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Für die sogenannte Deutschland AG war eine enge Verflechtung von Personen in Aufsichtsräten und Vorständen typisch. Diese Strukturen haben sich über die Zeit kaum geändert. Dies zeigen die Autoren mit Hilfe der Netzwerkanalyse – einer Methode, die aus den Naturwissenschaften kommend immer häufiger auch für ökonomische Zusammenhänge genutzt wird.

Vernetzungen der Mitglieder verschiedener Aufsichtsräte und Unternehmensvorstände wurden bislang vor allem unter dem Aspekt der Bestimmungsgründe von Mehrfachmandaten und deren Auswirkungen auf Unternehmenspolitik und -erfolg untersucht. Mehrfachmandate werden als problematisch angesehen, weil sie zum einen Einfluss und Wirtschaftsmacht in den Händen von Wenigen konzentrieren, zum anderen aber auch, weil möglicherweise die Leistungsfähigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds aufgrund der zeitlichen Belastung durch mehrere Mandate sinkt. Viele Länder setzen deshalb eine gesetzliche Höchstgrenze für die Zahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Mandate in Aufsichtsräten fest. In Deutschland erlaubt beispielsweise § 100 des Aktiengesetzes maximal zehn simultane Positionen in verschiedenen Aufsichtsräten (mit der Möglichkeit, zusätzlich fünf weitere Sitze in Aufsichtsräten von Unternehmen des gleichen Konzerns zu besetzen).

Wie wir bereits in früheren Studien festgestellt haben und wie sich auch aus den neuen Daten ergibt, sind diese Begrenzungen jedoch wenig relevant. Zumindest in der von uns betrachteten, relativ großen Stichprobe hochkapitalisierter deutscher Unternehmen blieb die maximal beobachtete Zahl der Sitze immer deutlich unter dieser Grenze. Die Literatur hat tatsächlich zumindest für die 1990er Jahre eine tendenziell rückläufige Zahl mehrfacher Aufsichtsratsmitgliedschaften dokumentiert.

Balsmeier, Buchwald und Peters1 berichten, dass 1996 in einem Viertel der 100 größten deutschen Gesellschaften der Aufsichtsratsvorsitzende noch weitere Sitze in anderen Aufsichtsräten hatte. Bis 2004 war dieser Anteil auf 10% gesunken, bis 2006 ist er allerdings wieder auf 15% gestiegen. 1996 hatten die Vorsitzenden im Durchschnitt 2,2 zusätzliche Sitze, dieser Wert sank bis 2004 auf 1,2 und stieg bis 2006 wieder auf 1,4 an.

Kasten 1
Grundbegriffe der Netzwerktheorie

Ein Netzwerk ist definiert durch die Verbindungen zwischen den Elementen, die ein System definieren. Graphisch werden diese Beziehungen als Kanten zwischen Knoten abgebildet. Jede Kante (edge) besitzt zwei Endpunkte und verbindet damit zwei Knoten. Von einem bipartiten Graphen spricht man, wenn die Menge aller Knoten in zwei disjunkte Teilmengen (hier Manager und Unternehmen) zerlegt werden kann. Diese Verbindungen können gerichtet oder ungerichtet sowie gewichtet oder ungewichtet sein. Die Adjazenz- oder Erreichbarkeitsmatrix A enthält Elemente aij, die jeweils angeben, ob eine Verbindung zwischen Manager i und Unternehmen j existiert. Hier handelt es sich um ein ungerichtetes, ungewichtetes Netzwerk (wobei lediglich die reine Existenz einer Kante betrachtet wird), und damit um eine binäre Matrix aij ∈ {0,1}, ∀ij. Die Gesamtheit der in der bipartiten Adjazenzmatrix erfassten Mitgliedschaften lässt sich durch einfache Rechenschritte in Vernetzungen innerhalb der beiden disjunkten Teilmengen der Mandatsträger und der Unternehmen projizieren.

Wichtige Konzepte zur Beschreibung von Netzwerken sind

• der Grad oder die Valenz eines Knotens: die Anzahl der in ihm endenden Kanten; sowie die Verteilung des Valenzwertes über das gesamte Netzwerk,

• die Dichte: das Verhältnis seiner Kantenzahl zu der eines vollständigen Graphen, in dem alle möglichen Verknüpfungen auch realisiert sind,

• der Radius: der geringste Abstand zwischen zwei Knoten,

• der Durchmesser: die größte Distanz zwischen zwei Knoten.

Maße der Zentralität geben an, wie bedeutend ein Knoten für das gesamte Netzwerk ist. In Tabelle 1 wird die Zentralität eines Knotens gemessen anhand seines Grades (der Anzahl der Verbindungen), seiner durchschnittlichen Distanz zu anderen Knoten sowie des Konzepts der Eigenwert-Zentralität, das eine endogene Gewichtung der Kanten, die von einem Knoten ausgehen, beinhaltet.

Aus den von uns für 2010 erhobenen Daten ergibt sich ebenfalls eine tendenziell geringere Konzentration im Sinne einer absolut abnehmenden Zahl von Mehrfachmandaten. Beispielsweise finden wir bei einer sehr ähnlichen Gesamtzahl der Mandate (3728 in der aktuellen Studie und 3731 in den Daten von 2008) folgende Größenordnungen für Mehrfachmandate: 281 (251) Mandatsträger hatten 2008 (2010) gleichzeitig mindestens zwei Sitze, 72 (60) hatten 2008 (2010) gleichzeitig mindestens drei Sitze, und 26 (19) hatten 2008 (2010) mindestens vier Sitze. 2008 gab es noch 9 Manager mit fünf oder mehr Sitzen, während es 2010 nur zwei waren. Während zwei Mandatsträger 2008 sogar für sechs verschiedene Unternehmen tätig waren, gab es solche Fälle 2010 nicht mehr. Diese Zahlen scheinen darauf hinzudeuten, dass die Konzentration von ökonomischer Macht und Einfluss tendenziell abnimmt. Unsere statistische Netzwerkanalyse auf Basis der genannten Daten zeigt jedoch ein anderes Bild. Die Netzwerkstatistik macht sichtbar, dass ein eng miteinander verwobener Kern des deutschen Aufsichtsratsnetzwerks über all die Jahre, für die wir Daten erhoben hatten (1993, 1999, 2005, 2008), in gleicher Dichte und Konzentration existierte. Das Gleiche gilt auch für 2010. Wie sich herausstellt, lässt sich der personelle Kern des Netzwerks vor allem innerhalb der Gruppe der DAX-30-Unternehmen lokalisieren.

Daten und Methodik

In Anlehnung an unseren früheren Beitrag haben wir auch für 2010 Informationen über die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten und Vorständen von Unternehmen gesammelt, die entweder eine Marktkapitalisierung von mehr als 100 Mio. Euro besitzen oder in einem der vier Hauptindizes der deutschen Aktienbörse (DAX, MDAX, TecDAX und SDAX) gelistet sind. Insgesamt ergaben sich damit im Dezember 2010 N = 3728 Mandate (sowohl im Vorstand als auch im Aufsichtsrat) in c = 332 Unternehmen.

Der Methodik von Milakovic, Alfarano und Lux2 und Milakovic, Raddant und Birg3 folgend betrachten wir die Gesamtheit der durch Mandate in Aufsichtsräten und Mitgliedschaften in Vorständen verknüpften Personen und Unternehmen als ein Netzwerk. Dabei stellt in der graphischen Illustration der Abbildung 1 und 3 jede Person bzw. jedes Unternehmen einen Knotenpunkt dar. Gemeinsame Mitgliedschaft im Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens (beides haben wir zum Board des Unternehmens zusammengefasst) definiert eine Verbindung zwischen zwei Personen (Abbildung 1, rechts). Eine Verbindung zwischen zwei Unternehmen wird umgekehrt durch eine Person begründet, die in beiden Boards gleichzeitig tätig ist (Abbildung 1, links). Mehrfachmitgliedschaften schaffen damit die in Abbildung 1 erkennbaren komplexen Netzwerkstrukturen. Ohne solche multiplen Mitgliedschaften blieben Unternehmen isoliert bzw. die Mitglieder ihrer Boards ohne Kontakt zum Rest des Unternehmenssektors, so dass isolierte Komponenten entstehen, wie sie an den Rändern der Abbildung 1 zu finden sind. Sind Mehrfachmandate auch das Mittel zur Entwicklung des Netzwerkes, so beschränken wir uns nicht auf deren Zählung, sondern suchen nach „tieferen“ Strukturelementen des so zustande gekommenen Systems. Dazu nutzen wir die sogenannte Inzidenzmatrix M, deren Elemente mij den Wert 1 annehmen, wenn eine Person i Mitglied in einem Gremium des Unternehmens j ist, und 0, wenn sie es nicht ist. Die Projektion D = MMT entspricht dann der sogenannten gewichteten Adjazenzmatrix der Vernetzungen zwischen den Mandatsträgern, und die Projektion B = MTM enthält die Vernetzungen zwischen den Unternehmen. In beiden Fällen entsprechen die Diagonalen der Gesamtzahl der Mandate eines Gremienmitglieds bzw. der Gesamtzahl der Posten in Aufsichtsräten oder Vorständen in einem Unternehmen und der Bereich außerhalb der Diagonalen zeigt an, in wie vielen Gremien zwei Manager gemeinsam sitzen (bzw. wie viele Board-Mitglieder zwei Unternehmen gemeinsam zuzuordnen sind). Abbildung 1 zeigt das Netzwerk der Verflechtungen sowohl der Mandatsträger als auch der Gremien. Nahezu 93% aller Mandatsträger (3145 von 3396 Personen) in unserer Stichprobe sind nur einem Unternehmen zuzuordnen.

Abbildung 1
Vernetzung von deutschen Mandatsträgern und Unternehmensgremien
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Die Vernetzung deutscher Manager (rechte Abbildung) ist dargestellt in 3396 Knoten (Kreise) und 25 719 Verknüpfungen (Linien). Die große vernetzte Komponente enthält 1949 (57% aller) Knoten und 19 264 (75% aller) Verknüpfungen. Das entsprechende Gremien-Netzwerk (linke Abbildung) enthält 332 Knoten und 359 Verknüpfungen und seine vernetzte Komponente enthält 146 (44% aller) Knoten und 331 (92% aller) Verknüpfungen. Die Zahl der Teilgraphen, die nicht zu der großen vernetzten Komponente des Manager-Netzwerks gehören, ist gleich der Zahl der Knoten, die sich nicht in der vernetzten Komponente des Gremien-Netzwerks befinden. Der durchschnittliche Manager dient in 1,1 Gremien (1,14 in der großen Komponente) und das durchschnittliche Unternehmen hat 11,23 Positionen in Aufsichtsrat und Vorstand zu vergeben (15,34 in der großen Komponente).

Ebenso treten in einem erheblichen Teil der Unternehmensgremien keine Überschneidungen mit anderen Unternehmen auf, was die isolierten Strukturen mit den jeweils nur wenigen verbundenen Personen einzelner Gremien unten und rechts in der Abbildung 1 zeigen. Dennoch weisen beide Netzwerke einen großen verflochtenen Bereich auf. Das bedeutet, dass eine große Untergruppe des gesamten Netzwerks existiert, in der jeder Mandatsträger (jedes Unternehmen) für jeden anderen Mandatsträger (jedes andere Unternehmen) über die Verknüpfungen durch Doppelmandate „erreichbar“ ist. Der große verflochtene Bereich enthält 1949 Personen (annähernd 57% aller Mandatsträger in der Stichprobe) und 19 264 von 25 719 Knoten (Mandaten): ca. 75%. Auf der Unternehmensseite beinhaltet er 146 von insgesamt 332 (44% aller) Firmen mit 331 von 359 Knotenpunkten (92%).

Bei einem Vergleich mit den Ergebnissen unserer vorangegangenen Arbeiten muss die Größe der Stichprobe für die Gremien berücksichtigt werden. So enthält die aktuelle Stichprobe 48 Unternehmen mehr als die Stichprobe von 2008, wobei gleichzeitig die durchschnittliche Anzahl der Board-Mitglieder pro Unternehmen gesunken ist. Der leichte Rückgang der relativen Größe des vollständig verknüpften Bereichs im Vergleich zu 2008 ist deshalb vor allem auf die große Zahl kleiner und mittlerer Unternehmen mit nicht oder wenig verknüpften Gremien in der Stichprobe zurückzuführen. Dennoch ist festzustellen, dass trotz der Vergrößerung der Stichprobe der große verflochtene Bereich nach wie vor mehr als 90% aller Verbindungen zwischen Unternehmen enthält.

Zwar lässt die Visualisierung einen Netzwerkkern erkennen, unsere bisherige einfache datenanalytische Betrachtung sagt aber noch nichts darüber aus, ob der beobachtete Konzentrationsgrad sich statistisch signifikant von einem Konzentrationsgrad unterscheidet, der sich bei einer Zufallsverteilung der Posten in Aufsichtsräten und Vorständen unter den Personen in unserer Datenbasis ergeben würde (d.h. in einem als Nullhypothese dienenden Vergleichsmodell, in dem Mehrfachmandate vollkommen „zufällig“ zustande kommen und keinerlei Systematik unterliegen). Bei einem Vergleich der empirischen Häufigkeiten mit denen einer zufälligen Verteilung zeigen sich allerdings die gleichen Muster wie bei den Daten von 2008 (vgl. Abbildung 2). Wieder ist zu erkennen, dass zwar zwei gleichzeitige Mandate seltener als erwartet auftraten, dass aber die Anzahl dreier gleichzeitiger Positionen (und ebenso die von vier oder fünf simultan besetzten Positionen) weit über den zufallsgenerierten Benchmarks liegen (die signifikant geringere Zahl von Personen mit zwei Mandaten im Vergleich zur zufallsgenerierten Benchmark ergibt sich dabei direkt aus der höheren Zahl von Dreifach- bis Fünffachmandaten). Wiederum zeigt sich, dass das Zustandekommen von Mehrfachmitgliedschaften keinem reinen Zufallsprozess folgt. Vielmehr besteht eine systematische Tendenz der Verknüpfungen derart, dass eine relativ kleine Gruppe von Personen eine vergleichsweise hohe Zahl von Positionen gleichzeitig besetzt.

Abbildung 2
Mehrfachmandate
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Die durchgehende Linie zeigt die relative Häufigkeit von Mehrfachmandaten, während die gestrichelte Linie die binominale Wahrscheinlichkeit zeigt, Mehrfachmandate bei einer Bernoulli-Folge von k = 332 (die Zahl der Zwei- bis Fünffachmandate, d.h. 332 = 3728 - 3396) mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von p = 1/3396 zu beobachten. Die halblogarithmische Skala zeigt zunehmende Abweichungen zwischen den empirischen Daten und dem stochastischen Nullmodell für b > 3.

Der Kernbereich des Netzwerks

Im Weiteren untersuchen wir diesen offensichtlich nicht zufällig entstandenen Kernbereich des Netzwerks näher. Abbildung 3 zeigt die Netzwerkstrukturen, die sich jeweils ergeben, wenn man nur diejenigen Mandatsträger mit einer Anzahl von Sitzen jenseits eines Schwellenwertes (d.h. B > b, mit b = 2,…,5) betrachtet. Tabelle 1 enthält verschiedene Netzwerkstatistiken für diese reduzierten Stichproben: die Dichte, den Radius und den Durchmesser. Ebenso zeigt Tabelle 1 verschiedene Zentralitätsmaße, die quantifizieren, wie wichtig die jeweiligen „B-Kern-Mitglieder“ für das gesamte Netzwerk sind. Zentralität gemessen am Grad addiert einfach die Verknüpfungen jedes Knotens, während Zentralität gemessen an der Dichte die durchschnittliche Distanz zwischen jedem Knoten und allen anderen Knoten angibt. Die Eigenvektor-Zentralität wird schließlich in einem komplexeren Verfahren ermittelt, das die relative Bedeutung anderer Knoten, mit denen eine Person verbunden ist, misst. Um dieses gewichtete Maß zu erhalten, wird die relative Bedeutung jedes Knotens durch den Eigenvektor mit dem größten Eigenwert in einem simultanen Gleichungssystem endogen bestimmt.

Abbildung 3
Netzwerkstrukturen bei ansteigender Zahl von Mandaten
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Netzwerkstrukturen bei einer ansteigenden Zahl von Mandaten B > b. Die jeweilige Zahl der Manager beträgt 251, 60, 15 und 2 für B ≥ 2 bis 5. Der B-4-Kern ist vollständig vernetzt, die zwei letzten Personen mit mindestens 5 Mandaten haben keine Überschneidungen in ihrer Zuordnung zu Unternehmen. Dies liegt vor allem daran, dass einer der beiden (Robert J. Koehler) ein sehr seltenes Beispiel für eine Spezialisierung auf mittelständische Unternehmen mit einem speziellen Geschäftsprofil ist, während der andere (Manfred Schneider) zu der typischeren Gruppe der Manager mit Mehrfachmandaten gehört, die die am höchsten kapitalisierten Unternehmen überwachen, ohne über eine offensichtliche sektorspezifische Kompetenz zu verfügen. Tabelle 2 zeigt, dass fast alle Manager mit B ≥ b-Mandaten zu der letztgenannten Kategorie gehören.

Tabelle 1
Verschiedene Eigenschaften der B-Kerne und ihrer jeweiligen Mandatsträger
  b = 1 b = 2 b = 3 b = 4 b = 5
B-Kern-Statistiken
Durchmesser 10 8 5 5
Radius 5 4 3 3
Dichte 0,01 0,03 0,14 0,26 0,00
Zentralitätsdurchschnittswerte
Zentralitätsgrad 19,77 38,77 66,87 87,26 90,50
Zentralitätsdichte 0,67 0,77 0,86 0,92 0,94
Eigenvektor-Zentralität 0,08 0,22 0,43 0,59 0,44
Marktkapitalisierung pro Kopf (in Mio. Euro)
Gesamter B-Kern 511 4 064 15 244 43 125 80 849
Isolierte Bereiche des B-Kerns n. v. 596 2959 n. v. n. v.

b = 1 bezieht sich auf alle Manager in der großen verknüpften Komponente. Für ein Unternehmen, die Bertelsmann AG, gibt es keine veröffentlichten Daten für die Marktkapitalisierung. In diesem Fall wurde die Marktkapitalisierung auf 70 Mrd. Euro geschätzt. Dieser Wert war zur Zeit der Studie von 2008 häufig in der Presse genannt worden und schien auch für 2010 noch eine akzeptable Schätzung darzustellen. Änderungen des Wertes würden die Ergebnisse in dieser Tabelle nicht wesentlich beeinflussen.

Während sinkende Werte für den Durchmesser und den Radius für ein enger verbundenes Netz sprechen, weisen steigende Dichte- und Zentralitätsmaße auf eine zunehmende Intensität der Verflechtungen hin. Tabelle 1 zeigt, dass alle Netzwerkmaße auf eine stärkere Verflechtung hinweisen, wenn man sich vom gesamten Datensatz ausgehend (b = 1) sukzessive auf diejenigen Manager beschränkt, die mindestens zwei, drei bzw. vier gleichzeitige Mandate besitzen. Alle Maße ändern sich monoton mit b (für b = 1,…,4) in Richtung engerer Bindungen zwischen den verbleibenden Mandatsträgern. Für die letzten zwei Mandatsträger mit fünf Sitzen sind die B-Kern-Statistiken trivial und reflektieren allein die simple Tatsache, dass es keine Überschneidungen in den Gremien gibt, denen beide angehören. Dennoch besitzen beide im Durchschnitt einen höheren Verflechtungsgrad als der durchschnittliche Mandatsträger des Kerns mit mindestens b = 4 Mandaten, und die Marktkapitalisierung ihrer Unternehmen ist wiederum im Durchschnitt höher. Interessanterweise wird dieser Anstieg der durchschnittlichen Marktkapitalisierung auch im letzten Schritt (von b = 4 auf 5) beobachtet, obwohl eine der beiden verbleibenden Personen in Unternehmen mittlerer Größe tätig ist. Dabei ist wieder zu unterstreichen, dass es in einer solchen aus den Daten konstruierten Netzwerkstruktur keine intrinsische Tendenz in Richtung auf eine stärkere Vernetzung und stärker zentralisierte Kerne bei steigendem b gibt. Bei einer Zufallsverteilung für Mehrfachmandate wäre es tatsächlich genau umgekehrt: die wenigen verbliebenen Mandatsträger mit hohen b-Werten sollten mit größter Wahrscheinlichkeit dort vollkommen voneinander isoliert sein, Verbindungen zwischen ihnen wären sehr unwahrscheinlich. Ebenso wie für die Daten von 2008 sprechen diese Ergebnisse deutlich für eine endogene Tendenz in Richtung auf eine Akkumulation von Mandaten in einer bestimmten Untergruppe der am stärksten verbundenen Mandatsträger.

Tabelle 1 zeigt ebenfalls, dass dieser gut vernetzte Kern vor allem in Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung verortet ist. Im Vergleich zu den B-Kernen von 2008 zeigen die verschiedenen Netzwerkstatistiken trotz der geringeren Anzahl der Mehrfachmandate keinen tendenziellen Rückgang. Wenn man die kleinere Personenzahl in den B-Kernen von 2010 berücksichtigt, so spricht dies sogar für eine höhere Konzentration von ökonomischem Einfluss im Jahr 2010. Betrachtet man die bedingte Wahrscheinlichkeit, ein zusätzliches Mandat zu den bereits bestehenden zu erhalten (vgl. Abbildung 4), so zeigt sich, dass diese bedingte Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl der Mandate wächst (außer für die höchste Zahl b = 5, d.h. die bedingte Wahrscheinlichkeit von (5|4)). Wenn ein Mandatsträger bereits zwei oder mehr Sitze innehat, wird es für ihn also statistisch sogar wahrscheinlicher, einen weiteren Sitz in einem Unternehmensgremium angeboten zu bekommen. Die Hypothese abnehmender Grenzproduktivität der Gremienarbeit bei einer mehrfachen Mandatsträgerschaft liefert daher kaum einen Beitrag zur Erklärung der empirischen Strukturen.

Abbildung 4
Bedingte Wahrscheinlichkeit der Übernahme eines Mandats
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Die bedingte Wahrscheinlichkeit P (b|b – 1) der Übernahme eines Mandats wird mithilfe des Anteils sukzessiver B-Kern-Sitze berechnet; beispielsweise bilden 60 der 251 Manager im B-2-Kern den B-3-Kern, und die bedingte Wahrscheinlichkeit P (3|2) der beobachteten b = 3-Mandate ist damit 60/251 = 23,9%. Zunächst steigt die bedingte Wahrscheinlichkeit einer Mandatsübernahme, der parabelförmige Verlauf zeigt aber, dass die Zahl der möglichen Mandatsübernahmen begrenzt ist.

Die Personen im Kern der deutschen Konzernlandschaft

Tabelle 2 enthält eine Liste der Mandatsträger in b > 3-Kernen und verschiedene Maße ihrer Netzwerk-Zentralität. Im Vergleich zu unserer Stichprobe von 2008 ist die Gesamtzahl der Personen mit vier oder mehr Sitzen von 26 auf 19 gesunken. Es gibt eine Überschneidung bei neun Personen, die sowohl 2008 als auch 2010 auf der Liste der Mandatsträger mit der höchsten Zahl von Sitzen erscheinen. Interessanterweise haben diese aber häufig ihre Zugehörigkeiten geändert. Dies unterstützt eher die Vermutung, dass multiple Mitgliedschaften für die Unternehmen per se von Bedeutung sind, als dass die Mandatsträger über eine spezielle Kompetenz verfügen, die für die betroffenen Unternehmen einschlägig wäre. Unter Zufallsbedingungen wäre es wiederum praktisch ausgeschlossen, eine von vier Positionen aufzugeben und gleichzeitig eine andere angeboten zu bekommen.

Tabelle 2
Liste der Mandatsträger in b > 3-Kernen
Name Aufsichtsräte   Grad Dichte Eigenvektor
(Rang) (Rang) (Rang)
Ulrich Lehner Deutsche Telekom AG (48; 43037,45) E.ON AG (49; 45822,85) ThyssenKrupp AG (33; 15998,02) Porsche Automobil Holding SE (37; 5687,5)   0,8762 (4) 0,9178 (4) 1(1)
Berthold Huber Siemens AG (36; 83128,44) Volkswagen AG (37; 21962,02) Porsche Automobil Holding SE (37; 5687,5) AUDI AG (37; 11115,81)   0,7238 (18) 0,8795 (36) 0,9709 (2)
Martin Winterkorn Volkswagen (37; 21962,02) SALZGITTER AG (33; 3352,81) Porsche Automobil Holding SE (37; 5687,5) AUDI AG (37; 11115,81)   0,7429 (14) 0,8413 (111) 0,9284 (3)
Ferdinand K. Piëch MAN SE (37; 12569,24) Volkswagen AG (37; 21962,02) Porsche Automobil Holding SE (37; 5687,5) AUDI AG (37; 11115,81)   0,6571 (25) 0,8700 (55) 0,9046 (4)
Ekkehard D. Schulz Bayer AG (28; 47127,71) MAN SE (37; 12569,24) RWE AG (49; 26125,45) ThyssenKrupp AG (33; 15998,02   0,8857 (3) 0,9501 (8) 0,8786 (5)
Paul Achleitner Allianz SE (63; 41186,79) Bayer AG (28; 47127,71) Daimler AG (37; 57711,25) RWE AG (49; 26125,75)   0,8476 (8) 0,9543 (6) 0,7430 (11)
Manfred Schneider Bayer AG (28; 47127,71) Daimler AG (37; 57711,25) Linde AG (35; 18812,16) RWE AG (49; 26125,75) TUI AG (47; 2286,96) 1 (1) 0,9564 (5) 0,7370 (12)
Clemens Börsig Bayer AG (28; 47127,71) Daimler AG (37; 57711,25) Deutsche Bank AG (60; 37221,8) Linde AG (35; 18812)   0,8286 (9) 0,9470 (9) 0,7207 (14)
Theo Siegert Deutsche Bank AG (60; 37221,8) E.ON AG (49; 45822,85) Henkel AG & Co. KGaA (28; 8136,69) Merck KGaA (28; 3909,58)   0,8667 (5) 0,8885 (29) 0,6156 (21)
Henning Kagermann Bayerische Motoren Werke AG (37; 39289,19) Deutsche Bank AG (60; 37221,8) Deutsche Post AG (42; 15445,18) Münchner Rückversicherung AG (63; 21447,69)   0,8952 (2) 0,9155 (18) 0,5859 (23)
Michael Diekmann Allianz SE (63; 41195,88) BASF SE (28; 55852,64) Linde AG (35; 18812,16) Siemens AG (36; 83128,44)   0,7905 (11) 1 (1) 0,5609 (28)
Bernhard Walter Daimler AG (37; 57711,25) Deutsche Telekom AG (48; 43037,45) Henkel AG & Co. KGaA (28; 8136,69) Bilfinger Berger SE (16; 2810,63)   0,8667 (6) 0,9272 (15) 0,5430 (31)
Wulf H. Bernotat Allianz SE (63; 41186,79) Deutsche Telekom AG (48; 43037,45) METRO AG (51; 17822,8) Bertelsmann AG (27; 00)   0,8476 (7) 0,9604 (3) 0,5333 (32)
Renate Köcher Allianz SE (63; 41186,79) Bayerische Motoren Werke AG (37; 39289,19) Infineon Technologies AG (36; 7784,33) MAN SE (37; 12569,24)   0,7714 (12) 0,9887 (2) 0,5297 (33)
Klaus-Peter Müller Commerzbank AG (60; 6975,89) Fresenius SE (28; 8318,56) Linde AG (35; 18812,16) Fraport AG (45; 4400,45)   0,8095 (10) 0,8899 (28) 0,3708 (82)
Werner Brandt Deutsche Lufthansa AG (45; 7897,13) SAP AG (73; 45633,13) Heidelberger Druckmaschinen AG (35; 893,65) QIAGEN N.V. (38; 3366,89)   0,7429 (13) 0,9564 (4) 0,2386 (199)
Robert J. Koehler Demag Cranes AG (35; 766,46) Heidelberger Druckmaschinen AG (35; 893,65) Klöckner & Co. SE (28; 1409,13) LANXESS AG(28; 4625,23) SGL Carbon (36; 1754,83) 0,6571 (24) 0,9314 (13) 0,1418 (403)
Erhard Schipporeit Deutsche Börse AG (62; 629931,35) SAP AG(73; 45633,13) FUCHS PETRO-LUB AG (28; 1271,84) Hannover Rück-versicherung AG (63; 4848,6)   0,6571 (26) 0,8563 (67) 0,0977 (477)
Klaus Wucherer Infineon Technologies AG (36; 7784,33) SAP AG(73; 45633,13) LEONI AG (50; 1021,98) Dürr AG (35; 415,21)   0,5905 (32) 0,8676 (57) 0,0637 (547)

Anmerkung: Die Klammerwerte unter den Unternehmensnamen zeigen zweistellige SCI-Codes für den Wirtschaftszweig der vorwiegenden Geschäftstätigkeit jedes Unternehmens und die Marktkapitalisierung in Mio. Euro vom 31. Dezember 2010. Alle Zentralitätsmaße wurden auf ein Maximum von 1 normalisiert.

Von den gesamten Mandaten dieser 19 Manager kamen 55 von 78 aus DAX30-Unternehmen. Nur eine Person, Robert J. Koehler, arbeitet für fünf mittelständische Firmen (tatsächlich sind alle im MDAX gelistet) mit einem relativ homogenen Fokus auf mechanisch komplexen Industrieprodukten. Eine solche erkennbare Spezialisierung gibt es bei den übrigen 18 Top-Managern nicht, sie scheinen eher als Allrounder in Unternehmen verschiedener Sektoren zu arbeiten. Alle haben mehrfache Mandate in typischen DAX30-Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung.

Tabelle 2 zeigt auch die verschiedenen Zentralitäts-Maße für die 19 Manager mit vier oder mehr Mandaten. Dabei ist zu beobachten, dass in vielen Fällen (mit bemerkenswerten Ausnahmen) die verschiedenen Maße eine relativ homogene Rangfolge der Manager in dem Netzwerk anzeigen. Eine der wichtigsten Ausnahmen ist dabei Robert J. Koehler, der nach dem Grad und der Dichte der Zentralität den 24. bzw. den 13. Rang einnimmt, der aber auf Rang 403 fällt, wenn das Konzept der Eigenvektorzentralität verwandt wird. Die erstgenannten Maße basieren auf der einfachen Zahl der Vernetzungen einer Person, während das letztgenannte Maß diese Vernetzungen mit der Bedeutung des Partners gewichtet. Unter diesem Gesichtspunkt entspricht der Abfall des Zentralitätsrangs von R. Koehler bei einem nach Bedeutung gewichtetem Maß der Intuition. Während fünf parallele Mandate in mittelständischen Unternehmen mit einer großen Zahl von Vernetzungen mit anderen Managern einhergehen können, müssen sie nicht zu einer zentralen Position im gesamten Netzwerk führen, wenn wiederum die relative Bedeutung dieser Vernetzungen berücksichtigt wird. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Eigenvektor-Zentralität das relevanteste Konzept zu sein, um Informationen über den Status einer Person im System zu erhalten. Die Einträge in Tabelle 2 erscheinen daher nach diesem Maß geordnet. Gemessen an der Eigenvektor-Zentralität hatten die fünf am besten vernetzten Manager des Jahres 2010 jeweils gleichzeitig Mandate in vier verschiedenen Gremien.

Allerdings gehören die Manager auf den Rängen 6 bis 10 (gemessen an der Eigenvektor-Zentralität) nicht zum b > 3-Kern, d.h., sie halten jeweils höchstens drei Mandate. Dies veranschaulicht, dass weder eine Akkumulation von Sitzen eine hinreichende Bedingung für eine sehr zentrale Position ist, noch dass eine hohe Eigenvektor-Zentralität notwendigerweise mit einer hohen Zahl an Mandaten einhergehen muss.

Ein interessantes Ergebnis in Tabelle 2 ist, dass der in Hinblick auf die Eigenvektor-Zentralität an zweiter Stelle rangierende Mandatsträger Berthold Huber ist, der Vorsitzende der traditionell einflussreichen IG Metall. Wiederum führt nicht die schiere Zahl seiner vier Mandate, sondern die strategische Position in den Unternehmen, die die industrielle Basis der deutschen Wirtschaft bilden, zu seiner Rangposition (in diesem Fall könnte man allerdings auch argumentieren, dass die Akkumulation von drei Sitzen in der Autoindustrie eine sektorspezifische Kompetenz zeigt, und natürlich repräsentiert er nach dem deutschen Mitbestimmungsgesetz die Arbeitnehmerinteressen in bedeutenden Unternehmen der Metallindustrie). Er ist nicht der einzige Gewerkschaftsvertreter mit einer relativ hohen Position in unserer Reihung. Der im Zentralitäts-Ranking nächste ist Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, der größten Gewerkschaft im öffentlichen Sektor, der mit nur zwei Mandaten gemessen an der Eigenvektor-Zentralität schon an 84. Stelle rangiert.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse für das Netzwerk von Mandaten in Aufsichtsräten und Unternehmensvorständen sind für 2010 sehr ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren, obwohl die Mandatsträger und ihre jeweiligen Mandate häufig wechselten. Offensichtlich gab und gibt es eine Art „Selbstorganisation“ des deutschen Unternehmerbereichs, die trotz des Wechsels von Personen und Unternehmen, die den aktuellen Kern bilden, sehr beständig zu einem dicht geknüpften Gravitations-Zentrum von Managern und einem hohen Zentralisierungsgrad bei einer geringen Anzahl von Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung (vorwiegend DAX30-Unternehmen) führt.

Da unsere Analyse in keiner Weise kausal ist, können wir über die Ursachen dieser Kernbildung nichts aussagen. Dennoch scheint das Phänomen selbst bemerkenswert, insbesondere da es der beobachteten Tendenz in Richtung auf eine geringere Konzentration von Mandaten im gesamten Netzwerk der deutschen Vorstände und Aufsichtsräte entgegensteht. Diese Untersuchung dokumentiert, dass die Verflechtungsdichte im Kern des Netzwerks selbst durch die Tendenz zu weniger Mehrfachmandaten nicht geringer geworden ist. Die potentiellen sozio-ökonomischen Determinanten dieser Kernbildung sollten in der zukünftigen Forschung eingehender untersucht werden.

Dieser Beitrag führt Arbeiten mit Daten früherer Jahre fort, über die in M. Milakovic, D. Alfarano, T. Lux: The Small Core of the German Corporate Board Network, in: Computational and Mathematical Organization Theory, 16. Jg. (2010), S. 201-215, berichtet wurde. Die Forschung wurde von der Volkswagenstiftung im Rahmen des Projekts „Complex Networks as Interdisciplinary Phenomena“ gefördert.
Dies ist die deutsche Übersetzung eines Aufsatzes, der im englischen Original in der Zeitschrift Complexity Economics erscheint. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber dieser Zeitschrift.

  • 1 B. Balsmeier, A. Buchwald, H. Peters: Auswirkungen von Mehrfachmandaten deutscher Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender auf den Unternehmenserfolg, in: Journal of Economics & Statistics, 230. Jg. (2010), H. 5, S. 547-570.
  • 2 M. Milakovic, S. Alfarano, T. Lux, a.a.O.
  • 3 M. Milakovic, M. Raddant, L. Birg: Hierarchy in Germany’s Corporate Network, International Conference on Advances in Social Networks Analysis and Mining, Asonam, IEEE, 2010, S. 395-396.

Title:The Small Core of the German Corporate Board Network: The 2010 Update

Abstract:In a previous study the authors have identified a small core of directors who are both highly central to the entire network of German corporate boards as well as closely connected among themselves. In this note the authors provide an update of their previous results using the composition of management and supervisory boards as of December 2010. Almost all qualitative properties of previous samples are confirmed despite considerable turnover within the group of people constituting the network core.

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DOI: 10.1007/s10273-012-1453-5