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Die Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses stößt bei manchen Beteiligten immer noch auf Kritik. Die jüngste Gelegenheit dazu: Es jährte sich zum zehnten Mal die Einführung der Bachelor-/Master-Struktur durch das Hochschulrahmengesetz. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, teilte in Zeitungsinterviews aus: Es sei falsch, den Nachwuchs in sechs Semestern schnell durchs Studium und in den Beruf zu bringen. Dies habe inzwischen auch die Wirtschaft erkannt. Sie brauche Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen. Das Studium sei sehr verschult. Der Erwerb von Bildung und die Entwicklung der Persönlichkeit seien im Bachelor-Studiengang kaum möglich. Das Versprechen, die Studierenden könnten einfacher ins Ausland gehen, sei nicht erfüllt worden. Mit dem Bachelor könnten sich nur Fachhochschul-Absolventen erfolgreich um Stellen bewerben. An der Universität sei der Abschluss eine Orientierungshilfe für die Entscheidung, ob und wie man weiter machen wolle. Das jetzige Konzept sollte aber optimiert werden. Der HRK-Präsident hat von manchen Zustimmung bekommen. Andere, wie die Bundesministerin Annette Schavan, aber auch Rektoren und Präsidenten von Fachhochschulen und Universitäten haben ihm deutlich widersprochen.

Der Bologna-Prozess zielt darauf ab, dass die Studierenden im europäischen Hochschulraum möglichst ohne Zeitverlust und Probleme studieren und auch auf dem Arbeitsmarkt im jeweiligen Ausland eine Beschäftigung finden können. Dafür bedarf es gemeinsamer struktureller Standards wie der zweistufigen Studienstruktur, der Modularisierung der Studiengänge, der Beachtung eines Qualifikationsrahmens und der Lissabon-Konvention sowie der Qualitätssicherung. Diese Standards müssen in den Ländern umgesetzt werden. Die Diskussion und Kritik in Deutschland betrifft im Kern nicht das Konzept des europäischen Hochschulraums, sondern die Frage, in welcher Weise das Bologna-Instrumentarium von den Beteiligten – den Ländern und den Hochschulen – umgesetzt worden ist oder wird. Dabei ist in den vergangenen Jahren einiges geschehen: In Reaktion auf die Studierendenproteste 2009 haben Länder und Hochschulen – auch die HRK war beteiligt – insbesondere Arbeitsbelastungen der Studierenden berücksichtigt und besser verteilt.

Deutschland hatte 2009 im Vergleich zu den anderen europäischen OECD-Staaten, abgesehen von Spanien und Griechenland, mit 19% den geringsten Anteil an Studienabschlüssen, die dem Bologna-Prozess entsprechen. Der Grund: Insbesondere die Universitäten haben relativ spät damit begonnen, die Studienstruktur umzustellen. Der 19%-Anteil ist seinem Umfang nach bisher noch nicht so aussagekräftig, dass sich daraus verlässliche Trends für Beschäftigungsfähigkeit oder Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt ableiten lassen. Untersuchungen zeigen, dass von allen Bachelor-Absolventen in Deutschland etwa 65% unmittelbar weiterstudieren und den Master machen wollen. Da zu erwarten ist, dass von den Absolventen, die in die Wirtschaft gehen, später einige für den Master an die Hochschule zurückkehren werden, sei es vollzeitig oder berufsbegleitend, kann keine Rede davon sein, dass die „Mehrheit der Akademiker“ nach nur sechs Semestern das Studium endgültig abschließt.

Aus der weiteren These, Fachhochschulen leisten eine rein berufsbezogene Ausbildung, Universitäten müssten daneben auch „Bildung“ vermitteln, spricht keine besondere Wertschätzung der Fachhochschulen. Für den Bologna-Zusammenhang ist aber etwas anderes wesentlich: Der Bachelor-Abschluss gibt den Studierenden neben dem Master im Vergleich zum einstufigen Diplom eine zusätzliche Möglichkeit, früh eine berufliche Tätigkeit zu beginnen und sich später weiter auszubilden. Er bietet ihnen also mehr Flexibilität. Die Wirtschaft hat sich auf den Bachelor weitgehend eingestellt. Bachelor-Absolventen werden mit der Aktion „Bachelor Welcome“ ausdrücklich von Großunternehmen, und von Verbänden der kleinen und mittelständischen Unternehmen wie dem Verband für Maschinen- und Anlagenbau VDMA mit entsprechenden Erklärungen begrüßt. Gefordert werden eine im Verhältnis zum Diplom eigenständige Ausgestaltung der Studiengänge und möglichst flexible Studienmodelle (im Sinne von Teilzeitstudiengängen). Absolventen aus Fachhochschulen und Universitäten sollten neben ihrer fundierten Fachqualifikation über Teamfähigkeit und soziale Kompetenz verfügen. Es ist also keineswegs zutreffend, dass die Wirtschaft den Bachelor ablehnt. Allerdings vermisst der Deutsche Industrie- und Handelskammertag bisher eine ausreichende Verknüpfung von Theorie und Praxis beim Bachelor-Studium. Diese Verbindung wird auch von der Mehrheit der Bachelor-Studierenden für wichtig gehalten, wie eine Studie der Arbeitsgruppe Hochschulforschung an der Universität Konstanz unter Leitung von Tino Bargel aus dem Jahr 2009 gezeigt hat.

Niemand wird Hippler darin widersprechen, dass Absolventen Persönlichkeiten sein und über ausreichende Bildung verfügen sollten. Doch kann dies allein ein längeres Studium an der Universität bieten? Natürlich wird ein 23-jähriger Bachelor-Absolvent weniger Lebens- und Praxiserfahrung aufweisen als ein Diplom-Absolvent mit 27 Jahren. Aber wird letzterer auch erfahrener sein als ein Bachelor-Absolvent im gleichen Alter von 27 Jahren mit vier Jahren Berufserfahrung? Eine Studie der Hochschul-Informations-System (HIS) aus dem Jahr 2011 zeigt, dass sich Master-Studierende an Fachhochschulen im Verhältnis zu ihren Kommilitonen von den Universitäten in puncto Persönlichkeitsbildung (47% zu 37%) und bei sozialer Kompetenz (51% zu 37%) besser vorbereitet sehen. Richtig ist: Studierende an Universitäten werden zumeist mehr Möglichkeiten haben, sich „über den Tellerrand hinaus“ durch Vorlesungen und Kurse zu bilden als diejenigen an Fachhochschulen. Warum können sie aber diese Bildungschancen nicht schon während des Bachelor-Studiums nutzen? Wenn Bachelor-Curricula zum Teil zu dicht gepackt und verschult sind, liegt es in der Hand der Hochschulen, dies zu ändern.

Auch die Auslands-Mobilität der Studierenden während der Bachelor-Phase würde davon profitieren. Erhebungen des DAAD zeigen, dass sich die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland über alle Studiengänge und Abschlussarten hinweg in den letzten zehn Jahren zwar verdoppelt hat, aber sich immer noch auf relativ niedrigem Niveau bewegt. Die Mobilität der Studierenden ist also noch nicht befriedigend. Hier besteht Handlungsbedarf. Mangelnde Anerkennung von Studienleistungen im Ausland durch die deutsche Hochschule gaben relativ wenige Studierende als Problem für ein Auslandsstudium an (17% an Universitäten und 11% an Fachhochschulen); häufiger nannten sie Zeitverlust im Studium – der allerdings mit Anerkennungsfragen zusammenhängen kann –, Finanzierungsfragen und geringe Unterstützung durch die eigene Hochschule.

Die Studienabbrecher-Zahlen in Bachelor-Studiengängen sind zum Teil zu hoch: Die Fachhochschulen hatten 2006 eine Abbrecherquote von 39%; 2010 war sie auf 19% gesunken, weil die Studienstruktur optimiert worden ist. Die Universitäten hatten 2010 über alle Fächer hinweg eine Abbrecherquote von 35% (bei den Diplom-Studiengängen 24%); auch hier besteht also akuter Handlungsbedarf. Die Bargel-Studie hat dabei gezeigt, dass der Studienabbruch in starkem Maße von der Betreuung in den Fachrichtungen abhängt; eine gelungene Strukturierung des Studienaufbaus kann helfen, den drohenden Studienabbruch abzuwenden. Was folgt aus diesen Betrachtungen? Die Kritik an den Bachelor-Studiengängen ist nur in Teilen berechtigt. Die Hochschulen in Deutschland leisten auch aus der Sicht der meisten Studierenden gute Arbeit. Allerdings müssen sie in manchem noch strukturelle Verbesserungen erreichen. Es ist deswegen weder für Studierende und Hochschulen noch für die Wirtschaft hilfreich, den Bachelor herabzusetzen. Vielmehr sollten alle an seiner Weiterentwicklung konstruktiv und auch mit dem Ziel arbeiten, den Studierenden mehr Möglichkeit zum Auslandsstudium zu geben.


DOI: 10.1007/s10273-012-1423-y