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In der Juniausgabe 2012 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Regulierung, Bildung und Wohlstand – der IW-Regulierungsindex“. Enrico Schöbel und Lars Petersen setzen sich damit kritisch auseinander und Dominik H. Enste und Jochen Wicher erläutern ihren Standpunkt in einer Erwiderung.

Wohlstand und Regulierung: (K)ein entweder oder? – eine Replik

Von Lars Petersen, Enrico Schöbel

Aus dem Blickwinkel des französischen Königs Ludwig XIV. war die Rolle des Staates klar umrissen: Der Staat bin ich. Im historischen Zeitablauf bis hin zum modernen demokratisch verfassten Gemeinwesen, und von Land zu Land verschieden, nimmt der Staat aber vielfältige Rollen ein. Die Finanzwissenschaft identifiziert in Anlehnung an Richard A. Musgrave allokative, distributive und stabilisierende Funktionen des Staates.1 Daneben sehen es viele Finanzwissenschaftler, wie bereits Musgrave, als ehrenwert an, wenn der Staat sogenannte meritorische Güter bereitstellt, beispielsweise bei systematisch verzerrten Konsumentenpräferenzen korrigierend eingreift.2 So können z.B. die individuellen Präferenzen für bestimmte Bildungsniveaus durch den Bildungsstand der Eltern, das soziale Umfeld und andere Faktoren verzerrt sein. In der Theorie der Sozialpolitik werden außerdem sozialpolitische Bedarfe systematisiert.3 Der Sozialstaatscharakter der Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich im Grundgesetz bestimmt und Weiteres in Gesetzen geregelt. Über den Prozess der finanzpolitischen Willensbildung können bisherige Aufgaben infrage gestellt werden und neue hinzukommen. Dominik H. Enste und Jochen Wicher stellen den Staat in Ihrem Beitrag über „Regulierung, Bildung und Wohlstand – der IW-Regulierungsindex“ als Regulierer allerdings gänzlich infrage.4

Öffentliche Güter vom Staat bereitstellen

Eine Aufgabe, die dem Staat bereits von ökonomischen Klassikern – wie Adam Smith – zugewiesen wurde, besteht in der Bereitstellung öffentlicher Güter. Die staatliche Bereitstellung geht oftmals mit staatlicher Regulierung einher, insbesondere wenn der Staat die öffentlichen Güter nicht selbst produziert, sondern privat produzieren lässt. Ebenso kann der Staat die Bereitstellung meritorischer Güter sowie die private Produktion privater Güter regulieren, z.B. Produktstandards festlegen. Dies ist die eine Seite der Regulierung. Regulierung hat aber wie eine Medaille zwei Seiten. Die regulierten privaten Produzenten haben oftmals ein eigenes Interesse daran, reguliert zu werden.5 Das Paradebeispiel für die Durchsetzung privatwirtschaftlicher Einzelinteressen sind die typischen US-amerikanischen Pressure Groups, die klein, homogen, gut organisiert und lautstark erheblichen Druck auf die Regierung oder die Regulierungsbehörde ausüben und damit für zusätzliche Regulierung im eigenen Interesse sorgen. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Mancur Olson sah hierin sogar eine existenzielle Bedrohung für den Staat,6 eine Gefahr, die aus der modelltheoretischen Perspektive des Chicago-School-Ökonomen Gary S. Becker jedoch durch den Wettbewerb, der zwischen den Pressure Groups besteht, abgewendet werden kann.7

Private Produzenten haben oftmals nicht nur ein Interesse reguliert zu werden, sondern regulieren sich gar selbst und übernehmen damit quasistaatlichen Charakter. In Deutschland besteht eine lange Tradition (neo-)korporatistischer Verbändestrukturen.8 So haben sich beispielsweise zahlreiche Berufe, wie der freie Beruf des Steuerberaters, selbst reguliert,9 womit sowohl Gemeinwohlziele, wie z.B. die Qualität der Steuerrechtspflege, als auch eigennützige Interessen verfolgt werden. Regulierung wächst also nicht nur auf staatlichem Nährboden, sondern gedeiht auch in privatwirtschaftlichen Händen. Man könnte meinen, staatliche Regulierung sei generell schlecht, private dagegen prinzipiell gut, doch diese einfache ideologische Formel hilft in der Analyse nicht weiter. Besonders deutlich kamen die Eigeninteressen einer Industrie im Falle der Verbändevereinbarungen der deutschen Elektrizitätswirtschaft zum Ausdruck, weshalb das Vorhaben der Selbstregulierung in diesem Fall als gescheitert angesehen und eine Regulierungsbehörde nach dem Vorbild anderer EU-Mitgliedstaaten eingesetzt wurde.10 Die Erfahrungen aus dem Ausland im Vergleich zum deutschen Sonderweg hatten gezeigt, dass es keinesfalls sinnvoll war, auf den Staat als Regulierer gänzlich zu verzichten. Die Reihe der Beispiele sinnvoller staatlicher Regulierung ließe sich fortsetzen, ebenso die Reihe missglückter oder ungeschickter staatlicher Regulierung. Gefragt ist offenbar ein kluges Entscheiden der staatlichen Akteure.11

Regulierung negativ für das Wohlstandsniveau?

Enste und Wicher untersuchen in ihrem Beitrag über „Regulierung, Bildung und Wohlstand – der IW-Regulierungsindex“ einen Zusammenhang zwischen dem Regulierungsumfang und den Regulierungsauswirkungen auf das Wohlstandsniveau einer Nation, das sie im Bruttoinlandsprodukt (BIP) wiedergegeben sehen.12 Ein Schwerpunkt des Beitrags liegt auf der Betrachtung von Bildungsregulierung. Auf der Grundlage des Regulierungsindexes des Instituts der deutschen Wirtschaft für das Jahr 2010 argumentieren Enste und Wicher durch Korrelationen mit dem Wohlstandsniveau „BIP pro Einwohner“ und den Ergebnissen der PISA-Studie der OECD,13 dass sich Regulierung negativ auf das Wohlstandsniveau eines Landes auswirkt. Hierzu schätzen Enste und Wicher mittels Regression (nach OLS-Methode) das Wohlstandsniveau von 28 OECD-Ländern mit dem Regulierungsindex und dessen Teilindex der Bildungs- und Forschungsregulierung. Als Ergebnis finden Enste und Wicher einen negativen Zusammenhang zwischen Regulierung und Wohlstandsniveau.

Zunächst stellen Enste und Wicher allerdings die Bedeutung des Staates im Bildungsbereich und die Bedeutung von Bildung für moderne Volkswirtschaften und damit implizit die Bedeutung des Staates für die Volkswirtschaft heraus. Die Selbstregulierung im Bereich der in Deutschland mehrgliedrig organisierten Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung bleibt dagegen außen vor. Regulierung wird mit Staat gleichgesetzt. Gleichzeitig unterstellen Enste und Wicher Kaufkraftparität, wenn sie Länder mit unterschiedlichen Währungen auf den Euro normieren und vergleichen. Die Normierung beeinträchtigt aber die Vergleichbarkeit von BIP-Zahlen verschiedener Länder. Ein Land mit einem relativ hohen Preisniveau hätte ein höheres BIP als dasselbe Land mit niedrigerem Preisniveau. Eurostat und OECD schlagen daher methodisch die Verwendung eines Kaufkraftstandards vor.14 Ebenso lassen Enste und Wicher historische Einmalereignisse unberücksichtigt, welche die Entwicklung des BIP miterklären können. In der Vernachlässigung erkennbar relevanter Parameter liegt die wesentliche Schwäche des Aufsatzes.

Beim Auslassen von signifikant wichtigen exogenen Variablen in der Regressionsanalyse wird der unbekannte Parameter β^i inkonsistent, d.h. anstatt E (β^ ) = β wird E (β^ ) = β + Verzerrung geschätzt und zugleich nimmt die Verzerrung, anders als gewollt, nicht mit steigendem Stichprobenumfang ab.15 Das β^i wird zu groß geschätzt, was sich aus einer Kovarianz der exogenen Variable und dem Fehlerterm von ungleich Null erkennen lässt. Es hat entweder nur den Anschein, dass sich die unabhängige Variable signifikant auf die abhängige Variable auswirkt, oder der Einfluss wird als zu groß geschätzt. Man spricht hierbei auch von einem „omitted variable bias“ und von Endogenität.16

Als Beispiel sei die geschätzte Gleichung von Enste und Wicher dargestellt:

Wohlstandsniveau = -493,32 . Gesamtregulierung + 53329 + ε,

mit einem Bestimmtheitsmaß (R2) von 51,62%.17

Diese Gleichung würde ergeben, dass sich das Maximum des Wohlstandsniveaus genau bei einer Regulierung von Null befindet. Jede staatliche Regulierung wäre damit wohlstandsvernichtend. Die Schlussfolgerung wäre, dass der Wohlstand einer Nation am größten ist, wenn sich der Staat der Regulierung enthält. Mit Blick auf diverse unerlässliche staatliche Regulierungsleistungen, soweit sich diese überhaupt quantifizieren lassen, erscheint dieses Ergebnis nicht plausibel und dürfte einer Fehlspezifikation der zu schätzenden Gleichung zuzuschreiben sein. Auch stellt das BIP eine Funktion der Zeit dar und ist somit trendbehaftet.18 Des Weiteren hängt das R2 von den Eigenschaften der gewählten Variablen ab. Ein hohes R2 kann durch einen gemeinsamen Trend von einer abhängigen und mindestens einer unabhängigen Variablen bewirkt werden, d.h. es wird möglicherweise eine Scheinregression präsentiert. Im Falle der Verwendung einer so geringen Anzahl von Exogenen, hier nur einer Einzigen, in einer Regression des BIP, liegt die Vermutung nahe, dass der Fehlerterm mit der Gesamtregulierung korreliert und demzufolge eine Regressionsanalyse nicht aussagefähig ist.

Als weitere Schwäche der Schätzung des Wohlstandsniveaus mit dem Teilindex „Bildungs- und Forschungsregulierung“19 lässt sich eine Erhöhung der Abstände zur Regressionsgeraden in Richtung höherer Bildungs- und Forschungsregulierung erkennen. Möglicherweise ist daher die Varianz der Fehlerterme nicht konstant. Eine konstante Varianz gilt als eine Grundvoraussetzung für die Anwendung einer OLS-Schätzung.

Im weiteren Verlauf des Beitrags wird der Beschäftigungsindex mittels der Bildungs- und Forschungsregulierung erklärt, was zu ähnlichen Ergebnissen führt. Enste und Wicher meinen, dass ein hohes Maß an Bildungsregulierung normalerweise mit einem schlechteren Wert des Beschäftigungsindexes einhergeht, hier nun mit dem Ergebnis, dass der Verzicht auf staatliche Regulierung zu einem Maximum an Beschäftigung führt. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation ließe sich ein Rückzug des Staates aus der Bildungsregulierung rechtfertigen, eine Maßnahme, die Enste und Wicher zufolge, auch mit Verweis auf eine frühere Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft,20 administrativ vergleichsweise einfach und billig zu haben wäre.

Fazit

Abschließend bleibt zu sagen, dass staatliche Regulierung in einem erheblichen, wenn auch schwer zu bestimmenden Umfang unzweifelhaft notwendig bleibt, etwa nach der normativen finanzwissenschaftlichen Theorie zur Behebung von Marktversagenstatbeständen, um Austauschbeziehungen über Marktmechanismen in vielen Fällen überhaupt erst hervorzubringen, um Konsumentensouveränität sicherzustellen oder, so die Theorie der Sozialpolitik, um soziale Bedarfe zu decken, die im gesellschaftspolitischen Diskurs als solche identifiziert und definiert werden. Eine schlechte oder ausufernde Regulierung kann den Wohlstand einer Nation schwinden lassen, wie historische Beispiele vielmals gezeigt haben. Dennoch lässt der Umfang an Regulierung, für sich allein genommen, nicht auf die Höhe des Wohlstands schließen, soweit dieser überhaupt durch das BIP wiedergegeben wird. Vielmehr sollten die politischen Akteure für jede Regulierung einzeln entscheiden, ob sie sinnvoll ist.

  • 1 Vgl. R. A. Musgrave: The Theory of Public Finance: A Study in Public Finance, New York u.a.O. 1959.
  • 2 Vgl. T. Lenk, W. Sesselmeier: Nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik, in: R. Neubäumer, B. Hewel, T. Lenk (Hrsg.): Volkswirtschaftslehre: Grundlagen der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik, 5. Aufl., Wiesbaden 2011, S. 357-483.
  • 3 Vgl. H. Lampert, J. Althammer: Lehrbuch der Sozialpolitik, 8. Aufl., Berlin u.a.O. 2007, S. 158 ff.
  • 4 Vgl. D. H. Enste, J. Wicher: Regulierung, Bildung und Wohlstand – der IW-Regulierungsindex, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 6, S. 406-412.
  • 5 Vgl. W. K. Viscusi, J. E. Harrington, J. M. Vernon: Economics of Regulation and Antitrust, 4. Aufl., Cambridge, London 2005, S. 375 ff. und 745 ff.
  • 6 Vgl. M. Olson: The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups, Cambridge 1965.
  • 7 Vgl. G. S. Becker: A Theory of Competition among Pressure Groups for Political Influence, in: Quarterly Journal of Economics, 98. Jg. (1983), H. 3, S. 371-400.
  • 8 Vgl. Deutsches Verbändeforum, http://www.verbaende.com, 2013.
  • 9 Vgl. E. Schöbel: Self-Regulated Markets for Professional Legal Services: The Case of Tax Intermediaries, in: Journal of Economic Issues, 44. Jg. (2010), H. 2, S. 497-504.
  • 10 Vgl. E. Schöbel: Electricity Market Regulation in Germany: Response to Common Norms and Specific Interests, in: J. Singh (Hrsg.): Regulation, Institutions and the Law, New Delhi 2007, S. 105-119.
  • 11 Vgl. A. Scherzberg, T. Betsch: Kluges Entscheiden: Disziplinäre Grundlagen und interdisziplinäre Verknüpfungen, Tübingen 2006.
  • 12 Vgl. zur Aussagekraft des BIP das Zeitgespräch „Wie lässt sich Wohlstand messen?“ mit Beiträgen von A. Braakmann, R. Zieschank, H. Diefenbacher, H. W. Brachinger, G. G. Wagner, C. Leggewie, B. Sommer, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 12, S. 783-804; sowie die daran anknüpfende Diskussion von P. M. von der Lippe, C. C. Breuer, H. Diefenbacher, R. Zieschank, H. W. Brachinger, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 7, S. 444-457.
  • 13 Vgl. zu Ergebnissen der PISA-Studie das Zeitgespräch „Wie sollte das deutsche Bildungssystem reformiert werden?“ mit Beiträgen von G. Behler, U. van Lith, in: Wirtschaftsdienst, 82. Jg. (2002), H. 1, S. 7-13; sowie M. Piopiunik, L. Wößmann: Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), Sonderheft, S. 34-41.
  • 14 Vgl. Eurostat: European Price Statistics: An Overview, Statistical Books, Luxembourg 2008, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-70-07-038/EN/KS-70-07-038-EN.PDF.
  • 15 Vgl. W. H. Greene: Econometric Analysis, 5. Aufl., New Jersey 2003, S. 148.
  • 16 Vgl. M. Verbeek: A Guide to Modern Econometrics, 3. Aufl., Chichester 2008, S. 138.
  • 17 Vgl. D. H. Enste, J. Wicher, a.a.O., S. 410, Abbildung 3.
  • 18 Vgl. B. Süßmuth, J. Komlos: Empirische Ökonomie: Eine Einführung in Methoden und Anwendungen, Berlin u.a.O. 2010, S. 73.
  • 19 Vgl. D. H. Enste, J. Wicher, a.a.O., S. 410, Abbildung 4.
  • 20 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Bildungsfinanzierung und Bildungsregulierung in Deutschland: Eine bildungsökonomische Reformagenda, IW Studien, Köln 2006.

Die beste Bildungspolitik ist ein gute Ordnungspolitik – eine Erwiderung

Von Dominik H. Enste, Jochen Wicher

Enrico Schöbel und Lars Petersen1 leiten aus den Ergebnissen unserer Studie ab, dass wir den Staat als Regulierer gänzlich infrage stellen. Dies ist nicht der Fall. Das Ziel unserer Studie ist es nicht nachzuweisen, dass der Staat eine möglichst weitgehende Deregulierung betreiben sollte. Es geht uns vielmehr darum, das richtige Maß an Regulierung („better regulation“) zu finden. Dafür ist ein Ländervergleich geeignet. Exemplarisch zeigen wir für die Regulierung im Bereich der Bildung, wie über verschiedene Kanäle positive Effekte auf den Wohlstand erzielt werden können. Auch die Kritik an der verwendeten Methodik trifft nicht den Kern. Denn eine Indexbildung geht immer zwangsläufig mit Informationsverlusten und Ungenauigkeiten einher, auf die wir auch ausdrücklich hinweisen.2 Und eine simple Regression hat immer nur eine begrenzte Aussagekraft, aber im politischen Diskurs sind komplexere statistische Verfahren nicht verwend- und kommunizierbar. Zur Kritik im Einzelnen:

  1. Wir sind uns der positiven Wirkungen von bestimmten Regulierungen und Staatseingriffen sehr wohl bewusst und formulieren dies auch explizit in unserem Artikel:3 „Des Weiteren können positive Wirkungen von der Regulierung ausgehen, wenn Eigentums- und Verfügungsrechte gesichert werden sollen, externe Effekte internalisiert werden müssen oder wenn Markt- und Wettbewerbsversagen vermieden werden sollen.“ Damit sind die einleitenden, erläuternden Darstellungen zur Theorie öffentlicher Güter oder den meritorischen Gütern überflüssig und die Aussage, wir stellten den Staat als „Regulierer gänzlich infrage“ schlicht falsch.
  2. Schöbel und Petersen folgern darüber hinaus aus der Darstellung einer Regressionsgeraden, dass wir den Wohlstand einer Nation dann als am größten betrachten, wenn sich der Staat in einem Land der Regulierung enthält. Implizit setzen sie dabei die Variable „Gesamtregulierung“ gleich Null. Dies bedeutet auf der Grundlage unserer Daten aber nicht notwendigerweise eine vollständige Deregulierung. Wie bei der Vorstellung des Aufbaus der Teilindizes deutlich gemacht, handelt es sich bei den Index-Werten um relative Zahlen.4 Ein Wert von Null für Deutschland in diesem Index würde lediglich angeben, dass Deutschland das Land ist, das im Vergleich mit den anderen Ländern der Studie in allen Bereichen am wenigsten reguliert ist. Eine Aussage über die absolute Höhe der Regulierung wird dabei nicht getroffen.
  3. Ein zentrales Element des Regulierungsindex ist darüber hinaus der Good-Governance-Index.5 Damit wird die Qualität der staatlichen Rahmenbedingungen erfasst. Dabei wurden diese Werte entsprechend umgekehrt skaliert erfasst, also ein hoher Wert bei Good Governance ist positiv und führt zu einem besseren Rangplatz. Dieser Teilindex erfasst eben gerade die von Schöbel und Petersen betonten positiven Aspekte von Regulierung im Sinne einer rationalen Ordnungspolitik. Damit entbehrt die Unterstellung, wir hätten die Existenz von öffentlichen Gütern und die Notwendigkeit von staatlichen Eingriffen zur Internalisierung von negativen wie positiven externen Effekten ignoriert, jeder Grundlage. Insbesondere auch die systemischen Risiken, die z.B. im Bereich der Finanzmärkte existieren, bedürfen einer staatlichen Regulierung durch die Setzung von Rahmenbedingungen. Verlässliche Rahmenbedingungen sind mithin eine zentrale Voraussetzung für Wohlstand.
  4. Dass es grundsätzliche Herausforderungen bei der Messung sowohl von Wohlstand als auch von Regulierung gibt, wird von Schöbel und Petersen angesprochen. Auch wir weisen – zumindest für die Bemessung von Regulierung – in unserem Artikel explizit darauf hin:6 „Dabei sind jedoch auch die Grenzen summarischer und synthetischer Indizes zu beachten.“ Dementsprechend kann eine exakte Bestimmung der Auswirkung von Regulierung auf den Wohlstand eines Landes auch gar nicht unser Ziel sein. Uns geht es vielmehr um den grundsätzlichen Zusammenhang.
  5. Die Fortschreibung einer Regressionsgeraden über den relevanten Bereich der Schätzung hinaus ist nicht zielführend und wird von uns an keiner Stelle innerhalb des Artikels angeführt. Der geschätzte Achsenabschnitt und der Steigungsparameter werden auch im Text (bis auf eine Stelle zu Illustrationszwecken) nicht erwähnt oder gar interpretiert, sondern sind vielmehr der Vollständigkeit halber in den Abbildungen abgetragen. Der Forderung nach einer kompletten Deregulierung widerspräche auch unsere Bezeichnung der Situation Norwegens als „gut“.7 Der Wert für Norwegen im Bereich der Bildungs- und Forschungsregulierung liegt bei über 40. Dies verdeutlicht, dass es uns lediglich um die relativen Zusammenhänge im Sinne einer „better regulation“ geht.
  6. Die Kritik von Schöbel und Petersen daran, dass wir bei unserer Studie Kaufkraftparität unterstellen, trifft insofern nicht zu, als dass uns bei der Bezeichnung der Abbildungen an dieser Stelle ein Fehler unterlaufen ist. Die Daten liegen nicht in Euro, sondern – wie auch vom IWF angegeben, den wir als Quelle zitieren – in internationalen Dollar vor. Diesen Fehler bitten wir zu entschuldigen.
  7. Bezogen auf die Schätzung in Abbildung 4 vermuten Schöbel und Petersen, dass die Varianz der Fehlerterme nicht konstant sein könnte und somit Heteroskedastizität vorliegen würde. Dies ist jedoch nicht problematisch, da OLS-Schätzer auch dann noch unverzerrt sind, wenn eine eventuell vorliegende Heteroskedastizität ignoriert wird.8 Diese Schätzer sind dann nur nicht mehr effizient, d.h. die Standardfehler und die darauf basierende Inferenz sind mit Vorsicht zu interpretieren bzw. unter gewissen Umständen sogar unbrauchbar. Da wir sowohl auf Intervallschätzungen als auch auf Hypothesentests verzichten und letztlich nur einen Grundzusammenhang für den politischen Diskurs anschaulich darstellen wollen, erscheint uns die Kritik überzogen.
  8. Natürlich ist es uns bewusst, dass das Wohlstandsniveau eines Landes nicht gänzlich durch das Ausmaß an Regulierung zu bestimmen ist. Dass dementsprechend bei der Schätzung Variablen fehlen, die einen Erklärungsbeitrag zur Bestimmung des Wohlstandsniveaus leisten, ist unvermeidlich.
  9. Die Daten des IW-Regulierungsindexes bestehen – wie dargestellt – aus subjektiven und objektiven Daten. Inwieweit die Befragten bei ihren subjektiven Einschätzungen das von ihnen wahrgenommene Ausmaß der Selbstregulierung „eingepreist“ haben, ist eine schwer zu führende und deshalb in Teilen müßige Diskussion. Dementsprechend erlauben wir uns hierzu kein Urteil. Allerdings wäre die Frage, ob ein Fehlen dieser Selbstregulierung negative Folgen hätte. Es würde erst einmal lediglich den Fokus der Studie auf den Einfluss des Staates verschieben.
  10. Es ist fraglich, ob die Berücksichtigung historischer Einmalereignisse in dieser Studie an dem grundsätzlichen Zusammenhang etwas ändern würden. Dies ist bei einem summarischen Index über einen längeren Zeitraum für so viele Länder problematisch umzusetzen, zumal es hier um Trendbetrachtungen und relative Entwicklungen im Ländervergleich geht.

Berücksichtigt man all diese Aspekte, zeigt sich, dass sowohl Schöbel und Petersen als auch uns daran gelegen ist, das richtige Maß an Regulierung zu finden. Dazu kann trotz der Grenzen von summarischen Indizes, ein vergleichendes Länderranking einen wichtigen informatorischen Beitrag liefern. Dies entbindet Wissenschaftler und Politiker allerdings nicht von der Pflicht, im Einzelfall die Folgen und Sinnhaftigkeit jeder Regulierung gesondert zu prüfen und zu analysieren.

  • 1 E. Schöbel, L. Petersen: Wohlstand und Regulierung – (K)ein entweder oder? – Eine Replik, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 4, S. 267-269.
  • 2 D. H. Enste, J. Wicher: Regulierung, Bildung und Wohlstand – der IW-Regulierungsindex, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 6, S. 408.
  • 3 Ebenda.
  • 4 Ebenda.
  • 5 Ebenda, S. 406.
  • 6 Ebenda, S. 408.
  • 7 Ebenda, S. 411.
  • 8 Vgl. L. von Auer: Ökonometrie – eine Einführung, 4. Aufl., Berlin, Heidelberg 2007, S. 380; oder grundlegend H. White: A heteroskedasticity-consistent covariance matrix estimator and a direct test for heteroskedasticity, in: Econometrica, 48. Jg. (1989), H. 4, S. 817.

Title:Critical Remarks on Enste and Wicher’s “Regulation, Education, and Wealth” and Enste and Wicher’s Response

Abstract:Enste and Wicher suggest that political regulation is always wealth-reducing. However, their analysis neglects various relevant determinants of the wealth indicator. Economic wealth cannot be estimated from the quantity of regulation, as quality and other aspects matter. Hence, political acumen is required. Enste and Wicher reply to criticism of the regulation index and the analysis of the impact of regulation on education. They argue that they neither ignore the positive effects of regulation (taken into account with the data on good governance indicators) nor demand a zero regulation policy. Instead, the main goal of the analysis is to provide an international comparison for “better regulation”.


DOI: 10.1007/s10273-013-1520-6

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