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Luxemburg Leaks: Gezielte Skandalisierung

Von Hans Friderichs

Fast täglich erscheinen in der Tagespresse neue „Enthüllungen“ über das Steuerparadies Luxemburg. Im vorliegenden Fall geht es um Steuervorfälle, die sich in der Zeit von 2002 bis 2010 ereignet haben und die 343 meist international operierende Konzerne betreffen (vor allem Unternehmen aus den USA und Großbritannien), die in Luxemburg mit Finanzierungsgesellschaften oder Finanzholdings vertreten sind. Bei den beantragten „tax rulings“ werden Steuerbefreiungen und -vergünstigungen nach bestehendem Luxemburger Recht geltend gemacht, die aufgrund von steuerlichen Sonderregelungen, steuerlichen Ausnahmetatbeständen oder im Zusammenhang mit Schachtelprivilegien infolge von Doppelbesteuerungsabkommen zum Tragen kommen. Dabei geht es ganz überwiegend um die Besteuerung von Gewinnen, Zinsen, Lizenzgebühren, Veräußerungsgewinnen und Dividenden. Betroffen sind auch Steuerunterlagen von 13 Tochtergesellschaften deutscher Konzerne, die vom Steuerberatungsunternehmen PricewaterhouseCoopers im Berichtszeitraum einschlägig beraten worden sind.

Die Journalisten stellen die dargelegten „tax rulings“ so dar, als ob es sich dabei um individuelle Geheimabsprachen zwischen der Beraterfirma und dem Luxemburger Steueramt handeln würde, die einzelnen internationalen Firmen selektive steuerliche Sonderrechte offerieren (wie das in der Schweiz und in den Niederlanden teilweise möglich ist). In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um ganz legale Steuertricks, die in vergleichbarer Form in Malta, Zypern, Irland, der Schweiz, Belgien, den Niederlanden sowie anderen Ländern seit geraumer Zeit praktiziert wurden bzw. zum Teil immer noch praktiziert werden. Solche Steuervermeidungspraktiken sind Fachleuten schon seit langem bekannt. In der Steuerrechtsliteratur wird diese Form der Minimierung von Unternehmenssteuern als „treaty“ und „directive shopping“ bezeichnet, weil vor allem auf besonders vorteilhafte Regelungen in bilateralen Steuerabkommen und in Direktiven der Europäischen Kommission zurückgegriffen wird. Insofern bieten die Veröffentlichungen eigentlich wenig Neues.

Im Falle von Luxemburg (wie auch im Hinblick auf die Schweiz, Irland und Belgien) sind diese Steuervermeidungsmodelle durch die Vereinbarung neuer Doppelbesteuerungsabkommen eher historischer Natur und heute in diesem Ausmaß und dieser Form nicht mehr möglich. Mit dem zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen neuen Doppelbesteuerungsabkommen Lux n.F., das in weiten Teilen dem OECD-Musterabkommen folgt, werden die Steuergestaltungsspielräume und die negativen Folgen für den deutschen Fiskus zu großen Teilen beseitigt. Kern­elemente dieser neuen Vereinbarung sind die Einführung einer Subject-to-tax-Klausel, die Einräumung eines Aktivitätsvorbehalts bei der Anwendung der Freistellungsmethode auf die Betriebsstättengewinne in Luxemburg und die Methodenartikel und differenzierten Regelungen zur Quellenbesteuerung. Die Niederlande sind zurzeit die größte Steueroase in Europa. Dieses Land verzögert seit geraumer Zeit die Paraphierung des von Deutschland längst unterschriebenen Doppelbesteuerungsabkommens. Vermutlich sind Berater beauftragt, neue niederländische Steuersparmodelle zu entwickeln, die auch nach Inkrafttreten des neuen Doppelbesteuerungsabkommens noch praktiziert werden können. Von dieser höchst aktuellen und besonders gravierenden Steuerarbitrageproblematik wird nichts berichtet. Dies und der Gesichtspunkt, dass bereits abgearbeitete historische Altfälle zu Beginn der Amtszeit der neuen EU-Kommission ganz gezielt skandalisiert werden, lassen den Verdacht aufkommen, dass es in der aktuellen Berichterstattung nicht um die Intensivierung der Diskussion um schädlichen Steuerwettbewerb in Europa geht. Vielmehr soll offensichtlich der neue Präsident der EU-Kommission, der Luxemburger Jean-Claude Juncker, diskreditiert und demontiert werden.

Rente mit 63: Jeder Zugang ist einer zuviel

Von Martin Werding

In der Diskussion über das „Rentenpaket 2014“ wurde früh die Frage laut, wie viele Personen ab dem 1. Juli 2014 eigentlich die besonders umstrittene Regelung zur „Rente mit 63“ nutzen könnten. Die Antwort darauf konnte niemand geben. Der Rentenversicherung fehlten dazu Angaben über die genaue Art der Arbeitslosenzeiten – mit oder ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld –, die in den Konten der Versicherten erfasst sind. Die Bundesagentur für Arbeit konnte nicht aushelfen, weil sie solche Daten alle paar Jahre löschen muss. Eine Vorausschätzung der Wirkungen erwies sich daher als schwierig.

Mit vorhandenen Daten ließ sich der Kreis der Berechtigten immerhin eingrenzen. Fasst man alle Zahlen zusammen, die die Bundesregierung im Frühjahr verstreut veröffentlicht hat, ergeben sich für 2014, je nach Lesart, 240 000 bis 280 000 Personen. Nach der jüngst veröffentlichten Zahl der Anträge, die bis Ende September tatsächlich gestellt wurden, ist diese Einschätzung wohl gar nicht so falsch. In den Folgejahren werden die Zahlen zurückgehen, weil aktuell drei volle Jahrgänge, nämlich die 63- bis 65-Jährigen, von der Neuregelung erfasst werden, während später nur noch vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen kann, wer dies nicht schon getan hat. Die Größenordnung des ersten Ansturms war annähernd absehbar. Die Fehler liegen anderswo und werden bleiben.

Die vorhandenen Daten lassen nämlich auch darauf schließen, dass die Begünstigten der „Rente mit 63“ wahrlich nicht zu denjenigen gehören, die durch die vorangegangenen Reformen besonders belastet werden. Es sind zumeist (männliche) Facharbeiter mit klar überdurchschnittlichen Rentenansprüchen, die im Berufsleben bis zuletzt recht erfolgreich waren und nach ihrem Ausscheiden bald vermisst werden. Zumindest die Befürchtung, dass Arbeitgeber die „Rente mit 63“ zu einer neuen Frühverrentungswelle nutzen, die – im Einvernehmen mit den Betroffenen und zulasten der Sozialkassen – schon im Alter von 61 Jahren mit einem Umweg über die Arbeitslosenversicherung beginnt, wird sich daher wohl nicht bewahrheiten.

Darüber hinaus führt die Neuregelung zu Mehrausgaben des Rentensystems, die in den nächsten Jahren noch deutlich steigen, weil der Bestand vorzeitig gewährter Renten wächst. Sie werden nach 2030 nicht verschwinden, weil gegenüber dem bisherigen Recht eine dauerhafte Leistungsausweitung vorgenommen wurde. Neben dem Gesamtvolumen der jährlichen Rentenausgaben nehmen sich die Effekte vielleicht nicht sehr groß aus, sie kommen aber zur Unzeit. Die derzeitigen Reserven des Systems werden rascher erschöpft, so dass die Beitragssätze bald wieder erhöht werden müssen. Die finanzielle Anspannung durch den demografischen Wandel, die für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sowieso schon absehbar ist, wird verschärft. Das belastet alle anderen Rentner, auch Bezieher niedriger Renten, weil das Rentenniveau entsprechend stärker sinken muss.

Die „Rente mit 63“ passt einfach nicht in ein System, das sich konsequent auf die Phase akuter Alterung einstellen muss, in der die Babyboomer das Rentenalter erreichen. Wichtige Anpassungen daran, die die schwierige Zeit bis 2030 rentenpolitisch erträglich machen könnten, sind bereits erfolgt. Nun muss das Rentensystem auch für die unter 50-Jährigen auf einen tragfähigen Entwicklungspfad gesetzt werden. Im Rahmen des Möglichen muss dabei ebenso für die wirklichen Härtefälle der nötigen Anpassungen – Erwerbsgeminderte und von Altersarmut bedrohte Gruppen – gesorgt werden.

EU-Emissionshandel: Deutsche Parallelveranstaltung?

Von Andreas Löschel

Deutschland ist als Vorreiter im Klimaschutz deutlich angezählt. Um das im Jahr 2007 selbstgesetzte Ziel zu erreichen, die Treibhausgasemissionen um mindestens 40% gegenüber 1990 zu reduzieren, müssen sie bis 2020 um 3,3% jährlich sinken. Das wäre mehr als eine Verdopplung der jährlichen Minderungsraten. Mit dem Anfang Dezember 2014 beschlossenen „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ soll dies gelingen. Es umfasst Minderungen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz (NAPE), im Gebäudesektor, im Verkehr und im Stromsektor. Diese werden „unter besonderer Berücksichtigung (…) des europäischen Zertifikatehandels erbracht.“

Der EU-Emissionshandel reguliert etwa die Hälfte der deutschen Emissionen, insbesondere fast sämtliche Stromerzeugungsanlagen. Im Emissionshandel wird eine Höchstgrenze für die Emissionen in Europa gesetzt und Emissionen dort vermieden, wo dies am günstigsten möglich ist – und zwar ohne Berücksichtigung nationaler Grenzen. Eine Konsequenz daraus könnte sein, dass Mitgliedstaaten der EU auf nationale Emissionsziele verzichten und stattdessen Minderungsverpflichtungen rein auf europäischer Ebene definieren.

Möchten die Mitgliedstaaten in Europa an nationalen Emissionszielen festhalten, dann ist bei zusätzlichen Minderungsanstrengungen das hybride System der europäischen Klimapolitik zu beachten: Wirksam sind zum einen Maßnahmen außerhalb des Emissionshandels und zum anderen zusätzliche Anstrengungen im Rahmen des EU-Emissionshandels als Ganzem. Ersteres umfasst Maßnahmen insbesondere im Bereich der Gebäude und im Verkehrssektor. Letzteres betrifft die Stringenz des Emissionshandels, die durch eine Verringerung der europäischen Emissionsobergrenze oder durch feste Bandbreiten für Zertifikatepreise langfristig gestärkt werden kann.

Was erst einmal keine realen Minderungen in Europa bringt, sind einseitige Maßnahmen in den Sektoren des Emissionshandels: Ein stärkerer Ausbau erneuerbarer Energien, eine verbesserte Energieeffizienz oder die Stilllegung von Kohlekraftwerken führt wegen der Mechanik des Emissionshandels eben zu keiner Senkung der europäischen Emissionen. Diese Maßnahmen können zwar zur Beseitigung von Marktversagen sinnvoll sein, zur reinen Treibhausgasminderung sind sie es in den Emissionshandelssektoren aber nicht. Dazu müsste die europäische Emissionsgrenze in gleichem Maße gesenkt oder die in Deutschland freiwerdenden Emissionszertifikate stillgelegt werden. Auch bei einem bindenden Mindestpreis schlagen sich nationale Minderungsanstrengungen in Emissionsreduktionen auf europäischer Ebene nieder.

Politisch sollte es vor diesem Hintergrund nicht darum gehen, in Deutschland eine Parallelveranstaltung zum europäischen Emissionshandel aufzubauen. Vielmehr sollte die augenblickliche Diskussion auf europäischer Ebene genutzt werden, einen Mechanismus zu etablieren, der national unterschiedliche Anstrengungen zum Klimaschutz unter tatsächlicher Berücksichtigung des europäischen Zertifikatehandels ermöglicht. Eine Möglichkeit wäre, Differenzen zwischen nationalen und europäischen Zielsetzungen durch die Anpassung der Obergrenze im Emissionshandel aufzufangen. Mitgliedstaaten, die national höhere Minderungsziele verfolgen, könnten Zertifikate etwa aus der Marktstabilitätsreserve herauskaufen und stilllegen. Nationale Alleingänge drohen ansonsten den Emissionshandel zu zerstören.

APEC-Gipfel: Dynamischer Regionalismus

Von Georg Koopmann

Die Dynamik des handelspolitischen Regionalismus ist ungebremst. Wir erleben zurzeit einen intensiven Wettbewerb der präferenziellen Handelsregime innerhalb der großen Weltregionen und zwischen ihnen. Für dieses Phänomen fand sich schnell die Metapher des Mega-Regionalismus. Er bildet den auf Diskriminierung von Drittstaaten basierenden Gegenpol zur multilateralen Handelsordnung der Welthandelsorganisation WTO, deren Grundpfeiler die Gleichbehandlung aller Handelspartner ist.

In dem globalen Regionalismus wächst die Volksrepublik China immer stärker in eine Führungsrolle hinein. Dies wurde auf dem 25. Asien-Pazifik-Forum (APEC) im November 2014 in Peking sehr deutlich. Ähnlich wie die USA, die jahrzehntelang der Vorposten des Multilateralismus in der Handelspolitik waren, hat auch China nach dem Beitritt zur WTO im Jahre 2001 zunächst der multilateralen Handelspolitik den Vorrang eingeräumt. Anders als die USA, in denen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA die Keimzelle des neuen Regionalismus war, hat China den Regionalismus aber erst einmal mit außerregionalen Partnern wie Chile und der Schweiz probiert und danach die eigene Region entdeckt. Neben bilateralen Verträgen, zuletzt mit Südkorea und Australien, betreibt China vor allem das Projekt einer Freihandelszone Asien-Pazifik FTAAP und baut sich damit zum Rivalen der USA und der von ihnen geführten Transpazifischen Partnerschaft TPP auf.

Die größeren Erfolgsaussichten dürfte dabei TPP haben, zumal Präsident Obama hier wahrscheinlich auf Rückendeckung durch den US-Kongress zählen kann. Zwischen Demokraten und Republikanern ist die handelspolitische Agenda noch am ehesten konsensfähig; die Trade Promotion Authority (der sogenannte Fast Track) ist daher erreichbar. Sie erlaubt es der Exekutive, internationale Abkommen abzuschließen, ohne dass der Kongress eingebunden ist; er hat allein die Möglichkeit, dafür oder dagegen zu stimmen. Auch der TPP-interne Agrarkonflikt zwischen den USA und Japan dürfte lösbar sein, nachdem Japan gerade ein neues Unterhaus gewählt hat. Auf längere Sicht erscheint selbst ein – wünschenswerter – Beitritt Chinas zu TPP nicht ausgeschlossen.

Dies bringt zugleich die Europäische Union in den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP in Zugzwang. Den zahlreichen TTIP-Gegnern in der EU wird explizit die asiatisch-pazifische Bedrohung vor Augen geführt: „Wenn wir (die EU und die USA) die Regeln und Standards der Globalisierung nicht prägen, dann werden sie andere prägen“, erklärte Außenminister Steinmeier kürzlich beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung. Und Wirtschaftsminister Gabriel äußerte in der jüngsten Haushaltsdebatte des Bundestages, dass ohne TTIP „Europa von boomenden asiatischen Ländern abgehängt“ würde.

Gefordert ist ebenfalls die WTO. Die Doha-Runde wurde unmittelbar nach der APEC-Konferenz am Vorabend des G20-Treffens in Brisbane bilateral durch die Einigung zwischen den USA und Indien auf eine unbefristete „Friedensklausel“ bei Agrarsubventionen „deblockiert“ und so der Multilateralismus wiederbelebt. In Zukunft sollte die WTO sich neben einer verstärkten Liberalisierung des Dienstleistungssektors, des Hochtechnologie- und Umweltgüterhandels sowie des öffentlichen Auftragswesens auf handelspolitische Streitfragen konzentrieren, die auf bilateraler, plurilateraler und regionaler Ebene nicht gelöst werden können. Darüber hinaus sollte sie in die Lage versetzt werden, die Aktivitäten der rivalisierenden Handelsblöcke wirksam zu überwachen und auszugleichen. Das Spannungsverhältnis zwischen diskriminierenden und nicht-diskriminierenden Handelsregimen ist nicht unlösbar.


DOI: 10.1007/s10273-014-1758-7

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