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Während in den 1990er Jahren Frühverrentungsoptionen noch im Einvernehmen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite genutzt wurden, wird mit der Einführung der Rente mit 63 der Verlust von wertvollen Personalressourcen in Zeiten des demografischen Wandels und von postulierten Fachkräfteengpässen diskutiert. Wir betrachten hier betriebliche Betroffenheit und Reaktionen.1

Als Bestandteil des Rentenpakets wurde zum 1. Juli 2014 die sogenannte Rente mit 63 eingeführt. Mit der Neuregelung der Rente für besonders langjährig Versicherte wurde die Leistung im Vergleich zu 2007 dahingehend verbessert, dass zum einen nun ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren bereits mit 63 anstatt mit 65 Jahren möglich ist. Zum anderen wurden die Zugangsvoraussetzungen erleichtert – ausgenommen nach vormaliger längerer Arbeitslosigkeit.2 Politisches Ziel ist es, lange Versichertenbiografien – insbesondere in belastenden Berufen – zu honorieren. Kritiker bemerken jedoch unter anderem, dass dafür die aktuellen Beitragszahler aufkommen, ohne dass sie selbst davon profitieren können. Gleichzeitig betreffen die Leistungsverbesserungen nur bestimmte Geburtskohorten und eine für das Rentenrecht typische schrittweise Anhebung sorgt dafür, dass die Rente mit 63 zunehmend an Bedeutung verliert. Bekanntlich führt die Zugangsvoraussetzung von 45 Beitragsjahren zudem dazu, dass meist Personen – insbesondere Männer – mit Berufsausbildung die Rente mit 63 beanspruchen können. Auch daher rührt die Sorge um die verlorenen Fachkräfte. Der vorliegende Beitrag legt deshalb dar, wie Betriebe auf die Kehrtwende einer (Wieder-)Einführung einer Frühverrentungsoption reagieren, welcher Neueinstellungsbedarf dadurch tatsächlich entsteht und inwiefern Betriebe versuchen, ihr Personal zu halten, wenn sie Fachkräfteengpässe wahrnehmen.

Die Betroffenheit der Betriebe

Laut Deutscher Rentenversicherung sind 279 000 Anträge für die Rente mit 63 bis Ende März 2015 eingegangen.3 Hinsichtlich der Konsequenzen für den Arbeitsmarkt fragte die IAB-Stellenerhebung4 Betriebe, ob wegen der Neuregelung Beschäftigte früher ausgeschieden sind oder dies in den kommenden drei Jahren erwartet wird, und falls ja, wie sie darauf reagieren.

Im Ergebnis sind 11% der Betriebe von der Rente mit 63 betroffen; bis September 2017 werden aus diesem Grund etwa 560 000 Personen ausgeschieden sein. Ostdeutschland ist stärker betroffen (vgl. Abbildung 1), da wegen des demografischen Wandels, der Abwanderung nach Westdeutschland und der geringeren Einwanderung dort der Anteil älterer Beschäftigter höher ist als im Westen. Überdurchschnittlich betroffen sind die Öffentliche Verwaltung (32%), die Wasserversorgung und Abfallentsorgung (29%) sowie das Verarbeitende Gewerbe (vor allem Chemie und Maschinenbau mit jeweils 26%). Mit der Öffentlichen Verwaltung handelt es sich um einen Bereich, in dem sich der frühere Personalabbau mit wenigen Nachwuchskräften und damit alternden Belegschaften bemerkbar macht. Unterdurchschnittlich betroffen sind hingegen das Gastgewerbe und der „junge“ Sektor Information und Kommunikation (jeweils 4% bis 5%). In letzterem dürfte ein Grund für jüngere Belegschaften auch darin liegen, dass Tätigkeiten dort mehr auf einer hohen Qualifikation denn auf langjähriger Berufserfahrung beruhen. Im Gastgewerbe sind die Humankapitalanforderungen hingegen gering, allerdings erschweren belastende Arbeitsbedingungen sowie ein hohes Maß an geforderter Flexibilität die Beschäftigung Älterer.

Abbildung 1
Rente mit 63 – Betroffene Betriebe
Anteil der Betriebe, die von der Rente mit 63 betroffen sind, in ausgewählten Wirtschaftszweigen und nach Region in %
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Quelle: IAB-Stellenerhebung 2014, gewichtet.

Betriebliche Flexibilitätspotenziale: Reaktionen und Maßnahmen

Am häufigsten reagieren Betriebe, indem sie ausscheidende Mitarbeiter durch Externe ersetzen (53%; vgl. Tabelle 1). Diese Reaktion wird von kleinen Betrieben deutlich seltener genannt als von großen. Die kleinen Betriebe geben zu einem Drittel an, dass sie versuchen, Mitarbeiter zu halten. Gleichzeitig gilt, dass Kleinstbetriebe häufig nicht die Mittel haben, ältere Mitarbeiter zu ersetzen, weil dies mit höheren Fixkosten bei Neueinstellungen verbunden ist und eine schwierigere Rekrutierungslage vorherrscht.

Insgesamt versuchen 24% aller Betriebe, ausscheidende Mitarbeiter zu halten, vor allem bei hohen oder betriebsspezifischen Qualifikationen und erwarteten Engpässen auf dem Arbeitsmarkt.5 Zu den Berufen, in denen es bereits Engpässe auf dem Arbeitsmarkt gibt, gehören die Gesundheitsberufe – Ärzte ebenso wie Krankenpfleger – sowie in den sozialen Berufen die Altenpfleger und Erzieher.6 Obwohl im personalstarken Gesundheits- und Sozialwesen nur in begrenztem Umfang Anreize zum Halten von Mitarbeitern, beispielsweise durch Prämien oder Beförderungen möglich sind, wird hier sehr häufig versucht, Mitarbeiter zum Verbleib zu bewegen.

Tabelle 1
Ausscheiden der Beschäftigten aufgrund der Rente mit 63 – Wie reagieren betroffene Betriebe?
Angaben1 der Betriebe2 nach Betriebsgröße, Anteile in %
Betriebsgröße Ersatz durch Externe Interne Umstrukturierung Mitarbeiter halten gar nichts tun
1 bis 9 Mitarbeiter 46 21 31 15
10 bis 49 Mitarbeiter 53 29 23 7
50 bis 249 Mitarbeiter 59 48 18 3
250 Mitarbeiter und mehr 66 48 9 4
Insgesamt 53 31 24 9

1 Mehrfachnennungen möglich. 2 Betriebe, die angeben, von der Rente mit 63 betroffen zu sein.

Quelle: IAB-Stellenerhebung 2014, gewichtet.

Hohe und betriebsspezifische Humankapitalanforderungen machen Beschäftigte in freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen schwer ersetzbar, und die Personalsuche gestaltet sich immer schwieriger und langwieriger.7 Deshalb wird besonders häufig versucht, die Mitarbeiter, die für die Rente mit 63 infrage kommen, möglichst lange zu halten. Hinzu kommt, dass für hochqualifizierte Beschäftigte ein längerer Verbleib auf dem Arbeitsmarkt attraktiver und das Halten dieser Personen für Betriebe erfolgversprechender ist.

Der Bereich Verkehr/Lagerei zeigt sich ebenfalls überdurchschnittlich häufig daran interessiert, Mitarbeiter zu halten. Das personalintensive Gewerbe unter anderem der Speditionen und der Post- und Paketdienste ist jedoch durch geringe Qualifikationen, schwierige Arbeitsbedingungen und vergleichsweise niedrige Löhne gekennzeichnet. Dass Betriebe bei den Maßnahmen angeben, mit höheren Löhnen und Prämien die ausscheidenden Mitarbeiter halten zu wollen, geschieht demzufolge von einem relativ niedrigen Niveau aus. Gleichzeitig findet sich in dieser Branche der höchste Anteil an Betrieben, die angeben, dass der Mangel an geeigneten Arbeitskräften ihre wirtschaftliche Tätigkeit einschränkt. Die Schwierigkeit, geeigneten Nachwuchs zu finden, verstärkt somit das Interesse der Betriebe, ältere Mitarbeiter zu halten.

Wenn Mitarbeiter gehalten werden sollen, so erfolgt dies hauptsächlich durch kürzere oder flexiblere Arbeitszeiten (83%), nachrangig durch Prämien oder höhere Entlohnung (17%) und den Ausbau des Gesundheitsschutzes (12%). Beförderungen oder eine Verbesserung des Weiterbildungsangebots spielen keine große Rolle (jeweils unter 4%). Dies ist nicht überraschend, da sich der Nutzen aus Beförderungen und Weiterbildungen vor allem mittel- bis langfristig einstellt und ein Verzicht auf die Inanspruchnahme der Rente mit 63 maximal einen um zwei Jahre verzögerten Ruhestand bedeutet.

31% der Betriebe reagieren mit internen Umstrukturierungsmaßnahmen. Dies hängt vor allem von den Flexibilitätspotenzialen der Betriebe ab: Je größer der Betrieb, desto eher kann er das Ausscheiden von Mitarbeitern durch technische und organisatorische Änderungen kompensieren. Nur eine Minderheit der Betriebe (9%) gibt an, bei einem Ausscheiden von Mitarbeitern aufgrund der Einführung der Rente mit 63 auf jegliche Anpassungsmaßnahmen zu verzichten. Diese Antwort kommt vor allem im Wirtschaftszweig Baugewerbe vor (24%), wo zudem nur selten interne Umstrukturierungen genutzt werden (können), um das Ausscheiden von Mitarbeitern zu kompensieren. Ein Grund dafür ist, dass der Bausektor durch sehr viele Kleinstbetriebe geprägt ist, bei denen die Möglichkeiten zu technischen und organisatorischen Veränderungen eingeschränkt sind. Überraschend ist, dass viele Betriebe im Bausektor versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten (30%), obwohl diese Branche durch hohe physische Belastungen gekennzeichnet ist.

Von den stark betroffenen Wirtschaftszweigen weist das Gesundheits-/Sozialwesen mit 1% den niedrigsten Anteil derer auf, die angeben, gar nicht auf das Ausscheiden der Mitarbeiter zu reagieren. Dort scheint der Bedarf nach Arbeitskräften so groß zu sein, dass an Personalabbau nicht zu denken ist.

In dem Fall, dass betroffene Arbeitgeber gar nicht reagieren, nehmen sie möglicherweise Einschränkungen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Kauf. Im Unterschied dazu ist eine interne Umstrukturierung zwar mit einer Verringerung des Personalstandes, aber nicht unbedingt mit Produktivitätseinbußen verbunden. Mit im Durchschnitt 31% geben dies die Betriebe deutlich häufiger an als den Verzicht auf eine Reaktion.

Schlussbemerkungen

Zunächst hängt die Betroffenheit der Betriebe von der demografischen Entwicklung sowie den Unterschieden zwischen jungen Branchen und alternden Belegschaften ab. So ist der Öffentliche Dienst ein Bereich, in dem sich die Folgen des früheren Personalabbaus und der Nachwuchsschwäche deutlich zeigen. Mit fast 70% wird hier auf externen Ersatz der ausscheidenden Mitarbeiter gesetzt, während dies insgesamt nur in etwa der Hälfte aller Betriebe der Fall ist. Fast 9% aller Betriebe reagieren nicht auf das Ausscheiden, und so erhöht keineswegs jedes altersbedingte Ausscheiden eines Mitarbeiters die ungedeckte Arbeitskräftenachfrage.

Interne Umstrukturierungen helfen, den Nachbesetzungsbedarf zu verringern. Allerdings haben nicht alle Betriebe diese Option: Kleinste und kleine Betriebe sind in ihren Flexibilitätspotenzialen beschränkt und befinden sich außerdem in einer schwierigeren Rekrutierungslage. Ihr Interesse, Mitarbeiter zu halten, ist hoch, ebenso wie bei Stellenprofilen mit hohen und betriebsspezifischen Anforderungen, denn höhere Qualifikationsanforderungen begründen längere Suchdauern. Kommt noch eine schwierigere Rekrutierungssituation wie gerade bei kleinen Betrieben hinzu oder nehmen Betriebe Engpässe auf dem Arbeitsmarkt wahr, steigt das Interesse der Arbeitgeber an einem längeren Verbleib des Beschäftigten.

  • 1 Eine ausführlichere Fassung unter dem Titel „Rente mit 63 und betriebliche Reaktionen“ erschien anlässlich des ersten Jahrestages der Einführung der Rente mit 63 als Aktueller Bericht Nr. 09/2015 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
  • 2 Vgl. Deutsche Rentenversicherung: Rente mit 63, in: Summa Summarum, Nr. 3/2015, S. 4-8.
  • 3 Deutsche Rentenversicherung: Rente ab 63 – regionale Antragszahlen, Presseinformation der Deutschen Rentenversicherung vom 16.4.2015.
  • 4 Die Ergebnisse der IAB-Stellenerhebung zur gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräftenachfrage sind repräsentativ für West- und Ostdeutschland sowie für die ausgewiesenen Wirtschaftszweige und Betriebsgrößenklassen. Verwendet wurde die Welle 4. Quartal 2014.
  • 5 Letzteres bestätigt eine multivariate logistische Regressionsanalyse auf Betriebsebene unter Kontrolle des Wirtschaftszweiges, der Betriebsgröße, der Region West-/Ostdeutschland und der Suchabbruchquote: Gab ein von der Rente mit 63 betroffener Betrieb an, aufgrund von zu wenigen geeigneten Arbeitskräften in den letzten zwölf Monaten seine wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht im vollen Umfang nutzen zu können, bzw. dass Verwaltungsstellen ihre Aufgaben nicht vollumfänglich erfüllen konnten, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, ausscheidende Mitarbeiter ab 63 halten zu wollen.
  • 6 Vgl. J. Czepek, S. Dummert, A. Kubis, A. Müller, U. Leber, J. Stegmaier: Betriebe im Wettbewerb um Arbeitskräfte. Bedarf, Engpässe und Rekrutierungsprozesse in Deutschland, IAB-Bibliotheksreihe, Nr. 352, Bielefeld 2015.
  • 7 Ebenda.


DOI: 10.1007/s10273-015-1892-x