Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Im Juni 2013 fand in Karlsruhe die mündliche Verhandlung im Hauptsacheverfahren Europäischer Stabilitätsmechanismus/Europäische Zentralbank statt. Dabei ging es im Kern um die Frage, ob das Outright-Monetary-Transactions-Programm der EZB mandatswidrig ist. Die ökonomische Logik, die zu dem Ergebnis führt, dass die EZB ihr Mandat überschreitet, gilt aber auch für die Vollzuteilungspolitik der EZB.

Dieser Beitrag zeigt am Beispiel der Vollzuteilungspolitik, dass die ökonomische Logik, die zu dem Ergebnis führt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Outright-Monetary-Transactions-Programm (OMT-Programm) gegen ihr Mandat verstößt, auch auf Maßnahmen angewandt werden kann, die die EZB zur Refinanzierung des Bankensystems in der globalen Finanzkrise ergriffen hat. Folglich steht die EZB in Karlsruhe nicht als „Staatsfinanzierer”, sondern in ihrer Rolle als Lender of Last Resort vor Gericht. Entsprechend ergeben sich zwei entgegengesetzte Schlussfolgerungen:

  1. Die EZB handelt seit Ausbruch der Finanzkrise außerhalb ihres Mandats, weil das OMT-Programm mit der Rolle einer Zentralbank als Lender of Last Resort, historisch gesehen der Raison d’Être von Zentralbanken,1 grundätzlich unvereinbar ist.
  2. Das OMT-Programm ist geldpolitisch motiviert und damit innerhalb des EZB-Mandats, weil es lediglich Überlegungen, die für eine Quelle der Zentralbankgeldversorgung – Kredite an das Bankensystem – gelten, auf eine andere Quelle der Zentralbankgeldversorgung – den Ankauf von Staatsanleihen – überträgt.

Das OMT-Programm als Verletzung des EZB-Mandats

Das OMT-Programm beinhaltet im Kern die Ankündigung des unbegrenzten Ankaufs von Staatsschuldtiteln, die auf dem Sekundärmarkt gehandelt werden, eine Laufzeit von bis zu drei Jahren aufweisen und von einem Euro-Mitgliedstaat emittiert werden, der ein Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aufweist. Selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, behält sich die EZB vor, allein zu entscheiden, ob sie die Staatsanleihen eines Landes (weiter) aufkauft.

Die EZB verfolgt mit dem OMT-Programm das Ziel, den geldpolitischen Transmissionsmechanismus für die Eurozone als Ganzes zu gewährleisten, der durch Turbulenzen auf dem Markt für Staatsanleihen gestört war. Diese Turbulenzen wurden nach Auffassung der EZB von Ängsten vor einem unfreiwilligen Auseinanderbrechen der Währungsunion ausgelöst, d.h. sie waren nicht nur fundamental durch Solvenzrisiken einzelner Länder begründet.2

Die Frage, ob das OMT-Programm mit dem Mandat der EZB vereinbar ist, wäre leicht zu beantworten, wenn es der EZB grundsätzlich untersagt wäre, Staatsschuldtitel auf dem Sekundärmarkt zu erwerben. Dies ist jedoch nach Auffassung von Befürwortern und Kritikern des OMT-Programms nicht der Fall. Vielmehr können Staatsanleihenkäufe ein Instrument sein, „mit dem die Notenbank Liquidität für den gemeinsamen Währungsraum bereitstellt oder längerfristige Referenzzinsen beeinflusst“.3 Staatsanleihenkäufe sind daher geldpolitisch begründbar.

Übereinstimmung herrscht auch darüber, dass der Markt für Staatsanleihen ein wichtiges Glied des monetären Transmissionsmechanismus4 darstellt. Er ist Teil jener Geld-, Kredit- und Kapitalmärkte, deren Funktionieren „eine Grundvoraussetzung für die Implementierung geldpolitischer Maßnahmen“5 darstellt. Prinzipiell rechtfertigen Störungen auf diesem Markt daher die Intervention einer Zentralbank, wenn das Ziel Preisniveaustabilität nicht gefährdet werden soll.

Die Argumentation der Kritiker des OMT-Programms stellt folglich darauf ab zu belegen, dass die Art von Staatsanleihenkäufen, wie sie im OMT-Programm skizziert ist, nicht der Sicherung des geldpolitischen Transmissionsprozesses, sondern der monetären Staatsfinanzierung dient. Die Argumentation lässt sich in vier Punkten zusammenfassen:

  1. Der Markt für Staatsanleihen war im Euroraum nicht gestört, sondern hat stets einwandfrei funktioniert. Folglich gab es keine Behinderung des Transmissionsmechanimus, die geldpolitisch, z.B. über das OMT-Programm, zu bekämpfen gewesen wäre.
  2. „Implizite Wechselkursrisiken“ als Ursache des Zinsanstiegs stellen kein Argument für geldpolitisches Handeln dar, weil es nicht Aufgabe der EZB, sondern der Regierungen ist, implizite Wechselkursrisiken zu bekämpfen und den Zusammenhalt der Währungsunion zu sichern.6 Zudem würde ein Austritt einiger Staaten aus der Währungsunion vor allem das Ziel Finanzstabilität, aber kaum das Ziel „Preisniveaustabilität“ beeinträchtigen.7 Schließlich macht das Versprechen, alles zu tun, um die Währungsunion zu erhalten, die EZB „erpressbar“ und birgt damit „massive Risiken für die Preisniveaustabilität“.8
  3. Das OMT-Programm verfolgt das Ziel, „den Zugang der hoch verschuldeten Mitgliedstaaten zum Kapitalmarkt aufrechtzuerhalten, sowie ihre Finanzierungskosten zu senken“.9 Die EZB-Position, dass das OMT-Programm primär geldpolitische Ziele verfolgt, ist daher „wenig überzeugend“.10 Folglich darf ein solches Programm nur von der Fiskalpolitik, im europäischen Kontext also vom ESM, durchgeführt werden.11 Der Eingriff der EZB über das OMT-Programm führt lediglich dazu, „die Verantwortlichkeiten von Geld- und Fiskalpolitik [zu] verwischen“.12
  4. Mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB werden – wie über den ESM – staatliche Solvenzrisiken zwischen den Steuerzahlern der Währungsunion umverteilt.13 Konkret entstehen für den deutschen Steuerzahler Haftungsrisiken in Höhe des deutschen Anteils am Eigenkapital der EZB. Im Unterschied zum ESM sind diese Haftungsrisiken aber nicht von einem Parlamentsbeschluss legitimiert und – wegen der Ankündigung, notfalls „unbegrenzt” Staatsanleihen zu kaufen – auch nicht limitiert. Damit greift die EZB in die Budgethoheit des Bundestages ein, weil sie autonom darüber entscheidet, wie viele Staatsanleihen sie kauft.

Grundsatzkritik der Lender-of-Last-Resort-Funktion

Vor dem Verfassungsgericht setzten sich Asmussen,14 Fratzscher15 und Schorkopf16 inhaltlich mit den Argumenten der Kritiker des OMT-Programms auseinander.17 Hier soll ein anderer Weg eingeschlagen werden, um zu klären, ob das Programm mandatswidrig ist. Dabei sollen andere Maßnahmen der EZB zur Sicherung des Transmissionsmechanismus, deren geldpolitische Motivation weitgehend unbestritten sind, mit dem OMT-Programm verglichen werden. Konkret geht es um die Vollzuteilungspolitik. Im Oktober 2008 wurde der übliche Zinstender, bei dem die Zentralbankgeld nachfragenden Geschäftsbanken ihre Gebote nicht nur mit dem Betrag versehen, den sie erwerben wollen, sondern auch mit dem Zins, den sie zu zahlen bereit sind, vom Mengentender mit Vollzuteilung abgelöst. Seitdem befriedigt die EZB die Nachfrage des Bankensektors nach Zentralbankgeld zum festen Refinanzierungssatz vollständig. Die Vollzuteilungspolitik ist damit eine Reaktion auf die globale Finanzkrise, und nicht auf die Eurokrise. Sie ist Teil eines Bündels von Maßnahmen,18 mit denen die EZB ihr herkömmliches Instrument, die Änderung des Leitzinses, ergänzt hat, um sicherzustellen, dass Leitzinsänderungen trotz Verwerfungen auf den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft mit dem Ziel der Sicherung von Preisniveaustabilität ausstrahlen können.19

2008/2009 galt nicht die Funktionsfähigkeit des Staatsanleihenmarktes, sondern die des Interbankenmarktes als beeinträchtigt, weil „aufgrund des Mangels an Vertrauen“20 der Marktmechanismus nicht mehr funktionierte: Banken, die bereit waren, höhere Zinsen für Interbankenkredite zu zahlen, trafen nicht auf ein größeres, sondern auf ein geringeres oder gar kein Angebot, weil der höhere Zins als Signal interpretiert wurde, dass diese Banken in Schwierigkeiten sind.21 Zudem hielten Banken, die über einen Liquiditätsüberschuss verfügten, diese Liquidität aus Sorge, selbst in Liquiditätsschwierigkeiten geraten zu können. Sie fragten also Zentralbankgeld per se nach, das zentrale Kennzeichen für eine Finanzkrise.22 Folglich kam es „liquiditätsbedingt“ zu „angespannten Marktbedingungen“,23 die über Ansteckungseffekte systemisch wurden. In Anlehnung an Asmussen24 kann formuliert werden: Die Turbulenzen 2008/2009 waren von Ängsten vor einem unfreiwilligen Auseinanderbrechen des Finanzsystems insgesamt ausgelöst, d.h., sie waren nicht nur fundamental durch Solvenzrisiken einzelner Institute begründet.

Mit dem Übergang vom Zinstender zur Vollzuteilungspolitik stellte die EZB sicher, dass diese Marktverwerfungen nicht zu einer Störung des Transmissionsmechanismus führten, indem sie einer „in diesem Ausmaß nicht gewünschten effektiven Verteuerung der Zentralbankrefinanzierung für die Kreditinstitute“25 entgegenwirkte. Die EZB gab also der makroökonomischen Steuerungsfunktion des Zinses mit dem Ziel „Sicherung von Preisniveaustabilität“ die Priorität vor der Allokationsfunktion, weil diese Allokationsfunktion aufgrund der Verwerfungen vom Markt nicht mehr (richtig) erfüllt wurde.

Neben der Sicherung des Transmissionsmechanismus gibt es eine Reihe weiterer Gemeinsamkeiten zwischen Vollzuteilungspolitik und OMT-Programm (vgl. Tabelle 1). So weist die Kreditvergabe die gleiche maximale Laufzeit auf. Beide Politiken benötigen die Einbeziehung Dritter, um erfolgreich zu sein: Bei der Vollzuteilungspolitik sind es nationale Stabilisierungsfonds und die Finanzmarktpolitik der Mitgliedstaaten, beim OMT-Programm der ESM und die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten. Neben dem Zielmarkt, Interbankenmarkt versus Staatsanleihenmarkt, bestehen die wichtigsten Unterschiede darin, dass die Kreditvergabe an Banken besichert, der Ankauf von Staatsschuldtiteln dagegen unbesichert ist. Dafür ist das OMT-Programm an ein ESM-Programm geknüpft, während die unbeschränkte Kreditvergabe an Banken unkonditioniert erfolgt.

Tabelle 1
Mengentender mit Vollzuteilung versus OMT-Programm
  Mengen­tender mit Vollzuteilung OMT-Programm
  Gemeinsamkeiten
Offizielle Begründung Sicherung des Transmissions­mechanismus Sicherung des Transmissions­mechanismus
Laufzeit 2009: bis 1 Jahr 2011: bis 3 Jahre Bis 3 Jahre
Einbeziehung Dritter Stabilisierungs­fonds, Finanzmarkt­politik der Mitglied­staaten ESM, Fiskal­politik der Mitglied­staaten
  Unterschiede
Quelle der Zentral­bankgeld­versorgung Banken Staat
Besicherung Ja Nein
Konditionalität Nein Ja

Quelle: eigene Zusammenstellung.

Übertragung der Argumente auf den Interbankenmarkt

Im Folgenden werden die gegenüber dem OMT-Programm kritischen Argumente vom Staatsanleihenmarkt auf den Interbankenmarkt übertragen und dieser veränderte Kontext bei der Bewertung berücksichtigt. Es zeigt sich, dass dieser Perspektivenwechsel für weite Teile der Stellungnahmen der Kritiker des OMT-Programms nahezu problemlos vollzogen werden kann.

Interbankenmarkt dysfunktional?

Der Interbankenmarkt war 2008/2009 gar nicht dysfunktional und hat stets einwandfrei funktioniert. Folglich gab es auch keine Behinderung des Transmissionsmechanimus, die geldpolitisch mit der Vollzuteilungspolitik zu bekämpfen war. Die Interbankenmarktkrise 2008/2009 spiegelte allein Solvenz­probleme einzelner Banken wider, z.B. der Hypo Real Estate (HRE). Die Liquiditätsbereitstellung des Eurosystems zur Deckung des Finanzierungsbedarfs der HRE ist daher genauso kritisch zu sehen wie die Liquditätsbereitstellung für Griechenland.

Die These eines krisenbedingt kaum noch funktionsfähigen Interbankengeldmarkts, wie sie die Bundesbank26 2009 vertreten hat, kann folglich nicht überzeugen. Im Gegenteil: die diagnostizierte Störung des Marktprozesses war in Wirklichkeit Ausdruck eines effizienten Marktes.27 Die sicheren Banken sowie andere Einleger erkannten, dass es ein Fehler war, den Krisenbanken Kredit gegeben zu haben, und wollten diesen Fehler korrigieren. Die Vollzuteilungspolitik stellt daher einen Eingriff in die freie Preisbildung mit dem Ziel der selektiven Bankenfinanzierung dar28 und verstößt gegen Kernelemente der Marktwirtschaft. Denn in ihr gibt es „grundsätzlich keine Legitimation für staatliche Instanzen …, die Abschätzung dessen vorzunehmen, was der effektive Zins ist“.29

An dem Ergebnis, dass die Vollzuteilungspolitik gegen marktwirtschaftliche Prinzipien verstößt, ändert sich wenig, wenn berücksichtigt wird, dass bei der Vollzuteilungspolitik – im Gegensatz zum OMT-Programm – die EZB Zentralbankgeld gegen Sicherheiten zur Verfügung stellt. Denn es gibt einen besicherten Interbankengeldmarkt, der in der Krise nicht nur funktionierte, sondern an Bedeutung gewann, weil das Solvenzrisiko für die Handelsentscheidungen eine gegenüber der Vorkrisenperiode größere Rolle spielte.30 Folglich fragten nur jene Institute bei der EZB Zentralbankgeld nach, deren Sicherheiten auf dem besicherten Interbankenmarkt als nicht ausreichend oder als von minderer Qualität angesehen wurden, und die deshalb entweder höhere Zinsen hätten bezahlen müssen oder gar keinen Kredit erhalten hätten.31 Schließlich stellen Staatsanleihen eine wichtige Form von Sicherheit dar, die die Banken bei der EZB hinterlegen. In diesem Fall basiert also die Kreditvergabe an Banken unter der Vollzuteilungspolitik zu einem erheblichen Teil auf der Kreditwürdigkeit der Staaten. Sollte eine Bank zahlungsunfähig werden, hätte die EZB eine Forderung gegenüber dem Staat in ihren Büchern.

Dennoch setzt eine besicherte Kreditvergabe, wie sie unter der Vollzuteilungspolitik praktiziert wird, die Kredit nehmenden Banken unter Anpassungsdruck. Denn die von der EZB eingeforderten Sicherheiten stehen den Banken nun nicht mehr zur Verfügung, um eine Kreditaufnahme bei anderen Gläubigern zu besichern. Einen vergleichbaren Mechanismus gibt es beim OMT-Programm nicht.32 Der Anpassungsdruck muss daher über den Weg der ESM-Konditionalität sowie über den Zins ausgeübt werden, den die EZB – im Gegensatz zur Vollzuteilungspolitik – beim OMT-Programm nicht im Vorhinein festlegt. Schließlich behält sich die EZB das Recht vor, selbst darüber zu entscheiden, ob die Konditionalität eingehalten wird und dies ausreicht, um die Fortsetzung bzw. Aktivierung des OMT-Programms zu rechtfertigen.

Liquiditätsrisiken als Ursache des Zinsanstiegs?

„Liquiditätsrisiken“ als Ursache des Zinsanstiegs stellen kein Argument für geldpolitisches Handeln dar, weil es nicht Aufgabe der EZB, sondern der Regierungen ist, den Konkurs von Banken zu verhindern und damit den Zusammenhalt des Finanzsystems zu sichern. Die Vollzuteilungspolitik ist daher abzulehnen. Zudem beeinträchtigt der Kollaps einiger Banken vor allem das Ziel Finanzstabilität, aber kaum das Ziel „Preisniveaustabilität“.

Programm der Vollzuteilung nur von der Finanzmarktpolitik durchzuführen?

Das Programm der Vollzuteilung hätte von der Finanzmarktpolitik durchgeführt werden sollen, wie sie z.B. in Deutschland in Form des Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) praktiziert wurde. Wie beim OMT-Programm führt die Vollzuteilungspolitik lediglich dazu, dass sich die EZB in die Intermediation zwischen dem privaten Sektor und den Krisenbanken einschaltet, obwohl für diese Intermediationsleistung der SoFFin zur Verfügung steht. Damit werden die Verantwortlichkeiten von Geld- und Finanzmarktpolitik verwischt.

In der globalen Finanzkrise 2008/2009 wurde die Vollzuteilungspolitik mit der Interpretation der Krise als (überwiegende) Liquiditätskrise gerechtfertigt. Sie galt daher nicht als Übergriff in das Terrain der Finanzmarktpolitik, sondern als geldpolitische Notwendigkeit auf eine liquiditätsbedingte Anspannung auf den Märkten zu reagieren. Ausgangspunkt der Analyse war folglich nicht der Kreditbedarf der Krisenbanken, sondern das Liquiditätsbedürfnis der sicheren Banken. Diese Banken wollen Zentralbankgeld, konkret: Überschussreserven, und keine Forderungen an Stabilisierungsfonds, z.B. den SoFFin, erwerben. Die Fonds können die Intermediationsfunktion in dem erforderlichen Ausmaß daher gar nicht übernehmen. Die Nachfrage der sicheren Banken nach Überschussreserven löst dann den Kreditbedarf der Krisenbanken aus, den die Zentralbank deckt. Dabei geht sie ein Solvenzrisiko ein, weil sie nicht weiß, ob eine Zentralbankgeld nachfragende Krisenbank nur illiquide oder womöglich auch insolvent ist. Daraus entsteht inhärenterweise eine Verwischung der Grenzen von Geld- und Finanzmarktpolitik, weil die Zentralbank die Finanzmarktpolitik, z.B. in Form von Stabilisierungsfonds, als Partner bei der Krisenbekämpfung benötigt,33 um Solvenzrisiken abzufedern. Dieser Schutz geht weit über die Notmaßnahmen hinaus und reicht bis zum ganzen Komplex der Reform von Bankenregulierung und -aufsicht, wie er z.B. im Rahmen des Basel-Prozesses diskutiert wird, und das Ziel verfolgt, die Solvenz des Bankensystems nachhaltig zu sichern.

Diese 2008/2009 vorgetragene Sichtweise kann jedoch nicht überzeugen, wenn – wie in den gegenüber dem OMT-Programm kritischen Stellungnahmen – Illiquidität immer mit Insolvenz gleichgesetzt sowie ein stets effizienter Kapitalmarkt unterstellt wird. Denn dann ist Vollzuteilungspolitik nichts anderes als „Schuldensozialisierung“, bei der die Geldpolitik als Lender of Last Resort die „Schuldensozialisierung“ ankündigt, um sie anschließend beim Staat erzwingen zu können.34

Umverteilung der Risiken?

Mit der 2008/2009 eingeführten Vollzuteilungspolitik werden private Solvenzrisiken auf die EZB übertragen und – sofern sich die EZB-Bilanz verlängert – neue Risiken aufgebaut. Der deutsche Staat und damit der deutsche Steuerzahler haften für 27% der EZB-Verbindlichkeiten, dem deutschen Anteil am Eigenkapital der EZB. Im Unterschied zum SoFFin, bei dem der deutsche Staat ebenfalls private Solvenzrisiken in einer Gesamthöhe von 480 Mrd. Euro übernimmt, sind die Haftungsrisiken der EZB aber nicht von einem Parlamentsbeschluss legitimiert. Die Risiken sind wegen der Ankündigung, „unbegrenzt“ Kredite an Banken zu vergeben, auch nicht limitiert. Damit greift die EZB in die Budgethoheit des Bundestages ein, weil sie autonom darüber entscheidet, wie viele Kredite sie an Banken vergibt.

Sinn und Wollmershäuser35 haben diese Argumentation in die Target-Salden-Debatte eingeführt. Die hohen Target-Salden sind das Ergebnis der Vollzuteilungspolitik und einer asymmetrischen Finanzkrise innerhalb der Währungsunion. Banken mit Sitz in Deutschland (und anderen Nicht-Krisenländern) sind – im Gegensatz zur weitgehend symmetrischen Finanzkrise 2008/2009 – unter den Krisenbanken nicht mehr vertreten. Krisenbanken aus den Krisenländern (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Zypern) stellen folglich die Gegenposition zu den Forderungen der EZB an den europäischen Bankensektor dar. Während auf dem Höhepunkt der globalen, für den Euroraum vergleichsweise symmetrischen Finanzkrise Ende 2008 Kreditinstitute in Deutschland zu 33% die Gegenpartei zu Forderungen aus geldpolitischen Operationen des Eurosystems darstellten, waren sie es im Juni 2013 nur zu 1,5% (vgl. Abbildung 1). Gleichzeitig wächst die Bedeutung der Bundesbank als Gegenpartei für Verbindlichkeiten des Eurosystems aus geldpolitischen Operationen, da deutsche Banken als sicherer Hafen angesehen werden und einen entsprechenden Liquiditätsüberschuss ausweisen.

Abbildung 1
Forderungen und Verbindlichkeiten des Eurosystems aus geldpolitischen Operationen in Euro mit Kreditinstituten im Euro-Währungsgebiet
Anteil der Bundesbank in %
32589.png

Quelle: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen.

Für den deutschen Staat und die Steuerzahler ist es jedoch irrelevant, ob sich das Haftungsrisiko, das aus einem Kredit der EZB entsteht, aus Krediten an deutsche oder griechische Banken ohne Marktzugang ableitet. Entscheidend ist, dass es entsteht – und das ohne Parlamentsbeschluss. Wenn demnach die Forderungen aus geldpolitischen Operationen der EZB auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise im Rahmen der Vollzuteilungspolitik von 467 Mrd. Euro im August 2008 auf 843,2 Mrd. Euro Ende Dezember 2008 ansteigen, steigt das Haftungsrisiko des deutschen Steuerzahlers um 101,6 Mrd. Euro (0,27 (843,2-467)).

Dieses Ergebnis ist jedoch zu modifizieren, wenn die Besicherung der Kreditvergabe an Banken berücksichtigt wird. Denn über die Sicherheitenpolitik kann die Vollzuteilungspolitik so gestaltet werden, dass es zu keiner Umverteilung von Solvenzrisiken zwischen den Steuerzahlern der Euroländer kommt, die nicht demokratisch legitimiert ist. Dazu müssen von der EZB im Gegenzug für die Kreditvergabe an Krisenbanken Staatsanleihen als Sicherheiten eingeworben werden, „die sich in ihrem Schlüssel strikt an den Anteilen am Kapital des ESZB orientieren.“36 Für Deutschland entstehen aus der Vollzuteilungspolitik keine neuen Risiken, wenn 27% der schlechteren und neuen Risiken, die die EZB bei der Krisenbewältigung übernimmt, über deutsche Staatsschuldtitel besichert sind. Denn dieses Risiko ist durch Parlamentsbeschluss in Deutschland legitimiert, da die Titel, die als Sicherheiten von der EZB akzeptiert werden, nur aufgrund eines solchen Beschlusses emittiert werden konnten. Da für jeden Euro-Mitgliedstaat die gleiche Überlegung gilt, lässt sich eine aus Sicht der Kritiker des OMT-Programms mandatskonforme Vollzuteilungspolitik konzipieren: Jeder Euro, den die EZB an Krisenbanken verleiht, muss mit einer dem Kapitalschlüssel der EZB entsprechenden Struktur von Sicherheiten in Form von Staatsanleihen unterlegt werden.

In der weitgehend symmetrischen Finanzkrise 2008/2009, in der nahezu jeder Euro-Mitgliedstaat Krisenbanken aufwies, und gleichzeitig alle Mitgliedstaaten als solvent angesehen wurden, d.h. ihre Staatspapiere als werthaltige Sicherheiten galten, wurde auch entsprechend vorgegangen. Zum Beispiel entstanden aus der Kreditvergabe der EZB an die Hypo Real Estate für den deutschen Steuerzahler kaum neue, zusätzliche Haftungsrisiken, weil der Großteil dieser Kredite durch Garantien oder Papiere gedeckt war, die vom SoFFin oder anderen staatlichen Stellen in Deutschland herausgegeben und als Sicherheiten von der EZB akzeptiert wurden.37 In einer asymmetrischen Finanzkrise, in der die Solvenz der von einer Bankenkrise besonders stark betroffenen Mitgliedstaaten angezweifelt wird, ist eine solche Vorgehensweise jedoch nicht mehr möglich. Dies bedeutet, dass entweder die EZB auf die Funktion als Lender of Last Resort verzichten muss, oder gemeinschaftlich Haftungsrisiken übernommen werden müssen.38

OMT-Programm und Vollzuteilungspolitik

Die Vollzuteilungspolitik kann mit den gleichen Argumenten kritisiert werden, die die Kritiker des OMT-Programms anführen. Daraus folgt, dass die ökonomische Argumentation sich nicht primär gegen die EZB als Staatsfinanzierer, sondern grundsätzlich gegen die EZB als Lender of Last Resort richtet. Denn Vollzuteilungspolitik und OMT-Programm sind klassische Lender-of-Last-Resort-Politik. Diese Politik hat prinzipiell, d.h. unabhängig davon, auf welchem Markt sie praktiziert wird, folgende Eigenschaften:

  1. Lender-of-Last-Resort-Politik widerspricht per definitionem der marktwirtschaftlichen Ordnung, weil der Lender of Last Resort Kredit an jene Schuldner vergibt, die von allen anderen Marktteilnehmern keinen Kredit mehr erhalten.
  2. Der Lender of Last Resort kann nie zweifelsfrei belegen, dass er nur Illiquidität bekämpft. Gerade in einer Krise ist es extrem schwierig, zwischen Illiquidät und Insolvenz zu unterscheiden.39 Die Entscheidung, eine solche Politik einzuschlagen, ist daher inhärenterweise subjektiv. Historisch gesehen sind Zentralbanken aber genau zu diesem Zweck gegründet worden.40 Ihnen diese Entscheidung abzunehmen, ist eine Absage an fast 150 Jahre Zentralbankgeschichte.
  3. Der Lender of Last Resort stellt immer einen Risikoumverteilungsmechanismus dar, weil er stets Forderungen gegenüber Kreditnehmern aufkauft, deren Solvenz angezweifelt wird. Dies gilt unabhängig davon, ob er Forderungen an private oder staatliche Kreditnehmer erwirbt, die der Markt nicht mehr halten will. Das Haftungsrisiko, das aufgrund der Rollenvorgabe „to lend freely“ nicht limitiert sein kann, übernimmt der Lender of Last Resort ohne formalen Parlamentsbeschluss.
  4. Lender-of-Last-Resort-Politik birgt – wie jede Versicherung, und der Lender of Last Resort ist eine institutionalisierte Versicherung gegen Illiquidität – immer ein Moral-Hazard-Risiko.41 Sie setzt negative Anreizeffekte, weil stets nur die schwachen Kreditnehmer und Kreditgeber direkt davon profitieren. Regulierung und Kontrolle sind erforderlich, um diesen Effekten entgegenzutreten. Dennoch sind es gerade die starken Kreditnehmer und -geber, die ein Interesse an einem zügig und durchgreifend handelnden Lender of Last Resort haben. Denn ohne dieses Handeln müssen sie befürchten, über Ansteckungseffekte selbst in die Illiquidität und damit in den Konkurs getrieben zu werden.
  5. Der Lender of Last Resort benötigt einen Partner, der das Solvenzrisiko trägt, dass er wegen (2) bis (4) eingeht. Der Partner einer Zentralbank als Lender of Last Resort ist der Staat. Er schließt aus, dass die Ausübung der Lender-of-Last-Resort-Funktion von der Übernahme möglicher Solvenzrisiken konterkariert wird,42 oder allgemeiner formuliert: dass die Ziele Finanz- und Preisniveaustabilität in Widerpruch zueinander geraten. Der Staat übernimmt diese Rolle, weil Konkurse von unter Insolvenzverdacht geratenen Kreditnehmern in einer Finanzkrise über Ansteckungseffekte hohe realwirtschaftliche Kosten aufweisen. Diese Kosten übersteigen erheblich jene Kosten, die sich nach Überwindung der Krise ermitteln lassen, wenn sich einzelne Schuldner als tatsächlich insolvent erweisen.43

Lender-of-Last-Resort-Politik widerspricht daher inhärenterweise ordnungspolitischen Grundsätzen. Genau diese Grundsätze werden von den Kritikern jedoch angeführt, um das OMT-Programm als mandatswidrig zu kennzeichnen. Entsprechend schlüssig und eingängig ist die Argumentation. Aber genauso leicht ist es, mit diesen Argumenten die Vollzuteilungspolitik zu bewerten. Daraus folgt: Entweder wird die Lender-of-Last-Resort-Logik abgelehnt, dann ist sowohl die Vollzuteilungspolitik als auch das OMT-Programm mandatswidrig. Oder die Lender-of-Last-Resort-Rolle der Zentralbank wird als Teil der Geldpolitik angesehen; dann sind sowohl Vollzuteilungspolitik als auch OMT-Programm mandatskonform. Eine Argumentation, die für den Interbankenmarkt 2008/2009 die Lender-of-Last-Resort-Logik akzeptiert, sie aber für den Staatsanleihenmarkt ab 2010 verwirft, ist inkonsistent.

OMT und Vollzuteilungspolitik – das Gleiche, aber nicht dasselbe?

Eine Argumentation, die inkonsistent ist, ist nicht notwendigerweise falsch, wenn die Inkonsistenzen auf andere Rahmenbedingungen zurückgeführt werden können. Zweimal das Gleiche tun, ist noch lange nicht dasselbe. Es mag also gute Gründe dafür geben, die Lender-of-Last-Resort-Logik für den Interbankenmarkt zu akzeptieren, für den Staatsanleihenmarkt dagegen abzulehnen. Vier solcher Gründe sind:

  1. Der EZB fehlt im Euroraum der Staat als Partner, um die Rolle des Lender of Last Resort spielen zu können.
  2. Der Lender of Last Resort ist in einer akuten, kurzfristigen Krisensituation, z.B. unmittelbar nach dem Konkurs von Lehman Brothers, das richtige Politikinstrument. Die Eurokrise zieht sich dagegen schon seit Jahren hin, so dass die Lender-of-Last-Resort-Rolle nicht mehr angemessen ist.
  3. Das Beispiel der USA zeigt, dass der Lender of Last Resort für Substaaten in einer Währungsunion nicht erforderlich ist.
  4. Die Wirtschaftsgeschichte, gerade das deutsche Beispiel der Weimarer Republik, lehrt, dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank letztendlich immer inflationär ist.

Folgende Einwände führen zu der Schlussfolgerung, dass diese Gründe nicht überzeugen können: 44

  1. Die EZB hat im ESM, an den das OMT-Programm explizit gekoppelt ist, jenen Partner auf Euroraum-Ebene, der den fehlenden Eurostaat in der hier relevanten Funktion, der Sicherung von Finanzstabilität, ersetzt. Der ESM ist daher in der asymmetrischen Eurokrise das Äquivalent zum SoFFin (und anderen nationalen Stabilisierungsfonds) in der globalen Finanzkrise.
  2. Ein mit der Finanzkrise 2008/2009 annähernd vergleichbares Lender-of-Last-Resort-Verhalten liegt erst mit dem OMT-Programm vor. Dieses Programm hat dann – wie die Vollzuteilungspolitik in den Jahren 2008/2009 – innerhalb kürzester Zeit zu ähnlichen krisenentschärfenden Effekten geführt.
  3. Die USA sind eine Währungsunion mit einer Fiskal- und Bankenunion. Unter diesen institutionellen Bedingungen ist eine Lender-of-Last-Resort-Rolle der Federal Reserve für die einzelnen Bundesstaaten nicht notwendig, weil das systemische Risiko, das sich aus dem Konkurs eines einzelnen Bundesstaates ergeben würde, vergleichsweise gering bzw. über die Instrumente des Gesamtstaates beherschbar ist, so dass die No-Bailout-Klausel glaubwürdig ist.
  4. Die Weimarer Hyperinflation resultierte nicht aus einer Finanzkrise, sondern aus einer lang anhaltenden Staatskrise (1. Weltkrieg, Chaos der Nachkriegszeit und Besetzung des Ruhrgebietes), die zusätzliche Staatsausgaben notwendig machten (oder: notwendig erscheinen ließen), für die der Staat aber nicht bereit war, die entsprechende Erhöhung der Einnahmen zu organisieren. Stattdessen bediente er sich der Zentralbank. Dem privaten Sektor wurde also Zentralbankgeld aufgedrängt, das er nicht halten wollte. Im Gegensatz dazu weitet der private Sektor in einer Finanzkrise, wie sie die Eurokrise darstellt, seine Nachfrage nach Zentralbankgeld aus. Er möchte Staatsschuldtitel der Krisenländer und Forderungen gegenüber den Krisenbanken, die er zuvor freiwillig erworben hat, nicht mehr halten und sie gegen Zentralbankgeld umtauschen.

Inflationsgefahr droht daher nicht aus einer Ausweitung der Zentralbankgeldmenge per se, sondern aus einer Ausweitung der Zentralbankgeldmenge, für die es keine entsprechende Nachfrage des privaten Sektors gibt. Vollzuteilungspolitik und OMT-Programm stehen nicht für einen inflationären Kurs der Notenbank, weil sie gerade darauf abzielen, die überschüssige Nachfrage des privaten Sektors nach Zentralbankgeld entweder zu begrenzen (indem signalisiert wird, dass Zentralbankgeld im Zweifelsfall unbegrenzt bereit gestellt wird) oder zu befriedigen. Ein inflationärer Kurs drückt sich dagegen in einer unangemessenen Zinspolitik aus, die auf einen Anstieg der Inflationsrate nicht reagiert. Einen solchen Kurs, der die Geldpolitik der Reichsbank praktisch seit Beginn des 1. Weltkriegs kennzeichnete, kann eine Zentralbank jedoch immer einschlagen. Der Verzicht auf die effektive Bekämpfung einer Finanzkrise reduziert folglich nicht die Gefahr, dass die EZB einen solchen Kurs – wofür es derzeit keine Anzeichen gibt – mandatswidrig in der Zukunft einschlagen wird. Dass in letzter Konsequenz die Stabilität des Euro grundsätzlich auf einer stabilitätsorientierten Fiskal- und Finanzmarktpolitik beruht, die die Solvenz der Euro-Mitgliedstaaten sowie die der im Euroraum operierenden Banken sichert, ist unstrittig.

Fazit

Ist das OMT-Programm mandatswidrig? Die ökonomischen Argumente der Kritiker des OMT-Programms widerlegen die von der EZB vertretene Auffassung, das Programm diene der Sicherstellung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus. Die Argumentation ist in sich schlüssig. Sie hält nur den Bedingungen von Marktwirtschaften, wie sie sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt haben, nicht stand, weil Finanzstabilität – sei es die Stabilität von Banken (und damit: der Guthaben der Bevölkerung) oder die Stabilität von Staaten (erneut: der Guthaben der Bevölkerung) – als öffentliches Gut angesehen wird, das produziert werden muss. Dies zeigt der Vergleich zwischen Vollzuteilungspolitik und OMT-Programm. Regeln, die ex ante verkünden, dass der Staat bzw. die Staatengemeinschaft und die Zentralbank bei einer Gefährdung der Finanzstabilität nicht intervenieren, also den implizit oder explizit angekündigten No-Bailout von Banken oder Staaten vorsehen, sind daher zeit­inkonsistent45 und müssen durch Regulierung und Kontrolle ersetzt werden. Paradoxerweise ist daher die Durchsetzung des Haftungsprinzips, die von den Kritikern des OMT-Programms immer wieder angemahnt wird, nur möglich, wenn es Institutionen und Instrumente gibt, die die systemische Dimension einer Krise einfangen können. Die Fiskal- und Bankenunion der USA ist dafür ein Beispiel.

Im Maastrichter Vertrag sind keine Institutionen und Instrumente vorgesehen, die die Produktion des öffentlichen Gutes Finanzstabilität für die Eurozone ermöglicht hätten, auch wenn einzelne Staaten der Eurozone unter Insolvenzverdacht geraten. Daher ist das Design der Währungsunion gescheitert, obwohl der Euro das Versprechen gehalten hat, das in Maastricht gegeben wurde: Preisniveaustabilität für den gemeinsamen Währungsraum zu sichern. Europa ist mit dem ESM und der Bankenunion dabei, diesen Konstruktionsfehler zu korrigieren. Das OMT-Programm spielt dabei eine zentrale Rolle, weil es kurz- und mittelfristig die Instabilität, die mit Finanzkrisen verbunden ist, bekämpft. Beides ist daher notwendig: ohne funktionierende Fiskal- und Bankenunion droht langfristig die Gefahr eines permanenten Bailouts, der mit anhaltender Wachstumsschwäche und letztendlich auch Inflation einhergehen dürfte; ohne OMT-Programm droht der Rückfall in die Eurokrise mit schweren Verwerfungen auf den Finanzmärkten. Beide Szenarien konstitutieren eine Währungsunion, die weder funktionsfähig noch wünschenswert ist.

* Der Beitrag ist eine erheblich gekürzte und modifizierte Version von A. Winkler: Der Lender of Last Resort vor Gericht, Frankfurt School Working Paper, Nr. 206, 2013, http://www.frankfurt-school.de/clicnetclm/fileDownload.do?goid=000000518072AB4 (4.10.2013).

Title:ECB Crisis Policies: OMT, Full Allotment and the Lender of the Last Resort

Abstract:This paper applies the economic argumentation put forth by the OMT’s opponents before the German Federal Constitutional Court [Bundesverfassungsgericht] to the full allotment policy practiced by the ECB since October 2008. The comparison shows that under this line of reasoning, the full allotment policy also contravenes the ECB’s mandate. Ultimately, therefore, the ECB is not in court because of monetary financing, but rather in its role as a lender of last resort. Accordingly, a court decision against the OMT would endorse an economic argumentation which contradicts 150 years of modern central bank history.

Beitrag als PDF


DOI: 10.1007/s10273-013-1583-4

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.