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Seit November 2014 finden sich in Deutschland nominell negative Zinssätze für bestimmte Bankeinlagen. Daher stellt sich die Frage, ob dies einen flüchtigen Sonderfall oder den Anfang eines ökonomischen Trends darstellt. Konzeptionell sind (nominell) negative Zinssätze keine Erfindung der Gegenwart; als grundlegend hierfür gelten vielmehr die geldtheoretischen Überlegungen Silvio Gesells im späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert.1 Es handelt sich um die Anomalie, dass ein Kreditschuldner keine Zinszahlungen leistet, sondern erhält, indem sich sein Kapitaldienst auf die Tilgung eines entsprechend gekürzten Kreditbetrags beschränkt. In der Folge ist diese Strategie bis in die Gegenwart auch als Ansatz zur Entschärfung (vermeintlicher) Kreditklemmen diskutiert worden.2 Faktisch waren Negativzinsen im Rahmen der zweiten Niedrigzinsphase des 21. Jahrhunderts – die anders als die erste nicht als Mitursache, sondern Folge der Krisenprozesse angesehen wird3 – vereinzelt auch schon in den letzten Jahren zu beobachten. Allerdings handelte es sich hierbei um Sonderfälle einzelner Zentralbanken oder institutioneller Schuldner an den Anleihemärkten:

  • Sveriges Riksbank: Vom 8.7.2009 bis 8.9.2010 galt bei der schwedischen Zentralbank ein Einlagesatz für Geschäftsbanken von -0,25% p.a. Am 9.7.2014 führte die Bank wieder einen negativen Zins von -0,5% p.a. ein und senkte diesen am 29.10.2014 erneut auf den aktuellen Wert von -0,75% p.a. ab.
  • Danmarks Nationalbank: Am 6.7.2012 senkte die dänische Notenbank den Einlagezinssatz auf -0,2% p.a., erhöhte ihn am 25.1.2013 leicht auf -0,1% p.a. und per 25.4.2014 zunächst wieder auf einen positiven Wert. Zum 5.9.2014 kehrte sie zu einem Negativzins (von -0,05% p.a.) zurück. Seit dem 20.1.2015 wurde dieser, auch getrieben durch den EZB-Entscheid zur quantitativen Lockerung, schrittweise auf zum Monatsende -0,5% p.a. gesenkt.
  • Europäische Zentralbank: Die EZB setzte per 11.6.2014 einen negativen Zinssatz von -0,1% p.a. für ihre Einlagefazilität (sowie über das Mindestreservesoll hinausgehende Reserveguthaben) ein. Dieser wurde am 10.9.2014 auf -0,2% p.a. weiter gesenkt.
  • Schweizer Nationalbank: Am 18.12.2014 kündigte die Schweizer Nationalbank an, Guthaben auf ihren Girokonten mit einem Negativzins von -0,25% p.a. (für Beträge über 10 Mio. CHF) zu belegen. Im Zuge der Aufhebung des Mindestkurses von 1,20 CHF je Euro sank dieser Zinssatz einen Monat später auf -0,75% p.a.4
  • Staatsanleihen: Mehrere europäische Länder konnten sich in den letzten Jahren zu Negativzinsen verschulden. Neben Deutschland, das seit 2011 mehrere Anleihen mit einem Negativzins platzieren konnte, waren dies bislang Dänemark, die Niederlande und die Schweiz.5
  • Europäischer Stabilitätsmechanismus: Als supranationale Institution hat sich zwischenzeitlich auch der Europäische Stabilitätsmechanismus zu Negativzinsen refinanzieren können.6

Diesen Einzelfällen, in denen es sich um öffentliche Schuldner zweifelsfreier Bonität handelte, wurde zwar keine unmittelbare Repräsentativität für das Einlagengeschäft der Kreditinstitute mit den privaten Haushalten beigemessen. Dennoch hat sich dort die Situation im Herbst 2014 entscheidend geändert: Die Deutsche Skatbank, eine Zweigniederlassung der VR-Bank Altenburger Land, gilt als die erste Bank in Deutschland, die einen nominell negativen Zins für Einlagen privater Kunden einführte: Seit dem 1.11.2014 müssen diese (ab einer Gesamteinlage von 3 Mio. Euro) einen Zins von 0,25% p.a. auf ihre Einlage an die Bank zahlen, anstatt von ihr eine Zinszahlung für die Geldüberlassung zu erhalten.7 Kurze Zeit später wurde bekannt, dass weitere Banken dem folgen wollten. Es ist daher zu fragen, ob, wie, und aus welchen Motivlagen heraus die Anbieter und Nachfrager von Bankeinlagen auf diese neue Entwicklung reagieren werden.8

Tabelle 1
Geldvermögen privater Haushalte in Deutschland
(unkonsolidiert) in Mrd. Euro
2013 2014
2. Vj. 3. Vj. 4. Vj. 1. Vj. 2. Vj. 3. Vj.
Geldvermögen insgesamt 4742,2 4791,5 4871,2 4925,7 4982,9 5011,0
Bargeld und Einlagen 1874,8 1884,9 1914,0 1926,8 1945,9 1963,0
Bargeld und Sichteinlagen 973,8 994,0 1023,0 1036,5 1059,9 1075,8
Termineinlagen 249,4 244,4 245,9 248,2 249,5 250,5
Spareinlagen und Sparbriefe 651,6 646,5 645,1 642,1 636,5 636,7
Aktien und sonstige Anteilsrechte 453,6 467,8 487,6 496,3 502,8 497,2
Versicherungen insgesamt 1810,7 1830,6 1855,6 1882,9 1900,5 1913,8
Andere Positionen 603,1 608,2 614,0 619,7 633,7 637,0

Quelle: Deutsche Bundesbank, eigene Darstellung.

Einlagevolumina

Im Grundsatz leitet sich das Wirkungspotenzial von Zinsänderungen aus dem betroffenen Einlagevolumen ab. Diese Angriffsfläche ist in Deutschland bedingt durch eine traditionell hohe Sparquote (bzw. Quote der Bankeinlagen am Geldvermögen) der privaten Haushalte quantitativ vergleichsweise bedeutsam. Negative Einlagezinsen der Kreditinstitute wären auch bei hohen Sparquoten dann vernachlässigbar, wenn das Sparen überwiegend jenseits von Bankeinlagen stattfände. Aus der zweiten Zeile (Bargeld und Einlagen) von Tabelle 1 wird jedoch ersichtlich, dass insoweit ein beachtliches Einlagevolumen deutscher Privathaushalte den ertrags- und vermögensmindernden Wirkungen von Negativzinsen unmittelbar ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund wird die Einführung von Negativzinsen für Bankeinlagen in Deutschland als Tabubruch gewertet.9 Es ist daher zu fragen, wie sich dieses Unterschreiten der (vermeintlich undurchdringlichen) Nulllinie auf das Verhalten privater Einleger auswirken könnte. Hierfür ist das Phänomen negativer Einlagezinsen zunächst vor dem Hintergrund der generellen Zinslandschaft einzuordnen.

Entwicklung der Marktzinsen

Die ersten Fälle nominell negativer Einlagezinsen sind in erster Linie vor dem Hintergrund ohnehin extrem niedriger Zinsen bemerkenswert: Das Zinsniveau ist seit 2007 im Zuge der Bekämpfung der von den Finanzmärkten ausgehenden Krisenprozesse auf kaum für möglich gehaltene Tiefstände gesunken. In der Krisenbekämpfung waren bzw. sind nicht zuletzt die eingangs erwähnten negativen Zinssätze einzelner Zentralbanken begründet.10 Auch in Deutschland verläuft die Zinsentwicklung im 21. Jahrhundert bislang ungewöhnlich, da zunächst um die Jahrtausendwende vor allem aber seit der Subprime-Krise 2007 sowohl Abflach- und zeitweise Inversionsbewegungen der Zinsstrukturkurve als auch ihr extremes Absinken zu beobachten waren (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Zinsstruktur am deutschen Rentenmarkt ausgewählte Jahre bis 2013
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Zinsstrukturkurve (Svensson-Methode), börsennotierte Bundeswertpapiere.

Quelle: Deutsche Bundesbank, eigene Darstellung.

Negative Zinssätze waren bereits im Jahresverlauf 2014 zu beobachten (vgl. Abbildung 2). Die Verstärkung dieser Entwicklung und in der Folge der Niederschlag im Einlagegeschäft der Kreditinstitute geht auf die vorausgegangene Zinspolitik der Zentralbanken im Rahmen der geldpolitischen (Krisengegen-)Steuerung zurück: Der EZB-Rat senkte verschiedene Eckzinssätze und setzte hierbei den Zinssatz für die Einlagefazilität mit zuletzt -0,2% p.a. fest. Der Zinssatz, der Geschäftsbanken gestellt wird, die Guthaben bis zum nächsten Geschäftstag bei der Notenbank anlegen, ist seither negativ, wird also nicht länger von der EZB an die einlegende Bank, sondern von dieser an die EZB gezahlt. Dieser Zins wiederum bildet im Allgemeinen die Untergrenze des Tagesgeldzinses am Interbankenmarkt,11 da eine Bank an andere Banken nicht zu einem niedrigeren Zinssatz verleihen wird als dem, den sie für eine weniger ausfallgefährdete Zentralbankeinlage erhält. Negative Einlagezinsen einer Geschäftsbank lassen sich daher als Versuch begreifen, die neuen, nominell negativen Zentralbankkonditionen an andere Marktteilnehmer weiterzuleiten, worin sich die geldpolitische Transmissionsfunktion der Banken ausdrückt.12 Es wird damit erkennbar, dass die nominell negativen Einlagezinsen deutscher Banken rein quantitativ grundsätzlich mit der Entwicklung der Zentralbank- bzw. Marktzinsen harmonieren.

Abbildung 2
Zinsstruktur am deutschen Rentenmarkt, 2014 und 2015
in %
36474.png

Zinssätze für (hypothetische) Nullkuponanleihen (Svensson-Methode), börsennotierte Bundeswertpapiere.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Entwicklung der Einlagezinsen

Nominell negative Einlagezinsen sind nicht nur eine konzeptionelle, sondern auch eine faktische Ausnahmeerscheinung, von der insbesondere Kleinanleger bislang verschont geblieben sind. Die momentanen Tagesgeldzinsen reflektieren zwar das allgemein niedrige Zinsniveau, liegen jedoch mit bis zu 1,3% p.a. im Spitzenbereich deutlich über der Nulllinie.13 Laut der jüngsten Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank lag der durchschnittliche effektive Zinssatz für täglich fällige Einlagen der privaten Haushalte per Dezember 2014 bei 0,26% p.a., womit er binnen zwölf Monaten um ein Drittel gefallen und näher, aber noch oberhalb der Nullgrenze zu finden ist.14

Auch diese Feststellung basiert allerdings auf nominellen Zinssätzen. Wird das Begriffsverständnis erweitert, indem Transaktionskosten, Steuern oder/und die Inflationsrate einbezogen werden, kommt die jetzige Diskussion eher spät, sind doch diese Realzinsen für Privateinleger deutscher Banken auch in der Vergangenheit zeitweise negativ gewesen und sind es auch seit 2010 wieder.15 Im Unterschied dazu sind nominell negative Zinsen lediglich deutlich expliziter. Das erklärt das merkliche Medienecho Anfang November 2014. Gleichzeitig ist festzustellen, dass ein flächendeckender Einfluss auf die Einlegerpsyche bislang ausgeblieben ist. Die Zinsreagibilität der privaten Einleger deutscher Banken ist weiterhin niedrig, wofür insbesondere ihre gegenüber der Renditeorientierung stärkere Risikoaversion zu sorgen scheint.16

Zunächst dürften primär wohlhabendere Kunden ihre Bankeinlagen umschichten, und zwar von Commercial- zu Investment-Banking-Produkten, womit Negativzinsen Wanderungs- bzw. Disintermediationsprozesse anreizen könnten, die krisenbedingt eher zwiespältig gesehen werden. Ob das Unterschreiten der Nulllinie durch Einführung nominell negativer Zinssätze eine flächendeckende Einlegerreaktion zeitigt, wird auch von der Zahl und Prominenz der Banken abhängen, die den bisherigen Beispielen folgen – vor allem aber davon, wie flächendeckend das Mengengeschäft mit privaten Kunden betroffen ist, und welche Opportunitäten sich diesen bieten.

  • 1 Vgl. S. Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 1916; zu seiner Bedeutung im vorliegenden Kontext z.B. C. Ilgmann, M. Menner: Negative Nominal Interest Rates: History and Current Proposals, in: International Economics and Economic Policy, 8. Jg. (2011), H. 4, S. 383-405.
  • 2 Vgl. z.B. den Vorschlag eines Konjunkturzinses bei U. van Suntum: Mit Negativzinsen aus der Rezession, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Themenspecial, 27.1.2010, http://www.insm.de/insm/Themen/Steuern-und-Finanzen/Special-Kreditklemme/Mit-Negativzinsen-aus-der-Rezession.html (6.2.2015).
  • 3 Die erste Phase niedriger Zinsen folgte nach der Jahrtausendwende aus der geldpolitischen Reaktion auf das Platzen der New-Economy-Blase sowie auf die Terroranschläge vom 11.9.2001 und repräsentiert eine der Rahmenbedingungen, unter denen sich die US-amerikanische Subprime-Krise entwickeln konnte, vgl. stellvertretend R. Vaubel: Lehren aus der Finanzkrise: Rolle des Staates und internationale Dimension, in: ORDO, 60. Jg. (2009), S. 251 f.
  • 4 Zinsangaben laut Websites der angegebenen Notenbanken, vgl. www.riksbank.se, www.nationalbanken.dk, www.ecb.europa.eu, www.snb.ch. Erfahrungen mit Negativzinsen hatte die Schweiz bereits in den 1970er Jahren gemacht, vgl. ausführlicher http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/konjunktur/Die-SNB-und-der-Coup-von-1978/story/18966119 (26.1.2015).
  • 5 Vgl. neben den oben genannten Websites auch www.deutsche-finanzagentur.de und www.dsta.nl (26.1.2015).
  • 6 Vgl. http://www.esm.europa.eu/investors/disclaimer.htm (20.12.2014).
  • 7 Vgl. https://ssl.skatbank.de/content/neuigkeiten (20.12.2014).
  • 8 Vgl. http://www.welt.de/finanzen/article134574436/Auch-die-WGZ-Bank-erhebt-Negativzinsen.html (1.12.2014).
  • 9 Vgl. stellvertretend für die Medienberichterstattung zum Monatswechsel Oktober/November 2014, Handelsblatt vom 3.11.2014: Die Angst vor dem Strafzins geht um, http://www.handelsblatt.com/finanzen/vorsorge-versicherung/altersvorsorge-sparen/tagesgeld-und-festgeld-die-angst-vor-dem-strafzins-geht-um/10924974.html (3.1.2015).
  • 10 Vgl. mit Blick auf das dänische Beispiel J. Klose: Negative Einlagezinsen im Euroraum? Lehren aus Dänemark, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 12, S. 824-827. Analog zum Negativzins der EZB J. Klose: Negativer Einlagezins – Das Experiment beginnt, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 6, S. 384.
  • 11 Vgl. K. Ruckriegel: Das Verhalten der EZB während der Finanzmarkt­krise(n), in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 2, S. 107-114.
  • 12 Vgl. ausführlich M. Bucher, U. Meyer: Der Einfluss des (negativen) Einlagesatzes der EZB auf die Kreditvergabe im Euroraum, in: DICE Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 64, Düsseldorf, Oktober 2014.
  • 13 Vgl. beispielsweise http://www.tagesgeldvergleich.net/tagesgeld/tagesgeldkonto-zinsen.html (3.1.2015).
  • 14 Vgl. http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statistiken/Geld_Und_Kapitalmaerkte/Zinssaetze_Renditen/S11BATSUHDE.pdf?__blob=publicationFile (2.1.2015).
  • 15 Vgl. Deutsche Bundesbank: Negative reale Verzinsung von Einlagen kein neues Phänomen, Themen 27.6.2014, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Themen/2014/2014_06_27_einlageverzinsung_ in_deutschland.html (3.1.2015).
  • 16 Laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ist 95% der Sparer Sicherheit, 75% Rendite (sehr) wichtig, 45% sind besorgt über aktuelle Niedrigzinsen und EZB-Geldpolitik, vgl. http://dsgv.de/vermoegensbarometer (20.12.2014).

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DOI: 10.1007/s10273-015-1792-0