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Gesetzliche Rentenversicherung: Beitragseinnahmen nutzen

Von Winfried Schmähl

Die ökonomische Lage ermöglicht es, 2013 den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung von 19,6% auf 19,0% zu senken. Dies hat das Bundeskabinett am 29.8.2012 in einem Gesetzentwurf dem Parlament empfohlen. Diese Möglichkeit resultiert aus der gegenwärtigen Regel, dass die als „Nachhaltigkeitsrücklage“ bezeichnete Reserve der Versicherung mindestens 0,2 und maximal 1,5 Monatsausgaben betragen soll. Sie dürfte Ende 2012 die Obergrenze um etwa 0,16 Monatsausgaben übersteigen. Ein Senken des Beitragssatzes würde Arbeitnehmer- und Arbeitgeber bei ihren Beiträgen und den Bund bei seinen an die Rentenversicherung zu leistenden Zahlungen entlasten und den Rentenanpassungssatz 2014 erhöhen. Das sind die kurzfristigen Effekte. Von verschiedenen Seiten (vor allem von Gewerkschaften, Sozialverbänden und der SPD, aber auch von verschiedenen Bundesländern, selbst solchen, in denen die CDU mitregiert) wird aber gefordert, auf die Senkung des Beitragssatzes ganz (oder gegebenenfalls teilweise) zu verzichten. Allerdings werden damit unterschiedliche Ziele verknüpft: So wollen Gewerkschaften und Sozialverbände Beitragseinnahmen nutzen, um das immer weiter sinkende Leistungsniveau in der Rentenversicherung zumindest auf gegenwärtigem Niveau zu halten oder es gar wieder anzuheben (also zusätzliche Ausgaben finanzieren), während andere – so Bundesländer unter Führung des derzeitigen saarländischen Ministers Andreas Storm (CDU) – eine „Demographie-Reserve“ aufbauen möchten, um so später Anhebungen des Beitragssatzes zu mildern, jedoch ohne das programmierte weitere Sinken des Leistungsniveaus in der Rentenversicherung zu verhindern.

Die zuständige Bundesarbeitsministerin hatte zudem zwischenzeitlich qua Gesetz die Senkung des Beitragssatzes mit einem von ihr seit einiger Zeit verfochtenen Vorschlag einer zusätzlichen bedürftigkeitsgeprüften „Zuschussrente“ in der gesetzlichen Rentenversicherung verknüpft. Dieser Coup misslang allerdings, denn die Entscheidung über die Zuschussrente wurde vom Kabinett von der über die Senkung des Beitrags entkoppelt und auf später verschoben. Diese Zuschussrente hätte steigende Ausgaben zur Folge, die zum beträchtlichen Teil aus Beitragseinnahmen finanziert werden sollen. Sie würde die Rentenversicherung immer weiter zu einem auf Mindestsicherung eingeschränkten System mit stark umverteilender Wirkung reduzieren und von der Idee einer Lohnersatzfunktion mit ausreichendem Sicherungsniveau immer weiter entfernen. Man sieht, die Entscheidung über den Beitragssatz ist zugleich mit der Frage nach dem Leistungsniveau und der Konzeption der gesetzlichen Rentenversicherung verknüpft, ohne dass dies offen zum Thema gemacht wird. Die auch von der Arbeitsministerin beschworene Gefahr steigender Altersarmut sollte endlich Anlass geben, statt der problematischen Zuschussrente die politisch beschlossene drastische Senkung des Leistungsniveaus in der Rentenversicherung generell auf den Prüfstand zu stellen, da sie ein wichtiger Grund für steigende Altersarmut ist.

Unabhängig von der aktuellen Frage des Beitragssatzes sollte aber die im Zeitablauf immer weiter reduzierte Mindestrücklage von jetzt 0,2 Monatsausgaben zumindest auf 0,5 erhöht werden, um zu vermeiden, dass es zu Liquiditätsproblemen kommt, was das Vertrauen in die Sicherheit der Renten erneut gefährden würde. Bei einer Anhebung der Obergrenze über 1,5 Monatsausgaben hinaus – und gegebenenfalls weiterer Vermögensakkumulation in der Rentenversicherung – müsste auch über die Anlagemöglichkeiten nachgedacht werden, da das extrem niedrige Zinsniveau keinen Realwerterhalt erlaubt – so wie dies auch alle diejenigen leidvoll erfahren, die privat für das Alter vorsorgen. Die gesetzliche Rentenversicherung ermöglicht in diesen Krisenzeiten den Versicherten eine bessere „Verzinsung“ als sie am Kapitalmarkt bei ähnlich risikoarmer Anlage zu erreichen ist, da sie sich im Prinzip an der Lohn- und nicht an der Zinsentwicklung orientiert.

Schuldenmanagement: Abschaffung der Schatzbriefe

Von Gerold Krause-Junk

Keine Frage: Auch das Debt Management der öffentlichen Hand muss wirtschaftlich organisiert sein und dem Grundsatz der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel unterworfen werden. Insofern ist es verständlich, wenn sich der Bund bei seiner Schuldenaufnahme von einem relativ aufwändigen Vertriebsweg trennen und die Bundesschatzbriefe abschaffen möchte. Wirtschaftlichkeit bedeutet aber stets die Abstimmung zwischen Zielen und Mitteln, wobei eben das billigste Verfahren nicht immer das beste ist. Im Fall des öffentlichen Schuldenmanagements geht es nicht nur um die aus Sicht des Fiskus günstigste Platzierung von Staatsschulden, sondern auch um die mit dieser Platzierung verbundenen gesamtwirtschaftlichen Wirkungen.

Eine der zu beachtenden Wirkungen ergibt sich aus der resultierenden Gläubigerstruktur. Wie gerade die jüngsten Entwicklungen auf den Finanzmärkten belegen, können Staaten in große Schwierigkeiten gelangen, wenn sie bei der Finanzierung und Refinanzierung ihrer Schulden auf die großen Finanzinstitute angewiesen sind. Zum einen sind diese professionell genug geführt, um die Schwächen des Fiskus auszunutzen. Sie verstehen es jedenfalls meisterhaft, die Schuldenaufnahme des Staates spekulativ zu nutzen, indem sie – z.B. durch Leerverkäufe von Staatsanleihen – den Zinssatz gerade dann hochtreiben, wenn der Staat seine (Re-)Finanzierungen vornehmen muss. Staaten, die in der Schuldenfalle stecken (auch die fälligen Zinsen können nicht mehr mit regulären Einnahmen finanziert werden), geraten dann in eine Art „Spekulationsfalle“, in der sie sich kaum gegen Spekulationswellen wehren können. Zum anderen sind diese professionellen Staatsgläubiger aber offenbar auch zu wichtig, um sie die möglichen Fehler ihrer Spekulationen selbst ausbaden zu lassen. Sie sind „systemisch“, d.h., dass sie wegen der Notwendigkeit der Systemerhaltung nicht Pleite gehen dürfen. Der Staat muss also am Ende auch noch seine Gläubiger retten.

Der Staat hat damit allen Grund, seine Schulden möglichst bei Gläubigern unterzubringen, die ihn nicht austricksen werden und die andererseits auch nicht um jeden Preis gerettet werden müssen, wenn sie Vermögenseinbußen erleiden. Der beste Staatsgläubiger in diesem Sinne ist der Sparer selbst, der ja letzten Endes ohnehin die Staatsverschuldung finanziert, allerdings eben oft nur indirekt über die Finanzintermediäre. Und wenn die direkte Unterbringung der Staatsschulden beim Sparer vielleicht nicht am billigsten ist, so mag sie doch wirtschaftlich sein.

Nun mag man einwenden, dass es bei der Abschaffung der Bundesschatzbriefe ja gar nicht um die Form der Staatsschulden und deren Platzierung, sondern nur um einen Vertriebsweg geht. Der Bund entlastet seine Schuldenverwaltung und legt die letztliche Vermarktung in die Hände der Finanzprofis. Ja, er verhält sich dabei auch ordnungspolitisch korrekt, da er sich von einer Aktivität verabschiedet, für die es hinreichend viele private Dienstleister gibt. Vor wenigen Jahren hätte dieses Argument auch die meisten Bürger – und namentlich wohl auch professionelle Ökonomen – überzeugt. Heute muss man aber dazu raten, mit derartigen Initiativen abzuwarten. Der Bürger muss erst einmal das in die Dienstleistung seiner Bank verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen. Er muss davon überzeugt werden, dass der Rat seines Anlageberaters zuverlässig und selbstlos ist. Und der Staat muss überzeugt sein, dass der professionelle Finanzberater die Staatspapiere mit dem gleichen Engagement anbietet, das er bei gebührenträchtigeren Privatpapieren aufbringt. Dass es (wieder) so sein wird, kann der Staat im Übrigen selbst beeinflussen, indem er die Bankgeschäfte neu regelt. Aber das ist ein anderes Thema.

Agrarrohstoffpreise: Sicherheitsnetze gegen Hunger

Von Bernhard Brümmer

Die Agrarpreise, allen voran die Preise für Mais, sind in den letzten zehn Wochen drastisch angestiegen; fast schon regelmäßig wird in kurzem Abstand ein neues Allzeithoch erreicht. Insgesamt hat sich der Preis für Mais an der Chicagoer Terminbörse CBOT seit Ende Juni 2012 um etwa ein Drittel erhöht; auch die Preise für Weizen und Ölsaaten weisen einen ähnlichen Verlauf auf. Im Windschatten dieser Entwicklung ziehen auch Produkte tierischen Ursprungs (Fleisch, Milch) an, wenngleich dies zwischen den Produkten sehr unterschiedlich und zeitlich versetzt stattfindet. Ein vertrautes Muster aus der Zeit der „Nahrungsmittelpreiskrise“ von 2007/2008 findet sich – wenig überraschend – dann auch erneut: In der politischen Diskussion wird der beobachtete Preisanstieg zum Anlass genommen, die jeweils eigene Interessensposition in einen (positiven oder negativen) Zusammenhang zu dieser Preisentwicklung zu setzen. So attestiert der WWF der „intensiven Hochleistungs-Landwirtschaft“ ein Versagen, Mitglieder der Bundesregierung werfen diametral entgegengesetzte Positionen zur Tank-versus-Teller-Diskussion in den Ring, und der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung empfiehlt Kamerun, zur Bekämpfung des Hungers stärker auf die Besteuerung von ressourcenintensiven Unternehmen in ausländischem Besitz zu setzen. Es scheint fast, als könne vor dem Hintergrund steigender Agrarpreise fast jedes Thema auf der Agenda nach vorn geschoben werden.

Dabei ist in der aktuellen Situation die unmittelbare Ursache für die Preisentwicklung der jüngsten Monate klar zu identifizieren. Die extremen Witterungsbedingungen in den USA zeichnen für den Aufwärtsschub verantwortlich. Eine Kombination von großer Hitze und anhaltender Dürre hat dort in vielen wichtigen Anbauregionen die Ernte bis hin zum Totalausfall schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dass eine solche Katastrophe im wichtigsten Exportland für Mais entsprechende Auswirkungen auf die internationalen Preise (und damit auch für Substitute in der menschlichen Ernährung wie auch für Futtermittel) nach sich zieht, ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Lagerbestände schon vorher stark abgebaut waren.

Die langfristigen Ursachen sind hingegen weniger einfach zu belegen. Auf die Höhe der Lagerbestände hat vermutlich die Biotreibstoffpolitik, vor allem die Erzeugung von Bioethanol aus Mais, einen starken Einfluss; weitaus stärker, als wenn man diesen nur am Anteil von Biotreibstoffpflanzen an der weltweiten Getreidefläche bemäße. Hinzu kommt, dass die spezielle Form der Bioethanol-Förderung in den USA durch starre Beimischungsquoten dazu führt, dass die Nachfrage nach Mais für Bioethanol sehr preisunelastisch ausfällt. Dies gilt auch für die in Deutschland im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgeschriebene Bioenergie-Förderung. Damit verschärft sich bei hohen Preisen der Einfluss von Bioethanol. Da eine völlige Abschaffung der Biotreibstoffförderung zwar sinnvoll wäre, aber unwahrscheinlich erscheint, sollte man hier auf eine Flexibilisierung der Beimischungsquoten (in Deutschland: der EEG-Regelungen) hinwirken.

Was hingegen die Auswirkungen der steigenden Preise angeht, so hat sich nichts an der Empfehlung vorhergehender Episoden geändert: Um die Wirkungen auf – gerade ärmere – Verbraucher in Entwicklungsländern abzumildern, sind Sicherheitsnetze gegen Hunger und Einkommensverluste die geeigneten Mittel der Wahl (obwohl die Kosten der Umsetzung in einzelnen Fällen prohibitiv hoch sein können). Ein Zurückfallen in merkantilistische Denkmuster scheint hingegen kaum geeignet, der Agrarpreisschwankungen, die uns auch in Zukunft begleiten werden, Herr zu werden.

Fiskalpakt: Glaubwürdigkeitsfrage

Von Tilmann Schweisfurth

Der europäische Fiskalpakt ist eine nachvollziehbare Antwort auf die um sich greifende Staatsschuldenkrise. In der deutschen Politik besteht daher auch breiter Konsens, die ausufernden Finanzhilfen in Europa durch ein strengeres System der gegenseitigen Kontrolle zu flankieren. Gerungen wurde dennoch monatelang, jedoch nicht um den eigentlichen Kern, sondern um Wachstumskomponenten, die Finanztransaktionsteuer und Kompensationswünsche der Länder. Aus dem Blick geriet dabei eine für den künftigen Erfolg wesentliche Frage: Wie glaubwürdig agiert Deutschland bei der innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpaktes? Hier lohnt der Blick zehn Jahre zurück, denn es drängen sich Parallelen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt auf. Auch bei diesem Pakt war Deutschland einst Vorreiter, doch 2002 wurde gemeinsam mit Frankreich das festgeschriebene Defizitverfahren aufgeweicht. Die Glaubwürdigkeit des Paktes war passé, der selbst errichtete Damm war gebrochen. Und die heute ausufernden Staatsschulden sind auch darauf zurückzuführen.

Wir brauchen also – mit Blick auf die Lehren der Vergangenheit – ein glaubwürdiges Regelwerk zur Begrenzung der staatlichen Schulden und ein System der gegenseiti-gen Kontrolle und verpflichtender Korrekturmechanismen in Europa. All dies sieht der Fiskalpakt vor. Die Einhaltung der Vorgaben soll durch unabhängige nationale Institutionen überwacht werden. Das klingt durchaus plausibel. Weniger überzeugend sind allerdings aktuelle Überlegungen der Bundesregierung. Der vorliegende Gesetzentwurf zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpaktes sieht vor, dass der bestehende Stabilitätsrat eine unabhängige Überwachung und Kontrolle gewährleistet, wenn man nur dessen Auftrag entsprechend erweitert und einen unabhängigen Beirat zur Seite stellt. Das vermag nicht zu überzeugen. Schon in der derzeitigen Zusammensetzung ist der Stabilitätsrat weit davon entfernt, ein unabhängiges Gremium zu sein. Selbst wenn dieser formell mit Unabhängigkeit ausgestattet würde, so wäre diese Lösung wenig glaubhaft. Denn die Entscheidungsträger haben neben den jeweiligen Parlamenten maßgeblichen Anteil an den finanziellen Weichenstellungen und damit auch an potenziellen Verstößen gegen den Fiskalpakt. So könnten im Stabilitätsrat kaum glaubhafte unabhängige Bewertungen vorgenommen werden. Auch ein Beratergremium würde dieses Problem nicht lösen, da die Entscheidungshoheit weiter bei den nicht unabhängigen Stabilitätsratsmitgliedern verbliebe.

Nahe liegend wäre gewesen, bereits vorhandene unabhängige Institutionen und Experten als stimmberechtigte Mitglieder einzubeziehen. Neben Vertretern der Bundes-bank oder des Sachverständigenrates wären auch die Mitglieder der Rechnungshöfe mit ihrer Fachkompetenz und der verfassungsrechtlich abgesicherten Unabhängigkeit prädestiniert für eine unabhängige Überwachung der Haushalte im Sinne des Fiskalpakts. Diese Unabhängigkeit bliebe auch gewahrt, wenn nicht die Institutionen selbst, sondern berufene Vertreter aus ihren Reihen im Stabilitätsrat mitwirkten. Es sollte ein breiter Konsens darüber bestehen, dass Deutschland als Vorreiter einer auf Stabilität ausgerichteten öffentlichen Finanzwirtschaft eine glaubhafte Lösung für eine unabhängige Kontrollinstitution etablieren muss. Die innerstaatliche Umsetzung des Fiskalpaktes und der künftige Stabilitätsrat sollte dem auch gerecht werden.


DOI: 10.1007/s10273-012-1424-x

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