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Am 21. März 2015 entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund zwischen Berlin und Hamburg als deutscher Bewerberstadt für die Olympischen Spiele 2024. Das wichtigste Kriterium sollte nach einer Reihe von erfolglosen Olympiabewerbungen sein, mit welcher Stadt Deutschland die größeren Erfolgsaussichten hat. Welche Faktoren bestimmen die Chancen, bei der Wahl des Internationalen Olympischen Komitees 2017 gegen Boston, Paris, Istanbul und andere zu gewinnen?

Das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) plant, am 16. März eine Empfehlung für Berlin oder Hamburg auszusprechen, bevor knapp eine Woche später auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des DOSB die entscheidende Abstimmung stattfindet. Die deutsche Stadt muss bis zum 15.9.2015 als Applicant City beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nominiert werden. Bis dahin soll in der vom DOSB ausgewählten Stadt die Zustimmung der Bevölkerung in einer Volksbefragung gemessen werden. Im April/Mai 2016 engt das IOC-Exekutivkomitee den Kreis der Bewerberstädte ein und läutet die „Candidate City Phase“ ein, in welcher z.B. Anfang 2017 eine IOC-Evaluierungskommission die Bewerberstädte besucht. Die Wahl des Gastgeberortes findet im September 2017 bei der 130. IOC Session in Lima, Peru, statt.

Nach vier erfolglosen Bewerbungen in den letzten drei Dekaden gilt es auch, die Bewerbungskosten von bis zu 50 Mio. Euro zu rechtfertigen: Berchtesgaden erhielt mit seiner Bewerbung für die Winterspiele 1992 sechs der 84 abgegebenen IOC-Stimmen und schied als erste der sieben Bewerberstädte aus. Berlin bewarb sich für die Sommerspiele 2000, erhielt neun der 89 Stimmen und schied – nach Istanbul – als zweite Stadt aus. Die Leipziger Bewerbung für die Sommerspiele 2012 scheiterte bereits in der ersten Bewerbungsphase und wurde nicht zur IOC-Abstimmung zugelassen. München wollte die Winterspiele 2018, erhielt 25 der 92 abgegebenen Stimmen und unterlag dem südkoreanischen Pyeongchang (63 Stimmen) bereits im ersten Wahlgang.

In dem Wettbewerb für 2024 wird Boston von einigen Medien zum Favoriten erklärt, da das IOC im vergangenen Jahr einen mit 7,75 Mrd. US-$ dotierten Vertrag mit dem amerikanischen Fernsehsender NBC abgeschlossen hat. Auf systematischen Analysen beruhen solche Vorhersagen jedoch selten. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich allerdings auch nur wenige Studien, die sich mit den Determinanten des IOC-Wahlprozesses für die Olympischen Sommerspiele beschäftigen.

Westerbeek et al.1 befragen 135 Entscheidungsträger im Sport zur Bedeutung von 69 Einflussgrößen. Ihr Ergebnis leidet unter dem generellen Problem der von ihnen verwendeten Faktorenanalyse, dass die Benennung der Faktoren gewissen Willkürlichkeiten unterliegt, deren Inhalte im vorliegenden Fall zudem schwer zu operationalisieren sind. Ihr Faktor „accountability“ z.B. enthält Einflüsse wie „ability to identify key target markets of importance to the event owners“und „to have an established and recognized presence in the marketplace as a bidding organization“.

Multivariate Regressionstechniken und Daten aus offiziellen statistischen Quellen sowie aus den Bewerbungsdokumenten werden erst in späteren Studien verwendet: Poast2 analysiert elf Variablen in einer Rang-geordneten logistischen Regression für die Spiele von 1964 bis 2012. Ergebnis: Die IOC-Wahl hängt ausschließlich vom Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum des Bewerberlandes in den letzten ein, fünf und zehn Jahren ab.

Feddersen et al.3 untersuchen 20 Variablen für die Sommerspiele 1992 bis 2012 und nutzen ein Panel Logit Model mit fixen Effekten. Sie stellen heraus, dass die Wahlergebnisse von der durchschnittlichen Distanz zwischen dem Olympischen Dorf und den Sportstätten, der typischen örtlichen Lufttemperatur während der Zeit der Spiele sowie der Zahl der lokalen Hotelbetten abhängt.

Maennig und Vierhaus4 untersuchen die 59 Bewerbungen für die Spiele von 1992 bis 2020 auf Basis von 147 möglichen Einflussfaktoren für den Wahlerfolg, die sie aus dem IOC-Fragebogen für Bewerberstädte ableiten. Diese Variablen umfassen ökonomische, sozio-politische und bewerbungskonzeptionelle Erklärungen. Als statistisches Verfahren wird wie bei Poast die Rang-geordnete logistische Regression genutzt, weil sie die Erfolgschancen relativ zu allen anderen Bewerbern für die jeweiligen Spiele abbildet. Das Schätzmodell berücksichtigt zudem das Wahlsystem des IOC, das in jeder Runde den Bewerber mit den wenigsten Stimmen eliminiert.

Die folgenden Ausführungen basieren auf dieser Studie, ergänzen das Modell jedoch um die inzwischen besser zugänglichen historischen Zustimmungsraten in den Bewerberstädten. Ferner werden die Rolle der (wahrgenommenen) Größe der Stadt und der Einfluss der Reform Olympic Agenda 2020 auf die Prognose diskutiert.

Tabelle 1
Einflussfaktoren der IOC-Wahl der Ausrichterstadt
Einflussfaktoren Koeffizient
Urbane Bevölkerung des Landes (in Mio.) 0,019**
(Bevölkerung in der Bewerberstadt in Mio.)-2 -0,153***
5-jährige durchschnittliche Wachstumsrate des BIP (%) 0,737**
5-jährige Veränderung der politischen Rechte nach Freedom House (Punkte)1 -2,054**
Weltmeisterschaften in olympischen Sportarten im Land in den letzten zehn Jahren 0,547***
(Jahre seit der letzten Ausrichtung der Olympischen Spiele im Land)2 0,190***
Jahre seit der letzten Ausrichtung der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft -0,158***
(Stadien im Land mit einer Kapazität ≥ 40 000 Plätze)-2 -0,002***
Disput mit dem IOC? (0/1) -7,626***
Zustimmung der Bevölkerung in der Bewerberstadt ≥ 67%? (0/1) 3,411**
Olympische Spiele/Bewerbungen berücksichtigt 8/59
Richtig klassifizierte Gastgeberstädte 8 von 8

Anmerkungen: *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; Bevölkerung in der Bewerberstadt (in Mio.) ist transformiert mit (x/10)-2; Jahre seit der letzten Ausrichtung der Olympischen Spiele im Land ist transformiert mit ((x+2)/10)2; Stadien im Land mit einer Kapazität ≥ 40 000 Plätze ist transformiert mit ((x+1)/100)-2.

1 Der Freedom House Indikator für politische Rechte ist von 1 (most free) bis 7 (least free) skaliert.

Quelle: W. Maennig, C. Vierhaus: Who Wins Olympic Bids?, Hamburg Contemporary Economic Discussions, 2014, H. 50, http://econpapers.repec.org/paper/hcewpaper/050.htm (8.2.2015).

Abbildung 1
Marginale Effekte von vier Indikatoren (mit 95% Konfidenzintervallen)
33342.png

Erfolgsfaktoren einer Olympiabewerbung

Das resultierende Schätzmodell5 enthält zehn signifikante Einflussfaktoren aus dem wirtschafts- und sportpolitischen Umfeld der Bewerberstadt (vgl. Tabelle 1). Einige der Variablen gehen in einem nicht-linearen Zusammenhang in die Erfolgswahrscheinlichkeit ein, was in Abbildung 1 verdeutlicht wird. Besonders gute Erfolgswahrscheinlichkeiten haben Städte mit mehr als 2,5 Mio. Einwohnern (ganz oben in Abbildung 1), in einem Land mit möglichst großer urbaner Bevölkerung, hohem Wirtschaftswachstum und einer Liberalisierung politischer Rechte innerhalb der letzten fünf Jahre. Zudem sollte der Bewerber viele Weltmeisterschaften in Olympischen Disziplinen und vor nicht zu langer Zeit die Fußball-WM ausgerichtet haben (ganz unten in Abbildung 1).6 Die letzte Ausrichtung der Olympischen Spiele sollte hingegen möglichst lange her sein (zweite von oben in Abbildung 1) und das Nationale Olympische Komitee (NOK) sollte ein konfliktfreies Verhältnis zum IOC pflegen. Ferner sollten im Land mindestens drei große Stadien vorhanden sein (dritte von oben in Abbildung 1). Zu guter Letzt sollten in der Umfrage des IOC mindestens 2/3 der Stadtbevölkerung einer Olympiabewerbung zustimmen.

Tabelle 2 listet die 59 Bewerbungen für Olympische Sommerspiele der letzten 30 Jahre mit den jeweiligen Wahlergebnissen sowie den vom Modell geschätzten Erfolgswahrscheinlichkeiten auf. In allen acht Bewerbungsverfahren weist das Modell dem siegreichen Bewerber die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit zu.7

Tabelle 2
Prognose der Erfolgswahrscheinlichkeit von Olympiabewerbungen 1992-2020
Olympische Spiele Geschätzter linearer Wert Geschätzte Wahrscheinlichkeit1 Bewerberstadt Bewerberland
(Nationales Olympisches Komitee)
Wahlrunden
1 2 3 4 5
1992 4,39 61,83% Barcelona Spanien 29 37 47    
1992 3,77 33,40% Paris Frankreich 19 20 23    
1992 0,84 1,78% Brisbane Australien 11 9 10    
1992 1,18 2,49% Belgrad Jugoslawien 13 11 5    
1992 -0,43 0,50% Birmingham Großbritannien 8 8 -    
1992 -18,43 0,00% Amsterdam Niederlande 5 - -    
1996 16,06 70,26% Atlanta USA 19 20 26 34 51
1996 15,18 29,22% Athen Griechenland 23 23 26 30 35
1996 8,26 0,03% Toronto Kanada 14 17 18 22  
1996 11,01 0,45% Melbourne Australien 12 21 16 -  
1996 8,57 0,04% Manchester Großbritannien 11 5 - -  
1996 -1,26 0,00% Belgrad Jugoslawien 7 - - -  
2000 16,41 91,92% Sydney Australien 30 30 37 45  
2000 13,96 7,95% Peking China 32 37 40 43  
2000 9,06 0,06% Manchester Großbritannien 11 13 11 -  
2000 9,19 0,07% Berlin Deutschland 9 9 - -  
2000 6,11 0,00% Istanbul Türkei 7 - - -  
2004 22,65 100,00% Athen Griechenland 32 - 38 52 66
2004 12,51 0,00% Rom Italien 23 - 28 35 41
2004 7,66 0,00% Kapstadt Südafrika 16 62 22 20 -
2004 4,47 0,00% Stockholm Schweden 20 - 19 - -
2004 3,05 0,00% Buenos Aires Argentinien 16 44 - - -
2004 -0,45 0,00% Istanbul Türkei -        
2004 0,44 0,00% Lille Frankreich -        
2004 -0,21 0,00% Rio de Janeiro Brasilien -        
2004 -92,6 0,00% San Juan Puerto Rico -        
2004 -21,92 0,00% Sevilla Spanien -        
2004 -0,03 0,00% St. Petersburg Russland -        
2008 21,23 99,82% Peking China 44 56      
2008 14,89 0,18% Toronto Kanada 20 22      
2008 10,73 0,00% Paris Frankreich 15 18      
2008 5,24 0,00% Istanbul Türkei 17 9      
2008 8,07 0,00% Osaka Japan 6 -      
2008 3,28 0,00% Bangkok Thailand -        
2008 0,56 0,00% Kairo Ägypten -        
2008 -2,01 0,00% Havanna Kuba -        
2008 2,62 0,00% Kuala Lumpur Malaysia -        
2008 -19,11 0,00% Sevilla Spanien -        
2012 14,46 63,30% London Großbritannien 22 27 39 54  
2012 13,65 28,36% Paris Frankreich 21 25 33 50  
2012 12,40 8,12% Madrid Spanien 20 32 31 -  
2012 7,75 0,08% New York USA 19 16 - -  
2012 8,18 0,12% Moskau Russland 15 - - -  
2012 -1,02 0,00% Havanna Kuba -        
2012 6,62 0,03% Istanbul Türkei -        
2012 -40,02 0,00% Leipzig Deutschland -        
2012 1,40 0,00% Rio de Janeiro Brasilien -        
2016 13,63 78,94% Rio de Janeiro Brasilien 26 46 66    
2016 12,21 18,92% Madrid Spanien 28 29 32    
2016 9,20 0,94% Tokio Japan 22 20 -    
2016 9,45 1,20% Chicago USA 18 - -    
2016 -3,39 0,00% Baku Aserbaidschan -        
2016 -6,83 0,00% Doha Katar -        
2016 -23,35 0,00% Prag Tschechien -        
2020 10,48 74,74% Tokio Japan 42 - 60    
2020 9,36 24,48% Istanbul Türkei 26 49 36    
2020 5,91 0,78% Madrid Spanien 26 45 -    
2020 -3,19 0,00% Baku Aserbaidschan -        
2020 -11,02 0,00% Doha Katar -        

Anmerkungen: Die siegreichen Bewerber (Ausrichter) sind hellblau hinterlegt. In der Applicant-City-Phase ausgeschiedene Bewerber sind in Runde 1 mit einem Strich (-) markiert.

1 Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bewerber höher als alle anderen Bewerber für die gleichen Olympischen Spiele bewertet wird, wird dargestellt als:
Pr {Geschätzter linearer Wert1 > max(Wert2, …, Wertn)} = 33381.png.

Das Scheitern von Berlin 2000 und Leipzig 2012

Da man aus Fehlern und der Vergangenheit lernen kann, sollen die deutschen Bewerbungen für die Spiele 2000 und 2012 näher beleuchtet werden. Eine offensichtliche Schwäche von Berlins Bewerbung bestand in der mangelnden Unterstützung der Bevölkerung (53%), die deutlich unter der Schwelle von 2/3 liegt.8 Jedoch hätte auch das Übertreffen dieser Schwelle nur zu einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 1,99% geführt. Im Vergleich zu Sydney liegen weitere Schwächen in der kürzeren Zeit seit der letzten Olympia-Ausrichtung (28 Jahre seit München 1972 zu 44 Jahren seit Melbourne 1956) sowie der (langen) Zeit seit der letzten Fußball-Weltmeisterschaft (26 Jahre).

Als deutsche Bewerberstadt für die Olympischen Spiele 2012 hatte sich Leipzig in der DOSB-Mitgliederwahl gegen die Konkurrenten Hamburg, Düsseldorf Rhein-Ruhr, Frankfurt/Main und Stuttgart durchgesetzt. Jedoch scheiterte die Bewerbung Leipzigs wie erwähnt bereits in der Applicant-City-Phase. Auf Basis des Analysemodells kann dies ausschließlich der Größe der Stadt zugewiesen werden, die im Vergleich mit den Konkurrenten London, Paris, Madrid, Moskau, New York, Istanbul und Rio de Janeiro zu klein war. Mit einer größeren Stadt hätte Deutschland gute Chancen gehabt, Olympia 2012 nach Deutschland zu holen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit z.B. für Hamburg wäre groß gewesen, wenn es mit einer Bevölkerungszahl von 3,2 Mio. Einwohnern wahrgenommenen worden wäre – dies entspricht seiner „Larger Urban Zone“ nach Definition von Eurostat.9

Tabelle 3
Modell-basierte Prognose für die IOC-Wahl des Olympia-Gastgebers 2024
Wahrscheinliche Bewerber für Olympia 2024   Deutschland Türkei Frankreich USA Italien Süd-
afrika
Aserbaidschan Katar
Einflussfaktoren Koeffi- zient Berlin Hamburg Istanbul Paris Boston Rom Johannesburg Baku Doha
Urbane Bevölkerung des Landes (in Mio.) 0,019 61 61 55,3 52,5 259,8 41 33,8 5,1 2,2
Bevölkerung in der Bewerberstadt (in Mio.)   3,5 1,8 14,2 11,5 4,7 4,2 4,4 2,3 0,8
(Bevölkerung in der Bewerberstadt in Mio.)-2 -0,153 8,2 30,9 0,5 0,8 4,5 5,6 5,2 18,9 156,3
5-jähriges durchschnittliche Wachstum des BIP (%) 0,737 1,5 1,5 4,5 0,8 2,2 -1,0 2,7 3,1 7,4
5-jährige Veränderung der politischen Rechte (FH)1 -2,054 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Weltmeisterschaften in den letzten zehn Jahren 0,547 14 14 9 15 8 14 3 2 5
Jahre seit den Olympischen Spiele im Land   52 52 0 32 22 18 0 0 0
(Jahre seit den Olympischen Spiele im Land)2 0,190 29,2 29,2 0 11,6 5,8 4 0 0 0
Jahre seit der letzten FIFA-Weltmeisterschaft -0,158 18 18 0 26 30 34 14 0 2
Stadien im Land ≥ 40 000 Plätze   18 18 3 5 139 7 14 0 1
(Stadien im Land ≥ 40 000 Plätze)-2 -0,002 28 28 625 278 1 156 44 10 000 2 500
Disput mit dem IOC? (0/1) -7,626 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Zustimmung in der Bewerberstadt ≥ 67%? (0/1) 3,411 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Einflussfaktoren Gewichteter Einfluss (Koeffizient * Wert) = Stärken/Schwächen-Profil
Urbane Bevölkerung des Landes (in Mio.)   1,1 1,1 1 1 4,8 0,8 0,6 0,1 0
(Bevölkerung in der Bewerberstadt in Mio.)-2   -1,3 -4,7 -0,1 -0,1 -0,7 -0,9 -0,8 -2,9 -23,9
5-jähriges durchschnittliche Wachstum des BIP (%)   1,1 1,1 3,3 0,6 1,6 -0,7 2 2,3 5,5
5-jährige Veränderung der politischen Rechte (FH)1   0 0 0 0 0 0 0 0 0
Weltmeisterschaften in den letzten zehn Jahren   7,7 7,7 4,9 8,2 4,4 7,7 1,6 1,1 2,7
(Jahre seit den Olympischen Spiele im Land)2   5,5 5,5 0 2,2 1,1 0,8 0 0 0
Jahre seit der letzten FIFA-Weltmeisterschaft   -2,8 -2,8 0 -4,1 -4,7 -5,4 -2,2 0 -0,3
(Stadien im Land ≥ 40 000 Plätze)-2   0 0 -1,1 -0,5 0 -0,3 -0,1 -17,5 -4,4
Disput mit dem IOC? (0/1)   0 0 0 0 0 0 0 0 0
Zustimmung in der Bewerberstadt ≥ 67%? (0/1)   3,4 3,4 3,4 3,4 3,4 3,4 3,4 3,4 3,4
Geschätzter linearer Wert   14,69 11,22 11,49 10,68 9,93 5,36 4,57 -13,53 -16,95

Anmerkungen: Die kursiven Variablen in den hellblauen Zeilen gehen nicht mit den Originalwerten in die Analyse ein. Stattdessen werden diese in der jeweils darunter liegenden Zeile transformiert. Bevölkerung in der Bewerberstadt (in Mio.) ist transformiert mit (x/10)-2; Jahre seit der letzten Ausrichtung der Olympischen Spiele im Land ist transformiert mit ((x+2)/10)2; Stadien im Land mit einer Kapazität ≥ 40 000 Plätze ist transformiert mit ((x+1)/100)-2. Für diese Tabelle wird angenommen, dass alle Bewerberstädte bei der IOC-Wahl mindestens 67% Zustimmung erhalten.

1 Der Freedom House Indikator für Politische Rechte ist von 1 (most free) bis 7 (least free) skaliert.

Die deutschen Chancen für 2024

Aus den bisherigen Ausführungen wird klar, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit einer deutschen Bewerbung von den Stärken der anderen Bewerber abhängt. Bislang haben lediglich Boston und Rom Olympiabewerbungen beschlossen. Als möglich erscheinen des Weiteren die Bewerbungen von Istanbul, Paris, Johannesburg, Baku und Doha, weshalb die Analyse unter Berücksichtigung dieser Städte vorgenommen werden soll. Tabelle 3 fasst die Ausprägungen der wichtigsten Einflussfaktoren in diesen Städten zusammen, wobei zunächst angenommen wird, dass alle Bewerberstädte mehr als 67% Zustimmung der Bevölkerung erreichen. Im oberen Teil von Tabelle 3 sind für alle Bewerber die Werte der Einflussfaktoren aufgelistet. Der untere Teil enthält dann die Bewertung (geschätzter Koeffizient * Wert), die als Stärken/Schwächen-Profil interpretiert werden kann. Das Stärken/Schwächen-Profil zeigt, unter der Annahme einer ebenso hohen Zustimmungsrate wie in den anderen Bewerberstädten, sehr gute Erfolgsaussichten für die deutsche Bewerbung. Der stärkste Konkurrent scheint Istanbul zu sein, wenn die Stadt sich nach den erfolglosen Bewerbungen für 2000, 2004, 2008, 2016 und 2020 ein weiteres Mal bewerben sollte. Der deutsche Vorteil gegenüber Istanbul liegt in der Erfahrung mit sportlichen (Groß-)Veranstaltungen, illustriert durch die größere Zahl an Weltmeisterschaften in den letzten zehn Jahren. Im Vergleich zu Paris spricht für Berlin/Hamburg die lange Zeit seit den letzten Olympischen Spielen im Land (dann 52 Jahre versus 32 Jahre), die positive Erfahrung der Fußball-WM 2006, die weniger lange her ist als Frankreich 1998, sowie die wachstumsstärkere Wirtschaft. Gegenüber Boston hat Deutschland ebenfalls den Vorteil der längeren Zeit seit den letzten Olympischen Spielen (dann 52 Jahre versus 22 Jahre), die frischere Erfahrung der WM 2006 (USA 1994) sowie die Zahl an ausgerichteten Weltmeisterschaften in den letzten zehn Jahren.

Berlin wäre mit einer Wahrscheinlichkeit von 93,68% der Top-Favorit für die IOC Wahl, wenn die Zustimmung der Bevölkerung zum Zeitpunkt der Befragung durch die vom IOC beauftragte Agentur über 67% liegt (vgl. Tabelle 4). Würde die Zustimmung darunter liegen, würden Berlins Chancen allerdings auf 32,83% sinken und Istanbul wäre der Top-Favorit. Die bei Niederschrift aktuellen Zustimmungsraten liegen in Berlin allerdings noch deutlich unter 67%.

Dieser Schwellenwert scheint in Hamburg aktuell leichter erreichbar zu sein; im Hamburger Fall könnte der Engpass jedoch in der Stadtgröße liegen. Nur wenn Hamburg seine Bevölkerungsgröße erfolgreich mit den genannten 3,2 Mio. Einwohnern kommunizieren kann, wäre es mit 92,06% der Top-Favorit im internationalen Bewerberfeld, nicht unterschiedlich von der Stärke einer Berliner Kandidatur. Sollte es jedoch bei den bisherigen Entscheidungsstrukturen des IOC bleiben, die sich in den Koeffizienten abbilden, und zudem Hamburg als eine Stadt mit 1,8 Mio. Einwohnern angesehen werden (entspricht der Einwohnerzahl innerhalb der Stadtgrenzen), so hätte Hamburg eine auf 31,41% reduzierte Siegeswahrscheinlichkeit – erneut wäre Istanbul der Favorit.

Tabelle 4
Alternative Zustimmungsraten und wahrgenommene Stadtgrößen deutscher Olympia-Bewerber 2024
  Wahrgenommene Größe der Stadt (Einwohner)
  Berlin Hamburg
Zustimmung der Bevölkerung1 3,5 Mio.
(Stadt)
1,8 Mio.
(Stadt)
3,2 Mio.
(„Larger Urban Zone“)
< 67% 32,83% 1,49% 27,66%
≥ 67% 93,68% 31,41% 92,06%

1 Wahrscheinlichkeiten in dieser Tabelle unter der Annahme, dass alle anderen Bewerber eine Zustimmung ≥ 67% erreichen.

Zustimmung der Bevölkerung

Bei den Bewerbungsrunden für 2012 bis 2020 gelang es nur zwei von zwölf Städten (New York 2012, Tokio 2016) in der Candidate-City-Phase nicht, die kritische Grenze von 67% Zustimmung zu erreichen (vgl. Abbildung 2).10 Beide Städte schieden bereits in der zweiten Wahlrunde aus (vgl. Tabelle 2). Allerdings sind Zustimmungsraten kein Fixum; sie können mit wachsender Dauer der Bewerbungskampagnen steigen. Den stärksten Zuwachs zwischen Applicant-City-Phase und Candidate-City-Phase erzielte die dann auch siegreiche Bewerbung von Tokio für 2020; dort stieg die Zustimmung von 47% auf 70%. Die aktuellen, noch nicht überzeugenden Umfragewerte in Berlin und Hamburg sind vor dem Hintergrund solcher Verbesserungsmöglichkeiten zu sehen. Nur bedingt macht es jedoch Sinn, dabei einen Horizont bis zur Befragung durch die vom IOC beauftragte Agentur Anfang 2017 einzuplanen, da sowohl Berlin als auch Hamburg bereits für September 2015 im Falle eines positiven DOSB-Votums eine Volks- bzw. Bürgerbefragung planen, die im Falle einer fehlenden Mehrheit die Bewerbungskampagnen beenden würden.

Abbildung 2
Zustimmungsraten von ausgewählten Olympia-Bewerbern 2012-2020
33032.png

Größe der Stadt

Abbildung 3 zeigt den Anstieg der Stadtgrößen von Bewerbern und Ausrichtern in den letzten 30 Jahren. Die durchschnittliche Größe der Bewerber für 1992 lag noch bei 2,8 Mio. Einwohnern, die gewählte Stadt Barcelona wurde sogar nur mit 1,8 Mio. Einwohnern angegeben. Seit 2008 zeigen jedoch die IOC-Mitglieder eine klare Präferenz für globale Städte ersten Ranges: Peking 2008 (11,5 Mio. Einwohner), London 2012 (7,5 Mio.), Rio de Janeiro 2016 (11,5 Mio.), Tokio 2020 (13,2 Mio.).11 Die Bewerberstädte berücksichtigen dies in ihren Bewerbungsstrategien: So berichtet Rio für 2012 noch 6 Mio. Einwohner an das IOC, für 2016 jedoch 11,5 Mio. Allerdings haben Bewerber mit mehr als 2,5 Mio. Einwohner nach unserem Modell nur geringe Vorteile (vgl. oben links in Abbildung 1). Für Hamburg würde es wichtig sein, dem IOC seine „richtige“ Größe zu signalisieren. Ähnliches gilt übrigens auch für Boston, dass nur rund 650 000 Einwohner in seinen „eigentlichen“ Stadtgrenzen hat, allerdings gegenüber Hamburg den Vorteil besitzt, mit seinen Nachbargemeinden („Greater Boston“) über eine gemeinsame Landesregierung zu verfügen, wodurch die geringe Größe Bostons weniger offensichtlich ist.

Abbildung 3
Einwohnerzahlen der Bewerberstädte von 1992-2020
33179.png

Die Reform Olympic Agenda 2020

Im Modell wird angenommen, dass sich die Gewichtung der Einflussfaktoren über die Zeit und insbesondere für die Prognose 2024 nicht verändert. Für die Zeit bis 2020 konnten Maennig und Vierhaus dies durch Tests weitestgehend bestätigen. Unsicher scheint eine solche Konstanz allerdings vor dem Hintergrund der vom IOC beschlossenen Reform Olympic Agenda 2020.12 Sowohl der Bewerbungsprozess als auch die Ausrichtung Olympischer Spiele sollen nachhaltiger werden, was beispielsweise durch die Aufforderung gekennzeichnet ist, größtmöglichen Gebrauch von existierenden sowie temporären Anlagen zu machen. Einzelne Sportarten können gegebenenfalls auch außerhalb der Ausrichterstadt ausgetragen werden. Die Reformen werden teilweise als Versuch gesehen, die Ausrichtung Olympischer Spiele wieder für mehr und kleinere Städte attraktiver zu machen.13 Die meisten Olympiakandidaturen (11) verzeichnete das IOC für die Spiele 2004, kurz nachdem viele Städte am Beispiel von Barcelona 1992 den Erfolg einer Austragung sehen konnten.

Fazit

Deutschland gehört – egal ob mit Berlin oder mit Hamburg – zu den Top-Favoriten für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2024. Es verfügt gegenüber dem mutmaßlich stärksten Konkurrenten Türkei (Istanbul) über die größere Erfahrung in der Ausrichtung sportlicher (Groß-)Ereignisse. Im Vergleich zu Paris und Boston sprechen die längere Zeit seit Olympischen Spielen im eigenen Land, die frischere Erfahrung einer Fußball-Weltmeisterschaft sowie die solidere wirtschaftliche Entwicklung (im Vergleich zu Frankreich) für die deutsche Bewerbung.

Die Abwägung zwischen Berlin und Hamburg als optimale deutscher Bewerberstadt hängt von den Annahmen bezüglich zweier Einflussfaktoren ab: Zum einen ist wesentlich, ob hinreichend hohe Zustimmungsraten (2/3 der Stadtbevölkerung) bis Ende 2015 (geplantes Referendum), oder aber zumindest bis Anfang 2017 (Erhebungen durch das IOC) erwartet werden können. Zum anderen ist wichtig, dass die deutsche Bewerberstadt als hinreichend groß wahrgenommen wird. Mindestens 2,5 Mio. Einwohner erscheinen erforderlich. Sollten sowohl Berlin als auch Hamburg Zustimmungsraten von 67% erreichen können, und beide Städte als hinreichend groß angesehen werden, wäre Deutschland mit beiden Städten mit über 90% Erfolgswahrscheinlichkeit der internationale Favorit. Betrachtet man die derzeitigen Bewerbungsstrategien und deren bisher erreichten Nachhall in den Stadtbevölkerungen, so wäre aber auch eine andere innerdeutsche Patt-Situation denkbar: Hamburg erreicht die Zustimmungswerte, bleibt aber aus IOC-Sicht trotz der Reform Olympic Agenda 2020, welche die Aussichten von kleineren Städten fördern sollte, zu klein. Berlin ist zwar hinreichend groß, erreicht aber mit seinem Konzept keine 67%ige Zustimmung in der Bevölkerung. In diesem Falle würden die Erfolgswahrscheinlichkeiten für beide Städte allerdings immerhin noch bei ca. 30% liegen – dicht hinter Istanbul.

  • 1 Vgl. H. Westerbeek et al.: Key Success Factors in Bidding for Hallmark Sporting Events, in: International Marketing Review, 19. Jg. (2002), H. 3, S. 303-322.
  • 2 P. Poast: Winning the Bid: Analyzing the International Olympic Committee’s Host City Selections, in: International Interactions, 33. Jg. (2007), H. 1, S. 75-95.
  • 3 A. Feddersen et al.: The Empirics of Key Factors in the Success of Bids for Olympic Games, in: Revue d’économie politique, 118. Jg. (2008), H. 2, S. 171-187.
  • 4 Vgl. W. Maennig, C. Vierhaus: Who Wins Olympic Bids?, Hamburg Contemporary Economic Discussions, 2014, H. 50, http://econpapers.repec.org/paper/hcewpaper/050.htm (8.2.2015).
  • 5 Weil ein Schätzmodell unter Verwendung aller Variablen zu einer Überanpassung führen würde, wird die Variablenselektion auf Basis des Akaike Information Criterion (AIC) durchgeführt. Dieses Modellkriterium wird manuell schrittweise durch die Aufnahme einer weiteren Variable und die anschließende Prüfung aller Modellvariablen minimiert. Die Vorgehensweise ist nicht mit der schrittweisen Regression zu verwechseln, die Variablen automatisch auf Basis von Signifikanzwerten auswählt.
  • 6 Beispiele für die aufeinanderfolgende Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft und Olympische Sommerspiele sind Spanien (WM 1982, Olympia 1992), USA (WM 1994, Olympia 1996), Brasilien (WM 2014, Olympia 2016) und Japan (WM 2002, Olympia 2020).
  • 7 Offensichtlich ist, wie stark die Erfolgschancen von den Konkurrenzbewerbungen beeinflusst werden. Beispielsweise weist Toronto 2008 einen geschätzten Wert von 14,89 auf, der jedoch im Vergleich zu Peking mit 21,23 nur in einer Chance von 0,18% resultiert. Hingegen generiert Barcelona für 1992 nur einen absoluten Wert von 4,39, aufgrund schwächerer Konkurrenz führt dies jedoch zu einer Wahrscheinlichkeit von 61,83%.
  • 8 Die Umfrage zur Zustimmung wurde von Berlins Bewerbung verantwortet. Erst seit 2008 führt das IOC die Umfragen durch.
  • 9 Vgl. http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=urb_lpop1&lang=en (14.2.2015). Eurostat definiert die „Larger Urban Zone“ als „a city and its commuting zone“, vgl. http://ec.europa.eu/eurostat/documents/3217494/5784137/KS-HA-13-001-13-EN.PDF/bfb96653-cc90-446d-815e-d8f73bd23c0e (14.2.2014). Diese Definition ist deckungsgleich mit dem Einzugsgebiet des HVV und umfasst neben Hamburg die Landkreise Harburg, Stade, Lauenburg, Pinneberg, Segeberg und Stormarn, vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Hamburg_Metropolitan_Region#Larger_Urban_Zones (14.2.2015).
  • 10 Im Report der IOC-Evaluierungskommission wird deutlich auf die zu niedrige Unterstützung der Bevölkerung für Tokio 2016 hingewiesen: „While noting Tokyo 2016’s vision to provide sustainable legacies for the community, concern is expressed at the relatively low level of public support for a 2016 Games in Toyko as shown in the IOC’s opinion poll.“ Vgl. International Olympic Committee: Report of the Evaluation Commission for the Games of the XXXI Olympiad in 2016, http://www.olympic.org/Documents/Reports/EN/en_report_1469.pdf (8.2.2015).
  • 11 Vgl. N. Shoval: A New Phase in the Competition for the Olympic Gold: The London and New York Bids for the 2012 Games, in: Journal of Urban Affairs, 24. Jg. (2002), H. 5, S. 583-599.
  • 12 Vgl. International Olympic Committee: Olympic Agenda 2020: 20+20 Recommendations, http://www.olympic.org/Documents/Olympic_Agenda_2020/Olympic_Agenda_2020-20-20_Recommendations-ENG.pdf (8.2.2015) sowie http://newsletter.dosb.de/newsletter/newsletter.php?id=5487&html=1 (8.2.2015).
  • 13 Für die Olympischen Sommerspiele 2020 haben sich nur fünf Städte beworben, für die Olympischen Winterspiele 2022 sogar nur zwei.

Title:German Olympic Bid for 2024: Socio-economic Factors for a Successful Bid of Berlin and Hamburg

Abstract:A German bid from Berlin or Hamburg for hosting the Olympic Summer Games 2024 offers good prospects of success. Germany’s advantage is based on experience in hosting major sporting events, “it’s the country’s turn” voting behavior by the IOC and a solidly growing economy. In order to be successful, both bids require support from at least two-thirds of their population in the IOC public opinion poll. In addition, the IOC would need to consider Hamburg large enough.


DOI: 10.1007/s10273-015-1808-9