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Die Energiestückkosten sind für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ein entscheidender Indikator im Zusammenhang mit der Energiewende. Dabei wurden bislang die indirekten Energiekosten vernachlässigt. Diese gewinnen aber immer mehr an Bedeutung. Die Berechnungsmethode zur Bestimmung der totalen Enegiestückkosten der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ wird hier vorgestellt.

Die Energiewende führt im Hinblick auf Energieangebot und Energiepreise zu neuen Herausforderungen für Unternehmen im Produzierenden Gewerbe in Deutschland. Zudem wächst für viele Unternehmen die Bedeutung der Märkte außerhalb Deutschlands und der EU, wodurch der internationale Wettbewerbsdruck steigt.1 Die internationale Wettbewerbsfähigkeit wird zunehmend durch die Entwicklungen in der europäischen Klima- und Energieregulierung und insbesondere durch die deutsche Energiewende beeinflusst. Bei einem Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit verschiedener internationaler Unternehmen oder Sektoren ist es jedoch nicht sinnvoll, lediglich die unterschiedlichen Energiepreise zu betrachten, da sich die einzelnen Akteure auch hinsichtlich ihrer Energieintensität unterscheiden. Ein deutlich aussagekräftigeres Maß stellen die Energiekosten und insbesondere die sogenannten Energiestückkosten dar, bei denen der Anteil der Energiekosten an der Bruttowertschöpfung betrachtet wird.

In der letztjährigen Stellungnahme zum ersten Fortschrittsbericht der Bundesregierung 2014 zur Energiewende hat die Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ das Konzept der Energiestückkosten als Indikator für die Belastung der Unternehmen durch Energiekosten bzw. als ein Maß für die energiebezogene Wettbewerbsfähigkeit eines Sektors vorgeschlagen.2 Die Berechnungsweise und Komponenten der Energiestückkosten wurden in der ersten Wirtschaftsdienst-Ausgabe 2015 von Germeshausen und Löschel konkretisiert und Ergebnisse anhand des Verarbeitenden Gewerbes im internationalen Vergleich dargestellt.3 Die Bundesregierung folgte dem Vorschlag der Experten und griff das Konzept in dem diesjährigen vierten Monitoring-Bericht 2015 auf.4 Gleichzeitig hat die Expertenkommission in ihrer diesjährigen Stellungnahme den Indikator um die bislang vernachlässigten „indirekten“ Energiekosten ergänzt und damit zum umfassenden Konzept der „totalen Energiestückkosten“ erweitert.5 Die genaue Berechnungsmethode zur Bestimmung der totalen Energiestückkosten wird erstmals in der vorliegenden Ausgabe des Wirtschaftsdienst dargestellt. Zusätzlich zeigen wir erste Ergebnisse für die Kennzahl anhand des sekundären Sektors der deutschen Volkswirtschaft, also für das Produzierende Gewerbe.

Methodik zur Ermittlung der totalen Energiestückkosten

Um die methodischen Weiterentwicklungen zu verdeutlichen, ist es instruktiv, zunächst einen Überblick über die einzelnen Komponenten und Einflussfaktoren der Energiestückkosten zu geben (vgl. Abbildung 1). Die einzelnen Aggregate entsprechen den Grundsätzen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.6

Abbildung 1
Komponenten und Einflussfaktoren der Energiestückkosten je Wirtschaftszweig und Wertschöpfungsstufe
31049.png

Anmerkung: 1 Steinkohle und Braunkohle; Torf. 2 Rohöl und Erdgas; Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Öl- und Gasgewinnung, ohne Vermessungsarbeiten. 3 Koks, raffinierte Mineralölerzeugnisse und Kernbrennstoffe. 4 Elektrizität, Gas und Fernwärme.

Quelle: Eigene Darstellung.

Komponenten der Energiestückkosten

Die Produktion eines Unternehmens bzw. in aggregierter Betrachtung eines Wirtschaftszweiges wird in monetären Einheiten zum sogenannten Produktionswert zusammengefasst. Dabei ist es unerheblich, ob der Output ein Energieprodukt wie Wärme oder Elektrizität darstellt oder eine andere Ware (z.B. Erneuerbare-Energien-Anlage, Maschine oder Nahrungsmittel) bzw. Dienstleistung (z.B. aus dem Bereich Finanzen, Handel oder Information). Der Produktionswert umfasst im Wesentlichen die Umsatzerlöse aus den produzierten Gütern, aber auch Bestandsveränderungen an Halb- und Fertigwaren aus eigener Produktion und selbsterstellte Anlagengüter. Der Produktionswert eines Unternehmens bzw. eines Wirtschaftszweiges ergibt sich gleichzeitig auch aus der Summe der bezogenen Vorleistungen – also die im Produktionsprozess verbrauchten, verarbeiteten oder umgewandelten Waren und Dienstleistungen – und der Bruttowertschöpfung – also der Summe aller entstandenen Einkommen, die sich anteilig den Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „Kapital“ zurechnen lassen.

Die direkten Energiekosten eines Unternehmens sind Bestandteil der Vorleistungen. Dabei handelt es sich um Kosten für Energieprodukte, welche die Unternehmen für den Produktionsprozess beziehen. Im Falle eines Automobilherstellers ist z.B. an Elektrizität (für Maschinen, Beleuchtung sowie Informations- und Kommunikationstechnologien) oder andere primäre und sekundäre Energieprodukte wie Erdgas, Kohlen oder Fernwärme zu denken. Diese werden wiederum für Wärmeanwendungen in der Lackiererei, Raumwärme oder zum Betrieb eines Industriekraftwerks für die eigene Energieumwandlung eingesetzt.

Neben den Energieprodukten beziehen Unternehmen (abseits der Energieversorger) auch Nicht-Energieprodukte als Vorleistungen. Im Falle des Automobilherstellers z.B. Stahl, Aluminium oder Autoreifen. Allerdings wurde zur Herstellung dieser nicht-energetischen Vorleistungen auf den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette Energie eingesetzt, deren Kosten an den Automobilhersteller weitergegeben werden. Diese in den nicht-energetischen Vorleistungen enthaltenen „indirekten“ Energiekosten sind potenziell sehr bedeutsam und sollten daher im Rahmen der Energiekosten- bzw. Energiestückkosten-Diskussion einbezogen und quantifiziert werden.

Berechnungsmethode der indirekten Energiekosten

Die Berechnung der von einem Sektor in einem bestimmten Land zu zahlenden indirekten Energiekosten folgt einem iterativen Verfahren. In der ersten Runde ergeben sich diese wie folgt:

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Die Notation wurde so gewählt, dass ll das Ursprungsland bzw. ss den Ursprungssektor der Vorleistungen bezeichnet und l das empfangende Land bzw. s den empfangenden Sektor.

Zu betonen ist, dass energetische Inputs nicht mehr in all,ss,l,s berücksichtigt sein dürfen, da diese bereits Bestandteil der direkten Energiekosten sind. Daher wurden die Vorleistungen aus dem Sektor „Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ in die anderen Sektoren um den Wert der Energieprodukte „Steinkohle und Braunkohle, Torf“ sowie „Rohöl und Erdgas“ reduziert. Das Gleiche gilt für den Sektor der „Kokerei, Mineralölverarbeitung“ bzw. für den Sektor der „Energie- und Wasserversorgung“, die um die Werte der Energieprodukte „Koks und raffinierte Mineralölerzeugnisse“ bzw. „Elektrizität, Gas und Fernwärme“ nach unten angepasst wurden.

Da auch die Vorleistungslieferanten für Sektor s im Land l Vorleistungen zur Erstellung ihrer Güter benötigen, die wiederum mit Energie bzw. Energiekosten einhergehen, ergeben sich die indirekten Energiekosten in der zweiten Runde wie folgt:

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Die Kalkulation weiterer Runden erfolgt analog, jedoch nehmen die Inkremente für die indirekten Energiekosten für den Zielsektor s in l mit jeder Runde ab.

Wie die direkten Energiekosten können auch die indirekten Energiekosten mit Hilfe der World Input-Output Database (WIOD) berechnet werden.7 Diese umfangreiche Datenbank wurde im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms der EU erstellt und enthält für den Zeitraum von 1995 bis 2011 unter anderem Zeitreihen zu Input-Output-Tabellen, Aufkommens- und Verwendungs-Tabellen sowie zu energie- und umweltrelevanten Daten für die EU27, für 13 weitere wichtige Länder sowie teilweise für die Kategorie „Rest der Welt“ in einer Gliederungstiefe von 35 Sektoren. Wenn sektorspezifische Deflatoren für die Ergebnisberechnung erforderlich sind, können Zeitreihen leider nur bis zum Berichtsjahr 2009 konstruiert werden.

Die Ergebnisse des gewählten Verfahrens zur Berechnung der indirekten Energiekosten unterliegen folgenden Beschränkungen: Es wurden die indirekten Energiekos-ten aus insgesamt zwei Iterationsrunden berücksichtigt. Da für die Region „Rest der Welt“ die Anteile der direkten Energiekosten am Produktionswert je Sektor in der WIOD-Datenbank nicht existieren, wurde vereinfacht angenommen, dass sich die „Energiekostenintensitäten“ in der Region „Rest der Welt“ im Durchschnitt der in der WIOD-Datenbank angegebenen 40 Volkswirtschaften bewegen, d.h. dass für die Herstellung einer Einheit Output je Sektor der Region „Rest der Welt“ im Durchschnitt genauso viel Energie eingesetzt wird, wie in der EU27 und den 13 anderen in der Datenbank vorhandenen Ländern. Zudem beschränken sich die ermittelten direkten und indirekten Energiekosten auf die Bewertung zu Herstellungspreisen (damit sind also die Handels- und Transportmargen sowie die Gütersteuern abzüglich -subventionen nicht anteilig über die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen den ermittelten Kostenwerten zugerechnet).

Berechnung der totalen Energiestückkosten

Der Ansatz der Energiestückkosten in der letztjährigen Stellungnahme der Expertenkommission zum Fortschrittsbericht der Bundesregierung umfasste bislang nur die direkten Energiekosten (bewertet zu Anschaffungspreisen) und setzte diese ins Verhältnis zur Bruttowertschöpfung (bewertet zu Herstellungspreisen). Es handelte sich damit genauer gesprochen um „direkte“ Energiestückkosten. Unter Berücksichtigung der nach dem iterativen Verfahren ermittelten indirekten Energiekosten (idealerweise ebenfalls bewertet zu Anschaffungspreisen, d.h. die in den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen bezahlten Handels- und Transportmargen sowie Gütersteuern abzüglich -subventionen sind anteilig der aktuell betrachteten Wertschöpfungsstufe zugerechnet), ergeben sich die „totalen“ Energiestückkosten wie folgt:

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Schwerpunkt auf dem Produzierenden Gewerbe

Für die Ergebnisdarstellung wird zunächst ein zusammenfassender Überblick über den primären, sekundären und tertiären Sektor der deutschen Volkswirtschaft gegeben, also über die Land- und Forstwirtschaft (sowie Fischerei und Fischzucht), das Produzierende Gewerbe und den Dienstleistungsbereich.8 Unter diesen drei Wirtschaftsbereichen konzentrieren wir uns anschließend auf das Produzierende Gewerbe. Dazu weisen wir die Ergebnisse der sechs hinsichtlich ihres Produktionswertes bedeutsamsten Wirtschaftszweige im Einzelnen aus.

Veränderung der totalen Energiekosten

Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der direkten, indirekten und totalen Energiekosten im primären, sekundären und tertiären Sektor im Zeitraum von 1995 bis 2009.9 Grundsätzlich haben die Entwicklungen aller Kostenarten gemeinsam, dass sich eine steigende Tendenz erst ab 1998 einstellt. Die gemeinsame Abwärtsbewegung ab 2008 ist vor allem auf die durch die Finanzkrise verursachte konjunkturelle Delle zurückzuführen.

Abbildung 2
Sektorale Entwicklung der absoluten Energiekosten in Deutschland
in Mrd. Euro (in Preisen von 2009)
31730.png

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von WIOD-Daten.

Erwartungsgemäß liegen die direkten Energiekosten im primären Sektor deutlich unter denen der anderen beiden Wirtschaftsbereiche. Für alle drei Bereiche gilt jedoch, dass die direkten Energiekosten über den Zeitraum stark zugenommen haben, wenn auch mit unterschiedlichen Steigerungsraten. Im primären Sektor liegen die direkten Energiekosten 2009 um 42,6% höher als 1995. Die Steigerung im sekundären Sektor liegt über den Zeitraum etwas höher: bei 50,2%. Die größte Steigerung kann im tertiären Sektor beobachtet werden, in dem die Steigerung sogar 72,7% beträgt. Obwohl die Debatte um die Energiekostenbelastung vor allem in der (energieintensiven) Industrie geführt wird, ist zunächst einmal festzustellen, dass die absolute Energiekostenbelastung im Produzierenden Gewerbe weniger stark zugenommen hat als im Dienstleistungsbereich.

Die indirekten Energiekosten sind über den Zeitraum grundsätzlich stärker angestiegen als die direkten Energiekosten. Für den primären und sekundären Sektor liegt der Anstieg von 1995 bis 2009 in einer ähnlichen Größenordnung von 54,6% bzw. 56,4%. Die bei weitem größte Steigerung ist jedoch erneut im Dienstleistungsbereich zu erkennen. Über den betrachteten Zeitraum verdoppelten sich die indirekten Energiekosten des tertiären Sektors. Der Anstieg der totalen Energiekosten, als Summe der direkten und indirekten Energiekosten, beträgt demnach im primären Sektor 46,4%, im Produzierenden Gewerbe 52,7% und bei den Dienstleistern 82,7%. Die überdurchschnittliche Entwicklung im tertiären Sektor liegt zum großen Teil in der stark angestiegenen Energiekostenbelastung der deutschen Luft- und Schifffahrt (sowie im Wirtschaftszweig der Hilfs- und Nebentätigkeiten für den Verkehr) begründet. Die direkten und indirekten Energiekosten erhöhten sich in dieser Branche in einer Spannweite von ca. 170% bis 600%.

Direkte und indirekte Energiekosten im Produzierenden Gewerbe

Aus den Ergebnissen lässt sich bereits erkennen, wie bedeutsam die indirekten Energiekosten sind. Gesamtwirtschaftlich betrachtet betrugen die direkten Energiekosten 2009 93 Mrd. Euro. Die indirekten Energiekosten kamen bereits auf 65 Mrd. Euro. Bis 2011 erhöhten sich die Werte auf 106 Mrd. Euro bzw. 91 Mrd. Euro. Damit schließt sich die Lücke zwischen den beiden Kostenarten auch nach der Finanzkrise weiter.

Die direkten und indirekten Energiekosten werden detailliert für die sechs aus Sicht ihres Produktionswertes bedeutsamsten Sektoren des Produzierenden Gewerbes untersucht (vgl. Abbildung 3). Dabei fällt auf, dass die direkten und indirekten Energiekosten eine ähnliche Spannweite besitzen, aber die indirekten Energiekosten auf einem (deutlich) höheren Niveau liegen (5 Mrd. Euro bis 11 Mrd. Euro je Sektor) als die direkten Energiekosten (2 Mrd. Euro bis 8 Mrd. Euro je Sektor). Lediglich in der Chemischen Industrie sind die direkten Energiekosten größer als die indirekten. Bei allen anderen Sektoren dominieren die indirekten Energiekosten deutlich. Im Maschinenbau und im Fahrzeugbau fallen die indirekten Energiekosten sogar mehr als dreimal so hoch aus wie die direkten Energiekosten. Dass die indirekten Energiekosten für das Produzierende Gewerbe insgesamt immer noch geringer sind als die direkten Energiekosten (vgl. Abbildung 2), liegt im Wesentlichen am Wirtschaftszweig der „Energie- und Wasserversorgung“, der sehr große Mengen an primären Energieträgern bezieht, um diese in sekundäre Energieträger umzuwandeln. Die direkten Energiekosten dieses Sektors liegen ca. 25 Mrd. Euro höher als dessen indirekte Energiekosten.

In allen betrachteten Sektoren sind es die sekundären Energieträger „Elektrizität, Gas und Fernwärme“ bzw. „raffinierte Mineralölerzeugnisse“, die das Gros sowohl der direkten als auch der indirekten Energiekosten ausmachen. Der Energieträgermix ergibt sich aus dem Produktionsprozess im jeweiligen Sektor, z.B. sind im Baugewerbe die direkten Energiekosten aus raffinierten Mineralölerzeugnissen relativ groß, da die Baubranche insbesondere Bau- und Transportmaschinen einsetzt, also durch einen hohen Kraftstoffverbrauch gekennzeichnet ist. Bei den bezogenen Vorleistungen des Baugewerbes (dabei ist an physische Inputs wie Eisenstangen, Rohre, Ziegel, Beton, aber auch an vorbereitende Dienstleistungen zu denken) haben die raffinierten Mineralölerzeugnisse – als indirekte Kosten – einen durchschnittlichen Anteil.

Abbildung 3
Absolute Energiekosten in ausgewählten Sektoren des deutschen Produzierenden Gewerbes nach Energieträgern
in Mrd. Euro, 2011
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Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von WIOD-Daten.

Insbesondere Abbildung 3 zeigt, dass bei der Betrachtung der Auswirkungen steigender Energiepreise nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Energiekosten zu berücksichtigen sind. Gleichzeitig sind indirekte Energiekosten schwieriger von der nationalen Energiepolitik beeinflussbar, vor allem wenn diese durch Vorleistungen aus dem Ausland importiert werden. Die wichtigsten Regionen, aus denen indirekte Energiekosten in die heimische Produktion importiert werden, sind „Rest der Welt“ (7,5 Mrd. Euro), China (4,6 Mrd. Euro), die Niederlande (4,2 Mrd. Euro) sowie Belgien, die USA und Frankreich (jeweils mit Werten über 2 Mrd. Euro). Allein aus diesen Regionen nehmen die Chemie- und die Metall-Industrie jeweils mehr als 3 Mrd. Euro an indirekten Energiekosten auf. Die aus dem Ausland importierten indirekten Energiekosten werden absolut und – besonders interessant – auch relativ größer: Lag der Anteil der importierten indirekten Energiekosten im Produzierenden Gewerbe insgesamt 1995 noch bei 31,8%, erhöhte sich ihr Anteil bis 2011 deutlich auf 53,8%. Energiepreisentwicklungen im Ausland sind daher für die Energiekostenentwicklung zunehmend von Interesse. Nichtsdestotrotz stammt der bedeutendste Teil der von allen deutschen Unternehmenssektoren empfangenen indirekten Energiekosten aus Deutschland selbst (2011, 51 Mrd. Euro).10 Energiekostensteigerungen in Deutschland wirken also nicht nur als direkte Energiekos-ten in den energieintensiven Sektoren, sondern spielen auch eine große Rolle als indirekte Energiekosten in anderen Sektoren. Dieser Aspekt ist bei der Analyse steigender Energiepreise stärker zu beachten: Es steigen nicht nur die direkten Energiekosten energieintensiver Unternehmen, sondern auch die indirekten Energiekosten von Unternehmen, die scheinbar von Energiepreissteigerungen direkt gar nicht in hohem Maße betroffen sind.

Entwicklung der totalen Energiestückkosten

Um einen besseren intersektoralen und internationalen Vergleich der Belastung durch Energiekosten zu ermöglichen, sollten sie auf die Bruttowertschöpfung bezogen werden. Damit ergeben sich die Energiestückkosten. In Abbildung 4 ist die Entwicklung der direkten, indirekten und totalen Energiestückkosten im primären, sekundären und tertiären Sektor im Zeitraum von 1995 bis 2011 dargestellt.11 Die größte Steigerung bei den totalen Energiestückkosten über den gesamten Beobachtungszeitraum hat das Produzierende Gewerbe mit 61,2% zu verzeichnen, der primäre und tertiäre Sektor kommen auf Werte von 53,8% und 47,4%. Am Ende des Betrachtungszeitraums weist der primäre Sektor die höchsten totalen Energiestückkosten auf (25,1%). Für die Generierung eines Euros Wertschöpfung werden 25 Cent Energiekosten aufgewendet. Das Produzierende Gewerbe erreicht einen Wert von 21,5%. Erwartungsgemäß geringer fallen die totalen Energiestückkosten für den Dienstleistungsbereich aus mit einem Wert von 5,2%. Die Energiestückkostenbelastung hat dementsprechend im Produzierenden Gewerbe über den Zeitraum am meisten zugenommen. Damit ändert sich das Bild im Vergleich zu der Betrachtung der totalen Energiekosten des sekundären Sektors, die noch gemäßigter angestiegen sind als im Dienstleistungsbereich.

Abbildung 4
Sektorale Entwicklung der Energiestückkosten in Deutschland
in %
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Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von WIOD-Daten.

Nichtsdestotrotz stellt die Expertenkommission in ihrer Stellungnahme zum vierten Monitoring-Bericht mit Blick auf Europa fest, dass die totalen Energiestückkosten 2011 in allen sechs wichtigsten Wirtschaftszweigen des deutschen Produzierenden Gewerbes auf einem strukturell niedrigeren Niveau liegen als im europäischen Durchschnitt.12 Über den Zeitraum von 1995 bis 2011 entwickelten sich zudem die totalen Energiestückkosten in der Chemischen Industrie, in der Metall-Industrie, im Maschinenbau und bei den Herstellern von DV-Geräten, E-Technik, Feinmechanik und Optik günstiger als in der EU27. Ein Grund könnte darin liegen, dass für viele (energieintensive) deutsche Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Ausnahmeregelungen gelten, welche die Energiekostenbelastung gegenüber der Konkurrenz aus dem europäischen Ausland senken. Zudem profitieren diese Unternehmen oftmals von gesunkenen Großhandelsstrompreisen. Tatsächlich fallen die direkten Elektrizitäts- und Wärmestückkosten 2011 in allen vier genannten Wirtschaftszweigen niedriger aus als bei der europäischen Konkurrenz und reduzierten sich sogar über den Zeitraum von 1995 bis 2011, während diese in der EU27 im Durchschnitt stiegen. Dies ist vorrangig auf geringer steigende direkte Energiekosten für Elektrizität, Gas und Fernwärme in Deutschland zurückzuführen und nicht auf eine bessere Entwicklung der Bruttowertschöpfung.

Bedeutung indirekter gegenüber direkten Energiestückkosten

Weitere interessante Einsichten ergeben sich bei der rein nationalen Betrachtung der direkten, indirekten und totalen Energiestückkosten wichtiger Wirtschaftszweige des deutschen Produzierenden Gewerbes über die Zeit (vgl. Abbildung 5). Hinsichtlich der direkten Energiestückkosten besteht keine einheitliche Tendenz über den Zeitraum von 1995 bis 2011. Im Baugewerbe und im Fahrzeugbau stiegen die direkten Energiestückkosten relativ deutlich (von 2,7% auf 4,9% bzw. von 4,0% auf 5,1%), während diese bei der „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten und Einrichtungen; E-Technik, Feinmechanik und Optik“ und im Maschinenbau leicht zurückgingen (von 3,2% auf 3,1% bzw. von 3,2% auf 2,7%).

Abbildung 5
Direkte, indirekte und totale Energiestückkosten in ausgewählten Sektoren des Produzierenden Gewerbes
in %
32022.png

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von WIOD-Daten.

Es ist festzustellen, dass die indirekten Energiestückkosten auf breiter Basis gegenüber den direkten Energiestückkosten an Bedeutung gewinnen, also die totalen Energiestückkosten zunehmend von den indirekten Energiestückkosten geprägt sind. Dies wird z.B. in der Metallindustrie deutlich, in der die indirekten Energiestückkosten 1995 gerade mal ein Drittel der totalen Energiestückkosten ausmachten, am Ende des Betrachtungszeitraums jedoch zu annähernd gleichem Anteil wie die direkten Energiestückkosten in die totalen Energiestückkosten einfließen. In den Sektoren „Maschinenbau“ und „Herstellung von Büromaschinen, DV-Geräten und Einrichtungen; E-Technik, Feinmechanik und Optik“ entwickeln sich die indirekten Energiestückkosten auch dynamisch nach oben. So kam es in beiden Sektoren im betrachteten Zeitraum zu einer Steigerung um über 75%.

Es lässt sich also im Ergebnis festhalten, dass die indirekten Energie(stück-)kosten 2011 nicht nur absolut in der Regel eine größere Bedeutung haben als die direkten Energie(stück-)kosten. Ihre Bedeutung nimmt zudem auch im Zeitablauf mit bemerkenswert stabilem Trend und auf breiter Basis zu. Hier kann eine gewisse Parallele zu Entwicklungen beim Energieverbrauch (bewertet in Energieeinheiten, nicht in monetären Größen) bzw. zu den Treibhausgasemissionen gezogen werden. So konnte beispielsweise für Industrieländer festgestellt werden, dass diese Netto-Importeure von CO2-Emissionen sind.13 Die Verlagerung von energieintensiver Produktion und CO2-Emissionen innerhalb der Wertschöpfungsketten in Entwicklungs- und Schwellenländer (sogenanntes Carbon Leakage), nicht nur bedingt durch klima- und energiepolitische Regulierung, ist eine wichtige Beobachtung der letzten Jahre. Der Schluss liegt nahe, dass die zunehmende Bedeutung der indirekten Energiekosten gegenüber den direkten Energiekosten auch von dieser Entwicklung getrieben sein könnte.

Daten für aktuelleren Energiestückkostenindikator

Abschließend sei auf einige wichtige Einschränkungen der Analyse hingewiesen: Die vertiefte Betrachtung anderer (Kosten-)Faktoren in Unternehmen (z.B. Lohnstückkosten, Steuerlasten etc.) ist für das Verständnis der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ebenso wichtig wie die Berücksichtigung von Kostenüberwälzungsmöglichkeiten von Unternehmen. Die Sektoren des Verarbeitenden Gewerbes weisen eine große Heterogenität bezüglich der Energiekosten auf, die in der hoch aggregierten World Input-Output Database nicht hinreichend berücksichtigt werden kann. Dies betrifft vor allem den höheren Detailgrad der Sektorenabgrenzung des Statistischen Bundesamtes in der nationalen Energiestatistik. International vergleichbare Daten in diesem Detailgrad würden die Analyse der (totalen) Energiekosten weiter verbessern.

Die bislang untersuchten sektoralen Energiekosten sind wertvolle Informationen aus Sicht der energiepolitischen Entscheidungsträger für die Betrachtung des Status quo. Aus Perspektive von Entscheidern in einzelnen Unternehmen ist die Rolle von Energiepreisen gerade bei Neuinvestitionen aber nicht zu unterschätzen. So könnten sich Situationen ergeben, in denen sowohl im In- als auch im Ausland mit ähnlicher Wertschöpfung und Energieverbrauch zu rechnen ist. Unterschiede bei den Energiepreisen könnten dann ausschlaggebend sein. Vor diesem Hintergrund ist es also interessant, zukünftig die sektoralen Energiekosten auch hinsichtlich ihrer Komponenten „Preise“ und „Energieeffizienz bzw. Energieverbrauch“ zu untersuchen.

Die durchgeführten Berechnungen basieren bislang auf der WIOD-Datenbasis, die nur Betrachtungen von 1995 bis 2011 ermöglicht. Die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland mit dem starken Anstieg der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und entsprechenden Differenzkosten konnte daher bisher nicht analysiert werden. Ebensowenig ist der starke Verfall der Großhandelspreise berücksichtigt. Auch internationale Entwicklungen, etwa der Gas-Boom in den USA, bleiben bisher außen vor. Eine Aktualisierung der Daten der WIOD-Datenbank ist aber nicht abzusehen. Um die internationalen Energiestückkosten künftig auch am aktuellen Rand berechnen zu können, wird es erforderlich sein, die Datenbasis möglichst auf amtliche, methodisch harmonisierte, regelmäßig aktualisierte und frei verfügbare Quellen umzustellen. Die Expertenkommission machte in ihrer diesjährigen Stellungnahme dazu einen ersten Vorschlag.14

  • 1 Vgl. K. L. Brockmann et al.: KfW/ZEW CO2 Barometer 2014 – Manufacturing Industry Edition: Rising energy costs and more competition – drivers for investment in energy efficiency?, in: KfW/ZEW CO2 Barometer 2014.
  • 2 Vgl. A. Löschel, G. Erdmann, F. Staiß, H.-J. Ziesing: Stellungnahme zum ersten Fortschrittsbericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2013, Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, Berlin u.a.O. 2014, S. 187-193.
  • 3 Vgl. R. Germeshausen, A. Löschel: Energiestückkosten als Indikator für Wettbewerbsfähigkeit, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 1, S. 46-50.
  • 4 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Vierter Monitoring-Bericht zur Energiewende 2015, Berlin 2015, S. 75-76.
  • 5 Vgl. A. Löschel, G. Erdmann, F. Staiß, H.-J. Ziesing: Stellungnahme zum vierten Monitoring-Bericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2014, Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, Berlin u.a.O. 2015, S. 91-102.
  • 6 Vgl. Eurostat: Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechtrechnungen – ESVG 2010, Statistisches Amt der europäischen Union, Luxemburg.
  • 7 Vgl. World Input-Output Database, http://www.wiod.org (29.11.2015).
  • 8 Bei allen Berechnungen für das Produzierende Gewerbe wurde der sehr energieintensive Wirtschaftszweig der Raffinerien ausgeschlossen.
  • 9 Aus Gründen der Vergleichbarkeit sind in Abbildung 2 und 3 die direkten, indirekten und totalen Energiekosten jeweils zu Herstellungspreisen bewertet.
  • 10 Ausschlaggebend ist an dieser Stelle lediglich das letzte Land, über das Vorleistungen in einen heimischen Produktionsbereich geliefert werden.
  • 11 Aus Gründen der Vergleichbarkeit mit bereits im letzten Jahr veröffentlichten Daten sind in Abbildung 4 und 5 die direkten Energiestückkosten zu Anschaffungspreisen und die indirekten Kosten (weiterhin) zu Herstellungspreisen bewertet.
  • 12 Vgl. A. Löschel, G. Erdmann, F. Staiß, H.-J. Ziesing: Stellungnahme zum vierten Monitoring-Bericht der Bundesregierung ..., a.a.O., S. 97.
  • 13 Vgl. G. P. Peters, E. G. Hertwich: CO2 Embodied in International Trade with Implications for Global Climate Policy, in: Environmental Science & Technology, 42. Jg. (2008), H. 5, S. 1401-1407.
  • 14 Vgl. A. Löschel, G. Erdmann, F. Staiß, H.-J. Ziesing: Stellungnahme zum vierten Monitoring-Bericht ..., a.a.O., S. 101-102.

Title:The Role of Indirect Energy Costs in German Manufacturing

Abstract:Real unit energy costs allow us to monitor the burden of energy costs on firms and to assess the competitiveness of industrial sectors. However, the indicator disregards “indirect” energy costs, which are embodied in non­energy-related intermediate inputs for the production of goods and services. Total real unit energy costs also take into account these indirect energy costs, which play an increasingly important role over time. In fact, they are greater than the direct energy costs in the main sectors of German manufacturing. Therefore, rising energy prices are not only relevant to energy-intensive firms but also to firms that seem to be unaffected by high energy costs directly. Energy policy should take into account both cost categories, even though indirect energy costs are more difficult to assess and less controllable than direct energy costs.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1911-y