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Nach der Föderalismusreform II wird immer deutlicher, dass mit Blick auf das Auslaufen der gegenwärtigen Grundlagen des Finanzausgleichs zum 31.12.2019 eine „Föderalismusreform III“ notwendig wird. Ins Visier kommt dabei zwangsläufig auch der Länderfinanzausgleich und sein Umverteilungsvolumen. Eine bloße Reform des Länderfinanzausgleichs im engeren Sinne in einem ansonsten unveränderten Gesamtsystem würde jedoch wieder einmal zu kurz greifen und erneut lediglich eine Symptomtherapie bedeuten.

Die 2009 abgeschlossene Föderalismusreform II hat zwar eine Modernisierung der institutionellen Verschuldungsregeln von Bund und Ländern hervorgebracht,1 allerdings sind angesichts der ursprünglich vereinbarten Agenda2 wesentliche Probleme ungelöst geblieben. Dazu gehören die Reform der finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern sowie die Finanzausgleichsbeziehungen zwischen den Ländern. Mit Blick auf die Befristung des 2001 in Kraft getretenen Maßstäbegesetzes (MaßstG) und des seit 2005 gültigen Finanzausgleichsgesetzes (FAG), die zunächst zum 31.12.2019 außer Kraft treten werden, wird nun auch im Rahmen einer „Föderalismusreform III“ das bundesstaatliche Finanzausgleichssystem in den kommenden Jahren diskutiert. Mit der Ankündigung der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen im Januar 2011, den gegenwärtigen Länderfinanzausgleich wiederholt durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, hat die Diskussion über eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einen Impuls erhalten.3

Ressourcenschonende Verhaltensweisen der Länder und die Zuordnung der Verantwortlichkeiten für staatliches (Fehl-)Handeln werden durch ein Gewirr von Kompetenzverflechtungen, teils gegenläufigen zwischenstaatlichen bzw. intergouvernementalen Ausgleichstransferströmen, negativen Anreizen, logischen Inkonsistenzen und bisweilen unzureichender Transparenz erschwert. Die Zielobjekte (gesamt-)staatlichen Handelns, die Bürger (aber auch die Unternehmen), bleiben dadurch häufig im Unklaren darüber, welche Folgen das eigene Handeln sowie das Handeln der eigenen Jurisdiktion auf alle Akteure im Bundesstaat haben können. Die Zurechenbarkeit von Aktion und Reaktion bleibt letztlich in einem Nebel von Zuordnung und Umverteilung verborgen. Das wiederum bereitet den Boden dafür, dass sich Partikularinteressen zu Lasten gesamtstaatlicher Interessen der Bürger herausbilden und durchsetzen.

Es ist offenkundig notwendig, die Eigenverantwortung der Länder aufzuwerten. Seit Jahren werden insbesondere mehr einnahmeseitige Gestaltungsmöglichkeiten eingefordert.4 Mehr Eigenverantwortung der Länder durch Entflechtung auf der Einnahmen- und Ausgabenseite sollte dazu führen, dass Anreize vermindert werden, „die Kosten für die eigenen Ansprüche oder die Folgen politischer Fehlentscheidungen auf andere abzuwälzen.“5 Angesichts der bisherigen Erfahrungen kann gefragt werden, inwieweit noch an einem System festgehalten werden sollte, das bereits mehrmals Gegenstand einer höchstrichterlichen Überprüfung war. Zudem enthält es mit dem horizontalen Länderfinanzausgleich ein zentrales Element, das auf horizontalem Wege gewissermaßen als Reparaturbetrieb die Fehljustierungen der bundesstaatlichen Finanzordnung für die Mehrheit der Akteure unbefriedigend korrigiert.

Befristung des Maßstäbegesetzes

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte in seinem Urteil vom 11.11.1999 gefordert, dass „der Gesetzgeber das Maßstäbegesetz beschließt, bevor ihm die Finanzierungsinteressen des Bundes und der einzelnen Länder in den jährlich sich verändernden Aufkommen und Finanzbedürfnissen bekannt sind.“6 Gegenwärtige oder zukünftig zu erwartende Finanzausgleichsvolumina sollten dementsprechend keinen Einfluss auf die Maßstabsbildung haben. Mithin sollte das maßstabgebende Gesetz vor seiner konkreten Anwendung im Länderfinanzausgleichsgesetz beschlossen und sodann in Kontinuitätsverpflichtungen gebunden werden, „die seine Maßstäbe und Indikatoren gegen aktuelle Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien abschirmen.“7 Das BVerfG ging davon aus, dass grundsätzlich die Möglichkeit gegeben sei, über eine Vorherigkeit des Maßstäbegesetzes eine institutionelle Verfassungsorientierung zu geben, „die einen Maßstab entwickelt, ohne dabei den konkreten Anwendungsfall schon voraussehen zu können.“8

Der Gesetzgeber hat die Geltungsdauer des Maßstäbegesetzes bis zum 31.12.2019 begrenzt. Womöglich war dem Gesetzgeber der Gedanke an einen zu dichten „Schleier des Nichtwissens“ unangenehm.9 Er ging offenbar davon aus, dass es für den Zeitraum ab 2020 zu einer neuen Maßstabsbildung kommt. Dies wiederum würde jedoch nicht für verfassungskonkretisierende Maßstäbe, die unabhängig von wechselnden Ausgleichsbedürfnissen und von konkreten Zuteilungs- und Ausgleichssummen angewendet werden sollen, sprechen. Es hätte vollkommen ausgereicht, das Finanzausgleichsgesetz zu befristen. Jetzt wiederum bietet sich gerade dadurch die Chance, die grundsätzliche Ausrichtung des Verteilungs- und Umverteilungssystems in Deutschland zwischen den beiden staatlichen Ebenen sowie zwischen den Ländern infrage zu stellen und im Rahmen einer neuen Maßstabsbildung über Alternativen zu diskutieren.

Starke vertikale föderale Finanzbeziehungen

Zur Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit sowie zur Finanzierung der zugewiesenen Aufgaben benötigen Bund, Länder und Gemeinden10 eine angemessene Finanzausstattung. Die notwendigen Finanzmittel werden den gebietskörperschaftlichen Ebenen im Rahmen des aktiven Finanzausgleichs zugewiesen, wobei zunächst der primäre vertikale Finanzausgleich die Erträge aus den einzelnen Steuerarten entsprechend der finanzverfassungsrechtlichen Ertragskompetenzen (Art. 106 GG) den einzelnen gebietskörperschaftlichen Ebenen zuordnet. Dabei ist das vertikale Steuerverteilungssystem zwischen den Ebenen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland durch eine Kombination von Elementen eines Trennsystems und Elementen eines Verbundsystems gekennzeichnet, wobei von der Ertragsseite gesehen die Trennsteuern für die Länder (Art. 106 Abs. 2 GG) in der Vergangenheit fiskalisch immer mehr an Bedeutung verloren haben.11 Die Übertragung der Ertragskompetenz bei der Kfz-Steuer zum 1.7.2009 auf den Bund als ein Ergebnis der Föderalismusreform II hat den Anteil der Ländersteuern am Gesamtsteueraufkommen in Deutschland nochmals stark reduziert, er macht mittlerweile nur noch 2,3% aus (vgl. Abbildung 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass vom Gesamtaufkommen aus den Ländersteuern (2010: 12,1 Mrd. Euro) lediglich das Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer seit der Föderalismusreform I durch dezentrale12 Steuersatzsetzung unmittelbar durch die Landesgesetzgeber variiert werden kann. Mit einem Aufkommen von 5,3 Mrd. Euro betrug der Anteil der Grunderwerbsteuer ca. 1% des Gesamtsteueraufkommens. Dies ist gegenwärtig der dezentrale Besteuerungsspielraum der Landesparlamente.

Dies ist umso bemerkenswerter, da die dezentralen Einnahmemöglichkeiten der Gemeinden mit ihren Hebesatzrechten bei der Gewerbesteuer (2010: 35,7 Mrd. Euro brutto) und der Grundsteuer A und B (2010: 11,3 Mrd. Euro) deutlich ausgeprägter sind und einen intensiven Steuerwettbewerb auf kommunaler Ebene zur Folge haben. Inwieweit die sogenannten Ländersteuern in Deutschland überhaupt als „Ländersteuern“ qualifiziert werden können, ist also mehr als fraglich. Da die Trennsteuern letztlich nur bundesstaatlich, d.h. in Abstimmung zwischen den beiden staatlichen Ebenen, gestaltet werden können, sollte eher von bundesstaatlichen Steuern, deren Erträge ausschließlich der Länderebene zufließen, die Rede sein. Mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer haben die heutigen Ländersteuern im Trennsteuersystem letztlich keine außerfiskalische Relevanz für eine dezentrale Politik der Länder.13

Abbildung 1
Anteile der Trenn- und Gemeinschaftsteuern am Gesamtsteueraufkommen in Deutschland
Heinemann Abb-1 neu.ai

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 4 (Steuerhaushalt), Kassenmäßige Steuereinnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden/Gemeindeverbände vor der Steuerverteilung; eigene Darstellung.

Im Rahmen des folgenden primären horizontalen Finanzausgleichs werden den 16 Ländern das Steueraufkommen aus den sogenannten Ländersteuern sowie die Landesanteile an den Gemeinschaftsteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) zugeordnet, wobei schon die Zuordnungsmaßstäbe, beispielsweise zur Zuordnung des Lohnsteueraufkommens oder des Umsatzsteueraufkommens, in der ökonomischen Literatur umstritten sind.14 Bei den Zuordnungsprozessen im Zuge der Steuerzerlegung handelt es sich im gegenwärtigen Finanzverteilungssystem gleichwohl eher um eine Form der Organisationskostenmaximierung. Mit hohem Aufwand sollen dem Prinzip des örtlichen Aufkommens (Art. 107 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 GG) oder auch „Derivationsprinzip“15 Geltung verschafft werden, um so die (vermeintliche) steuerliche Leistungsstärke einer Region abzubilden. Anschließend wird das Ergebnis dieser administrativen Anstrengungen zunächst mithilfe der systematisch fragwürdigen horizontalen Verteilung des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen, die durch den einwohnerbezogenen Anteil (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 HS 1 GG) bereits distributiven Charakter hat und durch die steuerkraftbezogenen Ergänzungsanteile nach Art. 107 Abs. 1 Satz 4 HS 2 GG bereits vor dem Länderfinanzausgleich i.e.S. direkt und massiv (Ergänzungsanteile 2010: 10,1 Mrd. Euro) umverteilt, durch den darauffolgenden Länderfinanzausgleich im engeren Sinne (LFA i.e.S.) wieder eingeebnet.

Auf der Stufe des sekundären horizontalen Finanzausgleichs soll der LFA im engeren Sinne (2010: 7,0 Mrd. Euro) zunächst die unterschiedliche Finanzkraft der Länder annähern (§ 6 Satz 1 MaßstG). Dabei soll aber auch die Eigenstaatlichkeit der Länder sowie ihre Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft berücksichtigt werden (§ 6 Satz 2 MaßstG). Das Ergebnis des LFA i.e.S. wird durch den Bund im Rahmen des sekundären vertikalen Finanzausgleichs nachträglich zunächst durch die Gewährung von Allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen (A-BEZ) (2010: 2,6 Mrd. Euro bzw. 37% des LFA-Volumens) zur ergänzenden Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der Länder (§ 10 Abs. 1 MaßstG i.V.m. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG) korrigiert. Daneben werden aus Bundesmitteln die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen „Kosten politischer Führung“ (S-BEZ „KoPolF“) gewährt, die faktisch für Regelaufgaben16 der zehn! empfangsberechtigten Länder im Umfang von insgesamt 517 Mio. Euro jährlich (§ 11 Abs. 4 FAG) verwendet werden sollen, um die aus der Selbstständigkeit eines Landes in Verbindung mit einwohnerbezogener Kleinheit resultierenden Kosten der Landesautonomie17 aus bundesstaatlichen Mitteln zu finanzieren. So kommt es zu einem Ausgleichsergebnis (vgl. Abbildung 2), das nur noch sehr geringe fiskalische Unterschiede zwischen den 16 Ländern in Deutschland, bezogen auf die im FAG definierte Finanzkraftmesszahl, aufzeigt. Werden noch die mittlerweile de facto entfristeten (§ 11 Abs. 3a FAG) S-BEZ „Strukturelle Arbeitslosigkeit“ (1 Mrd. Euro 2010)18 sowie die vertikale Hafenlastabgeltung (38,4 Mio. Euro p.a.) als weitere vertikale Transfers berücksichtigt, so steigt der vertikale Transferanteil 2010 auf annähernd 4,2 Mrd. Euro (knapp 60% des LFA-Volumens) an.

Abbildung 2
Relative Finanzkraft der Länder nach dem Länderfinanzausgleich 2010
Heinemann Abb-2.ai

BW = Baden-Württemberg, BY = Bayern, BE = Berlin, BB = Brandenburg, HB = Bremen,
HH = Hamburg, HE = Hessen, MV = Mecklenburg-Vorpommern, NI = Niedersachsen,
NW = Nordrhein-Westfalen, RP = Rheinland-Pfalz, SL = Saarland, SN = Sachsen,
ST = Sachsen-Anhalt, SH = Schleswig-Holstein, TH = Thüringen.

Relative Finanzkraft (RFK) = Finanzkraftmesszahl (FKM) + LFA + A-BEZ + S-BEZ „KoPoIF“
( in % der Ausgleichsmesszahl (AMZ)).
LFA = Länderfinanzausgleich im engeren Sinne, A-BEZ = Allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen,
S-BEZ = Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, KoPoIF = Kosten politischer Führung.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen, vorläufige LFA-Abrechnung für das Jahr 2010; eigene Berechnung; eigene Darstellung.

Eigenverantwortung und Finanzausgleich

In der föderalen Staatsstruktur sind Koordination, Kooperation und das Einstehen füreinander zentrale Bestandteile des bündischen Prinzips. Dazu gehören sowohl die Verabredung zur gegenseitigen Unterstützung bei der Bereitstellung bestimmter staatlicher Leistungen auf bundesstaatlich vereinbarten Mindeststandardniveaus als auch die solidarische Hilfe bei unvorhersehbaren und politisch kaum bis gar nicht zu beeinflussenden Ereignissen, die die Leistungsfähigkeit eines Bündnismitgliedes überfordern und vom Bündnismitglied finanziell und organisatorisch nicht mehr bewältigt werden können. Dabei darf die Handlungsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Bündnismitglieder jedoch nicht übermäßig eingeschränkt werden, da ansonsten die Vorteile, die von einem Bundesstaat erwartet werden, nicht realisiert werden können. Die Bestimmung der optimalen Struktur des öffentlichen Sektors im Bundesstaat und die Zuweisung von Verantwortung für dezentrale Entscheidungen der „decision-maker“ ist daher eine stete Herausforderung.19 Aus wohlfahrtsökonomischen, aber auch gerade aus politökonomischen bzw. institutionenökonomischen Überlegungen heraus bietet die Dezentralität der (fiskalischen) Verantwortlichkeiten Vorteile gegenüber zentralisierten Entscheidungsstrukturen. Es ist unter anderem zu erwarten, dass die dezentralen politisch-administrativen Entscheidungsträger20 die Bereitstellung staatlicher Leistungen an den Bedürfnissen der „eigenen“ Wohnbevölkerung und der „eigenen“ Unternehmen ausrichten. Gleichzeitig können die Organisationskosten im politisch-administrativen Bereich minimiert werden.

Wenn bundesstaatlich verabredete Mindeststandards nicht flächendeckend erbracht werden können, so kann zumindest in Teilregionen die Akzeptanz für das Gesamtsystem leiden und mithin die Systemstabilität gefährdet werden. Zu große Versorgungsunterschiede bei bundesstaatlich verabredeten Leistungen sollten trotz des zugesicherten eigenverantwortlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraums der Bündnismitglieder vermieden werden. Ein Ausgleich interregionaler fiskalischer Disparitäten bzw. eine angemessene Angleichung interregionaler Ausstattungsunterschiede trägt somit auch zur politischen Stabilität des Staatswesens bei.21 Dieser Ausgleich ist deshalb geboten, da alle „finanziell in die Lage versetzt werden müssen, die ihnen zugewiesenen öffentlichen Befugnisse und Aufgaben angemessen wahrzunehmen. Ist die gleichmäßige Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben aus staatspolitischen oder verfassungsrechtlichen Gründen geboten, darf sie nicht an der Finanzschwäche einzelner Aufgabenträger scheitern.“22 Insofern ist es vertretbar, wenn im Bundesstaat aus distributionspolitischen Erwägungen ein Minimum an staatlichen Leistungen garantiert werden sollte.23 Ein Finanzausgleich hat dann in einem Bundesstaat eine Berechtigung und kann darüber hinaus auch mit positiven allokativen Wirkungen verbunden sein.24

Letztlich ist die Verfassung eines föderativen Staates, wie Zimmermann trefflich formuliert hat, ein Kompromiss.25 Wobei jedoch die Eigenstaatlichkeit der Gliedstaaten und damit die Eigenverantwortlichkeit der Länder in Deutschland nicht hinten anstehen dürfen. „Eigenständigkeit und politische Autonomie bringen es mit sich, dass die Länder grundsätzlich für haushaltspolitische Folgen autonomer Entscheidungen selbst einzustehen und eine kurzfristige Finanzschwäche selbst zu überbrücken haben.“26

Gleichbehandlung und Finanzausgleich

Während die Pyramidentheorie prinzipiell von der Unteilbarkeit der Bürgersouveränität und von einem mehrstufigen föderalen Aufbau des öffentlichen Sektors ausgeht, wobei die jeweils höhere staatliche Ebene ihre Legitimation aus der jeweils niedrigeren staatlichen Ebene zieht,27 sieht die Basistheorie den Bürger in der Lage, seine Souveränität zu teilen und entsprechend zwei staatlichen Ebenen zuzuordnen. Demzufolge ist der Bürger in einem Bundesstaat Mitglied zweier staatlicher Ebenen. Der Bürger ist gleichzeitig Landesbürger und Bundesbürger. Dabei stehen Fragen im Vordergrund, die den Grundsatz der Gleichbehandlung, so wie er in Deutschland aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet wird und auch für das Finanzausgleichssystem in Deutschland von Bedeutung ist,28 sowie die Grundsätze der Länderautonomie und der bündischen Solidarität berühren. Hinsichtlich eines Gebotes der Gleichbehandlung ist zu klären: Welche Kollektivinstanz ist in einem Bundestaat jeweils verpflichtet, den Bürgern eine „gleiche“ Behandlung zukommen zu lassen?

Der Basistheorie entsprechend legitimieren die Bürger als „Bundes“-Bürger im Rahmen der eingegangenen „Bundesbürgerschaft“29 das Handeln der bundesstaatlichen Kollektivinstanz. Es sollte Konsens darüber bestehen, dass die bundesstaatliche Kollektivinstanz jeden „Bundes“-Bürger gleich zu behandeln hat. Daraus folgt die Verantwortung, dass diejenige Aufgabenerfüllung, die im Auftrag der Bundesbürger erfolgt und im Zuge des administrativen Föderalismus, wie er in Deutschland sehr stark zum Ausdruck kommt, durch die Bundesebene an die untergeordneten Kollektivinstanzen der Gliedstaaten (Länder) weitergereicht wird, gleichmäßig erfolgt. Insofern sollte es dann auch Aufgabe der Bundesebene sein, die dazu notwendigen Mittel im Sinne einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung sicherzustellen. Die „Landes“-Bürger können indes nicht erwarten, dass dezentrale Entscheidungen in Ländern, die im Rahmen ihrer jeweiligen Landesautonomie erfolgen, Auswirkungen auf jedes andere Land des Bundesstaates haben können. Landesbürger können lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung gegenüber ihrer jeweiligen Landeskollektivinstanz erheben. Wenn also ein Land über die als Bundeskonsens abgestimmte finanzielle Grundausstattung weitere Finanzmittel generiert, um über das bundesstaatliche Standardniveau zusätzliche Leistungen für die eigenen Landesbürger zu erbringen, so kann daraus sicherlich kein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz in allen anderen Ländern abgeleitet werden.

Das gegenwärtige bundesstaatliche Finanzumverteilungssystem zwischen den Ländern in Deutschland zielt jedoch darauf ab, dass letztlich kein Land Leistungsverbesserungen in relevantem Umfang für seine eigenen Landesbürger auf der Basis eigenverantwortlich gesteigerter Steuereinnahmen erbringen kann. Zusätzliche Anstrengungen von Unternehmen und Arbeitnehmern, die zu Mehrproduktion und Mehreinkommen in einem einzelnen Land führen, erhöhen aufgrund bundeseinheitlicher Regeln das für private Konsumausgaben zur Verfügung stehende Einkommen nach Besteuerung in nicht unbeträchtlichem Umfang. Der Teil, der jedoch im Rahmen der bundeseinheitlichen Besteuerung von den privaten (Mehr-)Einkommen in den öffentlichen Sektor transferiert wird, verteilt sich relativ gleichmäßig auf alle Länder, so dass öffentlich bereitgestellte Leistungen in einem einzelnen Land trotz womöglich sehr stark gestiegener Produktion und damit verbunden gestiegenen privaten Einkommen letztlich nur durchschnittlich aufwachsen können. Bürger können also durch überdurchschnittliche Arbeitsleistungen ihre privaten Konsummöglichkeiten auf ein überdurchschnittliches Niveau anheben, kaum jedoch (wenn von Marginaleffekten abgesehen wird) ihre öffentlichen Konsummöglichkeiten – angesichts der bisweilen beinahe konfiskatorischen Abschöpfungsquoten im Länderfinanzausgleich, wobei bei isolierter Betrachtung eines Landeshaushaltes sogar Abschöpfungsquoten von über 100% systembedingt möglich sind.30 Ein Umstand, der den meisten Bürgern wahrscheinlich gar nicht bewusst ist.

Auswirkungen fehlender Finanzautonomie

Bund und Länder sind nach Art. 109 Abs. 1 GG in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig. Dies bedeutet, dass bei gegebenen Landeseinnahmen, die überwiegend durch das bundesstaatliche Finanzverteilungssystem determiniert sind, die Landesausgaben, soweit sie nicht bundesrechtlich oder anderweitig vorgegeben bzw. festgelegt sind, grundsätzlich landesautonom gestaltet werden können. Hochgradig fraglich ist, ob innerhalb finanzausgleichsbedingt annähernd gleich hoher Gesamtausgabenmöglichkeiten die Landesautonomie bereits dadurch befriedigend zum Ausdruck kommen kann, wenn innerhalb des im Vergleich zu anderen Ländern gleich hohen Gesamtausgabenvolumens die Prioritätensetzung differieren kann.

Gegenwärtig können Landesbürger nur Mehrausgaben realisieren, wenn sie Minderausgaben in anderen Ausgabenbereichen als fiskalische Kompensation in den jeweiligen Landeshaushalten in Kauf nehmen. Die fehlende Finanzautonomie der Länder verhindert eine an den unterschiedlichen Interessen und Wünschen der Landesbürger anzupassende Landespolitik gerade dann, wenn auf Wunsch der Bevölkerung auf bestimmte Landesausgaben nicht verzichtet werden soll und gleichzeitig zusätzliche, aus den privaten Einkommen der Landesbürger grundsätzlich finanzierbare Leistungen gewünscht werden, aber aufgrund fehlender Finanzautonomie nicht realisiert werden können.

Eine Folge unzureichender Finanzautonomie ist dann der Versuch, Finanzierungslasten eines einzelnen Landes oder einer Ländergruppe auf andere Länder zu überwälzen. So ist das Organisieren von Mehrheiten, um beispielsweise bundeseinheitliche Einkommensteuererhöhungen oder stärkere Bundesbeteiligungen zur (zusätzlichen) Finanzierung von Landesaufgaben durchzusetzen, angesichts der mangelhaften Finanzautonomie der einzelnen Länder verständlich. Gelingt z.B. die Bildung von „Steuererhöhungskoalitionen“, so wirkt eine bundeseinheitliche Steuererhöhung keineswegs gleichmäßig hinsichtlich der Mehraufkommen in den einzelnen Ländern, sondern führt in einzelnen Ländern zu überproportionalen und in anderen Ländern zu unterproportionalen Mehraufkommen unter anderem auch aufgrund der Progressivität des Einkommensteuertarifs. Die Disparitäten bei den Mehraufkommen werden abschließend durch das bundesstaatliche Finanzverteilungssystem jedoch beinahe nivellierend ausgeglichen.31 Damit fließen zusätzliche Einnahmen dann auch Ländern zu, in denen es womöglich kein landespolitisches Interesse an Mehreinnahmen bzw. Mehrausgaben gab. So konnten 2011 vier Länder (Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen) materiell ausgeglichene Haushalte im Vollzug (positiver Finanzierungssaldo) vorzeigen.32 Eine bundesstaatlich verabredete bundeseinheitliche Steuererhöhung würde in vielen Ländern das Finanzierungsdefizit reduzieren bzw. die Ausgabenspielräume erhöhen, in einzelnen Ländern jedoch den bereits ohnehin vorhandenen positiven Finanzierungssaldo erhöhen. Gleichzeitig werden Bürger in Ländern getroffen, die überdurchschnittliche Steuerlasten bei einer bundeseinheitlichen Steuerpolitik zu tragen haben, aber aufgrund der stark angleichenden bundesstaatlichen Finanzbeziehungen nur durchschnittliche (zusätzliche) Landesleistungen erhalten würden bzw. können.

Finanzpsychologische Ursache föderaler Streitigkeiten

Der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne in Deutschland ist eine bewusst gewollte Umverteilung von „Eigenem“ als eigene Finanzausstattung der Länder nach Art. 107 Abs. 1 GG33 und führt dazu, dass ausgleichsverpflichtete Länder die Ausgleichsbeiträge aus bereits in ihren jeweiligen öffentlichen Haushalten etatisierten Finanzmitteln zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundesstaates finanzieren.34 Nun ist der aus der mikroökonomischen Theorie heraus bekannte Endowment-Effekt35 vermutlich auch im horizontalen Länderfinanzausgleich in Deutschland zu berücksichtigen. Der Endowment-Effekt ist dort zu beobachten, wo der tatsächliche Besitz eines Gutes eine Verlustaversion hervorruft. Die Präferenz bezüglich eines Gutes ist nicht unabhängig von der Frage, ob das Gut bereits im Besitz ist oder erst erworben werden muss, was jedoch in der traditionellen Nutzentheorie vorausgesetzt wird. Im deutschen horizontalen Länderfinanzausgleich erfolgt nun gerade die Umverteilung aus „eigenen Mitteln“, was die föderalen Streitigkeiten zwischen Geber- und Nehmerländern zusätzlich erklären kann.

Daher kann es schon deshalb einen Unterschied ausmachen, ob Länder über ein bundesstaatlich, also zwischen Bund und Ländern abgestimmtes, primäres Finanzverteilungssystem ihre allgemeinen Finanzausstattungen aus einem zentralen Budget erhalten, dessen Mittel zuvor hinsichtlich ihres Verwendungszweckes unbestimmt waren, oder aber ein Ausgleichssystem organisiert wird, das bereits kassenwirksame und daher auch bewusst als eigene Mittel wahrgenommene Haushaltsmittel zwischen den Ländern umverteilt und diese als „eigene“ Mittel wahrgenommenen Transfers von anderen verausgabt werden können. Auch deshalb ist die, dem Bund grundsätzlich vorbehaltene,36 Organisation eines allgemeinen Finanzausgleichs aus kassenwirksamen Ländereinnahmen gegenwärtig letztlich äußerst delikat.

Zeit für einen grundlegenden Systemwechsel

Der direkt zwischen den Ländern umverteilende Länderfinanzausgleich i.e.S. ist unbestreitbar seit Jahrzehnten einer der umstrittensten Teilsysteme innerhalb der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen. Geberländer beklagen die kaum vorhandenen fiskalischen Anreizwirkungen für eine eigenverantwortliche Wirtschafts- und Finanzpolitik insbesondere der finanzschwachen Länder und trauern den aus ihren Haushalten abfließenden Transferzahlungen hinterher. Innerhalb der Gruppe der Nehmerländer wird unter anderem kritisiert, dass finanzschwache Nehmerländer über die Einwohnerwertungen finanzschwache Stadtstaaten und andere finanzschwache Flächenländer mitfinanzieren. Einzelne Nehmerländer beklagen ebenfalls die allzu geringen fiskalischen Anreize des Systems und kritisieren zudem die aus ihrer Sicht zu geringen Transferzahlungen der Geberländer, wobei die Geberländer andererseits naturgemäß die Transferzahlungen für zu hoch halten. Die gegenwärtigen Regelungen des horizontalen Länderfinanzausgleichs bewirken, dass stets alle Länder an der entweder positiven oder negativen Entwicklung in einem einzigen Land beteiligt werden mit entsprechenden Konsequenzen für die jeweiligen öffentlichen Haushalte und demzufolge für die Landesbürger. Wenn ein Land einen, entweder mitverschuldet oder unverschuldet, negativen fiskalischen Schock erfährt, wirkt sich dies gerade auch auf die Länder aus, die ohnehin bereits Haushaltsprobleme haben.

Voraussetzungen

Der „Schleier des Nichtwissens“ ist als Handlungsanweisung für die reale Finanzpolitik wenig hilfreich. Politiker bzw. Ministerpräsidenten und Landesminister können nicht ihren Amtseid ein Stück weit vernachlässigen und Entscheidungen treffen ohne Kenntnis über die Gesamtheit der abschätzbaren Folgen ihrer Entscheidung für die eigene (Wohn-)Bevölkerung. Insofern kann eine Reform nicht hinter den fiskalischen Status quo zurückfallen, in Zeiten der Schuldenbremse schon gar nicht. Dies grenzt zwar den Verhandlungs- und Entscheidungsspielraum ein, reduziert jedoch gleichzeitig die Unsicherheit bei den Verhandlungspartnern bezüglich der (fiskalischen) Auswirkungen von Neuregelungen. Eine Kompromissbereitschaft ist daher umso eher vorstellbar und möglich, wenn im fiskalischen Ergebnis eine Neuregelung kurz- bis mittelfristig die öffentlichen Haushalte ähnlich mit Finanzmitteln ausstattet wie die gegenwärtigen Regelungen.

Im Rahmen eines komparativen Institutionenvergleichs wird die Zustimmung zu einem Reformentwurf auch davon abhängen, ob Kooperationsgewinne für alle Vertragspartner in Aussicht gestellt werden können und realisierbar sind. „Reformvorschläge, bei denen sich zumindest die Mehrheit der Akteure mit unmittelbaren Einbußen in der Gegenwart konfrontiert sieht, mögliche Vorteile jedoch ungewiß sind, dürften kaum konsensfähig sein.“37

Daneben sind bislang entstandene Pfadabhängigkeiten zu beachten. Ein bislang auf Einwohnerfokussierung ausgerichtetes Finanzverteilungssystem hat in der Vergangenheit auch einwohnerkonzentrierte Politiken ausgelöst und insofern auch politische Entscheidungen beeinflusst. So würde eine vollständige Abkehr vom Einwohnerbezug bereits erfolgte Investitionen entwerten und daher nicht zur Kompromissfindung beitragen. Eine Neuregelung wird umso eher als Kompromiss akzeptiert werden, wenn bisherige Politiken der verantwortlichen Entscheidungsträger durch Neuregelungen ex post nicht vollständig als „falsch“ klassifiziert werden. Vielmehr wird eine institutionenökonomisch fundierte Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen die bisherige Entwicklungslogik des Institutionengefüges auch zu beachten haben.38

Zielsetzungen

Angesichts der im politischen Raum weiterhin konsensfähigen Zielsetzung der Schaffung und Wahrung „Gleichwertiger Lebensverhältnisse“ wird auch eine erneute Reformregelung nicht ohne einen hohen Grad an Angleichung der fiskalischen Grundausstattungen der Länder auskommen. Hierzu werden „Grundbedürfnisse“ der Bundesbürger, die ihren Ausdruck in bundesstaatlichen Mindeststandards finden, gehören, die durch die Länder aus Gründen der Organisationskostenminimierung administrativ umgesetzt werden. Dabei hat bundesstaatliche Politik im Auftrag der Gesamtheit der Bundesbürger zu entscheiden, in welchen Bereichen und dort auf welchem Niveau eine bundesweit flächendeckende Sicherstellung bestimmter Leistungen zu gewährleisten ist.

Die zweite Zielsetzung sollte sein, dass ein reformiertes bundesstaatliches Finanzverteilungssystem relevante Entscheidungs- und Handlungsspielräume für die Länder in Deutschland auch auf der Steuereinnahmeseite zur Finanzierung präferenzgerechter öffentlich bereitgestellter Leistungen schafft. Möglichkeiten zur regionalen Berücksichtigung von Präferenzen bzw. regional differierenden Prioritätensetzungen und damit zur Ausdifferenzierung des öffentlich bereitgestellten Leistungsangebotes auf der Länderebene müssen möglich sein und sind auch von den regional abgrenzbaren Bevölkerungen in gewissem Umfang erwünscht.

Dabei ist als dritte Zielsetzung darauf zu achten, dass die Länderhaushalte unabhängiger voneinander werden. Das gegenwärtige System verbindet die Landeshaushalte zu stark fiskalisch miteinander. Selbst dort, wo zunächst die Länder autonome Entscheidungen treffen dürfen, deren (fiskalischen) Ergebnisse vermeintlich nur die betreffenden Länder selbst zu berücksichtigen haben, schwappen fiskalische Effekte über.39

Damit verbunden ist die vierte Zielsetzung, die sich aus dem Befund ergibt, dass die Länder insgesamt zu geringe eigene fiskalische Rückflüsse aus eigenverantwortlich durchgeführten „Zukunftsinvestitionen“ erhalten. Selbstverständlich haben auch heute bereits Wirtschafts- und Finanzpolitiker in der Region einen Anreiz, wachstumsfördernde und arbeitsplatzinduzierende Maßnahmen durchzuführen. Politik wägt aber auch zwischen alternativen Stimmenmaximierungsaktivitäten ab. Haushaltsmittel für wachstumsfördernde und arbeitsplatzstiftende Aktivitäten stehen nicht mehr für „Gegenwartskonsum“, der jedoch auch zur Wählerstimmenmaximierung beiträgt, zur Verfügung. So steht die Politik vor dem Dilemma, zwischen wählerwirksamen Gegenwartskonsum und mit Unsicherheiten behafteten Zukunftsausgaben zu wählen. Wenn die zuletzt eingesetzte Zukunftsausgabe an der Grenze aber heute Gegenwartskonsum einschränkt und morgen keinen zusätzlichen Gegenwartskonsum ermöglicht, so schlägt das Pendel in Richtung Gegenwartszentrierung aus.

Grundsätzliche Schlussfolgerungen

Bereits heute sind die Finanzausstattungen der Länder in nicht unerheblichem Umfang durch vertikale Finanzausgleichsströme, die im Übrigen stets nur aufgrund der Zustimmung der Ländergesamtheit implementiert werden konnten, determiniert. Eine Umstellung auf ein rein vertikales bundesstaatliches Finanzverteilungssystem würde daher die bisherigen vertikalen Komponenten nur erweitern. Die Grundkonzeption eines „neuen“ bundesstaatlichen Finanzverteilungssystems40 könnte angesichts von Pfadabhängigkeiten und politischen Zielsetzungen bei Berücksichtigung ökonomischer Aspekte folgende Grundelemente enthalten:

  1. Föderaler Gemeinschaftsteuer-Pool: Aus einem zu definierenden föderalen Gemeinschaftsteuer-Pool werden die Finanzmittel zur Gewährung einer bundesstaatlich vereinbarten und bundesweit einheitlichen „Grundausstattung“ nach einfachen, klaren und einheitlichen Kriterien vertikal auf die Länder verteilt. Dabei wird bundesstaatlich, d.h. bilateral zwischen Bundes- und Länderebene, abgestimmt, welche Bestandteile (Steueraufkommen) dem Gemeinschaftsteuer-Pool zugeschlagen werden – und welche nicht. Im Rahmen dieser „Primärverteilung aus einem Guss“ können auch ökonomisch überzeugende Bedarfselemente aufgegriffen werden. Es bedarf keines großen Aufwandes, ein annähernd gleiches Finanzverteilungsergebnis wie heute mit einem vertikalen System zu erreichen.41
  2. Dezentrale Besteuerungskompetenzen:

    a. Zusätzliche Steuersatzkompetenzen zur Erzielung von wahrhaft „eigenen“ Landessteuereinnahmen über das bundeseinheitlich bestimmte Einnahmeniveau hinaus. Diese Landessteuereinnahmen sollten nicht ausgleichsrelevant sein und daher außerhalb des Ausgleichssystems stehen. Zur Kanalisierung des Steuerwettbewerbs, der in der Regel aus effizienztheoretischer Sicht nicht unbedingt als „funktionierender Wettbewerb“ bezeichnet werden kann, kann eine Bandbreite abgestimmt werden.

    b. Übertragung der Kompetenz zur Festlegung von Bemessungsgrundlagen. Hierbei bietet sich die Grundsteuer an. Dieser Vorschlag ist in Verbindung mit dem mittlerweile unübersehbaren Reformstau bei der im Grunde nicht mehr verfassungskonformen Grundsteuer zu sehen, wobei die föderale Verflechtung und Blockade ihren Teil dazu beigetragen hat. Eine Reföderalisierung bietet die Chance, den Reformstau aufzubrechen, regional unterschiedliche Ansichten bezüglich der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen und mithilfe des Innovationswettbewerbs der Länder eine überzeugende Lösung zu finden.

  3. Schaffung von Wettbewerbsfähigkeit und Zustimmung: Die teils enorm voneinander abweichenden Haushaltsvorbelastungen der Länder werden beim Versuch der Einhaltung der Schuldenbremse für die Länder dazu führen, dass Länder im interjurisdiktionellen Wettbewerb grundsätzlich unterschiedliche Budgetspielräume haben werden. Länder mit weit überdurchschnittlichen und persistenten Haushaltsbelastungen werden geringere Möglichkeiten haben, ihre Wettbewerbsfähigkeit z.B. über wachstumsfördernde Ausgabenprogramme zu verbessern, da die Konsequenzen haushaltspolitischer Entscheidungen in der Vergangenheit zumeist kurz- bis mittelfristig irreversibel sind. Auch mit Blick auf die gegenwärtige Bevölkerungsgeneration in Ländern mit überdurchschnittlichen Haushaltsvorbelastungen, die zur Zeit der Entscheidungen womöglich noch nicht geboren war oder sich erst kürzlich in einem betreffenden Land niedergelassen hat, sollten sich zur Konsensbildung aus einer institutionenökonomischen Perspektive alle zukünftig beteiligten Verhandlungsparteien darüber im Klaren sein, dass eine Verhandlungslösung, die pareto-superioren Charakter haben soll, dann umso eher wahrscheinlich wird, wenn für alle Vertragsparteien Nettonutzen in Aussicht gestellt werden können. Bei skeptischen Vertragsparteien, die aufgrund von in Zukunft zunächst unsicheren Kooperationsgewinnen bei gestärkter Finanzautonomie nicht anfänglich von den Nettovorteilen überzeugt sind, könnte ein Entgegenkommen bei der Lösung insbesondere des Altschuldenproblems, gewissermaßen als „Vorauszahlungen“ der Kooperationsgewinne, die Bereitschaft zur Schaffung konsensfähiger superiorer bundesstaatlicher Arrangements erhöhen.
  • 1 Vgl. L. P. Feld: Sinnhaftigkeit und Effektivität der deutschen Schuldenbremse, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 11. Jg. (2010), H. 3, S. 226-245.
  • 2 Siehe dazu den umfangreichen Aufgabenkatalog (einschließlich der Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung sowie der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften) der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Bundesrats-Drucksache 913/06, Beschluss vom 15.12.2006.
  • 3 Auch wenn das Land Baden-Württemberg primär wohl den Verhandlungsweg sucht, so wird von Seiten der baden-württembergischen Landesregierung dennoch auch der Klageweg gewissermaßen als „ultima ratio“ nicht ausgeschlossen. Siehe dazu Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/DIE GRÜNEN und SPD vom 9.5.2011, S. 56.
  • 4 Exemplarisch für die Diskussion siehe Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, H. 47, Bonn 1992; W. Wiegard: Reform des föderalen Finanzsystems aus ökonomischer Sicht, in: P. Wendisch, M. Fonger (Hrsg.): Reform des föderalen Finanzsystems in Deutschland, Baden-Baden 2006; W. Kitterer, R. C. Plachta: Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs als Kernelement einer Modernisierung des deutschen Föderalismus, Baden-Baden 2008.
  • 5 W. Kitterer: Bundesstaatsreform und Zukunft der Finanzverfassung, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 56. Jg. (2007), H. 3, S. 357. Kitterer weist auch auf den Umstand hin, dass seit Jahren die Politik mehr Eigenverantwortung der Bürger sowie die Absenkung der Ansprüche der Bürger gegenüber dem Staat einfordert. Besonders deutlich werden diese Forderungen der Politik in den Konsolidierungsländern, die überwiegend Ausgabenanpassungen im Konsolidierungsprozess bis 2019 vornehmen wollen und werden.
  • 6 BVerfGE 101, 158 (218).
  • 7 Ebenda.
  • 8 BVerfGE 101, 158 (218); vgl. A. W. Heinemann: Länderfinanzausgleich 2005: Kritische Bewertung des „Prämienmodells“, in: Wirtschaftsdienst, 86. Jg. (2006), H. 10, S. 651.
  • 9 Vgl. T. Lenk: Im „Schleier des Nichtwissens“ das Maßstäbegesetz verabschiedet?, in: Wirtschaftsdienst, 81. Jg. (2001), H. 8, S. 435.
  • 10 Dass letztlich die Länder für die angemessene (Finanz-)Ausstattung ihrer Gemeinden (Art. 106 Abs. 7 GG) verantwortlich sind und gleichzeitig die Mitverantwortung für Reformen tragen, die in nicht unerheblichen Ausmaß die Gemeindehaushalte teils sehr negativ beeinflusst haben, bleibt zumeist ausgeblendet.
  • 11 Zu bedenken ist hier, dass diese Entwicklung wegen Art. 105 Abs. 3 GG jedoch nur mit Zustimmung der Länder möglich war und daher von den Ländern mit zu verantworten ist.
  • 12 Mit Dezentralität ist hier ein politischer Entscheidungs- und Handlungsspielraum gemeint, innerhalb dessen die Akteure ohne Abstimmung mit anderen Jurisdiktionen der gleichen Ebene oder mit Jurisdiktionen anderer Ebenen ihre zugeordneten Handlungsinstrumente einsetzen können.
  • 13 Vgl. U. van Suntum, K. Hafemann: Effizienter Steuerverbund statt korrigierender Finanzausgleich, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 5, S. 319.
  • 14 Dazu beispielsweise W. Kitterer: Zukunft der Steuerzerlegung bei Einkommensteuer bzw. Umsatzsteuer, in: H.-J. Schmidt-Trenz, M. Fonger (Hrsg.): Bürgerföderalismus – Zukunftsfähige Maßstäbe für den bundesdeutschen Finanzausgleich, Baden-Baden 2000, S. 123 ff.; W. Wiegard, a.a.O., S. 19 ff.
  • 15 Vgl. U. van Suntum: Öffentliches Finanzsystem und regionale Effizienz, in: Kyklos, 34. Jg. (1981), H. 2, S. 218.
  • 16 Dass es sich faktisch um die Finanzierung von Regelaufgaben handelt ist daran zu erkennen, dass entgegen der allgemeinen Voraussetzung, dass Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zu befristen seien (§ 12 Abs. 3 Satz 1 MaßstG), die Gewährung von S-BEZ „KoPolF“ unbefristet erfolgen kann. Diesbezüglich heißt es in § 12 Abs. 6 Satz 3 MaßstG lapidar: „Absatz 3 Satz 1 gilt nicht.“
  • 17 Der Logik der Gewährung von S-BEZ „KoPolF“ folgend muss einwohnerbezogene Kleinheit von Ländern mit fiskalischen Nachteilen aufgrund höherer Pro-Kopf-Kosten im Bereich der Funktionskennziffer 011 „Politische Führung“ verbunden sein, denen offenbar keine Vorteile der einwohnerbezogenen Kleinheit entgegenstehen.
  • 18 Wobei zumindest für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 eine leichte Absenkung im FAG vorgesehen ist.
  • 19 Vgl. W. E. Oates: Fiscal Federalism, New York u.a.O., 1972, S. 19.
  • 20 Mit der Figur des „politisch-administrativen Entscheidungsträgers“ wird hier dem Umstand Rechnung getragen, dass realiter Legislative sowie Gubernative und Administrative als zwei Bereiche der Exekutive in vielen Fällen gemeinsam den Entscheidungsprozess begleiten und beeinflussen.
  • 21 Vgl. R. Peffekoven: Finanzausgleich I: Wirtschaftstheoretische Grundlagen, in W. Albers (Hrsg.): Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), 2. Bd., Stuttgart u.a.O., 1980, S. 629.
  • 22 H. Fischer-Menshausen: Finanzausgleich II: Grundzüge des Finanzausgleichsrechts, in W. Albers (Hrsg.), a.a.O., S. 655.
  • 23 Vgl. T. Lenk, F. Schneider: Zurück zum Trennsystem als Königsweg zu mehr Föderalismus in Zeiten des „Aufbau Ost“?, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 219 (1999), H. 3+4, S. 433; A. W. Heinemann: Notwendigkeit einer bundesstaatlichen Strategie für Haushaltsnotlagen, in: Wirtschaftsdienst, 86. Jg. (2006), H. 2, S. 114.
  • 24 Vgl. J. M. Buchanan: Federalism and Fiscal Equity, in: American Economic Review, 40. Jg. (1950), H. 4, S. 583-599; U. van Suntum, a.a.O., S. 216-229; U. van Suntum, K. Hafemann, a.a.O., S. 321; M. Köthenbürger: Tax Competition and Fiscal Equalization, in: International Tax and Public Finance, 9. Jg. (2002), H. 4, S. 391-408.
  • 25 H. Zimmermann: Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“: Das Verhältnis regionaler Ausgleichsziele zu den Zielen des föderalen Staatsaufbaus, in: K. Schmidt (Hrsg.): Beiträge zu ökonomischen Problemen des Föderalismus, Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. 166, Berlin 1987, S. 36.
  • 26 BVerfGE 116, 327 (382).
  • 27Vgl. T. Apolte: Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, Tübingen 1999, S. 187 ff.
  • 28Dazu unter anderem BVerfGE 72, 330 (404), BVerfGE 101, 158 (224).
  • 29So heißt es in der Präambel des deutschen Grundgesetzes: „Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet.“ Die Bundesrepublik Deutschland ist also kein Staatenbund, besteht nicht aus vollständig souveränen deutschen Ländern, sondern ist ein Bundesstaat. „Denn die Bürgerinnen und Bürger haben (virtuell) das Grundgesetz in ihrer Eigenschaft als Deutsche und nicht als ‚Badener‘, ‚Württemberger‘ etc. angenommen“; vgl. C. B. Blankart: Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., München 2011, S. 697. Problematisch ist nur, wie Blankart festhält, dass die Bürger de facto nie darüber abgestimmt haben, sondern wie eher im Staatenbund üblich die Exekutiven der Gliedstaaten die Veränderungen der Konstitution vornehmen.
  • 30W. Kitterer, R. C. Plachta, a.a.O., S. 33: „Es bleibt festzuhalten, dass das geltende Recht des Finanzausgleichs den Landespolitikern in den wirtschaftsschwachen Ländern keine Anreize zur Förderung ihrer Wirtschaft und damit zur Erhöhung ihrer eigenen örtlichen Lohnsteuereinnahmen setzt.“
  • 31Zur Nivellierung der Einnahmen der Länder siehe auch RWI: Ermittlung der Konjunkturkomponenten für die Länderhaushalte zur Umsetzung der in der Föderalismuskommission II vereinbarten Verschuldungsbegrenzung, Endbericht, Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Essen 2010, S. 14 f.
  • 32Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Monatsbericht März 2012, S. 119 ff. Je nach Standpunkt gab es also „zu viele“ Einnahmen oder aber es lagen „zu wenige“ Ausgabenwünsche vor.
  • 33Siehe BVerfGE 72, 330 (385, 386); BVerfGE 116, 327 (379 f.).
  • 34Vgl. S. Korioth: Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Tübingen 1997, S. 126.
  • 35Dazu z.B. J. L. Knetsch: The Endowment Effect and Evidence of Nonreversible Indifference Curves, in: American Economic Review, 79. Jg. (1989), H. 5, S. 1277-1284; und S. Huck, G. Kirchsteiger, J. Oechssler: Learning to Like What You Have – Explaining the Endowment Effect, in: Economic Journal, 115. Jg. (2005), H. 505, S. 689-702.
  • 36Vgl. S. Korioth, a.a.O., S. 127 f. Korioth weist dabei darauf hin, dass der Gesetzgeber den Ausgleichserfolg, nicht aber ein Finanzausgleichsgesetz, das die horizontale Umschichtung regelt, sicherstellen muss. „Solche Finanztransfers wären entbehrlich, wenn schon durch die Steuerverteilung ein annähernd gleiches Finanzniveau der Länder sich ergäbe.“ (S. 128, Fn. 273).
  • 37T. Döring: Probleme des Länderfinanzausgleichs aus institutionenökonomischer Sicht, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 48. Jg. (1999), H. 3, S. 248.
  • 38Ebenda, S. 249.
  • 39Einem Land wird die Steuerkraftzahl und nicht das IST-Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer angerechnet. Erhöht sich durch Entscheidungen einzelner Länder der zur Normierung notwendigerweise zu ermittelnde durchschnittliche Grunderwerbsteuersatz, so kann dies für ein Land, das den eigenen Grunderwerbsteuersatz unverändert niedrig hält, negative fiskalische Folgen haben.
  • 40Fuest und Thöne zeigen bereits einen recht einfachen vertikalen Weg auf. Dazu C. Fuest, M. Thöne: Reform des Finanzföderalismus in Deutschland, Berlin 2009; ebenso U. van Suntum, K. Hafemann, a.a.O.
  • 41Vgl. C. Fuest, M. Thöne, a.a.O., S. 95 ff.

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Title:Horizontal or Vertical? The Future of the German Fiscal Equalisation System

Abstract:This article focuses on the background of the beginning debate on the German fiscal federalism reform. After a short description of the current vertical and horizontal fiscal relationships in Germany, the paper discusses general aspects of the relationship between two levels of state government in a federal system. Apart from a microeconomics-based explanation of the current horizontal revenue sharing dispute, findings from institutional economics support the thesis that a pure vertical fiscal equalisation scheme in Germany is possible and useful from an economic perspective. Finally, basic elements of a fiscal equalisation system reform are presented.


DOI: 10.1007/s10273-012-1406-z

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