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Seit 2008 kamen – vor allem aus der Europäischen Union – zunehmend mehr Einwanderer nach Deutschland als wegzogen. Motiviert waren diese nicht wie befürchtet durch die großzügigen Sozialleistungen, sondern durch die Aussicht auf Arbeit. Gleichzeitig mit der Struktur der Herkunftsländer hat sich auch die Qualifikation der Zuwanderer verbessert, was sich angesichts des prognostizierten Fachkräftemangels positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

Zuwanderung als Chance für Deutschland

Das Themenfeld „Zuwanderung“ ist in Deutschland schon immer ein hoch politisches gewesen. Lange Zeit wurde etwa von der Politik geleugnet, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist. Dies hat über viele Jahre eine pragmatische und zukunftsorientierte Einwanderungspolitik sowie eine an Tatsachen orientierte Debatte über die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen von Zuwanderung verhindert. Im Zuge der EU-Integration wird gegenwärtig wieder viel über potenzielle Probleme der Masseneinwanderung und Armutsmigration nach Deutschland diskutiert – und oft auch polemisiert. Es ist zu wünschen, dass die öffentliche und politische Debatte sich stärker die Forschungserkenntnisse der letzten Jahre zunutze macht und die Chancen und Potenziale von Zuwanderung stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Einwanderung nach Deutschland

Betrachtet man zunächst die Einwanderungsströme nach Deutschland über die letzten zwei Jahrzehnte, fällt auf, dass die Einwanderung starken Schwankungen unterliegt (vgl. Abbildung 1). Seit der Öffnung der Mauer hat Deutschland zwei Perioden hoher Zuwanderung erlebt: die erste in den frühen 1990er Jahren bedingt durch die Öffnung der Mauer und den Zusammenbruch des Ostblocks; die zweite seit 2008 im Zuge der Euro- und Finanzkrise bzw. der weiteren Verwirklichung der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. In beiden Fällen kamen jährlich 1 Mio. bis 1,2 Mio. Menschen nach Deutschland (Schätzungen für 2013 weisen auf einen weiteren Anstieg der Zuzüge hin), während in den Jahren dazwischen nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 550 000 bis 700 000 Menschen, jährlich nach Deutschland kamen.

Die Zahl der Zuwanderer ist alleine allerdings nur bedingt aussagekräftig, muss sie doch in Relation zur Abwanderung gesehen werden. Es zeigt sich, dass die Nettoeinwanderung nach Deutschland wesentlich geringer ist als die oft in den Medien berichtete Zahl von 1 Mio. Einwanderern suggeriert. Die Nettoeinwanderung bewegt sich seit der Mitte 1990er Jahre zwischen 0 und 225 000 Einwanderern jährlich und sogar einer leichten Nettoabwanderung von Nichtdeutschen. Erst seit 2011 ist die Nettoeinwanderung auf 300 000 bis 400 000 Personen pro Jahr gestiegen. Dieser Einwanderungssaldo liegt allerdings immer noch deutlich unter dem Saldo von fast 600 000 (1992). Insgesamt kann von dauerhafter Masseneinwanderung nach Deutschland kaum die Rede sein, da die Zuwanderung durch gleichzeitige Abwanderung in Teilen kompensiert wird.

Um die ökonomischen Effekte der Einwanderungsströme besser zu verstehen, muss man sich auch die regionale Verteilung der Einwanderer innerhalb Deutschlands vor Augen halten. Wie in anderen Ländern zeigt sich auch in Deutschland, dass Einwanderer vor allem in wirtschaftlich dynamische Regionen ziehen. Die beliebtesten Ziele sind die wirtschaftlich starken Regionen in Süd- und Westdeutschland, aber auch Berlin als Hauptstadt. Relativ zu ihrer Bevölkerung weisen Baden-Württemberg, Berlin und Hessen den größten Zugewinn an Zuwanderung auf. Baden-Württemberg stellt beispielsweise nur 13% der Bevölkerung, jedoch wandern 17,7% der Zuwanderer dorthin.1 Die ostdeutschen Länder sowie eher ländlich geprägte Bundesländer in Westdeutschland wie Rheinland-Pfalz spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Abbildung 1
Zuzüge nach und Fortzüge aus Deutschland
in 1000 Personen
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Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012; eigene Darstellung.

Wer sind die Einwanderer?

Nicht nur das Ausmaß der Zuwanderung, sondern auch die Zusammensetzung der Zuwanderer nach Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Kamen noch in den 1960er und den frühen 1970er Jahren vor allem die klassischen Gastarbeiter, etwa aus der Türkei, Jugoslawien, Italien oder Griechenland nach Deutschland, so sind es seit den 1990er Jahren vor allem Einwanderer aus osteuropäischen Ländern und – seit der Euro- und Finanzkrise – auch aus den „alten“ EU-Mitgliedstaaten. 2011 stammen zwei von drei Zuwanderern nach Deutschland aus den EU-Mitgliedsländern (vgl. Abbildung 2). Dabei hat besonders die Zuwanderung aus den „neuen“ Mitgliedstaaten, die seit 2004 bzw. 2007 Mitglied der EU sind, zugenommen.2 So hat sich die Zuwanderung aus den Beitrittsländern des Jahres 2004 seit deren Beitritt auf fast 300 000 Personen im Jahre 2012 verdoppelt; ein weiterer Anstieg ist mit dem Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit (seit 2011) zu erkennen. Ebenso hat sich die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien seit deren Beitritt von unter 40 000 auf mehr als 170 000 Personen pro Jahr erhöht. Hier ist zu bemerken, dass ein Drittel der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien Deutschland innerhalb eines Jahres wieder verlassen, so dass die Nettozuwanderung aus diesen Ländern wesentlich geringer ist.3

Abbildung 2
Zuzüge aus der EU nach Deutschland
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Gestrichelte Linie: jeweiliger prozentualer Anteil (rechte Skala).

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012; eigene Darstellung.

Eine zweite, vermutlich temporäre Entwicklung der letzten Jahre ist die Zunahme der Zuwanderung aus den „alten“ EU-Mitgliedstaaten (EU15). Ihr Anteil an der Zuwanderung nach Deutschland war während der 1990er und frühen 2000er Jahre auf unter 100 000 pro Jahr gefallen. Seit der Euro- und Finanzkrise ist die Zuwanderung insbesondere ab dem Jahr 2010 wieder stark angestiegen, bedingt durch die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland.

Eine zentrale Größe für das Verständnis der ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Migration für Deutschland ist das Humankapital, das die Einwanderer mit sich bringen. Ein hohes Bildungsniveau etwa erleichtert die Integration auf dem Arbeitsmarkt und damit auch die möglichen Vorteile für die deutsche Volkswirtschaft. Das durchschnittliche Bildungsniveau von Zuwanderern im erwerbsfähigen Alter (25 bis 60 Jahre), die zwischen 1990 und 2009 nach Deutschland gekommen sind, ist tatsächlich in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 3). Diese positive Entwicklung ist bei männlichen wie auch weiblichen Zuwanderern gleichermaßen zu beobachten. Hier ist vor allem der Anstieg bei den Personen mit Universitätsabschluss hervorzuheben. Während nur 13% der Zuwanderer, die in den frühen 1990er Jahren nach Deutschland kamen, einen Universitätsabschluss vorzuweisen hatten, ist dieser Anteil für Einwanderer, die zwischen 2005 und 2009 nach Deutschland kamen, auf 37% gestiegen.

Abbildung 3
Bildungsniveau von Zuwanderern (nach Jahr des Zuzugs), 1990 bis 2009
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Quelle: Mikrozensus, 2009; eigene Darstellung.

Damit ist der Anteil Hochqualifizierter unter den Einwanderern, die seit 2005 nach Deutschland gekommen sind, fast doppelt so hoch wie in der deutschen Erwerbsbevölkerung, von der 19% einen Hochschulabschluss haben. Dagegen hat die Zuwanderung mit mittleren Qualifikationen (abgeschlossene Berufsausbildung) von 50% auf nunmehr 35% stark abgenommen. Darüber hinaus hat sich der Anteil der Geringqualifizierten (ohne berufliche Ausbildung oder Gymnasialabschluss) von einem sehr hohen Niveau (36% für Einwanderer, die bis 2004 nach Deutschland kamen) seit 2005 um 10 Prozentpunkte verringert. Mit 26% liegt der Anteil an Geringqualifizierten aber im Vergleich zu 10% Geringqualifizierten bei der in Deutschland lebenden Bevölkerung immer noch hoch.

Auswirkungen der Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt

Die Furcht vor negativen Auswirkungen von Zuwanderern auf den Arbeitsmarkt steht in der Öffentlichkeit immer wieder im Fokus. Im Zusammenhang mit den EU-Erweiterungen 2004 und 2007 sowie dem Inkrafttreten der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien seit Januar 2014 wird in Deuschland, aber auch in anderen EU-Ländern wie Großbritannien, die Frage nach den potenziellen ökonomischen Auswirkungen von Zuwanderung wieder vermehrt diskutiert.

Aus ökonomischer Perspektive kann Zuwanderung zu Lohnsenkungen oder höherer Arbeitslosigkeit führen, wenn

  1. die Nachfrage nach Arbeit und der Kapitalstock in der Volkswirtschaft konstant bleiben;
  2. das Arbeitsangebot nicht völlig elastisch ist; und
  3. Einwanderer und einheimische Arbeitnehmer perfekte Substitute sind, d.h. grob gesprochen um die gleichen Jobs konkurrieren. In diesem Fall erhöht die Zuwanderung das Arbeitsangebot, was niedrigere Löhne oder, falls Löhne nicht nach unten flexibel sind, eine höhere Arbeitslosigkeit zur Folge hat.

In diesem Fall verlieren einheimische Arbeitnehmer, die mit Einwanderern um die gleichen Jobs konkurrieren. Kapitalbesitzer und Einheimische, die nicht mit Einwandern um die gleichen Jobs konkurrieren (z.B. wenn Einheimische hochqualifiziert sind, Einwanderer aber vorrangig geringqualifiziert), profitieren hingegen von der Zuwanderung sogar im Falle konstanter Arbeitsnachfrage.

Die Annahme einer gleichbleibenden Arbeitsnachfrage und eines konstanten Kapitalstocks ist allerdings nur auf kurze Sicht realistisch, nicht aber über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Wird diese Annahme aufgegeben, bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie sich eine Volkswirtschaft optimal an die neue Situation einer größeren Erwerbsbevölkerung anpassen kann. Zum einen erhalten die Firmen Anreize, vermehrt in den Kapitalstock zu investieren. Im Gleichgewicht bleiben Löhne auf ihrem ursprünglichen Niveau, während die Wirtschaftsleistung insgesamt gestiegen ist. Ein weiterer Anpassungsmechanismus könnte sein, dass Firmen verstärkt in Technologien oder Dienstleistungen investieren, die die zusätzlichen Arbeitskräfte der Einwanderer nutzen. Somit könnte in Deutschland der Mangel an Fachkräften in bestimmten Berufen, der unter anderem durch die demografische Alterung der Gesellschaft verursacht wird, durch Einwanderung aufgefangen werden. Fehlen etwa Fachkräfte in der IT-Branche, bleiben gegebenenfalls Investitionen in diesem Bereich aus, oder Firmen entschließen sich sogar ins Ausland abzuwandern. Gelingt es hingegen, ausländische IT-Experten nach Deutschland zu holen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden die Investitionen in Deutschland getätigt und hier Arbeitsplätze gesichert. Die Zuwanderung stellt daher aus ökonomischer Sicht ein großes Potenzial dar, das langfristig zur Sicherung von Arbeitsplätzen und mehr Wachstum führen kann.

Empirisch kaum negative Konsequenzen der Zuwanderung für den Arbeitsmarkt

Doch wie sieht nun die Wirklichkeit in Deutschland aus? Hat sich die Zuwanderung positiv oder negativ auf Löhne und Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung ausgewirkt? Die empirische Literatur zu den Auswirkungen der Zuwanderung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Auch für Deutschland liegen inzwischen Studien vor, die verlässliche Rückschlüsse auf die Arbeitsmarkteffekte der Zuwanderung zulassen.

So analysiert eine neuere Studie die Auswirkungen der Einwanderung von Spätaussiedlern aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die bis 1993 ohne Begrenzung nach Deutschland einwandern konnten. Ein Kausaleffekt wird empirisch dadurch identifiziert, dass Spätaussiedler den Bundesländern durch einen zentralen Verteilungsschlüssel zugewiesen wurden, unabhängig von der lokalen Arbeitsnachfrage.4 Die Studie findet keine negativen Lohneffekte auf einheimische Arbeitnehmer, jedoch kurzfristige Verdrängungseffekte: pro zehn Zuwanderern, die eine Beschäftigung fanden, waren 3,1 weniger Einheimische beschäftigt.5

Eine Reihe weiterer Studien stützt sich stattdessen auf eine aggregierte Produktionsfunktion, um die Auswirkungen der Zuwanderung in Deutschland zu analysieren. Die zentrale Modellierungsentscheidung ist hier, inwieweit Einwanderer und einheimische Arbeitnehmer als perfekte Substitute betrachtet werden. Wie bereits ausgeführt, sind bei perfekten Substituten kurzfristig negative Lohn- oder Beschäftigungseffekte zu erwarten. Eine Variante dieses Ansatzes unterscheidet Arbeitnehmer nach Bildungsgrad und Berufserfahrung. Einwanderer und Einheimische mit gleichem Bildungsniveau und gleicher Berufserfahrung konkurrieren hier um die gleichen Jobs (sind also perfekte Substitute), während z.B. ein älterer Einheimischer nicht notwendigerweise mit einem jungen Einwanderer um den gleichen Job konkurriert.6 Auf der Basis von Einwanderungsdaten der 1980er und 1990er Jahre ergeben sich keine substanziell negativen Lohn- oder Beschäftigungseffekte. Steigt der Anteil der Einwanderer um 1% der Erwerbsbevölkerung (was etwa einer Nettoeinwanderung von 400 000 entspricht), führt dies zu einer Verringerung des Durchschnittslohnes von weniger als 0,1%. Eine Erweiterung dieses Ansatzes unterscheidet zusätzlich noch zwischen neu zugezogenen Immigranten, schon länger im Land arbeitenden Immigranten sowie einheimischen Arbeitskräften.7 Außerdem berücksichtigen die Autoren, dass viele Zuwanderer in Jobs, die unterhalb ihres Qualifikationsprofiles liegen, arbeiten. Auch hier finden sich keine negativen Lohn- oder Beschäftigungseffekte auf einheimische Arbeitskräfte; wenn überhaupt, sind die Löhne früherer Einwanderer von der Zuwanderung betroffen.8 Einheimische scheinen daher eher von Zuwanderung zu profitieren – was der langfristigen Erwartung in der ökonomischen Theorie mit flexiblem Kapitalstock oder Technologie entspricht.

Die Ergebnisse, die durch zahlreiche Studien in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA gestützt werden, zeigen, dass Zuwanderung im Durchschnitt keine negativen Lohneffekte hat. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass kein einheimischer Arbeitnehmer jemals Lohneinbußen in Kauf nehmen muss. Wenn Zuwanderer mehrheitlich niedrige Qualifikationen aufweisen, konkurrieren sie vor allem mit anderen Geringverdienern und Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor um Jobs, jedoch nicht mit Arbeitnehmern, die einen abgeschlossenen Berufs- oder Hochschulabschluss vorweisen. Eine Studie aus England zeigt in der Tat, dass die Effekte der Zuwanderung am unteren Ende der Lohnverteilung negativ sind, jedoch für die Mehrheit der Arbeitnehmer positive Lohneffekte existieren.9 Genauer gesagt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die unteren 40% der Arbeitnehmer in Großbritannien negative Lohneffekte haben, während die oberen 60% der Arbeitnehmer positive Lohneffekte aufweisen. Dementsprechend ist im Durchschnitt ein leicht positiver Lohneffekt zu verzeichnen.10 Zwar lassen sich die konkreten Zahlen nicht ohne weiteres von England auf Deutschland übertragen, doch ist es wahrscheinlich, dass auch hier die negativen Effekte am unteren Ende der Lohnskala konzentriert wären, während Besserverdienende eher von den Zuwanderern profitieren.

Politische Chancen und Herausforderungen

Was lässt sich nun aus der bisherigen Betrachtung folgern und wo liegen die Chancen und politischen Herausforderungen in den nächsten Jahren? Zunächst einmal sind Zuwanderer in Deutschland in den letzten Jahren mit viel mehr Humankapital ausgestattet als die Gastarbeiter der 1960er und 1970er Jahre, aber auch im Vergleich zu den Einwanderern kurz nach dem Mauerfall. Diese Entwicklung ist sehr positiv zu sehen, da die forgeschrittene Volkswirtschaft in Deutschland auf gut ausgebildete Arbeitskräfte angewiesen ist. Die Zuwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften sollte auch weiterhin verfolgt und aktiv gefördert werden, um den Auswirkungen der alternden deutschen Gesellschaft, insbesondere einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, entgegenzuwirken.

Jedoch sollte man Einwanderung nicht als Allheilmittel für die alternde Gesellschaft in Deutschland betrachten. Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass die Erwerbsbevölkerung allein durch Einwanderung zahlenmäßig konstant gehalten werden kann. Zum anderen lassen sich die grundlegenden Probleme mancher Berufe, wie z.B. die steigende Nachfrage in den Pflegeberufen bei relativ ungünstigen Arbeitsbedingungen und vergleichsweise niedriger Bezahlung, nicht durch Einwanderung alleine lösen. So ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Anwerbeprogramme der Bundesregierung die steigende Nachfrage nach Pflegepersonal auf Dauer bedienen können; stattdessen sind hier prinzipielle Entscheidungen über die Organisation und die Finanzierung des Pflegebedarfs zu treffen, die weitgehend unabhängig von der Einwanderung als solcher sind.

Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass Zuwanderer nach Deutschland vor allem in den letzten Jahren, eine zunehmend heterogene Gruppe darstellen. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Einwanderer: die Bedürfnisse eines eingewanderten IT-Experten sind andere als die eines Einwanderers ohne Berufsausbildung. Eine Ausnahme bildet hier sicherlich der Erwerb der deutschen Sprache, der generell eine wichtige Grundlage zur erfolgreichen ökonomischen und sozialen Integration von Einwanderern ist. Die Bemühungen der Bundesregierung, das Angebot an Sprach- und Integrationskursen vor allem seit 2005 auszuweiten, sind dabei grundsätzlich positiv zu bewerten.11

Darüber hinaus jedoch erscheint die Schaffung und Erhaltung eines flexiblen Arbeitsmarktes – mit wenig Zugangsbarrieren oder bürokratischen Hürden, dafür aber mit vielfältigen Aufstiegsmöglichkeiten – die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern. Ein flexibler Arbeitsmarkt, der vielfältige Beschäftigungs- und Entfaltungsmöglichkeiten für eine möglichst breite Palette von Talenten und Fähigkeiten bietet, ist der beste Garant dafür, dass Einwanderer von Deutschland profitieren und Deutschland von seinen Einwanderern.

  • 1 Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 1.2., Wiesbaden 2012.
  • 2 Beitrittsländer der EU-Erweiterung 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern; Beitrittsländer der EU-Erweiterung 2007: Bulgarien und Rumänien.
  • 3 Unter allen Zuwanderern sind ein Jahr nach der Ankunft in Deutschland 30% schon wieder abgewandert; für Zuwanderer aus den „alten“ EU-Ländern liegt die Quote mit 20% etwas niedriger als für den Durchschnitt.
  • 4 Vgl. A. Glitz: The Labor Market Impact of Immigration: A Quasi-Experiment Exploiting Immigrant Location Rules in Germany, in: Journal of Labor Economics, 30. Jg. (2012), S. 175-213.
  • 5 Eine zweite Studie nutzt die Grenzgängerregelung in Bayern, die Tschechoslowaken seit Anfang der 1990er Jahre das Arbeiten in der Grenzregion Bayerns erlaubte; sie kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie bei den Spätaussiedlern. Vgl. C. Dustmann, U. Schoenberg, J. Stuhler: Empirical Evidence on the local labour market impact of immigration, mimeo, University College London, 2013.
  • 6 Vgl. H. Bonin: Wage and employment effects of immigration to Germany: Evidence from a skill group approach, IZA Discussion Paper, Nr. 1875, Bonn 2005.
  • 7 Vgl. F. D’Amuri, G. I. Ottaviano, G. Peri: The Labor Market Impact of Immigration in Western Germany in the 1990’s, in: European Economic Review, 54. Jg. (2010), S. 550-570.
  • 8 Eine weitere Studie erlaubt gar einen segmentierten Arbeitsmarkt; hier sind keine Effekte auf die Arbeitslosigkeit von Einheimischen oder früheren Einwanderungskohorten festzustellen. Vgl. H. Brücker, E. J. Jahn: Migration and Wage-setting: Reassessing the Labor Market Effects of Migration, in: Scandinavian Journal of Economics, 113. Jg. (2011), S. 286-317.
  • 9 Vgl. C. Dustmann, T. Frattini, I. P. Preston: The Effect of Immigration along the Distribution of Wages, in: Review of Economic Studies, 80. Jg. (2013), S. 145-173.
  • 10 Ein positiver Lohneffekt kann zustande kommen, wenn Einwanderer und Einheimische komplementäre Fähigkeiten besitzen. So kann z.B. die Grenzproduktivität eines hochqualifizierten Einheimischen durch die Präsenz niedrigqualifizierter Einwanderer steigen, wenn z.B. Routinetätigkeiten oder Ähnliches delegiert werden können.
  • 11 Evaluationen der Integrationskurse, die höchsten wissenschaftlichen Standards genügen, liegen bisher nicht vor, wären aber zur Bewertung der Wirksamkeit und Kosteneffizienz von großer Bedeutung.

Zuwanderung: aus ökonomischen und demografischen Gründen wichtig für die Zukunft

Die Daten sprechen eine deutliche Sprache. Der Zustrom von Ausländern nach Deutschland ist derzeit so stark wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Wie ein Magnet zieht der prosperierende deutsche Arbeitsmarkt Menschen aus den rezessionsgeplagten Ländern der EU an. Erste Schätzungen des Statistischen Bundesamtes rechnen damit, dass 2013 erstmals seit 1993 wieder über 400 000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind (vgl. Abbildung 1). Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: +279 000, 2012: +369 000) wurden somit im letzten Jahr nochmals übertroffen. Nach einer kurzen Phase als Auswanderungsland (2008 und 2009) ist Deutschland wiederum geworden, was es lange war: ein hoch attraktives Einwanderungsland.

Abbildung 1
Einwanderungssaldo für Deutschland
in 1000 Personen
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Quelle: Statistisches Bundesamt: Lange Zeitreihe „Wanderungen“ (ab 1950); abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Bevoelkerung/lrbev07.html; für 2013 Schätzung Statistisches Bundesamt: Erneuter Anstieg der Bevölkerung für 2013 erwartet, Pressemitteilung, Nr. 007 vom 8.1.2014.

Vor allem Osteuropa stand im Vordergrund der Herkunftsländer (vgl. Abbildung 2). Im Jahr 2012 lag die Zuwanderung aus Polen an der Spitze vor Rumänien und Bulgarien und den von der Finanzkrise besonders betroffenen südeuropäischen EU-Staaten. So kamen 2012 fast vier Fünftel aller zuwandernden Personen (77,5%) aus einem anderen europäischen Staat nach Deutschland.1 Die EU-Binnenmigration macht mittlerweile 58% des gesamten Zuwanderungsgeschehens nach Deutschland aus. Aus den vierzehn „alten“ Staaten der Europäischen Union (EU15 ohne Deutschland) stammten 20,8% und aus den zwölf neuen EU-Staaten (EU12) 43,1% aller Zuwandernden. Dagegen setzt sich der seit 2006 feststellbare Trend weiter fort, dass gegenüber der Türkei ein jährlicher Wanderungsverlust besteht.

Abbildung 2
Zuzüge nach Deutschland 2012
Gesamtzahl: 1 080 936
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Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 18, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.

Besonders die mit der Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union erfolgte Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien sorgte zu Jahresbeginn 2014 für politische Schlagzeilen. Ende des letzten Jahres endete die Übergangsregelung, die mit den zum 1. Januar 2007 beigetretenen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien vereinbart worden war. Demgemäß war die Arbeitnehmerfreizügigkeit und in Teilbereichen die Dienstleistungserbringung durch entsandte Arbeitnehmer beschränkt.2 Bereits im Vorfelde stieg die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien deutlich an. Im Falle Rumäniens hat sich die Zahl der Zuzüge zwischen 2006 und 2013 in etwa verfünffacht, im Falle Bulgariens fast verachtfacht.3

Wenig verwunderlich, dass dies mit Blick auf den starken Anstieg der Wanderung aus Osteuropa zum politischen Thema geworden ist. Befürchtet wird, dass Deutschland einem drohenden Ansturm von Armutsflüchtlingen nicht gewachsen sei. Insbesondere dem Sozialmissbrauch müsse ein Riegel vorgeschoben werden. „Wer betrügt, der fliegt“, lautete eine provokant vorgetragene Forderung.4

Eine ganze Reihe unterschiedlicher Studien macht deutlich, wie gerade bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien „Wahrnehmung“ und „Wahrheit“, Mythen und Realität auseinanderklaffen.5 Richtig ist, dass der quantitative Anstieg bemerkenswert ausfällt und der weiteren Analyse bedarf. Richtig ist aber auch, dass die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien den deutschen Arbeitsmarkt nicht be-, sondern entlastet hat. So gehören rumänische und bulgarische Staatsbürger zu den qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen mit einem Qualifikationsniveau, das höher liegt als jenes südeuropäischer EU-Bürger, die nach Deutschland kommen.6 Rumänen und Bulgaren haben in Deutschland eine hohe Beschäftigungs- und eine geringe Arbeitslosenquote verglichen zu Zuwanderern aus anderen Herkunftsländern. „Die Behauptung, dass Wanderungsbewegungen positiv mit hohen Leistungen für Arbeitslose korrelieren würden und es folglich einen 'Sozialstaatstourismus' gäbe, lässt sich für die rumänischen Migranten ebenso wenig empirisch belegen wie im Falle der EU-Binnenmigration im Allgemeinen.“7

Der starke Zuwanderungsstrom hat den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund (insgesamt 16,3 Mio. Personen) an der gesamten deutschen Wohnbevölkerung (von insgesamt 80,5 Mio. Personen) auf 20% ansteigen lassen.8 Das ist im internationalen Vergleich ein Anteil, der nahe der Werte klassischer Einwanderungsländer (USA, Kanada oder Australien) liegt. Mit knapp 3,0 Mio. Menschen stellen Personen mit türkischen Wurzeln die größte Gruppe (18,3%) innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (vgl. Abbildung 3). 9,4% (1,5 Mio. Personen) kommen aus Polen, 7,4% (1,2 Mio. Personen) aus Russland, 4,6% aus Italien.

Abbildung 3
Personen mit Migrationshintergrund nach Herkunftsland1 2012
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1 Bzw. Herkunftsland mindestens eines Elternteils.

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 190, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.

Fasst man die Daten zusammen, zeigt sich, dass Deutschland dank seines stabilen Arbeitsmarktes wieder ein hoch attraktives Zuwanderungsland geworden ist und dass in den letzten Jahren so viele Menschen hierherzogen, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Es zeigt sich aber auch, dass Deutschland mit der Zuwanderungs- und Integrationspolitik vieles gut macht, in jedem Fall deutlich besser als in der öffentlichen Meinung wahrgenommen wird.9 Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund verdienen ihr Leben durch eigene Arbeit, zahlen Steuern und unterscheiden sich – je länger sie hier leben – umso weniger von der Aufnahmegesellschaft.

Die Daten für die EU-Binnenwanderung zeigen nicht eine „Armutsmigration“, sondern eine „Arbeitsmigration“. EU-Angehörige wandern, wenn sie einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben und nicht aufs Geratewohl. Die Befürchtung, die Personenfreizügigkeit führe zu einer überproportionalen Zunahme einer Wanderung europäischer Arbeitsloser oder Sozialleistungsbezüger, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: aus der „blue collar“-Wanderung von Gastarbeitern in die Schwerindustrie oder an die Fließbänder der deutschen Industrie ist mehr und mehr eine „white collar“-Migration von vergleichsweise gut qualifizierten Fachkräften geworden. Das hat auch etwas mit dem Strukturwandel der deutschen Wirtschaft von einer Massenindustrie zu einer wissensbasierten Ökonomie zu tun, in der einfachere industrielle Tätigkeiten seltener werden.

Die innereuropäische Migration wird durch die Nachfrage nach Arbeitskräften, nicht durch die Nachfrage nach Arbeit getrieben. Sie ist durch die Verfügbarkeit von Jobs und nicht durch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften bestimmt. Das überrascht nicht wirklich. Denn die Realität entspricht weitgehend der EU-Rechtssetzung. Die Personenfreizügigkeit gewährt Unionsbürgern und ihren (unter Umständen einem Drittstaat angehörenden) Familienangehörigen das Recht auf freie Einreise und Aufenthalt, Niederlassung, freie Arbeitsplatzwahl und den Anspruch auf Gleichbehandlung.10 Nichterwerbstätige Unionsbürger, Rentner und Studierende sind dann freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel für sich und ihre Familienangehörigen verfügen. An sich ist damit ein „Sozialtourismus“ und eine missbräuchliche Zuwanderung in die Sozialsysteme des Aufnahmelandes rechtlich ausgeschlossen – zumindest in der Theorie. In der Praxis sind der Durchsetzung des EU-Rechts und vor allem der Rückschaffung sich illegal aufhaltender Zuwanderer häufig Grenzen gesetzt. Oft hat das aber dann weniger mit „Zuwanderung“ an sich als mit ganz grundsätzlich illegalen Verhaltensweisen wie Schwarzarbeit, Zwangsprostitution, Drogenhandel oder Geldwäsche zu tun.

Die ökonomische Dimension

Obwohl also viele Vorurteile und Sorgen gegenüber der Zuwanderung nur eine schmale oder gar keine empirische Bestätigung finden, müssen die Ängste weiter Teile der Bevölkerung Ernst genommen werden. Als Thilo Sarrazin 2010 seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte, hat er ganz offensichtlich einen Nerv der deutschen Politik getroffen.11 Ähnliche populäre bis gar populistische Stimmen gegen die Personenfreizügigkeit verschaffen sich in ganz Europa Gehör. Es gibt sie in Großbritannien (United Kingdom Independence Party), Frankreich (Front National) und Skandinavien (von der Fortschrittspartei in Norwegen, über die Basisfinnen bis zur dänischen Volkspartei) genauso wie in den Niederlanden (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) oder in Italien (Lega Nord).

Bei allen Unterschieden teilen die Protestparteien ein Unbehagen über die freie Mobilität innerhalb der EU. Die Zustimmung der Schweizer zu einer Initiative, die eine befürchtete Masseneinwanderung verhindern und deswegen die freie Personenfreizügigkeit beschränken soll, ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Auch andernorts in Europa lässt sich die Zuwanderungsdiskussion relativ einfach instrumentalisieren, um Urängste bezüglich einer Überfremdung und eines Verlusts nationaler Identität zu stimulieren. Die gemeinsame Front gegen das Fremde hat schon immer einheimische Reihen geeint.

Die Einordnung der Sorgen und Ängste um die Personenfreizügigkeit aus einer ökonomischen Perspektive ist deshalb schwierig, weil sowohl Ursachen wie auch Folgen von Zuwanderung und Integration enorm komplex, vielfältig und schwer zu verallgemeinern sind. Migration ist weder immer gut, noch immer schlecht. Vor- und Nachteile sind stärker als andere Phänomene zeit- und raumabhängig. In konjunkturell guten Zeiten kann Zuwanderung helfen, einen Mangel an Arbeitskräften zu überwinden. In schlechteren Zeiten ist nicht ausgeschlossen, dass sie Lohndruck und Arbeitslosigkeit verschärft. Genauso hängen die Wirkungen vom Können und Wollen der zuwandernden Menschen ab. Dabei geht es in der Regel darum, ob Zuwandernde die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Einheimischen ergänzen oder ersetzen.12

Vor allem aber hängt die Bewertung der Zuwanderung von einer ganz persönlichen Kosten-Nutzen-Überlegung ab. Dabei geht es nicht um eine abstrakte, makroökonomische Objektivität, sondern um eine konkrete, mikroökonomische Betroffenheit. Und nicht alles was gesamtwirtschaftlich positiv ist, wird von einzelnen Menschen als wünschenswert erachtet. Deshalb werden Migrationswirkungen von Person zu Person unterschiedlich bewertet, je nachdem, ob Menschen direkt oder indirekt, unmittelbar oder nur mittelbar positiv oder negativ betroffen sind.

Der Komplexität der Migrationsprozesse wegen ist es enorm schwierig, die makroökonomischen Folgen von Zuwanderung und Integration quantitativ zu messen und insbesondere herauszufiltern, welchen tatsächlichen Beitrag die Migration zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung einer Volkswirtschaft leistet. Für Deutschland gibt es eine Reihe von empirischen Untersuchungen, die abschätzen, welche makroökonomischen Effekte Zuwanderung verursacht.13 Alles in allem teilen die Ergebnisse bei allen Unterschieden doch eine Gemeinsamkeit. Sie zeigen, dass sich Zuwanderung für Deutschland gesamtwirtschaftlich positiv ausgewirkt hat. Insbesondere profitieren die einheimischen Arbeitskräfte langfristig von Zuwanderung.14 In allen Qualifikationsgruppen steigen die Löhne und die Arbeitslosigkeit geht zurück.

Zuwandernde Menschen vergrößern den Pool an Arbeitskräften. Mehr Humankapital wird verfügbar. Dadurch steigt die Kapitalrentabilität. Das wirtschaftliche Wachstum wird stimuliert. Sich selbst verstärkende Effekte fördern diese Wachstumsspirale zusätzlich: So ist die Wahrscheinlichkeit eines positiven Einflusses von besser qualifizierten Zuwanderern auch auf weniger qualifizierte Deutsche besonders hoch.

Richtig bleibt aber auch, dass die ökonomischen Wirkungen der Zuwanderung nicht überschätzt werden sollten. Zuwanderung ist keine eierlegende Wollmilchsau, die alle Probleme der Zukunft nachhaltig zu lösen im Stande ist. Zudem ist eine wohlstandsfördernde effiziente internationale Arbeitsteilung auf verschiedenen Wegen erreichbar. Internationaler Handel sowie grenzüberschreitende Faktorwanderungen können sich in weiten Bereichen gegenseitig ersetzen. Ob Maschinen zu den Arbeitskräften oder umgekehrt Menschen zur Arbeit wandern, hängt von Transaktions- und Transportkosten ab. Deshalb haben die gesamtwirtschaftlichen Migrationseffekte auch viel mehr mit relativen als mit absoluten Wirkungen zu tun.

Die polit-ökonomische Dimension

Bei der Personenfreizügigkeit kommen und bleiben Menschen. Damit sind neben ökonomischen Sphären ebenso unmittelbar politische, soziale und kulturelle Belange berührt. Gesamtwirtschaftliche Mobilitätskosten haben somit auch einen sozioökonomischen und polit-ökonomischen Charakter. Zuwandernde Menschen konkurrieren mit einheimischen Deutschen um Sozialleistungen, die direkt über Beiträge oder indirekt über Steuergelder finanziert werden und um die Nutzung öffentlicher Güter (Rechtsrahmen, Justizwesen, innere und äußere Sicherheit), Infrastrukturanlagen (Verkehrs-, Telekommunikations- und Energienetze) und Dienstleistungen (Gesundheits-, Bildungswesen), die allen zur Verfügung stehen und die direkt über Abgaben und Gebühren oder indirekt über Steuern finanziert werden. Damit wird die Frage zentral, wieweit Einwandernde Sozial- und Fürsorgeleistungen sowie öffentliche Güter durch den Staat beziehen und diese über Steuern, Abgaben und Gebühren auch mitfinanzieren.

Die Frage nach dem Sozialkasseneffekt der Zuwanderung ist ex ante nicht eindeutig zu beantworten. Allein eine empirische Überprüfung liefert hier genauere Erkenntnisse.15 Gerade die Empirie bietet aber gewaltige Methoden- und Datenprobleme. Teile des Transfersystems lassen sich nur mit sehr rudimentären Schätzwerten abbilden. Entsprechend fragmentarisch und widersprüchlich sind dann auch bisherige Ergebnisse. Speziell die Vernachlässigung der Rentenversicherung und der dynamischen Wachstumseffekte geben Anlass zu Diskussionen über die Aussagekraft der empirischen Resultate.16 Zudem sind die Berechnungen zu sehr raum- und zeitbezogen, um sie zu verallgemeinern. In der Regel ist der Sozialkasseneffekt der Zuwanderung an den Konjunkturzyklus des Aufnahmelandes gekoppelt. Er ist eng mit den Möglichkeiten verbunden, die den Zuwandernden auf dem Arbeitsmarkt sowohl konjunkturell als auch einwanderungsrechtlich offen stehen. Nicht zuletzt spielt die Aufenthaltsdauer eine wichtige Rolle. Denn letztlich ist wichtig, wie erfolgreich sich die Zuwandernden integrieren, wie sehr sie in der Lage sind, zu arbeiten und eigenes Einkommen zu erwirtschaften.

Offensichtlich ist, dass Migration für den Sozialstaat dann zum Problem werden kann, wenn zu leicht, zu großzügig und zu unspezifisch flächendeckend Sozialtransfers über zu viele ausgeschüttet werden. Dazu gehören auch eine zu weit gehende Entkoppelung von früheren Leistungen an spätere Ansprüche (Zahlungen) und ein Übergang von beitragsfinanzierter Versicherung zu steuerfinanzierter Grundsicherung. Dann sind die Migrationsprobleme jedoch oft nicht spezifische Probleme der Migration, sondern generelle Probleme des Sozialstaates!

In der Praxis gehören viele der bereits in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund zu den eigentlichen Verlierern weiterer Zuwanderung.17 Die negativen Beschäftigungsfolgen, die Ausländer auf Ausländer haben, lassen sich auf einen einfachen Umstand zurückführen: Wer neu nach Deutschland kommt ist den Menschen mit Migrationshintergrund ähnlicher als den autochtonen Deutschen. Damit fallen die Verdrängungseffekte für Ausländer viel stärker aus als für die Einheimischen. Menschen mit Migrationshintergrund tragen somit die Hauptlast der Zuwanderung.

Folgerungen: Zuwanderung

Entgegen allen Ängsten, Vorurteilen und oft auch populistisch hochgespielten Befürchtungen ist Zuwanderung selten die Ursache von Arbeitsmarktproblemen, oft aber eine Hilfe bei deren Überwindung. Denn Fakt ist, dass die deutsche Bevölkerung schrumpft und altert. Zuwanderung wird diesen demografischen Wandel zwar nicht stoppen, aber doch wenigstens etwas abbremsen können. Sie wird einige Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen. Und sie wird mit zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen. Somit dürfte eher ein Zuwenig als ein Zuviel an Migration zur eigentlichen Herausforderung für den deutschen Arbeitsmarkt werden.

  • 1 Amtlichen Statistiken folgend, zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Europäische Union und europäische Drittstaaten inklusive der Türkei und der Russischen Föderation zu Europa.
  • 2 So galt während einer bis zu sieben Jahren dauernden Übergangsfrist (2+3+2-Modell) – also von 1.1.2007 bis maximal zum 31.12.2013 – noch nationales und nicht EU-Recht. Deshalb benötigten rumänische und bulgarische Staatsangehörige für die Aufnahme von Tätigkeiten, für die keine qualifizierte Berufsausbildung vorausgesetzt wird, noch eine Arbeitserlaubnis in Deutschland.
  • 3 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Migrationsbericht 2012, Nürnberg, Januar 2014, S. 7, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152 (3.3.2014).
  • 4 Vgl. CSU will härter gegen „Armutszuwanderung“ vorgehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.12.2013, http://www.faz.net/aktuell/politik/sozialleistungen-csu-will-haerter-gegen-armutszuwanderung-vorgehen-12729570.html (3.3.2014).
  • 5 Vgl. dazu die reichhaltige Infoplattform des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB): EU-Freizügigkeit und Zuwanderung aus Südosteuropa, Nürnberg, http://infosys.iab.de/infoplattform/dokSelect.asp?pkyDokSelect=132&sortLit=2&show=Lit (3.3.2014).
  • 6 Vgl. K. Brenke, N. Neubecker: Struktur der Zuwanderungen verändert sich deutlich, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), H. 49, S. 3-21, insbesondere S. 13.
  • 7 Vgl. M. Jobelius, V. Stoiciu: Die Mär vom „Sozialtourismus“ – Zuwanderung rumänischer Staatsbürger nach Deutschland und in andere EU-Mitgliedsländer, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Bonn 2014, S. 4-5; ebenso Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien – Arbeitsmigration oder Armutsmigration, in: IAB-Kurzbericht 16/2013, aktualisiert unter: H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh: Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit, IAB Nürnberg, Aktueller Bericht vom 23.12.2013.
  • 8 Vgl. Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerung.html;jsessionid=429F1C00A329B040781F4F0CA9FDCE90.cae3 (3.3.2014).
  • 9 Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Hrsg.): Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforderungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland, Jahresgutachten 2013 mit Migrationsbarometer, Berlin 2013, sowie frühere Jahresgutachten, http://www.svr-migration.de/content/?page_id=4760 (3.3.2014).
  • 10 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), a.a.O., S. 43-44; verfügbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2012.html?nn=1366152.
  • 11 Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab, München 2010.
  • 12 Vgl. exemplarisch hierzu die als Chiswick-Borjas-Kontroverse in der Literatur ausführlich dargestellte Diskussion über die (empirischen) Wirkungen der Zuwanderung, für Deutschland dargestellt in den Jahresgutachten 2010 und 2011 des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, a.a.O.
  • 13 Vgl. hierzu auch H. Hinte, U. Rinne, K. F. Zimmermann: Zuwanderung, Demografie und Arbeitsmarkt: Fakten statt Vorbehalte, in: A. Heinz, U. Kluge (Hrsg.): Einwanderung – Bedrohung oder Zukunft? Mythen und Fakten zur Integration, Frankfurt 2012, S. 263-278; oder K. F. Zimmermann et al.: Immigration Policy and the Labor Market (The German Experience and Lessons for Europe), Berlin 2007.
  • 14 H. Brücker, E. Jahn, A. Hauptmann, R. Upward: Migration and imperfect labor markets. Theory and cross-country evidence from Denmark, Germany and the UK, in: European Economic Review, 66. Jg., February 2014, S. 205-225, bestätigen empirisch mit Hilfe eines neuen Ansatzes, der es erlaubt, die Lohn- und Beschäftigungswirkungen der Zuwanderung simultan zu schätzen, dass in Deutschland einheimische Arbeitskräfte durch Zuwanderung langfristig gewinnen.
  • 15 Vgl. dazu beispielsweise H. Bonin: Der Finanzierungsbeitrag der Ausländer zu den deutschen Staatsfinanzen: Eine Bilanz für 2004, IZA Discussion Paper, Nr. 2444, Bonn, November 2006; oder ders.: Eine fiskalische Gesamtbilanz der Zuwanderung nach Deutschland, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung/Quarterly Journal of Economic Research, 71. Jg. (2002), H. 2, S. 215-229.
  • 16 Besonders kritisch ist es, wenn bei der empirischen Analyse der Migrationseffekte nicht zwischen ökonomischer und humanitärer Wanderung unterschieden wird. Denn selbstredend „kostet“ humanitäres Verhalten etwas. Deswegen müssten bei einer ökonomischen Kalkulation der Zuwanderungswirkungen die Kosten herausgerechnet werden, die Asylsuchende und Flüchtlinge verursachen. Wird aus humanitären Gesichtspunkten Menschen geholfen, die auf der Flucht sind oder in Not stecken, und hat man sich bei Asyl- und Flüchtlingsrecht auf ein bestimmtes Verfahren festgelegt, entstehen für die Aufnahmegesellschaft zwangsläufig Verpflichtungen, die aber weniger mit „Zuwanderung“ an sich, sondern mit „Humanismus“ zu tun haben.
  • 17 Vgl. H. Brücker et al., a.a.O.

Zuwanderung: Chance und Herausforderung

Die Zuwanderungsdiskussion hat in Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach eine Wendung vollzogen. So schlussfolgerte die sogenannte Süssmuth-Kommission 2001, dass ein Paradigmenwechsel von der bis dahin praktizierten Politik des „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“ hin zu einer gesteuerten, arbeitsmarktorientierten Zuwanderungspolitik notwendig sei.1 Unglücklicherweise schwand mit der seinerzeit einsetzenden Arbeitsmarktkrise die politische Bereitschaft, das Thema offensiv zu besetzen. Das ab 2005 geltende neue Zuwanderungsrecht für Drittstaatsangehörige sah zwar eine Vielzahl von Verbesserungen vor, folgte aber noch dem Leitmotiv der Begrenzung des Zuzugs.2

Erst mit der Entspannung des Arbeitsmarkts ab 2006 wurden sukzessive die Voraussetzungen für die Einwanderung erleichtert. Dies erfolgte mit dem Ziel, hoch qualifizierte Fachkräfte anzuwerben und hatte somit die arbeitsmarktökonomische Steuerung durchaus im Fokus. Allerdings hat Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber den 2004 zur Europäischen Union beigetretenen ost- und mitteleuropäischen Ländern sowie für Rumänien und Bulgarien für die maximal mögliche Dauer von sieben Jahren ausgesetzt. Diese Entscheidung illustriert, dass das defensive Leitmotiv der Zuzugsbegrenzung nach wie vor eine große Rolle spielt. In die gleiche Richtung deutet die erst im vergangenen Jahr im Rahmen des Beitritts ausgesetzte Freizügigkeit für Kroaten.

Der Wunsch nach Begrenzung der Zuwanderung resultiert unter anderem aus den widersprüchlich erscheinenden Befürchtungen, Einwanderer könnten einerseits einreisen, um Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen und würden andererseits Einheimische aus dem Arbeitsmarkt drängen. Dies spiegelt sich in der aktuellen und keineswegs nur auf Deutschland beschränkten Diskussion um die vermeintliche oder tatsächliche Armutszuwanderung aus EU-Ländern. Zu hinterfragen ist somit, welche grundsätzlichen Wirkungen die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes hat, wie sich die Situation in Deutschland darstellt und welche Steuerungsmöglichkeiten angesichts der quantitativ großen Bedeutung der Zuwanderung auf Basis der Freizügigkeit überhaupt zur Verfügung stehen.

Theoretische Wirkungen auf das Aufnahmeland

In einem einfachen modelltheoretischen Rahmen wirkt sich Zuwanderung grundsätzlich positiv auf das Inlandsprodukt des Aufnahmelands aus. Der Effekt basiert im Wesentlichen auf der Annahme, dass Zuwanderer im Aufnahmeland erwerbstätig werden und Wertschöpfung generieren. Dies kann zumindest für Zuwanderer angenommen werden, die aus ökonomischen Gründen emigrieren, d.h. für Personen, deren Anlass zur Auswanderung überhaupt erst ein Lohnunterschied zwischen Heimat- und Zielland war. Anders mag die Rechnung für Zuwanderer aussehen, die aus anderen Gründen einwandern, z.B. wegen politischer Verfolgung in ihrem Heimatland.

Umstrittener als der Effekt auf die gesamte Wohlfahrt einer Volkswirtschaft sind die Verteilungswirkungen der Zuwanderung. In einem einfachen Modell eines homogenen Arbeitsmarktes mit fixem Kapitalstock beruht die sozialproduktserhöhende Wirkung der Zuwanderung zunächst auf einer Senkung des Lohnniveaus.3 Wären die Löhne starr, würde die Zuwanderung in höherer Arbeitslosigkeit und nicht in höherer Erwerbstätigkeit resultieren. Daher kommt es infolge der Zuwanderung zu einer Umverteilung von Arbeit zu Kapital, sofern dieser Effekt nicht durch die Besteuerung kompensiert wird. In der langen Frist wäre hingegen zu erwarten, dass durch die Anpassung des Kapitalstocks der Gleichgewichtslohn wieder angehoben wird.4

Nicht eindeutig ist hingegen die Frage zu beantworten, ob ein Migrationsgewinn für die Einheimischen verbleibt. Uneingeschränkt zu bejahen ist dies nur, wenn ein unelastisches Arbeitskräfteangebot unterstellt wird und es daher definitionsgemäß nicht zu einer Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte kommen kann. Wird diese Annahme fallengelassen, richtet sich der Migrationsgewinn nach dem Grad der Lohnanpassung und dem Beschäftigungsgewinn auf der einen Seite sowie dem Ausmaß der Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte auf der anderen Seite.5

Noch einmal anders ist Zuwanderung zu beurteilen, wenn von der Annahme eines homogenen Arbeitsmarktes abgegangen wird. Ist der Arbeitsmarkt z.B. zwischen Hoch- und Geringqualifizierten segmentiert und verhalten sich die Segmente komplementär zueinander, hängt der Effekt von der Qualifikationsstruktur der Einwanderer in Relation zu den Einheimischen ab. Wandern vorrangig Hochqualifizierte ein, sinkt in diesem Segment der Lohn und die Beschäftigung steigt. Aufgrund der Komplementarität steigt aber in der Folge die Nachfrage nach Geringqualifizierten,6 so dass in diesem Segment Löhne und Beschäftigung steigen – selbst wenn es hier Lohnrigiditäten nach unten gäbe.

Ein solches Szenario wäre kaum geeignet, Vorbehalten gegenüber der Zuwanderung neue Nahrung zu geben. Im Segment der Hochqualifizierten herrscht seit Jahrzehnten unbeschadet sämtlicher Arbeitsmarktkrisen nahezu Vollbeschäftigung7 und es bestehen überdurchschnittliche Verdienstperspektiven.8 Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Die theoretischen Modelle unterstellen, dass die Zahl der einheimischen Anbieter von Arbeit konstant bleibt und sich die Zuwanderung als zusätzliches Arbeitskräfteangebot manifestiert. Dies entspricht aber kaum der Realität eines demografisch schrumpfenden Arbeitsmarktes. Schon in den letzten 20 Jahren ist die Zahl der 18- bis 64-Jährigen in Deutschland um über 2 Mio. gesunken,9 in den nächsten 20 Jahren geht sie ohne Zuwanderung voraussichtlich noch einmal um weitere 10 Mio. zurück.10 Mithin lassen sich die Effekte der Zuwanderung aus theoretischer Perspektive nicht eindeutig bestimmen. Es kommt, wie so oft, darauf an – und zwar in erster Linie auf die Arbeitsmarktintegration und die Humankapitalausstattung der Zuwanderer.

Empirische Befunde

Die vorliegenden empirischen Befunde zum Grad der Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern sind – wie die Zuwanderung selbst – heterogen. Auf der einen Seite ist unstreitig, dass Ausländer häufiger arbeitslos sind als Deutsche. Andererseits zeigen sich zwischen den Nationalitäten erhebliche Unterschiede. So sind die meisten EU-Ausländer – darunter auch Rumänen – kaum häufiger arbeitslos als Deutsche,11 während Staatsangehörige der Flüchtlingsherkunftsländer des nahen und mittleren Ostens deutlich überdurchschnittlich betroffen sind.12 Die Arbeitslosenstatistik unterscheidet allerdings lediglich nach Nationalität. Berücksichtigt werden muss aber, dass Staatsangehörigkeit und Migrationsstatus nicht zwangsläufig kongruent sind.

Da die Wanderungsstatistik weder Aufschluss über die Arbeitsmarktintegration noch über die Humankapitalausstattung der Einwanderer zulässt, verbleibt als Datenquelle nur die Auswertung von Personenbefragungen, die – wie z.B. der Mikrozensus oder das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) – Fragen zur Einwanderungsbiographie stellen. Eine Auswertung des SOEP13 zeigt zweierlei. Erstens liegen die Erwerbstätigenquoten von Personen, die im Zeitraum 1997 bis 2011 nach Deutschland eingewandert sind, insgesamt kaum unter denen der Einheimischen – unabhängig davon, ob letztere ihrerseits einen Migrationshintergrund aufweisen oder nicht. Zweitens ist aber diese Beobachtung im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Zuwanderer eine günstigere Altersstruktur aufweisen. Beschränkt man die Betrachtung hingegen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, so sind Einheimische – insbesondere jene ohne Migrationshintergrund – deutlich besser in den Arbeitsmarkt integriert als Zuwanderer. Vergleichbare Befunde ergeben sich aus Auswertungen des Mikrozensus, wobei dieser aufgrund der höheren Fallzahl auf die Zuwanderer aus den letzten Jahren beschränkt und nach weiteren Kriterien differenziert werden kann. Demnach ergeben sich vor allem für Zuwanderer aus der EU kaum Unterschiede zu Einheimischen, während Drittstaatler eine deutlich geringere Arbeitsmarktintegration aufweisen.14

Unterschiede von Zuwanderern gegenüber Einheimischen zeigen sich auch bei einem Vergleich der erzielten Stundenlöhne. Neu zugewanderte Personen erzielen – sofern sie erwerbstätig werden – deutlich geringere Stundenlöhne als Einheimische. Erst nach 20 bis 25 Jahren Aufenthaltsdauer werden die mittleren Bruttolöhne der Personen ohne Migrationshintergrund erreicht. Schneller geht es, wenn der Vergleich mit Einheimischen mit indirektem Migrationshintergrund gezogen wird. Hier erreichen Neuzuwanderer etwa nach 19 Jahren ein vergleichbares Lohnniveau (vgl. Abbildung 7).

Abbildung 7
Reale mittlere Bruttostundenlöhne von Zugewanderten, 2002 bis 2011
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Quelle: SOEP v28; eigene Berechnungen.

Ebenso heterogen wie die Arbeitsmarktintegration stellt sich die Humankapitalausstattung der Zuwanderer dar. Der Anteil der neu Zugewanderten, der einen akademischen Abschluss vorweisen kann, liegt erheblich über dem Anteil bei den Einheimischen.15 Der Akademikeranteil unter den Zuwanderern hat darüber hinaus in den letzten Jahren zugenommen, was unter anderem eine Folge der Verschiebung der Herkunftsstruktur der Zugezogenen sein dürfte: Die Bedeutung der EU-Staaten nahm zu, während weniger Zuwanderer aus Drittstaaten gezählt wurden. Auch unter den Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien ist der Akademikeranteil nicht geringer als der unter Deutschen.16 Insofern leistet die Zuwanderung einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung. Voraussetzung dafür, dass sich die von der Theorie postulierten positiven Effekte einstellen, ist allerdings, dass hochqualifizierte Zuwanderer auch entsprechende Tätigkeiten ausüben. Das kann jedoch gerade für die qualifizierten Neuzuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten nicht durchgehend festgestellt werden. Nur 56% von ihnen gehen einer qualifizierten Tätigkeit nach,17 was möglicherweise auch in der Problematik der Anerkennung ausländischer Abschlüsse begründet ist.

Hinzu kommt, dass bei den Neuzuwanderern dem überdurchschnittlichen Akademikeranteil ein gleichfalls überdurchschnittlicher Anteil von Geringqualifizierten gegenübersteht. Das bei Einheimischen breite Segment der beruflich Qualifizierten ist bei Einwanderern deutlich kleiner – was insofern nicht überrascht, als es in vielen Ländern keine mit Deutschland vergleichbare, institutionalisierte Berufsausbildung gibt. Mithin ist ungewiss, ob die willkommene Zuwanderung Hochqualifizierter die Verteilungseffekte der Zuwanderung Geringqualifizierter kompensieren kann. In der längeren Frist wird die demografische Schrumpfung problematische Effekte der Zuwanderung minimieren. Zuwanderer werden als Ausgleich für das abnehmende Arbeitskräfteangebot benötigt. In der kurzen Frist sind jedoch Zuwanderungssteuerung und Integrationspolitik gefordert.

Steuerungsmöglichkeiten

Die Erkenntnis, dass die Zuwanderung von Hochqualifizierten dem Aufnahmeland den größten ökonomischen Nutzen verspricht, hat sich als ein neues Leitbild der Zuwanderungsgesetzgebung mittlerweile etabliert. Die Erfolge dieses Paradigmenwechsels sind bislang jedoch überschaubar. So gingen 2012 nur 13% der vom Ausländerzentralregister erfassten Zuzüge von Drittstaatlern mit einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit einher. Die dominierenden Zuzugszwecke waren Studium und familiäre Gründe.18 Die Mehrheit der arbeitsmarktorientierten Immigration machte von dem eher allgemein gehaltenen Aufenthaltstitel nach §18 des Aufenthaltsgesetzes Gebrauch. Die speziell für Hochqualifizierte geschaffenen Aufenthaltstitel nach den §§19 und 20 spielen dagegen noch keine nennenswerte Rolle. Vor diesem Hintergrund sind Bemühungen angebracht, einerseits die Zuwanderungsmöglichkeiten nach deutschem Recht einer breiten Basis zuwanderungswilliger Hochqualifizierter besser bekannt zu machen und andererseits die Attraktivität Deutschlands als Einwanderungsland durch eine größere Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Zuwanderungsregeln zu vergrößern.

Den größten Anteil an der Nettozuwanderung haben jedoch Gruppen, die den arbeitsmarktökonomischen Steuerungsmöglichkeiten des Aufenthaltsgesetzes gar nicht unterliegen. Drei Viertel der Zuwanderer kamen 2012 aus der Europäischen Union, insgesamt 55% profitierten von der Freizügigkeit – im laufenden Jahr wird sich dieser Anteil mit der Einbeziehung von Bulgarien und Rumänien weiter erhöhen. Die Zuwanderung aus der EU ist genauso wie die Zuwanderung aus humanitären Gründen oder der Familiennachzug unter arbeitsmarktökonomischen Gesichtspunkten nicht steuerbar. Mithin – das zeigt die Empirie – lässt sich kaum verhindern, dass gegebenenfalls auch Geringqualifizierte in großer Zahl einwandern. Versuche, eine Zuwanderung zum Zwecke der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verhindern, sind zwar nachvollziehbar. Aber es ist nicht nur angesichts der jüngsten Rechtsprechung zweifelhaft, ob dies gelingen kann.

Erfolgversprechender erscheint es, das zusätzlich zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotenzial so gut wie möglich zu nutzen. Gegebenenfalls unerwünschte Verteilungseffekte der Zuwanderung lassen sich reduzieren, wenn es einerseits gelingt, die Hochqualifizierten adäquat zu beschäftigen und andererseits die Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dazu bedarf es Anstrengungen in der Integrations- und Arbeitsmarktpolitik. Qualifizierung ist ein wichtiges Element einer Integrationsstrategie, aber der Arbeitsmarkt muss auch künftig Chancen für Menschen ohne formale Qualifikationen bereithalten – durchaus keine triviale arbeitsmarktpolitische Aufgabe, deren Bewältigung zudem ein gewisses Maß an Lohnflexibilität voraussetzt. Auf die Chancen, die die Zuwanderung bietet, kann Deutschland nicht verzichten. Das heißt aber nicht, dass die damit verbundenen Herausforderungen ignoriert werden können.

  • 1 Unabhängige Kommission: Zuwanderung gestalten – Integration fördern, Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, Berlin 2001, S. 60 ff.
  • 2 Sachverständigenrat Zuwanderung und Integration: Migration und Integration – Erfahrungen nutzen, Neues wagen, Jahresgutachten 2004, Berlin, S. 162.
  • 3 G. J. Borjas: The Economic Analysis of Immigration, in: O. C. Ashenfelter, D. Card (Hrsg.): Handbook of Labor Economics, Vol. 3A, Amsterdam u.a.O. 1999, S. 1697-1760.
  • 4 H. Brücker: Neue Erkenntnisse zu den Arbeitsmarktwirkungen internationaler Migration – Ein kritischer Überblick über vorliegende Befunde, in: WSI-Mitteilungen, 63. Jg. (2010), Nr. 10, S. 499-507.
  • 5 H. Schäfer: Zuwanderung und Integration, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Die Zukunft der Arbeit in Deutschland, Köln 2008, S. 225-248.
  • 6 K. F. Zimmermann, H. Bonin, R. Fahr, H. Hinte: Immigration Policy and the Labor Market, Berlin u.a.O. 2007.
  • 7 B. Weber, E. Weber: Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit, IAB-Kurzbericht, Nr. 4, Nürnberg 2013.
  • 8 A. Schmillen, H. Stüber: Bildung lohnt sich ein Leben lang, IAB-Kurzbericht, Nr. 1, Nürnberg 2013.
  • 9 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg.): Zensus 2011, Bad Ems 2013.
  • 10 Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009.
  • 11 H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh: Arbeitsmigration oder Armutsmigration?, IAB-Kurzbericht, Nr. 16, Nürnberg 2013.
  • 12 Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Berufsausbildung oft Fehlanzeige, iwd, Nr. 37, 2013, S. 2.
  • 13 G. G. Wagner, J. R. Frick, J. Schupp: The Geman Socio-Economic Panel Study (SOEP). Scope, Evolution and Enhancements, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 127, 2007, Nr. 1, S. 139-169.
  • 14 H. Seibert, R. Wapler: Aus dem Ausland kommen immer mehr Akademiker, IAB-Kurzbericht, Nr. 21, Nürnberg 2012; W. Geis: Der Beitrag der Zuwanderung zur Fachkräftesicherung, in: iw-trends, 39. Jg. (2012), Nr. 2, S. 85-98.
  • 15 H. Seibert, R. Wapler, a.a.O.; W. Geis, a.a.O.
  • 16 H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh, a.a.O.
  • 17 H. Seibert, R. Wapler, a.a.O., S. 5.
  • 18 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Migrationsbericht 2012, Nürnberg 2014, S. 37 f.

Freiheit und Bedrängnis: Zuwanderung am Arbeitsmarkt

Die letzten Hochrechnungen amtlicher Daten für 2013 am Jahresbeginn 2014 und der Mitte Januar vom Bundeskabinett vorgelegte Migrationsbericht 2012 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen:1 Deutschland ist mit 400 000 Nettozuwanderern im Jahre 2013 nach netto 369 000 Personen im Vorjahr und 279 000 (2011) wieder in den Kreis der Einwanderungsländer zurückgekehrt, den es zuvor über mehr als ein Jahrzehnt verlassen hatte. Die anhaltend starke Wirtschaftskrise in Südeuropa und die neue Arbeitnehmerfreizügigkeit als Folge der EU-Osterweiterung trug dazu erheblich bei. Dabei dominiert Arbeitsmigration das Geschehen. Die meisten Zuwanderer sind Polen, danach kommen Rumänen, Italiener, Ungarn und Spanier. Unter den wichtigen Auswanderergruppen finden sich Menschen mit türkischem Hintergrund. Die Schweiz ist ein weiteres gewichtiges Auswanderungsland. Die Herkunft der Zu- und Abwanderer hat sich also gewaltig verändert.

Mit dem Jahresanfang 2014 beginnt auch die volle Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren am EU-Arbeitsmarkt. Wie schon zuvor bei der vollen Freizügigkeit anderer osteuropäischer Beitrittsländer, insbesondere von Polen, setzte zur Jahreswende in Deutschland eine besorgte Debatte über eine mögliche Zuwanderungsflut aus diesen Ländern ein. Der Zustrom aus Rumänien und Bulgarien hält sich aber genauso in Grenzen wie zuvor die Zuwanderung aus Polen und den anderen östlichen Beitrittsländern. Obwohl bereits auch vorher schon möglich, und obwohl die Sozialstaatsregelungen nicht geändert wurden, eskalierte im Januar dagegen die öffentliche Debatte um eine Wohlfahrtsmigration, d.h. die Befürchtung einer erheblichen Wanderung von Menschen aus den Beitrittsländern in die sozialen Sicherungssysteme der Aufnahmeländer. Die Auseinandersetzung löste sich rasch von wesentlichen Fakten, die frühzeitig verfügbar waren, und die eine andere Realität als die medial gefühlte dokumentierte.2

Das Schweizer Referendum, das Anfang Februar die Einführung von Höchstquoten für Zuwanderer aus der EU befürwortete, brachte eine neue Kategorie in die europäische Diskussion. Jetzt geht es um die Beschränkung von Arbeitsmobilität unter anderem aus Deutschland und Italien. Dies kann vorhandene Debatten in vielen Mitgliedsländern, neben Deutschland insbesondere in Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Frankreich befeuern, die Mobilität von Arbeitskräften in der EU wieder einzuschränken. Die wachsende Europa-Skepsis in den europäischen Mitgliedstaaten3 könnte im Vorfeld der kommenden Europawahlen auf diese Befürchtungen reagieren und den Boden für Rückschritte in der europäischen Integration bereiten.

In einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ hatte ich festgestellt: „Ich fürchte, wir könnten am Beginn einer Degenerierung der EU stehen. Die europäische Idee war, dass nach den Güter- und Kapitalmärkten auch die Arbeitsmärkte zusammen wachsen. Dies geschieht nun zu einer Zeit, in der vermehrt Zuwanderungen in die Wohlfahrtssysteme Europas befürchtet werden. Das verstellt bei vielen Menschen den Blick auf die Vorteile, die entstehen, wenn Menschen kommen, die arbeiten statt Sozialleistungen kassieren wollen. Wenn dies zu einer Politik führt, die die Arbeitskräftemobilität wieder einschränkt, schadet das der europäischen Idee. Die EU sollte der Schweiz klar machen, dass es freien Handel und Freizügigkeit von Arbeitskräften nur im Gesamtpaket gibt. Dadurch dürfte den Schweizern bewusst werden, welche Probleme sie sich mit ihrem Beschluss eingehandelt haben. Zudem stiege die Chance auf ein neues Referendum, in dem sich die Schweizer hoffentlich anders entscheiden.“4

Die Tugend der Mobilität

Arbeitsmobilität ist für eine funktionierende deutsche Volkswirtschaft wie für den europäischen Wirtschaftsraum wichtig, da sie zu einer optimalen Allokation der Ressourcen wesentlich beiträgt.5 Für die Mehrzahl der europäischen Arbeitsökonomen sind flexible Arbeitskräfte auch zentral für den einheitlichen Europäischen Binnenmarkt und das Funktionieren der europäischen Wirtschaft.6 Wohlstand beruht in hohem Maße auf der internationalen Arbeitsteilung und einer zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung. Im Euroraum wuchsen die Arbeitsmärkte zunächst bis zur großen Wirtschaftskrise 2008 zusammen, erst seit dieser Rezession entzerrt sich die Arbeitsmarktentwicklung wieder und spiegelt die traditionell hohen Unterschiede in den Arbeitslosenquoten zwischen den Staaten.7 Die hohen Zuwanderungen aus den Krisenstaaten des europäischen Südens gerade in den stabilen deutschen Arbeitsmarkt8 sind also politisch gewollt, wirtschaftlich vorteilhaft und von der Größenordnung noch eher zu schwach, um zu starken Ausgleichswirkungen zu führen. Eine Reduktion der Arbeitslosigkeit in den Sendeländern und eine ökonomische Unterstützung durch die Rücküberweisungen der Migranten sollten die unmittelbare Folge sein und so den europäischen Wirtschaftsraum stabilisieren.

Die europäischen Arbeitsmärkte sind traditionell inflexibel und die Arbeitsmärkte sind zu wenig zusammengewachsen.9 Die jährliche zwischenstaatliche Mobilität wurde in der EU auf 1%, in den USA auf 3% und in Kanada auf 2% geschätzt.10 Seit der Krise und mit der Osterweiterung der EU hat sich dies geändert.11 Die USA verloren an Flexibilität und die EU wurde flexibler. Allerdings beruht die erhöhte europäische Flexibilität auf dem Akt der Osterweiterung bzw. wird sehr stark durch eine zirkuläre Mobilität von Migranten bzw. von Bürgern mit Migrationshintergrund getragen. Die zusätzliche Wanderung kommt also von Menschen mit ausländischem Pass die weiterziehen oder von Individuen, die die Staatsbürgerschaft eines Landes angenommen haben.

Eine andere Frage ist die Rolle von Migration für die ökonomische Gleichheit der Aufnahmegesellschaft. Generell lässt sich nicht feststellen, dass Ungleichheit und die Präsenz von Migranten in den Zuwanderungsländern positiv korrelieren. Das Gegenteil ist der Fall. Das kann zwar nicht vorschnell kausal interpretiert werden. Jedenfalls sind aber die Bedingungen dafür gut, dass die Zuwanderung von Fachkräften, um die es ja bei der Arbeitsmigration vor allem geht, die ökonomische Ungleichheit im Aufnahmeland abbaut.12

Strukturelle Herausforderungen

Mit dem unvermeidbaren Prozess der Globalisierung wächst auch der Anpassungsdruck durch Wanderungen, insbesondere durch die Arbeitsmigration. Dies wird durch den ökonomischen Aufstieg großer Nationen wie der BIC-Staaten (Brasilien, Indien, China) verstärkt. Ihr Eintritt in den Weltmarkt für Arbeitskräfte und Humankapital13 verändert das globale Spiel der Nationen und Wirtschaftsräume. Ethnische Diversitäten werden eine immer größere Rolle bei der Gestaltung der Gesellschaft und der Wirtschaft spielen und dabei Herausforderungen und Chancen bringen.

Dazu kommen die demografischen Umwälzungen, global und national in Deutschland. Die deutsche Bevölkerung wird schrumpfen, altern und sich konzentrierter räumlich verteilen.14 In dem wirtschaftlichen Wandlungsprozess werden Anpassungen notwendig sein, die auch deutliche Veränderungen in den Ausbildungsprofilen und beruflichen Perspektiven einschließen werden. Die dafür nötige höhere Mobilität wird nicht nur durch die heimische Bevölkerung erbracht werden können, sondern dazu werden auch mehr Wanderungen zwischen den europäischen Staaten, aber auch aus Drittstaaten nötig sein. Der Fachkräftemangel wird die Erwerbsgesellschaft auf breiter Front treffen. Nachwuchskräfte werden im Bereich der akademischen und der mittleren Qualifikationsstufen fehlen. Dies betrifft nicht nur Ärzte und Ingenieure, sondern auch Pflegekräfte und Facharbeiter.

Lehren der EU-Osterweiterung für Deutschland

Die deutsche (wie die österreichische) Bundesregierung sah die Osterweiterung zumindest kurzfristig nicht als Chance, sondern als Bedrohung für den eigenen Arbeitsmarkt an. Anders lässt sich nicht verstehen, warum sie bis zuletzt die siebenjährige Übergangsfrist Schritt für Schritt voll in Anspruch nahm. Ähnliches galt für die Nachzüglerstaaten Rumänien und Bulgarien, deren volle Freizügigkeit dann folglich erst zum 1. Januar 2014 einsetzte.

War angesichts einer heftigen öffentlichen Diskussion vor 2004 noch Vorsicht angeraten, so konnten die Erfahrungen in der Folgezeit diese Zögerlichkeiten nicht ökonomisch begründen.15 Regelmäßig belegten wissenschaftliche Studien, dass die Staaten, die eine rasche Öffnung ihrer Arbeitsmärkte verfolgten (Irland, Großbritannien), davon Vorteile hatten. Dagegen hatte Deutschland Nachteile.16 Weder konnte die legale und illegale Zuwanderung de facto gebremst werden, noch nahm sie überhand. Aber Deutschland verlor die Fachkräfte an Großbritannien und Irland und musste mit Personen mit geringeren Qualifikationen vorlieb nehmen. Die Folge war, dass Fachkräfte aus Westeuropa mit hohen Löhnen angeworben werden mussten und sich einzelne Verdrängungseffekte für Zuwanderer aus Drittstaaten infolge der geringqualifizierten Ostmigranten abzeichneten.

Zahlreiche weitere Untersuchungen im Auftrag der Europäischen Kommission haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich weitere Arbeitsmarktöffnungen mit osteuropäischen Ländern gestalten könnten. Im Zielbereich waren die sogenannten östlichen Partnerschaftsländer (Eastern Partnership Countries, EaP).17 Die Deutschland-Studie des Projektes18 stellte fest, dass die Mehrzahl der Migranten und ihr künftiges Wanderungspotenzial aus der Ukraine stammen. Diese Zuwanderer stehen derzeit ökonomisch tendenziell schlechter da als andere Migrantengruppen in Deutschland; sie weisen aber eine hohe Fehlallokation gemessen an ihren Ausbildungsprofilen auf, da sie tendenziell hochqualifiziert sind. Allerdings haben sie und ihre potenziellen Nachrücker Qualifikationen für die Berufsbereiche, in denen künftig in Deutschland Mangel zu erwarten ist. Bereits jetzt hat die deutsche Zuwanderungspolitik die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen erleichtert, was den beobachteten Mismatch reduzieren kann. Es wird abzuwarten sein, ob dies die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigt oder ob die Ausbildung im Sendeland qualitätsmäßig nicht ausreicht.

Die Mär von der Wohlfahrtsmigration

Immer wieder wird in der öffentlichen Diskussion behauptet, dass im Zuge der Arbeitsmarktöffnung und der europäischen Integration die sogenannte Wohlfahrtsmigration bedenkliche Züge annimmt oder annehmen könnte. Dabei wird unterstellt, dass Bürger der EU ihren Aufenthaltsort ohne Arbeitsabsicht zum Zwecke der Ausnutzung von Wohlfahrtsregelungen in ein güstigeres anderes EU-Land verlagern. Dies wäre bis zu einer anderen Regelung durch den Europäischen Gerichtshof im herrschenden Rechtsverständnis illegal. Dies schließt natürlich nicht aus, dass dies in Einzelfällen dennoch passiert, und dass sich diese Einzelfälle auch regional oder in einzelnen Städten konzentrieren können.

Untersuchungen für die Europäische Kommission des IZA haben aber gezeigt, dass von einem europäischen Wohlfahrtstourismus nicht gesprochen werden kann.19 Weder wurde Schweden als Wohlfahrtsstaat nach einer frühen Ostöffnung zum Ziel solcher Migration, noch gibt es regulär innerhalb der EU über längere Fristen ein zu beobachtendes statistisch relevantes und signifikantes Phänomen. Auch die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien der letzten Jahre ist weitestgehend durch die (erfolgreiche) Absicht der Arbeitsaufnahme gekennzeichnet. Arbeitslosigkeit und Sozialstaatsmaßnahmen liegen bei dieser Ländergruppe deutlich unter denen der Migranten allgemein und häufig auch der Deutschen.20

Anekdotisch ist anzumerken: Ich habe mich anlässlich eines großen IZA-Workshops zur Migration aus Südosteuropa im November 2013 in Bukarest über die dortige Auswanderungsproblematik informiert. Dort beklagt man einen massiven Braindrain, insbesondere an jungen Ärzten, die pikanterweise zu vielen hunderten vor allem in Länder wie Deutschland und Großbritannien ausreisen, die sich gleichzeitig über Sozialstaatsmigration beklagen.

Tatsächlich melden einige Großstädte in Deutschland, darunter die wirtschaftlich erfolgreichen Städte München, Mannheim und Frankfurt/Main sowie die wirtschaftlich schwächeren Städte Duisburg, Berlin und Offenbach, Wohlfahrtsmigration.21 Zumindest ein Ortsbesuch mit einer rumänischen Fachkollegin in Duisburg zu Jahresbeginn und die Gespräche mit der dort tätigen kompetenten Sozialarbeit ergab ein etwas anderes Bild. Die die Medien prägende Duisburger Szene hat mit regulärer rumänischer oder bulgarischer Migration nichts zu tun. Es ist vielmehr ein etwas längerfristiges und globaleres Thema der Integration der ethnischen Minderheit der Roma, das eine besondere europäische Herausforderung darstellt, die mit der Frage der Öffnung der Arbeitsmärkte aber nichts zu tun hat.22

Grundregeln einer erfolgreichen Migrationspolitik

Will sich Deutschland angemessen zu seiner wirtschaftlichen Größe, dem Grad seiner wirtschaftlichen internationalen Verflechtung und seiner zukünftigen Herausforderungen bei der Arbeitsmigration aufstellen, so sollte es die Beachtung einiger Grunderkenntnisse nicht verweigern. Dazu gehört, die wirtschaftlichen Realitäten anzuerkennen. Zuwanderung schafft wirtschaftliche Chancen und keine Belastungen des Wohlfahrtsstaates, wenn sie aus der Sicht der Anforderungen des Arbeitsmarktes betrieben wird. Danach kann kommen, wer für den Arbeitsmarkt nützlich ist; es muss und wird gehen, wer dies nicht will oder kann. Das ist das Prinzip des gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes bei voller Freizügigkeit, wie es das Ziel der EU ist. Diese Freizügigkeit ist beschränkt, da es weiter Mobilitätshemmnisse wie mangelnde Sprachkenntnisse, unzureichende Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen oder fehlende Mitnahmemöglichkeiten von Rentenansprüchen gibt. Dies bleibt eine politische Herausforderung.

Auch sind Zuwanderer nicht einfach Einwanderer. Gerade Arbeitsmigranten kommen und gehen, sind zirkuläre Migranten; sie haben gar nicht die Absicht, dauerhaft zu bleiben.23 Das impliziert auch, dass die optimale Integration nicht die kulturelle Assimilation sein kann.24 Kulturelle Vielfalt ist eine Stärke, die sich auch auf Dauer wirtschaftlich auszahlt. Wer dauerhaft bleibt, muss deshalb nicht die kulturelle Verbindung zum Heimatland aufgeben, aber er sollte sich der Kultur des Empfängerlandes öffnen. Dies ist erfolgreicher Multikulturalismus.

Die EU und mit ihr gerade Deutschland braucht künftig mehr Zuwanderer aus anderen Teilen der Welt, auch wenn für Deutschland zunächst Osteuropa eine offensichtliche Migrationsquelle darstellt.25 Vom Arbeitsmarkt her gedacht sind dafür Modelle zirkulärer Migration denkbar, bei denen Arbeitsmigranten gemäß den Bedarfen und Wünschen von Firmen und Individuen ohne übermäßige Regulierung wandern. Dies schafft die notwendige kurzfristige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Für dauerhafte, langfristige ökonomische Zuwanderungsfragen wird man sich andere Konzepte überlegen müssen, die für Deutschland auch bereits vorgelegt wurden. Hochqualifizierte sollten auf Dauer einreisen können; sie werden am Hochschulabschluss oder einem Jahresgehalt gemessen. Dafür gibt es bereits eine rechtliche Basis, auch wenn sie noch zu wenig populär ist und damit nicht ausreichend genutzt wird. Für den wachsenden, aber komplexen Bedarf an Fachkräften braucht Deutschland ein Punktesystem, nach dem sich Interessenten weltweit ihre Chancen transparent ausrechnen können. Solche Systeme funktionieren in anderen Ländern schon, eine Anpassung für deutsche Zwecke ist nicht schwierig und Vorschläge dazu liegen vor.26 Deutschland ist aufgefordert, sie aufzugreifen.

Fazit

Ist die Zuwanderung nach Deutschland ein Problem oder eine Chance? Sie ist zunächst einmal unvermeidbar: Wir müssten die EU verlassen, um uns dem gemeinsamen Markt zu entziehen. Wir würden unsere langfristigen Interessen ignorieren, wenn wir nicht weitere Drittstaaten-Migration akzeptieren. Beides ginge einher mit einem erheblichen Verlust an wirtschaftlicher Prosperität. Diese Option ist nicht real. Alternativ müsste der gemeinsame Markt verwirklicht werden – mit Mobilitätspartnerschaften und offenen Immigrationsystemen mit Drittstaaten; dies bringt erhebliche Herausforderungen mit sich. Dieser Weg erfordert durchdachte ökonomische Anreizregelungen und den Vorrang des Arbeitsmarktes.

Anmerkung: Der Autor dankt Costanza Biavaschi, Amelie Constant, Alexander DeVivie, Annabelle Krause, Ulf Rinne und Monica Roman für wichtige Diskussionen und Anregungen. Einen breiten Überblick über die Thematik liefert K. F. Zimmermann: The Mobility Challenge for Growth and Integration in Europe, IZA Policy Paper, Nr. 69, 2013. Einige Kapitel des folgenden neuen Migrationshandbuchs dokumentieren wesentliche Befunde hinter den hier aufgestellten Analysen und Thesen: A. Constant, K. F. Zimmermann (Hrsg.): International Handbook on the Economics of Migration, Cheltenham 2013.

  • 1 Bundesministerium des Innern: Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung (Migrationsbericht 2012), mimeo, Berlin 2014; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/zuwanderung-nach-deutschland-so-hoch-wie-seit-20-jahren-nicht-mehr-a-941853.htm.
  • 2 Vgl. u.a. H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh: Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit, Aktuelle Berichte, IAB, Nürnberg, 23.12.2013.
  • 3 Vgl. J. Ritzen, K. F. Zimmermann, C. Wehner: Euroskepticism in the Crisis: More Mood than Economy, IZA Discussion Paper, Nr. 8001, 2014.
  • 4 Interview mit K. F. Zimmermann: „Das hat mich geschockt“, in: Wirtschaftswoche vom 17.2.2014, Nr. 8, S. 37.
  • 5 Vgl. K. F. Zimmermann: The Mobility Challenge ..., a.a.O.; K. F. Zimmermann: European Labour Mobility: Challenges and Potentials, in: De Economist, 153. Jg. (2005), Nr. 4, S. 425-450; T. Straubhaar, K. F. Zimmermann: Towards a European Migration Policy, in: Population Research and Policy Review, 12. Jg. (1993), Nr. 3, S. 225-241.
  • 6 Siehe als Überblick für die Analyse der Bedeutung flexibler, offener Arbeitsmärkte für den europäischen Wirtschaftsraum A. Krause, U. Rinne, K. F. Zimmermann: How Far are we from a Single European Labor Market?, mimeo., Bonn 2014.
  • 7 Ebenda.
  • 8 U. Rinne, K. F. Zimmermann: Another Economic Miracle? The German Labor Market and the Great Recession, in: IZA Journal of Labor Policy, 2012, Nr. 1, Artikel 3; dies.: Is Germany the North Star of Labor Market Policy?, in: IMF Economic Review, 61. Jg. (2013), Nr. 4, S. 702-729.
  • 9 H. Bonin, W. Eichhorst, C. Florman, M. O. Hansen, L. Skiöld, J. Stuhler, K. Tatsiramos, H. Thomasen, K. F. Zimmermann: Geographic Mobility in the European Union: Optimising its Economic and Social Benefits, IZA Research Report, Nr. 19, Institute for the Study of Labor (IZA), Bonn 2008; European Commission: Single Market Act II – Together for New Growth. Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, COM (2012) 573 final; A. Krause et al., a.a.O.
  • 10 H. Bonin et al., a.a.O.
  • 11 J. Jauer, T. Liebig, J. P. Martin, P. A. Puhani: Migration as an Adjustment Mechanism in the Crisis? A Comparison of Europe and the United States, IZA Discussion Paper, Nr. 7921, Bonn 2014.
  • 12 M. Kahanec, K. F. Zimmermann: How Skilled Immigration May Improve Economic Equality, in: IZA Journal of Migration 2014, Nr. 3, Artikel 2.
  • 13 Siehe dazu beispielsweise die ambitionierte chinesische Humankapitalpolitik analysiert in A. Constant, B. Tien, K. F. Zimmermann, J. Meng: China’s Latent Human Capital Investment: Achieving Milestones and Competing for the Top, in: Journal of Contemporary China, 22. Jg. (2013), Nr. 7, S. 109-130.
  • 14 Siehe dazu die Beiträge in dem Sammelband H. Hinte, K. F. Zimmermann (Hrsg.): Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt. Wie der demografische Wandel die Erwerbsgesellschaft verändert, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2013.
  • 15 Vgl. dazu und im Folgenden M. Kahanec, K. F. Zimmermann (Hrsg.): EU Labor Markets after Post-Enlargement Migration, Berlin u.a.O. 2009; dies.: Migration in an Enlarged EU: A Challenging Solution?, in: F. Keereman, I. Szekely (Hrsg.): Five Years of an Enlarged EU – A Positive Sum Game, Berlin u.a.O. 2010, S. 63-94; dies. (Hrsg.): Migration and the Great Recession: Adjustments in the Labor Market of an Enlarged European Community, erscheint 2014.
  • 16 Vgl. K. Brenke, M. Yuksel, K. F. Zimmermann: The Effects of EU Enlargement and the Temporary Measures on the German Labor Market, in: dies.: (Hrsg.): EU Labor Markets ..., a.a.O., S. 111-129.
  • 17 Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Weißrussland. Die Studien für die EU-Kommission unter der Leitung des IZA waren: M. Kahanec, K. F. Zimmermann, L. M. Kureková, C. Biavaschi: Labour Migration from EaP Countries to the EU – Assessment of Costs and Benefits and Proposals for Better Labour Market Matching Report Conducted for the European Commission, IZA Report, Nr. 56, Bonn 2013; L. Barbone, M. Kahanec, L. M. Kureková, K. F. Zimmermann: Migration from the Eastern Partnership Countries to the European Union — Options for a Better Future, Report Conducted for the European Commission, IZA Report, Nr. 55, Bonn 2013.
  • 18 C. Biavaschi, K. F. Zimmermann: Eastern Partnership Migrants in Germany: Outcomes, Potentials and Challenges, IZA Discussion Paper, Nr. 7861, 2013, erscheint in: IZA Journal of European Labor Studies, 2014.
  • 19 C. Giulietti, J. Wahba: Welfare Migration, in: A. Constant, K. F. Zimmermann (Hrsg.): International Handbook ..., a.a.O., S. 489-504; C. Giulietti, M. Guzi, M. Kahanec, K. F. Zimmermann: Unemployment Benefits and Immigration: Evidence from the EU, in: International Journal of Manpower, 34. Jg. (2013), Nr. 1, S. 24-38; K. F. Zimmermann, M. Kahanec, C. Giulietti, M. Guzi, A. Barrett, B. Maitre: Study on Active Inclusion of Migrants, Report for the European Commission, IZA Report, Nr. 43, Bonn 2012.
  • 20 Vgl. H. Brücker, A. Hauptmann, E. Vallizadeh, a.a.O.
  • 21 Allein die Websites der drei „prosperierenden“ Städte signalisieren einen aktiven Umgang mit der Migrationsproblematik.
  • 22 Siehe zur Problematik der Roma auch M. Kahanec, K. F. Zimmermann (Hrsg.): Ethnic Diversity in European Labor Markets: Challenges and Solutions, Cheltenham 2011.
  • 23 Zur Frage der zirkulären Migration siehe A. Constant, O. Nottmeyer, K. F. Zimmermann: The Economics of Circular Migration, in: A. Constant, K. F. Zimmermann (Hrsg.): International Handbook, a.a.O., S. 55-74.
  • 24 Zur Frage multipler Indentitäten und ihrer Implikationen für den Arbeitsmarkt siehe A. Constant, K. F. Zimmermann: Migration and Ethnicity: An Introduction, in: A. Constant, K. F. Zimmermann (Hrsg.): International Handbook ..., a.a.O., S. 13-35.
  • 25 Vgl. für Gestaltungshinweise der Migrationspolitik H. Hinte, K. F. Zimmermann: Agenda Zuwanderung: Zehn-Punkte-Aktionsplan des IZA für gesteuerte Arbeitsmigration und bessere Integration, IZA Standpunkte, Nr. 32, 2010; H. Hinte, U. Rinne, K. F. Zimmermann: Ein Punktesystem zur bedarfsorientierten Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland, Gutachten im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Bonn 2011.
  • 26 Ebenda.

Ein Plädoyer für die Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Migration innerhalb der Europäischen Union erlebt durch die Eurokrise und die EU-Osterweiterung eine Renaissance. Dominierte bis in die 1990er Jahre die Zuwanderung aus Drittstaaten das Migrationsgeschehen in Deutschland und den meisten anderen Mitgliedstaaten der EU, so entfallen heute fast drei Viertel der Zuwanderung nach Deutschland auf die Mitgliedstaaten der erweiterten EU. Zugleich ist der Zuwachs der ausländischen Bevölkerung in Deutschland mit rund 420 000 Personen 2013 auf den höchsten Wert seit Beginn der 1990er Jahre gestiegen.

Die erhöhte Migration und Arbeitsmobilität im Gemeinsamen Binnenmarkt wird in breiten Teilen der Öffentlichkeit vieler Mitgliedstaaten der EU und des Europäischen Wirtschaftraums (EWR) kritisch gesehen. In der Schweiz wurden in einem Referendum mit knapper Mehrheit die Vereinbarungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit mit der EU abgelehnt. In Deutschland wird eine heftige Debatte über die sogenannte „Armutszuwanderung“ aus Bulgarien und Rumänien und ihren Zugang zu den Sozialsystemen geführt. Glaubt man den Meinungsumfragen, würde eine Volksabstimmung in Deutschland über die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einem ähnlichen Ergebnis wie in der Schweiz führen. Allerdings spricht sich auch eine klare Mehrheit für weitere Zuwanderung aus. In Großbritannien will der Premier David Cameron die Europäischen Verträge neu verhandeln und die Arbeitnehmerfreizügigkeit zumindest einschränken. Bei den bevorstehenden Europawahlen werden in vielen Mitgliedstaaten der EU hohe Stimmengewinne für europaskeptische und rechtspopulistische Parteien erwartet. Die Beschränkung der Zuwanderung und die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind Schlüsselthemen in der Programmatik all dieser Parteien.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht übertrieben, von einer Legitimationskrise der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu sprechen. Diese Legitimationskrise ist auch eine Legitimationskrise der EU, weil die Arbeitnehmerfreizügigkeit seit den Römischen Verträgen zu den vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Binnenmarktes gehört. Sie hat den Charakter eines Grundrechts für alle Bürger der Union, das durch die Europäische Verfassung geschützt wird. Dafür gibt es gute normative Gründe. Eine Beschränkung der Freizügigkeit ist immer auch ein Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen. Insofern kann die Freizügigkeit schon für sich als Gewinn für die Wohlfahrt eines Gemeinwesens angesehen werden. Zudem ist die Freizügigkeit eine Voraussetzung für den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt in der Gemeinschaft und somit eine wichtige Bedingung für fairen Wettbewerb.

Solche grundsätzlichen Überlegungen werden die Öffentlichkeit in den meisten Mitgliedstaaten nicht überzeugen, auch wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ordnungspolitisch eine der Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Binnenmarkt ist. In der Öffentlichkeit wird eine andere Frage gestellt: Wem nützt oder schadet die Arbeitnehmerfreizügigkeit? Dahinter steht die Befürchtung, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Bevölkerung in den Zielländern schaden könnte. In diesem Beitrag werden deshalb die wirtschaftlichen Konsequenzen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Dabei werden vor allem zwei Kanäle berücksichtigt, über die die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Wohlfahrt in der EU beeinflussen kann: der Arbeitsmarkt und der Sozialstaat.

Die Gewinne durch Arbeitnehmerfreizügigkeit aus europäischer Perspektive

Betrachten wir zunächst die wirtschaftlichen Effekte der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus europäischer Perspektive. Auch wenn wir eine zunehmende Mobilität von Arbeitskräften zwischen Mitgliedstaaten mit ähnlichem Pro-Kopf-Einkommen beobachten, so entfällt der überwiegende Teil der Arbeitsmobilität auf die Wanderung von Personen aus den neuen in die alten Mitgliedstaaten der Union. Die Wanderung von Arbeitskräften aus Ländern mit geringeren Löhnen und folglich einer geringeren Grenzproduktivität des Faktors Arbeit in Länder mit höheren Löhnen führt zu einem produktiveren Einsatz von Arbeitskraft und folglich zu aggregierten Einkommensgewinnen. Diese Gewinne fallen umso größer aus, je höher das Einkommensgefälle ist. Wenn die Zahl der Erwerbspersonen in den 15 alten Mitgliedstaaten der EU (EU15) durch die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten um 1% wächst, ergibt sich langfristig ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes in der gesamten EU von 0,5% bis 0,6%. Inzwischen kann der Anteil der Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten an der Bevölkerung in den alten Mitgliedstaaten auf etwa 1,7% geschätzt werden, so dass sich ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes durch die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten von knapp 1% ergibt. Das entspricht einem aggregierten Einkommensgewinn durch den produktiveren Einsatz des Faktors Arbeit von rund 130 Mrd. Euro pro Jahr. Dies sind die Wohlfahrtsgewinne die die Gründerväter der EU im Auge hatten, als sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einer der Grundfreiheiten der Union erhoben.

Die Auswirkungen der Eurokrise

Der Nobelpreisträger Robert Mundell hat bereits 1961 darauf hingewiesen, dass eine hohe Arbeitsmobilität in einem gemeinsamen Währungsraum die wirtschaftlichen Folgen asymmetrischer Schocks deutlich dämpfen kann. Die Finanz- und Eurokrise in Europa kann als ein solcher asymmetrischer Schock verstanden werden. Auf den ersten Blick ist die Arbeitsmobilität aus den Krisenstaaten recht gering. Deutschland ist das wichtigste Zielland für Migranten aus den vier südeuropäischen Krisenstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. Allerdings belief sich die Nettozuwanderung aus diesen Ländern nach Deutschland 2013 auf nur 64 000 Personen. Die bilateralen Wanderungssalden bilden jedoch nur einen kleinen Teil der Verschiebung der Migrationsbewegungen ab, die im Zuge der Eurokrise beobachtet werden können. Die südeuropäischen Krisenstaaten, vor allem Spanien und Italien, waren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise die wichtigsten Zielländer der Migration in Europa. Seitdem ist die Zuwanderung deutlich zurückgegangen, ein Teil der Länder wie Spanien verzeichnet ein negatives Wanderungssaldo. Es hat sich eine massive Umlenkung der Migrationsströme ergeben: Erhebliche Teile der Migranten aus den neuen Mitgliedstaaten der EU haben sich im Zuge der Krise neue Zielländer gesucht. Darunter ist Deutschland mit Abstand das Wichtigste. Jüngere ökonometrische Studien zeigen, dass rund 70% des Zuwachses der Migration in Deutschland seit dem Vorkrisenjahr 2007 nicht auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen in Deutschland, sondern auf eine Verschlechterung in alternativen Zielländern zurückzuführen ist.1 In einer kontrafaktischen Situation ohne Euro- und Finanzkrise würde die Nettozuwanderung in Deutschland deshalb nur ein Drittel des gegenwärtigen Niveaus betragen.

Dieser Umlenkungsprozess hat erhebliche wirtschaftliche Folgen: Er verringert das Arbeitsangebot in den Krisenstaaten und erhöht es in prosperierenden Staaten wie Deutschland, die von der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und Kapitalzuflüssen aus den Krisenstaaten profitieren. Das senkt insgesamt die Arbeitslosenquoten in dem Europäischen Währungsraum und den anderen Mitgliedstaaten der Union und verhindert eine Überhitzung mit steigenden Löhnen und Preisen in prosperierenden Ländern wie Deutschland.

Arbeitsmarktwirkungen in den Ziel- und Herkunftsländern

Aus europäischer Perspektive führt die Arbeitnehmerfreizügigkeit also zu erheblichen Produktivitäts- und Einkommensgewinnen. Zusätzlich ergeben sich positive Effekte bei asymmetrischen Schocks wie der Finanz- und Eurokrise. Nun sind die Gewinne und Verluste aber nicht gleich auf die Herkunfts- und Zielländer und die verschiedenen Gruppen in den jeweiligen Volkswirtschaften verteilt. Die wichtigsten Gewinner sind die Migranten selbst, ihre Löhne steigen erheblich: Zu Kaufkraftparitäten steigen die Löhne für Migranten aus den EU8-Staaten um einen Faktor zwei, für Migranten aus Bulgarien und Rumänien um einen Faktor drei bis vier. Zu laufenden Wechselkursen sind die Einkommensdifferenzen noch erheblich höher. Diese beeinflussen die Wohlfahrtsgewinne der Migranten und ihrer Familienangehörigen, weil ein Teil ihres Einkommens in den Herkunftsländern konsumiert wird.

Die Einschätzung der Einkommens- und Verteilungseffekte für die einheimische Bevölkerung in den Ziel- und Herkunftsländern hängt von den Annahmen ab, die in den jeweiligen Arbeitsmarktmodellen getroffen werden. Die meisten empirischen Studien finden nur geringe Lohn- und Beschäftigungseffekte der Migration auf gesamtwirtschaftlicher Ebene – wenn überhaupt. Das kann theoretisch mit dem Umstand erklärt werden, dass sich der Kapitalstock an eine Ausweitung oder Verringerung des Arbeitsangebots anpasst. Das Faktoreinsatzverhältnis von Kapital zu Arbeit bleibt zumindest langfristig konstant. Wir müssen deshalb zwischen den kurz- und langfristigen Folgen der Migration unterscheiden. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Anpassung des Kapitalstocks recht schnell erfolgt. Das langfristige Gleichgewicht wird deshalb recht schnell, nach drei bis fünf Jahren, erreicht. Langfristig wächst der Kapitalstock in den Zielländern durch inländische Investitionen und internationale Kapitalzuflüsse, in den Herkunftsländern schrumpft der Kapitalstock mit der Abwanderung von Arbeit. Insofern ergeben sich in den Herkunftsländern nur kurzfristig Gewinne für die Arbeitskräfte in Form höherer Löhne oder besserer Beschäftigungschancen. Das kann allerdings in einer keynesianischen Krise mit hoher Arbeitslosigkeit, etwa als Folge eines Schocks wie der Finanz- und Eurokrise, helfen. Umgekehrt sind die Auswirkungen der Migration für den Faktor Arbeit insgesamt in den Zielländern langfristig neutral, kurzfristig sind die Effekte nach den meisten empirischen Studien gering.

Das heißt nicht, dass es keine relevanten Verteilungseffekte der Migration gibt. Je nachdem, ob und in welchem Umfang einzelne Gruppen im Produktionsprozess zueinander in einem Substitutions- oder Komplementaritätsverhältnis stehen, gewinnen oder verlieren einzelne Beschäftigungsgruppen. Das hängt natürlich von der Qualifikationsstruktur der Zuwanderer ab. Die große Mehrheit der jüngeren empirischen Untersuchungen zeigt, dass Migranten und Personen ohne Migrationshintergrund imperfekte Substitute im Arbeitsmarkt sind, d.h. dass Migranten auch bei gleicher Qualifikation und Berufserfahrung nur unvollkommen mit Einheimischen im Arbeitsmarkt konkurrieren. Das kann auf Sprache, unterschiedliche Bildungssysteme, Arbeitsmarktdiskriminierung und andere Faktoren zurückgeführt werden. Diese Arbeitsmarktsegmentierung wiederum bewirkt, dass die einheimischen Arbeitskräfte in fast allen Qualifikationsgruppen von der Zuwanderung profitieren, während sich die negativen Effekte auf die bereits im Land lebenden Zuwanderer konzentrieren. Sie sind die wirtschaftlichen Verlierer des Anstiegs der Zuwanderung, während die meisten einheimischen Arbeitskräfte gewinnen.

Über die Verhältnisse in den Herkunftsländern ist weniger bekannt. Auch hier hängen die Effekte der Zuwanderung von der Qualifikationsstruktur ab, aber auch, ob die Auswanderer arbeitslos sind oder in Arbeitsmarktsegmenten mit starker Arbeitslosigkeit beschäftigt sind. Die Auswanderer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten und den Krisenstaaten sind deutlich jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt und im Durchschnitt besser qualifiziert als die Bevölkerung in den Herkunftsländern. Allerdings konzentriert sich in diesen Kohorten häufig auch die Arbeitslosigkeit. Simulationsstudien zeigen deshalb, dass aufgrund dieser Struktureffekte die Arbeitslosigkeit in den Herkunftsländern durch Abwanderung sinkt, so dass die schwächer Gestellten nicht per se durch die Abwanderung qualifizierter und hochqualifizierter Arbeitskräfte verlieren.

Auch das Phänomen des Brain Drain wird von der jüngeren Literatur sehr viel differenzierter als in der Vergangenheit beurteilt.2 Die jüngere Forschung zeigt, dass Migration die individuellen Anreize in Bildung zu investieren erhöht, weil die Rendite von Humankapitalinvestitionen durch Migration steigt. Weil aber nur ein Teil der potenziellen Migranten später tatsächlich migriert oder viele Migranten auch in ihre Herkunftsländer zurückkehren, kann sich auch bei einer Nettoauswanderung von qualifizierten Migranten eine höhere Humankapitalausstattung in den Herkunftsländern ergeben. Empirische Untersuchungen finden für diese These Belege. Gerade bei den mittel- und osteuropäischen Herkunftsländern der EU und den südeuropäischen Krisenstaaten können wir in den vergangenen beiden Dekaden eine erhebliche Bildungsexpansion beobachten.

Es ergeben sich also insgesamt aus europäischer Perspektive durch die Wanderung von Arbeitskräften steigende Löhne und eine Verringerung der Arbeitslosigkeit. Diese Effekte sind umso größer, wenn Migranten aus Ländern mit geringen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit in Länder mit hohem Einkommen und geringer Arbeitslosigkeit wandern. In den Ziel- und Herkunftsländern sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt recht gering, allerdings können einzelne Gruppen im Arbeitsmarkt deutlich gewinnen oder verlieren. Die Arbeitsmarktwirkungen der Migration können also schwerlich vor dem Hintergrund der vorliegenden empirischen Erkenntnisse als Argument für eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit herangezogen werden. Im Gegenteil, aus europäischer Perspektive werden Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt verringert und auch in den Zielländern gewinnen die einheimischen Arbeitskräfte.

Auswirkungen auf den Sozialstaat

Auf den ersten Blick wirft die Zuwanderung von Arbeitskräften Kosten für den Sozialstaat in den Zielländern auf: Personen mit Migrationshintergrund haben in Deutschland im Durchschnitt rund doppelt so hohe Arbeitslosen- und SGB-II-Leistungsbezieherquoten im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund. Auch die durchschnittlichen Steuer- und Abgabenzahlungen sind geringer. Allerdings sind die Migranten im Durchschnitt sehr viel jünger als die einheimische Bevölkerung. Das Durchschnittsalter von Neuzuwanderern beträgt in Deutschland 27 Jahre. Der Anteil der Bezieher von Leistungen der Renten- und Pflegeversicherungen ist unter den Migranten deshalb sehr viel geringer als in der einheimischen Bevölkerung, das Gleiche gilt für Leistungen der Krankenkassen. Per saldo leistet die Migrationsbevölkerung deshalb zumindest aus statischer Perspektive einen positiven Nettobeitrag zur fiskalischen Bilanz der öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungssysteme. Dieser Beitrag wird von Holger Bonin mit 2000 Euro pro Ausländer und Jahr quantifiziert.3 Zwar sinken diese Beiträge langfristig, weil auch die Migrationsbevölkerung altert. Aber auch langfristig ergibt sich nach Berechnungen von Bonin ein positiver Nettobeitrag.4

Dieses Bild dürfte sich künftig noch deutlich verbessern. Die Qualifikation der Neuzuwanderer ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Der Anteil der Hochschulabsolventen ist deutlich höher als im deutschen Bevölkerungsdurchschnitt, er belief sich 2010 auf 43%. Nach den Angaben des Mikrozensus ist der Anteil der Hochschulabsolventen unter den Neuzuwanderern im Zuge des massiven Anstiegs der Migration 2012 zwar auf 35% gesunken, liegt aber immer noch über dem Bevölkerungsdurchschnitt (25%). Der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist zwar unter den Neuzuwanderern ebenfalls höher als in der deutschen Bevölkerung, aber hat sich in der vergangenen Dekade halbiert. Insgesamt sind die Neuzuwanderer sehr viel besser in den Arbeitsmarkt integriert als etwa die Migranten der Gastarbeitergeneration. Die Arbeitslosen- und Leistungsempfängerquoten liegen bei den Neuzuwanderern bei etwa 10% und sind somit nur geringfügig höher als in der einheimischen Bevölkerung. Entsprechend ergeben sich höhere fiskalische Gewinne der öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungssysteme.

Das gilt auch für die öffentlich besonders kontrovers diskutierte Gruppe der Bulgaren und Rumänen. Zwar ist das durchschnittliche Bildungsniveau der Bulgaren und Rumänen nicht so hoch wie im Durchschnitt der Neuzuwanderer, aber auch hier ist der Anteil der Hochschulabsolventen höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. Allerdings war nach den Angaben des Mikrozensus der Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung mit 28% deutlich höher als in der Bevölkerung insgesamt. Aber die Mehrheit der Bulgaren und Rumänen sind Arbeits- und keine Armutszuwanderer: In den Sommermonaten sind rund zwei Drittel der hier lebenden Bulgaren und Rumänen erwerbstätig, in den Wintermonaten gut die Hälfte. Der Anteil der SGB-II-Leistungsempfänger liegt bei gut 10%, die Arbeitslosenquote war zur Jahresmitte 2013 geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt. Auch der Anteil der Kindergeldempfänger ist deutlich niedriger als in der deutschen Bevölkerung. Allerdings zeigen sich in einigen Kommunen wie Duisburg, Dortmund und Berlin erhebliche Integrationsprobleme. Aber hier geht es bislang weniger um hohe Quoten von Beziehern sozialer Transferleistungen, sondern um ein anderes Phänomen: In diesen Orten sind große Teile der Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien weder als erwerbstätig registriert noch beziehen sie Transferleistungen wie Hartz-IV. Dies stellt die betroffenen Kommunen vor erhebliche soziale Probleme, ist aber nicht repräsentativ für die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien insgesamt. Insofern ist das Bild, dass die Zuwanderung aus den ärmeren EU-Mitgliedstaaten zu hohen Anteilen von Leistungsbeziehern führt, nicht korrekt. Zudem besteht die Chance, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu sinkenden Arbeitslosigkeits- und Leistungsempfängerquoten führen wird: Im Falle der EU8-Staaten ist zwei Jahre nach Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit die Arbeitslosenquote um mehr als 5 Prozentpunkte und die SGB-II-Leistungsbezieherquote um 1,2 Prozentpunkte gesunken.

Risiken für den Sozialstaat in den Herkunftsländern

Aufgrund der günstigen Altersstruktur der Zuwanderer ist der Sozialstaat also gegenwärtig der Gewinner der Zuwanderung. Das ist auch ein Ergebnis der intergenerationalen Umverteilung der Rentenversicherungssysteme zugunsten der älteren Generationen. Mit zunehmender Qualifikation der Neuzuwanderer und einer besseren Integration dieser Gruppen in den Arbeitsmarkt steigen diese Gewinne. Hier zeichnet sich aber ein erhebliches Verteilungsproblem zwischen den Ziel- und Herkunftsländern der Migration im Gemeinsamen Binnenmarkt ab: Auch die Herkunftsländer sind ähnlich wie Deutschland vom demografischen Wandel betroffen. In Bulgarien und Rumänien sind bereits rund 10% der Bevölkerung in andere EU-Staaten ausgewandert. Diese Wanderungsverluste verschärfen die Kosten des demografischen Wandels in den Herkunftsländern, vor allem die Belastungen der Rentenversicherungssysteme. Altersarmut könnte eine der Folgen sein. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit stellt insofern weniger eine Bedrohung für die Sozialstaaten der Zielländer, sondern eher für die Herkunftsländer dar. Dies wird in Zukunft eine der großen Herausforderungen der Europäischen Integration werden.

  • 1 S. Bertoli, H. Brücker, J. Fernández-Huertas Moraga: The European crisis and migration to Germany: expectations and the diversion of migration flows, IZA Discussion Paper, Nr. 7170, 2013.
  • 2 Vgl. T. Boeri, H. Brücker, F. Docquier, H. Rapoport (Hrsg.): Brain drain and brain gain: the global competition to attract high-skilled migrants, Oxford 2012.
  • 3 H. Bonin: Der Finanzierungsbeitrag der Ausländer zu den deutschen Staatsfinanzen: eine Bilanz für 2004, IZA Discussion Paper, Nr. 2444, 2006.
  • 4 Ebenda.

Title:Migration into Germany – a Problem or an Opportunity for the Labour Market?

Abstract:The size and composition of the most recent wave of immigrants to Germany and the potential effects of immigration on employment and the wages of native workers are the focus of the above articles. The authors agree that Germany needs immigration. But the benefit for locals depends on the migrants’ human capital endowment. Most of these immigrants are EU citizens. Thus, the existence of a sizeable amount of low-skilled immigration cannot be prevented. A major challenge is going to be to alleviate unwanted effects by integrating low-skilled immigrants into the labour market and finding adequate jobs for the high-skilled. A flexible labour market is the most important prerequisite for continued labour market success of immigrants in Germany. Labour migration contributes necessary flexibility to the German economy aids, its global integration and provides needed human resources. The single EU labour market has to be complemented by labour mobility partnerships with other countries.


DOI: 10.1007/s10273-014-1652-3

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