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Obwohl in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Einzelbereichen der Umweltpolitik (z.B. im Gewässerschutz, bei chemischen Stoffen oder der Sanierung von Altlasten) große Erfolge erzielt wurden, nehmen die Umweltbelastungen nicht ab. Andauernde Umwandlung von naturnahen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen, intensive Bodennutzung, Belastungen der Gewässer sind hierfür nur einige Beispiele.1 Das alles passiert, obwohl wir uns darüber bewusst sind, dass die Ressourcen der Natur endlich und wertvoll sind. Doch das Wissen um diesen Wert spielt bei unseren täglichen Entscheidungen trotzdem kaum eine oder gar keine Rolle. In der Regel wählen wir ein Gut mit dem niedrigsten Preis und nehmen dafür die Natur und ihre Leistungen umfassend in Anspruch. Für ihren Erhalt sind wir nicht bereit, zusätzliche Kosten aufzuwenden.

Aus ökonomischer Sicht liegt das unter anderem daran, dass die Leistungen der Natur zwar knapp sind, wir sie aber dennoch größtenteils kostenlos nutzen können; es handelt sich um öffentliche Güter.2 Das führt dazu, dass wir bei einer konkreten Entscheidung (z.B. als Konsumenten von Nahrungsmitteln oder als kommunale Entscheidungsträger bei der Flächennutzung) die Leistungen der Natur wie selbstverständlich für immerwährend verfügbar halten – obwohl wir um ihre Knappheit wissen.

Anders als bei den meisten anderen Gütern und Dienstleistungen oder bei Produktionsfaktoren wie Arbeitskraft und Kapital gehen die Leistungen der Natur in der Regel nicht mit einem Preis in wirtschaftliche Entscheidungen ein. Die Folgen sind offensichtlich: Übernutzung von Naturressourcen, Ausbreitung und übermäßiger Eintrag von Schadstoffen mit negativen Konsequenzen für das menschliche Wohlbefinden, aber auch für Teile der Wirtschaft.

Aus diesem Gedankengang heraus ist „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) entstanden.3 Deutschland initiierte 2007 im Rahmen seiner damaligen EU-Rats-Präsidentschaft diese internationale Studie. Sie sollte die Zusammenhänge zwischen den Leistungen der Natur, der Wertschöpfung der Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen sichtbar machen. TEEB wurde mit Hilfe zahlreicher Institutionen und unter der Schirmherrschaft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durchgeführt.

Um die Fragestellungen und Forschungsansätze der internationalen Studie auch auf Deutschland anzuwenden, wurde 2012 die deutsche Nachfolgestudie „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ ins Leben gerufen.4 Das Vorhaben will mit der ökonomischen Abschätzung des Naturkapitals erreichen, dass die Leistungen der Natur besser in private und öffentliche Entscheidungsprozesse einbezogen werden können. So sollen die natürlichen Lebensgrundlagen und die biologische Vielfalt langfristig erhalten werden. Das Projekt flankiert somit die Umsetzung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Naturschutzzielen und -strategien, insbesondere der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt.5

Abbildung 1
Konzept des ökonomischen Gesamtwertes
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Quelle: Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Einführung, München u.a.O. 2012, S. 53.

Erfassung von Leistungen der Natur

Aus ökonomischer Sicht ist das Konzept des ökonomischen Gesamtwerts („total economic value“) die Basis, um die Leistungen der Natur zu erfassen (vgl. Abbildung 1). Hier wird der Versuch unternommen, alle Arten von nutzenstiftenden Leistungen der Natur mit Werten zu belegen. Zu den ökonomischen Werten gehören zum einen nutzungsabhängige Werte, die dadurch entstehen, dass Naturressourcen direkt genutzt oder „verbraucht“ werden:6 Dies umfasst direkte Nutzwerte, wie z.B. die Nutzung der Natur und ihrer Leistungen für Konsum- und Produktionszwecke oder den Genuss einer schönen Landschaft, sowie indirekte Nutzwerte, also ökologische Leistungen der Natur, die dem Menschen indirekt nützen, wie z.B. der Wert einer Aue als Retentionsfläche für Schadstoffe oder als Überschwemmungsfläche bei Hochwasser. Zum anderen gehören zum ökonomischen Gesamtwert Werte, die nicht von einer direkten Nutzung der Natur abhängen. Hierzu zählen (a) Existenzwerte, bei denen allein die Kenntnis vom Vorhandensein einer seltenen Art für eine höhere Zufriedenheit sorgt und somit einen positiven Nutzen stiftet; (b) Vermächtniswerte, die aus dem Anliegen entstehen, nachfolgenden Generationen die Natur so zu hinterlassen, dass diese denselben Nutzen aus ihr ziehen können, wie die heutige Generation; sowie (c) altruistische Werte, bei denen Menschen mitunter einen Nutzen empfinden, wenn andere Menschen einen Zugang zu Umweltressourcen haben. Dazwischen steht der Optionswert: Hierbei handelt es sich um eine Art Versicherungsprämie für die zukünftige, potenzielle Nutzung – z. B. die Option, die Natur als Genpool zu nutzen.

Das Konzept des ökonomischen Gesamtwerts ist also sehr breit gefasst. Die Werte gehen über einen direkten Nutzen für den Menschen oder den Nutzen der Natur allein für die Wirtschaft (= wirtschaftlicher Nutzen) weit hinaus. Ganz wesentlich befördert dieses Konzept den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur, indem es auch ihren indirekten Nutzen deutlich aufzeigt. Nicht erfasst sind nur die sogenannten „Eigenwerte der Natur“, also der Schutz von Arten oder einzelnen Ökosystemen „um ihrer selbst willen“7.

Moorböden als Schätze für den Klimaschutz

Um die Breite des Ansatzes handhabbar zu machen, gliedert „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ das Themenfeld in vier Berichte, die von Wissenschaftlern sowie weiteren Experten erstellt werden:

  1. Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte
  2. Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen – Erfassung und Inwertsetzung
  3. Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen
  4. Naturkapital Deutschland – Neue Handlungsmöglichkeiten ergreifen

Im Februar 2014 ist der erste Bericht erschienen.8 Sein Fokus liegt auf den klimabezogenen Ökosystemleistungen der Natur, womit an aktuelle klima- und energiepolitische Debatten angeknüpft wird. Folgende Fragestellungen stehen im Vordergrund:

  • Welche positiven Leistungen erbringt die Natur für die Verminderung von Treibhausgasemissionen (Mitigation)?
  • Welchen Beitrag leisten die Ökosysteme in Deutschland zur Anpassung an den Klimawandel (Adaptation)?
  • Welche Perspektiven gibt es für eine ökosystembasierte Klimapolitik, um die Leistungen der Natur für Mitigation und Adaptation gezielt zu nutzen?
  • Wie können Zielkonflikte zwischen Klimapolitik und Naturschutz vermieden oder vermindert werden?

Wichtige Beispiele aus diesem Bericht behandeln die Themen „Moore“ und „Grünland“. So sind Moore und kohlenstoffreiche (Moor-)Böden wahre Schätze für den Klimaschutz. Sie speichern in einem erheblichen Ausmaß Klimagase. Werden sie hingegen trockengelegt und z.B. landwirtschaftlich genutzt, emittieren sie über viele Jahre lang Treibhausgase. Zwar befinden sich nur rund 8% der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands auf kohlenstoffreichen Böden, doch werden mehr als 30% der Emissionen aus der Landwirtschaft genau dort freigesetzt. Das sind immerhin rund 4,3% der jährlichen deutschen Gesamtemissionen.9 Es ist daher dringend geboten, bestehende Moore zu erhalten und ehemalige Moorstandorte wieder zu vernässen. Dies ergibt sich (a) aus ökonomischen Gründen, weil die Kosten einer Wiedervernässung – verglichen etwa mit Solarenergie oder Bioenergie aus Mais – sehr gering sind; aber auch (b) aus ökologischen Gründen, weil die Moore z.B. Wasser reinigen und regulieren, das Mikroklima verbessern und die biologische Vielfalt erhalten. So berechneten Wüstemann et al., dass durch ein aus den Zielen der Nationalen Biodiversitätsstrategie abgeleitetes Maßnahmenprogramm auf über 300 000 ha Moorbodenfläche in Deutschland Klimaschäden im Umfang von 217 Mio. Euro jährlich (bei angenommenen Schadenskosten von 70 Euro pro t CO2) vermieden werden könnten.10

Gesamtgesellschaftlich ist es deshalb absurd, wenn auf der einen Seite viel Geld für Klimaschutz ausgegeben und auf der anderen Seite die Landwirtschaft auf Moorböden teuer subventioniert wird. Richtigerweise hat die Politik in der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) 2012 hierauf reagiert und eine Deckelung des Anbaus von Energiemais auf kohlenstoffreichen Böden festgelegt. Man muss abwarten, ob dies ausreicht.

Die Erhaltung von Grünland ist eine zweite wichtige Maßnahme für den Klimaschutz. Doch in der Realität sind rund 15% der Grünlandflächen Deutschlands in den letzten 20 Jahren verloren gegangen11 – durch Viehzucht, die auf intensive Stallhaltung übergeht, durch die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Energiepflanzen und durch die Umwandlung von Grünland in Siedlungs- und Verkehrsflächen. Auf etwa 50% der umgebrochenen Grünlandflächen wird anschließend Mais zur Energieproduktion angebaut.12 Mehr Mais in Monokultur bedeutet aber einen höheren Wasser- und Düngemittelbedarf, stärkere Degradation und Erosion des Bodens und einen wachsenden Verlust an biologischer Vielfalt. Diese Entwicklung ist nicht nur aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes äußerst bedenklich, sondern auch aus Klimasicht. Reutter und Matzdorf haben ermittelt, dass die ackerbauliche Nutzung von besonders artenreichem Grünland in Deutschland zu einer Freisetzung von 88 t bis 187 t CO2 pro ha und Jahr führen würde, eine weitere Umwandlung von 5% der Bestände zu Klimaschäden von jährlich rund 436 Mio. Euro.13 Grünlandumbruch muss deshalb vermieden und die Produktion von Energie-Biomasse umweltfreundlicher gestaltet werden.

Fazit

Diese Beispiele belegen, wie die Leistungen der Natur für eine ökosystembasierte Klimapolitik genutzt werden können und welche Vorteile sich hieraus auch aus ökonomischer Sicht ergeben. Doch der Ansatz der ökonomischen Bewertung der Natur geht weiter: Es geht darum, diejenigen zu überzeugen, die bisher keinen Wert auf Natur legen, weil sie die Leistungen der Natur gar nicht erkennen und schon gar nicht in Entscheidungen berücksichtigen. Mit der ökonomischen Perspektive sollen zusätzliche Argumente geschaffen werden. Damit geht es um eine Bewusstseinsschärfung für den Wert der Natur und ihre Leistungen als Grundlage für Wohlstand, Prosperität und Lebensqualität.

  • 1 Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen: Umweltgutachten 2012 „Verantwortung in einer begrenzten Welt“, Berlin 2012, www.umweltrat.de; Umweltbundesamt (Hrsg.): Daten zur Umwelt, Ausgabe 2011 (Umwelt und Landwirtschaft), Dessau 2012.
  • 2 Vgl. The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB): The Economics of Ecosystems and Biodiversity in National and International Policy Making, London, Washington DC 2011, S. 51.
  • 3 Vgl. TEEB: Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität. Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren. Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine Synthese, Bundesamt für Naturschutz, Bonn 2010.
  • 4 Vgl. Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Einführung, München u.a.O. 2012.
  • 5 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, Bonn 2007; zur EU-Strategie siehe Europäische Union: Die Biodiversitätsstrategie der EU bis 2020, Brüssel 2011.
  • 6 Siehe dazu Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Welt im Wandel. Umwelt und Ethik. Sondergutachten, Marburg 1999, S. 47 ff.; erweiterter Ansatz: TEEB – The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Ecological and Economic Foundations, Edited by Pushpam Kumar, London, Washington DC 2010, S. 195.
  • 7 Zu den Begründungen für Naturschutz aus ethischer Sicht und zur Einordnung unterschiedlicher ethischer, naturschutzbezogener und ökonomischer Argumente vgl. U. Eser, A.-K. Neureuther, H. Seyfang, A. Müller (Hrsg.): Prudence, Justice and the Good Life: A Typology of Ethical Reasoning in Selected European National Biodiversity Strategies, im Erscheinen.
  • 8 Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte: Kurzbericht für Entscheidungsträger, Berlin, Leipzig 2014.
  • 9 Ebenda, S. 38 ff.
  • 10 H. Wüstemann, J. Meyerhoff, M. Rühs, A. Schäfer, V. Hartje: Financial costs and benefits of a program of measures to implement a National Strategy on Biological Diversity in Germany, in: Land Use Policy, 36. Jg. (2014), S. 307-318.
  • 11 Vgl. dazu www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/gruenlandumbruch; ferner Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Biodiversität im Grünland – unverzichtbar für Landwirtschaft und Gesellschaft, Bonn, Oktober 2013.
  • 12 Vgl. A. Tietz, M. Bathke, B. Osterburg: Art und Ausmaß der Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen für außerlandwirtschaftliche Zwecke und Ausgleichsmaßnahmen, Arbeitsberichte aus der TI-Agrarökonomie, 2012/05, Braunschweig 2012.
  • 13 Vgl. M. Reutter, B. Matzdorf: Leistungen artenreichen Grünlands, in: K. Grunwald, O. Bastian (Hrsg.): Ökosystemdienstleistungen – Konzepte, Methoden, Fallbeispiele, Berlin, Heidelberg 2013, S. 216-224.


DOI: 10.1007/s10273-014-1671-0