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Am 6. Mai 2012 haben die Franzosen zum zweiten Mal in der Geschichte der V. Republik mit Nicolas Sarkozy ein amtierendes Staatsoberhaupt aus dem Amt gewählt. Doch anders als 1981, als der Sozialist François Mitterrand den Amtsinhaber Valéry Giscard d’Estaing im zweiten Wahlgang schlug, dürfte der Politikwechsel nach dem Machtwechsel zum Sozialisten François Hollande weniger substanziell ausfallen. Zunächst einmal muss sich der neue sozialistische Präsident bei den Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni 2012 eine Mehrheit sichern. Auch wenn dies mit einiger Wahrscheinlichkeit gelingt, ist der innen- wie außenpolitische Handlungsspielraum des neuen Staatschefs aufgrund der angespannten Haushaltslage und den von seinem Amtsvorgänger hinterlassenen Reformnotwendigkeiten begrenzt.

Frankreichs ökonomische Situation im Jahr 2012 ist angespannt. Die französische Volkswirtschaft erholt sich nur schleppend von den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die strukturellen Schwächen noch einmal hervorgehoben und verstärkt hat. Die Wettbewerbsfähigkeit ist nach wie vor eines der größten Probleme, die Lohnstückkosten sind im europäischen Vergleich unter den höchsten. 2011 verbuchte Frankreich ein Außenhandelsdefizit von 84 Mrd. Euro, während Deutschland einen Überschuss von 157 Mrd. Euro erwirtschaftete. Der Anteil der Exporte am französischen BIP betrug 2011 nur 22% (in Deutschland 41%). Diese Zahlen spiegeln den relativen Rückgang der Industrieproduktion, der in Frankreich nur noch knapp 13% zum BIP beiträgt (in Deutschland 26%).

Der öffentliche Schuldenstand ist wegen der Auswirkungen der Krise deutlich angestiegen und dürfte 2012 90% des BIP erreichen. Im Januar 2012 hatte eine Ratingagentur Frankreichs Kreditwürdigkeit von AAA auf AA herabgestuft. Unter dem Druck der Verschuldungskrise hat François Hollande angekündigt, bis 2017 den Haushalt auszugleichen. Maßnahmen, die Zweifel am versprochenen Konsolidierungskurs wecken, könnten die Agenturen durch eine weitere Herabstufung sanktionieren. Aus diesem Grunde dürfte die neue politische Führung in Paris mit großer Wahrscheinlichkeit einen Kassensturz durchführen, der möglicherweise eine noch ernstere Lage der Staatsfinanzen aufdeckt. Ist dies der Fall, könnte Hollande von einigen Ausgabeversprechen abrücken, die er im Wahlkampf gemacht hatte. Die neue Regierung dürfte darüber hinaus Ausgabekürzungen, von denen bislang keine Rede war, durchführen. Der Druck seitens der Märkte und der Ratingagenturen und die Einschränkungen, die das haushaltspolitische Regelwerk der EU der neuen französischen Regierung auferlegt, wird dazu führen, dass eher eine Politik sozialdemokratischer Zentristen, denn linker Sozialisten umgesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund hat Hollande im Wahlkampf auch – entgegen vielen Berichten und Einschätzungen – nicht das neue haushaltspolitische Regelwerk der Eurozone in Frage gestellt. Er hat indes angekündigt, er werde den Fiskalpakt, einen zwischenstaatlichen Vertrag, der die Unterzeichner im Wesentlichen auf die Einführung nationaler Schuldenbremsen verpflichtet, nur dann dem Parlament zur Ratifizierung zuleiten, wenn er durch einen Wachstumspakt ergänzt wird. Anders als noch vor wenigen Monaten erhält in Paris und auch in Berlin die Einschätzung, dass neben der Haushaltsdisziplin auch Politiken zur Förderung des Wachstums nötig sind, um einen effektiven wie tragfähigen Ausweg aus der Verschuldungskrise aufzuzeigen, zunehmend Gewicht. Allerdings unterscheiden sich die Ansätze, wie dieser Weg beschritten werden soll, nach der Wahl Hollandes. Während in Deutschland Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit etwa durch Arbeitsmarktreformen und Kostensenkungsmaßnahmen sowie eine bessere Verwendung bestehender Mittel favorisiert werden, setzt der französische Präsident viel stärker auf öffentliche Investitionen. Da der nationale Handlungsspielraum begrenzt ist, sollen diese durch eine aktivere Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB) und die Einführung von europäischen Projekt-Bonds gefördert werden. Durch diese europäischen, zweckgebundenen Anleihen, die die Europäische Kommission und die EIB garantieren, soll Geld an den Finanzmärkten aufgenommen werden, um europäische Projekte zu finanzieren.

Diese Idee ist keineswegs grundsätzlich neu. Der Europäische Rat erkannte bereits im März 2012 die Notwendigkeit an, verstärkt Finanzmittel für herausragende Infrastrukturvorhaben (Verkehr, Energie, Internet, Telekom) zu mobilisieren. Deutschland hatte dieses Vorhaben bislang zurückhaltend gesehen, da unter anderem verhindert werden soll, dass auf den EU-Haushalt durch Projekt-Bonds Risiken zukämen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es beim Europäischen Rat im Juni 2012 hierüber eine für beide Seiten akzeptable Einigung gibt. Diese ließe sich als Verhandlungserfolg Hollandes verkaufen, um den Weg frei zu machen für eine Ratifizierung des Fiskalpakts in Frankreich – auch wenn der Aushandlungsprozess weit vor seiner Wahl wichtige Hürden genommen hatte. Darüber hinaus hat der Sozialist gefordert, die Zielsetzung der Europäischen Zentralbank (EZB) zu überarbeiten. Dies ist ein Déjà-Vu aus früheren Jahren: Auch Sarkozy zog 2007 mit ähnlichen Forderungen in den Präsidentschaftswahlkampf. Diese waren nach dessen Amtseintritt schnell ad acta gelegt, da unter anderem aus Berlin erheblicher Gegendruck kam und sich die Statuten und EZB-bezogenen Artikel des EU-Vertrags nur mit Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten ändern lassen.

Für die kommenden europäischen Verhandlungen – gerade im Bereich der Wirtschafts- und Haushaltspolitik und der Eurozonen-Governance-Reform – ist anzunehmen, dass Hollande seine Interessen selbstbewusst vertreten und sich Gleichgesinnte in der EU suchen wird. Er muss seinen linken Wählern und auch den linken Abgeordneten im Parlament, zu denen sicherlich einige sehr EU- und globalisierungskritische Personen gehören werden, beweisen, dass er französische Vorschläge zum weiteren Krisenmanagement und zur zukünftigen Gestaltung der Eurozone wirksam einbringt. Dies gilt umso mehr, als er für die Umsetzung von inneren, nicht unumstrittenen Reformen nur ein kurzes Zeitfenster haben wird: Bereits 2014 steht das nächte wichtige Wahljahr an. Neben der Europawahl finden Lokal- und Regionalwahlen statt, und ein Drittel der Senatorenposten wird neu besetzt.

Für die Funktionsfähigkeit des deutsch-französischen Tandems und seine innenpolitische Agenda ist es daher wichtig, dass Hollande sichtbare Verhandlungserfolge erzielen kann. Trotz der derzeit überlegeneren Stellung Deutschlands vor dem Hintergrund der besseren wirtschafts- und haushaltspolitischen Lage darf das bilaterale Verhältnis nicht offenkundig asymmetrisch sein, da die Sensibilitäten gegenüber einer „deutschen Dominanz“ in Frankreich groß sind und gerade einen linken Präsidenten gegenüber seiner eigenen Gefolgschaft unter Druck bringen können. Für den weiteren Umgang mit der Verschuldungskrise wird eine gute Zusammenarbeit zwischen Hollande und Angela Merkel ebenso wichtig sein wie das Tandem Merkozy. Insbesondere vor dem Hintergrund der sich verschärfenden politischen Krise in Griechenland und der bestehenden Ansteckungsgefahren auf Spanien und Italien ist deutsch-französische Kompromiss- und Führungsfähigkeit bei europäischen Krisengipfeln unabdinglich, da Uneinigkeit und politische Blockaden die Märkte weiter destabilisieren können.


DOI: 10.1007/s10273-012-1377-0

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