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Die Rettungsaktionen der EZB stehen in der Kritik: Es wird befürchtet, dass sie zu steigenden Inflationsraten führen könnten. Die Autoren des Zeitgesprächs sehen diese Gefahr nicht. Vielmehr könne ein gemäßigter Anstieg der Inflation sogar dazu beitragen, die Staatsschulden schneller abzubauen. Die Autoren aus dem DIW sehen hier allerdings die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe als eine gerechtere und transparentere Alternative an.

Geldpolitik als „Krisen-Feuerwehr“ – droht Inflation?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat klargemacht, welchen geldpolitischen Kurs sie fahren will. EZB-Präsident Draghi kündigte an, dass die Geldpolitik „im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun (wird), um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir – es wird ausreichen.“1 Noch hat Draghi offen gelassen, wie genau eine konzertierte Aktion von EZB und dem künftigen Euro-Rettungsschirm ESM für den Ankauf von Staatsanleihen aussehen wird; allein die Ankündigung dürfte kaum ausreichen. Ebenso unklar bleibt, welche Bedingungen von überschuldeten Euroländern zu erfüllen sein werden, um Hilfen zu bekommen. Aber zweifelsfrei ist, dass die EZB bereit ist, kurzfristig die Rolle des Euro-Retters zu spielen. Sogar öffentlich kommunizierte Zinsobergrenzen für die Krisenländer stehen zur Diskussion. Damit stellt sich die Frage, welche Folgen mit einer expansiven Geldpolitik der EZB zu erwarten sind. Und mehr noch, ob sie zur Lösung der Krise überhaupt taugt.

Deutsche versus angelsächsische Perspektive

In Deutschland reagieren viele Entscheidungsträger verständnislos, bisweilen verärgert auf die geldpolitische Offensive der EZB. Als „Vermögensvernichtungswaffe“, „Inflationsmaschine“ oder „Lizenz zum Gelddrucken“ wird die EZB-Politik kritisiert.2 Die Absicht der EZB, mit frisch gedrucktem Geld den Krisenländern, die von privaten Gläubigern keine neuen Kredite mehr erhalten, um alte Schulden zu refinanzieren, vor der Staatsinsolvenz zu bewahren, sei das Ende der Geldwertstabilität. Damit würde das politische Stabilitätsversprechen für den Euro, das zu Beginn der Währungsunion gegeben worden war, gebrochen.

Die deutsche Erwartung entspricht dem monetaristischen Lehrbuch. Demgemäß ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Ausweitung der Zentralbankgeldmenge über das Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts hinaus zwangsläufig zu einer inflationären Entwicklung führen müsse. Die Kosten von Inflation – insbesondere hoher und volatiler Inflationsraten – sind bekannt: vielfältige Umverteilungswirkungen (beabsichtigte wie unbeabsichtigte), verzerrte Allokationsentscheidungen bis hin zu der Gefahr von sich selbst beschleunigenden, kaum kontrollierbaren Inflationsprozessen.

Für die (angelsächsische) Sicht wird gerne das Konzept der optimalen Inflationsrate verwendet.3 Demgemäß kann Inflation auch zu positiven makroökonomischen Effekten führen. Erstens ergibt sich aus der Geldschöpfung für die öffentlichen Haushalte die Möglichkeit, Einnahmen zu generieren, die dann als Alternative zur Kreditaufnahme oder Steuern dienen (Seigniorage). Zweitens können negative Realzinsen zu einem wirkungsvollen Instrument einer Stabilisierungspolitik werden. Und drittens lässt sich die mit Inflation verbundene Geldillusion dazu nutzen, um bei nach unten rigiden Nominallöhnen (was in der Realität wohl häufig der Fall ist) dennoch Reallöhne senken zu können oder – wie in der aktuellen Krise – Nominalschulden real zu entwerten. Betrachtet man die derzeitige Krise als seltenes Ereignis, gehen von der (einmaligen) Erzeugung von Inflation unter Umständen keine Zeitkonsistenzprobleme für die Geldpolitik aus. Bei permanenter Akkommodierung dürften sich die Inflationserwartungen jedoch schnell anpassen.

Fasst man die geldpolitische Kontroverse zusammen, zeigt sich, dass Inflation aus deutscher Perspektive „Sand im Getriebe“ der Volkswirtschaft darstellt, nach angelsächsischem Verständnis jedoch als „Schmieröl“ wirkt.4 Beide Sichtweisen müssen nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen: „Wegen rigider Nominallöhne und der Zinsuntergrenze mag bei niedrigen Inflationsraten ein bisschen mehr Inflation als Schmieröl wirken; steigt die Inflation aber stark genug an, bringt sie Sand ins Getriebe.“5

Olivier Blanchard, damals Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), benutzte im Februar 2010 die Ideen des Konzepts der optimalen Inflationsraten für einen konkreten Vorschlag einer künftigen EZB-Politik. Seine Erkenntnis aus der Finanzmarktkrise, die sich zu einer Staatsschuldenkrise entwickelte, formulierte er in der Frage: „Should policymakers therefore aim for a higher target inflation rate in normal times, in order to increase the room for monetary policy to react to such shocks? To be concrete, are the net costs of inflation much higher at, say, 4 percent than at 2 percent, the current target range? Is it more difficult to anchor expectations at 4 percent than at 2 percent?“6 Als Reaktion auf den Vorschlag von Blanchard entbrannte eine heftige Diskussion über Ursachen und Folgen, sowie Vor- und Nachteile einer expansiven Geldpolitik, die auch zu höheren Inflationsraten führen könnte.7 Eine neue Studie des IWF gibt eher den Gegnern als den Befürwortern höherer Inflationsraten recht. Offenbar gilt nach der Finanzmarktkrise, was auch vorher richtig war, nämlich dass „an increase in inflation targets gives rise to additional welfare costs, even after the extra room to maneuver above the zero lower bound for nominal policy rates is taken into account.“8

Gegner einer allzu expansiven Geldpolitik wenden schließlich ein, dass die lockere Geldpolitik der Federal Reserve Bank in der Vergangenheit – mit Blick auf die US-Immobilienblase – selbst eher eine Ursache von Instabilität gewesen sei und es paradox wäre, sie zur Bekämpfung ihrer Folgen fortzusetzen. Diese Sicht folgt der Österreichischen Überinvestitionstheorie: Werde der Geldzins unterhalb des Wicksell’schen „natürlichen Zinssatzes“ gesenkt, würden mehr Investitionen (vor-) finanziert als durch Ersparnis real zur Verfügung stünden. Es komme nicht nur zu Inflation, sondern durch ein solchermaßen „erzwungenes Sparen“ zu einer Überinvestition und zu einem makroökonomischen Ungleichgewicht zwischen Investition und Konsum. Überkapazitäten würden aufgebaut und führten zur Krise, in der eine Bereinigung stattfinde und stattfinden müsse, um die schlechten von den guten Investitionen zu trennen. Eine expansive Geldpolitik würde in dieser Situation folglich nur die notwendigen Anpassungen verzögern und womöglich neue Krisen verursachen.9

Es ist allerdings unklar, ob eine expansive Geldpolitik wirklich zu Blasen auf Vermögensmärkten führt. Im Fall der US-Immobilienblase hat tatsächlich erst ein staatliches Wohneigentumsprogramm der Regierung Clinton die reichliche Liquidität in bestimmte Märkte gelenkt – vor allem in das Subprime-Segment – und so zu Entstehung der Blase beigetragen. Umgekehrt ist genauso zweifelhaft, ob Geldpolitik über die Instrumente verfügt, Blasen überhaupt zuverlässig zu identifizieren, und mehr noch, ob sie über eine angemessene Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität hinaus die Entstehung von Blasen überhaupt gezielt bekämpfen sollte.10

Historisch wurde „politische Inflation“ von Regierungen oft dazu genutzt, durch Inflation Schulden real zu entwerten und Ressourcen zu sich umzulenken. Sowohl das Steuermonopol als auch das Geldausgabemonopol lagen beim Staat. Oftmals war es weniger problematisch, Staatsschulden durch Inflation als durch Steuern zu „finanzieren“. Eine unabhängige Zentralbank soll diese Art der Schuldenfinanzierung eigentlich institutionell ausschließen. Die neuen Diskussionen um eine Ausstattung des europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) mit einer Banklizenz, die den Staaten dauerhaften (und unbegrenzten?) Zugriff auf EZB-Kredite gewähren könnten, weisen auf genau diesen Zusammenhang hin.

Es bleibt aber die Frage, ob „ein wenig mehr“ Inflation nicht dennoch dazu beitragen kann, die Krise zu lösen. Offenbar hat es bislang wenig gebracht, die Kosten der Krise von den Banken und privaten Gläubigern auf die Staaten abzuwälzen, letztlich eine Bankenkrise nur durch eine Staatsschuldenkrise zu ersetzen. Am Ende müssen die Kosten der Krise so oder so getragen werden. Entscheidend ist wohl, wie diese Kosten tragfähig für alle zu verteilen sind. Ein historisch gut belegter Ansatz, Kosten gleichmäßiger und – so womöglich die Hoffnung – schleichender und deshalb unbemerkt zu verteilen, ist die Erzeugung höherer Inflation.

Geldmenge und Inflation

Über den allgemeinen Zusammenhang von Geldmengenwachstum und Inflation gibt es eine Reihe von empirischen Arbeiten. Die Evidenz ist jedoch uneinheitlich. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Zusammenhang der Quantitätsgleichung erstens nur langfristig und zweitens bei eher hohen Inflationsraten gilt.11 Vor diesem Hintergrund bleiben in der aktuellen Kontroverse über die künftige Ausrichtung der EZB-Geldpolitik jenseits ideologischer Debatten nach wie vor einige Fragen offen. Die wichtigste lautet, ob die Krisenpolitik der EZB in Konflikt zum Ziel der Preisniveaustabilität steht. Die EZB ist in der Krise verstärkt zu unorthodoxer Geldpolitik übergegangen; sie hat Staatsanleihen der Krisenländer auf dem Zweitmarkt aufgekauft und längerfristige Refinanzierungsgeschäfte getätigt, die in „normalen“ Zeiten eher unüblich sind. Die EZB hat in zwei Tenderausschreibungen am 22.12.2011 und am 1.3.2012 rund 1 Billion Euro zu einem Zinssatz von 1% über drei Jahre an Geschäftsbanken des Euro-Systems zugeteilt. Zuletzt hat die EZB den Einlagezins, das ist der Zinssatz, zu dem die Geschäftsbanken Reserven bei der Zentralbank halten können, auf 0% gesenkt, damit die Geschäftsbanken das Geld nicht als Überschussreserve halten, sondern den geldpolitischen Impuls auch über die Kreditvergabe weitergeben.

Mittelfristig ist eine Inflationsgefahr dennoch nicht zu erkennen. Im Euroraum sind die Kapazitäten unterausgelastet, das Wirtschaftswachstum ist schwach, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die private Konsumnachfrage verläuft schleppend und der Staat wird über Jahre die öffentlichen Haushalte konsolidieren müssen. In einem derart rezessiven Umfeld ist das Entstehen einer unkontrollierbaren Lohn-Preis-Spirale wenig wahrscheinlich. Eher drohen deflationäre Tendenzen. Eine Ausweitung der Geldbasis wäre also zurzeit kaum inflationswirksam. Größere Risiken gehen derzeit eher von einer möglichen Vermögenspreisinflation und der Entstehung von neuen Preisblasen aus. Steigende Aktienkurse, Rohstoff- und Edelmetall- sowie Immobilienpreise deuten auf eine Flucht in Sachwerte hin – getrieben durch die Sorge auf langfristig ansteigende Inflation.

Restriktive Geldpolitik lässt sich zudem – anders als eine expansive Geldpolitik – immer durchführen. Die EZB hat jederzeit die Möglichkeit, die momentan zusätzlich geschaffene Liquidität wieder abzuschöpfen und so den Ankauf von Staatsanleihen zu „sterilisieren“. Sie kann entweder weniger Kredite an Banken verleihen. Oder sie offeriert Banken einen so attraktiven Zins für Termineinlagen, dass das Zentralbankgeld über diesen Kanal gleich wieder an die EZB zurückfließt. In beiden Fällen steigt die Geldbasis nicht. Und somit erhöht sich auch das Inflationsrisiko nicht. Genau dieser Strategie ist die EZB bislang gefolgt.12 Nicht weniger als Inflation fürchten Zentralbanker Deflation. Zurzeit scheint daher eine betont expansive Geldpolitik das geringere Risiko zu sein. Auch im Euroraum könnte es bei einer erneuten Rezession eher wieder zu Deflationsrisiken kommen. In diesem Fall wäre der Einsatz unkonventioneller Instrumente der EZB auch nach monetaristischer Orthodoxie dringend angezeigt.

Geringe Kreditschöpfung der Geschäftsbanken

Und selbst ein Anstieg der Geldbasis führt nicht notwendigerweise zu Inflation. Das Geldangebot weitet sich endogen durch Kreditschöpfung der Geschäftsbanken aus. Voraussetzung für eine steigende Geldmenge ist daher neben einer entsprechenden Kreditnachfrage die Bereitschaft der Banken, Kredite zu vergeben.13 Entscheidend ist daher, mit welchem Multiplikator der Finanzsektor auf die zusätzlich von der EZB bereit gestellte Liquidität reagiert. Und hier zeigt sich momentan keine Gefahr. Die Geldmenge M3 ist im Sommer 2012 gegenüber dem Vorjahr weniger als 3% gewachsen.14 Als Orientierungsgröße gilt ein Referenzwert von jährlich 4,5%. Offenbar deponieren Banken das von ihnen bei der EZB ausgeliehene Geld lieber wieder bei der EZB, statt es zur Kreditschöpfung zu verwenden. Das Inflationspotenzial zusätzlicher Liquidität wird zurzeit auch durch die gestiegene Geldnachfrage reduziert, weil in Krisen bei niedrigen Zinsen und hoher Unsicherheit die Geldhaltung zunimmt.15 Die Frage wird jedoch sein, wie schnell die EZB die ausgeweitete Liquidität wieder abschöpfen kann, wenn die Konjunktur wieder anzieht und es zu einer Normalisierung der Geldnachfrage und des Geldschöpfungsmultiplikators kommen sollte.

Und schließlich ist die Kausalität von Geldmengenwachstum und Inflation heutzutage nicht mehr so eindeutig wie das in früheren Zeiten der Fall gewesen ist. Die geldpolitischen Transmissionskanäle in einer global hochgradig verflochtenen Weltwirtschaft mit freiem Kapitalverkehr folgen anderen Mechanismen als in historischen Zeiten der stärker geschlossenen Volkswirtschaften.16 Deshalb sind Zweifel angebracht, ob die Erfahrungen der 1920er Jahre sich auf die heutige Zeit übertragen lassen. Historisch betrachtet, hatte hohe Inflation häufig eng mit dem jeweiligen Wechselkursregime zu tun, wie z.B. in den Zeiten des Goldstandards oder von Bretton Woods, als nationale Geldpolitik fixierte Wechselkurse durch Interventionen am Devisenmarkt stützen musste, was zu entsprechenden Veränderungen der heimischen Geldbasis führte.

Nicht-optimaler Währungsraum

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen geht es bei der derzeitigen Diskussion der EZB-Politik entscheidend um die Frage, ob der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB einen einmaligen Akt der Krisenbekämpfung – und insoweit eine begründete Ausnahme darstellt. Oder ob die EZB am Anfang einer dauerhaften „Reparaturfunktion“ steht, bei der die EZB die strukturellen Defizite des Euroraums permanent akkommodieren muss, um ein Auseinanderbrechen zu verhindern. In diesem Fall hätte eine Intervention der EZB weitreichende Implikationen für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik: Sie markierte den Übergang von einer regelgebundenen zu einer stärker diskretionären Geldpolitik, der die Aufgabe zufiele, einen nicht-optimalen Währungsraum fallweise zu stabilisieren. Eine solche Rolle der Geldpolitik könnte – so die Befürchtung – den notwendigen Konvergenzprozess der Euroländer zu einem optimalen Währungsraum verschleppen, weil sie den Reformdruck auf die Krisenländer reduzierte. Die Folge wären steigende Inflationserwartungen, weil sich die Länder dann nur äußerst „weichen Budgetrestriktionen“ gegenübersähen. Insoweit dürfen die kurzfristigen Hilfen nicht in Konflikt zu langfristigen Konvergenzzielen geraten. Sie könnten anreizkompatibel ausgestaltet werden, indem sie formal beim ESM beantragt werden mit der expliziten Bereitschaft, den Reformprozess überwachen zu lassen.

Die Forderung nach einer aktiveren Rolle der EZB gründet auf der Einschätzung, dass es sich bei der Eurokrise vornehmlich um eine Vertrauenskrise handelte und die gestiegenen Marktzinsen für Staatsanleihen nicht fundamental gerechtfertigt seien, sondern das Ergebnis einer Marktpanik darstellten. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die derzeitigen Probleme im Euroraum die Folgen eines nicht-optimalen Währungsraums sind, in dem es keine hinreichenden realen Anpassungs- und Ausgleichsmechanismen zum Abbau interner Ungleichgewichte in Form von Leistungsbilanzdefiziten und -überschüssen gibt. Ist der Befund richtig, dass die derzeitige Staatsschulden- und Zahlungsbilanzkrise die Folge eines nicht-optimalen Währungsraums ist, dann ist nicht von einer temporären Intervention der EZB, sondern von einer dauerhaften „Reparaturfunktion“ auszugehen, in der die EZB quasi-fiskalische Aufgaben übertragen bekäme. Mit dem Ankauf von Staatsanleihen werden interne Ungleichgewichte abgebaut, indem nicht mehr tragfähige Staatsschulden monetisiert und indirekt Leistungsbilanzdefizite finanziert werden, etwa über die Target2-Salden oder eine Umverteilung von Reserven zwischen nationalen Bankensektoren.17 Neben steigender Inflation bedeutete eine solche Geldpolitik zudem einen impliziten Umverteilungsmechanismus.

Zur zukünftigen Rolle der EZB

Nicht zuletzt aufgrund des Einflusses der Deutschen Bundesbank war die bisherige Geldpolitik der EZB stabilitätsorientiert. Damit war es gelungen, die Reputation der Bundesbank institutionell auf die EZB zu übertragen. Die US-amerikanische Fed dagegen gilt seit jeher als stärker pragmatisch auf die allgemeine makroökonomische Situation hin orientiert. Historisch ist das Trauma der USA die hohe Arbeitslosigkeit in der Zeit der Großen Depression; das Trauma der Deutschen ist die Hyperinflation der 1920er Jahre; psychopolitisch wirken beide (im Kern unterschiedlichen) Traumata einmal in Europa und anders begründet in den USA bis heute fort.

Betrachtete man den Euroraum als „große“ Volkswirtschaft, dann könnte auch die EZB dazu übergehen, nach dem Vorbild der Fed stärker Beschäftigungsziele zum Gegenstand der Geldpolitik zu machen. Die Fed jedoch agiert – und das ist der entscheidende Unterschied zur EZB – in einem der Situation eines optimalen Währungsraums eher entsprechenden Umfeld und somit unter einem anderen institutionellen Setting. Die EZB ist gehalten, im Euroraum eine stark regelgebundene Politik zu betreiben, da sie andernfalls in den Konflikt asymmetrischer Interessen von Ländern geraten kann.

Die normative Frage, was Geldpolitik tun sollte, hängt umgekehrt an der theoretisch-positiven Frage, was Geldpolitik überhaupt zu tun vermag. Abgesehen von kurzfristigen Stabilisierungswirkungen, die Geldpolitik unbestritten hat, kann sie langfristig nicht permanent reale Anpassungsprozesse akkommodieren, ohne dabei Inflation zu erzeugen. Aus diesem Grund ein „Ja“ zu einer aktiveren Rolle der EZB zur Lösung einer akuten Vertrauenskrise, jedoch ein ebenso klares „Nein“ zu einer Geldpolitik als Ersatz für strukturelle Konvergenz der Euroländer auf dem Weg zu einem optimalen Währungsraum. Im Gegenteil: Es wäre Aufgabe der Politik, mit entsprechenden Konvergenzvorkehrungen die EZB vor einer Rolle zu schützen, die sie letztlich nicht erfüllen kann. In der akuten Krise, auf die die Politik institutionell nicht angemessen vorbereitet war und infolgedessen nicht hinreichend handlungsfähig ist, musste und muss wohl die EZB ihren Beitrag leisten, langfristig ist sie davor dringend zu bewahren – andernfalls drohte tatsächlich Inflation.

  • 1 Zitiert nach http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/zinsentscheidung-ezb-verzichtet-auf-zinssenkung-a-847856.html (8.8.2012)
  • 2 Vgl. verschiedene Urteile in Welt-Online vom 1.8.2011, http://www.welt.de/print/die_welt/article108430284/Berlin-gegen-Lizenz-zum-Gelddrucken.html (8.8.2012); und ebenso R. Brüderle: Keine Lizenz zum Gelddrucken erteilen, in: Thüringer Allgemeine Zeitung vom 6.8.2012, http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Der-Gastkommentar-Keine-Lizenz-zum-Gelddrucken-erteilen-343089707 (8.8.2012).
  • 3 Zum Konzept der optimalen Inflationsrate siehe S. Schmitt-Grohé, M. Uríbe: The Optimal Rate Of Inflation, in: B. M. Friedman, M. Woodford (Hrsg.): Handbook of Monetary Economics, San Diego, Amsterdam 2011, Vol. 3B, Chapter 13, S. 653-722.
  • 4 Die Metapher stammt aus O. Blanchard, G. Illing: Makroökonomie, München 2004, 3. Aufl., S. 745.
  • 5 Ebenda, S. 745.
  • 6 O. Blanchard, G. Dell’Ariccia, P. Mauro: Rethinking Macroeconomic Policy, IMF Staff Position Note SPN/10/03, Washington DC, 12.2.2010, S. 11.
  • 7 Vgl. für die Gilde der Befürworter P. Krugman: The Case For Higher Inflation, http://krugman.blogs.nytimes.com/2010/02/13/the-case-for-higher-inflation/ (8.8.2012).
  • 8 E. B. Yehoue: On Price Stability and Welfare, IMF Working Paper WP/12/189, Washington DC, Juli 2012, Abstract und S. 4.
  • 9 Bei Keynes hingegen ist Geldpolitik ein Stabilisierungsinstrument und der Zins keine reale, sondern eine monetäre Größe. Bei Unterbeschäftigung kann die Zentralbank den Zins senken, um die Investitionsnachfrage zu stimulieren. Investitionen sind bei Unterauslastung der Kapazitäten nicht nur durch die Höhe der Ersparnis beschränkt, sondern können sich durch Ausweitung der Produktion ihre Ersparnis selbst „schaffen“.
  • 10 Vgl. B. Bernanke: Asset-Price Bubbles and Monetary Policy, Remarks by Governor Ben S. Bernanke, 15.10.2002.
  • 11 Vgl. P. Teles, H. Uhlig: Is Quantity Theory Still Alive?, CEPR Discussion Paper, Nr. 8049, 2010.
  • 12 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Verantwortung für Europa wahrnehmen, Jahresgutachten 2011/12, Wiesbaden 2011, S. 107.
  • 13 Die Vorstellung eines weitgehend endogenen Geldangebots wird in der postkeynesianischen Theorie verfolgt.
  • 14 Europäische Zentralbank: Monatsbericht Juli 2012, Frankfurt a.M., S. 17.
  • 15 Vgl. M. Faig, B. Jerez: Precautionary Balances and the Velocity of Circulation of Money, in: Journal of Money, Credit and Banking, 39. Jg. (2007), H. 4, S. 843-873, die interessanterweise für die USA bereits für 2004 einen deutlichen Rückgang der Geldhaltung aus dem Vorsichtsmotiv finden, was der Blasenbildung auf dem US-Immobilienmarkt zusätzlich Vorschub geleistet haben dürfte.
  • 16 Als Stichwörter seien hier „Carry Trades“ oder „Off-shore Banking“ genannt.
  • 17 Zur Diskussion siehe H.-W. Sinn, T. Wollmershäuser: Target Loans, Current Account Balances and Capital Flows: The ECB’s Rescue Facility, NBER Working Paper, Nr. 17626, 2011.

Kommunikationsprobleme unkonventioneller Geldpolitik

Prominente US-Ökonomen haben die Politik der japanischen Zentralbank in der Phase der Stagnation heftig als zu passiv kritisiert. Die aktuelle Politik der US-amerikanischen Notenbank scheint aber in mancher Hinsicht fast eine Kopie der Strategie in Japan zu sein – eine Folge hoher Unsicherheit über die angemessene Kommunikationsstrategie. Die explizite Steuerung des nominalen BIP könnte einen Ausweg weisen.

Nach dem Platzen der Immobilien- und Aktienblase geriet die japanische Wirtschaft Anfang der 1990er Jahre in eine lang anhaltende Stagnationsphase. Obwohl die Zentralbank den Leitzins von 8% schließlich bis auf Null senkte, kam es zu keiner Erholung. Zehn Jahre später – nach der ersten „verlorenen Dekade“ – kritisierte Milton Friedman1 die Politik der japanischen Notenbank auf einem Festvortrag der Bank of Canada scharf: „Das Beispiel Japans zeigt, wie unzuverlässig Zinsen als Indikator für eine angemessene Geldpolitik sind. Die japanische Zentralbank betrieb eine Nullzinspolitik. Aber diese Nullzinspolitik ist Zeichen einer extrem restriktiven Geldpolitik. Japan steckte effektiv in einer Phase der Deflation. Der Realzins war positiv, nicht negativ. Was Japan brauchte war zusätzliche Liquidität… 1989 geriet Japan in eine Rezession und verharrt seitdem darin. Das Wachstum der Geldmenge war zu niedrig. Das Argument der japanischen Zentralbank ist: ‚Nun, wir haben die Zinsen ja schon auf Null gesenkt – was sollen wir denn noch tun?‘ Die Antwort ist ganz einfach: Sie können langfristige Staatsanleihen kaufen, und sie können dies so lange fortsetzen, bis die steigende Geldbasis die Wirtschaft wieder in Schwung bringt. Was Japan braucht ist eine expansivere Geldpolitik.“

Die Entwicklung in Japan führte eindringlich die Grenzen konventioneller Geldpolitik vor Augen, sobald der Leitzins an die Untergrenze von Null stößt. In normalen Zeiten ist die geldpolitische Steuerung über Nominalzinsen sehr effektiv: Solange die Inflationserwartungen stabil bleiben, senken niedrigere Nominalzinsen den Realzins. Antizyklische Zinssteuerung kann die Wirtschaftsaktivität in einer Rezession stimulieren und im Boom dämpfen. Als Transmissionsmechanismen dienen der Zinskanal (zur Stimulierung privater Investitionen, aber auch privaten Konsums) sowie der Wechselkurskanal (durch die induzierte Abwertung wird der Nettoexport stimuliert). Aus Sicht liberaler Ökonomen ist die Zinssteuerung ein ideales Stabilisierungsinstrument – nicht zuletzt deshalb, weil sie verteilungsneutral ist: Sie greift nicht in den Mechanismus der Bestimmung relativer Preise ein und lässt den Marktkräften so freien Raum. Die privaten Akteure können selbst frei entscheiden, welche Art von Investitionen sie tätigen wollen; keine staatlichen Vorgaben schreiben vor, in welchen Sektoren die Nachfrage gestützt werden sollte.

In der Liquiditätsfalle

Schon Keynes2 hatte in seiner General Theory jedoch die Wirkungslosigkeit traditioneller Geldpolitik in einer Liquiditätsfalle postuliert. Er plädierte dafür, unter solchen Bedingungen stattdessen Fiskalpolitik als wirkungsvolles Stabilisierungsinstrument zu nutzen. Lange Zeit wurde das Argument der Liquiditätsfalle jedoch nur als theoretisches Kuriosum angesehen. Es habe für die realen Herausforderungen makroökonomischer Politik so gut wie keine Relevanz; zudem mangele es an überzeugender mikroökonomischer Fundierung. Die Erfahrung mit der Zinsuntergrenze in Japan machte schlagartig klar, dass dies eine Fehleinschätzung war.

Die niedrigen Zinsen dort wurden von vielen in der Öffentlichkeit, ja selbst in Kreisen der japanischen Zentralbank lange als Indiz einer extrem expansiven Politik gewertet, die hohe inflationäre Gefahren berge. Die Zentralbank betonte deshalb bewusst immer wieder, dass sie die Zinsen wieder anheben werde, sobald die Inflationsrate auch nur moderat ansteigen sollte. Milton Friedman erkannte dagegen, dass die niedrigen Zinsen keineswegs Inflationsgefahren mit sich bringen, sondern angesichts deflationärer Tendenzen eher als Indiz einer zu restriktiven Geldpolitik zu deuten sind. Geleitet von seiner Analyse der Fehlentwicklungen der Geldpolitik während der Depression der Dreißiger Jahre plädierte er deshalb für einen Wechsel zur bewussten Ausdehnung der Geldbasis (einer Politik quantitativer Lockerung), um die Geldmengenaggregate im privaten Sektor zu stabilisieren.

Kurz nach den Äußerungen Friedmans wechselte die Zentralbank von Japan in der Zeit von 2001 bis 2006 tatsächlich zu einer Politik mit quantitativen Vorgaben zur Ausdehnung der Geldbasis. Sie weitete in dieser Zeit ihre Bilanz um ca. 75% aus – fast durchwegs durch den Ankauf von Staatspapieren. Mit den ersten Zeichen einer Erholung wurde die Ausweitung der Geldbasis 2006 dann aber wieder rasch rückgängig gemacht. Trotz der massiven Ausweitung der Geldbasis ist das nominale BIP im gesamten Zeitraum so gut wie gar nicht angestiegen.

Die Wirksamkeit einer solchen Strategie ist theoretisch stark umstritten. Keynes argumentierte bereits 1936, dass eine reine Ausweitung der Geldbasis keine realen Effekte bringen wird, sobald der private Sektor mit Liquidität gesättigt ist. Paul Krugman3 hat den Kern des Problems in einem einfachen dynamischen Makromodell untersucht: Sobald die Zinsuntergrenze erreicht ist, kann der Realzins nur dann sinken, wenn die Zentralbank bereit ist, das Preisniveau zukünftig ansteigen zu lassen. Dies setzt zumindest über einen gewissen Zeitraum hin ansteigende Inflationserwartungen voraus. Entsprechend der Fisher-Gleichung ergibt sich der Realzins ja aus der Differenz zwischen Nominalzins und erwarteter Inflationsrate.

Bewusste Inflationspolitik

Gelingt es dagegen nicht, rückläufige Inflationserwartungen zu stabilisieren, droht die Gefahr einer deflationären Spirale. Eggertsson und Krugman4 liefern in einem neo-keynesianischen Ansatz eine mikro-ökonomische Fundierung des zugrunde liegenden Mechanismus. Sie modellieren den Teufelskreislauf zwischen rückläufigen Preisen und der daraus steigenden realen Zinsbelastung der Schuldner, den bereits Irving Fisher5 1933 als zentrale Ursache der Großen Depression identifizierte. Der Druck zum raschen Abbau der Schulden (Deleveraging) löst einen Rückgang der Nachfrage der Schuldner aus. Diesen Rückgang würden die Gläubiger nur dann ausgleichen, wenn fallende Realzinsen es attraktiver machen, heute schon zu konsumieren. Können aber die Realzinsen nicht gesenkt werden, kommt es auch gesamtwirtschaftlich zu einem Nachfrageausfall. Er verschärft das Problem weiter und droht einen deflationären Prozess auszulösen. Eine bewusste Politik höherer Inflationsraten könnte diesen fatalen Prozess stoppen.

Der Anstieg der Inflationsrate bewirkt einen Umverteilungseffekt zwischen Gläubigern und Schuldnern. Dieser Effekt bringt aber unter diesen Bedingungen für alle Beteiligten Vorteile, weil so individuell nominal fest vereinbarte Kontrakte an veränderte makroökonomische Bedingungen angepasst werden. Genauso wie starre Löhne und Preise reagieren ja in der Vergangenheit vereinbarte Nominalzinsen nicht auf gesamtwirtschaftliche Schocks. Für den einzelnen Kreditgeber erscheint es individuell nicht rational, einer effektiven Reduktion der Zinsbelastung zuzustimmen. Aber auch alle Gläubiger wären insgesamt besser gestellt, wenn durch einen leichten Anstieg der Inflation verhindert wird, dass die stark steigende Realschuldbelastung die Schuldner in den Bankrott treibt und so die Produktion weiter einbrechen lässt.

Eine Politik, die ankündigt, für eine gewisse Zeit bewusst leicht steigende Inflationsraten zuzulassen, steht jedoch vor dem Problem, dass solche Ankündigungen nicht glaubwürdig sind. Am einfachsten lässt sich das für den Fall illustrieren, dass der kurzfristig angemessene Realzins negativ ist – ein plausibles Szenario während des Deleveraging-Prozesses, wenn überschuldete Haushalte versuchen, ihre hohe Verschuldung abzubauen. Sobald der Nominalzins einmal bei Null verharrt, kann der Realzins nur dann sinken, wenn die Inflationserwartungen ansteigen. Die privaten Akteure müssten also davon überzeugt werden, dass die Zentralbank bereit ist, einen Anstieg des Preisniveaus zu tolerieren und diesen auch später nicht rückgängig zu machen. Sobald sich die Wirtschaft jedoch von der Stagnationsphase erholt hat, verändern sich die Anreize der Zentralbank fundamental. Dann wird sie versuchen, wieder für Preisstabilität zu sorgen und damit von ihrer ursprünglichen Ankündigung abweichen. Diesen Anreiz antizipierend, zweifeln die privaten Akteure von vorneherein an ihrer Bereitschaft, eine höhere Inflation zuzulassen.

Die Befürchtung, dass aus Sorge vor drohenden Inflationsgefahren die Stimulierung vorzeitig rückgängig gemacht wird, macht es somit von Anfang an unmöglich, den Realzins zu senken – damit aber verharrt die Wirtschaft in der Stagnation. Die Zentralbank steht vor einem Problem der dynamischen Konsistenz, das genau konträr ist zum traditionellen Konsistenzproblem der Geldpolitik – dem Anreiz, die Wirtschaft durch zu viel Inflation zu stimulieren. Die Tatsache, dass die japanische Zentralbank ihre Ausdehnung der Geldbasis rasch wieder rückgängig gemacht hat, ist eine eindrucksvolle Bestätigung dieser Mechanismen.

Die Auffassung von Bernanke

In der Liquiditätsfalle ist die Welt quasi auf den Kopf gestellt. Krugman6 formulierte provozierend, die Zentralbank müsste eine glaubwürdige Verpflichtung eingehen, „unverantwortlich“ zu handeln. Gerade diese etwas unglückliche Formulierung mag aber durchaus einer der Gründe sein, weshalb Zentralbanken seinem Rat bislang nicht folgen. Auch Ben Bernanke,7 damals Kollege von Krugman an der Universität Princeton, kritisierte die japanische Zentralbank 2002 ebenso heftig wie Milton Friedman. Er skizzierte dabei ausführlich verschiedene Strategien unkonventioneller Geldpolitik, die verhindern könnten, dass zusätzlich bereit gestellte Liquidität nur gehortet wird und damit wirkungslos bleibt.

So zeigte er etwa, dass die Bereitstellung zusätzlicher Liquidität durchaus reale Effekte haben kann, sofern die Zentralbank Risiken übernimmt, die der private Sektor nicht bereit ist einzugehen. In einer Kreditklemme, in der die privaten Märkte dysfunktional sind, kann der Aufkauf riskanter Papiere zur Korrektur verzerrter Marktpreise beitragen. Die Politik des Credit Easing, die die Fed während der Finanzkrise betrieb, folgte genau dieser Strategie; sie versuchte erfolgreich, ineffizient hohe Zinsaufschläge durch gezielte Interventionen zu korrigieren.

In seinem Aufsatz formulierte Bernanke8 aber noch wesentlich weitergehende Überlegungen – wie folgendes Zitat zeigt, das ihm später den Spitznamen „Helicopter Ben“ eingebracht hat: „Die US-Regierung verfügt über eine Technologie, Druckerpresse genannt (bzw. heutzutage das elektronische Äquivalent dazu), die es erlaubt, praktisch ohne Kosten so viele US-Dollar zu drucken wie sie will. Wenn die Menge an im Umlauf befindlichen Dollar ansteigt (ja allein schon durch die glaubwürdige Drohung, so zu handeln) kann die US-Regierung den Wert eines Dollars in Gütereinheiten beliebig reduzieren … und damit für höhere Ausgaben und positive Inflationsraten sorgen.“9

Die Politik der Fed

Ben Bernanke ist sich der Wirksamkeit höherer Inflationsraten in einer Liquiditätsfalle sehr wohl bewusst. Umso mehr hat es viele überrascht, dass er als Notenbankchef in Washington seinem eigenen Rat zumindest bislang nicht gefolgt ist. Im Gegenteil – in mancher Hinsicht scheint die aktuelle Politik der amerikanischen Notenbank nahezu eine direkte Kopie der Strategie der japanischen Zentralbank zu sein: Regelmäßig versprechen die monatlichen Statements des Board of Governors der Fed zwar eine Periode lang anhaltender niedriger Zinsen; sie deuten zugleich aber immer auch an, dass diese Phase rasch beendet würde, sollte die Wirtschaft an Fahrt gewinnen. Zudem wird dabei eintönig immer auch ausdrücklich die Sorge der Fed um die Preisstabilität betont: „Mit dem Ziel, die derzeitige wirtschaftliche Erholung zu fördern und dazu beizutragen, dass die Inflationsrate im Zeitablauf auf einem Niveau bleibt, das mit dem Mandat der Fed vereinbar ist, hat das Gremium heute Folgendes beschlossen … Das Gremium diskutierte verfügbare Instrumente, eine stärkere wirtschaftliche Erholung im Rahmen der Preisstabilität zu fördern.“10

Auf einer Pressekonferenz im April 2012 explizit auf Forderungen angesprochen, das Inflationsziel anzuheben, formulierte Bernanke: „Aus Sicht des Gremiums wäre das höchst unbesonnen. Die Fed hat 30 Jahre Zeit darauf verwendet, Glaubwürdigkeit für eine Politik niedriger und stabiler Inflationsraten aufzubauen. … Es wäre aus meiner Sicht höchst unklug, dieses Kapital aufs Spiel zu setzen für nur sehr zaghafte und vielleicht sogar zweifelhafte Vorteile in der realen Ökonomie.“11

Manche (etwa Laurence Ball12) sehen den Grund für den radikalen Wechsel von Bernanke vom scharfen akademischen Kritiker hin zum Verteidiger einer vorsichtigen Haltung im psychologischen Gruppenzwang, den ein Entscheidungsgremium wie das Board der Fed mit sich bringt. Wesentlich plausibler scheinen aber zwei andere Gründe für die Zurückhaltung zu sein: (1) zum einen die Tatsache, dass unkonventionelle Geldpolitik nahezu zwangsläufig politisch kontrovers ist; ungewohnte Schritte gehen deshalb mit einer Polarisierung einher, die es erschwert, weitgehende Änderungen durchzusetzen;
(2) zum anderen die Fragilität der Erwartungen über die zukünftig betriebene Geldpolitik. Ohne adäquate bindende Mechanismen lässt sich nicht ausschließen, dass selbst ein zeitlich eng begrenzter Anstieg der Inflationsrate als Einstieg in eine „Nuklearoption“ dauerhaft hoher Inflationsraten interpretiert wird und damit die Preisentwicklung außer Kontrolle zu geraten droht.

  • Zu (1): Unkonventionelle Geldpolitik kann sich nicht auf einen bequemen Laissez-Faire-Ansatz beschränken; sie erfordert vielmehr zwangsläufig aktive Eingriffe in den Marktmechanismus. So verlangt die Stützung riskanter Vermögenswerte Einschätzungen darüber, welche Marktpreise verzerrt sind und in welchem Umfang dies zutrifft. Darüber herrschen unvermeidlich kontroverse Ansichten. Dies droht die Zentralbank in ihrem Handeln politisch angreifbar zu machen – die Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik verschwimmt. Es wäre naiv, zu glauben, Geldpolitik könne unter solchen Bedingungen verteilungsneutral agieren. Zwar liegt es gesamtwirtschaftlich durchaus auch im Interesse der Gläubiger, die reale Schuldenbelastung zu mildern, wenn damit stabile Wachstumsbedingungen geschaffen werden. Die Frage aber, wie die Anpassungslasten auf die Beteiligten verteilt werden, birgt heftige Interessenkonflikte. Solche Kontroversen lähmen die Politik und verhindern entschiedene Schritte. Die aus solchen Konflikten folgende Lähmung erklärt zu einem wesentlichen Teil, warum die Erholung in Finanzkrisen nach einem anhaltenden Kreditboom weit länger auf sich warten lässt als in Zeiten normaler Rezessionen. Sie erklärt zudem, warum es Zentralbanken schwer fällt, Änderungen durchzusetzen, die leicht missverstanden werden könnten.
  • Zu (2): Ein beträchtlicher Teil der geldpolitischen Wirkung entfaltet sich über den Erwartungskanal – über den Einfluss auf die Erwartungen der privaten Wirtschaftsakteure. Die Wirksamkeit hängt wesentlich von der eigenen Glaubwürdigkeit ab. Moderne Zentralbankpolitik besteht zu einem großen Teil aus Kommunikationsstrategie. Mit der Abkehr von vertrauten Handlungspfaden angesichts neuer Herausforderungen besteht aber die Gefahr, dass die Erwartungen plötzlich in eine ganz andere Richtung umschlagen. Die Vorteile eines gezielten, zeitlich eng begrenzten Anstiegs der Inflationsrate um wenige Prozentpunkte sind in theoretischen Modellen leicht zu skizzieren. In der Praxis ist aber eine solche Feinsteuerung der Erwartungen nur dann möglich, wenn dabei auf glaubwürdige Bindungsmechanismen zurückgegriffen werden kann. Andernfalls ist die Gefahr hoch, dass die Handlungen von der Öffentlichkeit missverstanden werden. Die Diskussion in Japan liefert ein gutes Beispiel dafür: Wenn niedrige Zinsen oder auch eine starke Ausweitung der Geldbasis als Indiz für eine ultra-lockere Geldpolitik fehlinterpretiert werden, engt dies den Handlungsspielraum für eine angemessene Geldpolitik enorm ein.

Abwarten – eine gefährliche Strategie

Das Paradoxe ist allerdings, dass eine zu vorsichtige Politik gerade Gefahr läuft, die Probleme immer weiter zu verschärfen – je länger abgewartet wird, desto länger zieht sich die Stagnation der Wirtschaft hin; umso gravierender wird letztlich das Problem der Überschuldung. Irgendwann einmal kommt dann der Zeitpunkt, wo ein Wechsel zu mehr Inflation unvermeidlich wird, dann jedoch erfolgt er mit umso heftigerer Wucht. Ken Rogoff13 formuliert zutreffend: „Viele (wenn nicht notwendigerweise alle) Zentralbanken werden letztlich herausfinden, wie sie höhere Inflationserwartungen erzeugen können. Sie werden höhere Inflation als ein Mittel tolerieren müssen, Investoren in Realvermögen zu zwingen, den Schuldenabbau zu beschleunigen und als einen Mechanismus, der eine Abwärtskorrektur der Reallöhne und Preise für Eigenheime ermöglicht. Es ist Unsinn zu behaupten, Zentralbanken seien machtlos und völlig unfähig die Inflationserwartungen zu erhöhen, wie sehr sie es auch versuchen. Im Extremfall können Regierungen Notenbankchefs ernennen, die seit langem für ihre Toleranz gegenüber einer moderaten Inflation einstehen – eine exakte Parallele zur Idee ‚konservative‘ Zentralbanker zur Bekämpfung hoher Inflation einzusetzen.“

Letztendlich droht bei einer Strategie des Abwartens die Gefahr, am Ende der Reihe nach in den schlechtesten beider Welten zu enden: zunächst verharrt die Wirtschaft in einer lang anhaltenden Periode der Stagnation; dann aber kommt es zu einem umso dramatischeren Überschießen genau in die andere Richtung. Zu diesem Zeitpunkt jedoch dürfte es schon zu spät sein, um noch die erhoffte Wirkung zu erzielen. Umso wichtiger wäre ein entschiedener Wechsel hin zu glaubwürdigen Mechanismen, die einen raschen Übergang zu höherem Wachstum bei einem eng begrenzten Anstieg der Inflation ermöglichen.

Seit langem schon propagiert Scott Sumner14 die Strategie der Steuerung des nominalen BIP als ein ideales Instrument genau dafür. In jüngster Zeit gewinnt diese Idee immer mehr Anhänger. Eine Verpflichtung darauf, das nominale BIP wieder auf den Trendpfad vor Ausbruch der Finanzkrise zurückzubringen, ist als Kommunikationsstrategie deshalb attraktiv, weil sie der Öffentlichkeit klare Signale übermittelt. Sie macht zum einen klar, dass die Politik bereit ist, einen kurzfristigen Anstieg der Inflation zu tolerieren. Zum anderen wird aber gleichzeitig ein langfristiger Anker, an dem sich die Politik messen lassen muss, klar definiert. Auf diese Weise könnte es gelingen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von missverständlichen Indikatoren (wie niedrigen Zinsen oder einer massiven Ausweitung der Geldbasis) wegzulenken hin zu einer glaubwürdigen Wachstumsstrategie.

  • 1 M. Friedman: Keynote address to the Bank of Canada, http://www.bankofcanada.ca/wp-content/uploads/2010/08/keynote.pdf.
  • 2 J. M. Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money, Cambridge 1936.
  • 3 P. Krugman: It‘s Baaack: Japan‘s Slump and the Return of the Liquidity Trap, Brookings Papers on Economic Activity, 29. Jg. (1998), S. 137-206.
  • 4 G. B. Eggertsson, P. Krugman: Debt, Deleveraging and the Liquidity Trap: A Fisher-Minsky-Koo Approach, in: The Quarterly Journal of Economics, 127. Jg. (2012), H. 3, S. 1469-1513.
  • 5 I. Fisher: The Debt-Deflation Theory of Great Depressions, in: Econometrica, 1. Jg. (1933), H. 4, S. 337-357.
  • 6 P. Krugman, a.a.O.
  • 7 B. Bernanke: Deflation: Making Sure „It“ Doesn‘t Happen Here, National Economists Club, Washington DC, 21.11.2002.
  • 8 Ebenda.
  • 9 Ebenda.
  • 10 Board of Governors of the Federal Reserve System: FOMC Statement, Pressemitteilungen, 2011/2012.
  • 11 B. Appelbaum: Bernanke on What the Fed Can Do, in: New York Times vom 25.4.2012.
  • 12 L. Ball: Ben Bernanke and the Zero Bound, Working Paper, Johns Hopkins University, 2012.
  • 13 K. Rogoff: Wie lange werden die Zinsen niedrig bleiben?, Blog-Beitrag 2012, Project Syndicat, http://www.project-syndicate.org/commentary/how-long-for-low-rates-by-kenneth-rogoff/german.
  • 14 S. Sumner: Re-Targeting the Fed, in: National Affairs, 9. Jg. (2011), S. 79-96.

Von hohen Staatsschulden und expansiver Geldpolitik zur Inflation? Keine globale Inflations-, aber eine ernsthafte Deflationsgefahr

Die andauernde Krise der Finanzmärkte seit 2008 hat das Thema Inflation trotz miserabler Wirtschaftsentwicklung in die vorderste Front an den Stammtischen gerückt. Bankenrettung durch die Staaten, Staatsanleihekäufe durch die Zentralbanken, milliardenschwere Rettungsschirme für Krisenstaaten und weltweit steigende Staatsschulden nähren die Angst, die Politik könne trotz gegenteiliger Beteuerungen und Schuldenbremsen einen Ausweg aus der Schuldenlast durch hohe Inflation wählen. Kann sie das?

Natürlich beeinflusst die Fiskalpolitik über die Nachfrage, die sie selbst am Markt entfaltet, die Preise von Gütern und Dienstleistungen. Entzieht der Staat dazu durch Besteuerung den Privaten allerdings nachfragewirksame Einkommen, gleicht er zum großen Teil ausgefallene private Nachfrage wieder aus. Verschafft der Staat privaten Haushalten durch Umverteilung finanzielle Mittel, nimmt die Gesamtnachfrage nur in dem Maße zu, wie die Sparquote der Begünstigten niedriger liegt als die der Zahler. Durch Kreditaufnahme finanzierte öffentliche Nachfrage erhöht die Gesamtnachfrage direkt, wenn Verdrängungseffekte auf dem Kapitalmarkt ausgeschlossen werden können, was in der Regel der Fall ist. Aber auch hier hat eine Zunahme der öffentlichen Nachfrage nur dann eine preistreibende Wirkung, wenn die Kapazitäten weitgehend ausgelastet sind. Davon kann derzeit in der gesamten Welt nicht die Rede sein. Spekulativ bedingte Preissteigerungen bei Immobilien, Edelmetallen, Lebensmitteln oder beim Öl haben nichts mit erhöhtem öffentlichen Verbrauch zu tun. Selbst wenn hohe Staatsschulden irgendwann in Steuererhöhungen münden sollten, führt das nicht zu Inflation, weil solche Steuererhöhungen allenfalls einen einmaligen Schub bei den Preisen auslösen.

Das beste Beispiel dafür, dass es einem Staat nicht so einfach gelingt, eine spürbare Preissteigerung zu entfachen, obwohl er das versucht und sich extrem hoch verschuldet hat, ist Japan. Das Land kämpft seit zwei Jahrzehnten mit einer deflationären Entwicklung, die seiner Realwirtschaft massiv schadet, und kann ihr nicht entkommen.1

Expansive Geldpolitik?

Aber bereiten nicht die Notenbanken mit ihrer Niedrigzinspolitik und umfangreichen direkten und indirekten Staatsanleihekäufen die Inflation von übermorgen oder gar die nächste Krise vor? Ging der Finanzkrise 2008 nicht eine übermäßig expansive Geldpolitik der Fed voraus?2 Die Geldpolitik kann nur indirekt Einfluss auf die Inflationsrate nehmen und zwar nur über den „Umweg“ der Realwirtschaft. Einen direkten Einfluss auf die Inflationsrate durch einen wie eng oder weit auch immer geschneiderten „Geldmantel“ für die Realwirtschaft hat die Zentralbank nur in der fiktiven Welt der monetaristischen „Quantitätsgleichung“, die eine Identität ist und deswegen keinerlei kausale Aussage zulässt.3

Der eigentliche Wirkungszusammenhang basiert auf dem Zusammenspiel von kurz- und langfristigen Zinsen einerseits und auf dem Verhältnis von Zinsniveau und Sachinvestitionen andererseits. Ein hohes Zinsniveau verteuert Kredite und dämpft tendenziell die Sachinvestitionstätigkeit. So sinkt die Auslastung im Investitionsgütersektor, was sich nach und nach in einem verlangsamten Wachstum oder sogar in einem Rückgang der Gesamtnachfrage niederschlägt. Das bremst die gesamtwirtschaftliche Preissteigerung. Die kurzfristigen Zinssätze anzuheben, dadurch das Niveau der langfristigen Zinsen nach oben zu schleusen und so einer unerwünschten Inflationsbeschleunigung einen Riegel vorzuschieben, dazu ist die Zentralbank in großen, relativ geschlossenen Volkswirtschaften jederzeit in der Lage. Der Preis dafür sind Verluste in der Realwirtschaft in Form von Arbeitslosigkeit und Realeinkommensrückgängen.

Im Fall einer in die Rezession abgleitenden Realwirtschaft und einer folglich zu niedrigen oder gar negativen Preissteigerungsrate sind allerdings die Möglichkeiten der Geldpolitik begrenzt. Zwar kann die Geldpolitik versuchen, die Investitionsnachfrage durch niedrige kurzfristige Zinsen anzuregen. Das gelingt ihr aber nur, wenn Banken und andere Finanzinvestoren Vertrauen in die Bonität potenzieller Sachinvestoren haben und es solche bei sinkender Auslastung der vorhandenen Kapazitäten überhaupt gibt. Bei generell gedämpften Einkommenserwartungen der privaten Haushalte als wichtigsten Endkunden kann sich aber die gesamte Realwirtschaft in einer Situation befinden, in der zusätzlich und billig zur Verfügung gestelltes Geld keine neue Nachfrage am Markt induziert. Dann geht die Wirkung der Geldpolitik gegen Null.

Und genau mit diesem Szenario kämpft die Weltwirtschaft derzeit. Hohe Arbeitslosigkeit im Gefolge der Finanzkrise drückt die Löhne und damit die Einkommenserwartungen in allen Industrieländern, ohne dass die Arbeitslosigkeit selbst die Folge zu hoher Löhne gewesen wäre. Im Gegenteil: Weltweit waren im Vorfeld dieser Rezession die Lohnsteigerungen hinter dem Verteilungsspielraum (trendmäßiges Produktivitätswachstum plus Inflationsziel) zurückgeblieben und dennoch ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Folge sind eine extrem schwache Konsumnachfrage und eine darniederliegende Investitionstätigkeit.4

Deregulierter Finanzsektor

In der Tat, ein deregulierter Finanzsektor hatte vor der Krise Finanzspekulationsgeschäften mit privatwirtschaftlichem Nullsummen- und gesamtwirtschaftlichem Negativsummencharakter Tür und Tor geöffnet und den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik unterbrochen.5 Geld floss vor allem in spekulationsanfällige Vermögenswerte statt in produktive realwirtschaftliche Aktivitäten. Die daraus entstandenen Preisblasen fraßen sich teilweise in den „normalen“ Preisindex – z.B. bei Heizkosten, Lebensmittelpreisen und Mieten – hinein, was die Geldpolitik nur mit Zinsanhebungen bekämpfen konnte. Das aber traf in erster Linie die Sachinvestoren, die Realwirtschaft und die Arbeitnehmer, während die Akteure an den Finanzmärkten zu einem erheblichen Teil vom Staat gerettet wurden.

Weil es eine wirkliche Re-Regulierung des Finanzsystems nicht gegeben hat, liegt zwar die Realwirtschaft noch immer am Boden, aber die Spekulation mit Immobilien, Rohstoffen und Währungen hat zu alter „Stärke“ zurückgefunden und erneut Vermögenswerte und Preise steigen lassen, die teilweise auf den allgemeinen Preisindex durchwirken und für Verwirrung bei den Inflationsbeobachtern sorgen.6 Doch nicht die Notenbanken und ihre Krisenpolitik sind der Adressat für diese Probleme, sondern die Politik, die offenbar nicht in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass das Geld- und Kreditwesen wieder seine eigentlichen Aufgaben und nur diese wahrnimmt.7

Das Versagen der Politiker beruht nicht nur auf erfolgreichem Lobbyismus der Finanzwelt und fehlender internationaler Kooperation der Wirtschaftspolitik. Es hat vor allem mit dem vorherrschenden Verständnis der Funktionsweise einer Marktwirtschaft zu tun. So wird „Sparen“ immer noch unkritisch als Voraussetzung für Investieren angesehen. Kapitalströme, in die Entwicklungsländer z.B., gelten als uneingeschränkt gut, ganz gleich zu welchem Zweck sie eingesetzt werden. Bei einer solchen Sichtweise ist es unmöglich, im Vorfeld zwischen ungehindertem Strömen von Sparkapital in gesellschaftlich ertragreiche Sachanlagen und den schädlichen Auswüchsen fehlgeleiteter Finanzspekulation als „Investition“ zu unterscheiden.

Ganz anders, wenn Ersparnisse nicht als notwendige Quelle der Investitionstätigkeit angesehen werden, sondern wegen Auslastungsminderung eher als ein Investitionshemmnis. Dann kann und muss man sich uneingeschränkt dafür einsetzen, dass das Geld- und Kreditwesen nur für zwei Dinge zur Verfügung steht: für die Liquiditätsversorgung des normalen Geschäftsbetriebs der Realwirtschaft und für durch Geldschöpfung geschaffene Kredite, mit denen reales gesamtwirtschaftliches Wachstum in Form von zusätzlichen Sachinvestitionen finanziert werden.8 Der beste Weg, Kredite „aus dem Nichts“ in diese Verwendung zu zwingen, ist eine Rückkehr zum Trennbankensystem mit prohibitiv hohen Eigenkapitalvorschriften für spekulative Finanzgeschäfte sowie der Vorschrift, dass Banken, die Kredite vergeben, sie als Forderung in ihren Büchern behalten müssen und nicht weiterverkaufen dürfen, weil sie nur dann das nötige Interesse an Auswahl und Kontrolle der Projekte ihrer Schuldner haben. Zu einer solchen Welt gehören in Verbindung mit den Krediten „aus dem Nichts“ niedrige Realzinsen. Denn die ermöglichen eine wirtschaftliche Dynamik, die zu realen Einkommenszuwächsen führt, von denen alle profitieren, auch die Sparer. Nur aus realen Zuwächsen lassen sich nämlich Zinsen bezahlen, hinter denen nicht heiße Luft, sondern tatsächlich Güter stehen.

In einer wettbewerblich organisierten Marktwirtschaft mit dergestalt regulierten Finanzmärkten spiegeln die Preise für Waren und Dienstleistungen dann in erster Linie die Produktionskosten wider. Da die Lohnkosten für die Gesamtwirtschaft mit Abstand die wichtigsten Kosten sind, hängt die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate maßgeblich von der Entwicklung der Lohnstückkosten ab, also vom Lohnwachstum im Verhältnis zum Produktivitätswachstum. Preise werden weder von der Zentralbank noch von der Fiskalpolitik bestimmt und folglich liegt auch die Veränderungsrate des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus, anders als viele meinen oder befürchten, nicht direkt in den Händen der Fiskal- und Geldpolitik.

Deflationsgefahr

Weil in der EWU alle bislang ergriffenen fiskal- und arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen zur Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den EWU-Ländern auf Deflation hinauslaufen, die USA ganz nahe an einer deflationären Entwicklung sind und Japan noch immer offene Deflation aufweist, gibt es in der globalisierten Wirtschaft und insbesondere in Europa gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft keinerlei Inflationsgefahr, aber ein gefährliches Deflationsrisiko.

Wegen der beschriebenen Asymmetrie der geldpolitischen Wirkungsmöglichkeiten folgt daraus die Notwendigkeit, mit direkter Einkommenspolitik9 und eventuell mit expansiver Finanzpolitik dagegenzuhalten. Doch aus der in Deutschland medial gepflegten Angst vor Hyperinflation und dem so platten wie falschen Glauben, „mehr“ Geld heize immer die Inflation an, erwächst die Weigerung vieler auf die Wählermehrheiten schielender Politiker, bei der Bekämpfung der Eurokrise endlich von der kontraproduktiven Spartherapie zu lassen.

Es ist eben einfacher, mit eingängigen, auf einzelwirtschaftlichem Denken fußenden Erklärungsmustern die Stammtische für sich zu gewinnen, als durch unvoreingenommenes Nachdenken dazuzulernen und sich der öffentlichen Aufklärung in Sachen Makroökonomie zu verschreiben. Der Preis für diese kurzsichtige Haltung wird sehr hoch sein und wieder in erster Linie von den Einkommensschwächeren bezahlt werden müssen.

  • 1 Vgl. R. C. Koo: The Holy Grail of Macroeconomics: Lessons from Japan‘s Great Recession, New York 2008.
  • 2 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Greenspans Geldpolitik war es nicht, in: Wirtschaftsdienst, 88. Jg. (2008), H. 12, S. 805-809.
  • 3 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Das Ende der Massenarbeitslosigkeit, Frankfurt a.M. 2007, S. 165 ff.
  • 4 Vgl. UNCTAD: Trade and Development Report 2012.
  • 5 Vgl. F. Spiecker: Bankengeld oder Zentralbankgeld?, in: FTD Wirtschaftswunder vom 29.4.2009; http://wirtschaftswunder.ftd.de/2009/04/26/friederike-spiecker-bankengeld-oder-zentralbankgeld/ (3.9.2012).
  • 6 Vgl. UNCTAD: Price Formation in Financialized Commodity Markets: The Role of Information, New York, Juni 2011.
  • 7 Vgl. F. Spiecker: Schulden machen, aber richtig, in: Le Monde diplomatique, Juni 2009, S. 8.
  • 8 Vgl. H. Flassbeck, F. Spiecker: Das Ende der ..., a.a.O., S. 233 ff.
  • 9 UNCTAD schlägt in seinem Trade and Development Report 2012 vor, dass Regierungen Lohnleitlinien vorgeben und/oder Signale durch die Dynamik der von ihnen festgelegten Mindestlohnentwicklung an die Tarifpartner aussenden.

Steuergerechtigkeit als Zukunftsinvestition

Für den Abbau der Staatsverschuldung, die in Deutschland inzwischen bei gut 80% des Bruttoinlandprodukts (BIP) liegt, wird in weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Politik zumeist eine Kombination von Wachstum und Einsparungen bei den Staatsausgaben empfohlen. Die nahe liegende Alternative, nämlich Steuererhöhungen, wurde fast 20 Jahre lang nicht ernsthaft diskutiert. Obwohl gezielte Steuererhöhungen zur Rückzahlung von Staatsschulden auch eine Möglichkeit zur Entschuldung durch höhere Inflation ist. Auch über diese Alternative wird in Deutschland praktisch gar nicht diskutiert, obgleich Inflation das „klassische“ Instrument zur staatlichen Entschuldung ist. Aber Hyperinflationen und Währungsreformen nach den beiden verlorenen Weltkriegen sind in Deutschland ein nationales Trauma. Das im internationalen Vergleich hohe Maß an Preisstabilität der letzten Jahrzehnte gilt in Deutschland nach wie vor als erstrebenswert.1

Die Nach- und Vorteile einer erhöhten Inflation im Euroraum werden in den anderen Beiträgen dieses Zeitgesprächs ausführlich diskutiert.2 Im vorliegenden Beitrag wird darauf nur knapp eingegangen. Statt durch eine Inflationierung mit unklaren Verteilungswirkungen und wirtschaftlichen Folgewirkungen werden hier die Möglichkeiten dargelegt, mit gezielten Steuererhöhungen die Staatsschulden geordnet und sozial ausgewogen zu senken. Dabei wird nur kurz auf die Möglichkeiten von Erhöhungen der Einkommen-, Erbschaft- und Grundsteuern eingegangen, intensiver aber auf die Wiedereinführung einer Vermögensteuer sowie vor allem auf die Möglichkeiten und Grenzen einer einmaligen Vermögensabgabe, wie sie im Rahmen des Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurde.

Ausgabensenkungen kein Königsweg

In der breiten Öffentlichkeit und auch bei vielen Meinungsführern und Entscheidungsträgern ist die Vorstellung weit verbreitet, dass es völlig verfehlt sei, die Steuern zu erhöhen oder gar den Staat durch Inflation zu sanieren. Besser solle man die überflüssigen Staatsausgaben zurückführen, die es angesichts der vielfältigen Verschwendung von Steuermitteln reichlich gäbe. Betrachtet man dann aber die Staatsausgaben im Detail und sucht nach konkreten Einsparmöglichkeiten, dann werden umsetzbare Vorschläge rar, die wirklich weiterhelfen. Denn in den öffentlichen Haushaltsplänen findet man keinen Titel „öffentliche Verschwendung“, den man kurzfristig um zweistellige Milliardenbeträge kürzen könnte. Auch die bürgerlichen Parteien, die traditionell für einen schlanken Staat plädieren, machen sich bezeichnenderweise inzwischen gar nicht mehr die Mühe aufzuzeigen, wo konkret gespart werden könnte.

Sicher ist die Staatsbürokratie kein Hort der ökonomischen Effizienz. Sicher ist auch der deutsche Kooperations-Fiskalföderalismus ein Musterbeispiel für ein beachtliches Maß organisierter Verantwortungslosigkeit. Sicher laufen Subventionen schnell aus dem Ruder – wie es derzeit in der Energiepolitik und bei der Familienförderung zu beobachten ist, bei gleichzeitigem Artenschutz für Subventionen aus der Vergangenheit. Aber Verwaltungs- und Föderalismusreformen brauchen viel Zeit, denn die Reformer müssen den mühseligen Kampf mit den staatlichen Leistungsbeziehern und den Bürokraten aufnehmen. Und zügige Subventionskürzungen kosten zunächst eher Geld, denn sie entwerten Investitionen und erhöhen die Arbeitslosigkeit, oft noch regional geballt. Steuerausfälle, sowie höhere Ausgaben für die soziale Sicherung und weitere Ausgleichsmaßnahmen stehen den Einsparungen bei den Subventionen entgegen. Einem langfristigen Nutzen von gezielten Ausgabenkürzungen stehen hohe kurzfristige Kosten gegenüber.

Insgesamt ist die Staatswirtschaft inzwischen besser als ihr Ruf. Bei den viel gescholtenen sozialen Sicherungssystemen hat es schon durchgreifende Reformen gegeben und auch in der Staatsbürokratie ist einiges verbessert worden. Man denke etwa an den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in die „Arbeitsagentur“. Und es gilt nun einmal, dass es Verschwendung in jeder großen Organisation gibt. Viele Beispiele aus Großkonzernen sprechen dafür. Es ist naiv zu glauben, dass der ideale Staat ohne Verschwendung auskommen könnte.

Geld wird es künftig auch kosten, dass im Zuge der Haushaltskonsolidierung der letzten Jahre „Zukunftsinvestitionen“ vernachlässigt wurden. Das deutsche Vorschul- und Bildungssystem ist zunehmend unterfinanziert. Die öffentliche Infrastruktur ist teilweise in einem erbärmlichen Zustand. Energiewende und Klimawandel werden noch viel Geld kosten, von der Eurokrise ganz abgesehen. Spielraum für größere Steuersenkungen gibt es jedenfalls nicht.

Inflation als Ausweg?

Gegen Inflation und für Geldwertstabilität sprechen die unklaren wirtschaftlichen Wirkungen einer „Inflationssteuer“. Sicher ist für die nächsten Jahre keine Hyperinflation wie 1922/1923 zu befürchten, eher eine schleichende Inflation von 4 bis 5 Prozentpunkten. Schon eine solche moderate Inflation könnte im Zusammenwirken mit niedrigen Nominalzinsen über längere Zeiträume die Schuldner deutlich entlasten – und die Gläubiger schröpfen. Anders als bei höheren Inflationsraten würde das keine größeren makroökonomischen Schäden anrichten.

Die schleichende Inflation bzw. „finanzielle Repression“3 ist aber nicht verteilungsneutral. Sie belastet Vermögensbesitzer und Bezieher von Einkommen, die nicht bei der höheren Inflation mithalten können. Das sind vor allem die festverzinslichen Vermögenanlagen, also die Spareinlagen, Rentenfonds, Lebensversicherungen und private Rentenversicherungen einschließlich der betrieblichen Altersvorsorge – also die klassischen Vermögensanlagen der Normalbürger. Aber auch Immobilien sind zumindest kurz- bis mittelfristig nicht unbedingt das sichere „Betongold“, für das sie derzeit viele halten. Denn längerfristige Mietverträge bei Gewerbeimmobilien und Vergleichsmietensysteme bei der Wohnungsvermietung verhindern häufig eine zügige Anpassung der Erträge an eine schleichende Inflation.

Insoweit wirkt die Inflation(ssteuer) wie eine Vermögensabgabe, aber ohne Freibeträge; also vom ersten Euro an. Und sie belastet vor allem die Vermögen der Normalbürger. Anders als bei den derzeit diskutierten Plänen für höhere „Reichensteuern“ werden somit vor allem die Mittelschichten belastet. Die großen Vermögen, die überwiegend aus Unternehmensbeteiligungen bestehen, wären dagegen von der schleichenden Inflation kaum betroffen.

Gezielte Steuererhöhungen und Abgaben!

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die laut über Steuererhöhungen nachdenken.4 Angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre ist auch die Perspektive denkbar, dass die Steuern zu niedrig waren – und nicht die Ausgaben zu hoch. Es sollte aufhorchen lassen, dass es zunehmend Millionäre gibt, die für sich selbst höhere Steuern für gerechtfertigt halten.5 Dabei ist auch zu bedenken, dass in Deutschland die realen Einkommenszuwächse der letzten 15 Jahre weitgehend bei den reichsten 10% der Bevölkerung anfielen, während die Mittel- und Unterschichten real verloren haben. Die Verteilung ist entsprechend ungleicher geworden, und gerade die Hocheinkommensbezieher sind in diesem Zeitraum steuerlich entlastet worden.6

Höhere Steuern auf höhere Einkommen und Vermögen wären vor diesem Hintergrund als ausgleichende Gerechtigkeit zu verstehen. Die Umverteilung von Einkommen, die insbesondere in den letzten zehn Jahren von unten nach oben stattgefunden hat, würde wieder teilweise rückgängig gemacht. Und mit einer einmaligen Vermögensabgabe könnten die Staatsschulden zügig zurückgeführt werden, die auf diverse Rettungsaktionen nach der Finanzkrise zurückgehen und manch einen Vermögensbesitzer bisher vor Verlusten bewahrt hat – zu Lasten aller Steuerzahler. Das würde Spielraum für dringend notwendige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wie z.B. Vorschulen, Schulen und Hochschulen oder auch in Straßen und Grünanlagen schaffen, und von fast der gesamten Bevölkerung als gerecht angesehen.

Im DIW Berlin wurden in einer vieldiskutierten Studie konkrete Szenarien einer einmaligen Vermögensabgabe in Deutschland durchgerechnet.7 Würde die Vermögensabgabe ab einem individuellen Nettovermögen von 250 000 Euro beziehungsweise 500 000 Euro für Ehepaare greifen, betrüge die Bemessungsgrundlage 92% des BIP. Wenn insgesamt 10% der Bemessungsgrundlage abgeführt würden, betrüge das Aufkommen gut 9% des Bruttoinlandsprodukts, also in heutigen Werten gerechnet etwa 230 Mrd. Euro. Dieses Aufkommen könnte aus Liquiditätsgründen über mehrere – z.B. zehn – Jahre mit Verzinsung der jährlichen Teilzahlungen verteilt werden. Betroffen wären die 8% reichsten Bürger in Deutschland. Damit könnte der Schuldenstand in Deutschland ein deutliches Stück näher an die im Maastricht-Vertrag festgeschriebene 60%-Grenze zurückgeführt werden.

Würde der Freibetrag auf 500 000 Euro pro Person (1 Mio. für Ehepaare) erhöht, wären nur noch gut 2% der Bevölkerung betroffen, aber der Ertrag würde noch immer bei 170 Mrd. Euro oder knapp 7% des BIP liegen.8 Bei einem derartigen Freibetrag wären z.B. normale Hausbesitzer gar nicht betroffen.

Der wesentliche Vorteil einer solchen einmaligen und außerordentlichen Vermögensabgabe auf den vorhandenen Vermögensbestand liegt aus ökonomischer Sicht darin, dass die Steuerpflichtigen ihr nicht ausweichen können. Denn eine Vermögensabgabe würde auf das in der jüngeren Vergangenheit liegende Vermögen erhoben, und nicht auf das regelmäßig aktualisierte Vermögen. Dadurch kann es keine „Substitutionseffekte“ geben, die dadurch entstehen, dass die Bürger ihr Geld umschichten, ins Ausland verlagern oder weniger investieren. Insoweit gibt es keine „Zusatzlasten“ („excess burdens“) im Sinne der Optimalsteuerlehre. Wird die Zahlung der Vermögensabgabe auf mehrere Jahre gestreckt, kann die Abgabe aus den laufenden Erträgen des Vermögens gezahlt werden – wie dies auch beim Lastenausgleich nach dem zweiten Weltkrieg faktisch der Fall war. Rechtlich ist eine solche einmalige Vermögensabgabe des Bundes möglich zur Finanzierung von außerordentlichen Ausgabenbedarfen, etwa durch die Finanzkrise oder auch durch die Energiewende.9

Bei Erhöhungen von konventionellen Steuern, vor allem solchen auf hohe Einkommen und Vermögen, werden dagegen vielfältige Ausweich- und Verlagerungseffekte befürchtet. Verwiesen sei hier auf die intensive Diskussion in Großbritannien zur zeitweisen Erhöhung des Einkommensteuer-Spitzensteuersatzes auf 50% („50p“), auf die aktuellen Steuererhöhungen in Frankreich unter dem neuen Präsidenten Hollande, auf die Diskussionen zu ähnlichen Vorschlägen in Deutschland oder auf die ständigen Auseinandersetzungen in den USA um die Fortsetzung der Steuererleichterungen für die hohen Einkommen.10

Die Schattenseite der außerordentlichen Vermögensabgabe ist allerdings, dass die Steuerpflichtigen sich überrumpelt und enteignet fühlen. Das ist der Preis, den man für ein hohes Maß wirtschaftlicher Neutralität zu zahlen hat.

Höhere Steuern für Gutverdienende und Vermögende liegen inzwischen in den westlichen Demokratien durchaus wieder im Trend. Ob – wie in Frankreich im Gespräch – bei der Einkommensteuer ein Spitzensteuersatz von 75% durchsetzbar und klug ist, ist sicherlich eine offene Frage. Aus Sicht der reinen Optimalsteuerlehre spricht durchaus einiges für höhere Spitzensteuersätze.11 In den 1950er Jahren hat ein solch hoher Satz der wirtschaftlichen Entwicklung der USA oder Deutschlands nicht besonders geschadet.

Kasten 1
Historische Vorbilder für eine Vermögensabgabe in Deutschland1

In der Geschichte des modernen Kapitalismus hat es zahlreiche Finanz- und Staatsschuldenkrisen gegeben.2 Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren übermäßige Staatsschulden eher die Regel als die Ausnahme. Staatsbankrotte oder Fiskalinflationen kamen häufig vor, insbesondere nach größeren Kriegen. In besonderen fiskalischen Notsituationen haben Regierungen häufig auf außerordentliche Instrumente wie Vermögensabgaben oder auch Zwangsanleihen zurückgegriffen.3

In Deutschland gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts moderne Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuern, mit denen auch die steuertechnischen Grundlagen für fiskalische Notinstrumente gelegt wurden. Vor allem nach den beiden Weltkriegen hat die Politik in Deutschland auf Vermögensabgaben und Zwangsanleihen zurückgegriffen. Nach dem Ersten Weltkrieg scheiterten diese Instrumente an der Inflation, erfolgreich aber war der „Lastenausgleich“ nach dem zweiten Weltkrieg. Dies wird interessanterweise im ansonsten lesenswerten Überblick von Eichengreen4 verschwiegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Westdeutschland ab 1949 eine Vermögensabgabe auf den Vermögensbestand von 1948 erhoben, die 1952 im Rahmen des Lastenausgleichs abschließend geregelt wurde.5 Die Bemessungsgrundlage orientierte sich grundsätzlich an der Vermögensteuer, juristische Personen waren gesondert steuerpflichtig. Abgabepflichtig waren vor allem Grund- und Betriebsvermögen entsprechend den steuerlichen Einheitswerten. Für Finanzvermögen gab es eine relativ hohe Freigrenze von 150 000 DM, da diese durch die Währungsreform 1948 im Verhältnis 10:1 auf D-Mark umgestellt worden waren. Für natürliche Personen wurde ein persönlicher Freibetrag von 5000 DM gewährt, der bei höheren Vermögen abgeschmolzen wurde. Zur Einordnung der genannten Nominalwerte: Das durchschnittliche rentenversicherungspflichtige Jahreseinkommen lag 1952 bei 3850 DM.6

Der Abgabesatz der Vermögensabgabe betrug 50%, wobei es für Kriegs- und Vertreibungsschäden Ermäßigungen gab. Die Abgabeschuld wurde über 30 Jahre verteilt und in vierteljährlichen Beträgen bis 1979 erhoben. Insgesamt erbrachte diese Vermögensabgabe ein Aufkommen von 42 Mrd. DM. Dies entsprach 60% des Bruttoinlandsprodukts von 1952. Entsprechend hatten die Lastenausgleichsabgaben in den 1950er Jahren auch gesamtwirtschaftlich ein spürbares Gewicht. Durch die hohen Zuwachsraten bei Sozialprodukt und Einkommen reduzierte sich ihre wirtschaftliche Bedeutung und Belastungswirkung in den folgenden Jahrzehnten schrittweise. Zugleich gelang es, nennenswerte Mittel für den Wiederaufbau und die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge zu mobilisieren. Insoweit war der Lastenausgleich ein finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischer Erfolg.

1 Vgl. S. Bach: Vermögensabgaben – ein Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa, in: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 28/2012, http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.405701.de/12-28-1.pdf, S. 5-7.

2 C. M. Reinhart, K. S. Rogoff: This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, Oxford, Princeton 2009; E. Chancellor: Reflections on the sovereign debt crisis, GMO White Paper, 2010, http://blogs.reuters.com/felix-salmon/files/2010/07/chancellor.pdf; A. Manes: Staatsbankrotte, 2. Auflage, Berlin, http://archive.org/details/staatsbankrottew00maneuoft.

3 B. Eichengreen: The Capital Levy in Theory and Practice, NBER Working Paper, Nr. 3096, 1989, http://www.nber.org/papers/w3096.

4 Ebenda.

5 R. Hauser: Zwei deutsche Lastenausgleiche – Eine kritische Würdigung, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 80. Jg. (2011), S. 103-122; L. Wiegand: Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1985, Frankfurt a.M. 1992.

6 Vgl. SGB 6, Anlage 1, http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/anlage_1_567.html.

Schuldenbremse erst nach Entschuldung glaubhaft

Angesichts hoher Staatsschulden ist eine Kürzung der Staatsausgaben keineswegs alternativlos. Und eine Vermögensabgabe ist nicht das einzige steuerpolitische Instrument, über das nachzudenken ist. Neben einer stärkeren Progression bei der Einkommensteuer und Einschränkungen von Steuervergünstigungen bei der Unternehmensbesteuerung oder der Besteuerung von Immobilien gibt es viele sinnvolle Vorschläge zu Steuererhöhungen bei der Grundsteuer oder bei der Erbschaftsteuer. Es ist die Aufgabe der Politik, aus den verschiedenen Vorschlägen für höhere „Reichensteuern“ ein ausgewogenes Paket zu schnüren. Dazu können auch eine höhere und „schlupflochfreie“ Erbschaftsteuer, eine kräftigere Besteuerung höherwertiger Immobilien, Anpassungen bei den steuerlichen Rahmenbedingungen von Stiftungen und eine grundgesetzkonforme Vermögensteuer gehören.12 Dann können maßvolle Steuererhöhungen – gerade für ein prosperierendes Land wie Deutschland – eine sinnvolle Zukunftsinvestition sein.

Erst die zügige Entschuldung des Staates macht auch die ins Grundgesetz geschriebene „Schuldenbremse“ glaubhaft. Die Staatsverschuldung ist in Deutschland zurzeit leicht zu tragen und nährt den Glauben einer effektiven Schuldenbremsung, weil die Eurokrise die Soll-Zinsen für den Bundesfinanzminister auf ein historisches Tief gebracht hat. Da Anleger nach wie vor auf die deutsche Solvenz vertrauen, suchen sie den sicheren Hafen Deutschland und sind dafür teilweise sogar bereit, bei kurzfristigen Anlagen eine negative Verzinsung hinzunehmen, also eine Liegegebühr für ihr Geld an den Deutschland-Hafen zu zahlen. Auch für länger laufende Staatsschuldtitel liegen die Zinsen derzeit (Ende August 2012) unter 1,5%.13 Dadurch wird die Zins-Steuer-Quote, also die Relation der Zinsausgaben auf die Staatsschulden zu den Steuereinnahmen, dieses Jahr auf 10,6% sinken. Im Jahr 2007 lag sie noch bei 12% und Mitte der 1990er Jahre sogar bei 16%, und das bei damals deutlich niedrigeren Staatsschulden. Aber die Zinsen werden auf Dauer nicht so niedrig bleiben. Wenn dann die Schuldenbremse eingehalten werden soll, müssten Staatsausgaben gekürzt werden. Dass dies dann tatsächlich passieren wird, ist äußerst zweifelhaft trotz entsprechender Regeln im Grundgesetz.

Wer die grundsätzlich positiven Wirkungen der Schuldenbremse verwirklichen will, der muss vorher – so behaupten wir – die Staatsverschuldung zügig in Richtung der Maastricht-Grenze von 60% des Bruttoinlandsprodukts herunterfahren. Nur dann wird bei Einhaltung der Schuldenbremse aus den laufenden Steuerzahlungen genug Geld für öffentliche Investitionen und den Sozialstaat aufzubringen sein. Und diese Rückführung der Staatsschulden ist sozialverträglich weder durch Ausgabenkürzungen noch mit Inflation, sondern am effektivsten mit einer Vermögensabgabe zu erreichen. Die Vermögensabgabe ist somit auch das Finanzierungsinstrument, das am besten zu einem „Schuldentilgungspakt“, wie ihn der Sachverständigenrat zur Lösung der Europäischen Schuldenkrise vorschlägt, passt.14

Title:Inflation and Debt Reduction

Abstract:The European Central Bank (ECB) recently announced its willingness to do whatever is needed to save the euro. This has raised the question whether such a role of the ECB must lead to higher rates of inflation. Under current recessive macroeconomic conditions in the eurozone, the ECB’s expansionary monetary policy will not lead to higher inflation. On the contrary, there is a serious danger of deflation. Higher inflation would likely occur only if a permanent stabilisation function were assigned to the ECB. Yet historical examples show that mistakes can be made. During the stagnation in Japan, US economists heavily criticised the Bank of Japan’s timid monetary policy response. But in some sense, current Fed policy seems to be a direct copy of that strategy, caused by uncertainty about the proper communication channel. An inflation tax could help to bring down the mounting public debt in the wake of the financial crisis, but higher wealth taxes have more transparent distributional effects.


DOI: 10.1007/s10273-012-1425-9

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