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Das Kommunikationsverhalten der EZB wird verschiedentlich kritisiert. Zwei Instrumente, „mehr Transparenz“ und „Forward Guidance“, stehen dabei im Mittelpunkt. Die Veröffentlichung von Protokollen der EZB-Ratssitzungen wird immer wieder angemahnt, und die EZB gibt mittlerweile eine Vorausschau auf die langfristig geplante Zinsentwicklung. Vor der Krise lag die EZB im Transparenz-Ranking weit vorn, die Bekämpfung der Krise hat allerdings eine größere Geheimhaltung erforderlich gemacht. Tatsächlich wird die Geldpolitik der EZB durch die neuen Kommunikationsinstrumente berechenbarer und kann entsprechend leichter zur Rechenschaft gezogen werden.

EZB-Präsident Mario Draghi dringt darauf, dass die EZB im Sinne einer Stärkung ihrer Transparenz künftig Sitzungsprotokolle veröffentlicht.1 Aber ist das wirklich eine gute Idee? Wie ist eine namentliche Offenlegung, wer im EZB-Rat wie abgestimmt hat, zu bewerten?

Transparenz bedeutet dabei, dass die Notenbank der Öffentlichkeit und den Märkten sämtliche relevanten Informationen über ihre Strategie, ihre Einschätzungen und ihre geldpolitischen Entscheidungen sowie ihre Verfahren offen, klar und zeitnah zur Verfügung stellt. Kurzum, der Öffentlichkeit soll die Geldpolitik der EZB vermittelt werden, damit diese dann glaubwürdiger und effektiver wird. Dies beinhaltet, dass die EZB erläutert, wie sie ihren Auftrag erfüllen will und welche geldpolitischen Ziele sie verfolgt.2

Die Debatte über eine transparentere EZB wurde dadurch belebt, dass sich ihre Aufgaben in der Krise verändert haben. Sie ist mit dem Securities Markets Programme (SMP) und den unbegrenzten Outright Monetary Transactions (OMT) in die Nähe der Übernahme fiskalpolitischer Aufgaben geraten und betreibt mittlerweile nicht mehr eine reine Geldpolitik. Wie die Finanzminister sollte sie deshalb vor Parlamenten detailliert Rechenschaft ablegen. Für eine Rechenschaftspflichtigkeit spricht auch, dass die Geldpolitik tendenziell re-nationalisiert wurde, wie nicht zuletzt die Belebung nationaler Bankensysteme durch die „emergency liquidity assistance“ (ELA) zeigt.3

Allein die Pressemitteilung der EZB erlaubt es Außenstehenden nicht, sich ein angemessenes Bild über die geldpolitische Debatte im Rat zu verschaffen – erst recht nicht, wenn der EZB über die quasi-fiskalischen Engagements substanzielle neue Aufgaben etwa im Bereich der Finanzstabilität zuwachsen und dadurch Widersprüche zum Ziel der Preisstabilität nicht ausgeschlossen sind. Die EZB könnte die Transparenz ihrer Politik fundamental erhöhen, wenn sie Sitzungsprotokolle – etwa nach dem Muster der US Fed (Federal Reserve Bank) und der Bank of England – veröffentlichte.

Dies würde die stabilitätsorientierte Politik der Bank unterstützen: Zum einen diszipliniert die Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen die Ratsmitglieder, die Qualität der geldpolitischen Diskussion ständig weiter zu erhöhen, und sie wirkt den Neigungen einzelner Mitglieder entgegen, von der „Euroraum-weiten“ Betrachtung in nationales Denken und Entscheiden abzuweichen. Zum anderen dürfte das Veröffentlichen von Sitzungsprotokollen – verglichen mit dem Status quo – zu einer besseren „Balance der Einflussmacht“ zwischen dem EZB-Direktorium und den nationalen Notenbankpräsidenten führen.4 Dies ist auch aus deutscher Sicht interessant, da die Bundesbank in letzter Zeit Minderheitspositionen gegen das im Vergleich zu nationalen Notenbankgouverneuren ungleich mächtigere EZB-Direktorium vertrat.5 Abweichende Meinungen könnten auch ohne namentliche Nennung leicht identifiziert werden. Die Argumente für das Veröffentlichen von Sitzungsprotokollen werden angesichts der Vergrößerung des EZB-Rates im Zuge der anstehenden Erweiterungen des Währungsraums noch gewichtiger. Nicht nur die Zahl der Mitglieder wird steigen, was die Diskussion vielschichtiger macht, sondern es wird ab dem 19. Mitglied auch zu einer komplexen Reform der Abstimmungsmodalitäten, die zu Irritationen in der Öffentlichkeit führen könnte, kommen.6

Es sei betont: Sitzungsprotokolle müssen nicht notwendigerweise die Diskussionsbeiträge der Ratsmitglieder preisgeben; sie sollen die Öffentlichkeit aber über Inhalt, Debatte und Entscheidungen zur Geldpolitik im EZB-Rat informieren. Ein Problem ist, dass die Ratsmitglieder, Gouverneure der nationalen Zentralbanken, von ihrer Regierung unter Druck gesetzt werden könnten, im Sinne ihres Landes zu stimmen. Die Unabhängigkeit der Ratsmitglieder wäre dann gefährdet. Zudem gilt: je expliziter das Protokoll ausfällt, desto mehr ist zu befürchten, dass brisante Tagesordnungspunkte künftig nur noch informell unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen werden.7 Schon allein die statistische Verteilung der Argumente und Stimmen reicht aus, um die EZB unter Druck zu setzen. Sie muss erklären, inwiefern ihre Beschlüsse in Einklang mit ihrem europäischen Mandat stehen. Eine namentliche Zuordnung ist hierfür nicht erforderlich.

Transparenzdefizite der EZB

Hat die EZB ein Transparenzdefizit – wie es einige Beobachter attestieren – vor allem vor dem Hintergrund ihrer in der Krise stetig gewachsenen Bedeutung? Im Hinblick auf die Geldpolitik ist weitgehend akzeptiert, dass unabhängige Notenbanken ihre Politiken so wählen, dass die Wirtschaftssubjekte sie verstehen und, wenn nötig (weil die Geldpolitik riskiert, von ihrem vorgegebenen Ziel abzuweichen), ihrer Kritik Ausdruck verleihen können. Aus dieser Sicht ist Transparenz ein entscheidendes Instrument, um die Geldpolitik mit den Stabilitätspräferenzen der Bevölkerung in Einklang zu bringen.8

Zwar lag die EZB in verschiedenen Transparenz-Rankings für die Vorkrisenzeit recht weit vorne.9 Jedoch schwand diese Transparenz im Rahmen des SMP. Die EZB veröffentlichte lediglich die Menge der wöchentlich angekauften Staatsanleihen, ohne jedoch Details wie die Zusammensetzung und Laufzeiten der Bonds, die Kriterien oder den geplanten Umfang der Käufe offenzulegen.10 Dieses Transparenzdefizit ist gerade im Vergleich mit der Fed und der Bank of England bei ihren Quantitative-Easing-Programmen frappierend. Diese beiden Zentralbanken informierten detailliert, um vor den Steuerzahlern Rechenschaft abzulegen.11

Die EZB begründete ihre „Secrecy“ häufig offiziell damit, dass sie für das Funktionieren des Anleihekaufprogramms notwendig sei. Andernfalls nehme man dem Programm seine Effektivität. Denn vollständige Transparenz (darüber, dass es zunächst überwiegend Griechenland- und später Italien- und Spanien-Anleihen waren) hätte in den Nordländern der Eurozone für erheblichen Widerstand gesorgt, was die Finanzstabilität zusätzlich gefährdet hätte. Dieses Argument wirkt nur vorgeschoben, denn Händler können durch einen Abgleich der Marktdaten mit den wöchentlich von der EZB publizierten Ankaufsdaten die von der EZB angekauften Anleihen identifizieren.12 Zudem wurde ein weiterer Grund offensichtlich: klare interne Meinungsunterschiede im EZB-Rat zum Thema Anleihekäufe – im Falle des SMP noch ausgeprägter als bei den OMT, gegen die offensichtlich nur der Bundesbankpräsident opponierte. Trichet nannte dies beschönigend „overwhelming majority“ statt der üblichen „unanimous decision“, eine Klassifizierung, die seit dem Beitritt Maltas und Zyperns zur Eurozone nicht nur einmal vorkam.13

Auch bei den Long-term-refinancing-operations (LTRO), mit denen die EZB im Rahmen von langfristigen Refinanzierungsgeschäften Zentralbankgeld im Umfang von insgesamt 1 Billion Euro zur Verfügung stellte, tat sich die EZB in Hinblick auf die Transparenz schwer. Die Spreads für Anleihen der Problemstaaten fielen zeitgleich mit der Gewährung dieser Liquiditätsspritze, was den Verdacht aufkommen ließ, dass die zusätzliche Liquidität teilweise für den direkten Kauf von Staatsanleihen verwendet wurde („Sarko trade“). Obwohl die Bedenken zunahmen, ob die Banken diese zusätzlichen Mittel zieladäquat eingesetzt haben, mangelte es an veröffentlichten Informationen, so dass die Analysten im „Monetary Experts Panel“ des Europäischen Parlaments die Effekte der LTRO nicht konsequent untersuchen konnten.

Die Transparenzdefizite wiegen schwer, weil auch die europäische Öffentlichkeit, vor allem das Europäische Parlament, dem gegenüber die EZB rechenschaftspflichtig ist, für mehr Transparenz der EZB-Entscheidungen streitet.14 Mehr Transparenz bei der EZB würde Konfusion über ihre unkonventionelle Geldpolitik sowie negative Nebeneffekte vermeiden helfen.

Gibt es andere Möglichkeiten, die Transparenz zu erhöhen und die EZB-Politik besser zu erklären als Einblicke in Sitzungsprotokolle? Die größtmögliche Transparenz liefern traditionell feste Wechselkursbindungen, die sicherstellen, dass die Geldpolitik mit dem Wechselkursziel übereinstimmt und die eine direkte Zentralbankaufsicht mit formaler Kontrolle durch die Regierung ermöglichen. Feste Wechselkursbindungen sind für die EZB wegen des Trends zu flexiblen Wechselkursen und vor allem zur Absicherung ihrer Unabhängigkeit nicht realistisch. Dies erhöht den Druck, andere Aspekte der Transparenz zu verstärken, um die Zentralbanken besser gegenüber ihren „Stakeholders“ zur Rechenschaft ziehen zu können.15

Warum dann nicht eine Rückkehr zu einem Zwischenziel wie eine strenge Regelbindung – beispielsweise als Indikator für den geldpolitischen Kurs die Wachstumsrate der Geldbasis oder des Kreditwachstums? Der EZB war es ja auch in den Jahren zuvor gelungen, mit ihrer Zwei-Säulen-Strategie und einer geeigneten Definition von Preisstabilität (die heutzutage verschiedene Assetpreisentwicklungen mit einschließen müsste) mit einer konsistenten und konsequent auf diese Kennziffern ausgerichteten Kommunikation einen Rahmen zu schaffen, der den Marktteilnehmern durch die Beobachtung rechtzeitig eintreffender Daten erlaubte, die EZB-Reaktion auf wirtschaftliche Entwicklungen recht treffsicher selbst einzuschätzen.16

Zinsausblick – „Forward Guidance“

Im Zuge der Transparenzdebatte ist die EZB auch dazu übergangen, einen Zinsausblick („Forward Guidance“) zu geben. Was ist von diesem Instrument zu halten? Sollte die EZB über die Krise hinaus an dem Instrument der „Forward Guidance“ festhalten? Der weiter nach vorne gerichtete Zinsausblick ist nach Aussage von EZB- und Bank-of-England-Vertretern kein Versprechen, die Leitzinsen „niedriger zu lassen als es zukünftig nötig sein wird“, also Inflation hinzunehmen. Eine Vorabfestlegung auf einen zeitinkonsistenten Politikpfad soll eben keinen zusätzlichen Stimulus veranlassen. Vielmehr soll mit dem Zinsausblick die Einschätzung der EZB vor dem Hintergrund der weithin gedämpften Inflationsaussichten und allgemeiner die zu erwartende Reaktionsfunktion der Bank verdeutlicht werden.17 Bankenvertreter beschreiben somit nichts anderes als eine Politikregel für ihren zukünftigen Zinspfad. Dies ist positiv zu bewerten, denn insbesondere in Zeiten höherer Unsicherheit können Transparenz und Klarheit helfen, Orientierung zu geben und die Erwartungen der Marktteilnehmer zu stabilisieren. Damit ist dies ein indirektes Instrument, um die Kreditkonditionen zu lockern und die Kreditvergabe und das Wirtschaftswachstum zu stimulieren, ohne die Zinsen weiter zu senken.18

„Forward guidance“ bei der Fed scheint hingegen Michael Woodfords Vorschlag für Zentralbanken an der Nullzinsgrenze zu folgen: eine glaubwürdige Vorabfestlegung auf einen Nullzins auch für die Periode, für die die ökonomischen Rahmenbedingungen längst einen Zins größer als Null nahelegen, könnte die Erwartungen steuern und die Zinsen am langen Ende herunterbringen.19 Die Fed hält am Nullzins fest, solange die Arbeitslosenrate 6,5% nicht unterschritten hat, obwohl Schätzungen geldpolitischer Reaktionsfunktionen auf die Notwendigkeit eines Leitzinses von größer Null verweisen. Diese Inkonsistenz wollen EZB und Bank of England vermeiden.

Zu begrüßen wäre es, wenn die noch sehr frische Betonung der „Forward Guidance“ bei EZB und Bank of England den Einstieg in den Ausstieg aus ihrer unkonventionellen Geldpolitik und eine Entwicklung hin zu einer regelgebundenen Geldpolitik signalisierte. Die EZB wird aber sicherlich noch daran arbeiten, zukünftig Begriffskonfusionen wie im vorigen Jahr zwischen Asmussen, der zunächst die Woodford-Version für die EZB vereinnahmte, und Mario Draghi zu vermeiden.20 Der EZB-Präsident weiß nur zu gut, dass die „Forward Guidance“ immer nur in Abhängigkeit vom Inflationsausblick zu formulieren ist. Andernfalls würde er gegen das „inflation only“ der Verträge verstoßen, denn die Woodford-Version lässt zu, dass Zinssätze trotz des Beginns eines Inflationsanstiegs nahe Null gehalten werden.

Die „Forward Guidance“ in Federal-Reserve-Interpretation kann zudem die Bereitschaft von Investoren, Risiken zu übernehmen, noch erhöhen. Monetäre Überschussliquidität kann in diesem Fall in andere Länder fließen und dort Stabilitätsrisiken hervorrufen.21 Auf der wirtschaftspolitischen Konferenz in Jackson Hole wurde dieses Jahr sogar formuliert, Nullzinsen machten die Übernahme von Risiken billig, die „Forward Guidance“ mache sie sogar kostenlos. Zweifellos schafft sie in der Woodford-Version massive Anreize zur Vergrößerung und Überdehnung offener Positionen. Wie die Aktienkursbewegungen nach den Äußerungen Bernankes im Juni 2013 zeigten, hat die Fed mit dem Versuch, durch die „Forward Guidance“ Ruhe in die Märkte zu bringen, das genaue Gegenteil bewirkt: mehr Volatilität. Dies erinnert stark an die „Liquiditätsspiralen“ im Modell von Brunnermeier und Pedersen.22 Angekündigte Zinserhöhungen führen danach zu einem sinkenden Marktwert der auf Märkten gehandelten Vermögenswerte. Hierdurch sehen sich beispielsweise die Finanzinstitute gezwungen, ihre Kreditvergabe einzuschränken. Stark verschuldete Finanzinstitute oder Investoren mit hohem Leverage verfügen nicht über einen hinreichenden Puffer, um negative Schocks aufzufangen. Um eine Insolvenz noch zu verhindern, sehen sie sich gezwungen, einen Teil ihrer Vermögenswerte zur Rekapitalisierung zu verkaufen. Hierdurch kann dann ein Teufelskreis in Gestalt eines verhängnisvollen Deleveraging-Prozesses, einer sogenannten Liquditätsspirale, entstehen.

Darüber hinaus werden die Ankündigungen der Zentralbank nicht zwingend als glaubwürdig aufgenommen, beispielsweise weil Wahltermine dazwischen liegen. In der Folge kann das Verhalten der Märkte vom Wunsch der Notenbank abweichen.23 Schließlich riskiert die Notenbank, mit solchen Ankündigungen noch mehr Pessimismus zu erzeugen. Die Andeutung, dass der Leitzins noch mehrere Jahre sehr niedrig gehalten wird, könnte an den Märkten den Eindruck vermitteln, die Notenbank antizipiere noch eine mehrjährige Krise und habe die Autonomie über ihre Instrumente abgegeben. Dies wiederum verringert tendenziell die Ausgabeneigung der Verbraucher und der Unternehmen.24 Grundsätzlich ist bei all dem aber zu berücksichtigen, dass die EZB längerfristig, also nach einer „Normalisierung“, ohnehin wieder der Fed folgen und von ihrer „Forward Guidance“-Strategie wieder ablassen dürfte25 – zumal sie mit viel Unsicherheit verbunden ist und deshalb Risiken für die Reputation der Notenbank birgt. Kurzfristig ist das Instrument der „Forward Guidance“ aber prinzipiell geeignet, der Spekulation auf rasch steigende Zinsen den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Märkte zu beruhigen.26

Berechenbarkeit von Geldpolitik

Mit mehr Offenheit will die EZB vor allem auch den Finanzmärkten mehr Orientierung über ihren künftigen Kurs geben: Wie berechenbar kann und darf Geldpolitik sein?27 Können Notenbanken mit zu viel Transparenz und „Guidance“ selbst zu einer Quelle von Volatilität werden?

Ökonomen folgen der Ansicht, dass mehr Information besser ist als weniger. Sie unterstellen dabei regelmäßig ein Modell mit rationalen Erwartungen und exogener öffentlicher und privater Information. Es wird z.B. nicht berücksichtigt, dass die Bereitstellung öffentlicher Information den Anreiz zur privaten Informationsbeschaffung verringern kann. Je vorhersehbarer die Geldpolitik ist, desto besser können die Akteure an den Märkten ihre Entscheidungen mit denen der Zentralbank in Einklang bringen. Die Volkswirtschaft entwickelt sich reibungsloser mit einem Minimum an unnötiger Volatilität, da die Akteure den Zeitpfad der geldpolitischen und der hiervon beeinflussten anderen Variablen besser vorhersehen können. Die Sicht, dass mehr Transparenz die Volatilität an den Märkten verringert, wird in empirischen Untersuchungen auch tatsächlich überwiegend bestätigt.28

Die akademische Theorie sieht dies jedoch teilweise anders. Unter abweichenden Modellannahmen kann eine bessere öffentliche Informationsbereitstellung das Funktionieren von Märkten behindern. Zum Beispiel legt die Theorie des Zweitbesten nahe, dass die Beseitigung einer Verzerrung nicht immer zu einer besseren Allokation führt, wenn weitere Verzerrungen existieren. Folgerichtig haben Ökonomen Gegenbeispiele parat, in denen mehr Transparenz nicht zu einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt führt. Aus dieser Sicht kann es sogar ein Optimum an „Secrecy“ geben, das größer Null ist.29

Es kann jedoch kein Zurück zu weniger Transparenz geben.30 Die Abschaffung von Wechselkursbindungen kann als eine Reaktion auf globalisierte Finanzmärkte und die Einführung der Notenbankunabhängigkeit als ein Mittel, um Banken vor kurzfristigem politischem Einfluss zu schützen, interpretiert werden. Soll an der Finanzmarktglobalisierung und an der Notenbank­unabhängigkeit festgehalten werden, muss Transparenz bei der Durchführung der Geldpolitik hergestellt werden. Wenn die Debatte im EZB-Rat kontrovers verläuft, sollten „Outsider“ die Gelegenheit haben, über solche Dispute und die zugrunde liegenden Argumente informiert zu werden. Eine Politik beschränkter Transparenz wird interne Auseinandersetzungen kaum vermeiden helfen. Sie kann im Gegenteil irritierende Signale senden, die eine unerwünschte Volatilität auf Finanzmärkten auslösen.31

EZB und Bankenaufsicht im Euroraum

Die EZB verantwortet künftig die Bankenaufsicht im Euroraum: Resultieren daraus besondere Transparenz- und Rechenschaftspflichten? Wie könnten diese gegebenenfalls erfüllt werden? Die EZB sollte in der Tat noch transparenter werden, wenn sie im kommenden Jahr die Aufsicht über die größten Banken der Eurozone übernimmt. Letzteres kann bei einer notwendigen Banken-Restrukturierung eine Belastung öffentlicher Haushalte zur Folge haben.32 Zudem erhält die EZB auch rechtsetzungsähnliche Kompetenzen, da sie Verordnungen zur Aufsicht erlassen kann. Durch die Veröffentlichung der Entscheider wird die rechtsstaatliche Verantwortungspflicht derjenigen, die Macht ausüben, erwirkt. Die Rechenschaftspflicht muss nunmehr noch stärker ausfallen als bei der traditionellen Geldpolitik.

Die EZB-Vertreter sollten sich im Idealfall vor dem Europäischen Parlament rechtfertigen müssen. Es scheint aber auch im Interesse der EZB zu sein, die maximal mögliche Rechenschaftspflicht und demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament einzufordern und zu erlangen.33 Genau das war bei dem SMP und den OMT ja nicht der Fall und führte die EZB in eine ungemütliche Zwangslage vor dem Bundesverfassungsgericht. Dem Europäischen Parlament könnte im Rahmen der laufenden Verhandlungen zwischen Parlament und EZB Einsicht in die Protokolle des Aufsichtsgremiums der EZB sowie des EZB-Rats gegeben werden, soweit diese Fragen der Finanzaufsicht betreffen. Informationen zu Firmengeheimnissen einzelner Banken oder Bankengruppen sollten hingegen davon ausgenommen werden. Um dies sicherzustellen, könnten lediglich die Protokolle der Sitzungen der neu geschaffenen Aufsichtsgremien unterhalb des letztlich verantwortlichen EZB-Rats öffentlich zugänglich gemacht werden.

Grenzen der Transparenz und Kommunikation von Zentralbanken

Der frühere Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, warnt vor einer „gläsernen Notenbank“34. Wo liegen die Grenzen für die Transparenz und Kommunikation von Zentralbanken mit den Finanzmärkten und der Öffentlichkeit? Kritisch wird es, wenn sich die Fiktion in den Köpfen der Marktteilnehmer festsetzt, durch veröffentlichte Protokolle der Ratssitzungen werde das Verständnis der Geldpolitik derart stark verbessert, dass der Eindruck entsteht, man sei bei den Ratssitzungen dabei gewesen. Eine Veröffentlichung von Protokollen ist aber nur dann sinnvoll, wenn es sich nicht nur, wie so häufig, um „sorgfältig getextete, korrigierte und abgestimmte Veröffentlichungen“35 handelt.

Die Zentralbanken müssen auf eine exakte Terminbekanntgabe einzelner Zinsschritte verzichten und dadurch vermeiden, von den Finanzmärkten und deren Erwartungen vor sich hergetrieben zu werden. Außerdem muss der Erwartung an den Märkten, die EZB verändere ihre Zinsen regelmäßig nur noch an Tagen, an denen sie neue Inflations- und Wachstumsprojektionen vorlege, entgegengewirkt werden. Ausschlaggebend für Zinsänderungen können mitunter auch andere Gründe wie das Kredit- oder Geldmengenwachstum sein. In diesem Punkt waren die Aussagen von Mario Draghi bisher noch missverständlich. Grenzen der Transparenz ergeben sich auch dort, wo es die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle Interessengruppen ermöglicht, auf einzelne Ratsmitglieder gezielt Einfluss zu nehmen. Außerdem liegen dort Grenzen, wo ein offener interner Diskurs vonnöten und Überzeugungsarbeit zu leisten ist.36 Schließlich kann es Fälle geben, in denen Geheimhaltung und Mehrdeutigkeit als Drohpotenzial gegenüber Marktteilnehmern besonders wichtig sind, wie etwa bei der Bekämpfung spekulativer Blasen. Märkte werden durch die Unsicherheit über das Verhalten der Notenbank vorsichtiger.37

Grenzen können sich auch ergeben, wenn die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle für „unangemessene“ Aufmerksamkeit bezüglich der übermittelten Differenzen zwischen einzelnen Ratsmitgliedern in den Medien und in der öffentlichen Diskussion sorgt und deshalb mehrdeutige Signale erzeugt.38 Dieses Argument überzeugt hingegen nicht unmittelbar. Und das nicht nur, weil die EZB keine sehr junge und schutzbedürftige Institution mehr ist, sondern weil potenzielle Abweichungen der EZB von einer stabilitätsorientierten Geldpolitik rechtzeitig bekanntgemacht würden. Dies würde die EZB beispielsweise im Rahmen der OMT gegen unangemessenen Druck durch nationale Regierungen schützen.39 Die Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen würde aus dieser Sicht einer stabilitätsorientierten Geldpolitik eher förderlich als abträglich sein.

Eine Asymmetrie gegenüber der Politik der Fed lässt sich nur dann friktionslos kommunizieren, wenn sich die Märkte darüber im Klaren sind, welches Ziel die EZB verfolgt und auf welchem Wege sie dieses erreichen will. Ihr Mandat und ihre Strategie müssen von den Finanzmärkten, aber vor allem auch den Politikern und Tarifparteien verstanden werden.40 Dazu muss sie aber nicht jede einzelne Entscheidung vorher ankündigen. Aus dem Übergang der Bankenaufsicht auf die EZB resultieren neue und besondere Transparenz- und Rechenschaftspflichten vor allem für das Financial Supervisory Board.


Der vorliegende Beitrag basiert auf A. Belke: Non-Standard Monetary Policy Measures – Magic Wand or Tiger by the Tail?, Section 4, Briefing paper prepared for presentation at the Committee on Economic and Monetary Affairs of the European Parliament for the quarterly dialogue with the President of the European Central Bank, Brüssel, September 2013.

  • 1 C. S. Weber: EZB: Mehr Transparenz wagen, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 12, S. 827-832.
  • 2 Vgl. http://www.ecb.europa.eu/ecb/orga/transparency/html/index.de.html.
  • 3 J. Kraemer: Neue Transparenzoffensive – EZB-Freizügigkeit mit Nebenwirkungen, in: Handelsblatt vom 29.7.2013, http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik/neue-transparenz-offensive-ezb-freizuegigkeit-mit-nebenwirkungen/8562314.html; D. Gros: Central banks in times of crisis – The FED versus the ECB, Briefing paper prepared for presentation at the Committee on Economic and Monetary Affairs of the European Parliament for the quarterly dialogue with the President of the European Central Bank, Brüssel, Juni 2012.
  • 4 A. Belke, W. Kösters, M. Leschke, T. Polleit: Back to the rules, ECB Observer – Analyses of the monetary policy of the System of European Central Banks, Nr. 8, Frankfurt a.M., 27.9.2005.
  • 5 A. Belke, B. von Schnurbein: European monetary policy and the ECB rotation model – Voting power of the core versus the periphery, in: Public Choice, 151. Jg. (2012), Nr. 1, S. 289-323.
  • 6 Ebenda.
  • 7 O.V.: Draghi will die EZB transparenter machen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.8.2013, http://www.faz.net/-hre-7byu1.
  • 8 A. Belke, W. Kösters, M. Leschke, T. Polleit, a.a.O.
  • 9 N. N. Dincer, B. Eichengreen: Central bank transparency: Where? why?, and with what effects?, NBER Working Paper, National Bureau of Economic Research, Cambridge MA 2007.
  • 10 Für Details vgl. A. Belke: A more effective eurozone monetary policy tool – Gold-backed sovereign debt, Briefing paper prepared for presentation at the Committee on Economic and Monetary Affairs of the European Parliament for the quarterly dialogue with the President of the European Central Bank, Brussels, September 2012.
  • 11 D. Gros, a.a.O., S. 12.
  • 12 Für Details vgl. A. Belke: A more effective eurozone ..., a.a.O.; und D. Gros, a.a.O., S. 12.
  • 13 A. Belke, in: A. Ambrose-Pritchard: Cyprus and Malta tip euro balance, in: The Telegraph vom 31.12.2007, http://www.telegraph.co.uk/finance/newsbysector/banksandfinance/2821806/Cyprus-and-Malta-tip-Euro-balance.html.
  • 14 A. Belke: A more effective eurozone ..., a.a.O.
  • 15 N. N. Dincer, B. Eichengreen, a.a.O.
  • 16 A. Belke, W. Kösters, M. Leschke, T. Polleit, a.a.O.; o.V.: Issing lehnt eine „gläserne Notenbank“ ab, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.1.2006.
  • 17 J. B. Taylor: Forward guidance as an incipient policy rule at the BoE and ECB, 25.8.2013, Economics One, A blog by J. B. Taylor, http://economicsone.com/2013/08/25/forward-guidance-as-an-incipient-policy-rule-at-the-boe-and-ecb/.
  • 18 Deutsche Bundesbank: ECB adopts new approach to communication, Frankfurt a.M., 19.8.2013, http://www.bundesbank.de/Redaktion/EN/Standardartikel/Bundesbank/Views_Insights/aktuelles_2013_08_09_forward_guidance.html.
  • 19 M. Woodford: Forward guidance for monetary policy – Is it still possible?, VoxEU, 17.1.2008; J. B. Taylor, a.a.O.; und der EZB-Ökonom Frank Smets, vgl. F. Smets: Convergence and divergence in government bond markets: Implications for monetary policy, Economic Symposium zu „Global dimensions of unconventional monetary policy“, Jackson Hole, Wyoming, im Rahmen der Jackson Hole Conference 2013, 22.-24.8.2013.
  • 20 Vgl. http://www.reuters.com/article/2013/07/09/us-ecb-asmussen-idUSBRE9680MV20130709.
  • 21 J. P. Landau: Global liquidity: Public and private, Economic Symposium zu „Global dimensions of unconventional monetary policy“, a.a.O., S. 9.
  • 22 M. K. Brunnermeier, L. H. Pedersen: Market liquidity and funding Liquidity, in: The Review of Financial Studies, 22. Jg. (2009), H. 6, S. 2201-2238.
  • 23 J. Bullard: Monetary policy options in a low-rate environment, IMFS Distinguished Lecture, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt a.M., 21.5.2013.
  • 24 Ebenda.
  • 25 A. Belke, D. Gros: Asymmetries in Trans-Atlantic Monetary Policy Making: Does the ECB Follow the Fed?, in: Journal of Common Market Studies, 43. Jg. (2005), H. 5, S. 921-946; A. Belke, Y. Cui: US-Euro Area Monetary Policy Interdependence – New Evidence from Taylor Rule Based VECMs, in: The World Economy, 33. Jg. (2010), H. 5, S. 778-797.
  • 26 D. Gros, in: M. Schroers: Die EZB und die Transparenz: Sitzungsprotokolle publizieren – eine gute Idee?, in: Börsenzeitung vom 3.9.2013.
  • 27 C. S. Weber, a.a.O.
  • 28 C. J. M. Kool, D. L. Thornton: How effective is central bank forward guidance?, St. Louis Fed Working Paper, Nr. 2012-063A, Dezember 2012; M. Middeldorp: Central bank transparency, the accuracy of professional forecasts, and interest rate volatility, Federal Reserve Bank of New York Staff Reports, Nr. 496, Mai 2011.
  • 29 Ebenda.
  • 30 N. N. Dincer, B. Eichengreen, a.a.O.
  • 31 A. Belke, W. Kösters, M. Leschke, T. Polleit, a.a.O.
  • 32 Jörg Asmussen und Benoit Coeré, in: D. Neuerer: Neue Transparenzoffensive – EZB-Freizügigkeit mit Nebenwirkungen, in: Handelsblatt vom 29.7.2013, http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik/neue-transparenz-offensiveezb-freizuegigkeit-mit-nebenwirkungen/8562314.html.
  • 33 Ebenda auch Jörg Asmussen und Jörg Krämer.
  • 34 O.V.: Issing lehnt eine „gläserne Notenbank“ ab, a.a.O.
  • 35 Ebenda.
  • 36 „Alle angemessenen Mehrheitspositionen begannen einmal als Minderheitspositionen“, Jörg Asmussen, in: Der Spiegel, 2013.
  • 37 Hans-Peter Grüner, in: D. Neuerer, a.a.O.
  • 38 M. Fratzscher, F. Giavazzi, R. Portes, B. Weder di Mauro, C. Wyplosz: A call for support of the European Central Bank’s OMT Programme, 2013, https://berlinoeconomicus.diw.de/monetarypolicy/a-call-for-support-for-the-european-central-banks-omt-programme/.
  • 39 A. Belke, W. Kösters, M. Leschke, T. Polleit, a.a.O.
  • 40 D. Gros, in: M. Schroers, a.a.O.

Title:Transparency and Forward Guidance – Stimulating Growth in the Euro Area?

Abstract:The author delivers details on whether and how the effectiveness of the ECB’s policies can be improved through more transparency and “forward guidance”. Is publishing the minutes of Council meetings really a good idea? How should we assess the publication of the details of who has voted (and in what way) in the meetings? Is the ECB plagued by deficiencies in transparency, with an eye on the bank’s steadily growing responsibilities? Should the ECB stick to the instrument of “forward guidance” even beyond the crisis period? How predictable and assessable can and must monetary policy be? Can central banks endowed with too much guidance become a source of volatility? The ECB will adopt banking surveillance in the euro area: do particular transparency and accountability obligations result from this? And if yes, how can they be fulfilled? Finally, the author assesses the limits of the transparency and communication of central banks.


DOI: 10.1007/s10273-014-1688-4

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