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Die Finanzkrise hat die Politik mit der Aufgabe konfrontiert, Banken und internationale Finanzmärkte besser zu kontrollieren. Dies ist bisher nur unzureichend gelungen. An der Bankenregulierung wird deutlich, dass es für ein effizientes Funktionieren der Finanzmärkte erforderlich ist, die gesamte Finanzarchitektur in den Blick zu nehmen. Die Autoren befürchten stattdessen eine zunehmende Zersplitterung der Regulierungselemente und eine Rückkehr zu nationalen Sonderregelungen.

Unter dem Titel „Eindämmung von Finanzmarktkrisen durch erhöhte Regulierungsintensität?“ haben wir vor zehn Jahren – damals zum 65. Geburtstag von Rolf Peffekoven1 – Überlegungen zum Zusammenhang zwischen staatlicher Einflussnahme auf den Bankensektor und Rückwirkungen auf die öffentliche (internationale) Finanzwirtschaft angestellt.2 Seinerzeit wurde darüber diskutiert, dass krisenhafte Zuspitzungen in Entwicklungs- und Schwellenländern, wie sie sich in den zehn bis 20 Jahren zuvor ereignet hatten, zunächst diese Länder, dann aber auch das internationale Finanzsystem in erhebliche Schwierigkeiten gebracht hatten. Zum Zeitpunkt des Aufsatzes 2003 waren z.B. mehrere japanische Großbanken vom sogenannten „Krisenbazillus“ befallen worden. Ursache für die dortigen Fehlentwicklungen waren vor allem Defekte im Regulierungssystem. Daher wurde auch für die zu dieser Zeit noch laufende Erarbeitung eines neuen Aufsichtsstandards („Basel II“) eine deutlich veränderte Bankenregulierung und größere Sicherheitsvorkehrungen für Einlagen und Steuerzahler gefordert. Denn – so damals das Fazit – für eine globale Systemkrise biete die internationale Finanzarchitektur nur unzureichenden Schutz.

Zum Konnex von Haushalts- und Bankenpolitik

Nicht ahnen konnte man zum damaligen Zeitpunkt, in welchem Maße Krisen in den USA (ausgehend vom Immobiliensektor) sowie in der Eurozone das Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen öffentlicher Finanzwirtschaft und Regulierung der Kreditwirtschaft lenken würden. Die Anstrengungen um eine Bewältigung der aufgetretenen Probleme haben gezeigt, wie eng die Verknüpfung zwischen der Haushalts- und der Bankenpolitik ist. Im Einzelnen wurden Deutschland und andere führende Länder in Europa mit folgenden Phänomenen konfrontiert:

  • In der ersten Phase der Finanzkrise hatten zunächst Bank­institute in verschiedenen Ländern zu einem nicht unerheblichen Teil außerhalb ihrer Bilanzen und wiederum zum Teil über mehrere Stufen verbriefte Immobilienfinanzierungen übernommen. Ausfälle und offensichtlich werdende Wertminderungen beeinträchtigten daraufhin in rascher Folge mehrere Banken, wie z.B. in Deutschland die Industriekreditbank (IKB). In der Politik wuchs die Angst vor einem Flächenbrand, wobei unterstellt wurde, dass bereits der (mögliche) Zusammenbruch einer mittelgroßen Bank zu einer allgemeinen Vertrauenskrise im gesamten Finanzsektor führen könnte und es deshalb unmittelbarer staatlicher Eingriffe bedürfe. Relativ schnell wurde deutlich, dass zudem, nicht zuletzt durch die mediale Aufmerksamkeit, die dem Ringen um einzelne Institute wie der Hypo Real Estate (HRE) zukam, unkontrollierte Prozesse auch bei den Sparern ausgelöst werden könnten. Im Rückblick belegen Stellungnahmen unterschiedlicher Politiker, dass es zum damaligen Zeitpunkt eine Reihe von Indikatoren gegeben hat, die auf eine sich mit hoher Geschwindigkeit ausbreitende und im Endeffekt die gesamte Volkswirtschaft erfassende Entwicklung hindeuteten. Seitdem wird von der „Systemrelevanz“ einer Reihe von sehr großen und stark vernetzten Kreditinstituten gesprochen.
  • In der zweiten Phase der Finanzkrise (der sogenannten „Eurokrise“) führten dann hohe Investments in Staatspapiere aus Ländern mit strukturellen Problemen und durchgängig schwach ausgeprägter Haushaltsdisziplin zu einer weiteren Bedrohung von Banken. Spätestens zu diesem Zeitpunkt trat zutage, in welchem Ausmaß die „Rettung“ einzelner Staaten innerhalb des Euro-Mechanismus und die Aufrechterhaltung leistungsfähiger Bankensysteme einander bedingen.

Als Konsequenz ist festzuhalten, dass eine eindimensionale Sicht auf Finanzmarktkrisen und die Versuche, diese durch erhöhte Regulierungsintensität einzudämmen, heute nicht mehr greifen kann. Für die Träger der Finanzpolitik stellt sich eine mehrfache Aufgabe, wobei offenbar völlig unstrittig ist, dass die Fragen der sektoralen Wirtschaftspolitik – bezogen auf die Kreditinstitute – wie selbstverständlich von den jeweiligen Finanzministern zusätzlich zu deren Aufgaben z.B. in der Haushalts- und Steuerpolitik wahrgenommen werden. Einerseits geht es um die Begrenzung (schlagend werdender) Risiken bei den jeweiligen nationalen Kreditinstituten. Hier steht der Gedanke im Vordergrund, dass leistungsfähige Banken mit ausreichender Bereitschaft zur Kreditfinanzierung Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und die Stabilität einer Volkswirtschaft sind. Andererseits geht es darum, Auswirkungen von (möglicherweise auch durch Bankenkrisen im betreffenden Heimatmarkt ausgelösten) Haushaltskrisen anderer Staaten auf die jeweiligen nationalen Haushalte zu vermeiden. Die in diesem Zusammenhang gewährten Kapitalspritzen, eingegangenen Eventualverbindlichkeiten aus der Gewährung von Bürgschaften und ähnlichen Instrumenten haben die Frage nach der Tragfähigkeit nationaler Budgets hervorgerufen. Dabei wurden kritische Stimmen stets dahingehend zurückgewiesen, dass der eingeschlagene Weg „alternativlos“ wäre und im Falle des Nichteingriffs deutlich höhere Belastungen zu erwarten seien.

Umfassendere Perspektive der Finanzmarktarchitektur notwendig

Brunnermeier3 hat mehrfach dargestellt, wie die drei notwendigen Stabilitätsperspektiven

  • Finanzstabilität (Stabilität im Bankensektor),
  • Schuldentragfähigkeit (Stabilität der Staatsfinanzen) und auch
  • Geldwertstabilität

miteinander zusammenhängen. Durch die Ergänzung der Geldwertstabilität wird ein weiterer Transmissionsriemen zwischen dem Bankensektor und der staatlichen Finanzwirtschaft transparent gemacht.

Wollte man also nach zehn Jahren erneut die wesentlichen Elemente einer internationalen Finanzarchitektur bzw. internationalen Finanzordnung benennen, müsste man sie wie folgt aufführen:

  • Regelung internationaler Finanzflüsse,
  • Gestaltung von Währungsräumen, internationale Währungspolitik,
  • Rolle, Struktur und Finanzierung supranationaler Organisationen,
  • Steuerung von Zusammenschlüssen einzelner Länder zu einer Wirtschafts- und Währungsunion,
  • internationale Besteuerung (betreffend sowohl grenzüberschreitende Tatbestände als auch die Harmonisierung von Steuersystemen) und letztlich
  • die Regulierung der Finanzmärkte.

Große Teile dieses „Programms“ sind bereits Gegenstand der finanzpolitischen Praxis. Das Bundesfinanzministerium hat unter dem Titel „Auf dem Weg zur Stabilitätsunion“ die vier Elemente „stabile Haushalte“, „stabile Wirtschaft“, „stabile Finanzmärkte“ und „Stabilitätsmechanismen“ auf der Basis der von den EU-Regierungen zwischenzeitlich getroffenen Beschlüsse kürzlich noch einmal zusammengefasst und als ineinandergreifende Teile eines Gesamtansatzes dargestellt.4

Nach den übergreifenden Beschlüssen zu den Stabilitätsmechanismen (Europäischer Stabilitätsmechanismus – ESM, Europäische Finanzstabilisierungsfazilität – EFSF, Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus – EFSM) sowie zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Haushaltspolitik stehen seit einiger Zeit wieder besonders die Finanzmärkte und deren Regulierung im Mittelpunkt politischer Aktivitäten – Stichwort: Bankenunion. Ungeachtet von Meinungsverschiedenheiten, die insbesondere Regulierungsgegenstände und -intensität betreffen, teilen die politisch Verantwortlichen im Euroraum die Auffassung, dass nur eine schlüssige und international vergleichbare Gestaltung des Subsystems „Finanzmarkt“ sicherstellt, dass auch die anderen Elemente ihre Wirkung entfalten bzw. vermieden wird, dass negative Einflüsse aus der Finanzwirtschaft die Anstrengungen in den anderen Bereichen konterkarieren.

Das Subsystem Finanzmarktregulierung setzt sich wiederum aus vier Bestandteilen zusammen:

  • Auf der ersten Stufe geht es um die Vorgaben für Banken („Basel III“), insbesondere hinsichtlich Eigenkapital und Liquidität.
  • Die zweite Stufe betrifft die nationale und internationale Bankenaufsicht bzw. deren Zusammenspiel.
  • Die dritte Stufe stellen die bereits erfolgten Regelungen zur Bildung von Notfallplänen der Banken bzw. zu deren Abwicklung dar.
  • Die vierte Stufe betrifft die Frage, in welcher Reihenfolge, nach welchen Regeln und mit welchen Anteilen Eigentümer und andere Kapitalgeber für in Krisen geratene Kreditinstitute haften. In diese Stufe gehören auch alle Maßnahmen, die mit der Schaffung nationaler und internationaler Haftungsverbünde (Einlagensicherung) verknüpft sind.

Für den Bereich der Bankenregulierung fragen wir nachfolgend exemplarisch, ob die internationale Finanzarchitektur (mittlerweile) sachgerecht ausgestaltet ist. Wurden aus der Krise die richtigen Schlüsse gezogen in Form ökonomisch überzeugend ausgestalteter Regeln?

An Krisenursachen ansetzen

Ohne an dieser Stelle den Kanon der Ursachen der Subprime-Krise in vollem Umfang diskutieren zu können, ist doch unstrittig, dass zunächst US-Banken in ihrem Kerngeschäft, nämlich bei der Kreditvergabe und dem diese begleitenden Risikomanagement massive Fehler begangen haben (unterlassene Bonitätsprüfung, Zulassung von Klumpenrisiken, unkritische Übernahme von Vermittlergeschäften, leichtfertige Verbriefung, Zulassung hoher Fristeninkongruenzen usw.). Damit haben sie ihre eigentliche Existenzgrundlage untergraben, denn eine ökonomische Berechtigung für die Einschaltung von Intermediären ergibt sich immer dann, wenn sie Vorteile gegenüber dem direkten Handeln von Marktparteien bieten.

Mit Blick auf Kreditinstitute bestehen diese Vorteile vor allem darin, mit Risiken effektiver und/oder effizienter umgehen und dadurch Transaktionskostenvorteile erzielen zu können. Besonders plastisch hat dies Diamond bereits 1984 mit seinem Begriff vom „Delegated Monitoring“ herausgearbeitet: Banken werden im „Auftrag“ der Einleger tätig und prüfen für sie die Risiken möglicher Investitionen. Genau dort aber haben viele Kreditinstitute sowohl zu Beginn als dann auch im Laufe der Krise versagt.5

„Weiter so“ bei den Eigenkapitalregeln

Die Konsequenz aus den empirischen und theoretischen Erkenntnissen müsste dementsprechend lauten, dass das Risikomanagement der Banken stärker in den Mittelpunkt der Regulierung rücken müsste, wie es mit der Säule 2 von Basel II („Qualitative Aufsicht“) ja auch angedacht war. Tatsächlich setzt Basel III aber auf der anderen Seite der Waage der Risikotragfähigkeit an, nicht bei den Risiken, sondern beim Risikoträger. Um ein Bild zu wählen: Es werden stärkere Airbags vorgeschrieben, ohne weitere Eingriffe in das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer vorzunehmen.6

Auf der Ebene der Europäischen Union werden die Baseler Vorschläge durch das Capital-Requirements-Directive-IV-Paket umgesetzt. Mitte April 2013 wurde hierüber im Trilog-Verfahren zwischen dem EU-Rat, der EU-Kommission und dem EU-Parlament eine Einigung erzielt („Brüssel III“), so dass die Regelungsinhalte jetzt feststehen, auch wenn Teile noch in nationales Recht umzusetzen sind und die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) zahlreiche technische Details vorgeben muss. Da die wesentlichen Regelungen jedoch in die Form einer Verordnung gekleidet wurden, gelten sie unmittelbar.

Kernstück der neuen Regeln sind die Erhöhung und Härtung des von Kreditinstituten mindestens vorzuhaltenden regulatorischen Eigenkapitals (neue Liquiditätsregeln kommen ebenfalls hinzu). So wird die von den Banken als Untergrenze geforderte Quote des Kernkapitals (Tier 1) von bisher 4% auf 6% der risikogewichteten Aktiva angehoben. Der darin vorzuhaltende Anteil des „harten“ Kernkapitals steigt stufenweise auf letztlich 4,5% an (1,5% sind dann noch „weiches“ Kernkapital). Die zuvor gültige Mindest-Gesamtkapitalquote von 8% bleibt somit zwar unangetastet, allerdings ändert sich ihre Zusammensetzung. Während Kern- und Ergänzungskapital vorher je 4% ausmachten, bleiben aufgrund der erhöhten Tier-1-Anforderung künftig nur noch 2% für das Ergänzungskapital. Zudem müssen Banken ab 2016 einen „Kapitalerhaltungspuffer“ aus hartem Kernkapital aufbauen, der bis 2019 auf 2,5% aufgestockt sein soll und dessen Unterschreitung zum Verbot von Ausschüttungen führt.

Zusätzlich zu den Mindest-Eigenkapitalquoten und dem Kapitalerhaltungspuffer wird ein „antizyklischer Kapitalpuffer“ eingeführt, der in (konjunkturell) „guten“ Zeiten aufgebaut und in „schlechten“ aufgezehrt werden soll. Für diese in den Details noch festzulegende Verlustausgleichsreserve, die z.B. am Verhältnis des Kreditwachstums zum BIP anknüpfen könnte, ist eine Bandbreite zwischen 0% und 3,5% der risikogewichteten Aktiva vorgesehen. Global und national systemrelevante Banken („G-SIIs“/„O-SIIs“, global/other systemically important institutions) werden mit einer noch darüber hinausreichenden Eigenkapitalanforderung belegt. Für die Deutsche Bank hat Basel den derzeitigen Höchstsatz von 2,5% festgelegt; welche Institute hierzulande einen nationalen Zuschlag erhalten werden, ist noch ungewiss. Aber allein die einheitliche Erhöhung der notwendigen Eigenkapitalquote von 8% auf 10,5% bedeutet eine Steigerung um 31,25%. Mit dem antizyklischen Puffer in der Maximalvariante ergibt sich eine Anhebung auf 13% (+62,5%), einschließlich des Zuschlags für global systemrelevante Institute auf 15,5% (+93,76%).

Durch diese Regeln werden – und hier liegt das Hauptproblem der neuen Regulierung – die Anforderungen an den Risikoträger pauschal erhöht, d.h. es wird neben dem Investment Banking auch das „normale“ Kreditgeschäft der Banken belastet. Bereits nach Basel II waren Kreditrisiken weitaus stärker mit Eigenmitteln zu unterlegen als Exposures im Marktrisikobereich. Die deutliche Erhöhung des vorzuhaltenden Kernkapitals auch in diesem Bereich wirkt sich in absoluten Beträgen dementsprechend stark aus.

Unterschiedliche Vorgaben für die Eigenkapitalquoten

Stattdessen müssten die Regeln nicht nur beim Risikoträger, sondern vor allem bei der Risikomessung der Kreditinstitute ansetzen. So zeigte schon 2010 ein Vergleich von regulatorischen und ökonomischen Modellen zur Kalkulation der notwendigen Eigenkapitalbeträge im Kreditrisikobereich, dass die ökonomischen Modelle der Banken das zu hinterlegende Kapital erheblich niedriger ansetzen als der Regulator. Im Marktrisikobereich ergab sich umgekehrt ein deutlich höherer Betrag als in den regulatorischen Vorgaben.7 Aus einer neuen Studie des Baseler Ausschusses8 geht nun – fast drei Jahre später – hervor, dass die Ermittlung der risikogewichteten Aktiva von Banken und der daraus resultierenden Eigenkapitalunterlegung sehr unterschiedlich gehandhabt wird und zudem für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist.

Bei einer Untersuchung von 16 international tätigen Banken (aus Deutschland die Deutsche Bank und die Commerzbank) sollten für unterschiedlich zusammengesetzte Portefeuilles die Marktrisiken und regulatorischen Eigenmittelbeträge ermittelt werden. Es ergaben sich zum Teil exorbitante Unterschiede, insbesondere dann, wenn neben Aktien und Renten auch größere Teile in Derivaten investiert wurden. Aber selbst bei einem breit diversifizierten Korb mit Standardprodukten schwankte die ermittelte Eigenkapitalunterlegung für ein identisches Portfolio zwischen 13,4 Mio. und 34,2 Mio. Euro. Ein Viertel dieses Unterschiedsbetrages resultierte daraus, wie die jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden die Baseler Vorschriften umsetzten, vor allem, inwieweit sie ihren Banken gestatteten, interne Modelle (gegebenenfalls mit einem Aufschlagsfaktor) anzuwenden.

In diesen Zusammenhang passt auch, dass etwa die Deutsche Bank ihre Risikoaktiva im dritten Quartal 2012 um 55 Mrd. Euro reduzierte, allein 27 Mrd. Euro hiervon wurden auf „Änderungen und Anpassungen in den Berechnungsverfahren“ zurückgeführt. Offenbar bestehen also sowohl auf Seiten der nationalen Aufseher als auch der Banken (immer noch) weite Spielräume in der Risikoquantifizierung.

Vermehrt taucht daher der Wunsch nach „hoher Robustheit“ der Regulierung auf. So empfahlen etwa Kohlleppel und Wambach jüngst, „auf komplexe Risikomodelle zu verzichten und stattdessen (allein, die Verfasser) einen Eigenkapital-Puffer im Verhältnis zur Bilanzsumme, die sogenannte Leverage Ratio, anzustreben.“9 Auch die Vorschläge von Admati und Hellwig10 gehen in diese Richtung. Sie fordern eine deutliche höhere Eigenkapitalquote von über 20%, die die Leverage Ratio von Banken an diejenige in anderen Branchen annähern soll. Doch im Gegensatz zu Industrieunternehmen legt der Staat anstelle eines Marktresultats einen Wert für die Eigenkapitalquote fest. Da Eigenkapital aber vor allem als Puffer für nicht planbare Ex-post-Überraschungen dient, lässt sich die „richtige“ im Sinne von „notwendige“ Eigenkapitalausstattung schon durch die jeweilige Bank nicht perfekt, und schon gar nicht extern sinnvoll quantifizieren. Vorgaben für Eigenkapitalquoten erweisen sich daher letztlich als „theorielose Messergebnisse ..., die so oder auch anders geregelt sein könnten.“11 Gegenüber der derzeitigen Regulierung ist eine schlicht höhere aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote daher kein Fortschritt. Statt einer Kapitulation vor dem Problem der differenzierten Risikokontrolle ist eine massive Verstärkung der qualitativen Aufsicht in diesem Bereich notwendig.

Renationalisierung: Abschied vom Level Playing Field

Doch nicht nur der antizyklische Kapitalpuffer und der Zuschlag für global oder national systemrelevante Institute werden von den nationalen Aufsichtsbehörden festgelegt. Bereits ab dem kommenden Jahr können sie in Eigenregie und ohne Zustimmung der EU-Kommission hiervon unabhängige systemische Risikopuffer von 1 bis 3 Prozentpunkte der harten Kernkapitalquote verlangen, ab 2015 darf dieser Puffer (die Zustimmung der EU-Kommission vorausgesetzt) bis zu 5 Prozentpunkte betragen. Die Behörden können diese Zusatzanforderungen national flächendeckend formulieren, aber auch nur für bestimmte Risikopositionen – so z.B. Hypothekenkredite im Falle einer sich abzeichnenden Immobilienpreisblase – oder auch nur für bestimmte (Gruppen von) Institute(n). Zwar sollen die systemischen Puffer grundsätzlich miteinander verrechnet werden. Es kann jedoch auch zu einer Addition kommen, wenn ein international agierendes Institut in einem EU-Staat einer auf eine spezifische Risikoposition zugeschnittenen Zusatzanforderung unterliegt und zugleich im Heimatland als systemrelevant eingestuft wird.12 Und im Übrigen dürfen die Mitgliedstaaten auch im eigenen Ermessen Risikogewichte für Realkredite und Interbankenforderungen, Eigenkapital-, Liquiditäts- und Großkreditanforderungen verschärfen.

Euphemistisch „Flexibilitätspaket“ genannt, wird damit ein Potenzial gelegt für einen neuen Nationalismus in der Regulierung. Dieser schien bereits im November letzten Jahres auf, als die USA (die Basel II bis heute nicht flächendeckend eingeführt haben), damit drohten, auch den Start von Basel III auf zunächst unbestimmte Zeit zu verschieben. Kernargument war dabei die Begründung, das künftig vorgeschriebene Eigenkapitalniveau reiche zur Krisenprävention nicht aus. Die Reaktionen in Europa fielen heftig aus: Bundesbank-Vizepräsidentin Lautenschläger erklärte, wenn die USA nicht mitmachten, „müssen wir prüfen, was wir mit den US-Instituten in der Eurozone machen.“ Und der Vorstandssprecher der Commerzbank, Blessing, schlug vor „die US-Banken zu limitieren, die Geschäfte in Europa machen“, solange Basel III in den USA nicht umgesetzt sei.

Im Frühjahr dieses Jahres hat nun die US-Notenbank angekündigt, separate Kapitalvorgaben für Auslandsbanken mit bedeutenden US-Aktivitäten zu erlassen. Sämtliche Tochtergesellschaften einer Auslandsbank sollen künftig in einer Zwischenholding zusammengefasst und separat Eigenkapital- und Liquiditätsregeln unterworfen werden. Auch ein eigener Risikoausschuss sei einzurichten. Damit wird das bisherige Modell einer Holding-Struktur grundsätzlich in Frage gestellt. Diese basiert darauf, dass die Bank(engruppe) ein Gesamtkapital vorhält, das ihr die einzelnen Länder jeweils anrechnen. Übertragungen regulatorischer Eigenmittel oder Liquiditätsbestände dorthin, wo sie gerade benötigt werden, sind dann unproblematisch. Beschränkungen dagegen – wie jüngst auch durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die der Unicredit-Tochter HypoVereinsbank einen konzerninternen Kapital- und Liquiditätstransfer nach Italien untersagte – führen zu Ineffizienz durch eine separate Eigenkapitalbewirtschaftung und ein getrenntes Liquiditätsmanagement.13

Statt Harmonisierung, Single Rule Book und Level Playing Field also nun Renationalisierung aufgrund regulatorischer Zersplitterung? Tatsächlich liegt die Gefahr in der Luft, dass die US-Vorgaben zu ähnlichen protektionistischen Überlegungen in Europa und Deutschland führen könnten. Schon heute wird über den „home bias“ der Aufseher geklagt, die in Ländern mit schwach kapitalisierten Banken zu viel Nachsicht gegenüber heimischen Kreditinstituten übten, die Markteintrittsbarrieren für Auslandsbanken aber durch besonders strenge regulatorische Anforderungen erhöhten. Das Misstrauen der Aufseher untereinander war auch bei der Diskussion über die in den USA vorzulegenden „Bankentestamente“ zu spüren: „Dem Vernehmen nach haben die US-Behörden mehrere Auslandsbanken, darunter die Deutsche Bank, aufgefordert, den Abwicklungsplan um ein weiteres Szenario zu ergänzen. Vermisst wurden insbesondere Angaben, mit deren Hilfe sich eine Bank auch dann abwickeln lässt, wenn es an Zusammenarbeit zwischen den Regulatoren hapert, wie zu erfahren ist. Banken sollten nicht darauf setzen, dass die Regulierer kooperierten, haben US-Regulatoren Banken laut Financial Times gewarnt. … Was ist vom Stand der internationalen Koordination bei der Regulierung großer Banken zu halten, wenn selbst die Regulatoren nicht an sie zu glauben scheinen?“.14

Damit wird der Trend verstärkt, dass Banken Auslandsmärkten den Rücken kehren: Die grenzüberschreitenden Finanztransaktionen sind seit ihrem Höhepunkt 2007 um über 60% zurückgegangen. Dies käme jedoch einem „Treppenwitz“ gleich: Obwohl das internationale Finanzsystem krisenresistenter gemacht werden soll, führt der „Regulierungseifer“ dazu, dass internationale Präsenz eher behindert wird, sich die Kreditinstitute wieder mehr auf nationale Märkte konzentrieren (müssen) und damit für Klumpenrisiken innerhalb ihres „Schutzzaunes“ anfälliger werden.

Rückkehr zum Harmonisierungsziel

Das Beispiel der Bankenregulierung als Teil einer umfassenden Finanzarchitektur zeigt, wie komplex sich die internationale Zusammenarbeit auch im sechsten Krisenjahr gestaltet und wie einzelne, systemrelevante Kreditinstitute auf Regulierungsmaßnahmen reagieren. Bislang scheint die Agenda der Politik im Wesentlichen durch die eruptiven Wirkungen tagespolitischer Ereignisse bestimmt zu sein. Ein übergreifender wirtschaftspolitischer Ansatz oder auch nur eine entsprechende Leitlinie ist nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen politischen Ausrichtungen der Regierungen in den einzelnen Ländern Europas oder gar global (noch) nicht vorhanden.

Die zwischenzeitlich im Euroraum getroffenen Verabredungen versuchen mühsam, beim Start der Währungsunion Versäumtes nachzuholen. Dabei wird es künftig vor allem darauf ankommen, den derzeit sichtbaren Fliehkräften entgegenzuwirken. Statt die Regulierungsintensität schlicht immer weiter zu erhöhen, ist eine Rückkehr zum eigentlichen Ziel des Binnenmarktes – der Harmonisierung – notwendig. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Haushaltspolitik als auch (und verbunden damit) die Finanzmarktregulierung. In den Boom- und Krisenjahren des letzten Jahrzehnts ist deutlich geworden, dass eine Trennung in die Themen des öffentlichen und des privaten Finanzsektors willkürlich ist und real existierende Zusammenhänge in gefährlicher Weise ausblendet.

Gelingt es in den nächsten Jahren, in dieser Hinsicht zu einem konzeptionell geschlossenen, integrativen Ansatz zu finden, könnte die Finanzarchitektur der Wirtschafts- und Währungsunion als Teil der globalen Wirtschaft beispielhaft für andere Teile der Welt sein.

  • 1 Prof. Dr. Rolf Peffekoven wird am 29. Juni 2013 75 Jahre alt. Der ehemalige Mainzer Finanzwissenschaftler ist einer breiteren Öffentlichkeit durch seine zehnjährige Tätigkeit im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie – auch nach seiner Emeritierung – durch seine prononcierten Kommentare zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen bekannt geworden. Weniger geläufig ist, dass Peffekoven in seiner ersten Station in Bochum einen Lehrstuhl, der sich mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen beschäftigte, innehatte. Die beiden Autoren, die ihn sowohl aus der studentischen als auch der Kollegenperspektive kennen- und schätzengelernt haben, möchten mit diesem Artikel – im Sinne des „Bochumer Modells“ – weitergehende gemeinsame Forschungsaktivitäten von volks- und betriebswirtschaftlicher Seite anregen. Damit knüpfen sie an einen der ersten Literaturbeiträge Peffekovens an, in denen er das Buch von H. Lipfert: Internationale Finanzmärkte, rezensierte, in: German Economic Review, 4. Jg. (1966), S. 205 f.
  • 2 S. Paul, T. Paul: Eindämmung von Finanzmarktkrisen durch erhöhte Regulierungsintensität?, in: Wirtschaftsdienst, 83. Jg. (2003), H. 6, S. 384-391.
  • 3 Zusammenfassend in M. Brunnermeier, G. Braunberger: Geldpolitik im Teufelskreis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.4.2013, S. 18.
  • 4 Bundesministerium der Finanzen: Auf den Punkt, H. 1-4/2012, Berlin.
  • 5 D. W. Diamond: Financial intermediation and delegated monitoring, in: Review of Economic Studies, 51. Jg. (1984), S. 393-414.
  • 6 Vgl. zum Folgenden S. Paul: spielfeld, in: wissen & handeln, Nr. 12, ikf – institut für kredit- und finanzwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, April 2013.
  • 7 J. Erlebach, G. Grasshoff, T. Berg: Die Effekte von Basel III, in: Die Bank, H. 10/2010, S. 54-58.
  • 8 Basel Committee on Banking Supervision: Regulatory consistency assessment programme (RCAP) – Analysis of risk-weighted assets for market risk, Basel, Januar 2013.
  • 9 L. Kohlleppel, A. Wambach: Das Ende des Wettrüstens, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.2.2013, S. 18.
  • 10 A. R. Admati, M. F. Hellwig: The Banker’s New Clothes, Princeton 2013.
  • 11 D. Schneider: Mindestnormen zur Eigenkapitalausstattung als Beispiele unbegründeter Kapitalmarktregulierung?, in: D. Schneider (Hrsg.): Kapitalmarkt und Finanzierung, Berlin 1987, S. 98; und D. Schneider: Betriebswirtschaftslehre, Bd. 3: Theorie der Unternehmung, München, Wien 1997, S. 585.
  • 12 B. Neubacher: Bankenregulierung: Der Nationalismus der Aufseher, in: Börsen-Zeitung vom 10.4.2013, S. 5.
  • 13 Vgl. ausführlich Institute of International Finance: Enhanced Prudential Standards and Early Remediation Requirements for Foreign Banking Organizations and Foreign Nonbank Financial Companies, Washington DC, 30.4.1998; und grundsätzlich J. Süchting, S. Paul: Bankmanagement, 4. Aufl., Stuttgart 1998, S. 581 ff.
  • 14 B. Neubacher: Deutsche muss US-Abwicklungsplan nachbessern, in: Börsen-Zeitung vom 6.2.2013, S. 3.

Title:More Regulation, Less Financial Crisis? An Update

Abstract:The recent financial crisis challenged policymakers to create better supervision for both banks as well as international financial markets. Due to different political and governmental orientations, for instance, an overarching approach in European countries is unlikely. Where it to succeed in finding a conceptually closed and integrated approach in the coming years, the financial architecture of the Economic and Monetary Union could serve as an example for other parts of the world. However, the authors suspect an increasing fragmentation of regulatory elements and a potential return to special national regulation are more likely outcomes.


DOI: 10.1007/s10273-013-1538-9

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