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Im vergangenen Jahr haben die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) die New Development Bank und asiatische Staaten die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet. Beide Entwicklungsbanken werden umfangreich vom chinesischen Staat finanziert. Sie stehen in Konkurrenz zum Bretton-Woods-System und werden die globale Architektur der Entwicklungsfinanzierung nachhaltig ändern. Der Autor vertritt die Auffassung, dass die betroffenen Schwellenländer damit auf die misslungene Neuverteilung der Stimmrechte in den etablierten Organisationen reagieren. Er prognostiziert, dass ein Drittel der multilateralen Kredite von diesen neuen Entwicklungsbanken vergeben werden.

War das Jahr 2014 der Neubeginn der globalen Finanzarchitektur? Im vergangenen Jahr ist den etablierten multilateralen Entwicklungsbanken, besonders der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), ernsthafte Konkurrenz entstanden. Im Juli 2014 wurde in Brasilien beim 6. BRICS-Gipfel die neue multilaterale BRICS-Bank (New Development Bank – NDB) aus der Taufe gehoben, die ihren Sitz in Shanghai haben wird.1 Ihr Eigenkapital beträgt 50 Mrd. US-$, zu dem Brasilien, China, Indien, Russland und Südafrika jeweils 10 Mrd. US-$ beitragen. Dabei werden die ersten 10 Mrd. US-$ über die nächsten sieben Jahre eingezahlt und die restlichen 40 Mrd. US-$ als Garantien gegeben. Die NDB soll zunächst vor allem größere Infrastrukturprojekte fördern und nach Angaben Indiens beim Gipfel der G20 in Brisbane im Jahre 2016 inauguriert werden.

Im Oktober 2014 wurde, gegen starken Druck der US-Diplomatie, mit der Unterzeichnung durch 21 Staaten die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet. Doch spätestens nach dem AIIB-Beitritt Großbritanniens, einer der engsten Verbündeten der USA, im März 2015 wurde die Magnetwirkung Chinas und die Isolation der USA und Japans wie im Zeitraffer deutlich. Mittlerweile haben über 50 Staaten ein Absichtsabkommen unterzeichnet. Die Bank wird 2015 mit ihrer Arbeit in Peking beginnen. Auch die ­AIIB startet mit einem gezeichnetem Eigenkapital von 50 Mrd. US-$, davon werden zunächst 20% eingezahlt – die Hälfte von China.

Die Gründung dieser neuen multilateralen Entwicklungsbanken in Konkurrenz zum etablierten Bretton-Woods-System ist als Teil der chinesischen Schatten-Außenpolitik zu werten, die mit der Schaffung von Parallelstrukturen zu einer Reihe bestehender internationaler Organisationen der US-amerikanischen Dominanz begegnen will.2 Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit folgender Frage: Kann die Gründung von AIIB und NDB das Kräfteverhältnis bei den multilateralen Entwicklungsbanken zugunsten der großen Schwellenländer – weg von einer seit dem Zweiten Weltkrieg bestehenden Dominanz der westlichen Industriestaaten – beeinflussen?3 Dazu drei Überlegungen:

  1. Der Ausgangspunkt ist die Benachteiligung der fünf BRICS-Staaten und anderer Schwellenländer bei Kapitalanteilen und der Stimmverteilung in den etablierten internationalen Finanzinstitutionen; je größer hier die Unwucht zulasten des Einflusses der großen Schwellenländer ist, umso stärker wird deren Druck im Hinblick auf eine als fair empfundene, umfangreichere Teilnahme. Nach dem Hirschman-Prinzip „Abwanderung oder Widerspruch“ besteht ein Anreiz zur Schaffung von Parallelstrukturen durch die Schwellenländer, wenn die Perspektiven für systeminterne Änderungen der Teilnahmebedingungen negativ eingeschätzt werden.4
  2. Das Ausmaß der Finanzierungslücke beim sanften Kredit (zinsbegünstigt, mit langen Laufzeiten und tilgungsfrei im Anfangsstadium) besonders für Infrastrukturinvestitionen bestimmt die Nachfrage nach Krediten der neuen BRICS-Banken; deren Finanzierungspotenzial entscheidet darüber, welchen Anteil am multilateralen Entwicklungskredit – und damit welchen politischen Einfluss – die bestehenden Bretton-Woods-Institutionen und die vom Westen dominierten regionalen Entwicklungsbanken an die neuen Banken abgeben werden.
  3. Welchen Anteil an dieser Finanzierungslücke werden die AIIB und die NDB befriedigen können? Das hängt für diese Banken nicht nur davon ab, ob und wie rasch die neuen Wettbewerber eine Hebelwirkung auf ihr Startkapital über die globalen Anleihenmärkte erzielen können. Denn sie können in besonderem Maße auf ihre Staatsfonds und nationalen Banken als Kapitalgeber zurückgreifen.

Die Unwucht

Die Neuvermessung der Weltwirtschaft,5 deren Schwerpunkt sich seit Ende des letzten Jahrhunderts besonders rapide in Richtung Ostasien verschoben hat, ist immer noch nicht in den Exekutivräten der multilateralen Entwicklungsbanken abgebildet. Die fortdauernde Unwucht bei Kapitalanteilen und Stimmrechten in den etablierten multilateralen Entwicklungsbanken zulasten der Schwellen- und Entwicklungsländer ist gut dokumentiert. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Stimmrechtsreform waren bislang bei den etablierten internationalen Finanzinstitutionen gering. Mehr noch: die Schwellen- und Entwicklungsländer können wenig Hoffnung haben, dass die entwickelten Staaten ihre Kontrolle bei der Asiatischen Entwicklungsbank und bei der Weltbank durch umgreifende Quoten- und Gouvernanzreformen aufgeben.6

Mit der Ungerechtigkeit eines Systems im Hinblick auf Stimme und Repräsentation steigt der Druck, Parallelstrukturen zu den etablierten Entwicklungsbanken für eine faire Repräsentation der aufstrebenden Staaten zu schaffen. Die Neugründung von AIIB und NDB entspricht der Abwanderung in der Hirschman-Antinomie. Sowohl Abwanderung (exit) als auch Widerspruch (voice) sind mit Kosten verbunden. Einerseits sind die Kosten der Abwanderung eine weitere Fragmentierung des multilateralen Systems, das seit dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde. Andererseits tragen die Schwellenländer die Kosten des Verharrens im bestehenden System multilateraler Entwicklungsbanken, weil sie Prioritäten, Prinzipien und Mechanismen des multilateralen Entwicklungskredits nicht entscheidend beeinflussen können. Die neuen Schatteninstitutionen in Konkurrenz zum etablierten Bretton-Woods-System schmälern den Wert der Quotenreform im bestehenden System; allerdings steigert die Gründung der AIIB und der NDB vermutlich auch die Wirksamkeit der Widerspruchsoption im bestehenden System. Nach Gehlbach7 sind Abwanderung und Widerspruch komplementär, sobald die Abwanderung (durch die neuen Schatteninstitutionen) organisiert wurde; vor der Gründung der AIIB und der NDB waren beide Optionen Substitute.

Tabelle 1
Kapitalanteile und Stimmrechtsquoten bei der Weltbank, 2013
in %
Ländergruppe Kapitalanteile Stimmrechtsquoten
BRICS 13,87 13,23
G7 43,71 41,49

Quelle: eigene Berechnungen; https://finances.worldbank.org/Shareholder-Equity/IBRD-Statement-of-Subscriptions-to-Capital-Stock-a/rcx4-r7xj.

Die fünf BRICS-Nationen repräsentieren 46% der Weltbevölkerung, 22% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in laufenden US-Dollar und 30% nach aktueller Kaufkraftparität.8 Diese Bevölkerungs- und Einkommensanteile kontrastieren mit den Kapital- und Stimmrechtsanteilen der BRICS bei der Weltbank (vgl. Tabelle 1). Die G7 repräsentiert dagegen nur 15% der Weltbevölkerung; ihr Anteil am Welt-BIP entspricht in laufenden US-Dollar mit 46% etwa ihrer addierten Stimmquote. Nimmt man jedoch das Welt-BIP nach aktueller Kaufkraftparität, dann erwirtschaftet die G7 nur noch 33%; nach diesem Maßstab ist die G7 bei Kapitalanteilen und Stimmrechtsquoten bei der Weltbank massiv überrepräsentiert.

Das Quotensystem des Internationalen Währungsfonds (IWF), das Einzahlungspflichten und Stimmrechtsanteile jedes IWF-Mitgliedslandes regelt, reflektiert die Neuvermessung der Welt noch weniger als der Exekutivrat der Weltbank. Die BRICS-Nationen halten beim IWF nur 10% der Stimmrechtsquoten. Die EU hält dagegen gut 27% der Stimmrechtsanteile, obwohl sie nur 18% des Welt-BIP nach aktueller Kaufkraftparität produziert (23% unbereinigt zu laufenden Wechselkursen und Preisen). Damit nicht genug: Die Leitung des IWF ist bislang den Europäern reserviert, parallel zur Leitung der Weltbank, die traditionell von einem US-Amerikaner geleitet wird. Im Jahr 2010 wurden zwar Reformen der Bretton-Woods-Institutionen vereinbart, nach denen das IWF-Kapital verdoppelt werden sollte; damit sollte eine Quotenverschiebung um 6 Prozentpunkte zugunsten der ärmeren Staaten ermöglicht werden. Diese Reformen wurden in den USA nie ratifiziert: 2014 erlitt die internationale Finanzreform einen schweren Rückschlag durch die Weigerung des US-Kongresses, die vereinbarte Kapitalerhöhung zu ratifizieren.

Auch Europa hat die Reform der internationalen Finanzarchitektur abgeblockt und genießt weiterhin eine starke Überrepräsentierung bei Weltbank, IWF und den regionalen Entwicklungsbanken. Trotz und wegen dieses Quotenprivilegs ist Europas Stimme in den Exekutivräten nicht geeint und somit schwächer als nötig. Gleichzeitig behalten die USA eine Vormachtstellung beim Währungsfonds, im Verbund mit den westlichen Alliierten auch bei den anderen etablierten Finanzinstitutionen. Die entwickelten Länder haben also ihr Versprechen gebrochen, die BRICS und andere Schwellenländer bei ihrem Streben nach Stimme und Einfluss in den globalen Gouvernanzstrukturen zu unterstützen. Damit hatten die BRICS im alten System auch weniger Anreize, als wichtige Interessengruppe in der Weltwirtschaft mehr Verantwortung zu übernehmen und globale Kollektivgüter bereitzustellen.

Die Asiatische Entwicklungsbank, die von Japan und den USA dominiert wird, weist eine besonders krasse Verzerrung in der Stimmrechts- und Quotenverteilung auf. Die OECD-Mitgliedstaaten der ADB halten knapp 59% der gezeichneten Einlagen und 64% der Stimmrechte. China und Indien dagegen verfügen derzeit nur über knapp 11% der Stimmrechte (vgl. Tabelle 2). Japan und die USA sind mit Abstand die größten Anteilseigner mit jeweils knapp 16%. Seit 2010 übertrifft Chinas BIP auch in laufenden US-Dollar dasjenige Japans. Die ADB wurde bislang stets von einem Japaner geleitet. Die politische Ausrichtung der ADB ist zuvorderst bestimmt durch die enge Anbindung Japans an die USA; beide Staaten haben einen größeren Anteil der aufstrebenden Mächte China und Indien bei der ADB effektiv verhindert.

Tabelle 2
Kapitalanteile und Stimmrechtsquoten bei der Asiatischen Entwicklungsbank, 2013
in %
Ländergruppe Kapitalanteile Stimmrechtsquoten
BRICS (China + Indien) 12,8 10,9
G7 45,0 37,8
OECD 59,5 64,2

Quelle: eigene Berechnungen; www.adb.org/ar2013.

Eine unmittelbar negative Konsequenz der verzerrten Repräsentation wird bei der ADB besonders sichtbar: Sie beschränkt die Kapitalbasis der multilateralen Entwicklungsbanken und somit ihre Darlehenskapazität. Die finanziellen Engpässe zeigen sich bei der ADB sowohl im konzessionären Fenster für die besonders armen asiatischen Mitgliedstaaten, dem Asiatischen Entwicklungsfonds (ADF), als auch bei dem den Mitteleinkommensländern zustehenden ordentlichen Kapitalfenster.9 Die ADB kann ein bedeutsames Engagement in den ärmsten Schuldnerstaaten nur über kreative Finanzierungstechniken aufrechterhalten, solange sie nicht dem kapitalstarken China eine größere Bedeutung einräumt. Die Rolle Japans wird sich demgegenüber auf Dauer nicht aufrechterhalten lassen, da sein öffentlicher Haushalt durch die rapide Alterung seiner Bevölkerung zunehmend belastet wird.10

Die Gründung neuer Parallelstrukturen wurde auch durch die Einsicht gefördert, die verzerrte Repräsentation in den etablierten Finanzinstitutionen sei keineswegs nur ein Problem von gestern. Denn auch die Aussichten auf bessere Repräsentation der Schwellen- und Entwicklungsländer in den vom Westen aufgebauten und dominierten internationalen Finanzinstitutionen sind düster.11 Das Vorrechtsprinzip der Weltbank lässt eine Stimmrechts- und damit Quotenreform nur bei Zustimmung aller Mitgliedsländer zu.12 Es fällt schwer sich vorzustellen, dass eine substanzielle Neuausrichtung in Gang kommen wird, solange alle dazu berechtigten Mitgliedsnationen der Weltbank ihr Veto einlegen dürfen. Daher wurde die Stimmrechtsreform nicht durch eine regelbasierte Formel gesteuert, sondern auf einen losen „Quotenrahmen“ gestützt. Somit lässt sich festhalten, dass die BRICS-Staaten trotz aller Gipfelrhetorik seit den Versprechen des Entwicklungsfinanzierungs-Gipfels in Monterrey 2002 nur zu der Einsicht gelangen mussten, dass die Industrieländer keine Absicht hegen, ihre Vorrechte in den etablierten multilateralen Institutionen aufzugeben.

Die Finanzierungslücke

In den letzten zwanzig Jahren wurden knapp 4% des globalen BIP für Infrastrukturausgaben verwendet. In den Industriestaaten allerdings sind die Infrastrukturausgaben rückläufig gewesen – bis zum Jahr 2008 fielen sie auf 2,8% des BIP. Im Gegensatz dazu erhöhte sich der BIP-Anteil der Infrastrukturausgaben in den Schwellenländern kontinuierlich auf 5,7%. Dieser Anstieg wurde besonders durch die hohen Anlageinvestitionen Asiens vorangetrieben, allen voran Chinas.13

Sowohl die zukünftige Nachfrage nach sanftem Kredit von AIIB und NDB als auch deren Darlehenskapazität werden darüber entscheiden, welchen Anteil am multilateralen Entwicklungskredit – und damit politischen Einfluss – die etablierten Bretton-Woods-Institutionen und vom Westen gelenkte regionale Entwicklungsbanken an die neuen Wettbewerber verlieren werden. Der Hauptteil der Nachfrage nach sanftem Kredit speist sich aus dem ungedeckten Bedarf an Infrastrukturinvestitionen, der nicht leicht zu quantifizieren ist. Die Weltbank schätzt diesen Bedarf in den Schwellen- und Entwicklungsländern auf 7% ihres durchschnittlichen BIP, mit großen Unterschieden je nach Niveau Ihres Pro-Kopf-Einkommens (vgl. Tabelle 3).14 Das 2014-Update des Währungsfonds zum World Economic Outlook schätzt das kombinierte BIP der Schwellen- und Entwicklungsländer auf 39,2% des Welt-BIP für 2013 und damit auf 29 Billionen US-$.15 Folglich beliefe sich der jährliche Bedarf an Infrastrukturinvestitionen auf etwa 2 Billionen US-$. Die etablierten internationalen Finanzierungsinstitutionen decken jährlich nur etwa 60 Mrd. US-$ dieser Finanzierungslücke.

Tabelle 3
Bedarf an jährlichen Infrastrukturausgaben, 2008 bis 2015
in % des BIP
Niveau des Pro-Kopf-Einkommens Neuanlagen Instandhaltung Gesamt
Niedrig 7,0 5,5 12,5
Mittleres unten 4,9 3,3 8,2
Mittleres oben 1,3 1,0 2,3
Durchschnitt aller Entwicklungsländer 2,7 4,3 7,0

Quelle: T. Yepes: Investment Needs for Infrastructure in Developing Countries 2008-15, World Bank, Washington DC 2008.

Die Höhe der Finanzierungslücke für die laufenden Infrastrukturausgaben in Schwellen- und Entwicklungsländern errechnet sich aus der Differenz zwischen Infrastrukturbedarf und Finanzierungsangebot. Noch schwieriger als die Schätzung des Infrastrukturbedarfs gestaltet sich die Ermittlung von Finanzierungslücken, da sie mit großen Unsicherheiten und somit breiten Schätzkorridoren verbunden sind. Griffith-Jones hat 2014 die vorhandenen Schätzungen für die UNCTAD gesammelt; ihr Schätzergebnis für die jährlich benötigten Infrastrukturausgaben in Schwellen- und Entwicklungsländern belief sich auf 0,8 Billionen US-$ bis 0,9 Billionen US-$.16 Der größte Teil wird aus den nationalen Staatshaushalten bestritten (500 Mrd. US-$ bis 600 Mrd. US-$). Um den Zugang zu Trinkwasser- und Abwasserversorgung, Elektrifizierung, öffentlichen Transportsystemen und anderen Infrastrukturen zu finanzieren, die zur Bewältigung der globalen Armut und der Folgen des Klimawandels nötig wären, braucht es zwischen 1,8 Billionen US-$ und 2,3 Billionen US-$ jährlich.17 Daraus errechnet sich eine jährliche Finanzierungslücke von mehr als 1 Billion US-$. China mag kein großes Infrastrukturdefizit mehr haben, aber es verfügt über die großen Bauunternehmen, deren ungenutzte Kapazitäten im Ausland zur Verfügung stehen können; die beiden Banken stellen daher eine perfekte Anreizsymbiose für Kapitalgeber und Kapitalnehmer dar.18

Das Darlehenspotenzial der neuen Banken

Welchen Anteil an dieser Finanzierungslücke werden die ­AIIB und die NDB befriedigen können? Beide Banken verfügen über ein genehmigtes Stammkapital von je 100 Mrd. US-$, das zu Beginn gezeichnete Stammkapital beträgt jeweils 50 Mrd. US-$. Wie zu zeigen ist, können die neuen Parallelbanken einen substanziellen Einfluss auf den multilateralen Entwicklungskredit ausüben; ihre jährlichen Gesamtdarlehen können in etwa dieselbe Höhe erreichen wie die der etablierten multilateralen Entwicklungsbanken.

Allerdings starten die neuen Entwicklungsbanken zunächst als Entwicklungsfonds.19 Sie können im Anfangsstadium mit den konzessionären Fenstern der etablierten Entwicklungsbanken verglichen werden, die in der Regel durch die öffentlichen Haushalte der Mitgliedsländer finanziert werden. Das Kapitalfenster fehlt ihnen noch, um als umfassende Entwicklungsbank gelten zu können. Gewöhnlich finanzieren sich die Kapitalfenster von Entwicklungsbanken auf den globalen Anleihemärkten, dank eines AAA-Ratings zu günstigsten Konditionen, die in der Folge als Darlehen an die Schuldner weitergegeben werden. Allerdings sind eher unsubventionierte als konzessionäre Kredite von beiden Banken zu erwarten, mit Schwerpunkt auf „harte“ Infrastrukturen in den BRICS und Entwicklungsländern (NDB) und Asien (AIIB).

Bezüglich der Hebelwirkung auf das Stammkapital verfügen beide Banken über einen Vorteil gegenüber den traditionellen multilateralen Entwicklungsbanken: Sie haben Zugriff auf mehr staatliches Kapital, das von ihren nationalen Entwicklungsbanken, ihren Staatsfonds und in ihren offiziellen Devisenreserven gehalten wird. Brasiliens und Chinas Entwicklungsbanken zählen zu den größten der Welt und übertreffen das Darlehensvolumen der Weltbank. Sie sind nicht nur eine potenzielle Quelle für ein großzügiges Kapitalangebot, sondern auch für Expertise und Management der neuen Multilateralen.

Sowohl die AIIB als auch die NDB werden Infrastrukturdarlehen anstatt Zuschüsse finanzieren. Der Kapitalertrag wird voraussichtlich höher sein als die niedrigen Erträge, welche die BRICS-Nationen auf ihre offiziellen Devisenreserven erzielen, da diese vorwiegend in niedrig verzinsliche US-Staatsanleihen investiert sind. Der Finanzertrag (ohne externe Erträge) lag für die große Mehrheit der untersuchten Projekte über dem durchschnittlich gewichteten Kapitalkostensatz.20 Ende 2013 standen die gesamten Devisenreserven der fünf BRICS bei 5,1 Billionen US-$, wovon allerdings 3,84 Billionen alleine von China gehalten wurden.21 Der Hauptzeichner China – weniger die übrigen BRICS-Nationen – hat die finanzielle Feuerkraft, die großen Finanzierungslücken für Infrastrukturvorhaben in Asien und anderswo zu schließen. China wird bei beiden Banken als Kapitalgeber und Garant eine Schlüsselrolle spielen. Nimmt man noch eine weitere Neugründung hinzu – den Silk Road Fund –, hat die Volksrepublik insgesamt 140 Mrd. US-$ für neue, von ihr dominierte multilaterale Entwicklungsbanken zugesichert.

Um Finanzierungshebel auf das Stammkapital über das staatliche Finanzierungsangebot hinaus anzuzapfen, wird der rasche Aufbau von Reputation mit dem damit verbundenen niedrigen Zins für AIIB und NDB wesentlich sein. Wie lange wird es dauern, bis die neuen Entwicklungsbanken den Zertifizierungswert der etablierten Entwicklungsbanken erzielen werden? Allgemein gilt für eine multilaterale Entwicklungsbank, dass die Auswahl, Überwachung und Durchsetzung der Darlehensforderungen ihre Reputation auf den globalen Finanzmärkten begründet.22 Konkret ergibt sich die Attraktivität der neuen Entwicklungsbanken für private Kapitalgeber aus der gewichteten Kombination folgender Faktoren: eine gesunde Bilanz, bevorrechtigter Gläubigerstatus, technische Expertise, vorsichtiges Risikomanagement, glaubwürdige Anwendung von bewährten Normen bei Projektentwurf, Implementierung und Unternehmensführung, Langfristperspektive und internationale Querschnittserfahrung.23

Zumindest der AIIB ist zuzutrauen, dass sie rasch ein AAA-Prädikat der führenden Ratingagenturen erhalten wird. Die Finanzstärke des Hauptzeichners China und der Beitritt etlicher hochnotierter Staaten des Westens sind Grundlagen einer gesunden inneren Finanzkraft der neuen Bank. Abgesehen von der sektoralen Ausrichtung auf Infrastrukturprojekte erleichtert die regionale Ausrichtung der AIIB auf Asien im Vergleich zu Afrika und Lateinamerika das operationelle Umfeld der AIIB. Die Qualität des Kreditportfolios sollte davon profitieren.

Man mag die Fähigkeit der BRICS-Nationen skeptisch beurteilen, sich günstig auf den globalen Anleihemärkten finanzieren zu können.24 Die Nähe zu staatlichen Spartöpfen in Form von Staatsfonds, Devisenreserven und eigenen Entwicklungsbanken macht den Anleihemarkt allerdings für die AIIB und die NDB weniger relevant. Außerdem werden die Währungen der BRICS, solange sie sich im Konvergenzprozess mit den reichen Industriestaaten befinden, unter strukturellem Aufwertungsdruck stehen. Dem Aufwertungsvorteil der BRICS-Staaten steht allerdings für die Darlehensnehmer ein potenzieller Währungsnachteil in Form von Bilanzdiskrepanzen und Finanzierungskosten gegenüber; dieser kann durch Währungsswaps vermieden werden.

Tabelle 4
Jährliche Bruttodarlehen etablierter Organisationen, 2012
in Mrd. US-$
Finanzinstitution Konzessionär Unsubventioniert Gesamt
Afrikanische Entwicklungsbank 1,9 3,5 5,4
Asiatische Entwicklungsbank 1,9 6,8 8,7
Internationale Entwicklungsagentur – Weltbank 10,3 15,1 25,4
Interamerikanische Entwicklungsbank 1,6 6,5 8,1
Alle internationalen Finanzinstitutionen 15,6 31,9 47,6

Quelle: eigene Berechnungen; OECD: Development Co-operation Report 2014: Mobilising Resources for Sustainable Development, Paris 2014.

Welche jährlichen Kreditvolumen sind von den neuen Entwicklungsbanken zu erwarten? Folgt man der vorsichtigen Schätzprozedur von Griffith-Jones,25 dann lässt sich ein Kredithebel von 2,4 auf das Eigenkapital unterstellen, in Anlehnung an Durchschnittswerte der lateinamerikanischen Entwicklungsbank CAF. Allerdings erhält die CAF keine Bestnoten von den Ratingagenturen; der potenzielle Kredithebel der beiden Entwicklungsbanken dürfte angesichts des großen chinesischen Staatsvermögens höher ausfallen. Der Bestand des gesamten Ausleihevolumens erreicht 240 Mrd. US-$, wenn man mit dem Kredithebel von 2,4 das gesamte genehmigte Stammkapital der beiden Banken (100 Mrd. US-$) unterstellt. Das jährliche Darlehensvolumen von 24 Mrd. US-$ folgt aus einer durchschnittlichen Darlehenslaufzeit von zehn Jahren. Diese Summe ist etwa halb so hoch wie die jährlichen Darlehen der etablierten multilateralen Entwicklungsbanken (vgl. Tabelle 4). Folglich könnte in Zukunft ein Drittel der multilateralen Entwicklungskredite von den parallelen Anbietern außerhalb des Bretton-Woods-Systems vergeben werden. Die AIIB und die NDB werden folglich einen spürbaren Einfluss auf die globale Finanzarchitektur ausüben.

Ausblick

Die Gründung der neuen Entwicklungsbanken ist für die globale Entwicklung positiv zu werten; sie hilft, Finanzierungslücken für dringend benötigte Infrastrukturvorhaben zu schließen. Außerdem verschaffen die neuen Multilateralen den Schwellenländern mehr Mitspracherechte und beseitigen die Unwucht in ihrer Repräsentation beim multilateralen Entwicklungskredit. Das könnte auch die Bereitschaft der Industriestaaten erhöhen, den Entwicklungs- und Schwellenländern mehr Mitsprache im etablierten Bretton-Woods-System einzuräumen, da dieses System seine Monopolstellung verliert. Es verwundert somit nicht, dass das Schatzamt der USA im Vorfeld dieser Neugründungen versucht hat, befreundete Staaten vom Eintritt besonders bei der AIIB abzuhalten. Als Motive dieser Ablehnung der AIIB wurden Umweltstandards, die Transparenz öffentlicher Auftragsvergabe und andere Normen – etwa der Enteignungsschutz der ansässigen Bevölkerung bei großen Staudammprojekten – aufgeführt.

Eine weitere Sorge, die bislang wenig beachtet wurde, ist die Aushöhlung des bevorrechtigten Gläubigerstatus der bereits bestehenden multilateralen Banken. Das neue Angebot alternativer Entwicklungskredite mindert die Anreizkompatibilität bestehender Kreditverträge. Konkret: Der Schuldner von IDA-Darlehen steht im Extremfall vor der Alternative, diese nicht zu bedienen und stattdessen den Kreditanbieter zu wechseln, indem er neue Kredite von der AIIB oder der NDB bezieht. Die Aushöhlung der Zahlungsmoral trifft langfristig jedoch nicht nur die etablierten Institutionen, sondern auch die neuen Entwicklungsbanken. Multilaterale Entwicklungsbanken, sowohl die etablierten Organisationen als auch die neuen Parallelstrukturen, haben daher ein starkes Interesse daran, trotz ihrer Konkurrenzsituation Cross-Default-Klauseln in ihre Kreditverträge zu schreiben und diese durchzusetzen.

  • 1 BRICS ist ein Akronym für eine heterogene Gruppe von Schwellenländern, die Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika umfasst. Ursprünglich führte Jim O’Neill von Goldman Sachs 2001 den Begriff BRIC ein. Mit dem Kürzel sollte für Investitionen in den großen, rasch wachsenden Volkswirtschaften geworben werden; vgl. J. O’Neill: Building Better Global Economic BRICs, in: Global Economics Paper, Nr. 66, New York City 2001. 2011 wurde Südafrika in die Gruppe aufgenommen.
  • 2 S. Heilmann et al.: China’s Shadow Foreign Policy: Parallel Structures Challenge the Established International Order, MERICS China Monitor, Nr. 19, Mercator Institute for China Studies, Berlin 2014.
  • 3 Hier geht es nicht darum, ob eine Änderung der Kräfteverhältnisse zulasten des Westens positiv oder negativ zu werten ist. Insbesondere wird keine normative Wertung bezüglich der möglichen Entwicklungseffekte vorgenommen.
  • 4 Vgl. A. O. Hirschman: Abwanderung und Widerspruch, Tübingen 1974; und insbesondere S. Gehlbach: A Formal Model of Exit and Voice, in: Rationality and Society, 18. Jg. (2006), H. 4, S. 395-418.
  • 5 Vgl. H. Reisen: Die Neuvermessung der Welt, in: Internationale Politik, 63. Jg. (2008), H. 7-8, S. 94-95.
  • 6 J. Vestergaard, R. H. Wade: Protecting Power: How Western States Retain the Dominant Voice in The World Bank’s Governance, in: World Development, 46. Jg. (2013), S. 153-164.
  • 7 S. Gehlbach, a.a.O.
  • 8 Eigene Berechnungen auf Grundlage von IMF: World Economic Outlook (WEO) Update. An Uneven Global Economic Recovery Continues, Washington DC 2014.
  • 9 Vgl. H. Reisen, C. Garroway: The Future of Multilateral Concessional Finance, GIZ, Eschborn 2014, S. 44 f.
  • 10 Vgl. Y. Sawada: Japan’s Strategy for Economic Cooperation with Asian Countries, in: Public Policy Review, 10. Jg. (2014), H. 1, S. 53-76.
  • 11 J. Vestergaard, R. H. Wade, a.a.O.
  • 12 Die Verfassung der Weltbank stipuliert für Kapitalerhöhungen eine Mehrheit von mindestens 75% der wahlberechtigten Stimmen. Gleichzeitig hat aber jedes Mitgliedsland das Recht, jede Kapitalerhöhung der Weltbank in Höhe seines proportionalen Anteils zu zeichnen (vgl. J. Vestergaard, R. H. Wade, a.a.O., S. 159).
  • 13 Vgl. McKinsey Global Institute: Farewell to cheap capital? The implications of long-term shifts in global investment and saving, New York City 2010.
  • 14 T. Yepes: Investment Needs for Infrastructure in Developing Countries 2008-15, World Bank, Washington DC 2008.
  • 15 IMF, a.a.O.
  • 16 Vgl. S. Griffith-Jones: A BRICS Development Bank: A Dream Coming True?, UNCTAD Discussion Papers, Nr. 215, Genf 2014, http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/osgdp20141_en.pdf (18.3.2015).
  • 17 Vgl. A. Bhattacharya, M. Romani: Meeting the Infrastructure Challenge: The Case for a New Development Bank, G24, Washington DC 2013.
  • 18 Vgl. B. Eichengreen: Banking on the BRICS, Project Syndicate, 13.8.2014.
  • 19 Vgl. R. Langhammer: Die BRICS-Entwicklungsbank – ein Fonds, aber noch keine Bank, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 8, S. 530-531.
  • 20 Angaben nach dem COMPAS (Multilateral Development Banks’ Common Performance Assessment System) 2008 Report, http://www.adb.org/documents/multilateral-development-banks-common-performance-assessment-system-compas-2008-report (17.3.2015).
  • 21 Stand Ende 2014, laut Angaben der Zentralbank Chinas. Siehe http://www.kitco.com/news/2015-01-15/China-Forex-Reserves-to-USD3-84trn-by-2014-end.html.
  • 22 W. Buiter, S. Fries: What Should the Multilateral Development Banks Do?, EBRD Working Paper, Nr. 74, London 2002.
  • 23 J. Chelsky et al.: Investment Financing in the Wake of the Crisis: The Role of Multilateral Development Banks, World Bank Economic Premise, Nr. 121, Washington DC 2013.
  • 24 Vgl. R. Langhammer, a.a.O.
  • 25 S. Griffith-Jones, a.a.O.

Title:Will the Development Banks of the Emerging Countries Help Reform Multilateral Development Banking?

Abstract:What will be the future impact of the New Development Bank (NDB) and the Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) on multilateral lending shares? Will these new multilateral banks, which were created in 2014 outside the established Bretton Woods system, help the BRICS countries to rebalance multilateral development financing away from Western dominance? The pressure for the BRICS to “exit” from the established international financial institutions rises with the past, present and expected failure for “voice” reform at these institutions. This paper quantifies excess demand for multilateral soft loans and the potential lending capacities of the NDB and AIIB to assess how much relative business – hence political influence – the existing institutions might lose in favour of the new competitors. It is estimated that the NDB and AIIB combined will attract sufficient co-financing to rival the established multilateral development banks in terms of annual lending. The paper concludes that the existing Bretton Woods system is likely to lose market share and preferred creditor status.

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DOI: 10.1007/s10273-015-1818-7

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