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Niedrige oder sogar negative Realzinsen bestimmen seit Beginn der Krise die Kapitalmärkte in der Eurozone. Davon profitieren vor allem die Staatshaushalte in Ländern mit hoher öffentlicher Neuverschuldung. Sparer haben demgegenüber Schwierigkeiten, ihr Kapital rentierlich anzulegen. Die Autoren des Zeitgesprächs halten Finanzielle Repression für kein geeignetes Entschuldungsinstrument, weil sie nicht zielgenau wirkt, zu einer Fehlallokation von Kapital führt und mit der Gefahr einer weiteren Krise verbunden ist.

Finanzielle Repression – Realität oder Mythos?

Der aus der Entwicklungsökonomik stammende Begriff „finanzielle Repression“, geprägt von Edward Shaw und Ronald McKinnon,1 wird seit einiger Zeit im Zusammenhang mit der Verschuldung westlicher Industriestaaten diskutiert. Reinhart und Sbrancia zufolge haben in der Geschichte zahlreiche entwickelte Staaten ihre Schuldenstandsquoten durch subtile, allmählich wirkende Maßnahmen statt durch Hyperinflation oder offenen Staatsbankrott verringert.2 Zu diesen Maßnahmen zählen Reinhart und Sbrancia implizite und explizite Zinsobergrenzen (Regulation Q), Goldbesitzverbot, Kapitalverkehrskontrollen, Zwangsanleihen, regulatorische Anreize und den Betrieb von Staatsbanken. Reinhart, Kirkegaard und Sbrancia nennen aktuelle Beispiele finanzieller Repressionen in Staaten wie Frankreich, Irland oder Japan – hauptsächlich Zugriffe auf private Pensionsfonds.3

Vor diesem Hintergrund sind Regulierungen wie Basel III (für Banken) oder Solvency II (für Versicherungsunternehmen) skeptisch zu betrachten, da sie – äußerlich ins Gewand des Verbraucherschutzes gekleidet – auffällige Vorzugsbehandlungen für Staatsschuldtitel enthalten. Eine Bank oder Versicherung, die solche Titel erwirbt, muss sie nicht mit Eigenkapital unterlegen, weil Staatsanleihen – so die absurde offizielle Begründung – vollkommen sicher sind. Demgegenüber erfordern Grundschulddarlehen, Mittelstandskredite oder Aktien hohe Eigenkapitalunterlegungen. In ihrer Doppelrolle als Regulierer und Schuldner mindern die Staaten ihre eigenen Finanzierungskosten und sichern sich einen stetigen Mittelzufluss. Riestersparer, Rürupsparer, Zeichner von Lebensversicherungen oder Berechtigte einer betrieblichen Alterssicherung erwerben indirekt hauptsächlich Staatsanleihen, meist ohne sich dessen bewusst zu sein. Nach einem Bonmot der Finanzbranche, zugegeben eher ein Malmot, fallen mündelsichere Anlagen in Krisenzeiten als erste aus.

Nicht alle der von Reinhart und Sbrancia genannten Instrumente sind aktuell. Bedenklich erscheinen derzeit vor allem die regulatorischen Präferenzen für Staatsschuldtitel und – in Deutschland – die ausgeprägte bankwirtschaftliche Betätigung des Staates insbesondere im Hinblick auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Landesbanken und die nach der Finanzkrise eingerichteten Bad Banks (Erste Abwicklungsanstalt und FMS Wertmanagement).

Im Zentrum der Diskussion stehen indes nicht diese Maßnahmen, sondern die unkonventionellen Geldpolitiken der Europäischen Zentralbank (EZB) und anderer Zentralbanken, die in den vergangenen Jahren zunächst die Zinsen extrem gesenkt und anschließend die Geldbasis durch Offenmarktkäufe in bisher ungekannter Höhe ausgedehnt haben. Derzeit wird finanzielle Repression vorwiegend als partielle Enteignung der Sparer durch eine Politik des leichten Geldes verstanden.

Verteilungswirkungen niedriger Zinsen

Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen und der darauf aufbauenden Berichterstattung profitiert Deutschland von niedrigen Zinsen.4 Das ist natürlich kameralistisch gedacht und verwechselt Deutschland mit seinem Staatssektor. Niedrige Zinsen sind für Schuldner gut und für Gläubiger schlecht, und daher stehen der Freude hochverschuldeter Gebietskörperschaften Sorgen und Ärger von Gläubigern gegenüber, die etwa eine Gefährdung der kapitalgedeckten Altersvorsorge befürchten.

Eine volkswirtschaftliche Betrachtung setzt nicht an einzelnen Sektoren an, sondern am gesamtwirtschaftlichen Nettogeldvermögen, und weil dieses im Fall Deutschlands positiv ist, führen niedrige Zinsen zu Wohlfahrtseinbußen. Verteilungswirkungen ergeben sich insofern nicht nur zwischen den Sektoren, sondern auch zwischen den Volkswirtschaften der Eurozone.

Abbildung 1 zeigt die volkswirtschaftlichen Nettogeldvermögen in Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Hiernach gehört Deutschland zu den nur vier Mitgliedern der Eurozone, die Ende letzten Jahres über ein positives Nettogeldvermögen verfügten. Die Eurozone insgesamt war Nettoschuldner. Aufgrund der Bedeutung des Bankensektors wies Luxemburg die höchste prozentuale Nettoverschuldung auf. In absoluten Zahlen indes lag die Nettoverschuldung Spaniens am höchsten; sie überstieg mit -961 Mrd. Euro sogar das positive Nettogeldvermögen Deutschlands von 814 Mrd. Euro. Selbst wenn die Politik im Zuge der geplanten „Bankenunion“ das gesamte Nettogeldvermögen Deutschlands abschöpfte, würde der Betrag nicht einmal zur Entschuldung Spaniens ausreichen.

Abbildung 1
Nettogeldvermögen der Eurozone 2012
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Quelle: OECD. Abgerufen wurden im September 2013 die Positionen SBF90NC und B1_GA, und zwar jeweils für den Sektor S1. Zahlen für Malta und Zypern waren nicht verfügbar.

Sind die Zinsen wirklich so niedrig?

Aus Abbildung 1 folgt politökonomisch, dass eine überwältigende Mehrheit der Euro-Mitgliedstaaten, die im EZB-Rat über je eine Stimme verfügen, eine Niedrigzinspolitik befürworten müsste. Eine daran anschließende tiefere und schwierigere Frage lautet nun, ob Zentralbanken das Zinsniveau tatsächlich beliebig senken können.

Hiergegen argumentieren zu wollen scheint abwegig, weil der Befund eines Nullzinses fast universell geteilt wird, für die USA wie für die Eurozone, und von der Bild-Zeitung bis zum A-Journal: So ist der Nominalzins nach einer Behauptung von Eggertsson und Krugman an der Untergrenze Null angelangt (Zero Lower Bound). Weil der Gleichgewichts-Realzins angeblich negativ ist, kommt es bei Annahme exogener Erwartungen bezüglich des künftigen Preisniveaus zur Deflation, sofern nicht Vater Staat durch noch höhere Budgetdefizite und noch stärkere Geldschöpfung gegenhält.5 Die Realität sieht freilich anders aus, wie Abbildung 2 für die Eurozone verdeutlicht und wie eine analoge Abbildung auch für die USA verdeutlichen würde.

Abbildung 2
Zinssätze der Eurozone
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Quelle: Eurostat. Abgerufen wurden im September 2013 die Zeitreihen REFI; Zinssätze der monetären Finanzinstitute (MFI) an S11-Y_GT5-NB-OTH-TOTAL; Zinssätze der MFI an S14S15-TOTAL-NB-HLTH; MCBY. Alle Zeitreihen beziehen sich auf die Eurozone.

Seit dem Jahre 2000 hat die EZB ihre Zinspolitik an die des Federal Reserve Board angelehnt und den Hauptrefinanzierungssatz auf eine wahre Achterbahnfahrt geschickt. Für Unternehmen und Haushalte ist der Hauptrefinanzierungssatz aber von geringer Bedeutung; ihre Entscheidungen orientieren sich an den dargestellten Zinssätzen für Unternehmenskredite und Hypothekendarlehen (die in harmonisierter Form erst ab 2003 vorliegen). Ebenso wie die Zinssätze auf Staatsanleihen zeigen die Zinssätze für Unternehmenskredite und Hypothekendarlehen einen recht gleichmäßigen Verlauf. Mit derzeitigen Werten um 3% sind die entscheidungsrelevanten Zinssätze weit von der Nullgrenze entfernt, obwohl die EZB in den letzten Jahren wirklich alles versucht hat, sie noch weiter zu senken. Insofern modelliert die theoretische Literatur zur angeblichen „Zero Lower Bound“ am Problem vorbei: Makromodelle, die aus Vereinfachungsgründen nur einen einzigen Zinssatz enthalten, sollten auf denjenigen Zinssatz abstellen, an den Unternehmen und Haushalte ihre intertemporalen Grenzproduktivitäten bzw. Grenzraten der Substitution angleichen, und das ist bestimmt nicht der Hauptrefinanzierungssatz. Gemessen an den empirisch beobachtbaren Zinssätzen für Unternehmenskredite und Hypothekendarlehen sind „Überersparnisse“ und „Zero Lower Bounds“ bloße Chimären, und zwar sowohl in der Eurozone als auch in den USA. Bedauerlicherweise werden diese Chimären aber nicht nur in akademischen Journalen diskutiert, sondern auch von der geld- und finanzpolitischen Praxis für bare Münze genommen und zur Rechtfertigung jenes extremen Kurses benutzt, den wir seit nunmehr einem halben Jahrzehnt beobachten: Ausweitungen der Geldbasis, wie es sie in Friedenszeiten nicht gegeben hat, und Defizitquoten, die dem ursprünglichen Stabilitäts- und Wachstumspakt Hohn sprechen.

Empirisch falsch ist aber nicht nur die Behauptung, der für die Marktteilnehmer relevante Nominalzins habe eine Untergrenze von „Null“ erreicht, sondern ebenso die Feststellung, der Realzins sei negativ – sei es aufgrund finanzieller Repression oder infolge natürlicher Marktkräfte. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der um die Inflationsrate korrigierten Rendite auf Staatsanleihen der Eurozone. Weil die nominale Rendite in den letzten 13 Jahren leicht gefallen ist, die Inflationsrate aber ebenso, weist der Realzins kaum einen wahrnehmbaren Trend auf. Er pendelt um 2% und ist in letzter Zeit wieder leicht gestiegen.

Abbildung 3
Realzins der Eurozone
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Quelle: Eurostat. Abgerufen wurden im September 2013 die Zeitreihen MCBY und CP00 für die Eurozone, jährliche Veränderung, Monatswerte, keine Leads oder Lags.

Zusammengefasst lässt sich die Behauptung außergewöhnlich niedriger Nominal- oder Realzinsen in dieser Allgemeinheit nicht halten. Der niedrige Hauptrefinanzierungssatz mindert zwar die Finanzierungskosten der Staaten, auch Deutschlands, soweit Kredite mit kurzen Laufzeiten aufgenommen und etwa Bubills statt Bunds emittiert werden. Der private Sektor wird hiervon aber nur wenig berührt, hauptsächlich bei den Zinsen auf kurzfristige Einlagen. Ein unmittelbarer Einfluss auf langfristige Investitions- und Sparentscheidungen oder auf die Alterssicherung ist nicht gegeben.

Allerdings beziehen sich die vorstehenden Zeitreihen auf die gesamte Eurozone. Soweit speziell in Deutschland die Meinung vorherrscht, die Zinsen seien auch bei langen Laufzeiten außergewöhnlich niedrig, beruht dies nicht auf einer allgemeinen Marktbewegung, sondern auf dem Auseinanderdriften der nationalen Zinsen, wie in Abbildung 4 dargestellt. Während deutsche, spanische und italienische Staatsanleihen bis 2007 fast identische Renditen abwarfen, ist seither eine starke Spreizung zu beobachten, die auf der Befürchtung der Marktteilnehmer beruht, spanische oder italienische Staatsanleihen könnten künftig ausfallen. Das eigentliche Problem liegt nicht in einem allgemein sinkenden Zinsniveau, sondern in genau dieser Befürchtung, die zudem alles andere als unbegründet ist. Gläubiger, die innerhalb der Eurozone verhältnismäßig sichere Anlagen suchen, müssen Renditeabschläge in Kauf nehmen; umgekehrt müssen Schuldner der Problemstaaten höhere Zinsen zahlen als seit Einführung des Euro gewohnt. Das mittlere Zinsniveau hingegen strebt eher seitwärts.

Abbildung 4
Nationale Zinssätze der Eurozone
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Quelle: Eurostat. Abgerufen wurden im September 2013 die Zeitreihen MCBY für die genannten Staaten bzw. für die Eurozone insgesamt.

Fazit und Ausblick

Die Eurozone hat sich durch ihre Rechtsbrüche – insbesondere den Verstoß gegen das Beistandsverbot gemäß Art. 125 AEUV und das Verbot monetärer Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV – in ein Gefangenendilemma manövriert, das am Beispiel Griechenlands besonders augenfällig wird: Im Jahre 2012 betrugen die Konsumausgaben des Landes 117% des verfügbaren Nettonationaleinkommens zu Marktpreisen.6 Die Differenz wurde, wie schon in den Vorjahren, durch negative Nettoinvestitionen und einen negativen volkswirtschaftlichen Finanzierungssaldo aufgebracht. Rein logisch kann dieser Zustand nur durch Senkung des Konsums in einer Größenordnung von mindestens 20% oder durch Erhöhung des Einkommens bereinigt werden; bei negativer Nettoinvestition ist eine Erhöhung des Einkommens aber nahezu ausgeschlossen. Hätte die Eurozone das Beistandsverbot 2010 durchgesetzt, wäre eine Minderung des Konsumniveaus nicht nur ökonomisch unabwendbar gewesen, sondern auch politisch durchsetzbar: Die Regierung hätte schlicht darauf verwiesen, dass Mittel fehlen und angesichts des Staatsbankrotts auch nicht von auswärts beschaffbar sind. Nach Senkung des Konsumniveaus und Entschuldung wäre Griechenland inzwischen wohl auf einem guten Weg.

Nun aber, in der Epoche des durch Europäischen Stabilitätsmechanimus (ESM) und Outright Monetary Transactions (OMT) fest institutionalisierten Bailouts, sind ausreichende Einschnitte innenpolitisch nicht mehr vermittelbar; stattdessen schielen alle überschuldeten Staaten auf den ESM und die EZB. Eine Lösung dieses Problems gibt es nicht, zumal die Regierungen der Geberländer begriffen haben, dass ihre Auflagenpolitik nicht teilspielperfekt ist und sie daher die Auflagen ex post verwässern oder, etwa im Fall Spaniens, ganz darauf verzichten. Folglich werden die Schuldenstandsquoten der Eurozone auch in Zukunft tendenziell wachsen, und es ist alles andere als abgemacht, ob die Regierungen allein mit den Mitteln finanzieller Repression ausreichend gegensteuern können oder irgendwann drastischere Maßnahmen zu ergreifen haben.

Zusammengefasst kann man im Euroraum ein gewisses Ausmaß an finanzieller Repression feststellen, doch kommt diese nicht, wie oft angenommen, in einem allgemein niedrigen Nominal- oder Realzinsniveau zum Ausdruck. Ungewöhnlich niedrig sind nur die Zinsen bei kurzen Laufzeiten, die Staaten und Banken eine günstige Refinanzierung erlauben, und die langfristigen Zinsen der wenigen Mitgliedstaaten, die derzeit noch über eine befriedigende Bonität verfügen. Demgegenüber sind die langfristigen Zinsen sowohl der Eurozone insgesamt wie auch der zahlreichen Problemstaaten keineswegs niedrig. Die darin enthaltenen Risikoprämien deuten als Vorboten künftiger Zahlungsausfälle auf das eigentliche Problem. Deutsche Anleger versuchen, durch Anlagen im Inland auszuweichen, laufen damit aber Gefahr, doppelt bestraft zu werden: Erstens durch Zinsverzicht auf ihr Erspartes und zweitens durch höhere Steuern auf ihr Einkommen, sobald es zu weiteren Staatsbankrotten und Bailouts kommt.

  • 1 E. S. Shaw: Financial Deepening in Economic Development, New York 1973; R. I. McKinnon: Money and Capital in Economic Development, Washington 1973.
  • 2 C. M. Reinhart, M. B. Sbrancia: The Liquidation of Government Debt, Bank for International Settlements Working Paper, Nr. 363, November 2011.
  • 3 C. M. Reinhart, J. F. Kirkegaard, M. B. Sbrancia: Financial Repression Redux, in: Finance and Development, Juni 2011.
  • 4 Vgl. http://www.welt.de/wirtschaft/article119136046/Niedrige-Zinsen-bringen-Deutschland-41-Milliarden.html.
  • 5 G. B. Eggertsson, P. Krugman: Debt, Deleveraging, and the Liquidity Trap: A Fisher-Minsky-Koo Approach, in: Quarterly Journal of Economics, 127. Jg. (2012), H. 3, S. 1469-1513.
  • 6 Eurostat: Positionen B5NM und P3, jeweils Sektor S1, abgerufen: September 2013.

Die Mechanik der Staatsschulden und ihre Implikationen

Im Gefolge der Finanzkrise sind die Staatsschulden in der Europäischen Währungsunion (EWU) auf ein dauerhaft nicht mehr tragbares Niveau gestiegen. Auf der Suche nach Wegen aus dieser schwierigen Situation bietet sich ein Blick in die Geschichte auf Fälle erfolgreicher Krisenbewältigung an. Ein besonders beeindruckendes Beispiel einer fiskalpolitischen Trendwende sind die USA in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Schuldenquote wurde von einem Höchststand von rund 120% des BIP bis Anfang der 1980er Jahre auf rund 35% zurückgeführt (vgl. Abbildung 1).1

Abbildung 1
Schuldenquote USA 1945 bis 2012
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Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis.

Im Folgenden soll untersucht werden, wie es den USA gelang, ihre Schuldenbelastung in knapp vierzig Jahren auf weniger als ein Drittel des Ausgangswertes abzubauen, und welche Lektionen sich daraus für die Länder der EWU ergeben könnten. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Rolle die sogenannte Finanzielle Repression beim Abbau der Schuldquote spielte.

Grundsätzlich stehen Ländern verschiedene Wege offen, die Schuldenquote b = B/Y zu verringern:2

  • Direkte Reduzierung der Schulden B durch Haushaltskonsolidierung („Rückzahlen“) oder Schuldenschnitt („Staatsbankrott“),
  • Anstieg der Wirtschaftsleistung Y („Herauswachsen“) und/oder
  • Abbau des realen Schuldendienstes durch „Überraschungsinflation“.

Einen besonderen Weg stellt die sogenannte Finanzielle Repression dar, also der Versuch über staatliche Eingriffe den Nominalzins für Staatsanleihen unter das Marktniveau zu drücken. In den ursprünglichen Untersuchungen von McKinnon und Shaw standen ganz unterschiedliche Markteingriffe im Vordergrund, etwa administrierte Zinssätze, hohe Mindestreservesätze und staatliche Investitionslenkung, mit denen versucht wurde, Kapital von Privaten zum Staat zu lenken.3 Heute scheint vor allem die makroprudentielle Regulierung kombiniert mit einer stetigen Inflationsdosis zur „liquidation of government debt“ genutzt zu werden.4 Finanzielle Repression ist dabei weniger als ein eigenständiges wirtschaftspolitisches Instrument zu verstehen. Stattdessen wird mit Finanzieller Repression ein Bündel heterogener Maßnahmen aus ganz unterschiedlichen Politikfeldern wie der Regulierungs- und Geldpolitik bezeichnet, das zwar nicht in erster Linie auf die Verminderung der Schuldenlast abzielt, diesen „positiven“ Nebeneffekt aber gerne „mitnimmt“.

Zur Mechanik der Staatsschulden – das Beispiel USA

Unmittelbar geht es bei der Finanziellen Repression als einem wirtschaftspolitischen „Instrument“ darum, über einen geringeren Nominalzins die staatliche Schuldendynamik zu bremsen. Gleichung (1) beschreibt, wie das reale Zinsniveau r im Zusammenspiel mit dem Primärsaldo PD, also dem Budgetsaldo unter Vernachlässigung der Zinszahlungen, die Dynamik der Staatsverschuldung B bestimmt. Da für die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung die reale Belastung maßgeblich ist, gibt Gleichung (1) die realen Einheiten wieder:5

Bt = PDt + (1 + r) Bt-1 = PDt + (1 + i - π) Bt-1          (1)

Der reale Schuldenstand B steigt nach Maßgabe des realen Primärdefizits PD sowie des Realzinses r = i - π, also der Differenz zwischen Nominalzins i und der Inflationsrate π. Maßnahmen der Finanziellen Repression versuchen, mit einer Verringerung des Nominalzinses unter das „Normal“-Niveau die Zinszahlungen auf die ausstehenden Schulden zu reduzieren und so die Schuldendynamik zu bremsen. Offensichtlich gelingt diese Entlastung nur für den Fall, dass die Regierung den erweiterten Verschuldungsspielraum nicht zu höheren Ausgaben und damit größeren Primärdefiziten nutzt. Die Verschuldung kann durch Finanzielle Repression sogar absolut verringert werden, wenn sich der niedrigere Nominalzins in einem negativen Realzins niederschlägt, also r = (i - π) < 0 gilt.

Der massive Abbau der US-amerikanischen Schuldenquote in der Zeit von 1945 bis 1980 ging einher mit einer Stabilisierung des realen Schuldenstands in dieser Zeit (vgl. Abbildung 2). Dies wurde erreicht durch eine Kombination aus stabilitätsorientierter Fiskalpolitik mit einem durchschnittlichen Primärüberschuss in Höhe von 0,4% des BIP und einer Fülle staatlicher Eingriffe, um den Realzins und damit den staatlichen Schuldendienst zu senken. Abbildung 3 zeigt in diesem Zusammenhang – basierend auf Gleichung (1) – inwieweit die Änderung des realen Schuldenstands entweder auf die Realzinskomponente oder das Primärdefizit zurückzuführen ist.

Abbildung 2
Realer absoluter Schuldenstand USA 1945 bis 2012
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Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis.

Abbildung 3
Änderung realer Schuldenstand, reales Primärdefizit und Realzins USA 1945 bis 1980
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Quellen: Federal Reserve Bank of St. Louis; R. Shiller: U.S. Stock Price Data, Annual, with consumption, both short and long rates, and present value calculations. An Update of Data shown in Chapter 26 of Market Volatility, 1989, and Irrational Exuberance, Princeton 2005, http://www.econ.yale.edu/~shiller/data/chapt26.xls (16.10.2013); eigene Berechnungen.

Im Zentrum der zinssenkenden Maßnahmen stand die von der US-Notenbank garantierte Zinsobergrenze von 2,5% auf Staatsanleihen, die durch vielfältige Lohn-, Preis- und Kreditkontrollen ergänzt wurde.6 Bei einer durchschnittlichen Inflationsrate von rund 4,5% über den gesamten Zeitraum von 1945 bis 1980 wurden Ende der 1940er und dann wieder Ende der 1970er Jahre durch Überraschungsinflation auch deutlich negative Realzinsen herbeigeführt und die reale Verschuldung abgebaut (vgl. Abbildung 4).7 Insgesamt scheint somit Finanzielle Repression in den USA der Nachkriegszeit dazu beigetragen zu haben, dass der reale Schuldenstand konstant blieb.

Abbildung 4
Kurzfristiger Realzins USA 1945 bis 2012
51972.png

Anmerkung: Realzins (gleitender 3-Jahres-Durchschnitt) entspricht der Differenz zwischen 1-Jahres-Zins (nominal) und realisierter Inflationsrate.

Quellen: R. Shiller: U.S. Stock Price Data, Annual, with consumption, both short and long rates, and present value calculations. An Update of Data shown in Chapter 26 of Market Volatility, 1989, and Irrational Exuberance, Princeton 2005, http://www.econ.yale.edu/~shiller/data/chapt26.xls (16.10.2013), eigene Berechnungen.

Während also bei der Analyse der Finanziellen Repression die Wirkung auf den staatlichen Schuldenstand im Vordergrund steht, wird die Debatte um die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in der Regel mit Bezug auf die Schuldenquote geführt, also die relative Schuldenbelastung B/Y. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Konzepte der absoluten und relativen Staatsverschuldung und inwieweit hat Finanzielle Repression nicht nur zur Stabilisierung des realen Schuldenstands, sondern auch zum beeindruckenden Rückgang der Schuldenquote in den USA der Nachkriegszeit beigetragen?

Die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung in einer wachsenden Volkswirtschaft wird von der Entwicklung der Schuldenquote bt, also dem Verhältnis von realem Schuldenstand B (vgl. Gleichung 1) und realem Bruttoinlandsprodukt Y bestimmt.

50116.png        (2)

Unter Berücksichtigung des realen Wachstums g, das definiert ist als Yt / Yt-1 = 1 + g, ergibt sich dann

bt = pdt + (1 + r) / (1 + g) bt-1 ,        (3)

wobei b und pd die relative Verschuldung bzw. den relativen Primärsaldo bezeichnen. Für kleine Werte des Realzinses r und des realen Wachstum g lässt sich wegen (1 + r) / (1 + g) ≈ 1 + r - g Gleichung (3) vereinfachen zu

bt = pdt + (1 + r - g) bt-1 ,        (4)

so dass für die Veränderung der Schuldenquote gilt

bt - bt-1 = pdt + (r - g) bt-1 = pdt + (i - [g + π]) bt-1 .         (5)

Finanzielle Repression kann demnach dazu beitragen, die Schuldenquote zu verringern, wenn der Nominalzins unter die Rate des Nominalwachstums abgesenkt wird, so dass die Zins-Wachstums-Differenz, i < (g + π), negativ wird. Bei realer Betrachtung bedeutet dies letztlich, dass die Schuldenquote bereits dann abnimmt, wenn durch Finanzielle Repression der Realzins unter die Rate des realen Wachstums gedrückt wird. Im Gegensatz zum absoluten Schuldenniveau ist bei der Schuldenquote ein negativer Realzins also nicht zwingend notwendig, um diese zurückzuführen.

Abbildung 5 verdeutlicht im Fall der USA, in welchem Umfang die Zins-Wachstums-Differenz bzw. die Primärdefizitquote zur Änderung der Schuldenstandsquote beigetragen haben (vgl. auch Gleichung 5). So zeigt sich, dass in der Zeit von 1945 bis 1980 der Rückgang der Schuldenquote insbesondere auf die negative Zins-Wachstums-Differenz mit einem durchschnittlichen Wert von rund -2,8% zurückzuführen ist.8 Insgesamt wurde der Rückgang der Schuldenquote von ca. 120% auf 35% des BIP zu etwa vier Fünftel von der negativen Zins-Wachstums-Differenz und zu einem Fünftel von den realisierten Primärüberschüssen getrieben. Finanzielle Repression scheint somit eine gewisse Rolle für die relative Schuldenentlastung in den USA gespielt zu haben. Insgesamt ist aber der beeindruckende Rückgang der US-Schuldenquote in der Nachkriegszeit vor allem auf das Zusammenspiel ganz konventioneller Haushaltskonsolidierung, und dem starken realem Wachstum zurückzuführen. Ohne das erhebliche reale Wachstum hätte bei den positiven Realzinsen, die in etwa zwei Drittel der Zeit von 1940 bis 1980 zu beobachten waren, keine negative Zins-Wachstums-Differenzen und damit das „Herauswachsen“ aus der Schuldenbelastung herbeigeführt werden können.

Abbildung 5
Änderung Schuldenquote, Primärdefizitquote und Zins-Wachstumsdifferenz USA 1945 bis 1980
52031.png

Quellen: Federal Reserve Bank of St. Louis; R. Shiller: U.S. Stock Price Data, Annual, with consumption, both short and long rates, and present value calculations. An Update of Data shown in Chapter 26 of Market Volatility, 1989, and Irrational Exuberance, Princeton 2005, http://www.econ.yale.edu/~shiller/data/chapt26.xls (16.10.2013), eigene Berechnungen.

Implikationen für den Euroraum

Welche Lehren ergeben sich vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Erfahrungen für den Euroraum, für den derzeit auch die Diagnose „Finanzielle Repression“ gestellt wird.9 Dazu gehören so unterschiedliche Maßnahmen wie die auf längere Frist angelegte Niedrigzinspolitik der EZB, Kapitalverkehrskontrollen in Zypern und Regulierungen, welche die Nachfrage nach Staatsanleihen erhöhen (Anlagevorschriften für Versicherungen und Pensionsfonds, Verzicht auf Eigenkapitalunterlegung für Banken im Falle von Staatsanleihen).10 Auch wenn mit diesen Maßnahmen nicht vorrangig das Ziel verfolgt wird, die Staatsschulden zu reduzieren, so werden die zu erwartenden Entschuldungseffekte von den Regierungen wohl gerne hingenommen.

Als direkte Konsequenz dieser Politik sind deutlich negative Realzinsen in der EWU zu beobachten (vgl. Abbildung 6). Offensichtlich führen die negativen Realzinsen zu einer Entschuldung der Staaten zu Lasten ihrer Gläubiger. Dabei macht Abbildung 10 deutlich, dass dieser Entlastungseffekt bei Ländern, die es wegen vergleichsweise hoher Verschuldung und deshalb schlechter Ratings „am notwendigsten“ hätten, relativ wenig wirksam ist. Dagegen profitieren die sogenannten Nord-Euro-Länder wegen relativ geringerer Schuldenquoten, besserer Ratings und damit niedrigerer (negativer) Realzinsen in besonderer Weise. Auch unter diesem Aspekt ist Finanzielle Repression nicht als Instrument eines gezielten Abbaus der hohen Staatsverschuldung in den Krisenländer der EWU geeignet.

Abbildung 6
EWU-Realzins
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Anmerkung: Rendite auf 1-jährige Staatsanleihen abzüglich tatsächliche Inflation.

Quelle: EZB; eigene Berechnungen.

In eine umfassende Beurteilung sind darüber hinaus auch die vielfältigen und vor allem langfristig wirksamen Kosten einzubeziehen. Das interventionsbedingt zu niedrige Zinsniveau verursacht offensichtlich vielfältige Verzerrungen vor allem von Spar- und Investitionsentscheidungen. So vermindert sich auf Grund niedrigerer Zinsen der Anreiz zur Ersparnisbildung, eine konsumtive Verwendung der Ersparnisse wird vorteilhafter, der notwendige Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge wird möglicherweise unterlassen oder fällt zu gering aus. Die Niedrigzinspolitik kann auch Anlageentscheidungen verzerren und den Grundstein für weitere finanzielle Verwerfungen und Vermögenspreisblasen legen.

Auffallend sind in diesem Zusammenhang auch die willkürlichen (Um-)Verteilungseffekte innerhalb der EWU. So sanken etwa infolge der Finanziellen Repression die Zinssätze auf Bankeinlagen auf nahezu historische Tiefststände, während gleichzeitig aufgrund der unterschiedlichen nationalen Inflationsraten erhebliche Differenzen bei den Realzinsen auftraten. In der Folge werden den Anlegern in den jeweiligen Ländern in ganz unterschiedlichem Umfang die Kosten der Finanziellen Repression aufgebürdet. So sind insbesondere den Sparern in den Nord-Euroländern, auf Grund der negativen Realzinsen die Kosten der Finanziellen Repression auferlegt worden (vgl. Abbildung 7).

Abbildung 7
Umverteilung in der EWU: Realzinsen auf Bankeinlagen
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Anmerkung: Realzinsen auf Bankeinlagen mit Laufzeiten kleiner 2 Jahre, August 2013.

Quellen: Eurostat; EZB; eigene Berechnungen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass „repressive“ Maßnahmen rein saldentechnisch den realen Schuldendienst oder sogar den realen Schuldenstand verringern helfen können. Diese Effekte sind aber nicht zielgenau zu erreichen und gehen mit willkürlichen Umverteilungseffekten einher. Finanzielle Repression eignet sich nicht als „Entschuldungsinstrument“ und wird nicht dazu beitragen können, tragfähige Schuldenstände in der EWU zu erreichen. Zudem sind die erheblichen, vor allem langfristig wirksamen Kosten verzerrter Spar- und Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen, die eine Schuldenkonsolidierung noch schwieriger machen. Insgesamt wird der zukünftige Abbau der Schuldenlast in der EWU, wie schon in den USA in der Vergangenheit, nachhaltig nur mit einer Kombination ganz konventioneller Maßnahmen erreichbar sein: nämlich Haushaltskonsolidierungen und wirtschaftliches Wachstum, in Einzelfällen auch ein Schuldenschnitt.

  • 1 Die Angaben beziehen sich auf den Gesamtstaat (Zentralstaat, Länder, Gemeinden und Kommunen, Sozialversicherungen).
  • 2 Vgl. C. M. Reinhart, M. B. Sbrancia: The Liquidation of Government Debt, NBER Working Paper, Nr. 16893, 2011.
  • 3 Der Begriff der Finanziellen Repression wurde in Arbeiten von McKinnon sowie Shaw im entwicklungspolitischen Kontext geprägt, vgl. R. I. McKinnon: Money and Capital in Economic Development, Washington, DC 1973; vgl. E. S. Shaw: Financial Deepening in Economic Development, New York 1973.
  • 4 Vgl. C. M. Reinhart, M. B. Sbrancia, a.a.O.
  • 5 Vgl. z.B. E. Görgens, K. Ruckriegel, F. Seitz: Europäische Geldpolitik, Stuttgart 2008, S. 370 ff.
  • 6 Vgl. G. P. Shultz: Think Long, in: J. D. Ciorciari, J. B. Taylor (Hrsg.): The Road Ahead for the Fed, Stanford 2009, S. 3-12.
  • 7 Bei nicht korrekt antizipierten Inflationsraten, d.h. die erwartete Inflationsrate (π erw) entspricht nicht der realisierten Inflationsrate (π), ändert sich die Gleichung (1) Bt = PDt + (1 + r + π erw - π) Bt-1. Der Realzins verringert sich nach Maßgabe der Überraschungsinflation, die Schuldendynamik wird entsprechend gebremst.
  • 8 Die Zins-Wachstums-Differenz basiert auf dem 1-Jahres-Zinssatz von R. Shiller: U.S. Stock Price Data, Annual, with consumption, both short and long rates, and present value calculations. An Update of Data shown in Chapter 26 of Market Volatility, 1989, and Irrational Exuberance, Princeton 2005, http://www.econ.yale.edu/~shiller/data/chapt26.xls (16.10.2013).
  • 9 Vgl. C. M. Reinhart: The return of financial repression, in: Banque de France – Financial Stability Review, Nr. 16, April 2012, S. 37-48.
  • 10 Vgl. EZB: Introductory statement to the press conference, vom 2.10.2013, http://www.ecb.europa.eu/press/pressconf/2013/html/is131002.en.html (16.10.2013); vgl. Europäische Kommission: Statement by the European Commission, ECB and IMF on the First Review Mission to Cyprus, vom 31.7.2013, http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-733_en.htm (16.10.2013); vgl. C. M. Reinhart, a.a.O.

Was ist Finanzielle Repression?

Der Begriff Finanzielle Repression wurde in der Entwicklungsökonomik der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts von Edward Shaw und Ronald McKinnon geprägt.1 Ursprünglich verstand man darunter ein Bündel von Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte, das den Zweck hatte, Ressourcen vom privaten zum öffentlichen Sektor zu transferieren. Dabei dachte man zu der Zeit vor allem an die Zustände in vielen Entwicklungsländern, als sich der Staat mangels anderer Einnahmen oft über den Finanzsektor finanzierte. In den letzten Jahren haben Carmen Reinhart und Belen Sbrancia den Begriff zur Beschreibung von Maßnahmen wiederbelebt, die Staaten ergriffen haben, um mit hohen Schuldenlasten, wie sie nach Kriegen oder Finanzkrisen entstehen, fertig zu werden.2 Reinhart und Sbrancia zählen zu diesen Maßnahmen:

  1. Beschränkung der Zinssätze auf Staatsschulden durch Interventionen der Notenbank;
  2. Verstaatlichung von Banken, verbunden mit der Beschränkung des Wettbewerbs durch andere Banken;
  3. Anreize für nationale Banken, Anleihen des eigenen Staates zu kaufen und als Reserven zu halten und
  4. Kontrolle des Kapitalverkehrs.

Nach der Finanzkrise von 2008 bis 2009 haben die meisten der von der Krise betroffenen Länder Maßnahmen ergriffen, die in den Punkten 1 bis 3 beschrieben sind. Im Falle Zyperns wurde auch der Kapitalverkehr beschränkt, um einen Abfluss der nach der Restrukturierung des Bankensektors verbleibenden Einlagen zu verhindern. Finanzielle Repression ist heutzutage in vielen Industrieländern Wirklichkeit geworden. Es mag als Ironie der Geschichte betrachtet werden, dass sie in den Entwicklungsländern mit zunehmender finanzieller Stabilität zurückgegangen ist.

Was sind die Ursachen der Finanziellen Repression?

Die unmittelbare Ursache für die Finanzielle Repression heute ist die in der Ära der sogenannten Großen Moderation aufgebaute Überschuldung von Staaten, Banken und privaten Haushalten. In diesem Zeitraum, der sich von der Mitte der 1990er Jahre bis zum Beginn der Finanzkrise 2007 erstreckte, verfolgte die Geldpolitik vor allem das Ziel, die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung in der Nähe ihres langfristigen Wertes zu halten und dadurch die Inflation auf niedrigem Niveau zu stabilisieren. Dieser Ansatz war von der Vorstellung geprägt, dass sich bei Gleichgewicht auf den Güter- und Arbeitsmärkten zwangsläufig auch die Kapitalmärkte im Gleichgewicht befinden würden. Dies wurde stillschweigend angenommen, da man davon ausging, dass die Wirtschaftssubjekte Erwartungen über die Zukunft unter Einbeziehung aller verfügbaren Informationen und bei vollständiger Kenntnis der Wirkungszusammenhänge in der Volkswirtschaft bilden, und die Finanzmärkte daher effizient sind. Die Existenz eines einzelnen Wachstumsgleichgewichts der Volkswirtschaft war eine allgemein akzeptierte Vorstellung.

Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass ein Gleichgewicht auf den Güter- und Arbeitsmärkten mit einem Ungleichgewicht auf den Kapitalmärkten verbunden sein konnte. Dies war möglich, weil die Wirtschaftssubjekte ihre Entscheidungen in Wirklichkeit bei unvollständiger Information und ohne vollständige Kenntnis der ökonomischen Zusammenhänge (des „ökonomischen Modells“) treffen müssen. Neben dem guten allgemeinen Wachstumsgleichgewicht war also auch ein schlechtes Gleichgewicht möglich, das wegen den Entwicklungen auf den Kapitalmärkten langfristig nicht stabil war. So blieben die Konjunkturschwankungen und die Inflation in der Ära der Großen Moderation moderat, während die Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung rasant anstieg, bis sie 2007 zur Krise führte. Das Platzen der Schulden- und Kreditblase leitete die Finanzkrise und große Rezession von 2008 bis 2009 ein. Dabei wurde die Krise in den USA von der Überschuldung der privaten Haushalte und Banken ausgelöst, während in Europa noch die Überschuldung einiger Staaten hinzukam.

Regierungen und Zentralbanken reagierten auf die Krise gemäß der unter dem Eindruck der Großen Depression der 1930er Jahre geschriebenen Lehrbücher: Die Regierungen ergingen sich im „deficit spending“ zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und füllten das nach Abschreibungen dezimierte Eigenkapital der Banken mit öffentlichen Mitteln wieder auf. Die Zentralbanken pumpten Liquidität in das Finanzsystem, um das durch Kreditabschreibungen zerstörte, ursprünglich von den Banken geschaffene „Innengeld“ durch „Außengeld“ (d.h. Zentralbankgeld) zu ersetzen. Das Ergebnis war eine schnelle Stabilisierung des Finanzsektors und der Realwirtschaft, aber auch ein gewaltiger Anstieg der öffentlichen Verschuldung.

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Nothilfe der Zentralbanken und die Hinnahme höherer öffentlicher Defizite durch die Regierungen während der Krise angebracht waren. Die schnelle Rekapitalisierung der Banken durch die öffentliche Hand half, eine Depression wie in den 1930er Jahren zu vermeiden. Umstrittener ist dagegen der Versuch der Staaten und ihrer Zentralbanken, die Wirtschaft durch fortgesetzte monetäre und fiskalische Stimulierung zur Vollbeschäftigung zurückzuführen. Natürlich wäre eine schnelle Rückkehr zu hohem Wachstum wünschenswert, um die hohe Verschuldung der öffentlichen Hand abzubauen und die Bilanzen der Banken zu festigen. Aber historische Studien haben gezeigt, dass das reale Wachstum nach Banken- und Finanzkrisen in aller Regel für viele Jahre schwach bleibt. Auch eine andauernde geld- und fiskalpolitische Stimulierung wird daran nichts ausrichten können. Allerdings kann eine Geldpolitik, die durch finanzielle und verbale Interventionen am Kapitalmarkt („quantitative easing“ und „forward guidance“) die Zinsen unter die Inflationsrate drückt, den Schuldnern etwas Erleichterung verschaffen. Deren nominale Einnahmen dürften dann schneller steigen als die Ausgaben für den Schuldendienst. Aber eine solche Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Schuldner – und darunter insbesondere den Staat – zu Lasten der Gläubiger – im Wesentlichen die den Staat mit ihren Ersparnissen finanzierenden privaten Haushalte – zu entlasten. Um den Vorwurf zu entkräften, müsste sie zeigen, dass diese Umverteilung gesamtwirtschaftlich von Nutzen ist.

Was sind die Kosten und Nutzen der Finanziellen Repression?

Wie eingangs schon angesprochen nutzt Finanzielle Repression den Schuldnern, und darunter insbesondere dem Staat. Da nur dieser die Macht hat, Maßnahmen durchzusetzen, die Vermögen von Gläubigern zu Schuldnern umverteilen, ist das Interesse des Staates für das Entstehen von Finanzieller Repression entscheidend. Allerdings kann der Staat auch ein Interesse daran haben, nicht nur sich selbst, sondern auch private Schuldner durch Finanzielle Repression zu entlasten, wenn er sich davon gesamtwirtschaftlichen Nutzen verspricht. Dieser Nutzen kann darin liegen, dass andere Maßnahmen zur Entschuldung nicht möglich oder nicht wünschenswert sind. Natürlich ist immer zu wünschen, dass die private oder öffentliche Schuldenlast durch das Wachstum der Einnahmen verringert wird. Hohes Wirtschaftswachstum mag ein Abbau der Überschuldung nach Kriegen ermöglichen, wenn zerstörte Anlagen wieder aufgebaut werden müssen und der Friede Wachstumskräfte freisetzt, aber starkes Wachstum ist nach Banken- und Finanzkrisen aller Erfahrung nach unwahrscheinlich. Außerdem sind der Fähigkeit des Staates, seine Einnahmen durch Steuererhöhungen zu steigern, Grenzen gesetzt. Wird die Steuerschraube überdreht, leidet die Realwirtschaft und die Einnahmen des privaten und öffentlichen Sektors können geringer ausfallen als vorher. Können aber die Einnahmen durch höheres Wachstum oder (im Fall des Staates) durch Steuern nicht erhöht werden, dann bleibt nur die Wahl zwischen Finanzieller Repression und Schuldenschnitt als Mittel zur Entschuldung. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ergibt sich ein Nutzen aus der Finanziellen Repression dann, wenn die Kosten der Alternative in Form von Schuldenschnitten größer sind als die der Finanziellen Repression.

Gesamtwirtschaftliche Kosten von Schuldenschnitten entstehen, wenn dadurch eine Kettenreaktion weiterer Schnitte ausgelöst wird. Dies ist vor allem dann zu erwarten, wenn der vom Schnitt betroffene Schuldtitel in außergewöhnlich hohem Maß in den Bilanzen besonders vieler Gläubiger zu finden ist. Typischerweise ist dies der Fall, wenn der Schuldtitel vor dem Schnitt als besonders sicher galt und deshalb keine Vorsorge für den Zahlungsausfall von den Gläubigern getroffen wurde. Dies trifft insbesondere auf staatliche Schuldtitel zu. Werden die Gläubiger von einem Zahlungsausfall überrascht, stehen sie unter Druck, sehr schnell ihre Bilanz verkürzen zu müssen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Einbruch der Wirtschaftsaktivität oder, mit anderen Worten, zu einer „Bilanzrezession“ führt.3 Eine Stabilisierung von privaten Bilanzen durch den Staat und der staatlichen Bilanz durch die Zentralbank mit Maßnahmen, die Finanzielle Repression erzeugen, mag dann als das kleinere Übel erscheinen.

Im Gegensatz zu den Kosten eines Schuldenschnitts, die sofort und massiv anfallen, sind die Kosten der Finanziellen Repression zunächst gering. Die Schockwirkung und mögliche Kettenreaktion eines Schuldenschnitts bleibt aus. Gesamtwirtschaftliche Kosten entstehen aber durch die Wirkung negativer Realzinsen auf die Allokation von Kapital. Neuanlagen in nominale Schuldtitel werden entmutigt und Anlagen, die reale Erträge abwerfen, werden attraktiver. Je länger die Periode der Finanziellen Repression dauert, desto stärker steigen die Preise für reale Anlagen, bevor sie mit dem Ende der finanziellen Repression wieder fallen. Dies kann mit einem zweistufigen Dividend Discount Model veranschaulicht werden.

Nach diesem Modell ergibt sich der Preis für Dividendenwerte (P) als

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wobei entsprechend dem Gordon Growth Model

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Während der Finanziellen Repression ist das Wachstum der Dividenden g größer als die Kosten für das eingesetzte Kapital r, da die Zentralbank für nominales Wachstum bei niedrigen Zinsen sorgt. Nach Ende der Finanziellen Repression gilt aber wieder die übliche Annahme, dass die Kosten für Kapital das Wachstum der Erträge übersteigt, also r* > g*. Anfänglich sehen die Anleger Finanzielle Repression als kurzfristiges Phänomen, N ist also klein. Mit der Zeit gewöhnen sie sich jedoch daran. N steigt und treibt den Preis für Dividendentitel durch einen Anstieg des ersten Terms in der Gleichung (1) nach oben. Endet nun aber die Periode der Finanziellen Repression früher als allgemein erwartet, haben die Anleger den Parameter N überschätzt und der Preis für Dividendentitel muss fallen, um sich der tatsächlichen Dauer der Repression anzupassen. Je größer die Fehleinschätzung der Anleger ist, um so stärker ist der Preisverfall und um so schmerzhafter sind die realwirtschaftlichen Effekte der durch den Preisrückgang erzwungenen Bilanzanpassungen. Finanzielle Repression kann also die durch einen unmittelbaren Schuldenschnitt erzwungene Bilanzanpassung verzögern, aber an ihrem Ende stehen aller Wahrscheinlichkeit nach wieder Bilanzanpassungen, welche die Realwirtschaft destabilisieren können. Setzt die Zentralbank aus Angst vor schmerzhaften Bilanzanpassungen die Finanzielle Repression unbegrenzt fort, kann es zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit und einem Schwund des Vertrauens in das von ihr geschaffene Geld kommen. Um den Wirtschaftssubjekten die Flucht aus dem Geld zu erschweren, können dann Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen nötig werden.

Die gegenwärtige Diskussion um das Ende der Bilanzausweitung der US Federal Reserve („tapering“) illustriert das Problem. Die Verringerung der Zinsen, die durch das Programm der Fed zum Kauf von Staats- und Hypothekenanleihen herbeigeführt wurde, hat die Finanzierung der amerikanischen Staatsschuld und des Erwerbs von Immobilien erleichtert. Dadurch wurde das Wachstum der US-Wirtschaft stabilisiert. Aber schon die Diskussion um den Einstieg in den Ausstieg aus diesem Programm hat die Zinsen wieder steigen lassen, die Nachfrage nach Hypotheken verringert und die Preise von US-Immobilien und von Aktien und Anleihen weltweit gedrückt. Die sich daraus ergebenden Risiken für das weitere Wachstum der Wirtschaft haben die Fed dann in letzter Minute vor einer Verringerung der Ankäufe zurückschrecken lassen. Nun besteht die Hoffnung, dass sich das Wachstum in den kommenden Monaten so weit festigt, dass es durch einen Fall der Preise für Vermögenswerte infolge einer Verringerung des Ankaufs von Anleihen nicht wesentlich leiden wird. Doch scheint dies aber eher ein frommer Wunsch als eine realistische Perspektive zu sein. Solange die Verschuldung des Privatsektors und der öffentlichen Hand nicht deutlich geringer ist, bleibt das Risiko einer erneuten Bilanzrezession hoch. Die Fed steckt nun in einer Zwickmühle: Einerseits muss sie wünschen, dass die Inflation steigt und die Verschuldung durch Finanzielle Repression auf ein ungefährliches Niveau zurückgeführt wird, andererseits muss sie fürchten, dass ein von ihr herbeigeführter Anstieg der Inflation ihre Glaubwürdigkeit und damit das Vertrauen in das von ihr geschaffene Geld zerstört.

Für den Euroraum ergibt sich das zusätzliche Problem, dass eine Umverteilung von Vermögen von Gläubigern zu Schuldnern durch Finanzielle Repression auch mit Umverteilung zwischen Staaten verbunden ist. Deutschland als größter Gläubiger der anderen Euroländer erleidet einen Vermögensverlust während die Schuldnerländer Vermögensgewinne realisieren. In den die EWU begründenden Verträgen wurde eine Umverteilung von Vermögen unter den Mitgliedsländern explizit ausgeschlossen („Bailout-Verbot") und ist daher rechtswidrig. Wird sie durch die EZB dennoch erzwungen, verliert die EWU ihre rechtliche Grundlage und gründet ihre weitere Existenz allein auf politische Machtverhältnisse. Da sich diese über die Zeit ändern können, wäre daher der Bestand der EWU in der Zukunft ungewiss.

Fazit

Finanzielle Repression scheint ein probates Mittel für überschuldete Staaten zu sein, den Schuldendienst ohne Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder gar Umschuldung zu leisten. Die dadurch erzwungene Umverteilung der Vermögen von Gläubigern zu Schuldnern kommt dabei nicht nur dem Staat, sondern auch überschuldeten privaten Akteuren zugute. Finanzielle Repression erscheint attraktiv, weil dadurch realwirtschaftliche Schocks durch harte Schuldenschnitte vermieden werden können. Die Nebenwirkung ist jedoch eine Fehlallokation von Kapital, deren Korrektur neue realwirtschaftliche Schocks auslösen kann. Weil es nicht möglich ist, die Kosten der Alternativen abzuschätzen, ist Finanzielle Repression eine Wette mit ungewissem Ausgang. Regierungen gehen sie trotzdem ein, weil sie in der Regel die in der Zukunft liegenden Kosten der Finanziellen Repression stark abdiskontieren. Diese Kosten fallen entweder in Form einer erneuten Bilanzrezession an, wenn die Zentralbank sich dazu entschließt, die Finanzielle Repression zu beenden, oder sie entstehen in Form eines Verlusts in das Vertrauen in die Politik der Zentralbank und damit in das von ihr geschaffene Geld.

  • 1 E. S. Shaw: Financial Deepening in Economic Development, New York 1973; R. I. McKinnon: Money and Capital in Economic Development, Brookings Institute, Washington DC 1973.
  • 2 C. Reinhart, B. Sbrancia: The Liquidation of Government Debt, NBER Working Paper, Nr. 16893, März 2011.
  • 3 R. Koo: Balance Sheet Recession: Japan’s Struggle with Uncharted Economics and its Global Implications, Singapur 2003.

Finanzrepression – ein neuer Mythos?

Die Bekämpfung der Weltfinanzkrise nach 2008 hat weltweit die öffentlichen Haushalte schwer belastet: Konjunkturprogramme, Bankenstützungspakete und steigende Sozialkosten im Zuge teilweise stark ansteigender Arbeitslosigkeit auf der Ausgabenseite und sinkende Steuereinnahmen in der konjunkturellen Abschwungphase, die in einigen Ländern weiterhin andauert, haben die jährlichen Defizite ebenso wie die Schuldenstände nach der erfolgreichen Konsolidierungsphase seit Beginn der Einführung der einheitlichen Währung in der EU stark anwachsen lassen (vgl. Tabelle 1) – in der Eurozone ist daraus eine „Eurokrise“ erwachsen, die bis heute den Bestand der Europäischen Währungsunion gefährdet.

Tabelle 1
Schuldenstandsquoten in ausgewählten Ländern
  Differenz der Schuldenstands­quote 2007-1998 Differenz der Schuldenstands­quote 2012-2008 Staatsschulden­quoten 2012
  in Prozentpunkten in % des BIP
Eurozone -9,9 25,0 92,7
OECD -1,1 27,9 108,8
Deutsch­land 3,1 15,1 81,9
Griechen­land 15,2 44,0 156,9
Italien -19,8 20,9 127,8
Spanien -28,0 44,0 84,2
USA -2,2 31,7 107,6
Groß­britannien -2,3 38,7 90,0
Japan 53,9 45,7 237,5

Quellen: European Economy: Statistical Annex, Frühjahr 2013; OECD: Economic Outlook 93, 2013; eigene Berechnungen.

Die Schuldenstände sind nicht nur problematisch, weil sie einige Länder an den Rand der Illiquidität, vielleicht gar der Insolvenz gebracht haben, die steigende Zinslast beschneidet die Handlungsspielräume der Regierungen und die zunehmende Belastung des Kapitalmarktes durch die Staatsdefizite verdrängt private Investoren („crowding out“) und verzerrt damit die Allokation der Ersparnisse – so zumindest die konventionelle Darlegung. Könnte letzteres die öffentlichen Haushälter vielleicht noch unbeeindruckt lassen, müsste sie doch die Beschneidung der Handlungsspielräume und die Aussicht auf Illiquidität bzw. Insolvenz bekümmern und nach Auswegen suchen lassen. Da Austeritätsprogramme ebenso wie Steuererhöhungen mit hohen politischen Kosten verbunden sind, liegt es doch so nahe, sich weniger transparenter und deshalb politisch opportuner Instrumente zu bedienen: Typischerweise wird hier die Inflationssteuer ins Spiel gebracht oder, neuerdings, ein Maßnahmenbündel, das unter dem Begriff „Finanzrepression“ lange Zeit für Entwicklungsländer reserviert war, jüngst aber von der US-amerikanischen Ökonomin Carmen Reinhart et al.1 auch für hochentwickelte Länder in die Diskussion gebracht wurde.

Finanzrepression oder „Macroprudential Regulation“?

Unter Finanzrepression werden alle Maßnahmen verstanden, die Finanzströme zu einem Preis (Zinssatz) in die Kassen der öffentliche Haushalte umleiten, der unter dem Preis liegt, den der unregulierte Marktmechanismus hervorbringen und den öffentlichen Haushältern abverlangen würde: Dies sind in erster Linie Zinsobergrenzen („interest rate caps“), Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit, enge Beziehungen zwischen Bankensystem und Staat mittels öffentlicher Eigentümerschaft an Banken oder massiver Beeinflussung privater Banken durch den Staat („moral suasion“) und andere Regulierungen, die die Anlagefreiheit der Investoren und Sparer beschränken.

Diese werden gegenwärtig unter dem Stichwort der „Macroprudential Regulation“ breit diskutiert, würden aber letztlich nur mittels Finanzrepression der klammheimlichen Entschuldung der öffentlichen Haushalte dienen – wie bereits während des langen „goldenen Zeitalters des Kapitalismus“ nach dem 2. Weltkrieg, als es vielen Regierungen hochentwickelter Volkswirtschaften gelang, den hohen Schuldenberg auch mittels finanzieller Repression schnell und massiv abzubauen. Zwar muss Reinhart et al. zugeben, dass die Finanzwelt nach der Weltfinanzkrise zu Beginn unseres Jahrhunderts und nach einer drei Dekaden anhaltenden Liberalisierungswelle weit davon entfernt ist, dem auf nationaler wie internationaler Ebene stark regulierten Bretton-Woods-System ähnlich zu sein, und auch, dass die Anzeichen finanzieller Repression in OECD-Staaten eher dürftig sind – gleichwohl, der Begriff „Finanzrepression“ ist etabliert und gegen jede Form von „Macroprudential Regulation“ in Stellung gebracht. Und schnell wird jede Inzidenz negativer Realzinsen auf Staatsschuldverschreibungen als eben solche Finanzrepression interpretiert – so z.B. vom Sachverständigenrat.2

Abbildung 1
Realzinsen auf 10-jährige Staatsanleihen in ausgewählten Ländern
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Quelle: Ameco-Datenbank.

Expansive Geldpolitik und „Quantitative Easing“ ist nicht Finanzrepression

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass sich gegenwärtig die Finanzminister einiger Staaten über sehr niedrige und teilweise sogar negative Realzinsen auf ihre Staatsanleihen freuen können (vgl. Abbildung 1).3 Doch muss dafür das Konstrukt der „Finanzrepression“ bemüht werden oder reicht der Verweis auf die expansive geldpolitische Ausrichtung fast aller Notenbanken in der OECD angesichts einer rezessiven Konjunkturphase und den „Safe-Haven-Effekt“ in einem Umfeld hoher Risiken und zunehmender Unsicherheit über die realwirtschaftliche und finanzielle Stabilität der Weltwirtschaft und des Weltfinanzsystems aus?4

Die expansive geldpolitische Ausrichtung der Notenbanken allein kann freilich kaum als Nachweis der „Finanzrepression“ herhalten: Zum einen ist es eine der Aufgaben der Notenbanken, der Stabilität des Finanzsystems und der Realwirtschaft Rechnung zu tragen – insbesondere, wenn inflationärer Druck nicht zu befürchten ist. Wählt man zum anderen den „Taylor-Zins“ als Maßstab für adäquates geldpolitisches Verhalten, so kann die gegenwärtige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zumindest dann nicht als übertrieben expansiv kritisiert werden, wenn ein „Inflation Targeting“ auf postkeynesianischer Grundlage akzeptiert wird5 (vgl. Abbildung 2) – und die hieran gemessen etwas zu expansive Geldpolitik der US-Fed spiegelt wohl eher deren bekannte Sensitivität gegenüber realwirtschaftlichen Entwicklungen wider, als dass sich hier ein Hinweis auf finanzielle Repression finden ließe.6

Abbildung 2
Geldpolitische Orientierung von US-Fed und EZB
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Anmerkungen: Taylor-Zins berechnet nach der üblichen Formel iT = iR + π + ½ (output gap) + ½ (inflation gap); mit iR = langfristiger Realzins = 0%, π = tolerierte Inflationsrate = 2%; EZB = 3-Monats-Interbanken-Zinssatz, Fed = 3-Monats-Geldmarktzinssatz.

Quelle: Ameco-Datenbank.

Ähnlich muss wohl die Einschätzung hinsichtlich der Interventionen der Notenbanken in die Primär- und Sekundärmärkte für Staatsanleihen ausfallen, die angesichts einer Annäherung des nominalen Notenbankzinssatzes an die Untergrenze von Null zur weiteren Belebung der Konjunktur und Stützung der Liquidität der Märkte als so genanntes „Quantitative Easing“ erfolgte7 – wenngleich Palleys Bedenken gegen deren Effektivität durchaus geteilt werden können.8 Eine Finanzrepression stellt dies allein deshalb nicht dar, weil Notenbanken zum anderen selbstverständlich unabhängige (Finanz-)Marktteilnehmer sind, die nicht einfach mögliche Entschuldungsziele der Regierungen verfolgen. Dies gilt wohl noch mehr für die EZB als für die Fed, die ja nicht nur einer, sondern mehreren Regierungen dienen müsste, deren Entschuldungspräferenzen durchaus unterschiedlich sein können (vgl. Tabelle 1).

Schließlich: Der Ausgangspunkt der Überlegungen zur Verlockung einer potenziellen „Finanzrepression“ war der Versuch der „verdeckten“ Entschuldung des Staates, um so politisch schmerzhafte Austeritätsprogramme oder Steuererhöhungen zu umgehen. Will irgendjemand ernsthaft behaupten, dies sei irgendwo auch nur ansatzweise gelungen? Im Gegenteil: Überall beherrscht eine Mischung aus Austeriätsprogrammen und (zumeist sozial regressiven) Steuererhöhungen die Politikszene nach der Weltfinanzkrise.9

Tabelle 2
Finanzmarktregulierung und Wirtschaftswachstum1
Zeitraum BIP-Wachs­tum in % Wachs­tum des BIP/Kopf in % Finanzmarkt­deregulierungs­index2
1913 bis 1950 1,9 1,2 -0,7
1950 bis 1973 4,9 3,8 -2,7
1973 bis 1998 k.A. 1,9 -1,5

1 16 ausgewählte OECD-Länder nach A. Maddison.

2 Nach T. Philippon, A. Reshef; je höher der Indexwert, desto weniger sind die Finanzmärkte reguliert.

Quellen: A. Maddison: Dynamic Forces in Capitalist Development, Oxford 1991; A. Maddison: The World Economy. A Millennial Perspective, Paris 2001; T. Philippon, A. Reshef: Wages and Human Capital in the US Financial Industry 1909-2006, in: Oxford Economic Papers, 127. Jg. (2012), Nr. 4, S. 1551-1609; eigene Berechnungen.

Stabilität versus Allokation – der ewig währende Streit

Wenn die Weltfinanzkrise eines deutlich gemacht hat, dann, dass die „Hypothese effizienter (Finanz-)Märkte“ zurückgewiesen werden muss. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen vollständiger und gleichverteilter Informationen auf der Grundlage einer ergodischen Welt sind schlicht nicht zu erfüllen. Unvollständige Märkte aber benötigen eine regulative Einbettung – dies reduziert nicht nur die realwirtschaftliche Instabilität, sondern kann auch durchaus die langfristige Wachstumsperformanz verbessern, wenn „Moral-Hazard-“ oder „Adverse-Selection-Verhalten“ im Ergebnis eine Rationierung des endogen bestimmten (nicht etwa durch die Sparer exogen festgelegten) Finanzvolumens realer Investitionen bewirkt.10

Reinhart selbst verweist auf die hohe Korrelation von Finanzmarktregulierung und Finanzmarktstabilität, vergisst aber leider, auf den ebenfalls hohen Gleichlauf von Finanzmarktregulierung und Wirtschaftswachstum aufmerksam zu machen (vgl. Tabelle 2): Das hochregulierte Bretton-Woods-Zeitalter blickt auf die höchsten und stabilsten Wachstumsraten der aufgezeichneten Wirtschaftsgeschichte zurück, die auch drei Jahrzehnte Finanz-, Güter- und Arbeitsmarktderegulierung in der neoliberalen Ära nicht wiederherstellen konnten. Regulierungen helfen, Kosten (die z.B. durch Vermögensvernichtung im Zuge heftiger realwirtschaftlicher Schwankungen oder durch die Unterauslastung vorhandener Potenzialfaktoren entstehen) zu reduzieren, sie verursachen allerdings auch Kosten (wenn z.B. Produktionsfaktoren ineffizient eingesetzt werden) – dies ist der immerwährende Widerstreit zwischen der Betonung von Stabilität einerseits und allokativer Effizienz andererseits.

Die neoklassische Mainstream-Ökonomik tendiert dazu, die allokative Effizienz in den Vordergrund zu rücken, die neokeynesianische Mainstream-, aber auch die Non-Mainstream-Ökonomik verweist auf die Stabilisierungsnotwendigkeit und die partielle Komplementarität von Stabilität und Allokation. Der Widerstreit ist wichtig und nützlich, um Einseitigkeiten zu vermeiden. Die Dominanz der allokationstheoretischen Sichtweise in Wissenschaft und Politik in den letzten Jahrzehnten dürfte eine der Ursachen der Weltfinanzkrise gewesen sein.11 Nun bedarf es einer Stärkung der Stabilitätsorientierung – dies scheint zumindest in der Wissenschaftsgemeinschaft unbestritten und wird unter dem Rubrum „Macroprudential Regulation“ diskutiert.12

Vor diesem Hintergrund muss Reinharts Versuch, die „Wiederbelebung der finanziellen Repression“13 an die Wand zu malen, als ein Versuch gewertet werden, in der Mitte einer noch längst nicht überwundenen, weltweiten Krise des „Kasino-Kapitalismus“14 einen neuen Mythos von weiterem Staatsversagen zulasten der Sparer aufzubauen15. Oder anders: Die „Allokationsfraktion“ der Ökonomen schafft sich neue Argumentationsgrundlagen gegen die „Stabilitätsfraktion“.

  • 1 Vgl. C. Reinhart: The return of financial repression, in: Banque de France Financial Stability Review, Nr. 16, 2012, S. 38-48, C. M. Reinhart, M. B. Sbrancia: The Liquidation of Government Debt, NBER Working Paper, Nr. 16893, Cambridge MA 2011. Hierbei handelt es sich übrigens um jene Ökonomin, die jüngst (in Ko-Autorenschaft) mit einer Studie für Aufsehen sorgte, die vorgab, eine Verschuldungsobergrenze der öffentlichen Haushalte bestimmen zu können. Das Aufsehen bestand gleichermaßen in den Implikationen für viele von der Eurokrise betroffene Länder wie im Nachweis, dass die im American Economic Review erschienene Veröffentlichung voller absurder Fehler steckte und die wirtschaftspolitischen Implikationen völlig substanzlos waren.
  • 2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2012/13: Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Wiesbaden 2012, S. 84.
  • 3 Selbst wenn man kritisch anmerkt, dass die korrekte Berechnung der Realzinsen auf 10-jährige Staatsanleihen nicht die gegenwärtige Inflationsrate zur Diskontierung verwendet, sondern die erwartete, gibt es wenig Anzeichen dafür, dass die Inflationserwartungen soweit sinken, dass Nominalzinsen unter 2% positive Realzinsen erwarten lassen.
  • 4 Vgl. M. Fratzscher: Capital Flows, Push versus Pull Factors and the Global Financial Crisis, in: Journal of International Economics, 88. Jg. (2012), H. 2, S. 341-356. Der Sachverständigenrat glaubt, dass die Divergenz der Renditen auf Staatsanleihen zwischen den USA und Großbritannien einerseits (die 2012 real etwa bei 0% lagen) und dem Euroraum andererseits (die im gewichteten Durchschnitt real etwa bei 2,3% lagen) wesentlich auf die unterschiedlichen Ausmaße zurückzuführen ist, in denen die jeweiligen Notenbanken in die Primär- und Sekundärmärkte für Staatsanleihen interveniert hätten – dies sei ein Hinweis auf „Financial Repression“; vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., S. 84. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter diesem gewichteten Durchschnitt des Euroraumes eine große Varianz zwischen den von den Finanzmärkten und Ratingagenturen als stark eingeschätzten Ländern und den abfällig als PIGS-Staaten bezeichneten Mitgliedstaaten, was eher für die „Safe-Haven-These“ als die „Finanzrepressionsthese“ spricht.
  • 5 In der postkeynesianischen Literatur wird gelegentlich eine Taylor-Regel vorgeschlagen, die einen gleichgewichtigen Realzins von nahe Null unterstellt; vgl. H. Atesoglu: The natural rate of interest and a new monetary policy rule; in: Journal of Post Keynesian Economics, 30. Jg. (2007), H. 4, S. 689-669; L.-P. Rochon, M. Setterfield: Interest rates, income distribution, and monetary policy dominance: post-Keynesians and the „fair rate“ of interest, in: Journal of Post Keynesian Economics, 30. Jg. (2007), H. 1, S. 13-42.
  • 6 Fiskalische Effekte von Zinserhöhungen bzw. -senkungen sind gänzlich normal und keineswegs Ausweis einer Finanzrepression.
  • 7 Zumal es durchaus Hinweise darauf gibt, dass der normale Zinstransmissionsmechanismus nicht funktionierte; vgl. J. Matthes, M. Demary: Überschreitet die EZB mit ihren Staatsanleihekäufen ihr Mandat?, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 9, S. 608 ff.
  • 8 T. I. Palley: Quantitative Easing: A Keynesian critique, PERI Working Paper Series, Nr. 252, University of Massachusetts, Amherst 2011.
  • 9 Vgl. A. Heise, H. Lierse: The Effects of European Austerity Programmes on Social Security Systems; in: Modern Economy, 2. Jg. (2011), S. 498-513.
  • 10 Marktversagen im Sinne einer Abweichung der Zinsdetermination von den sogenannten Fundamentaldaten (hier: ein Überschießen) – sowohl für Staatsanleihen wie auch für Unternehmenskredite – hat es in der Weltfinanzkrise sicher gegeben: vgl. unter anderem J. Klose, B. Weigert: Fundamental factors versus systemic risk, Working Paper des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wiesbaden 2012; E. Zoli: Italian Sovereign Spreads, IMF Working Paper, Nr. 13/84, Washington 2013.
  • 11 Vgl. A. Heise: Toxische Wissenschaft? Zur Verantwortung der Ökonomen für die gegenwärtige Krise; in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 12, S. 842-848. Hätte man den „Theoretiker der finanziellen Instabilität“ – Hyman P. Minsky – ernster genommen, wäre die Weltfinanzkrise als Folge eines sogenannten Minsky-Super-Zyklus wahrscheinlich zu vermeiden gewesen.
  • 12 Vgl. z.B. R. Boyer: How new will the next regulatory regime be?, in: Socio-Economic Review, 8. Jg. (2010), H. 3, S. 541-547. Die genaue Justierung von Stabilität und Allokation mittels Regulierungen und institutioneller Reformen bleibt freilich umkämpft; vgl. dazu den Bericht der London School of Economics and Political Science: A. Turner et al.: The Future of Finance. The LSE Report, London 2010.
  • 13 Vgl. C. Reinhart, J. F. Kirkegaard, M. B. Sbrancia: Financial Repression Redux, in: Finance and Development, Juni 2011, S. 22-24.
  • 14 Vgl. S. Strange: Casino Capitalism, Oxford 1986.
  • 15 An dieser Stelle kann nicht unerwähnt bleiben, dass Carmen Reinhart zum Zeitpunkt der Forschungsarbeit an den erwähnten Schriften Senior Fellow des Peterson Institute of International Economics war, welches seine finanziellen Grundlagen dem früheren Investitionsbanker Peter G. Peterson verdankt.

Finanzielle Repression – kein überzeugendes Instrument zur Bewältigung der Krisenfolgen im Eurogebiet

In fast allen Ländern der Europäischen Währungsunion ist nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 die Staatsverschuldung stark gestiegen. Abbildung 1 zeigt, dass 2012 die Staatsschuldenquote (Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) im Eurogebiet insgesamt 90% betrug, und nur fünf Länder der Währungsunion eine Schuldenquote aufwiesen, die unter 60%, und damit unter der Obergrenze wie sie im Stabilitäts- und Wachstumspakt definiert ist, lag. Damit hat die Staatsverschuldung in vielen Ländern der Währungsunion eine Höhe erreicht, die als problematisch angesehen und deren Rückführung als eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit betrachtet wird.1

Maßnahmen zur Reduktion der Staatsschuldenquote, wie die Senkung der Staatsausgaben und Steuererhöhungen, sind schmerzhaft und damit politisch grundsätzlich schwer durchsetzbar. Die Frage ist deshalb, ob das Mittel der finanziellen Repression eine gutzuheißende Alternative darstellt. Mit finanzieller Repression werden staatliche Maßnahmen in Verbindung gebracht, die die Finanzierungskosten des Staates unter die Kosten senken, die unter rein wettbewerblichen Bedingungen zu zahlen wären. Die Antwort auf diese Frage lautet nein.

Gefahren einer hohen Staatsverschuldung

Hohe Staatsschulden sind das Resultat entsprechender staatlicher Haushaltsdefizite in der Vergangenheit.2 Sieht sich der Staat jedes Jahr mit einem Defizit konfrontiert, kommen in jedem Jahr neue Schulden hinzu, d.h. die Staatsverschuldung wächst. Steigt die gesamtwirtschaftliche Produktion (nominales Bruttoinlandsprodukt) nicht entsprechend, kommt es zu steigenden Schuldenquoten. Hohe Schuldenquoten bergen erhebliche Gefahren. Zum einen können sie sich negativ auf das zukünftige Wirtschaftswachstum auswirken: Defizite im Staatshaushalt bewirken, dass grundsätzlich private Ersparnisse weniger zur Finanzierung privater Investitionen und mehr zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben genutzt werden. Folglich sinkt der private Kapitalstock. Dies kann dämpfend auf die zukünftige Produktion und damit das Einkommen in der betrachteten Volkswirtschaft wirken, abhängig davon, wofür der Staat die finanziellen Mittel alternativ eingesetzt hat. Ferner besteht die Gefahr, dass Kapitalanleger dem Staat nicht mehr zutrauen, dass er seine Schulden zurückzahlen wird. Die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung wird angezweifelt. Ist dies der Fall, steigen zunächst die Zinsforderungen und damit das Staatsdefizit immer weiter an, bis kein Kapitalanleger mehr bereit ist, dem Staat noch Mittel zur Verfügung zu stellen, der Staat ist bankrott. Er muss seine Staatsausgaben abrupt drastisch herunterfahren, was mit hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einhergeht. Diese Gefahr des Staatsbankrotts bei hohen Schuldenquoten impliziert ein weiteres Problem. Der Staat kann keine weiteren Mittel aufnehmen, so dass auch im Fall einer Krise (massiver Konjunktureinbruch, systemische Bankenkrise, Naturkatastrophen) seine Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind, und notwendige Maßnahmen möglicherweise nicht ergriffen werden können. Die geschilderten Gefahren der hohen Schuldenquoten verdeutlichen die Notwendigkeit ihrer Reduktion.

Maßnahmen zur Reduktion der Schuldenquote

Die Staatschuldenquote kann durch eine Senkung des Schuldenstandes und/oder durch eine Erhöhung des nominalen Bruttoinlandsprodukts reduziert werden.

Der Schuldenstand für das Jahr 2013 ergibt sich aus

Schuldenstand2013 = Schuldenstand2012 + Primärdefizit2013 + Zinszahlungen2013.

Dies zeigt, dass der Schuldenstand – sieht man von einem Schuldenerlass einmal ab – nur reduziert werden kann, wenn der Staat einen Primärüberschuss erwirtschaftet, der die Zinszahlungen übersteigt. Sah sich der Staat bislang mit einem Primärdefizit konfrontiert, muss er zum Schuldenabbau seine Staatsausgaben reduzieren und/oder die Steuereinnahmen erhöhen. Diese Maßnahmen können weniger stark ausfallen, wenn der Staat in der Lage ist, seine Finanzierungskosten zu reduzieren. Das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen steigt, wenn tatsächlich mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden und/oder wenn die Preise steigen. Damit ergeben sich grundsätzlich zwei weitere Ansatzpunkte für die Reduktion der Schuldenquote: eine höhere gesamtwirtschaftliche Produktion (reales Wirtschaftswachstum) und steigende Preise. Letztere führen jedoch nur dann zu einer sinkenden Schuldenquote, wenn sich diese nicht in entsprechend höheren Zinszahlungen niederschlagen, d.h. wenn die Nominalzinssätze weniger steigen als die Inflationsrate.

Damit bleibt festzuhalten, dass grundsätzlich mit Hilfe folgender wirtschaftspolitischer Maßnahmen Schuldenquoten abgebaut werden können:

  • Staatsausgabensenkungen und/oder Steuererhöhungen, die zu einem Primärüberschuss führen: Diese Maßnahmen reduzieren die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und gehen zumindest kurzfristig mit einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion einher. Sie können also einen wirtschaftlichen Abschwung verstärken, mit den entsprechenden wirtschaftlichen Kosten und möglicherweise auch gesellschaftlichen Problemen. Folglich sind diese Maßnahmen schmerzhaft und nur schwer politisch durchsetzbar.
  • Das Wirtschaftswachstum fördernde Maßnahmen: Hierunter fallen z.B. staatliche Investitionen in Bildung und die Infrastruktur. Das Problem dieser Maßnahmen liegt darin, dass sie erst langfristig wirken, aber kurzfristig finanziert werden müssen und somit zunächst nicht zu einem Abbau der Schuldenquote führen, sondern diese möglichweise sogar noch erhöhen.
  • Überraschungsinflation: Die Zentralbank kann eine unerwartet expansive Geldpolitik betreiben, die zu einer steigenden Nachfrage und damit steigenden Preisen führt. Dieses muss überraschend passieren, da andernfalls die Preiserhöhungen zu höheren Nominalzinsen führen würden, so dass der Effekt auf die Schuldenquote ausbliebe. Die Kosten dieser Politik sind offensichtlich entsprechend hohe Inflationsraten und ein Glaubwürdigkeitsverlust der Zentralbank.
  • Maßnahmen zur Senkung der Finanzierungskosten: Gelingt es dem Staat seine Zinszahlungen durch Senkungen des Nominalzinssatzes zu reduzieren, können die Staatsausgabensenkungen und/oder Steuererhöhungen zur Reduktion der Staatschuldenquote weniger stark ausfallen. Sinkt der Nominalzins unter die Inflationsrate, kommt es sogar zu einer Reduktion der Schuldenquote, ohne dass es eines Primärüberschusses bedarf. Ein Staat sieht sich bei der Kreditaufnahme am Markt mit hohen Nominalzinssätzen konfrontiert, wenn die Kreditgeber das Risiko, dass der Staat seine Schulden nicht ordnungsgemäß zurückzahlt, relativ hoch einschätzen. Der Staat kann dann durch eine glaubhafte, die Kreditgeber überzeugende Haushaltskonsolidierungspolitik diese Risikoprämie im Nominalzinssatz reduzieren. Diese Maßnahme zur Reduzierung der Finanzierungskosten ist jedoch nicht mit finanzieller Repression in Verbindung zu setzen. Maßnahmen, die mit finanzieller Repression in Verbindung gebracht werden, können ebenfalls die Schuldenquote reduzieren. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen.
Abbildung 1
Bruttoverschuldung 2012
in % des Bruttoinlandsproduktes
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Quellen: Europäische Zentralbank; Eurostat.

Maßnahmen im Rahmen finanzieller Repression

Mit finanzieller Repression werden Maßnahmen des Staates in Verbindung gebracht, die seine Finanzierungskosten senken, indem sie den von ihm zu entrichtenden Nominalzinssatz unter den Zinssatz drücken, den der Staat am Markt unter Wettbewerbsbedingungen zahlen müsste. Reinhart, Kirkegaard und Sbrancia drücken dies wie folgt aus: „Governments are once again finding ways to manipulate markets to hold down the cost of financing debt.“3 Hierunter fällt ein ganzes Bündel von Maßnahmen, einschließlich solcher, die primär ein anderes Ziel verfolgen, aber bei denen die Reduktion des Nominalzinssatzes unter den eigentlichen Marktzins, und damit die Reduzierung der Finanzierungskosten des Staates, als „Nebenprodukt“ abfällt. Der Kerngedanke ist, dass durch diese Maßnahmen die Nachfrage nach Staatsschuldverschreibungen „künstlich“ aufrechterhalten oder erhöht wird, und somit entsprechend niedrige Zinssätze realisiert werden können. Zu Maßnahmen, die mit finanzieller Repression in Verbindung gebracht werden, gehören:4

  • Das Setzen von Zinsobergrenzen auf Bankeinlagen: Diese Regulierung bewirkt, dass Banken Sparern keine höheren Zinssätze und damit keine attraktivere Anlagemöglichkeit anbieten können als die (niedrig verzinsten) Staatsanleihen.
  • Kapitalverkehrskontrollen: Sie verhindern oder schränken zumindest ein, dass Kapitalanleger ihre Ersparnisse zu attraktiveren Konditionen im Ausland anlegen.
  • Kauf von Staatsschuldverschreibungen durch staatseigene Banken und Appelle an heimische Banken, Staatsschuldverschreibungen zu kaufen (Moral Suasion).
  • Gelenkte Kreditvergabe an den Staat durch staatlich gebundene Institutionen.
  • Gesetzliche Anforderungen an von bestimmten Institutionen gehaltene Aktiva, die Staatsanleihen begünstigen.
  • Bevorzugte Behandlung von Staatsanleihen bei Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften an Banken: Müssen Banken die von ihnen gehaltenen Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen und/oder zählen diese zu den liquiden Mitteln einer Bank, die sie im Rahmen von Liquiditätsanforderungen halten muss, fördern diese Regulierungen die Nachfrage nach Staatsanleihen.
  • Ankauf von Staatsschuldverschreibungen durch die Zentralbank.

Diese Maßnahmen wurden und werden von den Staaten eingesetzt.5 Eine der bekanntesten Regulierungen in Bezug auf Zinsobergrenzen ist die Regulation Q. Dieses Gesetz bestand in den USA von 1933 bis 1986 und legte Zinsobergrenzen für Spar- und Termineinlagen bei Banken fest. Im Jahr 2010 legte die spanische Regierung eine bestimmte Zinsobergrenze auf Einlagen bei spanischen Banken fest. Ferner wurden in der Finanzkrise in mehreren Ländern (z.B. in Frankreich und Irland) staatlich gebundene Institutionen, wie Pensionsfonds, angehalten, Staatsanleihen zu erwerben.6 Auch in Deutschland genießen deutsche Staatsanleihen Privilegien, die bewirken, dass die Nachfrage nach diesen Anleihen höher ist. Beispiele für diese Privilegien sind ihre Mündelsicherheit (§ 1807 BGB), und dass Versicherungen ihr gebundenes Vermögen in diesen Wertpapieren anlegen dürfen (§ 2 Anlageverordnung).

Darüber hinaus genießen Staatsanleihen eine bevorzugte Behandlung im Zusammenhang mit den Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken. So legen beispielsweise die im Rahmen von Basel III in der Europäischen Union bereits umgesetzten bzw. vorgesehenen Eigenkapitalvorschriften fest, dass alle in Euro ausgegebenen Schuldverschreibungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. Im Rahmen von Basel III müssen Banken einen bestimmten Anteil ihres Vermögens in hochgradig liquiden Aktiva halten. Staatsanleihen werden, im Gegensatz z.B. zu Unternehmensanleihen, zu diesen liquiden Aktiva gezählt.7 Ferner haben im Zuge der Finanzkrise Zentralbanken weltweit Staatsanleihen aufgekauft. Während jedoch beispielsweise die US-Notenbank im Rahmen eines Quantitative Easing massiv amerikanische Staatschuldtitel gekauft hat, hält sich im Vergleich hierzu der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) bisher in Grenzen. Die EZB hat im Rahmen ihres inzwischen eingestellten Securities Market Programme (SMP) Staatsanleihen erworben. Im September kündigte sie an, im Outright-Monetary-Transactions-Programm (OMT) gegebenenfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Programmländern, d.h. von Ländern, die bereits finanzielle Unterstützung aus den europäischen Hilfsfonds EFSF oder ESM beziehen, aufzukaufen. Bislang sind jedoch im Rahmen dieses Programms keine Wertpapierkäufe getätigt worden.8 Zu bemerken ist jedoch, dass die EZB im Rahmen ihrer Kreditvergabe an Banken diese derzeit grundsätzlich unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang zwei Liquiditätszuführungen, die die EZB im Dezember 2011 und Februar 2012 vorgenommen hat. Im Zuge dieser beiden Liquiditätsspritzen hat die EZB den Banken über Kredite mit einer Laufzeit von drei Jahren zu einem Zinssatz von grundsätzlich 1% in hohem Maße Liquidität zur Verfügung gestellt. Diese Liquidität wurde insbesondere von Banken aus den Peripherieländern genutzt, um heimische Staatsanleihen zu kaufen.9

Konsequenzen finanzieller Repression

Maßnahmen finanzieller Repression implizieren, dass der von dem jeweiligen Staat zu zahlende Nominalzinssatz unter den Zinssatz fällt, der ohne diese Maßnahmen, also unter Wettbewerbsbedingungen, zu entrichten wäre. Dies bewirkt, dass das Staatsdefizit geringer oder ein Überschuss höher ausfällt. Ist letzteres der Fall, wird der Schuldenstand des Staates reduziert. Folglich sinkt die Schuldenquote, solange das nominale Bruttoinlandsprodukt nicht stärker zurückgeht als der Schuldenstand. Liegt der Nominalzinssatz sogar unter der Inflationsrate, d.h. ist der Realzins negativ, kann es bei einem ausgeglichenen Primärsaldo oder einem entsprechend niedrigem Primärdefizit zu einem Rückgang der Schuldenquote kommen. Der nominale Schuldenstand steigt zwar aufgrund der zu leistenden Zinszahlungen, aber wenn das nominale Bruttoinlandsprodukt aufgrund der höheren Inflationsrate stärker steigt, sinkt letztlich die Schuldenquote. Dieser Effekt wird auch als Liquidationseffekt bezeichnet. Finanzielle Repression wirkt dann auf die Kapitalgeber wie eine zu zahlende Steuer.10

Dem grundsätzlich positiv zu bewertenden Effekt, den Maßnahmen finanzieller Repression auf die Staatsschuldenquote haben, steht jedoch eine Vielzahl gravierender Nachteile gegenüber:

  1. Intransparenz: Die Maßnahmen wirken im Fall eines negativen Realzinses wie eine Steuer. Im Vergleich zu anderen Steuerarten ist der Steuersatz jedoch hochgradig intransparent, da er von Maßnahmen finanzieller Regulierung und der Inflationsrate bestimmt wird.11
  2. Es findet eine willkürliche Umverteilung von Sparern zum Staat statt. Die Ausgaben des Staates sinken zu Lasten der Sparer. Solange positive Realzinsen bestehen, sind die Realeinkommen der Sparer als Folge der finanziellen Repression „nur“ geringer, während im Fall negativer Realzinsen die Sparer sogar mit realen Einkommenseinbußen, also Kaufkraftverlusten, konfrontiert sind.
  3. Maßnahmen finanzieller Repression führen grundsätzlich zu Ineffizienzen bei der Allokation von Kapital und Risiken. Der Staat lenkt intransparent und zu nicht marktgerechten Kosten privates Kapital in staatliche Verwendung. Aufgrund der regulatorisch initiierten geringen Verzinsung von Spareinlagen und Staatsanleihen haben Sparer möglicherweise einen Anreiz, in risikoreichere Kapitalanlagen zu investieren, die nicht ihrem Risikoprofil entsprechen. In diesem Zusammenhang ist auch die Gefahr der Blasenbildung auf anderen Vermögensmärkten (z.B. auf Aktien- und Immobilienmärkten) zu erwähnen, die ein Ausweichen in andere Anlageformen mit sich bringt.
  4. Aufgrund der reduzierten Zinszahlungen hat der Staat einen Anreiz, notwendige Einschnitte bei den Staatsausgaben und Reformen zu verschleppen.
  5. Werden Banken direkt oder indirekt angehalten, Staatsschuldpapiere zu kaufen, kann dies zu einem Teufelskreis führen, der Banken- und Staatsschuldenkrisen miteinander verknüpft und verstärkt. Schätzen die Kapitalgeber das Kreditrisiko eines Staates höher ein, verlieren Staatsschuldpapiere an Wert mit den entsprechend negativen Konsequenzen für die Bilanzen der Banken, die diese Titel halten. Bewirkt dieser Vermögensverlust, dass die Banken in eine Schieflage geraten, muss der Staat, wenn sie als systemrelevant eingestuft werden, diese unterstützen. Die Staatsverschuldung steigt weiter und damit das Kreditrisiko. Staatspapiere verlieren weiter an Wert, was sich wiederum negativ auf die Bankbilanzen auswirkt.
  6. Kauft die Zentralbank Staatsanleihen mit dem Ziel auf, die Finanzierungskosten des Staates zu senken, birgt dies weiterhin die Gefahr einer Inflation, wenn die Zentralbank aufgrund dieser Maßnahme ihre Glaubwürdigkeit verliert.12 Die Wirtschaftssubjekte glauben der Zentralbank dann nicht mehr, dass sie für ein stabiles Preisniveau sorgen wird, sondern sie vermuten, dass fiskalische Überlegungen im Vordergrund stehen. Dies kann bewirken, dass die Zentralbank Inflationserwartungen nicht mehr auf niedrigem Niveau verankern kann. Auch kann der Druck der Regierungen zunehmen, die Zentralbank mehr und mehr für ihre fiskalischen Belange zu nutzen, damit ist die Unabhängigkeit der Zentralbank bedroht, was wiederum die Gefahr von Inflation birgt. Auch geht die Zentralbank Kreditrisiken ein, wenn sie Staatsanleihen kauft. Es ist zu berücksichtigen, dass die bisher aufgeführten negativen Konsequenzen finanzieller Repression auch auftreten, wenn die Zentralbank nicht Staatsanleihen aufkauft, sondern, wie die EZB, Banken zu einem niedrigen Zins Liquidität zur Verfügung stellt, die diese dann nutzen, um Staatsanleihen zu kaufen. Es ist zu beachten, dass die EZB jedoch betont, dass die extrem expansive Geldpolitik ausschließlich dem Ziel dient, in einem Umfeld stabiler Preise die angeschlagene Wirtschaft im Euroraum wieder auf einen tragfähigen Wachstumspfad zu bringen.13

Fazit

Die insbesondere im Zuge der Finanzkrise stark gestiegene Staatsverschuldung birgt erhebliche Gefahren, so dass eine Reduktion der Staatsverschuldung von hoher wirtschaftspolitischer Relevanz ist. Die Reduktion über Senkungen der Staatsausgaben und Steuererhöhungen ist jedoch politisch schwer durchsetzbar. Ein deshalb auf den ersten Blick angenehmeres Instrument scheint die finanzielle Repression zu sein. Maßnahmen, die mit finanzieller Repression in Verbindung gebracht werden, bewirken, dass der von dem Staat auf seine Schulden zu entrichtende Nominalzins unter den „eigentlichen“ Marktzins fällt. Dies entlastet den Staatshaushalt und kann bei entsprechend hohen Inflationsraten, die einen negativen Realzins implizieren, sogar zu einem Rückgang der Schuldenquote führen. Mit diesen Maßnahmen geht jedoch eine Vielzahl von gravierenden Problemen einher, so dass sie für eine glaubwürdige Konsolidierungspolitik (maßvolle Senkung der Staatsausgaben und/oder Erhöhung der Steuern) verbunden mit wachstumsfördernden Politikmaßnahmen weder eine Alternative noch eine Ergänzung darstellen.

  • 1 Vgl. z.B. J. Weidmann: Solide Staatsfinanzen für eine stabile Währungsunion, Rede beim Institute for Law and Finance in Frankfurt a.M. am 12.12.2012.
  • 2 Für detaillierte Ausführungen zu den in diesem und in dem nächsten Abschnitt dargestellten Sachverhalten siehe z.B. O. Blanchard, G. Illing: Makroökonomie, 5. Aufl., München 2009, Kapitel 27.
  • 3 C. Reinhart, J. Kierkegaard, M. Sbrancia: Financial Repression Redux, in: Finance and Development, 48. Jg. (2011), H. 2, S. 22.
  • 4 Vgl. ebenda; C. Reinhart, M. Sbrancia: The Liquidation of Government Debt, NBER Working Paper, Nr. 16893, März 2011, S. 6.
  • 5 Für eine Übersicht ausgewählter Maßnahmen, die mit finanzieller Repression in Verbindung gebracht werden, vgl. C. Reinhart, M. Sbrancia, a.a.O., S. 14-18.
  • 6 Vgl. C. Reinhart, J. Kierkegaard, M. Sbrancia, a.a.O., S. 25.
  • 7 Vgl. Basel Committee on Banking Supervision: A Global Regulatory Framework for more Resilient Banks and Banking Systems, Bank for International Settlements 2010; dass.: The Liquidity Coverage Ratio and Liquidity Risk Monitoring Tools, Bank for International Settlements 2013; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Jahresgutachten 2012/2013, S. 146.
  • 8 Vgl. z.B. ebenda, zweites Kapitel, II.
  • 9 Deutsche Bundesbank: Finanzstabilitätsbericht 2012, S. 26.
  • 10 Vgl. C. Reinhart, M. Sbrancia, a.a.O.; C. Reinhart, J. Kierkegaard, M. Sbrancia, a.a.O., S. 26.
  • 11 Vgl. C. Reinhart, M. Sbrancia, a.a.O.; C. Reinhart, J. Kierkegaard, M. Sbrancia, a.a.O.
  • 12 Für eine ausführliche Diskussion der mit der extrem expansiven Geldpolitik einhergehenden Probleme siehe auch A. Belke: Impact of a Low Interest Rate Environment, Ruhr Economic Papers, Nr. 429, 2013.
  • 13 Vgl. B. Coeuré: The Economic Consequences of Low Interest Rates, Rede am International Center for Monetary and Banking Studies in Genf am 9.10.2013.

Title:Financial Repression – Useful to Manage the Consequences of the Financial Crisis?

Abstract:Financial repression committed by central banks has been put forward as a means to secretly reduce the real burden of high public debts. Financial repression has allegedly played an important role in the impressive reduction of the US debt ratio after World War II. A mix of conventional budget consolidation and rapid growth was the main driver in this relative debt reduction with a minor role for financial repression. But does financial repression really exist? The authors express different opinions on evidence for this concept. Those authors who find that there are indicators of financial repression fear redistributive tendencies between debtors and creditors and high opportunity costs in the form of savings and investment distortions. Therefore, financial repression is not a “cure” for the high public debts amassed in the euro area during the recent sovereign debt and banking crisis. Furthermore, the high sovereign debts in the euro area may threaten economic development and impose high costs on society. Therefore, reducing these debts is politically highly relevant, and fiscal policy should be characterised by a modest reduction in government spending and/or tax increases, combined with a policy promoting economic growth. Macroprudential regulations should supplement this financial policy.


DOI: 10.1007/s10273-013-1593-2