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Der Mittelstand gilt als deutsches Erfolgsmodell. Im internationalen Vergleich wird allerdings sichtbar, dass die wirtschaftliche Bedeutung von kleinen und mittleren Unternehmen in vielen südeuropäischen Staaten größer ist. Die Autoren zeigen auf, dass die gängigen Definitionen den Kern des deutschen Mittelstands nicht hinreichend erfassen, und schlagen das Konzept der „Mittelunternehmen“ vor, um den deutschen Mittelstand besser abzubilden.

Der Mittelstandsbegriff ist eng mit dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft verknüpft. Obwohl die Diskussion um die Vor- und Nachteile verschiedener Größenstrukturen in der Produktion mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht,1 stehen Mittelstand und Soziale Marktwirtschaft als Synonyme für den wirtschaftlichen Aufschwung in Nachkriegsdeutschland. Sie verkörpern zusammen das „deutsche Wirtschaftsmodell“. Beide galten insbesondere in den 1990er Jahren mit dem Hinweis auf das angelsächsische Modell als rückständig. Diese Sichtweise hat sich jedoch seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 ins Gegenteil verkehrt. Seitdem werden Mittelstand und Soziale Marktwirtschaft wieder als Erfolgsgaranten der deutschen Wirtschaft angesehen und deutsche Politiker sind bestrebt, das „deutsche Modell“ in andere Länder zu exportieren.

Trotz ihrer (momentanen) Beliebtheit teilen beide Begriffe das Schicksal, dass sie nicht hinreichend definiert sind und nahezu beliebig verwendet werden. Damit sind sie aber zugleich inhaltsleer und ohne Gehalt für die ökonomische Analyse. Eine ausführliche Diskussion der Bestimmungsgrößen der Sozialen Marktwirtschaft ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Da die Soziale Marktwirtschaft jedoch den Rahmen vorgibt, in dem der Mittelstand agiert, wird sie im Folgenden als eine Wettbewerbswirtschaft verstanden, in der der soziale Ausgleich möglichst mit marktkonformen Instrumenten erreicht werden soll.2

Der Schwerpunkt der folgenden Analyse besteht darin zu identifizieren, wo der Kern des wirtschaftlichen Mittelstands3 in Deutschland liegt. Dies ist die Voraussetzung, um die Bedeutung einzelner Politikinstrumente für den Erfolg des deutschen Mittelstands bewerten und um Lehren für die Wirtschaftspolitik in Deutschland sowie in anderen Ländern ziehen zu können. Hierzu werden unterschiedliche Mittelstandsdefinitionen dargestellt und auf ihre Aussagekraft und Anwendungsmöglichkeiten untersucht.

Abbildung 1
Langfristige Durchschnittskostenkurve und mindestoptimale Betriebsgröße
31935.png

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an S. Wied-Nebeling, H. Schott: Grundlagen der Mikroökonomik, 3. Aufl., Berlin u.a.O. 2005, S. 154.

Optimale Betriebsgröße aus mikroökonomischer Sicht

In der mikroökonomischen Theorie wird die Betriebsgröße eines Unternehmens in der längerfristigen Betrachtung als variabel angesehen. Mit zunehmender Betriebsgröße können Unternehmen in der Regel Skaleneffekte nutzen, so dass sich Kostenvorteile gegenüber kleinen Unternehmen ergeben. Strebt ein Unternehmen eine Produktion mit möglichst geringen langfristigen Durchschnittskosten an, so liegt die mindestoptimale Betriebsgröße (gemessen an der Produktionsmenge) an dem Punkt, an dem die langfristige Durchschnittskostenkurve vom fallenden in den konstanten Bereich übergeht (vgl. Abbildung 1). Ab einer gewissen Produktionsmenge treten hingegen negative Skaleneffekte auf, so dass die langfristigen Durchschnittskosten wieder ansteigen. Zwar bezieht sich diese Betrachtungsweise auf Betriebsstätten und nicht auf Unternehmen, so dass Großunternehmen versuchen können, die Produktion mehrerer kleiner Unternehmen zu imitieren.4 Allerdings erscheint es fraglich, inwiefern dies innerhalb der Organisationsstruktur eines Großunternehmens möglich ist.

Die Lehrbuchdarstellung der mindestoptimalen Betriebsgröße stellt grundsätzliche Wirkungszusammenhänge zwischen Produktionskosten und Produktionsmenge dar. Die Schlussfolgerungen gelten jedoch nur im Rahmen der getroffenen Modellannahmen für die verfügbaren Produktionstechniken und die Verhältnisse auf den Faktor- und Absatzmärkten. Zudem wird von unternehmensspezifischen Besonderheiten abstrahiert und unterstellt, die Bedingungen seien für alle Unternehmen identisch. Die Aussagen lassen sich daher nicht bzw. nur bedingt auf reale Unternehmen übertragen. Aus dem Modell kann also nicht der Schluss gezogen werden, dass eine bestimmte Unternehmensgröße immer vorteilhaft ist, also das entweder immer große, kleine oder mittlere Unternehmen besonders effizient wirtschaften. Die mindestoptimale Betriebsgröße ist abhängig von spezifischen Rahmenbedingungen der Produktion. Während beispielsweise in der Flugzeugproduktion die mindestoptimale Betriebsgröße bei einer hohen Produktionsmenge liegt, kann diese im Dienstleistungsbereich bereits bei einer geringen Produktionsmenge erreicht sein. Die mikroökonomische Theorie der Unternehmung favorisiert somit keinen spezifischen Unternehmenstypus. Aus dieser Perspektive sind mittelständische Unternehmen per se weder im Vorteil noch im Nachteil.

Qualitative und quantitative Mittelstandsdefinitionen

Die Abgrenzung des Mittelstands von anderen Teilen der Wirtschaft kann grundsätzlich auf drei Wegen erfolgen:

  1. durch die Festlegung qualitativer Bestimmungsmerkmale wie z.B. der Eigentümerstruktur;
  2. durch die Festlegung quantitativer Grenzen wirtschaftlicher Kennzahlen wie z.B. der Zahl der Beschäftigten oder des Umsatzes;
  3. durch eine Kombination von quantitativen und qualitativen Merkmalen.

Qualitative Definitionen

Qualitativ wird der Mittelstand in der Regel mit dem Begriff des Familienunternehmens gleichgesetzt. Demnach ist ein Unternehmen dann dem Mittelstand zuzurechnen, wenn es einer oder mehreren Familien gehört und die Eigentümerfamilien ein gewisses Maß an Kontrolle über die unternehmerischen Entscheidungen ausüben können.

Mit dem Familienbesitz und der Einheit von Eigentum und Leitung werden bestimmte Verhaltensweisen der Unternehmer(-familien) assoziiert, die sich qualitativ von dem Verhalten eines familienexternen, nicht am Unternehmen beteiligten Managers unterscheiden sollen. So bleiben in den 70 größten Familienunternehmen Geschäftsführer und Vorstände signifikant länger im Amt als entsprechende Führungskräfte bei Unternehmen im Streubesitz,5 was eine längerfristige Orientierung des Geschäftsmodells vermuten lässt. Auch weisen größere Familienunternehmen eine höhere Ausbildungsneigung auf als Nicht-Familienunternehmen.6 Da Familien oft ihr gesamtes Vermögen im Unternehmen investiert haben, sind diese auf den Aufbau einer guten Reputation und damit auf eine nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens angewiesen.7

Allein in Europa existieren 92 unterschiedliche Definitionen von Familienunternehmen.8 Hinzu kommen zahlreiche Definitionen im angelsächsischen Sprachraum. Die Definitionen unterscheiden sich zum Teil gravierend in der Bestimmung des Familienbegriffs und der notwendigen Beteiligung der Eigentümerfamilie(n) an den unternehmerischen Entscheidungen. Nicht alle Definitionsansätze sind für empirische Untersuchungen geeignet.

Eine in Deutschland weit verbreitete Definition für Familienunternehmen kommt vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Demnach sind Familienunternehmen solche, bei denen die Eigentums- und Leitungsrechte in der Person des Unternehmers bzw. dessen Familie vereint sind. Da in der Praxis zahlreiche Grenzfälle vorkommen, operationalisiert das IfM Bonn das Konstrukt Familienunternehmen wie folgt: Ein Familienunternehmen ist ein Unternehmen, bei dem bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50% der stimmberechtigten Anteile halten und bei dem diese natürlichen Personen der Geschäftsführung angehören.9 Der Vorteil dieser Definition liegt in der Operationalisierbarkeit für empirische Untersuchungen. Allerdings ist die Festlegung der genannten Größenwerte willkürlich und theoretisch nicht weiter begründbar. Auch werden Möglichkeiten der Einflussnahme auf zentrale unternehmerische Strategieentscheidungen von Eigentümern, die nicht der Geschäftsführung angehören, ausgeblendet.

Tabelle 1
KMU nach Definition des IfM Bonn
Unternehmens­größe Zahl der Beschäftigten und Umsatz Euro/Jahr
Klein bis 9   bis unter 1 Mio.
Mittel bis 499   bis unter 50 Mio.
(KMU) zusammen unter 500   unter 50 Mio.

Quantitative Definitionen

In den meisten Fällen erfolgt die quantitative Abgrenzung des Mittelstands über die Festlegung von Grenzwerten für bestimmte wirtschaftliche Kennzahlen. Dabei sind Umsatzgrößen und die Zahl der Beschäftigten am weitesten verbreitet. Die Festlegung der Grenzwerte ist arbiträr und theoretisch nicht begründbar. Der Charakter eines Unternehmens wird sich kaum mit dem Überschreiten eines Grenzwertes ändern. So wird es keinen Unterschied im Unternehmensalltag machen, ob ein Unternehmen 499 oder 500 Beschäftigte hat. Auch ist es fraglich, inwiefern eine für alle Branchen einheitliche quantitative Definition Branchenspezifika gerecht werden kann. Im Handel etwa wird traditionell ein hoher Umsatz bei geringer Beschäftigtenzahl erwirtschaftet, während in anderen Wirtschaftszweigen vergleichbare Umsatzzahlen mit einem höheren Personaleinsatz verbunden sind.

Die quantitative Bestimmung des Mittelstands wird mit der von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gleichgesetzt. Für empirische Arbeiten bieten die KMU den großen Vorteil der (relativ) einfachen Messbarkeit. Jedoch gibt es keine allgemeingültige Abgrenzung der KMU. Vielmehr stehen mehrere Ansätze nebeneinander. Der Ursprung der meisten Definitionen liegt in der Abgrenzung des Zugangs zu staatlichen Förderprogrammen.10 Das IfM Bonn definiert KMU als solche Unternehmen, die unter 500 Beschäftigte und unter 50 Mio. Euro Umsatz pro Jahr haben und wirtschaftlich unabhängig sind (vgl. Tabelle 1). Einen ebenfalls quantitativen Ansatz zur Kategorisierung von Unternehmen stellt die Definition der EU-Kommission dar. Diese definiert KMU als wirtschaftlich unabhängige Unternehmen mit bis 249 Beschäftigten sowie bis 50 Mio. Euro Umsatz pro Jahr oder bis 43 Mio. Bilanzsumme (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2
KMU nach Definition der EU-Kommission
Unternehmens­größe Zahl der Beschäftigten und Umsatz Euro/Jahr oder Bilanzsumme Euro/Jahr
Kleinst bis 9   bis 2 Mio.   bis 2 Mio.
Klein bis 49   bis 10 Mio.   bis 10 Mio.
Mittel bis 249   bis 50 Mio.   bis 43 Mio.

Kombination qualitativer und quantitativer Merkmale

Eine weitere Möglichkeit, mittelständische Unternehmen abzugrenzen, besteht in der Kreuzung qualitativer und quantitativer Merkmale. Auch die oben vorgestellten Definitionen für Familienunternehmen und KMU kombinieren jeweils qualitative und quantitative Merkmale: So werden für Familienunternehmen quantitative Grenzen bei der Zahl der beteiligten Personen und deren Anteilshöhe einbezogen. Ein KMU muss zudem die qualitative Anforderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit erfüllen. Darüber hinaus ist es jedoch möglich, die Schnittmenge von Familienunternehmen und KMU zu bilden. Bezogen auf die Definitionen des IfM Bonn sind gut 95% aller KMU auch Familienunternehmen.11

Die deutliche Überschneidung beider Definitionen darf jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, dass sie beliebig gegeneinander austauschbar sind. In der Schnittmenge nicht enthalten sind insbesondere die großen Familienunternehmen. Diesen Unternehmen kann eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung zufallen.

Abbildung 2
Anteile der KMU und Familienunternehmen in Deutschland
in %
34574.png

Quelle: Institut für Mittelstandsforschung Bonn: Schlüssel- und Kennzahlen zum Mittelstand, 2013, http://www.ifm-bonn.org/index.php?id=74# (17.6.2013).

Wirtschaftliche Bedeutung des klassischen Mittelstands

Die Abbildung 2 zeigt für die drei genannten Definitionen jeweils den Anteil an der Gesamtzahl der Unternehmen, den Anteil an den gesamten Unternehmensumsätzen und den Anteil an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die KMU-Definition des IfM Bonn deckt im Vergleich zur Definition der EU-Kommission einen um 0,2 Prozentpunkte größeren Anteil der Unternehmen, einen um 1,3 Prozentpunkte größeren Umsatzanteil und einen um 5,7 Prozentpunkte größeren Anteil an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ab. Offenbar gibt es oberhalb der von der EU-Kommission und unterhalb der vom IfM Bonn gesetzten Grenzwerte einige wenige Unternehmen, die überproportional hohe Umsätze erzielen und überproportional viele Mitarbeiter beschäftigen.

Unabhängig von der verwendeten Definition zeigt sich, dass der weit überwiegende Teil der deutschen Unternehmen dem Mittelstand zuzuordnen ist. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Mittelstands wird zudem insbesondere an der Tatsache deutlich, dass weit über die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf den Mittelstand entfällt.

Tabelle 3
Schlüsselindikatoren für KMU im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft, 2005
Anteil der KMU am Gesamtsektor in %
  Zahl der Unternehmen Zahl der Beschäftigten Wertschöpfung
Belgien 99,8 66,6 57,8
Bulgarien 99,7 72,6 53,2
Dänemark 99,7 66,0 64,8
Deutschland 99,5 60,6 53,2
Estland 99,6 78,1 75,1
Finnland 99,7 58,5 53,9
Frankreich 99,8 61,4 54,2
Griechenland 99,9 81,9 69,6
Großbritannien 99,6 54,0 51,0
Irland 99,5 67,5 58,2
Italien 99,9 81,3 70,9
Lettland 99,7 75,6 71,1
Litauen 99,7 72,9 58,5
Luxemburg 99,6 70,8 58,5
Malta - - -
Niederlande 99,7 67,6 61,5
Österreich 99,7 67,4 60,0
Polen 99,8 69,8 48,4
Portugal 99,9 82,0 67,8
Rumänien 99,5 60,8 48,4
Schweden 99,6 54,0 51,0
Slowakei 99,8 54,0 44,5
Slowenien 99,7 66,4 60,6
Spanien 99,9 78,7 68,5
Tschechien 99,8 68,9 56,7
Ungarn 99,8 70,9 50,2
Zypern 99,9 84,3 80,0

Quelle: Eurostat: Unternehmen nach Größenklassen – Überblick über KMU in der EU, 2008, S. 3, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-SF-08-031/DE/KS-SF-08-031-DE.PDF (12.4.2013).

Besonderheiten des deutschen Mittelstands im internationalen Vergleich

Tabelle 3 zeigt einige Schlüsselindikatoren für KMU im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft im europäischen Vergleich. Gemäß der Definition der EU-Kommission sind in allen Mitgliedstaaten über 99% der Unternehmen KMU. Erhebliche Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten gibt es allerdings im Anteil der bei KMU beschäftigten Personen und dem Wertschöpfungsanteil der KMU. Beide Werte sind beispielsweise in Spanien, Italien und Griechenland deutlich überdurchschnittlich, während diese in Deutschland unterdurchschnittlich sind.

Dieser Befund überrascht, wo doch der Mittelstand als deutsches Erfolgsmodell gilt. Es wäre daher naheliegend anzunehmen, dass der Mittelstand gerade in Deutschland überproportional zur Beschäftigung und Wertschöpfung beiträgt. Der europäische Vergleich legt jedoch eher nahe, dass der Mittelstand in anderen Ländern besser aufgestellt ist. Allerdings gilt es zu beachten, dass die europäische Mittelstandsdefinition sehr eng gefasst ist und den großen Mittelstand nicht betrachtet.

Tabelle 4
Unternehmen im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft nach Größenklassen, 2008
  Zahl der Unternehmen Mikro Klein Mittel Groß
in 1000 in %
EU27 20 994 92,0 6,7 1,1 0,2
Belgien 426 92,5 6,3 0,9 0,2
Bulgarien 270 88,7 9,2 1,9 0,3
Dänemark 211 85,0 12,2 2,4 0,4
Deutschland 1 880 83,0 14,1 2,4 0,5
Estland 46 83,9 13,0 2,7 0,4
Finnland 202 91,7 6,9 1,1 0,3
Frankreich - - - - -
Griechenland - - - - -
Großbritannien 1 731 89,3 8,8 1,5 0,4
Irland 158 87,8 9,9 1,9 0,3
Italien 3 947 94,3 5,1 0,5 0,1
Lettland 70 84,4 12,9 2,4 0,3
Litauen 139 88,7 9,2 1,9 0,3
Luxemburg 17 85,8 11,5 2,2 0,5
Malta - - - - -
Niederlande 583 90,4 8,0 1,4 0,3
Österreich 294 87,2 10,8 1,7 0,4
Polen 1 556 95,5 3,3 1,0 0,2
Portugal 778 94,0 5,1 0,7 0,1
Rumänien 506 88,9 8,8 1,9 0,4
Schweden 586 94,7 4,4 0,8 0,2
Slowakei 59 71,2 24,2 3,7 0,9
Slowenien 93 92,4 6,1 1,3 0,3
Spanien 2 653 93,1 6,0 0,8 0,1
Tschechien 889 95,1 3,9 0,8 0,2
Ungarn 566 94,3 4,7 0,8 0,2
Zypern 47 92,3 6,4 1,1 0,2

Anmerkung: Mikrounternehmen (1 bis 9 Beschäftigte), kleine Unternehmen (10 bis 49 Beschäftigte), mittlere Unternehmen (50 bis 249 Beschäftigte) und große Unternehmen (250 und mehr Beschäftigte).

Quelle: Eurostat: Key figures on European business with a special feature on SMEs, , 2011, S. 12, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-ET-11-001/EN/KS-ET-11-001-EN.PDF (12.4.2013).

Tabelle 4 stellt die Struktur der KMU im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft in den Mitgliedstaaten der EU dar. Der Anteil der Mikrounternehmen ist in Deutschland mit 83,0% im Vergleich zum Durchschnitt der EU27 von 92,0% deutlich unterdurchschnittlich, während der Anteil kleiner Unternehmen mit 14,1% (EU27: 6,7%), der Anteil der mittleren Unternehmen mit 2,4% (EU27: 1,1%) und der Anteil der großer Unternehmen mit 0,5% (EU27: 0,2%) deutlich überdurchschnittlich ist. Dies gilt nicht nur im Vergleich zum Durchschnitt der EU27, sondern insbesondere auch im Vergleich zu den übrigen großen europäischen Volkswirtschaften. So sind in Spanien 93,1% aller Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors der gewerblichen Wirtschaft Mikrounternehmen und in Italien 94,3%. Innerhalb der Gruppe der KMU gibt es also in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viele Unternehmen an der oberen Grenze der KMU-Definition der EU-Kommission.

Abbildung 3 zeigt, wie die Beschäftigung im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft in den Mitgliedstaaten der EU zwischen Mikro-, kleinen, mittleren und großen Unternehmen verteilt ist. Dabei werden erhebliche Struktur­unterschiede deutlich. Während der Beschäftigungsanteil von Mikrounternehmen in Spanien und Italien innderhalb der EU27 deutlich überdurchschnittlich ist, ist dieser in Deutschland und Großbritannien deutlich unterdurchschnittlich. Spiegelbildlich ist der Beschäftigungsanteil von mittleren und großen Unternehmen in Deutschland und in Großbritannien überdurchschnittlich, während er in Spanien und Italien unterdurchschnittlich ist.

Abbildung 3
Beschäftigte im nichtfinanziellen Sektor der gewerblichen Wirtschaft nach Größenklassen
in %
33773.png

Quelle: Eurostat: Key figures on European business with a special feature on SMEs, 2011, S. 17, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-ET-11-001/EN/KS-ET-11-001-EN.PDF (12.4.2013).

Wirtschaftlicher Kern des Mittelstands: Mittelunternehmen

Der Vergleich der Struktur und der Bedeutung von KMU in den Mitgliedsländern der EU hat erhebliche Unterschiede gezeigt. Im Vergleich zu Deutschland ist die Bedeutung von KMU für Beschäftigung und Wertschöpfung in Spanien, Italien und Griechenland insgesamt deutlich höher, wobei dort der Fokus auf Mikrounternehmen liegt. In Deutschland fällt hingegen sowohl bei der Struktur der Unternehmen als auch in Hinblick auf die Beschäftigung auf, dass Unternehmen an der oberen Grenze der KMU-Definition der EU-Kommission eine große Rolle spielen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob anhand der Kategorie KMU die Bedeutung des deutschen Mittelstands als wesentlicher Treiber der Wirtschaftskraft hinreichend erfasst werden kann. Vielmehr wird hier die Hypothese aufgestellt, dass der wirtschaftsstarke Kern des deutschen Mittelstands gemessen am Beitrag zu Kenngrößen wie dem Umsatz oder der Beschäftigung nicht durch kleine, sondern durch Unternehmen mittlerer Größe zutreffend beschrieben wird. Mit Unternehmen mittlerer Größe sind dabei Unternehmen an der oberen Grenze der KMU-Definition des IfM Bonn und darüber gemeint. Im Folgenden werden diese Unternehmen mittlerer Größe als Mittelunternehmen bezeichnet. Dieser Begriff ist dabei in Abgrenzung zu Klein- und Großunternehmen zu verstehen.

In einer Studie von Eekhoff und Malshe12 werden für dieses Segment Umsatzgrenzen zwischen 20 Mio. Euro und 1 Mrd. Euro definiert. Zu einer so definierten Kategorie gehören in Deutschland 21 000 oder 1,2% aller Unternehmen. Diese beschäftigten 9,4 Mio. oder 35,5% aller Arbeitnehmer und erwirtschaften 2,3 Billionen Euro oder 32,5% der gesamten Unternehmensumsätze (vgl. Abbildung 4). Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Mittelunternehmen erscheint im Vergleich zu derjenigen von KMU als besonders bemerkenswert. Während KMU nach EU-Definition, die 99,5% aller Unternehmen ausmachen, einen Umsatzanteil von 37,8% aufweisen (vgl. Abbildung 2), entfallen auf Mittelunternehmen, die lediglich 1,2% aller Unternehmen ausmachen, 32,5% aller Umsätze.

Abbildung 4
Anteile der Mittelunternehmen an der deutschen Wirtschaft
in %
31980.png

Quelle: J. Eekhoff, A. Malshe: GE Capital Mittelstand Summit 2012 – „Triebwerk des Erfolgs – der deutsche Mittelstand im Fokus“, 2012, S. 5, http://www.gecapital.de/de/docs/120611_GE_Brochure_2.pdf (12.4.2013).

Venohr13 untersucht deutsche Weltmarktführer und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass etwa 1400 von 1500 deutschen Weltmarktführern Mittelständler sind. Venohr bezieht dabei neben den KMU auch Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 50 Mio. Euro und 1 Mrd. Euro ein, die er als gehobenen Mittelstand bezeichnet. Auf den so definierten Mittelstand entfällt ein Anteil an den Exporten im Verarbeitenden Gewerbe von 41,3%, wobei 30,6% auf den gehobenen Mittelstand entfallen (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5
Exportanteile nach Unternehmensgrößenklassen
34180.png

1 Umsatzsteuerstatistik 2007. Umsatzmilliardäre des verarbeitenden Gewerbes geschätzt.

2 Verarbeitendes Gewerbe nach WZ2003, d.h. ohne Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, Bergbau, und Gewinnung von Steinen und Erden, Handel, Energie- und Wasserversorgung, Finanzdienstleistungen etc.

Quelle: B. Venohr: Das Erfolgsmodell der deutschen Weltmarktführer, in: F. Langenscheidt, B. Venohr (Hrsg.): Lexikon der deutschen Weltmarktführer. Die Königsklasse deutscher Unternehmen in Wort und Bild, Deutsche Standards Editionen, Köln 2010, S. 4, http://www.berndvenohr.de/download/veroeffentlichungen/Das_Erfolgsmodell_der_deutschen_Weltmarktfuehrer.pdf (12.4.2013).

Folgen für die Mittelstandspolitik

Unabhängig davon, wie man die Größenklassen von Mittelunternehmen konkret definiert, hat die hier aufgestellte These, nach der Mittelunternehmen den Kern des deutschen Mittelstands ausmachen, erhebliche Folgen für die Mittelstandspolitik. Als Maßnahmen der klassischen Mittelstandspolitik werden insbesondere solche zur Gründungsförderung aufgefasst. Allerdings zeigt der Vergleich mit vielen südeuropäischen Staaten wie Spanien oder Italien, dass die Bedeutung der Mikrounternehmen für das deutsche Mittelstandsmodell eher überbewertet wird. Entsprechend sollten Förderprogramme für Gründer kritisch hinterfragt werden.

Werden hingegen die wirtschaftsstarken Mittelunternehmen als Kern des deutschen Mittelstands identifiziert, sind Förderprogramme nicht notwendig, da diese Unternehmen alle Voraussetzungen erfüllen, um im Wettbewerb auf globalisierten Märkten erfolgreich bestehen zu können. Vielmehr gilt es, potenzielle Wachstumshemmnisse zu beseitigen bzw. zu vermeiden. Hier ist beispielsweise an die Besteuerung von Unternehmenserträgen und -vermögen zu denken, die unmittelbare Auswirkungen auf die Wachstumsmöglichkeiten von mittelständischen Unternehmen haben. Auch Fragen der Energiesicherheit und der Energiepreise haben einen großen Einfluss auf die mittelständische Wirtschaft. Dennoch werden diese Themen oftmals nicht aus der Perspektive des Mittelstands diskutiert.

Die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts lehren zudem, dass sich die Interpretation der Besonderheiten einer Volkswirtschaft drastisch ändern kann. Wurde die starke Ausprägung des industriellen Mittelstands in Deutschland im Vergleich zum auf die New Economy und den Finanzmarkt ausgerichteten angloamerikanischen Modell noch vor zehn Jahren als rückständig aufgefasst, gilt dieser industrielle Mittelstand heute als besonderer Erfolgsfaktor. Insofern sollte Mittelstandspolitik darauf abzielen, einen Ordnungsrahmen zu definieren, der den Unternehmen ein Wachstum entsprechend ihrer Möglichkeiten und den Wettbewerbserfordernissen erlaubt – auch über die klassischen Grenzen des Mittelstands hinaus.

  • 1 Marx sah in seinem Werk „Das Kapital“ die kleinbetriebliche Produktion als gesellschaftlichen Anachronismus, der keine Zukunft habe. Andere Autoren wie Schumpeter sahen hingegen in Großbetrieben eine Gefahr für den Kapitalismus und einen „Schrittmacher des Sozialismus“ (J. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942, S. 218). Auch W. Röpke: Klein- und Mittelbetrieb in der Volkswirtschaft, in: ORDO, 1. Band, 1948, betont die gesellschaftspolitische Bedeutung der Klein- und Mittelbetriebe.
  • 2 Ausführlicher zum Begriff der Sozialen Marktwirtschaft siehe H. Willgerodt: Alfred Müller-Armack – der Schöpfer des Begriffs „Soziale Marktwirtschaft“, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 50. Jg. (2001), H. 3, S. 253-277.
  • 3 Damit sind soziologische Ansätze wie z.B. die Betrachtung der Mittelschicht ausgeschlossen.
  • 4 Vgl. E. Hauser, H.-J. Wolter: Die Bedeutung des Eigentümerunternehmens in Deutschland – Eine Auseinandersetzung mit der qualitativen und quantitativen Definition des Mittelstands. Auszug aus: „Jahrbuch zur Mittelstandsforschung 1/2001“ Schriften zur Mittelstandsforschung, Nr. 90, Wiesbaden 2001, S. 34.
  • 5 Vgl. D. Keese, A. Hauer, J. Tänzler: Die Verweildauer des Managements von Familienunternehmen und Unternehmen im Streubesitz, Stiftung Familienunternehmen, München 2010.
  • 6 Vgl. D. Keese, A. Hauer, J. Tänzler: Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung in Familien- und Nichtfamilienunternehmen, in: Zeitschrift für KMU und Entrepreneurship (ZFKE), 58. Jg. (2010), H. 3, S. 197-225.
  • 7 Vgl. dies.: Ausbildungsbeteiligung als Element einer nachhaltigen Unternehmensführung in mittelständischen Familienunternehmen, in: Jahrbuch der KMU-Forschung und -Praxis, 2011, S. 165-182.
  • 8 Vgl. I. Mandl: Overview of Family Business Relevant Issues. KMU Forschung Austria – Austrian Institute for SME Research, Studie im Auftrag der Europäischen Kommission, 2008.
  • 9 Vgl. L. Haunschild, H.-J. Wolter: Volkswirtschaftliche Bedeutung von Familien- und Frauenunternehmen, in: Institut für Mittelstandsforschung Bonn (Hrsg.): IfM-Materialien, Nr. 199, Bonn 2010.
  • 10 Für einen Überblick über die gängigen KMU-Grenzen und deren Ursprünge vgl. B. Günterberg, H.-J. Wolter: Unternehmensgrößenstatistik 2001/2002 – Daten und Fakten, in: Institut für Mittelstandsforschung Bonn (Hrsg.): IfM-Materialien, Nr. 157, Bonn 2002.
  • 11 Vgl. L. Haunschild, E. May-Strobl: Backbone of the economy. The economic significance of small and medium-sized companies in Germany, in: Germany Contact India, Magazine on Indo-German Economic Relations, 4/2010, S. 10-11.
  • 12 Vgl. J. Eekhoff, A. Malshe: GE Capital Mittelstand Summit 2012 – „Triebwerk des Erfolgs – der deutsche Mittelstand im Fokus“, http://www.gecapital.de/de/docs/120611_GE_Brochure_2.pdf (12.4.2013).
  • 13 B. Venohr: Das Erfolgsmodell der deutschen Weltmarktführer, in: F. Langenscheidt, B. Venohr (Hrsg.): Lexikon der deutschen Weltmarktführer. Die Königsklasse deutscher Unternehmen in Wort und Bild, Deutsche Standards Editionen, Köln 2010, S. 4, http://www.berndvenohr.de/download/veroeffentlichungen/Das_Erfolgsmodell_der_deutschen_Weltmarktfuehrer.pdf (12.4.2013).
 

Title:What Is the Core of the German Mittelstand?

Abstract:The Mittelstand is deemed to be a particular strength of the German economy. In international comparison, though, the contribution of small and medium enterprises (SMEs) to the economy is larger in many southern European countries. In this article, we argue that SMEs do not capture the core of the German Mittelstand, which instead lies in medium-sized companies larger than the current SME definition.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1574-5

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