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Die Zentralbanken in den Industrieländern betreiben seit längerer Zeit eine sehr lockere Geldpolitik mit niedrigen nominalen Zinsen. Bei gleichzeitig niedriger Inflationsrate sind auch die Realzinsen sehr gering. Von niedrigen Zinsen wird erwartet, dass die Investitionsschwäche überwunden, deflationäre Entwicklungen gestoppt und das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird. Offenbar kann aber die Geldpolitik diese Ziele nicht allein erreichen, möglicherweise setzt sie sogar falsche Anreize. Andere regulierende Maßnahmen sind erforderlich, zudem können Investitionsprogramme unterstützend wirken.

Haben die Zentralbanken den rechtzeitigen Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik verpasst?

Seitdem die Zentralbanken der großen Industrieländer im Zuge der Finanzkrise von 2008 und der daran anschließenden weltweiten Rezession ihre Leitzinsen drastisch gesenkt haben, verharren die kurzfristigen Zinssätze in der Nähe von null. Die Langfristzinsen bewegen sich, risikobereinigt, nur wenig darüber. Das Niedrigzinsumfeld und die damit einhergehende reichliche Liquidität haben zwar die Vermögensmärkte beflügelt. Aber die Erholung der Realwirtschaft von der Krise hat nur schleppend und ungleichmäßig eingesetzt; in weiten Teilen Europas hat die Produktion das Vorkrisenniveau noch immer nicht wieder erreicht.

Vor diesem Hintergrund werden die Wirkungen der rekordtiefen Zinsen kontrovers diskutiert. Wenn eine Medizin nicht wunschgemäß wirkt, kann dies zwei Gründe haben. Entweder stimmt die Medizin, aber die Dosis ist zu gering. Oder der Patient erhält die falsche Medizin. Die erste dieser Interpretationen haben sich die meisten Zentralbanken zu eigen gemacht. Sie versuchen mit unkonventionellen Methoden der Liquiditätsausweitung (Quantitative Easing) sowie des Erwartungsmanagements (Forward Guidance), jene zusätzlichen Impulse zu setzen, die sie angesichts des Erreichens der Nullzins-Untergrenze mit der konventionellen Zinspolitik nicht mehr setzen können.

Konjunkturzyklus, Finanzzyklus und die Doktrin der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Kritiker der lockeren Geldpolitik bezweifeln dagegen deren Wirksamkeit und warnen vor unerwünschten Nebenwirkungen. Im Vordergrund steht die Sorge, dass das billige Geld der Bildung neuer spekulativer Blasen an den Finanz- und Immobilienmärkten Vorschub leistet. Besonders pointiert wird diese Position von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) artikuliert. In ihrem Jahresbericht vom Juni 2014 argumentiert die Bank, dass der Konjunkturzyklus, der gewöhnlich im Zentrum der Aufmerksamkeit der makroökonomischen Stabilisierungspolitik steht, von einem Finanzzyklus überlagert wird.1 Sie misst ihn hauptsächlich anhand der Bewegungen von Immobilienpreisen und Kreditaggregaten und interpretiert ihn als Ausdruck der sich selbst verstärkenden Wechselwirkungen zwischen Risikobereitschaft, Vermögenswerten und Finanzierungsrestriktionen, die der Abfolge von Boomphasen und Krisen an den Finanzmärkten zugrunde liegen. Die Wellenlänge des Finanzzyklus ist länger als diejenige des Konjunkturzyklus. Allerdings folgen auf Spitzen des Finanzzyklus häufig Finanz- und Bankenkrisen, die wiederum in der Regel einen Einbruch der Konjunktur nach sich ziehen.2 Es kommt zu einer „Bilanz-Rezession“ (Balance Sheet Recession),3 die durch einen sich hinziehenden Schuldenabbau des privaten Sektors gekennzeichnet ist und daher länger anhält und schwerer zu überwinden ist als eine herkömmliche Stabilisierungsrezession, wie sie für die Nachkriegszeit typisch gewesen ist.

Die BIZ moniert, dass die Geldpolitik der Zentralbanken zu stark auf die laufende Inflations- und Konjunkturentwicklung fokussiert sei und zu wenig Rücksicht auf den Finanzzyklus nehme – mit nachteiligen Folgen nicht nur für die Finanzmarkt- und Bankenstabilität, sondern gerade auch für die Stabilisierung des Preisniveaus und der Konjunktur. Jüngstes Beispiel: Auf die Konjunkturabschwächung nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ im Jahr 2000 haben die Zentralbanken mit einer starken Ausweitung der Liquidität reagiert, obwohl sich der Finanzzyklus mitten in einer Aufschwungsphase befand. Die Folge – so die Interpretation der BIZ – waren eine Verstärkung des Kreditwachstums und ein Schub für die Immobilienpreise, die sich gegenseitig beflügelten, am Ende aber in die Finanzkrise von 2008 mündeten. Die Finanzkrise wiederum zog eine Konjunkturkrise nach sich, deren Dimension die makroökonomische Stabilisierungskapazität der Zentralbanken alsbald überforderte. Damit war auch die „Greenspan-Doktrin“ desavouiert, die im Kern besagte, dass die Zentralbanken nicht versuchen sollten, spekulative Blasen an den Finanzmärkten zu identifizieren und zu bekämpfen, sondern sich darauf beschränken sollten, die Folgen einer Krise, wenn denn einmal eine Blase platzt, mit einer hinreichend akkommodierenden Geldpolitik aufzufangen.4

Die BIZ ist besorgt, dass sich Ähnliches durch die enorme Liquiditätsschwemme, mit der die Zentralbanken seit 2008 der Finanz- und Bankenkrise entgegengetreten sind, wiederholen könnte. Sie diagnostiziert eine eigentliche „Schuldenfalle“: Tiefe Zinsen ermutigen den privaten Sektor, Schulden aufzunehmen, erleichtern es den Banken, marode Altschulden in den Büchern stehen zu lassen, und verleiten Regierungen dazu, überfällige Haushaltskonsolidierungen zu verschleppen. Umgekehrt lassen hohe Schuldenstände im privaten und öffentlichen Sektor die Zentralbanken davor zurückschrecken, die Zinsen so frühzeitig und in dem Ausmaß zu erhöhen, wie es eigentlich angezeigt wäre.5

Aus dieser Analyse leitet die BIZ vier Schlussfolgerungen ab:6

  1. Tiefe Zinsen führen weder aus der Überschuldung heraus noch sind sie ein besonders wirksames Mittel zur Überwindung der anhaltenden Konjunkturschwäche.
  2. Daher sollte die Politik bei der Krisenbekämpfung weniger auf expansive Nachfragepolitik setzen als vielmehr auf Bilanzsanierung, angebotsseitige Strukturreformen sowie straffe Bankenaufsicht und Finanzmarktregulierung.
  3. Die Zentralbanken sollten so rasch wie möglich aus der Niedrigzinspolitik aussteigen.
  4. Die Regierungen sollten die Konsolidierung ihrer Haushalte zügig vorantreiben.

Zwei Fragen drängen sich auf: Erstens, stimmt die Diagnose? Zweitens, wie würden Länder, in denen die Rezession noch nicht überwunden ist, die verordnete Therapie verkraften?

Geldpolitik systematisch zu locker?

Die BIZ stützt ihre Diagnose einer unter Missachtung des Finanzzyklus systematisch zu lockeren Geldpolitik mit der Beobachtung, dass das Zinsniveau schon seit den 1980er Jahren einen fallenden Trend aufweist. Dieser Trend ist eine wohl dokumentierte Tatsache. Nur: Was ist Ursache, was Wirkung? Die Referenzgröße, an der sich bemisst, ob die Geldpolitik restriktiv oder expansiv wirkt, ist der langfristige reale Gleichgewichtszins – in der Terminologie von Knut Wicksell: der natürliche Zins.7 Alle Indizien sprechen dafür, dass der natürliche Zins schon seit längerer Zeit sinkt. Die Ursachen liegen vor allem in fundamentalen Veränderungen des globalen Spar- und Investitionsverhaltens: der demografischen Alterung und der rückläufigen Wachstumsdynamik in den Industrieländern ebenso wie den hohen Sparüberschüssen der Schwellenländer.8 Dagegen ist sich die Geld- und Zinstheorie von Knut Wicksell über Milton Friedman bis zu den modernen Neu-Keynesianern weitgehend darin einig, dass die Geldpolitik den Realzins nicht auf die Dauer beeinflussen kann.

Makroökonomische Stabilisierung betreibt die Geldpolitik, indem sie den Marktzins zeitweilig über den Gleichgewichtszins anhebt bzw. unter den Gleichgewichtszins absenkt. Es liegt auf der Hand, dass jede Beurteilung des Zentralbankverhaltens, die den rückläufigen Trend des natürlichen Zinses außer Acht lässt – gleichviel, ob sie sich auf Zeitreiheneigenschaften des Zinses stützt oder eine Taylor-Regel als Maßstab verwendet –, Gefahr läuft, die Schwankungen des Zinsniveaus um den fallenden Trend herum als ein asymmetrisches, systematisch zu Zinssenkungen neigendes Verhalten der Zentralbanken zu missdeuten. Würde diese Deutung zutreffen, hätte der fallende Zinstrend mit steigenden Inflationsraten einhergehen müssen. Da aber gleichzeitig mit dem Realzins auch die Inflationsraten deutlich zurückgegangen sind, dürften die Zentralbankzinsen dem fallenden Trend des realen Gleichgewichtszinses im Mittel eher leicht hinterhergehinkt sein.

Das Andauern der Bilanz-Rezession trotz Nominalzinsen und Inflationsraten, die nicht mehr weit von null entfernt sind, deutet darauf hin, dass der natürliche Zins durch die simultanen Sparanstrengungen des privaten und des öffentlichen Sektors („Deleveraging“) in den negativen Bereich gefallen ist. Da unter diesen Umständen keine Kräfte am Werk sind, die auf einen Wiederanstieg der Inflationsraten hinwirken könnten, verharren die Zinsen oberhalb ihres Gleichgewichtsniveaus. Die Geldpolitik ist mithin systematisch zu restriktiv, kann hieran aber nur wenig ändern, solange ihr die Hände durch die Liquiditätsfalle gebunden sind. Nicht von ungefähr wird das tot geglaubte Gespenst einer „Säkularen Stagnation“ wieder als reale Drohung diskutiert.9

Die Diagnose der Bilanz-Rezession erklärt, warum die Transmissionsmechanismen der Nachfragepolitik geschwächt sind. Aber hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Politik, wenn sie das Wachstum wieder in Gang bringen möchte, deswegen die Gewichte von den Instrumenten der Nachfragesteuerung zu denjenigen der angebotsseitigen Strukturreformen und der Finanzmarktregulierung verschieben müsse, verkennt den Charakter des Problems. Der allenthalben verfolgte Schuldenabbau lässt die Güternachfrage zum bindenden Engpass werden. Politische Maßnahmen zur Stärkung der Angebotsseite der Wirtschaft und zur Erhöhung der Finanzmarktstabilität tragen unmittelbar nichts dazu bei, diesen Engpass zu lockern. In manchen Fällen bewirken sie sogar eher das Gegenteil. Deshalb ist es falsch, angebots- und nachfrageseitig ansetzende Instrumente der Wirtschaftspolitik als Substitute zu behandeln oder gar gegeneinander auszuspielen. So unbestreitbar die Notwendigkeit langfristig angelegter Strukturreformen sein mag, so wenig können solche Reformen ausrichten, wenn sie nicht von einer hinreichend akkommodierenden Nachfragepolitik flankiert werden. Der schon vor Jahren geprägte Begriff eines „two-handed approach“, der angebots- und nachfrageseitige Maßnahmen als komplementäre In­strumente der makroökonomischen Stabilisierung propagiert, hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.10

Kann die Geldpolitik Dienerin zweier Herren sein?

Auch wenn den Zentralbanken der Industrieländer unter dem Gesichtspunkt ihrer direkten Wirkungen auf Konjunktur und Preisniveau nicht vorgeworfen werden kann, sie hätten eine systematisch zu lockere Politik betrieben, lässt sich nicht bestreiten, dass die niedrigen Zinsen zeitweise Nebenwirkungen hatten, die lange Zeit unterschätzt wurden. Phasen, in denen die Wachstumsraten höher sind als die Zinssätze, begünstigen das Kreditwachstum und spekulative Übertreibungen bei den Vermögenspreisen und unterminieren dadurch die Finanzmarktstabilität – insbesondere, wenn die Marktteilnehmer dazu neigen, die jeweils herrschenden Verhältnisse in die Zukunft zu extrapolieren und in ihrem Verhalten nicht durch eine straffe Regulierung eingeschränkt werden. Ebenso trifft zu, dass viele Regierungen das günstige makroökonomische Umfeld und die niedrigen Zinsen nicht dazu genutzt haben, ihre Haushalte nachhaltig zu konsolidieren und für künftige Krisen zu rüsten, sondern darin eher eine Gelegenheit gesehen haben, weitere Schulden aufzunehmen, ohne die Schuldenlast unmittelbar zu erhöhen.

Dies bedeutet, dass eine Geldpolitik, die für die Kontrolle des Konjunkturzyklus und der Inflation angemessen ist, nicht gleichzeitig auch den Finanzzyklus zähmen und passende Anreize für nachhaltige öffentliche Finanzen schaffen kann. Sie kann nicht Dienerin zweier (geschweige denn dreier) Herren sein. Genau das fordert aber die oben beschriebene BIZ-Doktrin, wenn sie als Lehre aus der Finanzkrise nicht nur eine Straffung der Bankenaufsicht und der Finanzmarktregulierung postuliert, sondern auch eine Geldpolitik, die Rücksicht auf den Finanzzyklus nimmt. Obwohl von der BIZ nicht präzise beschrieben, würde dies auf einen Spagat hinauslaufen, der das Spannungsfeld zwischen der makroökonomischen Stabilität und der Finanzmarktstabilität irgendwie überbrücken soll.

Zugunsten dieses Ansatzes lässt sich ins Feld führen, dass ein aus dem Ruder gelaufener Finanzzyklus Entwicklungen in Gang setzen kann, die am Ende nicht nur die Finanzmarktstabilität, sondern auch die makroökonomische Stabilität zerstören. Aber rationale Wirtschaftspolitik ist es nicht, mehr von der Geldpolitik zu verlangen, als sie leisten kann. Nach dem Tinbergen-Prinzip benötigt die Wirtschaftspolitik so viele unabhängige In­strumente, wie sie Ziele verfolgt.11 Darüber hinaus lehrt die Theorie der Wirtschaftspolitik, dass es in einem interdependenten System von Zielen und Instrumenten nicht sinnvoll ist, wenn der Einsatz eines Instruments auf alle Interdependenzen und Ziele Rücksicht nimmt. Viel effizienter ist eine klare, zweckmäßige Zuordnung der Verantwortlichkeiten.12

Was dies im vorliegenden Zusammenhang konkret bedeutet, illustriert Abbildung 1. Dargestellt sind die drei Stabilitätsziele Finanzmarktstabilität, makroökonomische Stabilität und Stabilität der öffentlichen Finanzen sowie die drei Politikbereiche Geldpolitik, Finanzpolitik und Finanzmarktordnung. Die durch Pfeile schematisch veranschaulichte dichte Vernetzung der Ziele und Politikbereiche verdeutlicht, dass jeder politische Aktionsparameter direkt oder indirekt jedes der Ziele beeinflusst. So hat auch Janet Yellen, die Vorsitzende des Federal Reserve Board, jüngst eingeräumt, dass eine straffere Geldpolitik im Vorfeld der Finanzkrise zwar einige der Risiken für die Finanzmarktstabilität vermindert hätte. Sie verweist aber auch darauf, dass die Abhängigkeit von sehr kurzfristigen Krediten im Finanzsektor vor der Krise auch dann noch weiter zunahm, als die Geldpolitik die Zügel schon merklich angezogen hatte. Dies deutet darauf hin, dass aggressivere Zinserhöhungen im Hinblick auf die Prävention einer Finanzkrise ein wenig zielgerechtes Instrument und somit ein schlechtes Substitut für eine effektivere Finanzmarktregulierung gewesen wären.13

Abbildung 1
Lösung des Zuordnungsproblems
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Quelle: eigene Darstellung.

Es ist somit unzweckmäßig, die Geldpolitik für andere Ziele als das der makroökonomischen Stabilität in die Verantwortung zu nehmen. Vielmehr muss jeder Politikbereich derjenigen Zielsetzung zu- und untergeordnet werden, für die er einen komparativen Vorteil besitzt, d.h. relativ am wirksamsten ist. Die Art der Zuordnung liegt im vorliegenden Fall auf der Hand und ist in Abbildung 1 durch die blauen Wirkungspfeile gekennzeichnet. Die Finanzmarktstabilität sollte durch geeignete Regeln und Institutionen der Finanzmarktordnung angestrebt werden. Bezüglich der Finanzpolitik herrscht weitgehend Konsens, dass sie das Ziel der makroökonomischen Stabilität normalerweise der Geldpolitik überlassen sollte. Wenn letztere allerdings nicht zur Verfügung steht, weil sie z.B. in einer Liquiditätsfalle ihre Wirksamkeit eingebüßt hat, oder weil sie in einer Währungsunion an die gemeinsame Zentralbank delegiert wurde, kommt der Fiskalpolitik dennoch eine Rolle bei der Wahrung der makroökonomischen Stabilität zu (gestrichelter Pfeil in Abbildung 1).14

Fazit: kein übereilter Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik!

Was vor der Krise eine dubiose Strategie gewesen wäre, wäre es erst recht unter den Bedingungen fortgesetzt unterschrittener Inflationsziele und anhaltender Wachstumsschwäche, wie sie derzeit insbesondere noch die Eurozone kennzeichnen. Ein verfrühter Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik würde den Abbau überhöhter Schulden nicht beschleunigen, sondern verlangsamen, und den Deflationsdruck nicht vermindern, sondern verschärfen. Eine Strategie, die darauf hinausläuft, die Realwirtschaft mit einer deflationären Geldpolitik dafür in Geiselhaft zu nehmen, dass die Finanzmärkte keine bedrohlichen Risiken aufbauen, oder dass Regierungen ihre Hausaufgaben tatsächlich angehen, wäre eine ineffiziente und kostspielige Fehlallokation der Verantwortlichkeiten und daher zum Scheitern verurteilt.

  • 1 Vgl. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 84. Jahresbericht, Basel, 29.6.2014.
  • 2 Ebenda, Kapitel IV.
  • 3 Der Begriff stammt von R. Koo: The Holy Grail of Macroeconomics, New York 2009.
  • 4 Vgl. W. White: Should Monetary Policy Lean or Clean? Globalisation and Monetary Policy Institute, Federal Reserve Bank of Dallas, Working Paper 34, August 2009.
  • 5 Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, a.a.O., Kap. IV.
  • 6 Ebenda, Kap. I.
  • 7 K. Wicksell: Geldzins und Güterpreise, Jena 1898.
  • 8 Das Phänomen wird ausführlich analysiert in: Internationaler Währungsfonds: World Economic Outlook, April 2014; sowie in C. Teulings, R. Baldwin (Hrsg.): Secular Stagnation, Facts, Causes, and Cures, A VOXeu.org eBook, Centre for Economic Policy Research, London 2014.
  • 9 C. Teulings, R. Baldwin (Hrsg.), a.a.O.
  • 10 Der Gedanke des „two-handed approach“ geht zurück auf O. Blanchard, R. Dornbusch, R. Layard (Hrsg.): Restoring Europe’s Prosperity, Cambridge 1986.
  • 11 J. Tinbergen: On the Theory of Economic Policy, Amsterdam 1952.
  • 12 Das Zuordnungsproblem wurde erstmals von Robert A. Mundell im Kontext der Stabilisierung einer offenen Volkswirtschaft gelöst: R. A. Mundell: The Appropriate Use of Monetary and Fiscal Policy Under Fixed Exchange Rates, IMF Staff Papers 9, 1962, S. 70-77.
  • 13 Vgl. J. Yellen: Monetary Policy and Financial Stability, The 2014 Michel Camdessus Central Banking Lecture, International Monetary Fund, Washington DC, Juli 2014.
  • 14 Überlegungen zum Design fiskalpolitischer Regeln, die der Notwendigkeit einer solchen konditionalen Zuordnung Rechnung tragen, in: J. Portes, S. Wren-Lewis: Issues in the Design of Fiscal Rules, Oxford University, Department of Economics, Discussion Paper, Nr. 704, Mai 2014.

Wo liegen die Gefahren niedriger Zinsen?

Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Notenbanken vielerorts ihre Leitzinsen massiv abgesenkt und mitunter weitere Maßnahmen wie das sogenannte „Quantitative Easing“ oder die „Forward Guidance“ ergriffen, um ihre Geldpolitik noch expansiver zu gestalten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzins zuletzt auf 0,15% gesenkt und angekündigt, ihn voraussichtlich für einen längeren Zeitraum auf diesem niedrigen Niveau zu belassen.

Nach der Lesart der EZB und ihrer geldpolitischen Konzeption erscheint es angemessen, dass sie ihren Leitzins voraussichtlich für geraume Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau belässt; so befindet sich die Inflation im Euroraum merklich unterhalb des EZB-Ziels und konjunkturell zeichnet sich noch keine durchgreifende Erholung ab.1 Gleichwohl können sich durch eine ausgeprägte Niedrigzinsphase gravierende stabilitätspolitische Risiken ergeben. Dies gilt insbesondere für Volkswirtschaften wie Deutschland, die sich konjunkturell offenbar in einer deutlich günstigeren Lage befinden als andere Volkswirtschaften der Währungsunion, so dass die Geldpolitik der EZB, die sich an der Entwicklung im gesamten Währungsraum orientiert, für Deutschland deutlich zu expansiv ausgerichtet ist.2 Zudem tragen auch noch andere Faktoren – insbesondere die Perzeption ausländischer Anleger von Deutschland als sicherem Hafen – zu dem in Deutschland allgemein sehr niedrigen Zinsniveau bei. Dieser Effekt dürfte indes – auch aufgrund der Ankündigungen von Outright Monetary Trans­actions – zuletzt deutlich nachgelassen haben, wie sich an den deutlich geringeren Risikoaufschlägen für Staatsanleihen im Euroraum ablesen lässt.

Im Folgenden diskutieren wir mögliche Risiken, die sich aus der langanhaltenden Phase sehr niedriger Zinsen für die deutsche Volkswirtschaft ergeben könnten, und zeigen Handlungsempfehlungen für die Politik auf. Drei Risiken stehen derzeit besonders im Fokus, nämlich Risiken für die Altersvorsorge, für die öffentlichen Haushalte und für die Finanzmarktstabilität.3

Risiken für die Altersvorsorge

Seit einiger Zeit wird vermehrt auf die negativen Konsequenzen niedriger Zinsen für „Sparer“ verwiesen und gewarnt, die Zinspolitik der EZB könne zu einer Welle der Altersarmut führen. Es wird argumentiert, die Renditen für festverzinsliche Anlagen seien derzeit sehr gering und solche Anlagen würden sogar mitunter real an Wert verlieren. Allerdings ist das Phänomen einer negativen Realverzinsung von konservativen Sparformen wie Tagesgeld und Sparbuch nicht ungewöhnlich. Daten der Bundesbank legen nahe, dass negative Realzinsen bei diesen sehr sicheren Anlageformen in der Vergangenheit eher die Regel als die Ausnahme waren (vgl. Abbildung 1). Von dieser Seite her haben sich die Risiken für die Altersvorsorge folglich nicht deutlich erhöht.

Abbildung 1
Realzinsen auf Spareinlagen
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Quelle: Deutsche Bundesbank.

Für eine umfassende Beurteilung der Risiken ist es jedoch zu kurz gegriffen, den Blick ausschließlich auf festverzinsliche Anlageformen zu richten. Die Auswirkungen auf die Altersvorsorge ergeben sich aus einer Reihe von unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Niedrigzinsphase, die beispielsweise von der Sparneigung der privaten Haushalte, über die Folgen für die kapitalgedeckte Altersvorsorge und die zukünftige Preisentwicklung bis hin zu Auswirkungen auf die gesetzliche Rentenversicherung reichen können und sich zudem individuell stark unterscheiden dürften. Somit ist es alles andere als trivial die Risiken, die sich aus der Niedrigzinsphase für die Altersvorsorge ergeben, abzuschätzen. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass es keine historischen Erfahrungen mit lang anhaltenden Phasen extrem niedriger nominaler Zinsen gibt.

Allerdings zeichnen sich bereits vermehrt Risiken für die Anbieter von Altersvorsorgeprodukten ab. Banken und Versicherungen haben langlaufende Sparverträge mit nominal garantierten Zinsen angeboten bzw. tun dies immer noch; für Lebensversicherungen wird der sogenannte Höchstrechnungszins sogar staatlich reglementiert.4 Mit einer solch lange andauernden nominalen Niedrigzinsphase dürften die wenigsten Anbieter dieser Produkte kalkuliert haben, so dass sie keine entsprechend langfristigen Kontrakte zur Erwirtschaftung der Garantiezinsen eingegangen sein dürften. Somit könnten akute Risiken für die Altersvorsorge durch mögliche Insolvenzen von Anbietern langfristiger Sparverträge bestehen. Die Insolvenz solcher Anbieter könnte zum einen individuell Teile der Altersvorsorge gefährden und zum anderen die Stabilität des Finanzsystems beeinträchtigen.5

Risiken für die öffentlichen Haushalte

Das allgemein niedrige Zinsniveau hat die öffentlichen Haushalte zuletzt massiv entlastet. Maßgeblich hierfür ist neben den niedrigen Zentralbankzinsen auch die Perzeption von Bundesanleihen als „sicherer Hafen“.6 Insgesamt können die öffentlichen Haushalte auslaufende Anleihen und Kreditverträge zu deutlich günstigeren Konditionen refinanzieren als in den Jahren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Da immer noch Anleihen im Umlauf sind, die vor dieser Zeit begeben wurden, dürften diese entlastenden Effekte für die öffentlichen Haushalte sogar noch weiter zunehmen. Die Auswirkungen sind inzwischen beträchtlich. Noch 2009 rechnete die Bundesregierung für 2013 mit Zinsausgaben von 52 Mrd. Euro. Tatsächlich wurden „nur“ 31 Mrd. Euro verausgabt, obwohl der Schuldenstand in diesem Zeitraum sogar noch spürbar gestiegen ist.7

In der Folge hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jüngst für 2015 einen ausgeglichenen Haushalt in Aussicht gestellt. Auch wenn es angesichts jüngster Konjunkturrisiken und zusätzlicher Unsicherheiten, wie z.B. der Frage der Zukunft der Kernbrennstoffsteuer, nicht ausgemacht ist, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, so dürfte die Bundesregierung die Vorgaben der Schuldenbremse problemlos einhalten. Abgesehen von einigen Eingriffen in die Finanzbeziehungen mit den Sozialversicherungen wurde dies ohne größere Konsolidierungsanstrengungen erreicht. So gesehen kommen die niedrigen Zinsen auch den Bürgern in Form von unterbliebenen Leistungskürzungen und Steuererhöhungen zugute.

Doch steckt gerade hier eine Gefahr. Die Konsolidierungsnotwendigkeiten zur Einhaltung der Schuldenbremse, die sich noch vor einigen Jahren abzeichneten, haben sich schließlich nicht in Luft aufgelöst, sondern werden von den niedrigen und teilweise noch sinkenden Zinsausgaben überdeckt. Im Zuge der Berechnung des für die Schuldenbremse relevanten strukturellen Budgetsaldos werden Zinsausgaben nicht geglättet. Sie gelten als „strukturell“. Sollte also die Finanzpolitik in den kommenden Jahren die Vorgaben der Schuldenbremse „nur“ exakt erfüllen und scheinbare Spielräume z.B. für zusätzliche Ausgaben nutzen, würde eine Zinswende sofort Konsolidierungsdruck erzeugen. Sollte die Zinswende mit einer konjunkturellen Abschwächung in Deutschland einhergehen, käme die dann notwendige Konsolidierung zur Unzeit.8

Risiken für die Finanzmarktstabilität

Von der langanhaltenden Niedrigzinsphase können erhebliche Risiken für die Finanzmarktstabilität ausgehen, unter anderem weil niedrige Zinsen eine übermäßige Risikoneigung und Kreditvergabe der Finanzmarktakteure fördern. Eine erhöhte Risikoneigung in Niedrigzinsphasen ist zum Teil damit zu erklären, dass Finanzmarktakteure (wie z.B. Anbieter von Lebensversicherungen) größere Risiken eingehen, um zuvor abgegebenen Renditeversprechungen nachkommen zu können. Hinzu kommt, dass sich ausgeprägte Niedrigzinsphasen massiv auf die Risikowahrnehmung der Akteure auswirken können. In solchen Phasen werden Vermögenspreise bzw. Kreditsicherheiten sowie Renditechancen häufig zu hoch bewertet und in der Folge Risiken beispielsweise bei der Kreditvergabe unterschätzt. In der Folge tendieren Banken in Niedrigzinsphasen dazu, ihre Kreditstandards merklich zu senken und Kredite auch an Kreditnehmer mit geringerer Bonität zu vergeben.9

Dies ist auch eine Ursache dafür, dass in Niedrigzinsphasen häufig das Kreditvolumen stark zunimmt. In der Folge wird der Finanzsektor nicht nur insgesamt anfälliger gegenüber negativen „Schocks“, sondern auch gegenüber einem Anziehen des Zinsniveaus beispielsweise in Folge einer Straffung der Geldpolitik. Besonders bedrohlich wird eine starke Ausweitung des Kreditvolumens dann, wenn sie mit einer massiven Fehlallokation von Kapital und somit auch mit massiven realwirtschaftlichen Verwerfungen einhergeht. Solche Fehlallokationen sind in der Vergangenheit während Niedrigzinsphasen regelmäßig auf Immobilienmärkten aufgetreten. Folglich gingen früheren Finanzkrisen neben kräftigen Anstiegen des Kreditvolumens regelmäßig auch kräftige Anstiege der Immobilienpreise voraus.10

Ob in Deutschland derzeit bereits die Finanzmarktstabilität massiv gefährdet ist oder gar eine neuerliche Finanzkrise droht, ist jedoch nur schwer abschätzbar. Finanzkrisen sind oft das Resultat jahrelanger Fehlentwicklungen. Wann sich genau das Auftürmen dieser Fehlentwicklungen in einer Finanzkrise entlädt, ist kaum vorhersehbar.11 Deshalb stellen Frühwarnsysteme für Finanzkrisen in der Regel darauf ab, typische Fehlentwicklungen zu identifizieren. Solche Frühwarnsysteme würden typischerweise auf erhöhte Risiken für eine Finanzkrise in Deutschland hinweisen, wenn gleichzeitig das Kreditvolumen und die Immobilienpreise spürbar anziehen und deutlich von ihren trendmäßigen Entwicklungen abweichen.12

Vor diesem Hintergrund sind die Risiken für die Finanzmarktstabilität in Deutschland derzeit offenbar noch überschaubar. Dafür spricht vor allem, dass die Kreditvergabe in Deutschland bisher kaum angesprungen ist. Das Kreditvolumen ist erst seit 2011 wieder leicht aufwärts gerichtet und befindet sich deutlich unterhalb seines längerfristigen Trends (vgl. Abbildung 2 a).

Abbildung 2
Kredit- und Immobilienpreisentwicklung in Deutschland, 1991 bis 2014
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Anmerkungen: Kreditvolumen: Privater nicht-finanzieller Sektor. Immobilienpreise: In Relation zu den Verbraucherpreisen. Der Trend wurde mittels des Hodrick-Prescott-Filters geschätzt. Der Glättungsparameter lambda wurde dafür auf 400 000 gesetzt.

Quelle: Bank for International Settlements: Long series on credit to the private non-financial sector; Federal Reserve Bank of Dallas: International House Price Database.

Gleichwohl sollte man in den kommenden Jahren gerade in Deutschland potenzielle Risiken für die Finanzmarktstabilität besonders wachsam beobachten:

  1. Die Immobilienpreise sind seit einiger Zeit wieder aufwärts gerichtet. In Relation zur allgemeinen Verbraucherpreisentwicklung haben sie seit 2008 um knapp 10% zugelegt und befinden sich bereits merklich oberhalb ihres längerfristigen Trends (vgl. Abbildung 2 b).
  2. Die Zinsen dürften noch für einen längeren Zeitraum auf einem für Deutschland sehr niedrigen Niveau bleiben, wodurch sich die Risiken für Deutschland voraussichtlich sukzessive erhöhen werden. Dies könnte sich insbesondere bei einem merklichen Anziehen der Kreditvergabe in Deutschland zeigen.
  3. Frühwarnsysteme können nur vor Krisen warnen, die dieselben Merkmale aufweisen, wie frühere Krisen. Auch wenn es solche typischen Merkmale von Finanzkrisen gibt, so folgen sie doch nicht immer demselben Muster und es ist nicht trivial, die zugrunde liegenden Fehlentwicklungen zeitnah zu identifizieren.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die jüngste Finanzkrise in Deutschland, die über internationale Finanzverflechtungen nach Deutschland „importiert“ wurde, aber nicht auf Übertreibungen bei der heimischen Kreditvergabe oder auf dem inländischen Immobilienmarkt zurückzuführen ist.13 In der Folge hätten typische Frühwarnsysteme für Finanzkrisen (die beispielsweise auf das Kreditvolumen und die Immobilienpreise abstellen) im Fall von Deutschland keine Warnsignale abgegeben.

Handlungsempfehlungen für die Politik

Alles in allem ergeben sich aus der langanhaltenden Niedrigzinsphase mittelfristig erhebliche stabilitätspolitische Risiken für Deutschland, insbesondere für die öffentlichen Haushalte und die Finanzmarktstabilität.14 Die Finanz- und Wirtschaftspolitik ist diesen Risiken (auch innerhalb einer Währungsunion) nicht gänzlich ausgeliefert. Es gibt zahlreiche Handlungsoptionen, die die Risiken für die deutsche Volkswirtschaft nicht nur eindämmen würden, sondern sie auch insgesamt krisenfester machen würde.

Bezüglich der öffentlichen Finanzen sollte die Finanzpolitik auf die Niedrigzinsphase mit einer ausgeprägten Risikovorsorge – hier das Risiko einer Zinswende – reagieren und in der jetzigen Situation die Verschuldung (in Relation zur Wirtschaftsleistung) deutlich rascher zurückführen als es die Vorgaben der Schuldenbremse vorsehen. Operationalisiert werden könnte dies, indem bei der Berechnung des strukturellen Budgetsaldos nicht die tatsächlichen Zinszahlungen, sondern kalkulatorische Zinsen angesetzt werden, die sich aus langfristigen Durchschnittszinsen ergeben.15 Es sollte umgekehrt dagegen unbedingt vermieden werden, die scheinbar günstige Haushaltslage für Ausgabenprogramme zu nutzen.

Bezüglich der Finanzmarktstabilität ist von herausragender Bedeutung, durch geeignete makroprudenzielle Maßnahmen das Finanzsystem krisenfester zu machen und das Haftungsprinzip zu stärken. Dazu beitragen werden einige der im Basel-III-Regelwerk vorgeschlagenen Instrumente, insbesondere die höheren Eigenkapitalanforderungen, die Einführung eines Kapitalerhaltungspuffers sowie einer Verschuldungsgrenze zur Eigenkapitalhebelung. Allerdings sollten diese Instrumente rascher und restriktiver in Deutschland eingeführt werden, als dies das Basel-III-Regelwerk vorsieht. Darüber hinaus sollten Geschäftsbanken verstärkt dazu verpflichtet werden, Anleihen zukünftig in Form von bedingten Zwangswandelanleihen zu emittieren. Die Umsetzung dieser Maßnahmen würde sich doppelt rentieren. Nicht nur das Finanzsystem würde insgesamt stabiler werden, sondern dies würde auch dem Entstehen gefährlicher kreditgetriebener Boom-Bust-Zyklen bei den Vermögenspreisen entgegenwirken.

  • 1 Ob die über das Absenken des Leitzinses hinausgehenden Maßnahmen der EZB effektiv und angemessen sind, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
  • 2 Für eine detaillierte Analyse der Geldpolitik der EZB aus Sicht Deutschlands siehe J. Boysen-Hogrefe et al.: Finanz- und Wirtschaftspolitik bei einer anhaltenden monetären Expansion, Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, 5. Jg. (2014).
  • 3 Darüber hinaus können sich noch weitere Risiken für die deutsche Volkswirtschaft ergeben, z.B. für die Preisniveaustabilität, für die Wachstumsaussichten oder für den Arbeitsmarkt. Für eine ausführliche Darstellung, siehe ebenda.
  • 4 Jüngst wurde der gesetzliche Höchstrechnungszins von Lebensversicherungen für Neuverträge auf 1,25% gesenkt.
  • 5 Es ist damit zu rechnen, dass es in solchen Fällen zu staatlichen Eingriffen kommen würde, um das System zu stabilisieren. Hiermit können indes ordnungspolitische Probleme verbunden sein. So stellt die jüngst staatlich verordnete Umverteilung der Überschussbeteiligungen von Altverträgen zu Neuverträgen einen gravierenden Eingriff in die Eigentumsrechte dar.
  • 6 Vgl. J. Boysen-Hogrefe: Die Zinslast des Bundes in der Schuldenkrise: Wie lukrativ ist der „sichere Hafen“?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 13. Jg. (2012), Sonderheft, S. 81-91.
  • 7 Ähnlich ist die Lage bei den Ländern. Nordrhein-Westfalen hatte 2009 mit Zinsausgaben von 5,9 Mrd. Euro für 2013 gerechnet, musste tatsächlich jedoch 3,9 Mrd. Euro aufbringen.
  • 8 Die Risiken für die öffentlichen Haushalte erhöhen sich in diesem Zusammenhang zudem dadurch, dass es in einem lang anhaltenden monetären Boom zu beträchtlichen Mehreinnahmen und zusätzlichen Minderausgaben kommen dürfte, die zwar hauptsächlich konjunkturell bedingt sind, aber zumindest teilweise als strukturell gewertet werden könnten.
  • 9 Vgl. z.B. R. G. Rajan: Has Financial Development Made the World Riskier?, NBER Working Paper 11728, National Bureau of Economic Research, Cambridge MA 2005; L. Gambacorta: Monetary Policy and the Risk-Taking Channel, in: BIS Quarterly Review, Dezember 2009, S. 43-53; A. Maddaloni, J.-P. Peydro: Bank Risk-Taking, Securitization, Supervision, and Low Interest Rates: Evidence from the Euro-Area and the US Lending Standards, in: Review of Financial Studies, 24. Jg. (2011), H. 6, S. 2121–2165.
  • 10 Vgl. z.B. M. Drehmann, C. Borio, K. Tsatsaronis: Characterising the Financial Cycle: Don’t Lose Sight of the Medium Term!, BIS Working Paper 380, 2012.
  • 11 Das Auftürmen solcher Fehlentwicklungen kann sich für eine Volkswirtschaft auch dann als problematisch erweisen, wenn es nicht in eine Finanzkrise mündet. So führen beispielsweise ausgeprägte Boom-Bust-Zyklen am Immobilienmarkt häufig auch dann zu einem merklichen Einbruch der Wirtschaftsleistung, wenn sie nicht mit einer Finanzkrise einhergehen. Vgl. z.B. N. Jannsen: Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Immobilienkrisen im historischen Vergleich, in: N. Rottke, M. Voigtländer (Hrsg.): Immobilienwirtschaftslehre. Band II – Ökonomie, Köln 2012, S. 299-328.
  • 12 Vgl. z.B. C. Borio, M. Drehmann: Assessing the Risk of Banking Crises – Revisited, in: BIS Quarterly Review, März 2009, S. 29-46.
  • 13 Freilich war die Finanzkrise in Deutschland im Vergleich zu Finanzkrisen, die mit starken Anstiegen des Kreditvolumens und der Immobilienpreise einhergegangen sind, vergleichsweise mild, da auf den starken Einbruch der Wirtschaftsleistung eine kräftige Erholung folgte.
  • 14 Für eine ausführliche Diskussion wirtschaftspolitischer Maßnahmen in Reaktion auf eine anhaltende monetäre Expansion, siehe J. Boysen-Hogrefe et al., a.a.O.
  • 15 Vgl. J. Boysen-Hogrefe: Niedrige Zinsen und rasche monetäre Expansion: Was soll die Finanzpolitik tun?, Institut für Weltwirtschaft, Kiel Policy Brief, Nr. 75, Kiel 2014.

Niedrigzinsen sind sinnvoll, können Probleme in Europa aber nicht alleine lösen

Seit mehreren Jahren folgt die Geldpolitik in vielen Industrie- und Schwellenländern einem ausgesprochen expansiven Kurs. Weithin wurden dabei neben der expansiv ausgerichteten Zinspolitik auch andere, liquiditätsbereitstellende Maßnahmen ergriffen, um der im Zuge der globalen Rezession und Finanzkrise massiv sinkenden Kreditvergabe zu begegnen. Während andernorts die geldpolitischen Zügel allmählich wieder angezogen werden, erreichte die expansive Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum Anfang Juni 2014 einen vorläufigen Höhepunkt, als die Europäische Zentralbank auf die Gefahr einer Deflationsspirale mit einem breit angelegten Maßnahmenpaket reagiert hatte. Neben einer abermaligen Senkung der Leitzinsen – und damit einer Inkaufnahme negativer Einlagezinsen – hat sie Maßnahmen beschlossen, die die Kreditvergabe von Banken an Unternehmen und Haushalte im Euroraum anregen sollen.

Mit der expansiven Geldpolitik ging ein deutlicher Rückgang der nominalen Zinsen im Euroraum einher. In allen Mitgliedsländern der Währungsunion sind die Kreditzinsen im Verlauf der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich zurückgegangen (vgl. Abbildung 1). Seit Beginn der Krise im Euroraum haben die Zinsen allmählich wieder angezogen, da einerseits die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland deutlich abgenommen und andererseits die Banken in der Währungsunion ihre Kreditvergabekonditionen deutlich restriktiver gestaltet haben. Diese Gegenbewegung war in den Krisenländern besonders ausgeprägt, während die übrigen Länder und insbesondere Deutschland durch stabil niedrige Zinsen davon profitieren, dass auf der Suche nach sicheren Anlagemöglichkeiten vermehrt Kapital aus den Krisenländern dorthin verlagert wird.

Abbildung 1
Nominale Kreditzinsen1 im Euroraum
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1 Kredite bis 1 Mio. Euro, variabel oder mit anfänglicher Zinsbindung bis ein Jahr.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Umverteilung von Sparern zu Schuldnern

Gerade in Deutschland sorgt die Zinsentwicklung für erhebliche zusätzliche Spielräume in den öffentlichen Haushalten.1 Am 14. August 2014 sind die Zinsen auf neu emittierte zehnjährige deutsche Staatsanleihen erstmals unter 1% gesunken. Die durchschnittliche Verzinsung der deutschen Staatsschulden ist nach Berechnungen der Bundesbank seit 2007 von gut 4% auf etwa 2½% 2013 gesunken;2 pro Jahr ergibt sich aus diesem Rückgang eine rechnerische Entlastung gegenüber einem Szenario, in dem die Zinsen auf dem Stand von 2007 angenommen werden, von etwa 30 Mrd. Euro. Für die Gläubiger der Staaten führen die gesunkenen Zinsen hingegen zu einer entsprechend rückläufigen Rendite ihrer Staatsanleihen. Auch für die Sparer mit gewöhnlichen Spar- oder Girokonten führen die sinkenden Zinsen zu geringeren Einkünften (vgl. Abbildung 2). Gerade in Deutschland sind die nominalen Zinsen auf Spareinlagen deutlich zurückgegangen.

Abbildung 2
Nominale Sparzinsen1 im Euroraum
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1 Spareinlagen mit vereinbarter Laufzeit bis ein Jahr.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

In der Tat führen die niedrigen Zinsen dazu, dass es für Sparer derzeit schwieriger ist, ihr Vermögen in realer Rechnung zu erhalten, liegen die Zinsen für Geldanlagen zur Zeit doch (knapp) unter der inflationsbedingten Entwertung der Vermögen. Die hierauf hinweisenden Kritiker der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) übersehen allerdings, dass solche negativen Realzinsen im historischen Vergleich keinesfalls ungewöhnlich sind (vgl. Abbildung 3); darauf weist auch die Deutsche Bundesbank hin.3 Freilich ist es vor allem den niedrigen Inflationsraten zu verdanken, dass trotz der mageren nominalen Verzinsung von Spareinlagen der Realzins historisch nicht auffallend niedrig ist.

Abbildung 3
Reale Sparzinsen in Deutschland
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Durchschnittlicher Zins für neuabgeschlossene Verträge über Einlagen privater Haushalte mit bis zu dreimonatiger Kündigungsfrist, deflationiert mit dem Verbraucherpreisindex.

Quelle: Deutsche Bundesbank; Berechnungen DIW.

Problematisch ist die Entwicklung in diesem Sinne allenfalls für diejenigen, die zu den jetzt gültigen Konditionen größere Geldbeträge über einen längeren Zeitraum festverzinslich anlegen wollen und dabei nicht auf alternative Anlageformen mit flexibler Rendite ausweichen können. Schwierigkeiten ergeben sich aus dem aktuellen Niedrigzinsumfeld außerdem für Lebensversicherungsunternehmen, die unter den derzeitigen Umständen kaum die zugesagten nominalen Garantierenditen erwirtschaften können. Für viele andere Wirtschaftsakteure in Deutschland, darunter insbesondere viele Unternehmen, die wegen der niedrigen Zinsen zu günstigen Konditionen Kredit aufnehmen können, um auf diese Weise Investitionen zu finanzieren, aber auch für diejenigen Haushalte, die etwa einen Kredit für Immobilienkauf oder -bau aufnehmen, ist das Niedrigzinsumfeld hingegen eine Erleichterung.

Gemessen an der wirtschaftlichen Lage ist die Geldpolitik nicht ungewöhnlich expansiv

Kritik an der Niedrigzinspolitik ist schon deshalb verfehlt, weil sich die EZB-Politik an der wirtschaftlichen Lage in der gesamten Währungsunion zu orientieren hat. Dabei ist es für einen heterogenen Währungsraum völlig normal, dass die Geldpolitik aus Sicht einzelner Regionen oder Länder nicht optimal ausgerichtet ist. Die EZB sieht sich in diesem Sinne dem klassischen Problem monetärer Integration gegenüber, wie es etwa im Rahmen der Theorie Optimaler Währungsräume4 formuliert ist. Demnach hat die Zentralbank mit ihren traditionellen Instrumenten und namentlich der Zinspolitik keine Möglichkeit, eine den individuellen regionalen wirtschaftlichen Bedingungen angepasste Geldpolitik zu betreiben, sondern muss vielmehr eine den in der Währungsunion insgesamt herrschenden Verhältnissen angemessene Politik wählen. Eine Kritik an der EZB, die sich alleine aus der wirtschaftlichen Lage in Deutschland ableitet, kann daher nicht angemessen sein.

Ohnehin würde es auch der wirtschaftlichen Lage in Deutschland nicht gerecht, zum jetzigen Zeitpunkt die Zinsen zu erhöhen. Die deutsche Volkswirtschaft hat derzeit noch unterausgelastete Kapazitäten;5 die seit dem zweiten Quartal deutlich abgekühlte konjunkturelle Entwicklung spricht auch nicht dafür, dass sich die Produktionslücke in naher Zukunft schließen wird. Vor diesem Hintergrund ist zunächst nicht davon auszugehen, dass die Inflationsrate in Deutschland, die im August nur bei 0,8% lag, merklich steigt. Für die Realzinsen dürfte daher von dieser Seite kein negativer Einfluss ausgehen.

Dies gilt umso mehr für den Euroraum als Ganzen: Die Inflationsrate in der Währungsunion liegt seit mehreren Jahren deutlich unter dem von der EZB als Preisstabilität definierten Ziel von unter, aber nahe 2%; im August ist sie auf 0,3% gesunken. Vor allem in den Krisenländern ist die Kapazitätsauslastung zudem niedrig und die Investitionstätigkeit äußerst schwach. Eine restriktivere Geldpolitik dürfte den allmählichen Erholungsprozess, der sich in manchen der Volkswirtschaften – namentlich in Spanien und Portugal – abzeichnet, erschweren und in den Ländern, die weiterhin mit den Folgen struktureller Probleme kämpfen – zu denken ist insbesondere an Frankreich und Italien – für eine zusätzliche Belastung der ohnehin schwachen Konjunktur sorgen. Während eine expansive Geldpolitik kein Ersatz für die Lösung dieser strukturellen Probleme sein darf, spricht aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht selbst längerfristig nichts dafür, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen mit einer Überschreitung des Inflationsziels zu rechnen ist. Vielmehr ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die Preisdynamik im Euroraum bei einer restriktiveren Geldpolitik noch geringer wird und sich Deflationsrisiken materialisieren.6

Trotz der expansiven Politik erholt sich die Realwirtschaft kaum

Bereits jetzt belasten die niedrigen Preissteigerungsraten die wirtschaftliche Erholung in der Währungsunion, da sie den Schuldenabbau der Haushalte, Unternehmen und des Staates erschweren. Niedrige Preissteigerungsraten oder gar ein Rückgang der Preise dämpfen die Steuereinnahmen und machen einen Abbau der öffentlichen Schulden zusätzlich schwierig, so dass verstärkt über die öffentlichen Ausgaben konsolidiert werden muss. Die privaten Wirtschaftsakteure waren nach dem Platzen der Finanzmarkt- und Immobilienblasen in einigen der Krisenländer der Währungsunion – namentlich in Spanien und Irland – damit konfrontiert, dass der Wert ihrer Vermögen erheblich gesunken und ihre (Netto-)Verschuldung stark gestiegen war. Wegen der niedrigen Inflationsraten oder gar der Deflation war auch bei den privaten Schulden in realer Rechnung kaum eine Entlastung zu spüren. In der Konsequenz haben die Haushalte ihre Konsumnachfrage und die Unternehmen ihre Investitionstätigkeit stark eingeschränkt.

Dieses Phänomen ist nicht auf den Euroraum beschränkt. Vielmehr waren und sind solche „Bilanzrezessionen“ (Balance Sheet Recessions7) für die meisten Volkswirtschaften festzustellen, in denen in den vergangenen Jahren das Platzen von Finanz- oder Immobilienmarktblasen zu einer Entwertung von Vermögen geführt und in der Folge eine hohe Ersparnisbildung beziehungsweise niedrige Kreditnachfrage mit sich gebracht hat, die bereits für sich genommen zu sinkenden Zinsen führte. Die Niedrigzinspolitik, mit der die Zentralbanken global auf die Krise reagierten, setzte die Zinsen noch zusätzlich unter Druck. Dabei ist die Wirkung dieser Politik auf die Realzinsen wegen der stark gesunkenen Inflationsraten – und der bindenden Nullzinsgrenze – allerdings beschränkt und der expansive Impuls, der von der Geldpolitik ausgeht, gering. In der Folge vollzieht sich die Erholung von der Rezession ausgesprochen langsam, viele Ökonomen erwarten eine säkulare Stagnation8 mit lang anhaltend geringem Wachstum und ausgeprägter Arbeitsmarktschwäche.

Entsprechend bleibt auch im Euroraum die konjunkturelle Erholung ausgesprochen zögerlich. Zwar ist in manchen Krisenländern die Talsohle der wirtschaftlichen Entwicklung durchschritten und eine allmähliche Aufwärtsbewegung zeichnet sich ab. Von dem Produktions- und Beschäftigungsniveau vor der Rezession sind die meisten Mitgliedsländer der Währungsunion aber weit entfernt (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 4
Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum
Index, Q1 2008 = 100, letzte Beobachtung: Q2 2014
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Quelle: Eurostat.

Nun ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Rückgang der privaten und öffentlichen Ausgaben in den Krisenländern des Euroraums als Korrektur der Ausrichtung der betroffenen Ökonomien zu sehen ist, die insofern durchaus erforderlich war, als sich das vormalige Wachstumsmodell – gestützt etwa auf eine exzessive Bautätigkeit oder hohe öffentliche Ausgaben – als nicht tragfähig erwiesen hat. Nachdem dieser Korrekturprozess zumindest in einigen Ländern allmählich zum Ende zu kommen scheint, sind die Wirtschaftsakteure gefordert, neue und hoffentlich nachhaltige Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Eine restriktivere Geldpolitik dürfte in diesem Prozess eine Belastung darstellen, da insbesondere die für einen Aufbau neuer Kapazitäten etwa in der Exportwirtschaft erforderliche Investitionstätigkeit gedämpft wird.

Risiken im Auge behalten

Die Risiken der expansiven Geldpolitik sind beachtlich. So ist im derzeitigen Umfeld nicht gewährleistet, dass die durch die niedrigen Zinsen angeregten Investitionen auch wirklich in eine das Wachstum nachhaltig stärkende produktive Verwendung fließen. Auch die stark steigenden Bewertungen an den Immobilien-, Anleihe- und Aktienmärkten werden wohl zu Recht mit der lockeren Geldpolitik in Verbindung gebracht.9 So ist nicht auszuschließen, dass es wegen der monetären Rahmenbedingungen im Euroraum wie auch global erneut zu Fehlallokationen von Kapital kommt, die zwar kurzfristig mit kräftigerem Wachstum einhergehen, diese Überhitzung sich aber erneut nur unter Inkaufnahme gravierender Verwerfungen an den Märkten auflöst. Zwar weist etwa EZB-Präsident Draghi zu Recht darauf hin, dass in erster Linie die makroprudenzielle Regulierung für die Finanzmarktstabilität verantwortlich sei und das Primärziel der Notenbank sich eindeutig auf die Preisstabilität beziehe.10 Eine Mitverantwortung der Geldpolitik für den Aufbau finanzieller Ungleichgewichte bleibt aber bestehen, da die Wirtschaftssubjekte bei niedrigen Zinsen einen zusätzlichen Anreiz haben – etwa auch, weil bestimmte nominale Renditeziele vertraglich vereinbart sind –, in riskantere Projekte zu investieren.11

Fazit

Die insbesondere in Deutschland zuletzt vielfach geäußerte Kritik an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist unangemessen. Bereinigt um Preissteigerungen liegen die Zinsen derzeit nicht ungewöhnlich niedrig, vor allem, da – auch in Deutschland – die Inflationsrate ausgesprochen gering ist. Für die Währungsunion als Ganze ist eine anhaltende Verletzung des Ziels der Preisstabilität, das die EZB bei einer Inflationsrate von unter, aber nahe 2% als erreicht ansieht, festzustellen. Die konjunkturelle Entwicklung lässt weder für den Euroraum noch für die deutsche Volkswirtschaft erwarten, dass es zu einem kräftigen Anstieg der Inflationsraten kommt. Vor diesem Hintergrund tut die EZB gut daran, ihren derzeit sehr expansiven Kurs beizubehalten. Dass eine solche Politik Umverteilungswirkungen hat – von Sparern zu Schuldnern, von Haushalten zu Regierungen – ist ihr dabei nicht vorzuwerfen; Umverteilungswirkungen sind geradezu ein Wesensmerkmal wirtschaftspolitischer Entscheidungen und kein Hindernis. Der EZB in diesem Zusammenhang mangelnde Legitimation vorzuwerfen, führt in die Irre, denn das der Zentralbank von legitimierten Entscheidungsträgern übertragene Primärziel der Preisstabilität spricht in der aktuellen Situation gerade für eine Beibehaltung der expansiven Politik.

Zwar sollte die EZB die Risiken ihrer Politik, wie sie sich insbesondere in Überhitzungserscheinungen auf den Finanzmärkten zeigen, im Auge behalten. Allerdings sind andere politische Akteure gefordert, die Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte so zu gestalten, dass die Gefahr neuer Finanzmarktungleichgewichte möglichst gering bleibt. Auch die europäische Wirtschaftspolitik hat in dieser Hinsicht noch einigen Nachholbedarf. So schreitet die Implementierung makroprudenzieller Maßnahmen bisher eher langsam voran und die enge Verbindung zwischen privater und öffentlicher Verschuldung, die die Ausbreitung der Krise im Euroraum beschleunigt hat, ist immer noch nicht gekappt.12

Ohnehin sollte die europäische Wirtschaftspolitik – sowohl auf der nationalen Ebene wie auch in Brüssel – nicht davon ausgehen, dass die Europäische Zentralbank die (aktuellen und künftigen) Schwierigkeiten der Währungsunion allein lösen kann. Eine expansive Geldpolitik kann kein Ersatz für die Lösung struktureller Probleme sein, sondern dient allenfalls dazu, deren Lösung zu erleichtern.13 Weiterhin sind es vor allem andere Akteure, die dafür sorgen müssen, dass sich die Währungsunion wieder tragfähige Wachstumsmöglichkeiten erschließt. In erster Linie ist dabei darauf hinzuwirken, dass sich die private Investitionstätigkeit von der Schwäche erholt, in der sie sich vielerorts bereits seit über einem Jahrzehnt, in einigen Krisenländern zumindest seit einigen Jahren befindet. Hierzu sollte die Einrichtung eines zeitlich befristeten Investitionsfonds erwogen werden, um die derzeit noch durch hohe Unsicherheit beeinträchtigte Kreditvergabe der Banken zu ergänzen. Wichtig ist aber auch eine strukturelle Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen in Europa, etwa durch eine effiziente Wettbewerbspolitik und ein investitionsfreundliches Steuersystem.14 Solange von Seiten der (privaten) Gläubiger wenig Kapital für Investitionszwecke nachgefragt wird, solange werden auch die Zinsen nur wenig steigen. Die Europäische Zentralbank dafür zu kritisieren, dass sie ihrem Mandat gerecht wird, ist unangebracht.

  • 1 Zu den Folgen der Niedrigzinspolitik für die öffentlichen Finanzen vgl. auch M. Kokert, D. Schäfer, A. Stephan: Niedriger Leitzins: Eine Chance in der Euro-Schuldenkrise, in: DIW Wochenbericht, Nr. 7/2014.
  • 2 Welt Online: Deutschland spart durch Niedrigzins 120 Milliarden, 10.8.2014, http://www.welt.de/wirtschaft/article131059965/Deutschland-spart-durch-Niedrigzins-120-Milliarden.html.
  • 3 Deutsche Bundesbank: Negative reale Verzinsung von Einlagen kein neues Phänomen, Frankfurt, 27.6.2014, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Themen/2014/2014_06_27_einlageverzinsung_in_deutschland.html.
  • 4 Vgl. wegweisend R. Mundell: A Theory of Optimum Currency Areas, in: American Economic Review, 51. Jg. (1961), H. 4, S. 657-665.
  • 5 F. Fichtner et al.: Sommergrundlinien 2014, in: DIW Wochenbericht, Nr. 25/2014.
  • 6 Vgl. hierzu auch K. Bernoth, M. Fratzscher, P. König: Risiken der schwachen Preisentwicklung, in: DIW Wochenbericht, Nr. 12/2014.
  • 7 R. C. Koo: The World in Balance Sheet Recession: Causes, Cure and Politics, Real-world Economics Review, 2011, H. 58, http://www.paecon.net/PAEReview/issue58/Koo58.pdf.
  • 8 Vgl. für einen Überblick C. Teulings, R. Baldwin: Introduction, in: C. Teulings, R. Baldwin (Hrsg.): Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures, A VoxEU.org eBook, CEPR Press, 2014, S. 1-23.
  • 9 Vgl. ausführlich hierzu Bank for International Settlements: Annual Report, 2014, insbes. Kapitel IV.
  • 10 M. Draghi: Q & A bei der EZB-Pressekonferenz vom 3.7.2014, http://www.ecb.europa.eu/press/pressconf/2014/html/is140703.en.html.
  • 11 Vgl. einführend L. Gambacorta: Monetary Policy and the Risk-taking Channel, BIS Quarterly Review, Dezember 2009, S. 43-53.
  • 12 Vgl. ausführlich zu den Herausforderungen für die europäische Finanzmarktordnung F. Bremus, C. Lambert: Bankenunion und Bankenregulierung, in: DIW Wochenbericht, Nr. 26/2014.
  • 13 Für einen Überblick über notwendige institutionelle Reformen der Währungsunion vgl. F. Fichtner et al.: Den Euroraum zukunftsfähig machen, in: DIW Wochenbericht, Nr. 24/2014.
  • 14 Vgl. zu diesen Vorschlägen, die private Investitionstätigkeit in Europa anzuregen, ausführlich F. Fichtner, M. Fratzscher, M. Gornig: Eine Investitionsagenda für Europa, in: DIW Wochenbericht, Nr. 27/2014.

Niedrige Leitzinsen – kein Allheilmittel

Unstrittig befinden sich die Leitzinsen in den wichtigen Währungsräumen USA, der Eurozone und auch in Japan auf einem sehr niedrigen Niveau. Niedrigzinspolitik ist kein Selbstzweck. Der Übergang auf eine weltweite Niedrigzinspolitik vollzog sich ruckartig im Gefolge der internationalen Finanzkrise 2008. Ende 2008 lagen die Leitzinsen und damit die wichtigen Refinanzierungssätze für Banken in den USA bei 0,13% und in Japan bei 0,1%. Auch in der Eurozone war der Leitzins1 angesichts der internationalen Finanzkrise deutlich gesenkt worden; er lag aber Ende 2008 noch bei 2,5%. Damit waren in der akuten Finanzkrise zwar insgesamt die Leitzinsen in den wichtigen Währungsräumen kräftig rückläufig; bezogen auf das Niveau unterschieden sie sich jedoch in dieser Phase (Phase I) erheblich.

Seit der internationalen Finanzkrise 2008 sind mehr als fünf Jahre vergangen. In den USA und in Japan hat sich die extreme Niedrigzinspolitik weiter verstetigt. In der Eurozone rutschte der Leitzins erst 2012 unter die 1%-Marke. Seit dem 5.6.2014 liegt der Hauptrefinanzierungssatz der EZB bei 0,15%. Folglich hat sich die Zinsdifferenz zu den anderen Währungsräumen inzwischen deutlich verringert.2 Als Ziel der extremen Niedrigzinspolitik wird inzwischen vor allem die Nachfragebelebung (Phase II) genannt. Dabei wird auf einen simplen, lehrbuchmäßig überlieferten Wirkungszusammenhang gesetzt: Niedrige Zinsen begünstigen demnach Investitionen und damit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Aber es fällt auf, dass dieser Prozess irgendwie nicht in Gang kommen will.

Als extrem niedrige Verzinsung gelten in diesem Beitrag nominale Zinssätze, bei denen eine Null vor dem Komma steht. Im Fokus steht die Entwicklung in Deutschland.

Der Zins – eine schwierige Größe

Anders als oft angenommen gibt es ihn nicht – den universellen Zins. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Zinssätzen. Der Leitzinssatz ist einer von ihnen. Er ist in erster Linie für die Geschäftsbanken relevant, da hiermit direkt Einfluss auf die Refinanzierungskosten genommen wird. Sinkt der Leitzins, so sinken die Refinanzierungskosten der Banken – folglich lassen sich im Finanzsektor bei einem solchen Zinsschritt zumindest kurzfristig höhere Gewinne realisieren. Dieser Effekt geht vor allem auf die Veränderung des Zinsniveaus zurück – nicht auf das Niveau an sich. Da im Gefolge der internationalen Finanzkrise die Leitzinsen merklich gesenkt wurden, ging von diesen geldpolitischen Entscheidungen und von den damit verbundenen Kostensenkungen für Banken eine stabilisierende Wirkung auf den Finanzsektor aus. Dies gilt vor allem für die Eurozone und die USA. In Japan waren die Leitzinsen ohnehin niedrig.

Profitieren konnten von der Zinsveränderung alle Geschäftsbanken – nicht nur die krisengefährdeten. Die Geschäftsbanken in Deutschland haben in Phase I nach der internationalen Finanzkrise eine hohe Nachfrage nach Zentralbankgeld entwickelt und ihre Bankbilanzen kräftig ausgeweitet. Damals lagen die Refinanzierungszinsen in der Eurozone deutlich über dem heutigen Niveau. Interessanterweise ging mit den weiteren Zinsschritten keine kontinuierliche Fortschreibung der Bilanzexpansion einher. Vielmehr nimmt die aggregierte Bilanzsumme der Banken in Deutschland in der extremen Niedrigzinsphase ab (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Entwicklung der aggregierten Bankbilanz in Deutschland
in Mrd. Euro
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Quelle: Deutsche Bundesbank, Juni 2014.

Sinkt also die Nachfrage nach Zentralbankgeld gerade in einer Phase, in der es besonders kostengünstig zu haben ist? Die Entwicklung der Bankbilanzen in Phase II dürfte entscheidend von den allgemeinen Rahmenbedingungen des Finanzsektors geprägt sein. Dazu gehört das regulatorische Umfeld, das seit der internationalen Finanzkrise deutlich verschärft worden ist. Das deutsche Drei-Säulen-System gilt zwar als stabil, wurde aber an einigen Stellen (beispielsweise bei den Landesbanken) mit erheblichen regulatorischen Einschnitten konfrontiert. Auch führt Basel III säulenübergreifend zu härteren Eigenkapitalvorschriften. Darüber hinaus ist der Finanzsektor mit den indirekten Folgen der europäischen Schuldenbremse konfrontiert – zwangsläufig wirkt diese dämpfend auf die staatliche Kreditnachfrage. Vereinfachend kann argumentiert werden, dass sich ein in der Vergangenheit sehr wichtiger Kunde aus dem Verschuldungsgeschäft zurückzieht – dies obwohl die Kreditkonditionen als günstig gelten müssen.

Die aktuell niedrigen Nominalzinsen machen die beschränkten Renditemöglichkeiten mit risikoarmen Finanzprodukten offensichtlich. Aus der Sicht der Geschäftsbanken ist klar, dass Kreditgeschäfte in Zeiten dauerhaft niedriger Nominalzinsen schwierig sind. Gesucht wird nach profitablen Geschäftsmöglichkeiten mit geringem Risiko. Bislang galt die öffentliche Hand als ein risikoarmer Kreditnehmer. Das hat sich mit der europäischen Verschuldungskrise grundlegend geändert. Längst nicht mehr alle Staaten der Eurozone gelten als risikoarm. Ein wichtiger Profiteur dieses Gefüges ist die öffentliche Hand in Deutschland. Die Zinssätze für öffentliche Anleihen sind hier in den letzten Jahren in der Tendenz massiv gesunken; im Juni 2014 belief sich die Umlaufrendite auf 1,1% nach 4,7% im Juni 2008. Die kräftige Abwärtsbewegung bei der Zinslast führt zu deutlichen Budgetentlastungen. Bei kurzfristigen Anleihen wurde 2012 teilweise sogar eine Nullverzinsung erreicht.3 Daran wird deutlich, dass in die Zinskalkulationen der Kapitalgeber immer der Marktzins und eine kalkulatorische Risikoprämie eingehen – genau diese ist im Falle Deutschlands eher gering.

Der Leitzins der Zentralbank gibt zudem einen Orientierungspunkt für die Einlageverzinsung der Geschäftsbanken. Denn die Einlagen von privaten Haushalten, Unternehmen und vom Staat stellen die weitere wichtige Refinanzierungsquelle für Finanzintermediäre dar. Tatsächlich liegt die Einlageverzinsung in Deutschland, etwa bei klassischen Sparbüchern, ebenfalls im extrem niedrigen Bereich – für täglich fällige Einlagen von privaten Haushalten kommt die Deutsche Bundesbank im Juni 2014 auf 0,35%.4 Bei einer aktuellen Inflationsrate von 0,8% ergibt sich überschlagsmäßig ein negativer Realzins von 0,45%. Der Kaufkraftverlust liegt bei denjenigen, die Spareinlagen bilden. Dies war jedoch auch in Zeiten höherer Leitzinsen so. Ende 2004 lag der hier herangezogene Einlagezins bei 1,17%, die Inflation betrug in Deutschland 2,22%. Die überschlagsmäßig berechnete negative Realverzinsung – also der Kaufkraftverlust – war damals sogar höher.5

Zwar sind die Einlagezinsen extrem niedrig, dies gilt jedoch nicht für die Kreditzinsen, die privaten Haushalten berechnet werden (vgl. Abbildung 2). So verharren die Nominalzinsen für Konsumentenkredite trotz der deutlichen Leitzinssenkungen immer noch auf dem Vorkrisenniveau. Für den Monat Juni 2014 weist die Deutsche Bundesbank einen durchschnittlichen Effektivzins von 6,24% aus. Die überschlagsmäßige Berechnung des Realzinses bei Konsumenten ergibt hier also einen Wert von 5,44%! Mit anderen Worten, die Banken geben ihre günstigen Finanzierungskonditionen nicht an die privaten Haushalte weiter – der geldpolitische Transmissionsmechanismus ist an dieser Stelle verstopft.

Abbildung 2
Zinsentwicklung

Zinssatz in % p.a.

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Einlagenverzinsung: täglich fällige Einlagen. Unternehmenskredite: an nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften, über 1 Mio. Euro, anfängliche Zinsbindung über fünf Jahre. Wohnungsbaukredite: an private Haushalte.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Bei den Unternehmenskrediten liefert die Deutsche Bundesbank sehr differenzierte Zinsstatistiken. Für die Betrachtung hier wurden Kredite an nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften mit einer Zinsfestschreibung von fünf Jahren und einem Finanzierungsvolumen von mehr als 1 Mio. Euro gewählt. Dabei wird klar, dass die nominalen Zinssätze für diese Kredite im Gefolge der internationalen Finanzkrise deutlich gesunken sind. Diese Kredite haben sich aus Sicht der Unternehmen verbilligt, bleiben aber real immer noch im deutlich positiven Bereich. Die Zinskosten der Unternehmenskredite entwickeln sich parallel zu denen, die bei privaten Wohnungsbaukrediten berechnet werden. Interessant ist nun, dass während die Wohnungsbaukredite boomen, das Volumen der Unternehmenskredite eher rückläufig ist.

Renditeerwartungen sind entscheidend

Niedrige Leitzinsen allein lösen noch keinen Nachfrageboom aus. Vielmehr zeigt sich, dass die niedrigen Leitzinsen derzeit über den Bankensektor nur selektiv an potenzielle Kreditnehmer weitergegeben werden. Aus der Sicht von Unternehmen ist es rational zwischen der klassischen Fremdfinanzierung und dem Einsatz eigener Finanzmittel abzuwägen. Lassen sich für die eigenen Finanzmittel über das Finanzsystem nur geringe Erträge realisieren, wird ihr Einsatz im Unternehmen attraktiver. Tatsächlich ist die Eigenkapitalquote von Unternehmen in Deutschland auch nach der internationalen Finanzkrise kräftig gestiegen und lag 2012 bei 27,5%. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 lag die Eigenkapitalquote noch bei 15%. Offenbar werden auch verstärkt Kredite innerhalb von Unternehmensverbünden gewährt; die Bedeutung von Bankkrediten nimmt ab.6 Interpretationen dieser strukturellen Umschichtungen gibt es zahlreiche. Sie können als Indiz für eine Verunsicherung im Unternehmenssektor verstanden werden. Die Entkoppelung von der Bankfinanzierung wird durch die aktuellen Rahmenbedingungen befeuert. Einiges spricht auch dafür, dass sich der Unternehmenssektor vor den negativen Folgen der extremen Niedrigverzinsung von Bankeinlagen zu schützen versucht, indem er auf die Steigerung der Eigenkapitalquote und wechselseitiger Unternehmenskredite setzt. Eine solche Kapitalumschichtung löst keinen Investitionsprozess aus.

Auch die privaten Haushalte in Deutschland zeigen ein erhebliches Renditebewusstsein. Kredite werden vorrangig für den Wohnungsbau aufgenommen. Hier kann im Unterschied zu den Konsumentenkrediten mit einer relativ geringen Nominalverzinsung gerechnet werden. Dazu kommt, dass die Immobilienpreise in Deutschland gerade in den Ballungsräumen kräftig gestiegen sind. Eine deutliche Trendwende ist nicht in Sicht. Parallel dazu ziehen auch die Mieten deutlich an. Diese Preiseffekte befeuern offensichtlich die Nachfrage nach Wohneigentum. Zum besseren Verständnis der Kreditentwicklung könnte bei der Wohnungsbaufinanzierung auch ein spezifischer „Wohnungsbaurealzins“ errechnet werden, wobei nicht die allgemeine Preisentwicklung sondern die spezifische Immobilienpreisentwicklung einfließt. Bei einer solchen Vorgehensweise dürfte sich in vielen Einzelfällen derzeit eine bestenfalls knapp positive Realverzinsung von Wohnungsbaukrediten ergeben – ein Motiv für die aktuell massive Nachfrage nach solchen Finanzprodukten.

Insgesamt zeigt sich, dass sich selbst in den aktuellen Zeiten extremer Niedrigzinsen gerade die Kreditnachfrage von Unternehmen und öffentlichen Haushalten eher moderat entwickelt. Vor diesem Hintergrund steht der Finanzsektor vor erheblichen Herausforderungen. Denn eines seiner Kerngeschäfte, die Kreditvergabe, wird in Zeiten dauerhafter Niedrigzinsen infrage gestellt. Dazu kommt, dass zahlreiche Finanzdienstleistungen zunehmend von anderen Akteuren wahrgenommen werden – als Stichwort sei hier nur die Zahlung mit dem Smartphone genannt. Der deutsche Bankensektor hinkt gerade in wichtigen Dienstleistungssegmenten der internationalen Entwicklung hinterher. Hier besteht Handlungsbedarf.

Deflation und erlebte Inflation

Vielfach wird die extreme Niedrigzinspolitik mit geringen Preissteigerungsraten in Verbindung gebracht. Bei einer solchen Konstellation geht es darum, Deflation zu vermeiden. Zur Berechnung der Preissteigerung wird ein Warenkorb herangezogen. Dieser Warenkorb bildet jedoch wichtige Bereiche der Vermögenspreisentwicklung nicht ab. Vor diesem Hintergrund erleben viele Menschen, aber auch Unternehmen im wirtschaftlichen Alltag nicht nur Deflationstendenzen, sondern sind in zentralen Bereichen erheblichen Preissteigerungen ausgesetzt. Die dauerhafte Niedrigzinspolitik befeuert eine dynamische Preisentwicklung bei zahlreichen Vermögenswerten. Nolens volens werden so die nominalen Vermögen der Vermögensbesitzer erhöht. Dies zeigt sich besonders gut im Immobiliensektor in Deutschland – aber auch bei anderen Vermögensarten.

Tatsächlich findet hier im Schatten der Niedrigzinspolitik und der Deflationsbekämpfung eine Umverteilung zugunsten von Realvermögensbesitzern statt. Kurzum: Langfristig können von extrem niedrigen Leitzinsen erhebliche destabilisierende Effekte auf die Gesamtwirtschaft ausgehen. Das Vermögen steigt so auch ohne Investition. Die Wirkung dauerhaft niedriger Leitzinsen unterscheidet sich folglich deutlich von der kurzfristiger Zinssenkungen. Die Entwicklung in Japan zeigt: Impulse auf die realwirtschaftliche Nachfrage werden immer unwahrscheinlicher, je länger die extreme Niedrigzinsphase andauert.

  • 1 Hauptrefinanzierungssatz.
  • 2 In Japan liegt der Refinanzierungssatz seit dem 5.10.2010 bei 0,05%.
  • 3 Dies obwohl der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte in Deutschland gerade 2012 seinen bisherigen Rekordwert von 2068,3 Mrd. Euro erreichte (zum Vergleich: 2008 lag der Schuldenstand noch bei 1577,9 Mrd. Euro). Real bedeutet die nominale Nullverzinsung eine klare Umverteilung zugunsten des Kreditnehmers „öffentliche Hand“. In der Zinsentwicklung für öffentliche Anleihen schlägt offenbar auch die Bonitätsbewertung AAA Deutschlands zu Buche.
  • 4 Dies ist der Zinssatz, den die Bundesbank für täglich fällige Einlagen privater Haushalte (Neugeschäft) für Juni 2014 ausweist. Vgl. http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_list_node.html?listId=www_s11b_ne1.
  • 5 Wie die einfache Rechnung oben zeigt, sind kalkulatorisch gegenüber 2004 trotz Niedrigzinspolitik sogar die Anreize gestiegen, täglich fällige Einlagen zu bilden. Dem entspricht, dass das heutige Neugeschäft mit diesen Finanzprodukten volumenmäßig deutlich über den Vergleichswerten aus dem Jahr 2004 liegt: Das Neugeschäft mit täglich fälligen Einlagen machte 2004 im Monatsdurchschnitt 418 Mio. Euro aus; 2014 wird ein Monatsdurchschnitt von 951 Mio. Euro gemeldet. Offenbar ist die Nominalverzinsung bei der Geldanlage nur eine unter etlichen entscheidungsrelevanten Determinanten.
  • 6 Deutsche Bundesbank: Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unternehmen 2012, Monatsbericht Dezember 2013.

Behutsamer Einstieg in die Zinswende

Die Geldpolitik in den großen Währungsräumen befindet sich seit geraumer Zeit in einem Ausnahmezustand, sie nutzt unterschiedliche Instrumente mit unterschiedlicher Intensität, ist aber insgesamt stark expansiv ausgerichtet. In Japan haben zwei gesamtwirtschaftlich schwierige Jahrzehnte und deutlich deflationäre Tendenzen die Notenbank zu einer lockeren Geldpolitik veranlasst; in der Eurozone, in Großbritannien und den USA wurde dies erst durch die Finanzmarkt- und die Staatsschuldenkrise verursacht. Aus einem Einzelfall scheint der geldpolitische Normalfall geworden zu sein. Die niedrigen Zinsen sind dabei bei allen Gemeinsamkeiten der verschiedenen Währungsräume unterschiedlich motiviert. So dominiert in den USA und in Großbritannien die monetäre Staatsfinanzierung, in Japan hingegen seit 1999 die Deflationsbekämpfung und in der Eurozone die Sorge um eine anhaltende Segmentierung in nationale Finanzmärkte.1

Die Handlungsstrategien haben sich im Zuge der Niedrigzinspolitik der Notenbanken weltweit angenähert. Selbst die stark in der Tradition der Bundesbank stehende Europäische Zentralbank (EZB) hat seit dem Frühjahr 2010 eher unkonventionelle Maßnahmen ergriffen, die allemal in Deutschland den Anstoß zu sehr grundsätzlichen Erörterungen geben. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise stellte die Sicherung der Preisniveaustabilität das dominante geldpolitische Paradigma dar, dies hat die Niedrigzinspolitik relativiert. Mit der längeren Dauer des Krisenmodus verstärken sich aber auch Zweifel an diesem Kurs, und es kommt zu neuen Debatten über die Funktion der Geldpolitik im Spannungsfeld zwischen Preisniveaustabilität und der Stabilisierung des Finanzsystems.

Die Niedrigzinspolitik ist jedoch nicht nur für die geldpolitische Strategie problematisch, sondern ebenso für die praktische Frage, wie man aus einem solchen Modus ohne größere Kollateralschäden wieder zu neutraler Geldpolitik zurückkehren kann. Allerdings wird befürchtet, dass bei einer hohen öffentlichen Verschuldung ein Zinsanstieg die Solvenz eines Staates gefährdet. Daraus entsteht – im Sinne der fiskalischen Dominanz – Druck auf die Zentralbank, die Zinsen nicht zu erhöhen. Gleichermaßen kann bereits mit einer Zinswende und damit über abrupte Korrekturen von Erwartungen an den Rentenmärkten, Wertberichtigungsbedarf in erheblichem Ausmaß für die Anleger entstehen, was ebenfalls Druck auf die Notenbank auslöst, zinspolitisch nichts zu tun. Zweifellos sind diese Argumente stets gegen eine Zinswende ins Feld zu führen und in der Vergangenheit auch reflexhaft vorgetragen worden, doch sie gewinnen angesichts der gegenwärtig nahe null liegenden, den Verbraucherpreisanstieg nicht kompensierenden Notenbankzinsen sowie den historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen besonderes Gewicht.

In der Eurozone gelten im Vergleich mit den anderen großen Währungsräumen spezielle Bedingungen, denn in den Krisenstaaten sind die Kapitalmarktzinsen nicht so niedrig wie es aufgrund des Zinsniveaus in der Eurozone erwartbar wäre. Der geldpolitische Transmissionsmechanismus ist dort im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten der Währungsunion noch gestört. Die infolge der Staatsschuldenkrise von gravierenden Zahlungsbilanzproblemen und Kapitalflucht stark betroffenen nationalen Bankensysteme der Krisenstatten haben mit erheblichen Bilanzproblemen zu kämpfen, die ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe drastisch begrenzen. Zugleich sind dort Tendenzen zu deflationären Entwicklungen zu beobachten. Damit steht die EZB vor besonderen Herausforderungen – auch weil die Finanzsysteme fragmentiert sind. Bislang hat die EZB darauf mit einem Mix aus unbegrenzter Liquiditätsversorgung mit Vollzuteilung an die Banken, einer Lockerung der Kreditsicherheiten, langfristigen Refinanzierungsgeschäften, Käufen von Covered Bonds und Staatsanleihen sowie niedrigen Zinsen reagiert und so das gesamte Laufzeitspektrum der Zinsen beeinflusst.

Ursachen der Niedrigzinspolitik in der Eurozone

Die gegenwärtige Niedrigzinspolitik ist durch ein ganzes Bündel von Faktoren verursacht, die unterschiedlichen Phasen zuzuordnen sind. Deshalb ist es auch schwierig, eindeutige Erklärungen zu finden. Denn die niedrigen Zinsen haben eine längere Vorgeschichte. Bereits 2005 formulierte Ben Bernanke die These einer globalen Sparschwemme. Er geht davon aus, dass umfangreiche Ersparnisse aus den Schwellenländern Ostasiens in den USA und anderen Industrieländern angelegt wurden; die Anleger hofften – als Erfahrung aus der Asienkrise 1997 – gegenüber neuen Krisen besser abgesichert zu sein.2 Dafür sprach auch die schwache Konstitution der eigenen Kapitalmärkte. Infolgedessen war in den Industrieländern als „sichere Häfen“ eine Ersparnis verfügbar, der keine vergleichbar hohen Investitionsmöglichkeiten gegenüberstanden.3 An der Bernanke-These wird kritisiert, dass die Sparquote der privaten Haushalte tatsächlich global gesunken sei. Diese Kritik ist zwar berechtigt, wird aber dadurch relativiert, dass der Blick nicht auf die Entwicklung der Ersparnisse, sondern auf die Investitionsschwäche gerichtet wird.4

Diese relative Investitionsschwäche ist nach der Finanz- und Wirtschaftskrise erneut so offenbar geworden, dass nun Larry Summers mit der These der säkularen Stagnation auf Alvin Hansen Bezug nimmt und in die gleiche Richtung argumentiert.5 Dabei verweist er vor allem auf die unzureichenden Investitionspotenziale, die sich aus der Alterung der Bevölkerung in den Industriestaaten, vor allem aber aus fehlenden Basisinnovationen erklären. Ähnlich argumentiert Carl Christian von Weizsäcker, dass dem demografisch bedingten Sparvolumen für die Altersvorsorge unter bestehenden Bedingungen keine vergleichbaren Anlagemöglichkeiten gegenüberstehen, sollte der Staat längerfristig als Kreditnehmer ausfallen.6 Wie man diese Argumente im Einzelnen auch bewerten mag, deutlich wird jedenfalls, dass die niedrigen, mitunter sogar negativen realen Kapitalmarktzinsen nicht ausschließlich auf die Geldpolitik zurückzuführen sind. Sollten diese Argumente überwiegen, dann wären die Handlungsmöglichkeiten der Notenbanken für eine Korrektur des langfristigen Zinsniveaus allerdings noch stärker beschränkt.

Zudem zeigen diese Argumente, dass es sich um ein globales Phänomen mit längerer Geschichte handelt (vgl. Abbildung 1). Seit Beginn des neuen Jahrtausends hat sich in den OECD-Ländern das bereits vorher im historischen Vergleich niedrige Niveau der langfristigen Zinsen weiter und fortlaufend reduziert, weil die Notenbanken die Preisniveaus erfolgreich stabilisieren konnten („Great Moderation“). Die Krise nach dem Platzen der Dot.com-Blase sowie die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 haben den Prozess forciert. Dazu dürfte beigetragen haben, dass seitdem die Risikoneigung der Anleger gesunken ist und dies die Flucht in den sicheren Hafen festverzinster Anlagen befördert hat. Gerade für den deutschen Rentenmarkt trifft dieses Argument seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise verstärkt zu.

Abbildung 1
Langfristige Zinsen in den OECD-Ländern
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Quellen: OECD; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Unabhängig von den längerfristigen Überlegungen sind für die gegenwärtige Niedrigzinsphase folgende grundlegende Ursachen anzuführen: die globale Finanzkrise, die makroökonomische Krise, die Banken- und Staatsschuldenkrise in der Eurozone sowie die Zahlungsbilanzkrise einiger Euroländer (vgl. Tabelle 1). Aus diesen multiplen Krisenarten resultieren vielfältige Herausforderungen für die EZB. Da sowohl die Krisen als auch die geldpolitischen Reaktionen auf der Wirkungsebene jeweils in hohem Maße verflochten sind, ist eine spezifische Zuordnung nicht möglich. Die besondere Lage der Geldpolitik im Ausnahmezustand wird damit deutlich.

Tabelle 1
Krisenarten und geldpolitische Reaktionen
Krisenarten Herausforderungen für die EZB Reaktionen der EZB
  • Globale Finanzkrise
  • Makroökonomische Krise
  • Banken- und Staatsschuldenkrise
  • Zahlungsbilanzkrise


  • Tiefe Double-Dip-Rezession
  • Banken-Staaten-Nexus
  • Austrittserwartungen
  • Fragmentierung des Finanzmarktes
    • Zusammenbruch des Interbankenmarktes
    • Gebrochene geldpolitische Transmission
  • Kreditklemme
  • Niedrigzinspolitik
  • Vollzuteilungspolitik (2008 ff.), längerfristige Refinanzie­rungsgeschäfte LTRO 2011/2012
  • Herabstufung der Standards für Kredit­sicherheiten (2011 ff.)
  • Emergency Liquidity Assistance (2007 ff.)
  • Securities Markets Programme (5/2010-9/2012)
  • Outright Monetary Transactions (seit 9/201

Quelle: M. Demary, J. Matthes: Das aktuelle Niedrigzinsumfeld: Ursachen, Wirkungen und Auswege, Köln 2014, S. 15, http://www.iwkoeln.de/de/studien/gutachten/beitrag/markus-demary-juergen-matthes-das-aktuelle-niedrigzinsumfeld-168565 (22.7.2013).

Problematisch für die Notenbank einer Währungsunion ist die Gefahr einer Fragmentierung des Finanzmarkts. Diese ist auf Dauer nicht hinnehmbar, weil damit wesentliche Vorteile einer gemeinsamen Währung entfallen und eine nachhaltige Renationalisierung der Finanzkreisläufe droht. Die Risikobewertung für Staatsanleihen und für Bankanleihen ist stark aneinander gekoppelt (vgl. Abbildung 2). Das Insolvenzrisiko großer Banken wird aus Sicht des Kapitalmarkts durch das Insolvenzrisiko des jeweiligen Staates bestimmt, weil unter anderem der implizite Vertrag zwischen beiden Seiten – keine Eigenkapitalunterlegung für eine hochliquide Anlage (Staatsanleihen) mit hoher Attraktivität für die Bilanzstrukturpolitik der Banken – gegenseitige Abhängigkeiten begründet. Die vielfältigen geldpolitischen Interventionen haben dazu beigetragen, die Risikoprämien für Banken und Staaten wieder zu reduzieren, nicht aber zu entkoppeln. Tatsächlich hat sich die Fragmentierung der Eurozone in dem Maße zurückgebildet, wie sich das Vertrauen in den Euro seit Herbst 2012 wieder verbessert hat und internationale Investoren sich wieder verstärkt in den Euro-Krisenländern engagieren.7

Abbildung 2
Credit Default Swaps (CDS) auf Anleihen von Banken und Staaten
Prämien auf CDS, in Basispunkten
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Prämien der CDS von Banken wurden mit deren Bilanzsumme gewichtet. Prämien der CDS der Staaten wurden mit dem BIP gewichtet.

Quellen: Bloomberg; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Perspektiven der europäischen Geldpolitik

Die EZB wird eine Zinswende erst einleiten, wenn die beiden zentralen Argumente für ihre Politik niedriger Zinsen – die Fragmentierung des Finanzmarktes und das Risiko einer Deflation – deutlich an Gewicht verloren haben (vgl. Tabelle 2). Dass die Niedrigzinspolitik starke Fehlanreize auf Schuldner und Gläubiger ausübt, spielt für die Notenbank bislang keine Rolle. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Frage, inwieweit die Sparer Verluste erleiden. Es geht vielmehr darum, dass sowohl Schuldnern als auch Gläubigern gravierende Fehlanreize gesetzt werden, wenn die Geldpolitik mit allen verfügbaren Instrumenten den Marktzins unter den natürlichen Zins drückt: Dann sinkt die Prämie für den Konsumverzicht in der Gegenwart, dies verändert die intertemporale Aufteilung des Einkommens auf Konsum und Ersparnis und mindert damit die Altersvorsorge. Zugleich entsteht ein Anreiz, stärker in risikoreiche Anlagen zu gehen, als es den Präferenzen entspricht. Sollten die niedrigen Zinsen auch die Risikoprämie betreffen, erfahren die Schuldner eine falsche Einschätzung ihres Insolvenzrisikos, was die Kreditaufnahme motiviert statt die Entschuldung zu befördern.

Tabelle 2
Gesamtwirtschaftliches Umfeld der Niedrigzinsphase in der Eurozone
Ursachen für den Niedrigzins im wirtschaftlichen Umfeld
Rezession/Deflation Bankenprobleme Öffentliche Verschuldung Private Verschuldung
Folgen des wirtschaftlichen Umfelds für die Geldpolitik
  • Geringer Inflationsdruck wegen Konjunkturschwäche und unter- ausgelasteter Kapazitäten
  • Preisanpassungen in den Krisen­ländern, mögliche Deflationsgefahr
  • Zinserhöhung birgt Gefahr für fragile Banken in den Krisenländern
  • Liquiditätsprobleme und Kreditklemme
  • Fragmentierter Bankensektor erschwert einheitliche Geldpolitik wegen gestörter Transmission
Gefahr fiskalischer Dominanz: politischer Druck absehbar, weil Zinserhöhungen Solvenz der Staaten gefährden können. Politischer Druck absehbar, weil Zinserhöhungen Solvenz auch von Unternehmen und Haushalten gefährden können.
Negative Wechselwirkungen der Problemfelder
Konjunkturschwäche wird durch Kreditklemme verschärft, fiskalische und private Schuldenkonsolidierung. Bankenprobleme werden durch öffentliche und private Schuldenprobleme und durch die Konjunkturschwäche verschärft. Öffentliche Verschuldung wird durch Bankenprobleme und Konjunkturschwäche verschärft. Abbau privater Verschuldung (Bilanzbereinigung) wird erschwert durch Kreditklemme, Konjunkturschwäche und Sparpolitik der Staaten.

Quelle: M. Demary, J. Matthes: Das aktuelle Niedrigzinsumfeld: Ursachen, Wirkungen und Auswege Köln 2014, S. 47, http://www.iwkoeln.de/de/studien/gutachten/beitrag/markus-demary-juergen-matthes-das-aktuelle-niedrigzinsumfeld-168565 (22.7.2013).

Das Deflationsrisiko ist aus Sicht der EZB so virulent, dass es einer Normalisierung der Geldpolitik entgegensteht. Die Inflationsrate im Euroraum liegt mit 0,4% (Juli 2014) tatsächlich sehr niedrig und deutlich unterhalb des Inflationsziels. Allerdings ist die Kerninflationsrate spürbar höher und erreicht 0,8%. Vor allem energienahe Produkte und technische Güter mit hoher Innovationsrate sind von Preisrückgängen betroffen. Sinkende Verbraucherpreise waren für Griechenland und abgeschwächt für Zypern, Portugal sowie die Slowakische Republik zu verzeichnen. Dies kann allerdings als Strategie betrachtet werden, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Vor dem Hintergrund transitorischer Phänomene ist das Risiko einer Deflation begrenzt, zumal die Konjunkturzuversicht in der Eurozone recht robust ist.8

Die Banken haben unstrittig noch Bilanzprobleme, wenngleich die Resilienz des Bankensystems insgesamt zugenommen hat. Das zeigt sich an einem wieder belebenden Geld- und Interbankenmarkt, der fortschreitenden Rückbildung der Target2-Salden, der Rückkehr internationaler Geldmarktfonds und an erheblichen Rückzahlungen der Banken auf die von der EZB Ende 2011/Anfang 2012 für drei Jahre bereitgestellten Kredite. Bei den großen und systemischen Banken im Euroraum erreichte das Kernkapital gemessen als Anteil an den risikogewichteten Aktiva Ende 2013 im Mittel 13%, während 2007 dieser Wert nur bei rund 8% lag. Es gelang auch, viele schwache Banken zu stärken. Die gewichtete Kerneigenkapitalquote des schwächsten Quartils (der nach diesem Indikator eingeteilten Banken) stieg von rund 7% im Jahr 2007 auf über 12% Ende 2013.9 Allerdings bestehen weiterhin erhebliche Probleme mit notleidenden Krediten, gerade in den Krisenländern. Die Streuung der Zinsen auf Neukredite ging hingegen inzwischen so stark zurück, dass sie auch bei Kleinkrediten (bis 250 000 Euro) auf das Niveau von vor der Kriseneskalation ab Mitte 2011 sank. Die Kreditkosten liegen im Durchschnitt der Krisenländer zwar deutlich höher als in den übrigen Euroländern, doch mit rund 4,5% in etwa auf dem Niveau der Jahre 2003 bis 2006. Die Bilanzprüfung und der Stresstest der EZB werden zur weiteren strukturellen Stärkung der Banken in der Eurozone beitragen.

Nimmt man all diese Befunde zusammen, dann spricht für die EZB nichts gegen eine baldige Zinswende. Betrachtet man die Verschuldungen der Staaten und der privaten Sektoren in den Krisenländern, so zeigen sich allerdings deutliche Hemmnisse, denn die Kreditaufnahme ist unverändert hoch und Entschuldungsprozesse haben noch eine lange Wegstrecke vor sich. Immerhin hat sich die Tragfähigkeit der Staatsschulden verbessert, vor allem die staatlichen Zinsausgaben in Relation zum BIP befinden sich trotz schwacher, mitunter schrumpfender gesamtwirtschaftlicher Entwicklung auf undramatischem Niveau. Bei der privaten Verschuldung sind hingegen bislang meist keine nennenswerten Fortschritte festzustellen.

So fügt sich ein Bild zusammen, das einerseits wegen der Fehlanreize ein baldiges Ende der Niedrigzinspolitik verlangt und dafür angesichts beachtlicher Fortschritte in der Bankenrestrukturierung sowie begrenzter Deflationsrisiken auch Raum gewinnt, andererseits aber mit Blick auf die Verschuldungssituation vor allem der privaten Sektoren in den Krisenstaaten auch Warnungen enthält. Angesichts robuster Konjunktur sollte dennoch ab Mitte 2015 der Einstieg in eine schonende Zinswende möglich sein, die mit eindeutiger Kommunikation in monatlichen Schritten von wenigen Basispunkten beginnt und später bei fortschreitender Erholung Fahrt aufnimmt.

Title:Low Interest Rates – Macroeconomic Causes and Consequences

Abstract:Due to the financial crises from 2008 to 2012, unconventional monetary policy caused an environment of record low interest rates around the world. Maintaining the low interest rate policy might be reasonable for the ECB in the short run in order to fight the fragmentation of the financial market and the risk of deflation in the Eurozone. Some authors argue that permanently low interest rates lead to wrong incentives in the financial market for debtors and creditors alike. They fear potential risks for fiscal policy and financial stability in Germany and recommend macroprudential measures beyond the Basel III framework and a beginning exit of the ECB from its unconventional monetary policy. Others warn against overburdening monetary policy. They find rather that effective financial market regulation and proper fiscal rules and institutions are required to secure financial market stability and the sustainability of public debt and that a premature exit from accommodating monetary policies would do more harm than good. They argue that monetary policy alone will not solve Europe’s problems. The differing recommendations are mainly based on differing assessments of the European business cycle.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1725-3