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Reichen die Regelungen aus?

Von Reinhard Bispinck

Die Leiharbeit ist seit vielen Jahren hochgradig umstritten. Durch die Hartz-Reform wurde sie weitgehend dereguliert mit der Folge einer sprunghaften Zunahme. Die Zahl der Leiharbeitskräfte erreichte zeitweise fast die Millionengrenze und ihr Anteil hat sich dauerhaft mehr als verdoppelt. Längst wird die Leiharbeit nicht mehr nur als kurzfristiger Flexibilitätspuffer genutzt. Sie wird strategisch zur Senkung von Personalkosten und zur Sicherung der Profitabilität eingesetzt. Nach dem Gesetz gilt bei Leiharbeit der Grundsatz „Equal Pay“, aber Abweichungen durch Tarifvertrag sind zulässig und die Regel. Die Tarifverträge für die Leiharbeitsbranche sehen Entgelte vor, die vielfach unter den Tarifen für die Stammkräfte liegen. Den Gewerkschaften ist es im Laufe der Jahre gelungen, den Einkommensabstand durch gestaffelte tarifliche Branchenzuschläge zu verringern. In manchen Branchen gibt es auch tarifliche Regelungen zur Übernahme von Leiharbeitsbeschäftigten.

Während bei der Leiharbeit die Spielräume für die Unternehmen durch tarifliche und betriebliche Regelungen in den vergangenen Jahren enger wurden, suchten die Betriebe nach Ausweichstrategien. Die Vergabe von Werkverträgen hat sich dabei zu einem beliebten Instrument entwickelt. Im produzierenden Gewerbe und im Einzelhandel setzt fast jedes zweite Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten Werkverträge ein, im Bereich der Metall- und Elektroindustrie und in der chemischen Industrie liegt der Anteil bei rund zwei Drittel. Längst geht es bei Werkverträgen nicht mehr nur um Randbereiche (Kantine, Pforte, Sicherheit), sondern um den Kernbereich der Wertschöpfungsprozesse (Forschung, Produktion, Logistik). Auch im Dienstleistungsbereich werden zentrale Tätigkeiten über Werkverträge outgesourct. Ähnlich wie bei der Leiharbeit verdienen die Beschäftigten in Werkvertragsunternehmen oft weniger und arbeiten länger. Werkverträge werden häufig missbräuchlich eingesetzt (illegale Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinwerkverträge).

Zu Recht hat die Große Koalition im Koalitionsvertrag 2013 gesetzliche Regelungen angekündigt. Der aktuelle Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles übernimmt grundsätzlich die in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen zu Arbeitsverträgen. Werkverträge dürfen nicht mehr nachträglich mithilfe einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis in Leiharbeit umgewandelt werden. Das Informationsrecht der Betriebsräte über die Beschäftigung von „Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen“ wird konkretisiert. Der Entwurf sieht auch vor, die Verleihdauer grundsätzlich auf 18 Monate zu begrenzen. In tarifgebundenen Betrieben sind längere Einsatzzeiten möglich. Leiharbeitsbeschäftigte werden beim Entgelt nach neun Monaten den Stammbeschäftigten gleichgestellt. Bei tarifvertraglichen Branchenzuschlägen gilt diese Vorschrift erst nach zwölf Monaten.

Der Gesetzentwurf reagiert mit diesen Vorschriften auf gravierende Probleme in der betrieblichen Praxis. Er zielt in die richtige Richtung und ist keineswegs ein „Großangriff auf Hunderttausende selbständige Unternehmen“, wie BDA-Präsident Ingo Kramer meint. Vielmehr hat man den Eindruck, dass die Ministerin sich an den Vorgaben des Koalitionsvertrages orientiert. Die Frage ist: Reichen die Regelungen aus, um die Probleme auszuräumen? Zweifel sind erlaubt: Auch künftig können Dauerarbeitsplätze trotz 18-Monate-Regelung mit Leiharbeitskräften besetzt werden, ein Personalkarussell bleibt möglich. Auch die Equal-Pay-Regelung hat Lücken. Zwei Drittel der Leiharbeitsverhältnisse dauern höchstens sechs Monate. Sie werden von ihr nicht profitieren. Und bei den Werkverträgen schreckt der Gesetzentwurf vor echten Mitbestimmungsrechten für die Betriebsräte zurück. Damit ist klar: Der Konflikt um die gesetzliche Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen ist keineswegs beendet.

Begründete Sorgen?

Von Norbert Berthold

Der Referentenentwurf der Bundesarbeitsministerin zur Reform von Zeitarbeit und Werkverträgen soll diese wieder auf ihre „Kernaufgabe“ und „Kernziele“ reduzieren. Die Gesetzesänderungen werden mit drei „Sorgen“ begründet, die sich bei näherer Hinsicht nicht bewahrheiten: Die Verdrängung regulärer Beschäftigung, Lohndrückerei für Zeitarbeitnehmer und Zeitarbeit als Sackgasse für Arbeitnehmer.

2012 machten die Zeitarbeitnehmer gerade einmal 2,5% aller Erwerbstätigen aus und die Zeitarbeitsbranche wies die fünffache Arbeitskräftefluktuation im Vergleich zu den übrigen Sektoren auf. Der Zeitarbeitssektor ist weitaus dynamischer und zeigt keine langfristige Einbindung von Arbeitskräften. Nur 25% der Zeitarbeitnehmer sind länger als neun Monate und höchstens 12% länger als 18 Monate in der Zeitarbeitsbranche beschäftigt. Der Medianzeitarbeitnehmer befindet sich gerade einmal 3,4 Monate in der Zeitarbeitsbranche. Dies sind Indizien dafür, dass Arbeitnehmer die Zeitarbeit als Überbrückung nutzen und nicht als langfristiges Arbeitsverhältnis. Von einer konsequenten Verdrängung der regulären Beschäftigung kann nicht die Rede sein.

„Lohndrückerei“ und die Behandlung von Zeitarbeitnehmern relativ zur Stammbelegschaft unterscheiden sich auch bei gleicher Arbeitstätigkeit in mehreren Punkten. Die Stammbelegschaft hat ein höheres betriebs- und branchenspezifisches Humankapital, das sich in höheren Löhnen widerspiegelt. Außerdem profitiert sie von einer längeren Berufserfahrung und der Senioritätsentlohnung über den Tarifvertrag. In Einsatzbetrieben mit flachen Lohnprofilen liegt ein Lohnunterschied von 3% vor. Lediglich in Einsatzbetrieben mit sehr steilen Lohnprofilen beträgt er 11% bis 12%. Ein signifikanter Lohnunterschied existiert nur dann, wenn die Stammbelegschaft von einer längeren Betriebszugehörigkeit profitieren kann und diese im Produktionsprozess wichtig ist. Von einer systematischen Lohndiskriminierung der Zeitarbeitnehmer kann nicht die Rede sein.

Unstetige Erwerbsprofile durch die Zeitarbeit sind die dritte Sorge. Aber die Einführung einer Überlassungsfrist und die Änderung der Equal-Pay-Bestimmung sind kein Garant dafür, dass Zeitarbeiter schneller eine reguläre Beschäftigung in den übrigen Sektoren finden. Eher das Gegenteil ist der Fall. Zeitarbeitnehmer müssen nun bereits nach neun Monaten genügend betriebs- und branchenspezifisches Humankapital akkumuliert haben, um mit der Stammbelegschaft im Einsatzbetrieb konkurrieren zu können. Dies erschwert insbesondere die Lage der Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten. Die bisherigen Regelungen der Zeitarbeit hatten demgegenüber eine effektive Brückenfunktion.

Eine Begrenzung der Überlassungsfrist und die neue Equal-Pay-Bestimmung werden den Wettbewerb um die offenen Stellen in den Zeitarbeitsunternehmen verstärken, wobei hauptsächlich Mittelqualifizierte und Kurzzeitarbeitslose profitieren, da sie für den kurzen Zeitraum von neun Monaten besser vermittelbar sind. Nicht zu vergessen ist, dass die Einsatzbetriebe vorsichtiger als bisher neue Vakanzen für Zeitarbeitnehmer eröffnen werden. Außerdem reizt die neue gesetzliche Regelung die Einsatzbetriebe, nach neun Monaten den Zeitarbeitnehmer einfach auszutauschen. Ein Drehtüreffekt wird erzeugt. Die Reformbemühungen wirken in diesem Fall wie ein strengerer Kündigungsschutz für Zeitarbeitnehmer in den Einsatzbetrieben. Diese höheren Markteintrittsbarrieren können gerade für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte zu unüberwindbaren Hürden werden. Das ist weder effizient noch gerecht.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1906-8