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Dem Länderfinanzausgleich ist die Zerlegung der Ertragsteuern vorgeschaltet, um so erhebungstechnisch bedingte Verzerrungen des örtlichen Steueraufkommens zu korrigieren. Dieses Ziel wird, wie Wolfgang Renzsch zeigt, nur unzureichend erreicht. Tatsächlich werden einige Länder bei der Zerlegung benachteiligt, andere privilegiert. Dadurch wird das Ergebnis des Länderfinanzausgleichs in signifikanter Weise zum Nachteile einiger Länder beeinflusst.

Die Zerlegung der Köperschaft- und der Lohnsteuer nach Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG ist in der Debatte um die Gestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen ein wenig beachtetes Thema. Die vorliegende Literatur ist nicht umfangreich, was darauf hindeutet, dass die Zerlegung weder rechtlich noch politisch sonderlich kontrovers war und ist. Sie wird in der Regel als technische Frage, nicht als politisches Problem verstanden. Nach üblicher Sichtweise dient sie dem Zweck, „erhebungstechnische Differenzen zwischen der örtlichen Vereinnahmung und tatsächlicher Wirtschaftskraft“1 zu korrigieren.

Die Steuerzerlegung ist dem Länderfinanzausgleich vorgeschaltet. Durch ihre Ergebnisse werden nicht nur die Ausgangspunkte für den Länderfinanzausgleich bestimmt, sondern trotz der Ausgleichsmaßnahmen auch die Ergebnisse des Länderfinanzausgleichs in substanzieller Weise beeinflusst. Insbesondere die Widersprüchlichkeiten der Zerlegung verzerren die Verhältnisse der „wirklichen“2 Steuerkraft unter den Ländern und verursachen damit politische Friktionen und rechtliche Auseinandersetzungen wie die jüngsten Normenkontrollanträge der Länder Bayern und Hessen an das Bundesverfassungsgericht zeigen. Ob und in welchem Umfang das Ziel einer substanziellen Annäherung der Steuerkraft der Länder an deren Wirtschaftskraft erreicht wird, wird im Folgenden diskutiert. Die Zerlegung wird hierbei als ein politisches und rechtliches Problem verstanden.

Ein Blick in die Geschichte

Bereits im Deutschen Reich von 1871 gab es Regelungen zur Abgrenzung von Steuern, die allerdings mit der Erzberger’schen Finanzreform von 1920 an Bedeutung verloren.3 Mit dem Ende der Reichsfinanzverwaltung 1945 und der Verlagerung der unmittelbaren Ertragshoheit und der Steuerverwaltung auf die Länder stellte sich das Problem der „richtigen“ Zuordnung der Steuererträge. Bereits in der Begründung des Gesetzentwurfes zum Zerlegungsgesetz vom 29.3.1952 wurde auf den Umstand verwiesen, dass zwar die Steuergesetzgebung bundeseinheitlich sei, die Verwaltung jedoch, „die vormals reichseinheitlich war“, aufgeteilt sei und den Ländern obliege. Damit ergebe sich das Problem, „welche örtliche Beziehung des Steuertatbestandes zu dem einzelnen Land maßgebend sein soll“.4 Während die Grundgesetzfassung von 1949 das Thema Steuerzerlegung nicht erwähnte, der Bundesgesetzgeber sie aber trotzdem einführte, wurde mit der ersten Finanzreform von 1955 die Möglichkeit einer fakultativen Zerlegung in Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG5 verfassungsrechtlich geschaffen. Zugleich wurde die Zerlegung aber aus verwaltungsökonomischen Gründen weitgehend außer Kraft gesetzt, das Gesetz jedoch nicht aufgehoben.6 Hintergrund war der ab 1956 deutlich intensivierte Länderfinanzausgleich.

Mit der Finanzreform 1969 wurde die Zerlegung der Lohn- und Köperschaftsteuer obligatorisch, die anderer Steuern fakultativ eingeführt (Art. 107 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG). Mit dem Zerlegungsgesetz vom 17.12.19707 wurde unmittelbar an das Gesetz von 1952 angeknüpft, die Änderungen und Ergänzungen, auch die späteren, waren weitestgehend technische Anpassungen. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung wurde hervorgehoben, „daß angesichts der heutigen Konzentration in der Wirtschaft das örtliche Aufkommen als Grundlage für die Aufteilung von Steuereinnahmen unter den Ländern insofern Verzerrungen bewirkt, als bei einer Abführung gemäß den jeweiligen Sitzen der Unternehmen einigen Ländern Steuereinnahmen über ihre eigentliche Wirtschaftskraft hinaus zufließen, bei anderen indessen hinter ihrer Wirtschaftsstruktur zurückbleiben. … Die Verzerrungen im Steueraufkommen der Länder im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Wirtschaftskraft sollen … weitgehend beseitigt werden.“8 Die Zerlegung selbst sollte – wie schon im Gesetz von 1952 – bei der Körperschaftsteuer nach den Betriebsstätten und bei der Lohnsteuer nach dem Wohnsitz der Steuerpflichtigen vorgenommen werden. Ohne nennenswerte Kontroversen wurde das Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.9

1993 wurde mit Art. 8 des Zinsabschlaggesetzes vom 9.11.199210 auch der Zinsabschlag in die Zerlegung aufgenommen, nicht hingegen die Kapitalertragsteuer. 1997 erfolgte eine weitere Anpassung und Vereinfachung. Ziel war – unter Bezug auf die Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht vom 24.6.198611 – „eine Korrektur in Richtung auf die wirkliche Steuerkraft.“ Es galt, „erhebungstechnisch bedingte Differenzen zwischen dem örtlichen Aufkommen und der tatsächlichen Wirtschaftskraft abzubauen.“12

Protokollerklärungen des Landes Niedersachsen, bei der Zerlegung der Körperschaftsteuer nicht allein auf den Maßstab „Arbeitslöhne“ abzustellen, sondern auch kapitalintensive Unternehmen mit geringem Personalbestand zu beteiligen und die Kapitalertragsteuer mit in die Zerlegung einzubeziehen, sowie der Hansestadt Bremen, nach der die Lohnsteuerzerlegung allein nach dem Wohnsitzprinzip „nicht angemessen“ sei,13 blieben zwar ohne Folgen,14 deuteten jedoch an, dass die Praxis der Zerlegung nicht mehr frei von Kontroversen war. Seitdem wurde das Zerlegungsgesetz nur noch unter dem Gesichtspunkt technischer Anpassung wie der Euro-Einführung oder der elektronischen Steuerkarte geändert.15

Wirtschafts- und Steuerkraft

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem erwähnten Urteil vom 24. Juni 1986 auch mit der Frage der Steuerzerlegung befasst. In Anlehnung an die zitierten Gesetzesbegründungen erklärte es das Zerlegungsgesetz für grundsätzlich16 verfassungskonform. Gleichwohl sind die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe, die an das Zerlegungsgesetz anzulegen sind, von Interesse. Nach Art. 107 Abs. 1 GG ist die örtliche Vereinnahmung zunächst das maßgebliche Kriterium, dessen Ergebnis allerdings durch die Zerlegung nach „Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG eine Korrektur in Richtung auf die wirkliche Steuerkraft erfährt.“ Dieser Gesichtspunkt knüpft „an das Erwirtschaften von Steuern im eigenen Bereich“ an.17 Das Grundgesetz lässt zwar dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, jedoch seien „erhebungstechnisch bedingte Differenzen zwischen der örtlichen Vereinnahmung der Lohnsteuer sowie der Körperschaftsteuer und der tatsächlich vorhandenen Wirtschaftskraft abzubauen. Auf dieses Ziel muß die Zerlegung ausgerichtet sein.“18

In dem Begriff der „tatsächlich vorhandenen Wirtschaftskraft“ gehen andere Erörterungen der Bestimmung „der wirklichen Steuerkraft, d.h. der Steuerleistung der Wirtschaft und der Bürger des einzelnen Landes“ ein.19 Das Bundesverfassungsgericht lässt die Wege, über die die Korrektur zu erfolgen hat – Anknüpfung an den Erarbeitungsort oder Wohnsitz20 – offen, jedoch ist das genannte Ziel eindeutig.

Gerade das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1986 macht deutlich, worum es geht: Ziel ist, die Steuerkraft nach Zerlegung und damit vor Länderfinanzausgleich an die Wirtschaftskraft eines Landes anzunähern. Die Zerlegungsverfahren stehen damit nicht mehr unmittelbar zur Beurteilung an, sondern ihre Ergebnisse. Die Frage lautet damit: Inwieweit entspricht die Steuerverteilung unter den Ländern der Wirtschaftskraft der Länder?

Im Folgenden wird beispielhaft für das Jahr 2012 das Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen je Einwohner21 mit der Abrechnung des Finanzausgleichs unter den Ländern22 verglichen und untersucht, ob das verfassungsrechtlich gebotene Ziel der Zerlegung, eine annähernde Proportionalität von Wirtschafts- und Steuerkraft der Länder nach dem Aufkommen (2012: 126 855 Mio. Euro nach Aufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden), erreicht wird. Grundsätzlich geht es um die Frage, inwieweit die Steuerkraft eines Landes je Einwohner in Relation zum Bundesdurchschnitt der Wirtschaftskraft eines Landes je Einwohner in Relation zum Bundesdurchschnitt entspricht.

Auseinanderklaffen von wirtschaftlicher Leistung und Steuerkraft

Der Ländervergleich vor dem Länderfinanzausgleich verdeutlicht, dass die vom Bundesgesetzgeber gewünschten und vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Ziele, nämlich eine Annäherung der Steuerkraft der Länder an deren Wirtschaftskraft, nicht oder zumindest nur in einem unzureichendem Maß erreicht wird. Im Grundsatz können drei Ländergruppen unterschieden werden, die, deren Steuerkraft vor Länderfinanzausgleich etwa ihrer Wirtschaftskraft entspricht (Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen), die, deren Steuerkraft niedriger liegt (Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) und diejenigen, die eine über ihrer Wirtschaftskraft liegende Steuerkraft besitzen (Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein).

Bei den drei Stadtstaaten und der Mehrzahl der finanzschwachen Länder, insbesondere den ostdeutschen, führt die Zerlegung zu einer Steuerkraft, die deutlich nicht ihrer Wirtschaftskraft entspricht (vgl. Abbildungen 1 und 2, Tabelle 1). Besonders drastisch liegt in den Fällen von Bremen, den ostdeutschen Ländern, dem Saarland und Hamburg die Steuerkraft unter der wirtschaftlichen Leistung. Deutlich über der Wirtschaftskraft liegt die Steuerkraft von Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Bei letzteren sowie Brandenburg und Niedersachsen ist davon auszugehen, dass sie von der Wirtschaftskraft ihrer Nachbarländer profitieren.

Abbildung 1
BIP und Steuern nach dem Aufkommen je Einwohner
2012, jeweils in % des Bundesdurchschnitts

30969.png

Tabelle 1
BIP und Steuern nach dem Aufkommen je Einwohner
2012, jeweils in % des Bundesdurchschnitts
  BIP 2012 Steuern nach dem Aufkommen Differenz in Prozentpunkten
Hamburg (HH) 164,5 149,4 -15,1
Bremen (HB) 129,8 92,1 -37,7
Hessen (HE) 116,7 117,8 1,1
Bayern (BY) 114,2 126,2 12,0
Baden-Württemberg (BW) 111,6 121,6 10,0
Nordrhein-Westfalen (NW) 101,1 100,8 -0,3
Saarland (SL) 97,2 79,4 -17,8
Berlin (BE) 91,2 84,8 -6,4
Rheinland-Pfalz (RP) 91,2 99,8 8,6
Niedersachsen (NI) 89,9 89,2 -0,7
Schleswig-Holstein (SH) 84,3 91,9 7,6
Sachsen (SN) 72,5 51,18 -21,3
Brandenburg (BB) 71,8 62,9 -8,9
Sachsen-Anhalt (ST) 71,0 52,7 -18,3
Meckl.-Vorpommern (MV) 70,1 52,2 -17,9
Thüringen (TH) 68,9 52,0 -16,9
Abbildung 2
Abweichung der Finanzkraft vom BIP je Einwohner
in Prozentpunkten

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Quelle: Hier und im Folgenden: eigene Berechnungen auf Basis von: http://www.vgrdl.de/Arbeitskreis_VGR/tbls/tab.asp?tbl=tab01, BMF VA4, der Finanzausgleich unter den Ländern 2012, Zeile 10.1.

Im Grundsatz bilden sich auf dieser Stufe der horizontalen Steuerverteilung bereits die Probleme des Länderfinanzausgleichs ab. Die „Problemländer“ Bremen und Saarland, aber auch Berlin und die ostdeutschen Flächenländer sind diejenigen, deren Anteil an der Steuerkraft deutlich niedriger ist als ihr Anteil an der wirtschaftlichen Leistung. Die Probleme der ostdeutschen Länder werden derzeit noch durch die Leistungen aus dem Solidarpakt kaschiert, werden aber – unter gegebenen Bedingungen – spätestens ab 2020 virulent. Das wirtschaftsstarke Hamburg wird aufgrund der Zerlegung im Ergebnis und der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer (Umsatzsteuervorwegausgleich) zum Empfängerland im Länderfinanzausgleich. Die Ausgleichsansprüche der finanzschwachen Länder und die Ausgleichsverpflichtungen der finanzstarken Länder sind damit zu einem relevanten Teil nicht auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern auf die nicht hinreichend korrigierte originäre Steuerverteilung unter den Ländern zurückzuführen.

Einzelne Zerlegungsschritte

Nicht nur das Ergebnis der Steuerzerlegung insgesamt, sondern auch die einzelnen Schritte der Zerlegung belegen das Auseinanderklaffen von wirtschaftlicher Leistung und Steuerkraft eines Landes. Die größte Bedeutung hat hierbei die Lohnsteuer. Deren örtliche Vereinnahmung und Zuweisung nach Zerlegung weist wie das Gesamtbild erhebliche Abweichungen zur wirtschaftlichen Leistung auf. Zwar wirkt die Zerlegung der Lohnsteuer tendenziell in die Richtung einer Annäherung des Steueraufkommens an die Wirtschaftskraft, jedoch sind in einigen Ländern gravierende Ausnahmen zu beobachten. Drastisch sind die Differenzen in Hamburg und Bremen – in Bremen liegt das Lohnsteueraufkommen ohnehin bereits niedrig, durch die Zerlegung wird es weiter reduziert (vgl. Abbildung 4). Das Lohnsteueraufkommen Bayerns, das bereits vor der Zerlegung höher liegt als es der Wirtschaftskraft des Landes entspräche, wird weiter leicht angehoben. In den Fällen Saarland, Berlin und die ostdeutschen Länder wird zwar das Lohnsteueraufkommen der Wirtschaftskraft angenähert, jedoch in einem unzureichenden Maß.

Abbildung 4
Abweichung von BIP und Lohnsteuer nach der Zerlegung je Einwohner 2012
in Prozentpunkten

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Im Ergebnis weist die Verteilung der Lohnsteuer weder vor noch nach der Zerlegung einschließlich der Belastungen durch das Kindergeld sowie Zahlungen und Erstattung des Bundeszentralamtes für Steuern (149 065 Mio. Euro) einen schlüssigen Zusammenhang mit der Wirtschaftskraft eines Landes auf. Hamburg erzielt bei einer Wirtschaftskraft von 164,5% des Bundesdurchschnitts ein Lohnsteueraufkommen von 197,1%, von dem nach Zerlegung 135,5% übrig bleiben (vgl. Tabelle 2 und Abbildung 3). Bremen – das mit 129,8% wirtschaftlich zweitstärkste Land! – erreicht nur Lohnsteuereinnahmen in Höhe von 119,2%, von denen dem Land nach Zerlegung 87,8% verbleiben. Bayern hingegen hat bei einer Wirtschaftskraft von 114,2% Lohnsteuereinnahmen in Höhe von 122,5% des Durchschnitts, die durch die Zerlegung noch leicht auf 123,1% angehoben werden. Die Nachbarländer der Stadtstaaten, Brandenburg und Schleswig-Holstein, in geringerem Maß auch Niedersachsen, werden von den Stadtstaaten mitgezogen. Vermutlich profitiert auch Rheinland-Pfalz von der Nachbarschaft zu Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg.

Tabelle 2
Lohnsteueraufkommen der Länder vor und nach der Zerlegung 2012
  Lohnsteuer vor Zerlegung Lohnsteuer nach Zerlegung, Kindergeld und Erstattungen des Bundeszentralamtes für Steuern Differenz Wirtschaftskraft und Lohnsteuer nach Zerlegung
  in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts in Prozentpunkten
HH 4429 197,1 2466 135,5 -29,0
HB 2679 119,2 1599 87,8 -42,0
HE 3026 134,6 2250 123,6 6,9
BY 2754 122,5 2241 123,1 8,9
BW 2780 123,7 2167 119,0 7,4
NW 2481 110,4 1838 101,0 -0,1
SL 1775 79,0 1556 85,5 -11,7
BE 1826 81,2 1539 84,6 -6,6
RP 1740 77,4 1759 96,6 5,4
NI 1753 78,0 1597 87,7 -2,2
SH 1575 70,1 1609 88,4 4,1
SN 1069 47,6 1052 57,8 -14,7
BB 1128 50,2 1364 74,9 3,1
ST 977 43,5 1029 56,5 -14,5
MV 903 40,2 993 54,5 -15,6
TH 1024 45,6 1060 58,2 -10,7
Abbildung 3
BIP und Lohnsteuer vor und nach der Zerlegung je Einwohner
2012, jeweils in % des Bundesdurchschnitts

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Das deutliche Auseinanderklaffen von Wirtschaftskraft und Lohnsteueraufkommen wird durch die anderen Steuern vom Ertrag in unterschiedlicher Weise beeinflusst. In der Tendenz verstärkt die Verteilung der Körperschaftsteuer (16 934 Mio. Euro) die Ergebnisse der Verteilung der Lohnsteuer (vgl. Tabelle 3 und Abbildung 5). Mit Ausnahme Bayerns, des Saarlandes und Berlins wird durch die Zerlegung zwar eine Annäherung der Steuerkraft an die Wirtschaftskraft erreicht, jedoch sind im Fall von Berlin, Rheinland-Pfalz und dem Saarland die Effekte gering.

Tabelle 3
Körperschaftsteuer vor und nach der Zerlegung je Einwohner 2012
  Körperschaftsteuer vor Zerlegung Körperschaftsteuer nach Zerlegung
  in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts
HH 390 188,5 357 172,4
HB 225 108,5 259 125,9
HE 261 125,9 251 121,4
BY 247 119,1 215 104,2
BW 376 181,6 352 170,0
NW 92 44,6 149 72,1
SL 129 62,5 123 59,5
BE 170 82,2 168 81,2
RP 265 127,8 261 126,3
NI 287 138,4 208 100,5
SH 194 93,5 82 82,0
SN 70 33,8 115 55,4
BB 111 53,6 148 71,7
ST 81 39,0 118 57,1
MV 68 32,6 74 35,8
TH 97 47,0 130 63,0
Abbildung 5
BIP und Körperschaftsteuer vor und nach der Zerlegung je Einwohner
2012, jeweils in % des Bundesdurchschnitts

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In Hinblick auf die Zerlegung der Körperschaftsteuer darf der Umstand nicht übersehen werden, dass die Länder mit einem niedrigeren Lohnniveau, insbesondere die ostdeutschen Länder, aber auch das Saarland in besonderer Weise benachteiligt werden. Die Steuerzerlegung erfolgt nicht auf der Grundlage der Beiträge der einzelnen Betriebsstätten zum Unternehmensergebnis, sondern aufgrund deren Lohnsumme. Wird das gleiche Produkt an zwei verschiedenen Standorten zu unterschiedlichen Lohnkosten hergestellt, trägt die Betriebsstätte mit den niedrigeren Lohnkosten mehr zum Unternehmensergebnis bei. Jedoch fließt ein höherer Anteil an der Körperschaftsteuer an den Standort, der aufgrund eines höheren Lohnniveaus weniger Erträge erwirtschaftet. Verschärft wird dieses Problem, wenn geringere Lohnkosten mit höherer Kapitalintensität der Produktion einhergehen.

Die veranlagte Einkommensteuer (37 262 Mio. Euro) wird aufgrund des Wohnsitzprinzips unabhängig vom Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht zerlegt. Fallen wirtschaftliche Tätigkeit und Wohnsitz der steuerpflichtigen Person auseinander, dann fließt die veranlagte Einkommensteuer allein dem Wohnsitzland zu. Hiervon betroffen sind Stadtstaaten, wenn beispielsweise Freiberufler in einem angrenzenden Land wohnen, oder die ostdeutschen Länder, in denen vermietete Immobilien in großem Umfang in den westdeutschen Ländern wohnenden Eigentümern gehören. Die Spanne des Aufkommens reicht von 23,3% bis 197,8% des Durchschnitts je Einwohner (vgl. Abbildung 6) und weist nur einen geringen Bezug zur örtlichen Wirtschaftskraft, eher zu bevorzugten Wohnorten auf.

Abbildung 6
BIP und veranlagte Einkommensteuer
2012, in % des Bundesdurchschnitts

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Sowohl bei dem zerlegten Zinsabschlag23 (8234 Mio. Euro) als auch bei den nicht zerlegten nicht veranlagten Steuern vom Ertrag (nach Erstattungen an das Bundeszentralamt für Steuern 20 059 Mio. Euro) wiederholt sich das bekannte Bild. Hamburg erzielt ein Aufkommen, das relativ nahe bei der Wirtschaftskraft der Hansestadt liegt (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 7). In Bremen ist das Gegenteil der Fall. Hessen, insbesondere aber Bayern verzeichnen Einnahmen weit über ihrer Wirtschaftskraft, Saarland, Berlin und die ostdeutschen Länder hingegen Einnahmen, die deutlich ihre Wirtschaftskraft unterschreiten. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass das Zerlegungsgesetz weder den in den Gesetzesbegründungen angegebenen Zielen noch den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von 1986 entspricht.

Tabelle 4
Zinsabschlag nach der Zerlegung und nicht veranlagte Steuern vom Ertrag 2012
  Zinsabschlag nach Zerlegung Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag
  in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts in Euro je Einwohner in % des Bundesdurchschnitts
HH 159 158,0 389 158,7
HB 99 98,9 136 55,4
HE 142 141,6 294 120,0
BY 142 140,8 370 151,0
BW 123 122,5 283 115,4
NW 104 103,7 307 125,3
SL 77 76,5 147 59,9
BE 77 76,2 141 57,7
RP 102 101,0 214 87,2
NI 82 81,2 204 83,1
SH 78 77,4 103 42,2
SN 32 32,3 64 26,1
BB 39 38,8 52 21,4
ST 28 28,3 116 47,3
MV 27 26,6 55 22,5
TH 33 33,3 52 21,3
Abbildung 7
BIP, Zinsabschlag und nicht veranlagte Steuern vom Ertrag je Einwohner
2012, in % des Bundesdurchschnitts

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Schlussfolgerungen

Grundsätzlich stellt sich aufgrund dieser Ergebnisse die Frage, ob die Steuerzerlegung ein geeignetes Instrument dafür ist, den Ländern vor Länderfinanzausgleich Steuereinnahmen zuzuweisen, die ihrer „wirklichen Steuerkraft“, verstanden als Steuerkraft proportional zu ihrer Wirtschaftskraft, entsprechen. In einigen Fällen gibt es substanzielle Annäherungen, in anderen wirkt die Zerlegung in die entgegengesetzte Richtung. Die Wirkungen sind auch nicht bei allen nach dem örtlichen Aufkommen zu verteilenden Steuern gleichmäßig. Tatsächlich ist es in einem integrierten Wirtschaftsraum wie dem der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Landesgrenzen für die wirtschaftliche Betätigung keine wesentliche Rolle spielen, kaum sinnvoll möglich, die zu einem erheblichen Teil im gesamten Raum erwirtschafteten Steuererträge artifiziell auf die einzelnen Länder zu verteilen. Zudem hat die Landespolitik auf die großen und entscheidenden Wirtschaftsstrukturen, wie sie infolge des Zweiten Weltkrieges und die deutsche Teilung entstanden sind, kaum einen verändernden Einfluss. Daher sind Aufkommensunterschiede bei den Steuern nur zum kleinsten Teil das Ergebnis von Landespolitik.

Diese Problemlage ist nicht neu, hat heute aber wohl größeres Gewicht als in früheren Jahren. Bereits die Troeger-Kommission hat sich 1966 im Rahmen des von ihr verfassten Gutachtens zur Vorbereitung der Finanzverfassungsreform von 196924 mit diesem Problem befasst. Sie weist darauf hin, dass das Steuerverteilungssystem davon ausgeht, „daß das regionale Aufkommen der regionalen Steuerleistung entspricht. Die Übereinstimmung wird durch die moderne technische und betriebsorganisatorische Entwicklung vielfach gestört. … betriebliche Maßnahmen können beträchtliche Aufkommensverlagerungen von Land zu Land zur Folge haben, die steuerwirtschaftlich weder veranlaßt noch begründet sind.“25 „Man könnte die Auffassung vertreten, daß regionale Unterschiede zwischen örtlichem Aufkommen und Steuerleistung unberücksichtigt bleiben können, weil der Steuerkraftausgleich die darauf zurückzuführenden Unebenheiten kompensiert. Das ist nur bedingt der Fall. Da der Finanzausgleich nicht zur vollen Nivellierung führen darf, bleibt ein Teil dieser Unebenheiten bestehen.“26

Die Troeger-Kommission ging – vor knapp 50 Jahren – davon aus, dass durch die Zerlegung eine Entsprechung von regionalem Steueraufkommen und regionaler Wirtschaftskraft erreicht werde. Unabhängig davon, ob diese Vermutung damals zutraf, heute trifft sie nicht (mehr) zu. Im Gegenteil, die vorgestellten Daten zeigen gerade, dass die gegenwärtigen wirklichen oder vermeintlichen Probleme des Länderfinanzausgleichs nicht nur eine Folge unterschiedlicher Wirtschaftskraft, sondern vielmehr auch der Verzerrungen der Steuerverteilung sind. Hätten einerseits die „Problemländer“, andererseits die „überlasteten“ Länder eine mit ihrer Wirtschaftskraft korrespondierende Steuerkraft, würde sich der gesamte Ausgleich wesentlich weniger problematisch darstellen.

Ob die Probleme der Zerlegung „heilbar“ sind, ist angesichts der je nach Steuerart unterschiedlichen Wirkung zweifelhaft. Sinnvoller erscheint es, einen mit verfassungsändernder Mehrheit gefassten Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1968 wieder aufzunehmen. Seinerzeit beschloss der Bundestag, auf eine Verteilung von Gemeinschaftsteuern nach dem örtlichen Aufkommen zu verzichten, und sie „durch Bundesgesetz“ auf den Bund und die Länder zu verteilen und den Länderfinanzausgleich – Art. 107 GG – gänzlich abzuschaffen.27 In der Begründung dazu heißt es: „Der Rechtsausschuß hält es in Übereinstimmung mit dem Finanzausschuß nicht für richtig, in der Verfassung festzulegen, daß sich der Anteil der Länder an den Gemeinschaftsteuern im Verhältnis der Länder zueinander nach dem örtlichen Aufkommen bestimmt und daß die dadurch bedingten Steuerkraftunterschiede dann in gewissem Umfang durch einen Finanzausgleich unter den Ländern ausgeglichen werden. Der Grundsatz des örtlichen Aufkommens erscheint angesichts der Verflechtung unserer Wirtschaft nicht mehr sachgerecht. Außerdem wird das bundesstaatliche Verhältnis durch die Aufspaltung in gebende und nehmende Länder stark belastet. … der Finanzausgleich … sollte … einem Bundesgesetz überlassen bleiben, das so gestaltet werden muß, daß alle Länder ihre Aufgaben wirkungsvoll erfüllen können.“28 Dem ist im Hinblick auf 2019 kaum etwas hinzuzufügen.

  • 1 U. Häde: Finanzausgleich – Die Verteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen im Recht der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, in: Jus Publicum, Bd. 19, Tübingen 1996, S. 209.
  • 2 BVerfGE 72, 1986, 2 BvF 1/83, Rand-Nummer 169, http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=2%20BvF%201/83.
  • 3 J. Hidien: Zerlegungsgesetz, http://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata/komm/HidKoZerlG_1/cont/HidKoZerlG.einl.htm, 2012, Einleitung, Rand-Nummer 8 f.
  • 4 Bundesrats-Drucksache 615/51, Begründung S. 1; Bundesgesetzblatt I, 1952, S. 225 ff.; W. Renzsch: Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre politische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher Vereinigung (1948 bis 1990), Bonn 1991, S. 122 f.
  • 5 In der Fassung vom 23.12.1955, Bundesgesetzblatt I, S. 817 ff.
  • 6 § 15 Länderfinanzausgleichsgesetz vom 27.4.1955, Bundesgesetzblatt I, S. 199, 201; J. Hidien, a.a.O., Rand-Nummer 10.
  • 7 Bundesgesetzblatt I, 1970, 1727.
  • 8 Bundestags-Drucksache VI/802, S. 5, auch Bundesrats-Drucksache 193/70, S. 5.
  • 9 Gesetz vom 17.12.1970, Bundesgesetzblatt I, S. 1727; Bekanntmachung vom 25.2.1971, Bundesgesetzblatt I, 145.
  • 10 Bundesgesetzblatt I, 1992, S. 1853, 1862.
  • 11 BVerfGE 72, S. 330, 2 BvF 1/83.
  • 12 Bundesrats-Drucksache 595/97, S. 12, 17; Bundestags-Drucksache 13/10152, S. 10.
  • 13 Anlage 3 zu Punkt 3 der 702. Finanzausschusssitzung des Bundesrates, 22.1.1998, Anlage 2 und 5 zu TOP 1 der 707. Sitzung, 14.5.1998.
  • 14 Art. 1 Gesetz vom 6.8.1998, Bundesgesetzblatt I, S. 1998.
  • 15 Steueränderungsgesetz vom 15.12.2003, Bundesgesetzblatt I, S. 2645, 2670; Steuervereinfachungsgesetz vom 4.11.2011, Bundesgesetzblatt I, S. 2131, 2143.
  • 16 Allerdings mit Ausnahme der Bestimmung, dass bei Ehegatten, die nicht dauernd getrennt leben und beide Arbeitslohn beziehen, für die Lohnsteuerzerlegung die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Mannes maßgebend sind, früherer § 5 Abs. 2 Satz 4 ZerlegG, BVerfGE 72, 330, Rand-Nummer 165, 221, 227.
  • 17 BVerfGE 72, 330, Rand-Nummer 169.
  • 18 Ebenda, Rand-Nummer 193.
  • 19 Ebenda, Rand-Nummer 186.
  • 20 Ebenda, Rand-Nummer 186-188.
  • 21 Vgl. http://www.vgrdl.de/Arbeitskreis_VGR/tbls/tab.asp?lang=de-DE&tbl=tab01: Bruttoinlandsprodukt – in jeweiligen Preisen – je Einwohner in Deutschland nach Bundesländern, siehe auch: Statistische Ämter der Länder: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder, Reihe 1, Länderergebnisse Bd. 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991-2012 (Bearbeitungsstand August 2012/Februar 2013), Tab. 3.3.
  • 22 Bundesministerium der Finanzen V A 4: Der Finanzausgleich unter den Ländern für die Zeit vom 1.1.2012-31.12.2012, http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Foederale_Finanzbeziehungen/Laenderfinanzausgleich/laenderfinanzausgleich.html.
  • 23 Ein Vergleich mit der örtlichen Vereinnahmung ist hier nicht sinnvoll, da in Hessen (Frankfurt) die weit überwiegende Summe eingenommen wird und Hessen an alle anderen Länder abgibt.
  • 24 Kommission für die Finanzreform (Hrsg.): Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart u.a.O. 1966.
  • 25 Ebenda, Rand-Nummer 290
  • 26 Ebenda, Rand-Nummer 293.
  • 27 Bundestags-Drucksache V/3605, S. 9 f.
  • 28 Ebenda.

Title:Economic Strength and Tax Revenues

Abstract:The local breakdown of the German Länder shares of tax revenues is hardly considered as a political or legal problem. Its purpose is to correct the results of the technical procedures of tax collection in order to distribute the revenues among the Länder according to their economic strength. This objective is hardly achieved. On the contrary, the shortcomings of the breakdown considerably intensify the problems of fiscal equalisation among the Länder. The question has to be raised whether or not the breakdown of revenues according to their “true” local origin is still appropriate within a highly integrated economy.


DOI: 10.1007/s10273-013-1541-1

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