgung mit Zentralbankgeld entgegenkommen. Deshalb ist zu prüfen, ob es angebracht ist, zu einem Standard-Liquiditätsmanagement zurückzukehren, das wie vor der Krise mit rund 70% des Tendervolumens eine klare Dominanz von wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften zu Lasten längerfristiger, mehr Stabilität in der Zentralbankgeldversorgung bietender Operationen vorsieht. Die Beibehaltung der in der Krise angewendeten „frontloading stategy“, also der Bereitstellung von Überschussliquidität zu Beginn der Mindestreserveperiode und deren Abbau im Verlauf der Periode, wäre ein ergänzender Beitrag.
  9. Reines „inflation targeting“ unter Ausblendung direkter monetärer Bezüge ist kein überzeugendes Konzept. Die Krise hat auch belegt, dass nicht nur Konsumgüterinflation, sondern auch „asset inflation“ neben anderen Ursachen auf monetäre Entwicklungen zurückgeführt werden kann. Insofern bedeutet die Krisenerfahrung auch eine Wiederaufwertung der von den Vertretern des „inflation targeting“ als redundant kritisierten Zwei-Säulen-Strategie der EZB. Diese beinhaltet eine mittelfristig orientierte wirtschaftliche Analyse sowie als zweite Säule eine prominente Rolle längerfristig orientierter monetärer Analysen.
  10. Die Komplexität des Krisengeschehens macht erneut deutlich, dass mechanistische Reaktionsfunktionen, wie z.B. die Taylor Rule mit ihrem Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Preis- und Wachstumsentwicklung, keine verlässliche geldpolitische Handlungsgrundlage darstellen. Bereits vor der Krise hat Otmar Issing mit Blick auf die vielfältigen zu berücksichtigenden Einflussfaktoren angemerkt „… that central banks cannot be simply replaced by computers running model simulations.“6 Und darin besteht auch die Begrenzung einer verstärkten Regelorientierung der Zentralbank, was bei der Bundesbank – gleichsam als „Friedman-light-Version“ – zur Vorgabe von monetären Zielkorridoren als Zwischenziele geführt hatte.

Krise als Chance für Europa

Die bereits erwähnte Untersuchung von Reinhart und Rogoff belegt auch: Nach aller wirtschaftsgeschichtlichen Erfahrung ist nach der Krise vor der Krise. Bereits die Klassiker der Nationalökonomie wussten, dass Konjunkturen und Krisen freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnungen immanent sind und dass sie in der Regel systemverbessernden Fortschritt bringen.7 Bei aller Problematik der Situation gibt das Anlass zur Hoffnung auf ein stabileres Europa, in dem, wenn die freiheitliche Ordnung nicht durch Überregulierung erstickt wird, künftig Krisen zwar möglich, aber nicht auf ähnlichen Ursachen beruhen und nicht nach vergleichbarem Muster ablaufen – sowie hoffentlich auch nicht so gravierend sind.

Die Autoren geben ihre persönliche Auffassung wieder.

  • 1 Vgl. C. Reinhart, K. Rogoff: This Time is Different – Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2009.
  • 2 Vgl. L. P. Feld: Frankreich ist ein Wackelkandidat, Interview, in: Auszüge aus Presseartikeln, Deutsche Bundesbank, Nr. 34/2011, S. 9-10.
  • 3 EZB: Erklärung des Präsidenten der EZB vom 7.8.2011, in: Monatsberichte, Nr. 8, 2011, S. 9.
  • 4 Vgl. D. Schönwitz: Neue Wege der europäischen monetären Stabilisierungspolitik, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Nr. 2, 2010, S. 68-73.
  • 5 Vgl. F. Mishkin: Not All Bubbles Present a Risk to the Economy, in: Auszüge aus Presseartikeln, Deutsche Bundesbank, Nr. 49, 2009, S. 9-10.
  • 6 O. Issing: The Role of Macroeconomic Projections within the Monetary Policy Strategy of the ECB, in: Economic Modelling, 21. Jg. (2004), S. 723-734.
  • 7 Vgl. G. Schmölders: Konjunkturen und Krisen, Hildesheim 1950; und J. Schumpeter: Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1274-y

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