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Der Erfolg einer Politik wird häufig mit dem Umfang der eingesetzten Finanzmittel gleichgesetzt. Die Autoren dieses Beitrag halten eine solche Einschätzung für verfehlt. Vielmehr sollten die Kosten dem Nutzen gegenübergestellt und einzelne Instrumente nicht mit unterschiedlichen Zielen überfrachtet werden. Die EU-Agrarpolitik der letzten Dekaden liefert Beispiele für Fehleinschätzungen des Politikerfolgs.

Es ist eine verbreitete Gepflogenheit politischer Akteure, die öffentlichen Ausgaben für ein Politikfeld als politischen Erfolg darzustellen. Hier ist nicht die Rhetorik von Lobbyisten und von klientelorientierter Politik gemeint, die den Erhalt und den Ausbau von Subventionen für ihre Zielgruppe bereits als Erfolg wertet. Vielmehr geht es um die Suggestion, dass bestimmte öffentliche Ausgaben für ein Politikfeld zur Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele gerechtfertigt sind. Das konkrete Niveau öffentlicher Ausgaben oder auch dessen Änderung erscheinen bisweilen beliebig: Die Höhe der Ausgaben wird oftmals als „angemessen“ oder „genau richtig“ zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele interpretiert, während eine Ausgabenzunahme oder -abnahme eine veränderte Prioritätensetzung signalisiert.

Auch in der Agrarpolitik der Europäischen Union ist die Einschätzung verbreitet, hohe öffentliche Ausgaben seien Zeichen einer erfolgreichen Politik. Zwar ist die EU-Agrarpolitik und deren Finanzierung von wissenschaftlicher Seite immer wieder kritisch hinterfragt worden;1 doch in der politischen Debatte wird die Höhe der EU-Agrarausgaben gern als zur Erreichung der agrarpolitischen Ziele notwendig gewertet oder auch beklagt, dass sie vergleichsweise gering gegenüber anderen Politikfeldern seien. Tatsächlich erscheinen die Ausgaben für ein Politikfeld als vergleichsweise gering, wenn man diese in Bezug zu einer möglichst großen Zahl setzt: So kostete die EU-Agrarpolitik in der letzten Finanzierungsperiode von 2007 bis 2013 die Bevölkerung in der EU jährlich pro Kopf ca. 117 Euro oder nur ca. 32 Cent täglich.2 Sind solch geringe Ausgaben nicht gerechtfertigt?

Auch auf Seiten der Wissenschaft findet sich bisweilen eine Fokussierung auf öffentliche Ausgaben bei der Bewertung von Politiken. In einem aktuellen Beitrag untersucht Schöpe die Entwicklung der Ausgaben für die EU-Agrarpolitik.3 Er schreibt unter anderem zu den Ausgaben für die Agrarpolitik in Deutschland: „Ein Vergleich der Bürgerbelastung pro Kopf macht deutlich, dass die „Kosten“ für die Agrarpolitik mit 126 Euro pro Kopf der Bevölkerung im Vergleich zu anderen Politikbereichen wie Verteidigung, öffentliche Sicherheit usw. vergleichsweise niedrig ausfallen“. Und: „Als Fazit lässt sich festhalten, dass weder aus Sicht der Steuerzahler die Ausgaben für die Erreichung der agrarpolitischen Ziele mit weniger als 1% am Gesamthaushalt zu hoch sind, noch aus Sicht der Verbraucher eine übermäßige Belastung durch überhöhte Nahrungsmittelpreise stattgefunden hat.“4 Schließlich: „kann der europäischen Agrarpolitik durchaus Erfolg bescheinigt werden“5. Wir sind der Meinung, dass man den Erfolg von Politiken auf der Grundlage von Ausgabenindikatoren nicht wirklich bewerten kann.

Aktuell haben sich im sogenannten Trilog das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat der Europäischen Union auf die Ausgestaltung und die Finanzierung der Agrarpolitik für den Zeitraum von 2014 bis 2020 geeinigt. Zentrales Element dieser Politik bleiben die Direktzahlungen, die von dem vorgesehenen Finanzvolumen für die Agrarpolitik insgesamt (420 Mrd. Euro in Haushaltsrubrik 2: Nachhaltiges Wachstum und natürliche Ressourcen) allein 312 Mrd. Euro (inklusive Marktausgaben) ausmachen.6 Zu der politischen Einigung über die künftige EU-Agrarpolitik erklärt der zuständige EU-Kommissar Cioloş: „Mit ihr wird die Gemeinsame Agrarpolitik neu ausgerichtet, um die Erwartungen der Gesellschaft … besser zu erfüllen. Die Einigung wird grundlegende Änderungen zur Folge haben: Das System der Direktzahlungen wird gerechter und ökologischer … Diese Beschlüsse sind die selbstbewusste Antwort der EU auf die Herausforderungen der Ernährungssicherheit, des Klimawandels und des Wachstums und der Beschäftigung in den ländlichen Gebieten.“7 Ohne derartige politische Statements überbewerten zu wollen, ist eine gewisse Skepsis angebracht. Belegen die beschlossenen Haushaltszahlen zur Agrarpolitik wirklich, dass gesellschaftliche Ziele bestmöglich erreicht werden und eine erfolgreiche Politik umgesetzt wird? Beispielsweise schreibt die Europäische Kommission zur Einigung über den EU-Haushaltsrahmen 2014 bis 2020 an anderer Stelle: „Mindestens 20% der Haushaltsmittel werden für klimarelevante Projekte und Maßnahmen ausgegeben. …, so dass 180 Mrd. Euro für den Klimaschutz in allen maßgeblichen Ausgabenbereichen … zur Verfügung stehen könnten.“8 Ist dem interessierten Beobachter hier etwas entgangen? Es wird nicht erklärt, durch welche Haushaltstitel die EU bislang nennenswert zur Senkung von CO2-Emissionen beigetragen hätte bzw. dies künftig noch verstärkt tun wird.

Klare Zielfokussierung erforderlich

Wir halten es für angebracht, einige grundlegende Fragen der wissenschaftlichen Analyse und Bewertung von Politiken zu rekapitulieren. Es ist zunächst erforderlich, die mit einer Politik verfolgten Ziele klar zu benennen und zu operationalisieren, d.h. mit geeigneten Indikatoren handhabbar zu machen. Eine Politik ist dann effektiv, wenn sie die Erreichung eines Ziels verbessert, und bei einer Bewertung von Politiken sollte diese Zielerreichung deshalb im Vordergrund stehen. Im nächsten Schritt ist dieser Zielbeitrag einer Politik (Nutzen) zu dem Aufwand für diese Politik (Kosten) in Beziehung zu setzen; und in einem dritten Schritt ist diese Ziel-Mittel-Betrachtung bzw. Nutzen-Kosten-Betrachtung für eine politische Maßnahme vergleichend mit anderen politischen Maßnahmen darzustellen. Solche einfachen Zusammenhänge sind für die Diskussion durchaus hilfreich.

Es ist nun genauer zu klären, wie man die Kosten einer Politik ermittelt.9 Die Kosten einer Politik sind nicht identisch mit den Staatsausgaben für diese Politik. So wird z.B. die Biogasproduktion in der EU nicht direkt durch Staatsausgaben finanziert, sondern durch eine Umlage über die Verbraucher von Strom. Wäre es nicht abwegig, in diesem Fall von einer kostenlosen Förderung zu sprechen? Ökonomen sind sich einig, dass die Kosten einer Politik stets als Verzicht auf Zielverwirklichung zu identifizieren sind. Als Maßstab bietet es sich daher an zu ermitteln, ob die Gesellschaft als Folge einer bestimmten Politik besser gestellt wird, ob also der Nutzen größer ist als die Kosten. Leider ist es nicht immer einfach, Nutzen und Kosten einer Politik zu identifizieren und in monetären Größen zu quantifizieren. Als erste Annäherung empfehlen Ökonomen zu überprüfen, wie sich durch eine bestimmte Politik das Sozialprodukt verändert. Wird es dadurch verringert, kann es dennoch sinnvoll sein, die Politikänderung positiv zu bewerten, wenn ein positiver Beitrag zu nicht-ökonomischen Zielen erreicht wird und der gleiche Beitrag nicht auch durch eine andere Politik mit geringeren Kosten erreicht werden könnte. Die Betrachtung der öffentlichen Ausgaben für eine Politik erlaubt deshalb noch keine Bewertung, selbst wenn im Einzelfall die volkswirtschaftlichen Kosten mit den Ausgaben identisch sind. Auch in diesem Fall müssen die Ausgaben in Beziehung zur Zielerreichung (Nutzen) gesetzt und mit anderen Politiken verglichen werden. Ein Beispiel: Eine Politik A trägt dann zum Klimaschutz bei, wenn sie den CO2-Ausstoß vermindert; setzt man diese Emissionsverminderung ins Verhältnis zum Aufwand, so zeigen die CO2-Vermeidungskosten der betrachteten Politik deren Wirksamkeit für den Klimaschutz; und diese müsste vergleichend zu den CO2-Vermeidungskosten einer Politik B gesehen werden. Eine solche Herangehensweise an Politikbewertung ist einleuchtend und natürlich im Einzelfall nicht einfach; dennoch stellt sie den grundlegenden Anspruch an Politikbewertung dar. Die verkürzte und vereinfachende Betrachtung nur von öffentlichen Ausgaben löst das Bewertungsproblem nicht und kann sogar irreführend sein.

Bewertung der EU-Agrarpolitik

Legt man diese Überlegungen einer Bewertung der EU-Agrarpolitik zugrunde, lassen sich einige kritische Punkte feststellen. Ob diese Politik ihr Geld wert war, ist und künftig sein wird, lässt sich nur differenziert beantworten, wenn berücksichtigt wird, wie sich die Ziele und Maßnahmen der EU-Agrarpolitik geändert haben und noch weiter ändern. Hier sollen drei Phasen unterschieden werden: die protektionistische Preispolitik bis in die 1990er Jahre, die Einführung von Direktzahlungen und die Ausrichtung auf die Politik für den ländlichen Raum seit der MacSharry-Reform 1992 sowie die neue Ausrichtung ab 2014. Der Grundansatz der protektionistischen Preispolitik, über die Anhebung von Produktpreisen Einkommenspolitik für Landwirte zu betreiben, ist vielfach diskutiert und kritisiert worden.10 Diese Politik hat mit wachsenden Überschüssen seit den 1980er Jahren nicht nur zu einer Explosion öffentlicher Ausgaben, zu steigenden volkswirtschaftlichen Kosten und zu starker internationaler Kritik geführt. Sie ist ein Musterbeispiel dafür, dass die einkommenspolitische Zielsetzung mit einem ungeeigneten Instrument verfolgt worden ist und zu einer hohen Belastung für die Steuerzahler und die Verbraucher geführt hat. Der internationale Druck der Uruguay-Runde hat maßgeblich zur Reform der EU-Agrarpolitik und zum Ende ihrer ersten Phase beigetragen.

Die Einführung von Direktzahlungen im Zuge der Mac­Sharry-Reform und die spätere Entkopplung dieser Direktzahlungen nach den Luxemburger Beschlüssen von 2003 haben wesentlich zu einer Verbesserung der Zielerreichung der Einkommens- und Schutzpolitik für die EU-Landwirtschaft beigetragen, während sich das Ausgabenniveau für die EU-Agrarpolitik insgesamt kaum geändert hat. Die Direktzahlungen waren als Kompensation und Übergangsinstrument administrativer Preissenkungen gedacht, um Anpassungen an niedrigere Weltmarktpreise abzufedern. Der Ausbau der Politik für den ländlichen Raum war eine Reaktion auf neue gesellschaftliche Ziele und Anforderungen an die EU-Agrarpolitik. Die 2. Säule sollte insbesondere zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums beitragen.11 In seinem jüngst veröffentlichten Sonderbericht kommt der Europäische Rechnungshof zu der Schlussfolgerung: „dass die Kommission und die Mitgliedstaaten nicht hinreichend nachgewiesen haben, was in Bezug auf die Ziele der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums erreicht wurde, und dass es keine ausreichende Gewähr dafür gibt, das die Haushaltsmittel der EU sinnvoll eingesetzt worden sind.“12

Dass die Wirkung einzelner Maßnahmen der sogenannten 2. Säule auf die verfolgten Ziele nicht hinreichend klar ist, wird vielfach beklagt;13 einzelne Maßnahmen haben mitunter keinen nachweisbaren positiven Effekt oder wirken auf mehrere Ziele gleichzeitig ein, so dass eine exakte Ziel-Mittel-Analyse nicht möglich ist. „Die Mitgliedstaaten dämmten die Risiken von Mitnahme- und Verdrängungseffekten nicht ausreichend ein und stellten daher nicht sicher, dass die Mittel möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden“14. Bei anderen Maßnahmen ist der positive Nutzeneffekt sogar bisweilen konstruiert, z.B. bei umweltpolitischen Effekten der Ausgleichszulage. Darüber hinaus ist ein zunehmender bürokratischer Aufwand und auch Aktionismus bei Programmierung und Evaluierung von Maßnahmen in der 2. Säule zu beobachten, der das Problem der Wirkung und Bewertung von Politiken eher nicht zu lösen vermag. Hier zeigt sich in der Tat ein neues Dilemma in der Bewertung von Politik: Mit zunehmenden gesellschaftlichen Ansprüchen an die Agrarpolitik und einem differenzierten Instrumenteneinsatz wird eine geeignete Politikbewertung komplexer und kaum mehr möglich. Angesichts dieser Entwicklung erscheint ein Rückfall auf eine bloße Ausgabenbetrachtung zwar aus politischer Sicht verständlich, aber dadurch wird das Problem nicht gelöst. Wie ist mit diesem Dilemma umzugehen? Wäre es nicht sinnvoll, die öffentlichen Ausgaben auf solche Maßnahmen zu konzentrieren, die zielgerichtet, administrativ zu bewältigen und deren Erfolge prüfbar sind? Der Europäische Rechnungshof stellt in Bezug auf Agrarumweltmaßnahmen z.B. fest „dass, Konzeption und Verwaltung nur in einer Minderheit der Fälle auf spezifischen quantifizierten Nachweisen beruhen.“15

Mit der aktuellen Reformdiskussion und der Einigung zur künftigen EU-Agrarpolitik wollen die politischen Akteure vor allem neue Herausforderungen angehen. Im Kern bleibt die 2-Säulen-Struktur der EU-Agrarpolitik bestehen, die Direktzahlungen bleiben das zentrale Element dieser Politik, und es wird eine verstärkte ökologische Ausrichtung angestrebt. Die Kommission selbst benennt folgende Elemente der Neuausrichtung: die GAP (gemeinsame Agrarpolitik) soll ausgewogener die Stellung der Landwirte innerhalb der Lebensmittelversorgungskette stärken und zudem ökologischer sowie effizienter und transparenter sein.16 In Bezug auf die Ausgaben gibt es leichte Kürzungen bei den Gesamtausgaben und den Direktzahlungen sowie eine verstärkte Umschichtung in die 2. Säule im neuen Finanzierungszeitraum. Das Niveau und die Struktur der Ausgaben für die „neue“ Agrarpolitik unterscheiden sich jedoch nicht wesentlich von der „alten“. Sind diese künftigen Ausgaben für die EU-Agrarpolitik gerechtfertigt?

Agrarpolitik als Verteilungspolitik

Offensichtlich ist der Kommission und den beteiligten Akteuren an einer gerechteren, wie die Kommission es nennt: ausgewogeneren, Verteilung der Direktzahlungen zwischen Mitgliedstaaten, Regionen und Landwirten gelegen. Künftig soll gewährleistet werden,17 dass spätestens 2019 kein Mitgliedstaat weniger als 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts erhält, in einzelnen Betrieben soll die Hektarbeihilfe dann mindestens 60% der regionalen Durchschnittsprämie betragen, und Mitgliedstaaten können künftig für die „ersten Hektarflächen“ eines Betriebs höhere Beihilfen gewähren, so dass z.B. in Deutschland ein Zuschlag von 50 Euro für die ersten 30 ha und von 30 Euro für weitere 16 ha eingeführt werden soll.18 Das ist offensichtlich Verteilungspolitik „pur“, eine weitergehende agrarpolitische und gesamtwirtschaftliche Begründung ist nicht erkennbar.

Auf EU-Ebene gibt es immer noch keine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik und eine supranationale Einkommens- und Transferpolitik ist eigentlich nicht vorgesehen. Mit den Vorschlägen zur Reform der GAP nach 2013 ist ein Wiederaufleben der klassischen Einkommenspolitik im Agrarbereich über direkte Transferzahlungen aus der Brüsseler Kasse zu beobachten. Nach den Euro-Rettungsaktivitäten ist das zwar kein Einzel- und Sonderfall mehr, aber doch bemerkenswert. Es wäre interessant zu diskutieren, welche konkreten Vorstellungen und Ziele hinter der beabsichtigten Umsetzung einer sektoralen Einkommenspolitik auf supranationaler Ebene stehen und ob eine solche überhaupt eine supranationale Aufgabe ist. Wirklich konsequent und eine „echte“ Reform wäre stattdessen die Abschaffung der Direktzahlungen auf europäischer Ebene und eine Verortung der sektoralen Einkommenspolitik in die jeweilige nationale Einkommens- und Sozialpolitik.

Es ist interessant, wie sich die Diskussion um die Legitimierung von Direktzahlungen im Zeitablauf entwickelt hat. Diese waren ursprünglich für die alten Mitgliedsländer der EU als Kompensation und Übergangsinstrument nach dem Abbau der protektionistischen Preispolitik gedacht; während für die neuen EU-Mitgliedsländer ein solches Kompensationsargument nicht gegeben war. Indessen stellt sich die Frage, wie lange dieser Übergangsprozess noch dauern soll. Zudem haben sich die Rahmenbedingungen auf den Weltagrarmärkten geändert: Bei hohen internationalen Agrarpreisen erübrigt sich das Argument der Einkommenskompensation als Folge der Senkung administrativer Preise.19 So hat es neue Legitimierungsversuche für Direktzahlungen gegeben. Sind Direktzahlungen gerechtfertigt durch höhere Standards in der EU-Agrarwirtschaft, dienen sie der Aufrechterhaltung einer flächendeckenden Landbewirtschaftung oder sind sie gar als „pauschales Entgelt“ für ökologische Leistungen der Landwirtschaft zu interpretieren? Sind sie angesichts der „Entlassung“ der Landwirtschaft in den Markt und instabiler Weltmarktpreise eine Art Risikoprämie für die Ernährungssicherung in Europa? Sind sie schließlich erforderlich, um in der Landwirtschaft ein Grundeinkommen zu gewährleisten20 – wie von der Kommission betont – oder werden sie weitgehend über höhere Pachtpreise auf Bodeneigentümer überwälzt? Man mag solche Argumente diskutieren,21 aber es ist unwahrscheinlich, dass ein pauschales Instrument wie die derzeitigen Direktzahlungen eine differenzierte und zielorientierte Politikgestaltung im konkreten Fall darstellt. Eher zeigt die Legitimierungsdiskussion ein interessantes Problem praktischer Politikgestaltung auf, wenn nicht die Instrumente den Zielen folgen, wie es sein sollte, sondern die Ziele den Instrumenten zu folgen scheinen.22

Ineffiziente Zielerreichung

Neben dieser wissenschaftlichen Kritik an den Direktzahlungen hat auch der Europäische Rechnungshof bereits 2008 festgestellt, dass die Direktzahlungen zu der Mehrzahl der offiziell deklarierten Ziele der EU-Agrarpolitik nicht effizient beitragen.23 Vor diesem Hintergrund erscheint die Legitimierung von Direktzahlungen für die künftige EU-Agrarpolitik fraglich. Bietet vielleicht die angestrebte weitere Ökologisierung dieser Politik eine bessere Legitimationsgrundlage? Tatsächlich sollen 30% der künftigen Direktzahlungen an Betriebe nur dann gezahlt werden, wenn diese bestimmte, dem Klima- und Umweltschutz förderliche Bewirtschaftungspraktiken einhalten. Vorgesehen sind drei grundlegende Praktiken:24 die Erhaltung von Dauergrünland, die Anbaudiversifizierung und die Ausweisung von „ökologischen Vorrangflächen“ von zunächst mindestens 5% der Ackerfläche eines Betriebes.

Bei aller Differenzierung von Ausgestaltungsmöglichkeiten wird hier ein politisches Instrument mit entsprechenden Ausgaben angeboten, das mit den gleichen Bewirtschaftungsauflagen für Betriebe zwischen Finnland und Spanien und zwischen Frankreich und Polen einen wirksamen Beitrag für Umwelt- und Klimaschutz leisten soll. Eine solche Politik ist nicht zielgerichtet und kann daher auch nicht effizient sein. Auch bei einer Ökologisierung der Agrarpolitik sollte klar sein, welche Ziele man konkret verfolgen und mit welchen geeigneten Instrumenten man diese umsetzen will, bevor „grüne“ Direktzahlungen als Instrument postuliert werden.

Angemerkt sei hier, dass die sogenannte Ökologisierungsprämie sowohl von Seiten der Landwirtschaft als auch von Seiten des Umwelt- und Naturschutzes überwiegend begrüßt wird. Ist das ein typisches Beispiel für eine politische Allianz, bei der aus landwirtschaftlicher Sicht die Legitimierung von Transferzahlungen unterstützt wird und mögliche betriebliche Anpassungen in Grenzen gehalten werden, die aus umweltpolitscher Sicht „irgendwie“ in die richtige Richtung weist und aus Sicht der beteiligten politischen Akteure erfolgreiches politisches Handeln dokumentiert? Es ist nicht erkennbar, ob und wie bei der Neuausrichtung der Direktzahlungen Kritik und Empfehlungen aus der Wissenschaft oder vom Europäischen Rechnungshof berücksichtigt wurden.

Internationale Konsequenzen

Bei der Einigung auf die künftige EU-Agrarpolitik werden wieder einmal mögliche internationale Konsequenzen dieser Politik wenig thematisiert. Die „alte“ protektionistische EU-Agrarpolitik ist wesentlich an diesen internationalen Konsequenzen gescheitert, weil sie zu einem Preisdruck auf den Weltagrarmärkten geführt hat und eine „unfaire“ Konkurrenz gegenüber Landwirten aus Drittländern war. Heute ist die Situation eine andere. Bei hohen internationalen Agrarpreisen wird diskutiert, inwieweit die EU heute den Anstieg von Agrarpreisen verstärkt, z.B. durch die Förderung erneuerbarer Energien und die Landnutzung zur Produktion von Biomasse. Wenn also EU-Agrarpolitik, z.B. durch die Ausweisung „ökologischer Vorrangflächen“, tendenziell zu einer Verschärfung globaler Landnutzungskonflikte beiträgt, sollte das zumindest ein Diskussionspunkt in der öffentlichen politischen Debatte sein. Wie bemerkenswert wenig internationale Verflechtungen und Handelsbeziehungen für die Frage der Gestaltung der EU-Agrarpolitik eine Rolle spielen, zeigt sich in weiteren Vorstellungen zu deren künftiger Gestaltung. So sollen etwa „gekoppelte Beihilfen … für eine begrenzte Zahl an Erzeugnissen möglich sein, darunter eine spezifische Kopplung von 2% für Pflanzenprotein, womit die Abhängigkeit von den entsprechenden Einfuhren verringert werden soll.“25 Welche neue handelspolitische Maxime mag hinter einem solchen Vorschlag stehen?

Wird also die EU-Agrarpolitik mit ihren derzeitigen Vorstellungen für die Finanzierungsperiode 2014 bis 2020 den neuen agrarpolitischen Herausforderungen gerecht? Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik hat bereits 2010 wichtige Herausforderungen diskutiert und drei zentrale Handlungsfelder hervorgehoben. So könnte man sich fragen, inwieweit die künftige EU-Agrarpolitik stärker auf das Thema Ernährungssicherung fokussiert sein müsste. Wie könnte der Beitrag zur Sicherung der Welternährung ausgebaut werden, welchen Beitrag kann sie künftig zur Verbesserung von Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln und Rohstoffen leisten und zu einer gesunden Ernährung beitragen?

Angesichts der Bedeutung internationaler Agrarmärkte könnte sich EU-Agrarpolitik künftig verstärkt Fragen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Agrarsektors widmen. Und schließlich könnte die künftige EU-Agrarpolitik sich noch stärker als bisher auf die konsequente Förderung öffentlicher Güter konzentrieren. Konkret wäre zu fragen, ob und wie die EU-Landwirtschaft wirksam in die Klimaschutzpolitik einbezogen werden soll, wie die bedrohliche Abnahme der biologischen Vielfalt wirksam gestoppt werden kann und welchen Beitrag Agrarpolitik zur Entwicklung ländlicher Räume angesichts des demografischen Wandels leisten kann. Vor dem Hintergrund solcher Fragen wirken die tatsächlichen Vereinbarungen eher bescheiden, in ihrer Wirkung auf die angesprochenen grundlegenden Ziele sehr begrenzt und insgesamt nicht überzeugend. Zitieren wir noch einmal EU-Kommissar Cioloş:26 „Diese Beschlüsse sind die selbstbewusste Antwort der EU auf die Herausforderungen der Ernährungssicherheit, des Klimawandels und des Wachstums und der Beschäftigung in den ländlichen Gebieten“.

Bedeutung der Politikberatung

Natürlich sind Wissenschaftler nicht weltfremd. Natürlich ist Politik immer auch die „Kunst des Möglichen“, es geht auch um Besitzstandswahrung und Interessenausgleich, und Schritte sind bisweilen klein, aber sollten in die richtige Richtung weisen. Man darf der Kommission bescheinigen, dass sie mit ihrem ursprünglichen Vorschlag und der jetzigen Einigung versucht, Interessen auszutarieren. Welche Interessen aber werden hier austariert und warum bleibt die praktische Politikgestaltung hinter gesellschaftlichen Herausforderungen und Zielen zurück? Offensichtliche Fragen sind, ob die Politik solche gesellschaftlichen Herausforderungen überhaupt oder nur begrenzt angehen kann oder will, welche Rolle dabei Kritik und Empfehlungen aus der Wissenschaft und von mit der Problematik befassten Gremien und Institutionen zukommt und welchen Einfluss heute generell öffentliche Debatten und Kommunikationsprozesse bei der Politikgestaltung haben. Diese Fragen können wir hier nicht vertiefen. Wir meinen aber, dass trotz aller Komplexität von Problemen und den Beschränkungen politischer Prozesse die Ansprüche an die Bewertung von Politiken klar sein und bestehen bleiben sollten.

Wir haben in unserem Beitrag kritisiert, dass die bloße Betrachtung öffentlicher Ausgaben für die EU-Agrarpolitik nicht geeignet ist, den Erfolg dieser Politik zu bewerten. Vielmehr muss die Zielerreichung im Vordergrund stehen, die Kosten und nicht die Ausgaben müssen hierzu in Beziehung gesetzt werden, und dieser Ziel-Mittel-Zusammenhang für eine Politik ist mit Alternativen zu vergleichen. Das erfolgt jedoch häufig nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße. Bei einer Neuausrichtung von Politiken ist oftmals nicht erkennbar, wie Kritik an und Erfahrungen mit bisherigen Politiken berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund und angesichts der aktuell postulierten Ziele und Herausforderungen für die EU-Agrarpolitik sind die öffentlichen Ausgaben für diese Politik kritisch zu betrachten. Die Ausgangsfrage unserer Betrachtung: Ist die EU-Agrarpolitik ihr Geld wert?“ beantworten wir eher mit „nein“.

Dieser Artikel wurde im Januar 2014 als Sonderbeilage in der Zeitschrift „Agra-Europe“ veröffentlicht. Vgl. D. Kirschke, U. Koester, A. Häger: Ist die EU-Agrarpolitik ihr Geld wert?, in: Agra-Europe, Sonderbeilage, 1/2/14, 6.1.2014, S. 1-5.

  • 1 G. Anania et al.: A Common Agricultural Policy for European Public Goods, Declaration by a Group of Leading Agricultural Economists, 2009, http://www.reformthecap.eu/posts/declaration-on-cap-reform (9.12.2013); Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik: Kurzstellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission über die Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik bis 2020, 2011, http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/Kurzstellungnahme-WBA.html (9.12.2013); Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik: EU-Agrarpolitik nach 2013. Plädoyer für eine neue Politik für Ernährung, Landwirtschaft und ländliche Räume, 2010, http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/GutachtenGAP.html (4.12.2013); F. Isermeyer: Die Begrün(d)ung der Gemeinsamen Agrarpolitik?, in: Loccumer Protokolle 05/2012, Rehburg-Loccum 2012, http://www.ti.bund.de/fileadmin/dam_uploads/vTI/Bilder/Startseite/Startseite_2012/GAP-Reform/2012_Loccum_Protokoll%2005-12%20Auszug%20Isermeyer.pdf (5.12.2013); V. Zahrnt: Reform the CAP. Harvest a better Europe, 2013, http://www.reformthecap.eu/home (6.12.2013).
  • 2 Eigene Berechnungen nach Europäische Kommission: Finanzrahmen 2007-2013, 2013, http://ec.europa.eu/budget/figures/fin_fwk0713/fwk0713_de.cfm#cf07_13 (4.12.2013); European Commission: EU agriculture – Statistical and economic information – 2012, Tab. 2.0.1.1, http://ec.europa.eu/agriculture/statistics/agricultural/2012/index_en.htm (5.12.2013).
  • 3 M. Schöpe: Streitpunkt öffentliche Ausgaben für die Landwirtschaft, in: ifo Schnelldienst, 17/2013, S. 20-29.
  • 4 Ebenda, S. 25.
  • 5 Ebenda, S. 28.
  • 6 Europäische Kommission: Eine Billion Euro für die Zukunft Europas – der Haushaltsrahmen der EU für 2014-2020, IP/13/1096, 2013, http://ec.europa.eu/budget/mff/index_en.cfm (5.12.2013), S. 11.
  • 7 Europäische Kommission: Politische Einigung über eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik, IP/13/613, 2013, http://ec.europa.eu/agriculture/cap-post-2013/agreement/index_en.htm (4.12.2013), S. 1.
  • 8 Europäische Kommission: Eine Billion Euro …, a.a.O., S. 7.
  • 9 Vgl. hierzu bereits die Diskussion von U. Koester, S. Tangermann: Zur Frage der Kosten der Agrarpolitik, in: Agra Europe, 48, Dokumentation, 1972.
  • 10 U. Koester, S. Tangermann: Alternativen der Agrarpolitik. Eine Kosten-Nutzen-Analyse im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, in: Landwirtschaft – Angewandte Wissenschaft, H. 182, Hiltrup 1976; Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik: Zur Weiterentwicklung der EU-Agrarreform in der EU, 1996, http://www.bmelv.de/SharedDocs/Downloads/Service/AnWis/Heft459.html (4.12.2013); D. Kirschke, G. Weber: EU-Agrarpolitik: Entwicklung, Stand und Perspektiven, Humboldt-Universität zu Berlin, Working-Paper 71/2004, http://ageconsearch.umn.edu/bitstream/7088/2/wp040071.pdf (5.12.2013).
  • 11 Rat der Europäischen Union: Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20.9.2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), 2005, Art. 3, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2005R1698:20111221:DE:PDF (18.12.2013).
  • 12 Europäischer Rechnungshof: Können die Kommission und die Mitgliedsstaaten nachweisen, dass die EU-Haushaltsmittel für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raum sinnvoll eingesetzt werden?, Sonderbericht 12/2013, S. 7.
  • 13 U. Koester, S. Senior Nello: Pillar II: a real improvement of the CAP?, in: S. Senior Nello, P. Pierani (Hrsg.): International Trade, Consumer Interests and Reform of the Common Agricultural Policy, Routledge Studies in the European Economy, Oxon 2010, S. 59-77; Europäischer Rechnungshof: Umsetzung des Leader-Konzepts zur Entwicklung des ländlichen Raums, Sonderbericht 5/2010; Europäischer Rechnungshof: Wie gut sind Konzeption und Verwaltung der geförderten Agrarumweltmaßnahmen?, Sonderbericht 7/2011; Europäischer Rechnungshof: Betriebsprämienregelung: Fragestellungen im Hinblick auf besseres Finanzmanagement, Sonderbericht 5/2011; Europäischer Rechnungshof: Können die Kommissionen …, a.a.O.; Europäischer Rechnungshof: Haben die Mitgliedstaaten und die Kommission die Mittel für die Maßnahmen zur Diversifizierung der ländlichen Wirtschafft effizient eingesetzt?, Sonderbericht 6/2013.
  • 14 Europäischer Rechnungshof: Können die Kommissionen …, a.a.O., S. 6.
  • 15 Europäischer Rechnungshof: Wie gut sind Konzeption …, a.a.O., S. 44.
  • 16 Europäische Kommission: Politische Einigung über …, a.a.O.
  • 17 Ebenda.
  • 18 Agrarministerkonferenz: Agrarministerkonferenz am 4.11.2013 in München, Ergebnisprotokoll, 2013, https://www.agrarministerkonferenz.de/Dokumente-AMK-Dokumente.html (5.12.2013).
  • 19 U. Koester: EU-Agrarpolitik: Hohes Potential für Budgeteinsparungen, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 8, S. 502-503.
  • 20 U. Koester: The CAP in Disarray: EU Commission Proposes Basic Direct Payments to EU Farmers, in: Intereconomics, 47. Jg. (2012), H. 3, S. 170-174.
  • 21 D. Kirschke: Die Zukunft der Direktzahlungen, in: Loccumer Protokolle 04/2008, Rehburg-Loccum 2008.
  • 22 F. Isermeyer, a.a.O.
  • 23 Europäischer Rechnungshof: Ist die Cross-Compliance Regelung wirksam?, Sonderbericht 8/2008.
  • 24 Europäische Kommission: GAP-Reform – Erläuterung der wichtigsten Aspekte, IP/13/937, 2013, http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-937_de.htm (5.12.2013).
  • 25 Europäische Kommission: Politische Einigung über …, a.a.O., S. 2.
  • 26 Ebenda, S. 1.

Title:Does the European Common Agricultural Policy Offer Value for Money?

Abstract:Expenditure for the Common Agricultural Policy (CAP) has been in the centre of recent policy debate in the preparation of the Financial Framework for the period 2014-2020. Expenditure has generally been considered as the necessary costs for the achievement of the CAP objectives. The authors of this article argue that expenditure is not equal to the economic costs of a policy. Moreover, they claim that the main part of CAP expenditure is not well targeted for the achievement of the CAP’s objectives. The bulk of expenditure is for direct payments tied to agricultural land and, hence, contributes little if anything to CAP’s objectives as laid down in the treaties of the European Union or officially articulated elsewhere.


DOI: 10.1007/s10273-014-1669-7

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