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Die derzeit stattfindenden Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern haben die Neuordnung der Finanzbeziehungen zum Ziel. Damit wäre der Zeitpunkt da, eine offene und sachliche Diskussion über die Kernfrage des deutschen Finanzföderalismus und zugleich über den Auftrag des Grundgesetzes (Art. 72 Abs. 2 GG) zu führen: Wie kann das Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht werden? Wie viel Solidarität unter den Ländern und mit den Ländern, Regionen und Kommunen bedarf es? Wie viel Eigenverantwortung kann eingefordert werden?

Ab 2020 sollte die Verteilung öffentlicher Finanzmittel im Raum so organisiert sein, dass die Länder und die kommunale Ebene in die Lage versetzt werden, ihre Entwicklung selbst zu gestalten. Schließlich sollte sich die Verteilung stärker an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen ausrichten.

Der horizontale Ausgleich bestimmt die Debatte

Die öffentliche Wahrnehmung wird – sehr verengt – durch die Auseinandersetzung um den Finanzausgleich zwischen den Ländern (sogenannter horizontaler Ausgleich) bestimmt. Die Föderalismusreformen I und II konnten hieran nichts Grundsätzliches ändern. So haben zwei der drei Geberländer, Hessen und Bayern, gegen die Bestimmungen des horizontalen Finanzausgleichs Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Diese Fokussierung auf einen medienwirksamen Streit trübt den Blick auf die dringende umfassende Reformbedürftigkeit der Finanzverfassung. Das gegenwärtige Ausgleichssystem ist in seinen Grundstrukturen älter als 40 Jahre. Die klagenden Länder wollen eine Reform des Finanzausgleichs erzwingen, der sich am Leitbild des Wettbewerbsföderalismus orientiert. Dass die klagenden Länder damit auch weniger zahlen wollen, ist ihr Hauptantrieb. Zudem beschränken sich die öffentlich bekannten Vorschläge auf inkrementelle Reformen am bestehenden System des Finanzausgleichs, ohne künftige gesellschaftliche Herausforderungen umfassend in den Blick zu nehmen.

Wenn die laufenden Verhandlungen das grundgesetzliche Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ernst nehmen, dann muss ihr Ergebnis die Strukturblindheit der Finanzverfassung für die sozialen und ökonomischen Realitäten überwinden. Denn um den gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen der demografischen Entwicklung umfassend zu begegnen und die regionalen Disparitäten im Land wirkungsvoll zu bekämpfen, benötigen wir eine solidarische Reform der Finanzbeziehungen nach dem Leitbild des „Kooperativen Föderalismus“, der flächendeckend eine Grundversorgung an öffentlichen Leistungen im Sinne der Daseinsvorsorge gewährleistet. Denn die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung usw. stellen die soziale, wirtschaftliche und infrastrukturelle Teilhabe der Menschen sicher und bedingen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort.

Aus diesem Grund muss ein reformierter Finanzausgleich in ein System eingebettet sein, das der Bedürftigkeit im Sinne eines erhöhten Bedarfs an öffentlichen Leistungen folgt und die jeweilige Aufgabenlast als Bemessungsgrundlage für eine Finanzzuweisung berücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist mit Blick auf die Einwohnerwertungen bei gering besiedelten Flächenländern im Vergleich zu den bevölkerungsstarken Ländern an die Prüfaufträge des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich von 1999 zu erinnern.1 Doch grundsätzlich sollten das System der Steuerverteilung und das der grundgesetzlichen Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern und damit auch der kommunalen Ebene überprüft und weiterentwickelt werden.

Kein Ausgleich durch das gegenwärtige System

Folgt man den Zahlen aus dem Raumordnungsbericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) für 2011, hat sich zwar der Ost-West-Gegensatz etwas gemildert. Dies ist aber weniger das Ergebnis einer flächendeckenden Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage. Vielmehr haben sich im Osten Erfolgsinseln herausgebildet und im Westen sowie im Norden sind neue Disparitäten bzw. Verschlechterungen eingetreten. Gemessen werden dabei Abweichungen vom Bundesdurchschnitt in den Kreisen in Bezug auf die Dimensionen Demografie, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Wohlstand und Infrastruktur.2

Demografisch findet ein erheblicher Wandel statt, der die Ausprägung der anderen Dimensionen stark beeinflusst. Ungünstige Bevölkerungsverhältnisse im Sinne einer Überalterung der örtlichen Bevölkerung dominieren weite Teile Ostdeutschlands und kommen vereinzelt auch in strukturschwachen Räumen der alten Länder vor. Dagegen verzeichnet vor allem der Süden Baden-Württembergs und Bayerns Bevölkerungszuwächse. Die Bevölkerung wandert von Nord nach Süd und von Ost nach West in Richtung der Wachstumsmetropolen. Diese spannen sich geografisch C-förmig von Hamburg über Bremen, Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Rhein-Neckar und Stuttgart bis nach München (vgl. Abbildung 1). In Ostdeutschland werden sie allein durch den Wachstums­punkt Berlin ergänzt. „C mit Punkt“ lautet die neue wirtschaftsgeografische Formel für Deutschland.3

Abbildung 1
Regionen im demografischen Wandel – Herausforderungen bei der Daseinsvorsorge bzw. Wirtschaftskraft
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Teilindizes: Abweichung vom Mittelwert gemessen im Vielfachen der Standardabweichung. Bearbeitung: P. Küpper (TI), S. Maretzke, A. Milbert und C. Schlömer (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung). BBSR-Bevölkerungsprognose 2009-2030/ROP. Geometrische Grundlage: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie: Gemeinden, 31.12.2011. Für die Definition der Indizes und die Methodik vgl. P. Küpper et al.: Darstellung und Begründung der Methodik zur Abgrenzung vom demografischen Wandel besonders betroffener Gebiete, Bonn 2013, S. 4 und 8.

Quelle: Laufende Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Nach wie vor besteht ein starkes Ost-West-Gefälle bei der Arbeitslosigkeit, auch wenn in Ostdeutschland einige Beschäftigungsinseln mit Bevölkerungszuwächsen entstanden sind. Der Westen Deutschlands wird durch ein Nord-Süd-Gefälle geprägt. Niedrige Arbeitslosigkeit herrscht in Baden-Württemberg und Bayern. Die Transfers der Sozialversicherungen federn die strukturellen Defizite der Länder und Regionen sozialpolitisch ab. Ohne diese Transfers ließen sich in vielen Regionen Deutschlands die Lebensbedingungen nicht absichern. Die Arbeitsmarktpolitik mit ihrem Mitteleinsatz wirkt ausgleichend auf regionale Unterschiede in der Wirtschafts- und Finanzkraft. Regionen, die mehr Beiträge erwirtschaften als sie ausgeben, unterstützen die Regionen, die mehr empfangen, als sie Beiträge bezahlen. Die finanzielle Bedeutung dieser Basissicherung ist ausweislich des Raumordnungsberichts 2011 beachtlich.4 Beim Wohlstandsniveau (gemessen als das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen) fallen die Ergebnisse ernüchternd aus – selbst bei Berücksichtigung der regionalen Preisunterschiede. Obwohl Fortschritte bei der Angleichung der Erwerbseinkommen und Renten zwischen Ost und West seit 1990 erzielt worden sind, verfügen ostdeutsche Haushalte immer noch über ein geringeres Netto-Einkommen als vergleichbare Haushalte in den alten Ländern. Dieser Einkommensunterschied wird durch die im Durchschnitt niedrigeren Preise im Osten etwas relativiert.5

Schließlich kommt der Infrastrukturausstattung bei der Beurteilung der Lebensverhältnisse eine besondere Rolle zu. Zwar konnten in der Rückschau große Fortschritte vor allem in den neuen Ländern erzielt werden. Dennoch drohen dort vor allem in ländlichen Regionen durch anhaltende Bevölkerungsverluste Nachteile bei der Daseinsvorsorge. Zudem – wie die Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens Hannelore Kraft treffend formulierte: „Wir fahren auf Verschleiß“6 – wird die Abnutzung bestehender Infrastrukturen im Westen und im Norden zunehmend problematisch, da in ihre Instandhaltung aufgrund der kommunalen Finanzprobleme immer weniger investiert werden kann.

Zunehmende Verschuldung der Kommunen

Darüber hinaus verschärft die kommunale Finanznot die Entwicklung der Disparitäten weiter. Denn die Kommunen haben eine Schlüsselrolle bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und sind wichtige Akteure der Strukturpolitik. Sie sind für fast zwei Drittel der öffentlichen Investitionen verantwortlich. Zwar weisen die Kommunen wiederholt bundesweit einen aggregierten Einnahmeüberschuss auf, doch wachsen die Disparitäten. Anstieg und Höhe der kommunalen Schulden zwischen den Ländern und in den Ländern sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zunehmend wird der kommunale Handlungsspielraum bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen durch die steigende Verschuldung eingeschränkt. So sind zwischen 2000 und 2012 die kommunalen Schulden um 38% gestiegen. Ende 2012 betrug die Verschuldung kommunaler Haushalte mehr als 133 Mrd. Euro.7 Überschuldete Kommunen fallen damit zunehmend als wichtige lokale und regionale Impulsgeber für Wachstum und Beschäftigung aus.

Sichtbar ist die Verschuldung anhand des deutlichen Anstiegs der kommunalen Kassenkredite (vgl. Abbildung 2). Ursprünglich als Überbrückungskredit für kurzfristige Kassenschwankungen gedacht, haben sich diese wegen ihrer meist kurzfristigen Kreditlaufzeiten mit niedrigeren Zinsen für nicht wenige kommunale Gebietskörperschaften zu einer Hauptkreditform mit hohen Risiken entwickelt. Spitzenreiter hierbei ist das Saarland. Beunruhigend ist, dass die kommunalen Schuldenberge zwischen 2000 und 2012 in der Summe trotz guter Konjunktur in der jüngsten Vergangenheit nicht abgetragen werden konnten. Dies deutet darauf hin, dass die Verschuldung der Kommunen überwiegend struktureller Natur ist, da der Unterschied zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben kaum zu bewältigen ist.

Abbildung 2
Entwicklung der Kassenkredite und räumliche Verteilung
Kassenkredite in Euro je Einwohner
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Geometrische Grundlage: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie: Kreise, 31.12.2012.

Quelle: Laufende Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.

Nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung sind die Gründe für die kommunale Finanzkrise auch in der langfristigen Wirkung lokaler Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt zu suchen.8 Dauerhafte Ungleichgewichte auf lokalen Arbeitsmärkten führen zu Abwanderung (insbesondere in Ostdeutschland, aber auch in Nordrhein-Westfalen und im Saarland) und zu hohen Sozialausgaben, die von den Kommunen maßgeblich geschultert werden müssen. Der Bund hat zunehmend neue Aufgaben im bundesdeutschen Sozialstaat gesetzgeberisch festgelegt; die Länder und Kommunen mussten sie umsetzen. So haben sich die Sozialausgaben in den Kommunen in den letzten 20 Jahren auf ca. 45 Mrd. Euro pro Jahr verdoppelt. Sie machen jetzt schon mehr als ein Viertel der kommunalen Ausgaben aus. Als Folge investieren die Kommunen weniger. So sind die kommunalen Sachinvestitionen heute auf ca. ein Drittel des Anteils von 1970 gesunken.9

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die wirtschaftsstarken Länder sind auch die finanzstarken Einheiten. Entsprechend laufen die erfolgreichen Regionen anderen, die bestenfalls stagnieren, davon. Zudem üben sie eine Sogwirkung auf die Bevölkerungswanderung aus. Trotz umfangreicher Transfers haben sich Pfadabhängigkeiten in der regionalen Entwicklung herausgebildet. Schon vorhandene Disparitäten werden durch den einsetzenden demografischen Wandel verstärkt. Offensichtlich haben es die bundesstaatlichen Finanzbeziehungen in der Vergangenheit nicht geschafft, die zwischen Ländern und Regionen bestehenden Unterschiede in den ökonomischen und sozialen Strukturen abzumildern. Dies wirft die Frage nach der Effektivität und Effizienz des gegenwärtigen Ausgleichssystems auf.

Für einen bedarfsgerechten Finanzausgleich

Die Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 müssen eine Verständigung über eine angemessene Verteilung von Lasten und Pflichten der Gebietskörperschaften, die eine Neuordnung der Einnahmen sowie der Aufgaben- und Ausgabenverteilung umfasst, erzielen. Ab 2020 muss eine Finanzverfassung gelten, die den langfristigen Konsequenzen des demografischen Wandels, den Abbau regionaler Disparitäten sowie den Notwendigkeiten dauerhafter und stabiler Staatsfinanzen Rechnung trägt. In diesem System sollte auf Basis eines neu geregelten Länderfinanzausgleichs der vertikale Ausgleich gestärkt werden – also zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Eine solche stärkere Vertikalisierung der Finanzbeziehungen kommt der ursprünglichen Grundidee des horizontalen Finanzausgleichs als eines „Spitzenausgleichs“ wieder näher. Zudem kann dies zusammen mit einer stärkeren Bedarfsorientierung helfen, das Konfliktpotenzial zwischen den Ländern zu verringern. Außerdem kann sie für eine Konkretisierung des Gleichwertigkeitsgebots sorgen, indem endlich eingestanden wird, dass sich völlig unterschiedliche Pro-Kopf-Steueraufkommen der Länder kurz- und mittelfristig nicht ausgleichen lassen. Eine Reform der Finanzbeziehungen muss aus drei Säulen bestehen:

  1. Nachhaltige finanzielle Entlastung der Kommunen,
  2. Bewältigung des demografischen Wandels,
  3. Ideenwettbewerb.

Kommunen über Entlastungen wieder handlungsfähig machen

Die erste Säule setzt auf die nachhaltige finanzielle Entlastung der Kommunen. Der Bund muss sich zu einem weit größeren Anteil als bisher an den von ihm nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches veranlassten Sozialausgaben der Kommunen beteiligen. Ziel ist es, die Kommunen über eine bessere Finanzausstattung wieder in die Lage zu versetzen, wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge zu tätigen. Somit können sie wesentliche Impulse für ihre soziale und ökonomische Entwicklung setzen.

Das ifo Dresden hat diesen Entlastungsvorschlag für die Friedrich-Ebert-Stiftung finanzwissenschaftlich und auf seine Umsetzbarkeit hin geprüft.10 Untersucht wurden zwei Entlastungsvarianten. Im sogenannten Minimalkonzept übernimmt der Bund die kommunalen Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel, SGB XII) sowie die Kosten für die Unterkunft (KdU) (§ 6 SGB II). Zusammen ergeben diese Ausgaben 12,6 Mrd. Euro (2011). Beim sogenannten Maximalkonzept kommen zu den Ausgabeposten des Minimalkonzepts noch die vollständige Übernahme der Kosten durch den Bund für die Hilfen zum Lebensunterhalt (3. Kapitel, SGB XII), Hilfe zur Gesundheit (5. Kapitel, SGB XII), Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (6. Kapitel, SGB XII), Hilfe zur Pflege (7. Kapitel, SGB XII), Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und in sonstigen Lebenslagen (8. und 9. Kapitel, SGB XII) hinzu. Insgesamt waren diese Posten 2011 für 30,9 Mrd. Euro der Sozialausgaben verantwortlich. Wie Abbildung 3 zeigt, sind die Ausgaben im Maximal- und im Minimalkonzept seit 2005 angestiegen.

Abbildung 3
Sozialausgaben der Gebietskörperschaften insgesamt im Zeitverlauf und nach Ländern
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Länderabkürzungen: BW = Baden-Württemberg, BY = Bayern, BE = Berlin, BB = Brandenburg, HB = Bremen, HH = Hamburg, HE = Hessen, MV = Mecklenburg-Vorpommern, NI = Niedersachsen, NW = Nordrhein-Westfalen, RP = Rheinland-Pfalz, SL = Saarland, SN = Sachsen, ST = Sachsen-Anhalt, SH = Schleswig-Holstein, TH = Thüringen, D = Deutschland.

Quelle: A. Eck et al.: Auf die Länder kommt es an! Berechnung eines Vorschlags zur Übernahme kommunaler Sozialausgaben durch den Bund von Eichel et al. (2013), in: ifo Dresden berichtet, 21. Jg. (2014), Nr. 4, S. 26, Abbildung 1.

So trugen die Länder und Kommunen 2011 ca. 85% der Gesamtlasten bei den im Maximalkonzept benannten Sozialleistungen.11 Zudem unterscheiden sich die Verteilung dieser Sozialausgaben und damit die Kostenbelastung je nach Land (vgl. Abbildung 3). Während die finanzkraftstärksten Länder 2011, Bayern mit 299 Euro/Einwohner und Baden-Württemberg mit 263 Euro/Einwohner, die geringsten Ausgaben je Einwohner beim Maximalkonzept vorwiesen, hatten die Stadtstaaten Berlin (703 Euro/Einwohner), Bremen (668 Euro/Einwohner) und Hamburg (631 Euro/Einwohner) die höchsten Ausgaben.12

Zielgenaue Entlastung durch die Finanzierung über den Solidaritätszuschlag

Zur Finanzierung der Entlastung der Kommunen nach dem Vorschlag der Friedrich-Ebert-Stiftung hat das ifo Dresden drei Varianten geprüft.13 Sie unterscheiden sich nach der Herkunft der Mittel.

  1. Die Entlastung der Kommunen erfolgt vollständig durch den Bund über Einnahmeerhöhungen oder Haushaltseinsparungen. In Summe würden diese Maßnahmen erhebliche Belastungen der Steuerzahler nach sich ziehen bzw. den Bundeshaushalt überfordern. Eine Umsetzung ist nicht vorstellbar.
  2. Finanziert wird die Entlastung der Kommunen vollkommen aus dem Bundeshaushalt ohne Einnahmeerhöhungen oder Haushaltseinsparungen. Der Bund erhält die notwendigen Beträge direkt aus der Umsatzsteuer, womit de facto die Länder durch eine Absenkung ihres Anteils an der Umsatzsteuer die Finanzierung mit übernehmen und die Kosten untereinander verteilen. Einige Länder würden Einbußen in ihrer Finanzmittelausstattung erleiden. Dieser Finanzierungsweg ist für die Länder nicht konsensfähig.
  3. Bund und Länder organisieren über eine Mischfinanzierung gemeinsam die Entlastung der Kommunen. Über die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags ab 2020 stellt der Bund Mittel im Umfang von 10 Mrd. Euro bereit, der Rest wird durch eine Absenkung des Umsatzsteueranteils zugunsten des Bundes von den Ländern finanziert. Der Solidaritätszuschlag eignet sich in besonderer Weise zur Finanzierung der Mehrausgaben des Bundes, da sein Aufkommen allein dem Bund zusteht und zudem keine Steuererhöhungen notwendig werden.

Zwar zeigt die Berechnung des ifo Dresden, dass bei der dritten Finanzierungsvariante die Länder durch die Absenkung ihrer Umsatzsteueranteile Einnahmen verlieren. Doch können alle Länder aufgrund der Bundesbeteiligung an den Sozialausgaben in Höhe von 10 Mrd. Euro per saldo Zugewinne verzeichnen.14 Kein Land geht leer aus. Besonders die Stadtstaaten sowie Nordrhein-Westfalen und das Saarland, die von hohen Soziallasten und problematischen kommunalen Haushaltslagen betroffen sind, profitieren von der Entlastung der Kommunen. Zudem ergibt sich bei der vor allem für die Stadtstaaten wichtigen Einwohnergewichtung im Länderfinanzausgleich kein erhöhter Änderungsbedarf.15 Der Vorschlag, sowohl im Minimal- als auch im Maximalkonzept, stärkt die Konnexität und bringt gute Voraussetzungen mit, um von den Ländern akzeptiert zu werden.

Die Kommunen profitieren durch die verringerten Sozialausgaben. Dazu müssen die Länder ihrerseits sicherstellen, dass die Entlastung der Kommunen im Rahmen der kommunalen Finanzausgleichssysteme auch tatsächlich erfolgt.16 Die Übernahme der Sozialausgaben durch den Bund hilft, regionale Disparitäten abzubauen. Eine Entlastung der Kommunen ist machbar, aber abhängig vom Willen der politischen Akteure.

Förderung, Sicherung und Anpassung der regionalen Daseinsvorsorge

Die zweite Säule zielt auf die Bewältigung des demografischen Wandels ab. In der Zukunft steht die Sicherung und Anpassung der Tragfähigkeit der regionalen Daseinsvorsorge im Vordergrund. Dies betrifft insbesondere die Sicherung der Mobilität, der öffentlichen Sicherheit sowie die Anpassung der sozialen und technischen Infrastruktur.17

Dem Gebot der gleichwertigen Lebensverhältnisse folgend geht es zukünftig um die Anpassung der Infrastrukturen an die Demografie. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, sich dieser Herausforderung zu stellen: bestehende Programme und Instrumente weiterzuentwickeln und besser zu verzahnen oder die Etablierung eines neuen Programms zur Sicherung der Daseinsvorsorge, z.B. in Form einer Gemeinschaftsaufgabe. Für die erste Lösung spricht, dass administrative Strukturen bereits bestehen und in deren Rahmen bestehende Instrumente weiterentwickelt oder neue hinzugefügt werden können.

Programme und Instrumente weiterentwickeln und besser verzahnen

Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD von 2013 spricht sich dafür aus, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz nach Artikel 91a GG zu einer „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ umzubauen, wobei die Fördermöglichkeiten des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) umfassend genutzt werden sollen. In diesem Kontext soll auch der Daseinsvorsorge besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Darüber hinaus hat in der Städtebauförderung nach Artikel 104b GG das Programm „Förderung kleinerer Städte und Gemeinden – überörtliche Zusammenarbeit und Netzwerke“ die Aufgabe übernommen, Städte und Gemeinden in dünn besiedelten, ländlichen, von Abwanderung bedrohten oder vom demografischen Wandel betroffenen Räumen durch städtebauliche Gesamtmaßnahmen zur Sicherung und Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu unterstützen. Damit sollen kleine Städte und Gemeinden als Ankerpunkte der Daseinsvorsorge bzw. in ihrer zentralörtlichen Funktion für die Zukunft handlungsfähig gemacht werden. Die Finanzhilfen werden zur Vorbereitung und Durchführung von Investitionen zur Erhaltung und Entwicklung der kommunalen Infrastruktur der Daseinsvorsorge eingesetzt. Förderfähig sind vorrangig überörtlich zusammenarbeitende oder ein Netzwerk bildende Städte oder Gemeinden in funktional verbundenen Gebieten bzw. kleinere Städte in Abstimmung mit ihrem Umland.

Ferner greift das Programm „Förderung des Stadtumbaus“ in der Städtebauförderung den demografischen Wandel auf. Die Finanzhilfen dienen zur Förderung des Stadtumbaus (§ 171a BauGB) und sollen die Gemeinden mit Gebieten, die von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffen sind, in die Lage versetzen, sich frühzeitig auf Strukturveränderungen vor allem in Demografie und Wirtschaft und auf die damit verbundenen städtebaulichen Auswirkungen einzustellen.

Die Programme können im Zuge der demografischen Entwicklung finanziell weiter aufgestockt werden. Allerdings existiert kein Programm, das sich umfassend und mit nachhaltiger Finanzierung dieser zentralen Herausforderung stellt. Die Alternative dazu ist die Etablierung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe. Mit diesem neuen Programm würde den langfristigen demografischen Herausforderungen ein umfassendes und nachhaltiges Programm aus einer Hand als politische Antwort von Bund und Ländern gegenüberstehen.

Gemeinschaftsaufgabe „Sicherung der regionalen Daseinsvorsorge“

Mit der neuen Gemeinschaftsaufgabe geben Bund und Länder einen politischen Impuls in die Regionen, den Infrastrukturbestand bedarfsgerecht und nachhaltig zu gestalten. Das Instrument der Gemeinschaftsaufgabe unterstreicht, dass die Sicherung der Daseinsvorsorge eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Damit wird ein zentrales Instrument zur Förderung, Anpassung und Sicherung der regionalen Daseinsvorsorge geschaffen. Im Mittelpunkt stehen die Regionen, die vom demografischen Wandel in besonderer Weise betroffen sind. Die Zentren der regionalen Daseinsvorsorge sind zu stärken und der interkommunalen Abstimmung bei der Förderung, Anpassung und Sicherung der Infrastruktur der regionalen Daseinsvorsorge ist in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Damit sollen der dauerhafte Erhalt und die gemeinsame effiziente Nutzung der Einrichtungen der regionalen Daseinsvorsorge gesichert werden.

Die Verbesserung der regionalen Daseinsvorsorge sollte über eine Änderung des Grundgesetzes in Art. 91a Abs. 1 GG geregelt und eine hälftige Kostenteilung nach Art. 91a Abs. 3 Satz 1 GG vorgesehen werden. Das Gesamtfinanzvolumen der Gemeinschaftsaufgabe ist politisch zu entscheiden und sollte im Zuge der weiteren demografischen Entwicklung aufgestockt werden. Für die konkrete Ausgestaltung eines „Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe: Verbesserung der regionalen Daseinsvorsorge“ kann sich der Gesetzgeber grundsätzlich an den Parallelregelungen des „Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe: Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ orientieren. Dieses Gesetz regelt die Konkretisierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Daseinsvorsorge“. Dabei wären die Fördermaßnahmen zu spezifizieren, welche die regionale Daseinsvorsorge verbessern und deshalb als Gemeinschaftsaufgabe durchgeführt werden. Förderfähige Maßnahmen wären beispielsweise öffentlicher Verkehr, Kommunikationstechnik und öffentliche soziale und gesundheitliche Einrichtungen.

Der regionale Bezugsrahmen sind die Planungsregionen der Länder. Für die Stadtstaaten sind sachgerechte Abgrenzungen zugrunde zu legen. Finanzielle Zuweisungen erfolgen bedarfsgerecht über einen Finanzierungsschlüssel. Dieser nimmt auf Indikatoren Bezug, die die demografische Entwicklung sowie die soziale und wirtschaftliche Situation vor Ort abbilden.18 Der Einsatz der Mittel wird an das Vorhandensein eines Teilraumordnungsplans sowie eines integrierten regionalen Strategie- und Umsetzungskonzeptes gebunden. Die Länder bestimmen, welche öffentliche Einrichtung das Konzept aufstellt und verantwortet. Das integrierte regionale Strategie- und Umsetzungskonzept muss mit den Städten und Gemeinden und den übrigen Trägern der regionalen Daseinsvorsorge abgestimmt werden. Die Bürger sowie die Wirtschafts- und Sozialpartner sind zu beteiligen.

Ideenwettbewerb: Stärken schaffen und sichern

Die dritte Säule ist ein Wettbewerb der Ideen, der die Suche nach innovativen Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen (z.B. ökologischer Umbau, soziale Integration, Vereinbarkeit von Beruf und Familie usw.) unterstützt.19 Ziel dieses Wettbewerbes kann es nicht sein, Insellösungen zu suchen oder neuerlich punktuell die besonders „notleidenden“ Kommunen zu fördern und darauf zu hoffen, dass sich nun endlich alles zum Besseren wendet. Vielmehr geht es darum, regionale Potenziale zu entdecken, die eine regionale und überregionale Vernetzung und Zusammenarbeit anstreben und somit die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts voranbringen.

Dies bedeutet auch, dass der Wettbewerb nicht allein auf Schrumpfungsregionen beschränkt bleibt, sondern Wachstumsregionen ebenso mit einbezieht. Denn die Aufgabe gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, kann nicht allein den Städten und Gemeinden überlassen bleiben, die bereits in Schieflage geraten sind. Ebenso wenig ist es sinnvoll, alle Gemeindetypen „gegeneinander“ antreten zu lassen. Entscheidender ist, welche regionale und überregionale (Raum-)Wirkung mit den Fördermitteln erzielt werden kann.

Analog zum erfolgreichen Exzellenzprogramm des Bundes für Forschung und Lehre an den Hochschulen können Kreise und Regionen über die Länder im Rahmen eines Programms Projekte einreichen, die Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen anstreben. Die Programmthemen bestimmt der Deutsche Bundestag. Die Programme sind auf fünf Jahre befristet. Die Projekte werden von externen Experten bewertet. Finanziert wird der Ideenwettbewerb aus Bundesmitteln.

Ausblick

Die Debatte über die zukünftige Ausgestaltung des Finanzausgleichs ist im vollem Gange. Sie konzentriert sich bislang auf eher marginale Änderungen in der Systematik des Ausgleichs. Eine ernstzunehmende Modifizierung wird – noch – nicht erwogen. Die Reform muss ambitionierter sein, als es die bisherigen Planungen nahelegen. Eine erweiterte Perspektive ist dringend notwendig, will die Reform nicht an dem Problem der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte und der voranschreitenden demografischen Entwicklung in Deutschland vorbeigehen. Das vorgeschlagene Konzept zeigt, wie eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen helfen kann, Disparitäten zwischen Ländern und Regionen wirksam zu bekämpfen. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Erfüllung des im Grundgesetz verankerten Ziels der Herstellung und Aufrechterhaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse geleistet. Schließlich ermöglicht der Ansatz eine eigenverantwortliche regionale Entwicklung. Das stärkt die Selbstverwaltung und die demokratische Teilhabe vor Ort und erlaubt den Menschen, wieder mehr über ihr Schicksal selbst zu entscheiden.


Dieser Beitrag konkretisiert den Reformvorschlag, der erstmals als H. Eichel, P. Fink, H. Tiemann: Vorschlag zur Neuordnung des Finanzausgleichs, WISO direkt, Bonn 2013 veröffentlicht wurde.

  • 1 BVerfG, 2 BvF 2/98 vom 11.11.1999.
  • 2 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Raumordnungsbericht 2011, Bonn 2012, S. 16-17.
  • 3 Vgl. J. Kersten, C. Neu, B. Vogel: Demografie und Demokratie – Zur Politisierung des Wohlfahrtsstaats, Hamburg 2012, S. 48.
  • 4 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, a.a.O., S. 187-189.
  • 5 Ebenda, S. 22 ff.
  • 6 Vgl. Frankfurter Rundschau vom 14.4.2014, S. 6.
  • 7 Vgl. R. Freier, V. Grass: Kommunale Verschuldung in Deutschland: Struktur verstehen – Risiken abschätzen, in: DIW-Wochenberichte, Nr. 16 (2013), S. 13-21.
  • 8 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Kommunale Kassenkredite, BBSR-Analysen KOMPAKT, Nr. 07/2012, Bonn 2012, S. 9.
  • 9 Vgl. R. Freier, V. Grass, a.a.O., S. 13-21.
  • 10 Vgl. hierzu J. Ragnitz et al.: Wer bestellt, bezahlt! Berechnung des Vorschlags zur Neuordnung des Finanzausgleichs von Hans Eichel, Philipp Fink und Heinrich Tiemann, WISO Diskurs, Bonn 2014; A. Eck et al.: Auf die Länder kommt es an! Berechnung eines Vorschlags zur Übernahme kommunaler Sozialausgaben durch den Bund von Eichel et al. (2013), in: ifo Dresden berichtet, 21. Jg. (2014), Nr. 4, S. 25-33; A. Eck et al.: Wer bestellt, bezahlt! Berechnung des Vorschlags zur Neuordnung des Finanzausgleichs von Hans Eichel, Philipp Fink und Heinrich Tiemann, WISO direkt, Bonn 2014.
  • 11 Vgl. A. Eck et al.: Auf die Länder kommt es an!, a.a.O., S. 26.
  • 12 Ebenda, S. 27.
  • 13 Vgl. J. Ragnitz et al., a.a.O., S. 16.
  • 14 Ebenda, S. 23.
  • 15 Vgl. A. Eck et al.: Auf die Länder kommt es an!, a.a.O., S. 29.
  • 16 Für eine detaillierte Prüfung der Zielgenauigkeit des Entlastungsvorschlags im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs am Beispiel Nordrhein-Westfalens vgl. J. Ragnitz et al., a.a.O., S. 27 f.
  • 17 Diese zweite Säule wird von Claudia Neu, Jens Kersten und Berthold Vogel im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung begutachtet. Die Ergebnisse des Gutachtens lagen bei der Erstellung des Beitrags noch nicht vor.
  • 18 Der Raumordnungsbericht 2011 liefert ein Beispiel für mögliche Indikatoren, vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Raumordnungsbericht 2011, a.a.O., S. 17.
  • 19 Diese dritte Säule wird ebenfalls von Claudia Neu, Jens Kersten und Berthold Vogel im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung begutachtet. Die Ergebnisse des Gutachtens lagen bei der Erstellung des Beitrags noch nicht vor.

Title:A Reformed Financial Constitution Must Be Prepared for the Challenges of the Future

Abstract:Negotiations between the federal level and the Länder to reform the German fiscal equalisation system have begun. Major laws concerning the support of the East German Länder and the system of fiscal equalisation in general have to be replaced by 2020. However, instead of debating the design of the future fiscal equalisation with an emphasis on attaining the constitutionally anchored goal of guaranteeing equivalent living standards throughout the country, the publicly discussed proposals focus too narrowly on incremental changes. They fail to take account of future and current social and economic challenges such as demographic change and regional disparities.


DOI: 10.1007/s10273-014-1738-y

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