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Vor 25 Jahren trat die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der damaligen DDR in Kraft. Direkt nach der Wende 1990 hatte Ostdeutschland ökonomisch rasch aufgeholt. Unterschiede in der Wirtschaftskraft zwischen Ost und West bleiben jedoch bis heute bestehen, obwohl weiterhin erhebliche Transfers nach Ostdeutschland fließen. Diese Unterschiede lassen sich unter anderem durch die Wirtschaftsstruktur und die Transformationshistorie begründen, sie sind aber auch sozioökonomisch und politisch verursacht. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass die ostdeutschen Länder den westdeutschen Entwicklungspfad übernommen haben, was einen Aufholprozess immer schwieriger werden lässt.

Realistische Erwartungen an den Aufbau Ost

Vor genau einem Vierteljahrhundert – am 1. Juli 1990 – wurde mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion die ökonomische Vereinigung der noch existierenden DDR und der Bundesrepublik Deutschland vollzogen. Die politische Einheit folgte kurze Zeit später, am 3. Oktober des gleichen Jahres. Groß waren die Hoffnungen auf beiden Seiten, noch größer allerdings die Ernüchterung, als sich die anfänglichen Blütenträume mit Blick auf die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ nicht so rasch erfüllten wie gedacht.

Zwar sind heute, 25 Jahre später, in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens enorme Fortschritte gegenüber der Ausgangslage festzustellen: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der „neuen“ Länder, gemessen am preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, hat sich zwischen 1991 und 2014 mehr als verdoppelt, die verfügbaren Einkommen je Einwohner sind um das Zweieinhalbfache gestiegen, und auch die Arbeitsmarktlage entspannt sich zusehends. Hinzu kommen die unbestreitbaren Fortschritte bei der Erneuerung und der Erweiterung der Infrastruktur, im Wohnungs- und Städtebau und bei der Verbesserung der Umweltsituation. Und dennoch geht in ökonomischer Hinsicht nach wie vor ein tiefer Riss durch Deutschland; solange das Ziel der „Angleichung der Lebensverhältnisse“ der Maßstab für die Beurteilung der Situation in Ostdeutschland ist, muss die Einheit nach wie vor als unvollendet gelten.

Konvergenzrückstand Ostdeutschlands

Deutlich wird dies insbesondere am fortbestehenden Konvergenzrückstand Ostdeutschlands, der sich bereits seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verfestigt zu haben scheint: Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt aktuell nur bei rund 70% des westdeutschen Durchschnittswertes, und auch beim Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen besteht weiterhin eine Lücke von rund 25 Prozentpunkten. Selbst wenn man als Maßstab die strukturschwächeren westdeutschen Länder nimmt, bleibt der Rückstand der ostdeutschen Länder beachtlich. Es verwundert daher nicht, dass auch die von der Wirtschaftskraft abhängigen Größen – wie Löhne oder Steuerkraft – deutlich unterhalb der westdeutschen Vergleichswerte liegen. Schließlich bleibt auch die Arbeitsmarktsituation in beiden Landesteilen weiterhin höchst unterschiedlich, erkennbar an Arbeitslosenquoten, die im Durchschnitt der ostdeutschen Länder nach wie vor um rund die Hälfte höher liegen als im Durchschnitt Westdeutschlands.

Freilich: Die niedrige Wirtschaftskraft führt nicht dazu, dass auch die materiellen Einkommensverhältnisse in Ostdeutschland in entsprechendem Umfang hinter westdeutschem Niveau zurückbleiben. So führen hohe Sozialtransfers zusammen mit der Progression des Einkommensteuertarifs dazu, dass die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte unter Berücksichtigung von regionalen Preisunterschieden bei mehr als 90% des westdeutschen Durchschnittsniveaus liegen. Bei den öffentlichen Einnahmen weisen die ostdeutschen Länder infolge der (befristeten) Sonderleistungen aus dem Solidarpakt II und des hohen Nivellierungsgrads des bundesstaatlichen Finanzausgleichs derzeit sogar noch einen deutlichen Vorsprung gegenüber den finanzschwachen westdeutschen Ländern auf. Der negative Leistungsbilanzsaldo Ostdeutschlands – der diese Transferzahlungen reflektiert – beläuft sich derzeit noch auf rund 54 Mrd. Euro jährlich oder 19% des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts. Dies aber bedeutet: Eine deutliche Verbesserung der Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Ländern würde zwar nichts (oder nicht viel) an der materiellen Einkommenssituation der Ostdeutschen ändern, aber die Transferzahlungen deutlich reduzieren und damit letzten Endes gerade auch Westdeutschland zugutekommen.

Nicht wirklich hilfreich ist es darauf zu verweisen, dass es auch in Westdeutschland strukturschwache Regionen mit niedriger wirtschaftlicher Leistungskraft und ungünstiger Arbeitsmarktlage gibt. Während es sich dabei im Westen um vereinzelte Ausnahmefälle handelt, ist der Osten nahezu flächendeckend durch diese fortbestehenden Rückstände gekennzeichnet. Die ostdeutschen Bundesländer liegen daher bei den genannten Indikatoren vergleichsweise dicht beieinander: Entgegen weit verbreiteter Wahrnehmung sind die Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen dem stärker industrialisierten Süden (Thüringen, Sachsen und der südliche Teil Sachsen-Anhalts) und dem eher ländlich geprägten Norden bislang vergleichsweise gering. Offenkundig spielen gemeinsame Faktoren – wie die Transformationshistorie – für die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder eine weitaus größere Rolle als Besonderheiten der jeweiligen Wirtschaftspolitik oder die unterschiedlichen standörtlichen Gegebenheiten.

Ursachen der geringen Wirtschaftskraft

In der wissenschaftlichen Literatur – und zunehmend auch im politischen Raum – hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das niedrige Niveau der Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Bundesländern vornehmlich strukturelle Ursachen hat: Das weitgehende Fehlen von Unternehmenshauptsitzen und damit die geringe Präsenz von wertschöpfungsintensiven Unternehmensfunktionen wie Forschung und Entwicklung; die Dominanz kleinerer Unternehmen, die nicht in der Lage sind, größenbedingte Kostenvorteile auszunutzen und Exportmärkte zu erschließen; die in weiten Teilen Ostdeutschlands geringe Bevölkerungsdichte, die Größe und Dynamik der regionalen Absatzmärkte beschränkt und die Entstehung von produktivitätssteigernden regionalen Netzwerken behindert. Zum Teil sind diese strukturellen Besonderheiten der ostdeutschen Länder unmittelbare Folge der Transformationshistorie der vergangenen 25 Jahre, zum Teil aber auch die langfristige Konsequenz historisch weiter zurückliegender Ereignisse wie der Vertreibung weiter Teile der ostdeutschen Wirtschaftseliten nach dem 2. Weltkrieg und planwirtschaftlicher Standortentscheidungen in der DDR-Zeit.

Es liegt in der Natur solcher struktureller Bedingungen, dass sich diese im Zeitablauf nur allmählich ändern – und vor allem, dass sie durch politisches Gegensteuern nur in begrenztem Umfang zu beeinflussen sind: Nicht nur westdeutsche Erfahrung lehrt, dass durch „Pfadabhängigkeiten“ geprägte Entwicklungstrends am ehesten durch (positive) exogene Schocks wie Veränderungen im Regulierungssystem oder sprunghafte Innovationen durchbrochen werden können, und selbst dann ist es a priori unklar, wie sich die Wirkungen regional verteilen. Schon deshalb muss man daher wohl davon ausgehen, dass weite Teile Ostdeutschlands auch längerfristig zu den strukturschwachen Regionen in Deutschland zählen werden.

Bedeutung des technischen Fortschritts

Dessen ungeachtet hält sich bis heute die neoklassisch begründete Vorstellung, dass es im Regelfall zu einer automatischen, wenn auch langsamen Konvergenz von Regionen mit ähnlichen institutionellen Rahmenbedingungen kommt. Zweifel hieran sind angebracht, denn wenn es steigende Skalenerträge in der Produktion gibt, könnte die anfänglich „reichere“ Region ihren ursprünglichen Vorsprung fortwährend ausbauen. Anhaltende Divergenz anstelle von Konvergenz wäre die Folge. Steigende Skalenerträge sind dabei insbesondere bei einem durch technischen Fortschritt getriebenen Wachstum zu erwarten, zum einen weil durch Innovationen die Produktivität der eingesetzten Produktionsfaktoren überproportional erhöht wird, zum anderen weil durch Forschung und Entwicklung ein Expertenwissen generiert wird, dass Unbeteiligten nicht oder nicht unmittelbar zur Verfügung steht.

Der technische Fortschritt ist in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften in der Tat der stärkste Wachstums­treiber – weshalb die Politik zunehmend hier auch ihre Schwerpunkte setzt. Die Erfahrungen mit den in der High-Tech-Initiative der Bundesregierung zusammengefassten Förderprogrammen zeigen, dass es zwar auch in den ostdeutschen Bundesländern Standorte der Spitzenforschung gibt; häufig sind diese aber regional konzentriert und deswegen kaum geeignet, der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland auch in der Breite Impulse zu geben. Ein Großteil der insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel fließt überdies an die Standorte von Spitzenforschungseinrichtungen in (Süd-)Westdeutschland und trägt insoweit dazu bei, den bereits bestehenden Vorsprung dieser Länder nochmals zu erhöhen. Eine Wirtschaftspolitik, die auf die Förderung wissenschaftlichen Fortschritts gerichtet ist und deswegen vor allem die bestehenden Zentren technologischer Exzellenz adressiert, kann insoweit regionalpolitischen Ausgleichszielen zuwiderlaufen.

Divergenz von Regionen ist zudem dann zu erwarten, wenn es lokal begrenzte (positive) externe Effekte gibt. Diese können sich aufgrund von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ergeben, wenn sich neues technisches Wissen nur allmählich – z.B. durch Weitergabe über informelle Kontakte – räumlich ausbreitet, aber auch durch das Vorhandensein von Unternehmensnetzwerken und -verbünden, die durch hohes gegenseitiges Vertrauen geprägt sind. Während in vielen eher dicht besiedelten Regionen Westdeutschlands derartige Netzwerke seit Langem bestehen, führt in Ostdeutschland die geringe Bevölkerungsdichte und die größere Instabilität des Unternehmenssektors dazu, dass netzwerkinduzierte externe Effekte hier tendenziell von geringerer Bedeutung und Intensität sein dürften als in den westdeutschen Bundesländern. Die zahlreichen von der Politik angestoßenen „Cluster-Prozesse“ laufen daher ins Leere, wenn es an einem hinreichenden Resonanzboden auf Seiten der Wirtschaft fehlt.

Demografischer Wandel

Schließlich wirkt die Abwanderung der vergangenen 25 Jahre einer günstigeren Entwicklung in den ostdeutschen Ländern entgegen. Auch wenn Ostdeutschland am aktuellen Rand wieder einen leicht positiven Wanderungssaldo aufweist, wirken die Wanderungsströme der Vergangenheit nach: Zum einen waren es naturgemäß vor allem jüngere Bevölkerungsschichten, die angesichts als ungünstig eingeschätzter Zukunftsperspektiven ihre angestammte Heimat im Osten verlassen haben. Dies hat zur Folge, dass die Altersstruktur des Erwerbspersonenpotenzials heute hin zu älteren, kurz vor Rentenbeginn stehenden Kohorten verzerrt ist; Unternehmen haben deswegen bei niedrigen Besatzziffern neu in das Erwerbsleben eintretender Jahrgänge zunehmende Schwierigkeiten, die altersbedingt ausscheidenden Fachkräfte zu ersetzen. Zum anderen war die Abwanderung gerade gut ausgebildeter Personen aber auch mit einem qualitativen „brain drain“ verbunden, so dass es in weiten Teilen Ostdeutschlands zu einem Verlust von „Eliten“, die durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen Impulse für die weitere Entwicklung geben könnten, gekommen ist. Die insgesamt weniger humankapitalintensive Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland, die geringe Innovationsleistung und auch die schwächere Bereitschaft zur Übernahme unternehmerischer Verantwortung dürften auch hierdurch begründet sein.

Diese Ursachenzuschreibung lässt wenig Hoffnung auf eine raschere Konvergenz der ostdeutschen Länder. In der Tat kommen wissenschaftliche Untersuchungen unterschiedlicher Provenienz zumeist zu dem Ergebnis, dass angesichts eines nur schwachen Produktivitätsfortschritts (gemessen an der Totalen Faktorproduktivität) und eines beschleunigten demografischen Wandels auch in den kommenden Jahren mit bestenfalls durchschnittlichen Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in Ostdeutschland zu rechnen sein wird. Dabei wird die Differenzierung zwischen städtisch geprägten Regionen einerseits und dem ländlichen Raum andererseits stark zunehmen – nicht auszuschließen ist, dass einzelne (eher peripher gelegene) Wirtschaftsräume sogar gegenüber dem bereits erreichten Angleichungsstand zurückfallen werden, weil sich hier negative Bevölkerungsentwicklung und ungünstige wirtschaftliche Situation gegenseitig verstärken könnten.

Was kann die Politik tun?

Von Seiten der Wirtschaftspolitik von Bund und Ländern ist hier wenig Unterstützung zu erwarten: Der Bund hat sich entsprechend seiner gesamtdeutschen Verantwortung aus dem Aufbau Ost weitgehend zurückgezogen; der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung sieht zwar auch für die Zukunft regionalpolitisch motivierte Hilfen vor, doch sollen diese vermehrt nach bundeseinheitlichen Kriterien vergeben werden, so dass auch von dieser Seite her eine weitere Einschränkung der Förderkulisse für den Osten absehbar ist. Die ostdeutschen Länder wiederum setzen in ihrer Politik zumindest teilweise Prioritäten, die nicht für ein schnelleres Aufholen sprechen: Investitionen in Bildung, Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung werden häufig vernachlässigt, um überhöhte Personalbestände in wenig wachstumswirksamen Bereichen zu finanzieren und Wahlkampfversprechen unterschiedlichster Art einzulösen. Zudem fehlt es an breitenwirksamen Initiativen, wie mit den Herausforderungen des demografischen Wandels umzugehen ist. Umso mehr kommt es daher auf die regionalen Akteure an – doch gerade hier kommt der beschriebene Elitenverlust zum Tragen, der nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch die kommunalen Verwaltungen betrifft.

Ohnehin muss man sich die Frage stellen, was genau überhaupt noch getan werden kann, um die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland positiv zu beeinflussen. Traditionelle Ansatzpunkte der Wirtschafts- und Förderpolitik wie Infrastrukturausbau und Investitionsförderung scheinen inzwischen weitgehend ausgereizt und sind angesichts bestehender Konsolidierungserfordernisse in den öffentlichen Haushalten kaum mehr finanzierbar. Dass fortwährende Wirtschaftskraftunterschiede von 30% und mehr und die daraus resultierenden Transferbedarfe auf lange Sicht nicht hingenommen werden können, scheint aber ebenso unstrittig zu sein. Insoweit wäre es verfehlt, den Aufbau Ost als abgeschlossen anzusehen und sich mit den bestehenden Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland abzufinden – zumal, wie gezeigt, eine Verbesserung der Wirtschaftslage in den ostdeutschen Ländern über verringerte Transferzahlungen im Ergebnis ganz Deutschland zugutekäme.

Wesentliche Bestandteile einer in die Zukunft gerichteten wachstumsorientierten Strategie sind dabei Bildung und Innovation: Erforderlich ist es dafür zu sorgen, dass durch Aus- und Weiterbildung das demografisch bedingte Fachkräfteproblem gemildert (wenn nicht gelöst) wird und dass die ostdeutschen Unternehmen in die Lage versetzt werden, durch Modernisierung ihrer Produktpalette und ihrer Produktionsprozesse Produktivitätssteigerungen zu erzielen und neue Märkte zu erschließen; dabei kommt es jedoch nicht auf „wissenschaftliche Exzellenz“, sondern auf eine Stärkung der technologischen Leistungsfähigkeit in der Breite an. Dieser Vorschlag ist zwar nicht wirklich neu, wird bislang aber ganz offenkundig nur halbherzig angegangen.

Auch dies wird freilich nicht kurzfristig helfen, sondern bestenfalls in der langen Frist mit dazu beitragen können, dass regionale Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland abgebaut werden können. Deswegen sollte das bislang im Vordergrund stehende Konvergenzziel, also die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ in überschaubarer Zeit, zumindest in der öffentlichen Kommunikation aufgegeben werden – zum einen, weil dieses Ziel kurzfristig ohnehin nicht erreichbar ist (denn das Wohlstandsniveau des Westens als Zielmaßstab steigt auch), und zum anderen, weil wirtschaftliche Leistungskraft und individuelle Zufriedenheit keineswegs systematisch miteinander verknüpft sind. Dass wirtschaftliches Wachstum weiterhin erstrebenswert ist, soll hier nicht bestritten werden; dies aber mit einem Zielwert zu versehen, scheint angesichts der geringen Einflussmöglichkeiten der Politik Enttäuschungen geradezu heraufzubeschwören – zumal auch die regionalen Unterschiede zwischen strukturschwachen Regionen in Westdeutschland weitaus größer sind als jene zwischen Ost und West. Dies bedeutet nicht, den Aufbau Ost aufzugeben – wohl aber, die Erwartungen auf ein realistisches Maß zurückzuschrauben. Letzten Endes könnte eine derart veränderte Kommunikationsstrategie dann auch dazu beitragen, die in den ostdeutschen Ländern weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Erreichten abzumildern und auf diese Weise Politikverdrossenheit und gesellschaftlichem Unmut entgegenzuwirken.

 

Der Aufbau Ost nach 25 Jahren: mittendrin oder abgeschlossen?

Die Antwort in aller Kürze: Wir sind mittendrin. Und dies nicht etwa, weil die wirtschaftliche Leistungskraft je nach Messgröße – Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner oder je Erwerbstätigen – in Ostdeutschland1 2013 um ungefähr 30% bzw. 20% unter den westdeutschen Vergleichswerten liegt. Im Jahr 2014 ändert sich übrigens an dieser Lücke, was das BIP je Erwerbstätigen betrifft, nichts Wesentliches (vgl. Abbildung 1).2 Mittendrin im Aufbau Ost befinden wir uns vielmehr, weil das Erreichte in seinem Bestand gefährdet sein könnte und ein weiterer Konvergenzfortschritt vom erfolgreichen Strukturwandel abhängig sein wird.

Abbildung 1
Unterschiedliche wirtschaftliche Leistungskraft
BIP je Einwohner und je Erwerbstätigen, jeweilige Preise, in %, Westdeutschland = 100%
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Erläuterung: Die Werte für die Jahre 1991 bis 2013 fußen auf dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) 1995 (Revision 2011), die Werte des BIP je Erwerbstätigen der Jahre 2013 und 2014 auf der rechten Seite der Abbildung fußen auf der ESVG 2010 (Revision 2014).

Quellen: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B1), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2014, 2015; Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.

Konvergenzfortschritt hat sich verlangsamt

Ostdeutschlands Wirtschaftsentwicklung zeigt, gemessen an der Ausgangslage, beträchtliche Fortschritte, auch unter Berücksichtigung der Transformationsergebnisse in den mittel- und osteuropäischen Ländern.3 Die anfängliche Lücke beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner hat sich bis 2013 halbiert und die Produktivitätslücke hat sich um fast zwei Drittel verringert. Aber trotzdem liegt das wirtschaftsstärkste ostdeutsche Flächenland, Sachsen, gemessen am BIP je Einwohner, immer noch hinter dem wirtschaftsschwächsten westdeutschen Land – Schleswig-Holstein.4 An den Schlussplätzen der ostdeutschen Flächenländer bei dieser wirtschaftlichen Erfolgsgröße hat sich seit dem Beginn der 1990er Jahre nichts geändert.

Der Aufholprozess verlief ungleichmäßig. Auf ein schnelles Aufholen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre folgte eine Verlangsamung, und nach 2009 ist die Konvergenz bei der Wirtschaftsleistung je Einwohner zum Stillstand gekommen. Stillstand bedeutet, dass sich Ostdeutschland nicht mehr schneller, sondern höchstens im Gleichschritt mit dem Westen entwickelt. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf Faktoren, die das wirtschaftliche Wachstum treiben. Neben den Faktoren Arbeit und Kapital sind dies in modernen Volkswirtschaften vor allem Forschung und Innovationen und die damit verbundenen externen Effekte. Dadurch kann es in Regionen, die diesbezüglich gut aufgestellt sind, zu einer sich selbst verstärkenden positiven Entwicklung kommen. Der Wachstumsvorsprung gegenüber Regionen, die weniger gut situiert sind, kann sich sogar vergrößern. In diesem Zusammenhang bilden für innovationsgetriebenen ökonomischen Fortschritt räumliche Ballungsvorteile einen günstigen „Resonanzboden“. Neben der räumlichen Ballung sind es auch unternehmensinterne Größenvorteile, die die wirtschaftliche Leistungskraft positiv beeinflussen. Regionen mit großen Unternehmen sind im Vorteil, wenn es um Forschung, Innovation und Internationalisierung geht.

Persistenz struktureller Besonderheiten

Als ein Grund für den Entwicklungsrückstand Ostdeutschlands kann die Siedlungsstruktur gelten. Die neuen Länder weisen, selbst unter Einschluss Berlins, eine Einwohnerdichte auf, die nur bei reichlich der Hälfte im Vergleich zum Westteil des Landes liegt. Von den – gemessen an der Einwohnerzahl – 25 größten Städten Deutschlands befinden sich 22 im Westen des Landes und nur drei – Berlin, Leipzig und Dresden – im Osten. Während in Ostdeutschland weniger als die Hälfte der Einwohner im städtischen Raum lebt, sind es in Westdeutschland fast drei Viertel.5

Mit den ungleich verteilten räumlichen Ballungen geht eine ungleiche Verteilung der Zentralen der großen Unternehmen in Deutschland einher: Von den Top-500-Unternehmen, die die Tageszeitung Die Welt für das Jahr 2013 auflistet, haben 466 ihre Unternehmenssitze in West- und nur 34 in Ostdeutschland.6 Diese Verteilung ist vor allem das Ergebnis der Verlagerung von Konzernsitzen von Ost nach West nach dem 2. Weltkrieg. Eine Rückverlagerung ist wenig wahrscheinlich. Das Vorhandensein von Konzernzentralen bringt den Standorten Einkommensvorteile. Regionen ohne oder mit nur wenigen Konzernsitzen, wie sie typisch in Ostdeutschland sind, haben demgegenüber Nachteile. Die Einkommenslücke gegenüber Ostdeutschland ist zum Teil durch das Fehlen von Unternehmen mit Führungsfunktionen begründet.7

Der praktizierte pauschale Vergleich Ostdeutschlands mit Westdeutschland verdeckt eine mögliche räumliche Differenzierung innerhalb Ostdeutschlands. Auf der Länderebene zeigt sich aber überraschenderweise nur wenig Differenzierung. Die Spannweite der Flächenländer mit dem höchsten und mit dem niedrigsten BIP je Einwohner ist im Osten auch fast ein Vierteljahrhundert nach Herstellung der Einheit immer noch deutlich niedriger als in Westdeutschland. In Westdeutschland liegt sie 2013 beinahe beim Achtfachen des ostdeutschen Wertes.8 Die fünf neuen Länder bilden eine ziemlich homogene Gruppe, die offenbar aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten einen eigenen Entwicklungspfad beschreitet. Ein Blick auf die Unternehmensgröße, die Exportintensität der Industrie und die Zahl der Unternehmenssitze zeigt, dass bei all diesen Größen die fünf neuen Länder zur Schlussgruppe unter den 16 deutschen Ländern gehören (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Unternehmensgröße, Exportintensität der Industrie und Zahl der Unternehmenssitze nach Bundesländern
62080.png

Abkürzungen: BB = Brandenburg, BE = Berlin, BW = Baden-Württemberg, BY = Bayern, DE = Deutschland, HB = Bremen, HE = Hessen, HH = Hamburg, MV = Mecklenburg-Vorpommern, NI = Niedersachsen, NI (NW) = Unternehmen mit Zentralen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, NW = Nordrhein-Westfalen, OD m. BE = Ostdeutschland mit Berlin, RP = Rheinland-Pfalz, SH = Schleswig-Holstein, SL = Saarland, SN = Sachsen, ST = Sachsen-Anhalt, TH = Thüringen, WD = Westdeutschland.

1 Durchschnittlicher Umsatz je umsatzsteuerpflichtige Wirtschaftseinheit. 2 Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz in Betrieben von Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes sowie des Bergbaus und der Gewinnung von Steinen und Erden mit 20 und mehr tätigen Personen. 3 Top-500-Unternehmen gemäß dem Ranking der Tageszeitung „Die Welt“, http://top500.welt.de/ (1.6.2015).

Quellen: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015 (Unternehmensgröße, Exportintensität); Die 500 größten Unternehmen in Deutschland 2013, Die Welt, Sonderveröffentlichung, elektronische Version über http://top500.welt.de (Unternehmenssitze); Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.

Ist das Erreichte in seinem Bestand gefährdet?

Die neuen Länder verfügen, unterstützt durch massive Unternehmensförderung und den Infrastrukturaufbau in den vergangenen 25 Jahren, inzwischen über eine Reihe von Stärken. Allerdings könnten diese in ihrem Bestand gefährdet sein.

  • Der Kapitalstock, dessen Modernisierung die DDR-Zentralverwaltungswirtschaft massiv vernachlässigt hatte, wurde seit 1990 in weiten Teilen erneuert. Im Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche liegt die Kapitalausstattung je Erwerbstätigen in Ostdeutschland bei fast neun Zehnteln der westdeutschen.9 Seit Mitte der 2000er Jahre bis 2011 hat sich aber daran nur noch wenig verändert.10 Im Produzierenden Gewerbe fällt die Kapitalausstattung je Beschäftigten sogar um gut ein Drittel höher als im Westen aus. Die Investitionsdynamik hat allerdings im Osten Deutschlands nach dem Ende der Modernisierungswelle der 1990er Jahre erheblich nachgelassen. Die Bruttoanlageinvestitionen je Erwerbstätigen liegen im Zeitraum von 2002 bis 2011 im Durchschnitt bei 87% des westdeutschen Vergleichswertes, zuletzt im Jahr 2011 bei 82%.11
  • Die hohe formale Qualifikation der Beschäftigten kann als Pluspunkt für Ostdeutschland gelten. Allerdings hat sich der Vorsprung der neuen Länder, gemessen am Anteil von Beschäftigten mit tertiärer Bildung (ISCED 2011, Stufen 5-8), im Verlaufe der 2000er Jahre halbiert.12 Der Standortvorteil gut qualifizierter Arbeitskräfte droht abzuschmelzen, weil der demografische Wandel im Osten Deutschlands mit größerer Intensität als Westdeutschland wirkt. Das Erwerbspersonenpotenzial geht im Gefolge der Bevölkerungsabnahme zurück. Dabei sind der Sterbeüberschuss und ein positiver Außenwanderungssaldo in Ostdeutschland mittlerweile zu Faktoren geworden, die die Bevölkerungsentwicklung stärker beeinflussen als die Ost-West-Binnenwanderungen.13 Jüngst, im Jahr 2013, überstiegen die Zuwanderungen nach Ostdeutschland sogar geringfügig die Abwanderungen von dort. Unter anderem wegen des rückläufigen Erwerbspersonenpotenzials, aber auch wegen des Anstiegs der Arbeitsnachfrage hat sich die Arbeitslosenquote inzwischen deutlich verringert. Sie liegt aber immer noch über dem westdeutschen Niveau.14 Der Rückgang beim Erwerbspersonenpotenzial könnte, einer Wachstumsprojektion des IWH zufolge, sogar dazu führen, dass sich die Schere zwischen Ost und West beim BIP je Einwohner wieder öffnet.15
  • Der Unternehmenssektor ist in Ostdeutschland, wie in anderen Regionen hochentwickelter Volkswirtschaften, durch eine Dominanz kleiner und mittelgroßer Unternehmen gekennzeichnet. Dies ist angesichts des Erbes der Zentralverwaltungswirtschaft keine Selbstverständlichkeit. Gegen Ende der 1980er Jahre dominierten im Osten Deutschlands große zentral geleitete Kombinate. Ein privater wirtschaftlicher Mittelstand fehlte fast völlig. Schätzungsweise 100 000 kleine private Betriebe, darunter ungefähr 80 000 im Handwerk, waren laut Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn übrig geblieben.16 Reste eines privaten industriellen Mittelstandes waren bereits zu Beginn der 1970er Jahre im Zuge einer Verstaatlichungswelle verschwunden. Im Jahr 2012 existieren in den neuen Ländern zusammengenommen rund 682 000 Unternehmen, von denen 99,7% weniger als 250 Beschäftigte haben.17 Mithin unterscheiden sich Ost- und Westdeutschland hinsichtlich des Anteils kleiner und mittelgroßer Unternehmen kaum mehr. Im Westen Deutschlands beträgt dieser Anteil 99,6%. Was in Ostdeutschland fehlt, sind große Unternehmen, und zwar insbesondere solche, die auch eigene Forschung und Entwicklung durchführen.
  • Die öffentliche Forschung ist dank eines massiven Mitteleinsatzes von Bund, Ländern und Europäischer Union zu einer Stärke des Ostens geworden. Der Anteil, den die öffentlichen Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt haben, ist im Durchschnitt der neuen Länder deutlich höher als in Westdeutschland, und zwar nicht nur bei Einbeziehung Berlins.18 Was im Innovationssystem in Westdeutschland die Konzernzentralen leisten, müssen im Osten häufig die öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen übernehmen, nämlich als Knoten in Netzwerken zu fungieren. Die kleinen und mittleren Unternehmen können dies häufig allein nicht bewerkstelligen, oder sie erhalten eine öffentliche Forschungsförderung. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt tätigen die Unternehmen in Ostdeutschland deutlich weniger Ausgaben für Forschung und Entwicklung als ihre westdeutschen Pendants. Dies erklärt sich vor allem aus dem Fehlen großer forschender Unternehmen und dem geringeren Anteil technologieintensiver Industriezweige.
  • Es gibt eine Re-Industrialisierung, nachdem Ostdeutschland zu Beginn der 1990er Jahre eine massive De-Industrialisierung durchlaufen hat. Ein Beschäftigter in der Industrie Ostdeutschlands (ohne Berlin) produzierte Anfang der 1990er Jahre nur rund ein Fünftel dessen, was sein Berufskollege im Westen herstellte.19 Die rasche Lohnsteigerung war in den frühen 1990er Jahren für viele ostdeutsche Betriebe, die ihren Kapitalstock noch nicht modernisiert hatten, nicht verkraftbar. Lohnstückkosten, die weit über den westdeutschen lagen, beeinträchtigten die Wettbewerbsfähigkeit. Zur Jahrtausendwende änderte sich die Situation: Die Lohnstückkosten lagen seitdem bis vor Kurzem unter dem westdeutschen Wert. Es ist wohl kein Zufall, dass gegen Ende der 1990er Jahr die ostdeutschen Industrieunternehmen im Schnitt die Gewinnzone erreichten.20 Inzwischen haben sich aber die Lohnstückkosten im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe, gemessen in jeweiligen Preisen, wieder denjenigen im Westen angenähert. Im Jahr 2014 lagen sie, berechnet auf der Basis der ESVG 2010, gleichauf.21 Die Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Lohnstückkosten sind also nicht mehr gegeben.

Transferabhängigkeit besteht fort

In Ostdeutschland übersteigt der Verbrauch die Produktion. Diese Lücke wird durch Pendlereinkommen und finanzielle Transfers, insbesondere im Rahmen der Sozialversicherungssysteme, geschlossen. Auch aufgrund dieser fortbestehenden Transferabhängigkeit kann von einem abgeschlossenen Aufbau Ost nicht die Rede sein. Die Selbstfinanzierungskraft in den ostdeutschen Ländern bleibt, gemessen am Anteil der Ausgaben, die durch Steuereinnahmen gedeckt sind, deutlich hinter jener in Westdeutschland zurück. Die Ausgaben der öffentlichen Haushalte in den ostdeutschen Flächenländern waren laut Jahresrechnungsstatistik 2011 nur zu 54% durch Steuereinnahmen gedeckt, in den Flächenländern Westdeutschlands lag dieser Anteil bei 69%.22 Hinzu kommt, dass in Ostdeutschland zwar der Anteil der Arbeitsuchenden, die auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind, seit 2006 zurückgegangen ist. Er lag aber 2013 immer noch beim 1,9fachen des westdeutschen Wertes.23 Mithin müssen aus den öffentlichen Haushalten entsprechende Sozialtransfers zur Bekämpfung von Armut eingesetzt werden.

Entwicklungsperspektiven: weiterer Strukturwandel ist vonnöten

Die perspektivische Entwicklung der neuen Länder wird vor allem vom weiteren Strukturwandel abhängen. Der fortbestehende Rückstand Ostdeutschlands bei der wirtschaftlichen Leistungskraft hat vor allem mit den gegebenen Branchen-, Unternehmensgrößen-, Funktional- und Raumstrukturen zu tun. Strukturelle Veränderungen vollziehen sich aber, wenn überhaupt, nur in historisch langen Zeiträumen. Dies wird in den neuen Ländern nicht anders sein. Eine zentrale Herausforderung im Osten Deutschlands scheint das Fehlen großer forschender Unternehmen zu sein. Eine noch so gut gemeinte Ansiedlungsförderung wird sie nicht in wünschenswerter Zahl attrahieren können. Realistischer wird es sein, auf das Wachstum gut aufgestellter mittelständischer Unternehmen zu setzen, die es auch im Osten Deutschlands gibt. Sie werden die künftigen Headquarters der ostdeutschen Wirtschaft sein. Es wird wahrscheinlich lange dauern, bis aus mittleren Unternehmen große Einheiten werden. Daher werden auch die Schwächen im privaten Forschungs- und Entwicklungssektor und die geringere Exportintensität der Industrie, in denen wichtige Ursachen für die fortbestehenden Produktivitätsrückstände gesehen werden, nicht in kurzer Frist verschwinden. Wachstums- und innovationsfreundliche wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen werden der ostdeutschen Wirtschaft helfen, diesen Strukturwandel zu bewältigen.

Mithin kann erwartet werden, dass der Aufholprozess Ostdeutschlands weiter auf der wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Agenda bleiben wird.

  • 1 Sofern im Folgenden nichts anderes angegeben ist, wird unter Ostdeutschland beziehungsweise dem synonym verwendeten Begriff „neue Länder“ die Gruppe der fünf Flächenländer und Berlin verstanden.
  • 2 Daten zum BIP je Einwohner sind für 2014 noch nicht verfügbar.
  • 3 Vgl. J. Hölscher: 20 Jahre Wirtschaftstransformation – Fortschritte und Fehlschläge, in: Wirtschaftsdienst, 89. Jg. (2009), H. 5, S. 287-292, http://www.wirtschaftsdienst.eu/downloads/getfile.php?id=2169 (1.6.2015).
  • 4 Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH): 25 Jahre nach dem Mauerfall: Wirtschaftliche Integration Ostdeutschlands im Spiegel der Forschung am IWH, Halle (Saale) 2014, S. 35.
  • 5 Berechnungen des IWH auf der Grundlage von Einwohner- und Gebietsflächendaten per 31.12.2012 aus der „Regionaldatenbank Deutschland“ beim Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Datenlizenz Deutschland – Namensnennung – Version 2.0, Düsseldorf 2015, Stand: 2.4.2015, sowie der siedlungsstrukturellen Kreistypisierung 2012 des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
  • 6 Die 500 größten Unternehmen in Deutschland 2013, Die Welt, Sonderveröffentlichung, elektronische Version über http://top500.welt.de/; Berechnungen des IWH.
  • 7 Vgl. U. Blum: Der Einfluß von Führungsfunktionen auf das Regionaleinkommen: eine ökonometrische Analyse deutscher Regionen, in: Wirtschaft im Wandel, 13. Jg. (2007), H. 6, S. 187-194.
  • 8 Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B1), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2014; Berechnungen des IWH.
  • 9 Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B4), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2014; Berechnungen des IWH.
  • 10 Neuere Daten sind nicht verfügbar.
  • 11 Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B3), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2013; Berechnungen des IWH. Neuere Daten sind nicht verfügbar.
  • 12 Eurostat: Beschäftigung nach Geschlecht, Alter, höchstem erreichten Bildungsgrad und NUTS-2-Regionen (1000), [lfst_r_lfe2eedu], in: http://ec.europa.eu/eurostat/de/data/database# (30.3.2015); Berechnungen des IWH.
  • 13 Vgl. IWH, a.a.O., S. 6.
  • 14 Vgl. H.-U. Brautzsch: Arbeitslosen- und Unterbeschäftigungsquoten in Ostdeutschland: Deutlicher Rückgang – aber immer noch höher als in Westdeutschland, in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle, a.a.O., S. 24.
  • 15 Vgl. O. Holtemöller, M. Irrek: Wachstumsprojektion 2025 für die deutschen Länder: Produktion je Einwohner divergiert, in: Wirtschaft im Wandel, 18. Jg. (2012), H. 4, S. 132-140.
  • 16 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft: Unternehmensgrößenstatistik 1992/93 – Daten und Fakten – Erstellt vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn, BMWA-Studienreihe, Bonn 1993, S. 283.
  • 17 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015; Berechnungen des IWH.
  • 18 Vgl. IWH, a.a.O., S. 27.
  • 19 Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B1), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2014; Berechnungen des IWH.
  • 20 Vgl. H.-U. Brautzsch: Rendite in der ostdeutschen Industrie seit fünf Jahren höher als in Westdeutschland, in: Wirtschaft im Wandel, 15. Jg. (2009), H. 10, S. 396.
  • 21 Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ (R1B2, R1B1), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2015; Berechnungen des IWH.
  • 22 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2014; Berechnungen des IWH. Neuere Daten sind nicht verfügbar.
  • 23 Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Tabelle B 2.1 SGB II-Quote in % nach Geschlecht und Bundesländern im Dezember, letzte Änderung: 1.12.2014, http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/Tabellen_Excel/tabelleB21.xls (22.5.2015).
 

25 Jahre Deutsche Einheit – Ist das Wirtschafts- und Sozialmodell der vereinigten Bundesrepublik zukunftsfähig?

Die Integration und Situation der ostdeutschen Wirtschaft bezeichnen einige als großen Erfolg, andere reden von vollkommenem Scheitern. Dabei kommt es auf die Perspektive an, die die Maßstäbe des Urteilens bestimmt. Die wirtschaftliche Situation der letzten DDR-Jahre war durch marode Produktionsstätten, eine heruntergewirtschaftete Infrastruktur, nicht nachhaltige Produktionskonzepte sowie wachsende Defizite und Abstände bei Innovationen und Modernität der Produktionsanlagen gekennzeichnet. Die hohe soziale Sicherheit und das Fehlen von Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit wurden zulasten der Reproduktion des Kapitalstocks und der Infrastruktur erkauft, Nachhaltigkeit und Umwelt blieben auf der Strecke. Aus dieser Perspektive sind die wirtschaftliche Lage und die soziale Situation der Bevölkerung in weiten Teilen Ostdeutschlands heute deutlich besser, aber nicht überall und nicht für alle sozialen Schichten.

Man kann aber auch andere Perspektiven und Maßstäbe wählen. Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man die bei der Vereinigung gesetzten Ziele zum Maßstab nimmt, die Ziele, die die ostdeutsche Bevölkerung in der übergroßen Mehrheit artikulierte, die Ziele, die die westdeutsche Bevölkerung bereit war, mehrheitlich zu akzeptieren und die die Wirtschafts- und Politikeliten offiziell verkündeten: Angleichung der Lebensverhältnisse durch einen investiven Anschub, der nach einer gewissen Zeit zu einem selbsttragenden Aufschwung führen wird. Es ging um eine Wirtschaft, die so sein sollte, wie die westdeutsche, die das gleiche Niveau an Einkommen erreichen und die sich selbst tragen sollte.

Aufholprozess gelungen?

Tabelle 1 zeigt den Verlauf des Aufholens anhand wichtiger Indikatoren. Der anfängliche Einbruch in den ersten Jahren, ausgelöst durch die infolge der Währungsunion eingetretenen Kostensteigerungen, führte zu dramatischen Beschäftigungsverlusten und dem Verschwinden vieler Betriebe. Aber schon Mitte der 1990er Jahre erreichte die Produktion wieder das Niveau von 1989, allerdings bei höherer Produktivität und daher mit deutlich geringeren Beschäftigtenzahlen.

Tabelle 1
Ökonomische Indikatoren für die Entwicklung Ostdeutschlands (ohne Berlin), 1989 bis 2013
  1989 1991 2000 2008 2013
Bevölkerung in Mio. 15,2 14,4 13,9 13,1 12,7
Anteil an Gesamtdeutschland in % 19,2 19,0 16,9 16,0 15,5
Erwerbstätige in Mio. 8,9 6,8 5,9 5,8 5,8
Anteil an Gesamtdeutschland in % 22,7 17,6 15,1 14,4 13,7
BIP, jeweilige Preise, in Mrd. Euro 187,2 107,3 234,6 289,1 300,1
Anteil an Gesamtdeutschland in % 11,6 7,0 11,4 11,6 11,0
Arbeitsproduktivität (BIP je Erwerbstätigen) in 1000 Euro 21,1 15,8 39,7 50,0 51,7
Relation neue/alte Bundesländer in % 44,2 34,9 71,9 77,6 76,1
BIP je Einwohner in 1000 Euro 12,2 7,3 16,9 22,1 23,6
Relation neue/alte Bundesländer in % 54,9 33,3 62,6 68,4 66,6
Investitionen in neue Ausrüstungen je Einwohner in Euro - 1300 2300 2130 21501
Relation neue/alte Bundesländer in % - 53,0 88,0 67,0 73,01

1 2011.

Quelle: U. Busch, M. Thomas: 25 Jahre Deutsche Einheit. Facetten einer unvollendeten Integration, Berlin 2015.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gab es echte Aufholeffekte, aber seit den 2000er Jahren muss man eine anhaltende Wachstumsschwäche konstatieren. Ostdeutschland holt nicht mehr auf, d.h. der Abstand zu Westdeutschland bleibt erhalten. Der Anteil am gesamtdeutschen BIP stagniert, die Produktivität verharrt bei etwa 75% des westdeutschen Niveaus, die Investitionen, bezogen auf die Einwohnerzahl, machen nur noch 73% der westdeutschen aus. Diese Abstände haben sich offensichtlich verfestigt.

Das strukturelle Defizit und die daraus resultierende geringere Produktivität im Durchschnitt aller ostdeutschen Regionen kann im Rahmen einer Volkswirtschaft und des Verfassungsgebots gleichwertiger Lebensverhältnisse nur teilweise durch geringere Einkommen kompensiert werden. Die Einkommen sind mit 85% zwar immer noch deutlich unter dem westdeutschen Niveau, aber der Produktivitätsrückstand ist mit nur ca. 75% des westdeutschen Produktivitätsniveaus noch größer. Der daraus resultierende Nachfrageüberhang bzw. die Produktionslücke betrug in der Vereinigungskrise (1991) dramatische 73%. Sie hat sich inzwischen auf knapp 20% (2011) stabilisiert – auch dieser Wert wird sich in den kommenden Jahren nur wenig verändern.

Bedeutung der Transferzahlungen

Die Lücke zwischen Produktion und Verbrauch muss durch einen innerdeutschen Warenstrom von West nach Ost geschlossen und durch private und öffentliche Transfers finanziert werden: durch die Einkommenstransfers der Pendler, die Leistungen im Westen erbringen, dort Steuern und Abgaben zahlen, aber einen Teil ihres Einkommens im Osten ausgeben, durch die Transfers der Renten- und der anderen Sozialkassen und durch weitere öffentliche Transfers, z.B. den Länderfinanzausgleich.

Dabei spielen investive West-Ost-Transfers (private Investitionen und Wirtschaftsförderung) nur noch eine geringe Rolle, der überwiegende Teil ist konsumtiv. Seit etwa 2001 ist die Summe der Transfers von West nach Ost größer als die zu finanzierende Produktionslücke. Die Differenz kann nur durch private Transfers von Ost nach West erklärt werden. Dabei dürfte es sich überwiegend um Kapitaltransfers westdeutscher Eigentümer handeln, beispielsweise um Rückflüsse aus den Investitionen der 1990er Jahre, Transfers von Gewinnen, Mieten, Pachten und anderen Erträgen.1 Diese Transfers dürften die investiven Transfers nach Ostdeutschland – Investitionen privater Anleger plus Wirtschaftsförderung – inzwischen deutlich übersteigen. Dies aber ist typisch für abgehängte und unterentwickelte Regionen: bestimmte Ressourcen werden von externen Investoren genutzt, aber die später daraus fließenden Gewinne werden nicht regional reinvestiert, sondern fließen ab. Eine selbsttragende Dynamik kommt so nicht zustande, die sozial gefährdeten Bevölkerungsteile und die öffentliche Infrastruktur müssen weiter durch externe Transfers gestützt werden.

Wechsel des Entwicklungspfads

Ostdeutschland ist trotz wachsender Erträge dauerhaft auf Transfers angewiesen, weil es auf dem eingeschlagenen Entwicklungspfad nicht gelingen kann, den Produktivitätsabstand und die Produktionslücke zu schließen. Dies würde sich dann ändern, wenn die Karten im Rahmen eines tiefen Strukturumbruchs neu gemischt würden. Durch einen weitreichenden ökologischen Umbau der Industriegesellschaft würden bei der Umstellung auf Erneuerbare Energien, umweltkompatible Rohstoffe und Verfahren und geschlossene Stoffkreisläufe neue Branchen und Unternehmen entstehen, während alte verschwinden bzw. stark schrumpfen. Wenn es den ostdeutschen Akteuren in einem solchen Umbruchsszenario gelänge, bei einigen relevanten Entwicklungen die Nase vorn zu haben und innovative Schlüsselpositionen aufzubauen, könnte es gelingen, eigene selbsttragende Entwicklungen in Gang zu setzen. Damit könnten ostdeutsche Regionen den interregionalen Export neuer Produkte und Leistungen anheben und so die Produktionslücke schließen. Das ist grundsätzlich möglich – auch Bayern wurde aus einem Transferempfänger zu einem Transfergeber. Allerdings ist dies nicht möglich, solange Entwicklung durch das Kopieren bereits gegebener Wirtschaftsstrukturen erfolgt, es könnte nur im Rahmen des Wechsels auf einen anderen Entwicklungspfad gelingen.

Tatsächlich hat es den Versuch gegeben, mit dezentralen erneuerbaren Energien lokal eine eigene wirtschaftliche Dynamik zu generieren. Ostdeutschland, speziell Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind neben Schleswig-Holstein die Länder, die bereits mehr als die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen, überwiegend aus Windkraft. Man könnte denken, dass diese neu entstehende Branche Ausgangspunkt selbsttragender Entwicklungen hätte werden können.2 Die (Bio)EnergieDorf-Bewegung in Mecklenburg-Vorpommern hatte in ihren besten Zeiten die Vorstellung, man könne mit dezentralen erneuerbaren Energien und dem darauf aufbauenden Stoffstrommanagement eine eigenständige wirtschaftliche Dynamik generieren und den ländlichen Raum schrittweise aus den Abwärtsspiralen und der Transferabhängigkeit herausführen. Inzwischen aber wurde die Energiewende so reorganisiert, dass die großen Energiekonzerne das Sagen haben. Für einen strukturellen Umbruch und einen Investitionsboom, der dem Osten neue Chancen eröffnen würde, besteht auf absehbare Zeit keine Hoffnung.

Aktuelle Untersuchungen, z.B. von Busch, Ludwig und Simons, zeigen aus heutiger Sicht, was schon Anfang der 1990er Jahre prognostiziert und seitdem mehrfach unterstrichen wurde:3 die Verfestigung des Abstands ist eine Folge des eingeschlagenen Transformationspfades: eines Konzepts, dessen Kern die Kopie nicht nur des Wirtschafts- und Sozialmodells und der institutionellen Regulation, sondern auch der Wirtschafts- und Branchenstrukturen war – mit exakt denselben Innovationspfaden, denselben Produkten, den gleichen Unternehmen bzw. deren ostdeutschen Filialen.4 Durch Kopieren kann man sich bestenfalls dem Niveau des Originals annähern, einholen oder überholen setzt dagegen einen eigenen, komplementären Entwicklungspfad voraus, also die Entwicklung und Produktion von Gütern oder Leistungen, die in anderen Regionen nicht oder nicht so effizient hergestellt werden können. Inzwischen weiß man, dass Transferzahlungen, insbesondere wenn es sich überwiegend um konsumtive Sozialtransfers handelt, ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwar kompensieren, es zugleich aber verfestigen. Ein transferfinanziertes Aufholen stärkt dauerhaft die wirtschaftlichen Potenziale des Transfergebers, nicht die des Transferempfängers. Die Bilanz lautet also: Aufholen, ohne einzuholen.5

Mechanismus der Fragmentierung

Ein besonderes Problem der wirtschaftlichen Entwicklung ist das der Fragmentierung. Entscheidend dafür ist nicht nur das empirische Merkmal: zunehmende Disparität, Divergenz, Segregation – wichtig ist, den Mechanismus der Fragmentierung zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht einfach um zufällig zunehmende Unterschiede. Fragmentierung meint die selektive Herauslösung wirtschaftlicher Ressourcen aus ihrem lokalen oder regionalen Zusammenhang und ihre Integration in überregionale, gegebenenfalls globale Netzwerke und Kreisläufe. Die Innovationspotenziale, das Kapital und das Management, die für die Erschließung und Nutzung der jeweiligen Ressourcen aufgebaut werden müssen, stammen nicht aus der betroffenen Region und die Steuerungszentralen der Unternehmen und Netzwerke liegen in der Regel nicht am Standort der jeweiligen Ressourcen. Die Konsequenz ist, dass die Regionen, die Bevölkerung und die lokale Wirtschaft kaum oder gar nicht an der Nutzung dieser Ressourcen beteiligt sind, die Erlöse ganz oder teilweise anderswo anfallen und faktisch ein Ressourcen- und Gewinntransfer zugunsten der Kapitalgeber und der Akteure der globalen Netzwerke in den Metropolen und den Global Cities erfolgt. Das größte Problem ist, dass fragmentiert genutzte Ressourcen nicht oder kaum zu Anschlussentwicklungen führen, also nicht zu einer dauerhaften Dynamik beitragen.

Fragmentierung betrifft nicht nur Ostdeutschland, sondern alle Regime wirtschaftlicher Entwicklung im globalisierten Finanzmarktkapitalismus. Es trifft aber besonders solche Regionen und Volkswirtschaften, die neue Ressourcen erschließen müssen oder wollen, weil sie Nachhol- und Modernisierungsbedarf haben, dafür aber selbst nicht über das notwendige Kapital, die erforderlichen Innovations- oder Managementkompetenzen oder die überregionale Vernetzung verfügen.6

Das Problem ist gut zu verstehen, wenn man es mit dem klassischen Fall einer fordistischen Clusterbildung vergleicht, wie sie in früheren Industrialisierungswellen, insbesondere im Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg zu beobachten war. Dort erfolgte der Aufstieg einer Region durch Nutzung eines neuen Paradigmas – der fordistischen Massenproduktion – durch das Wachstum von wenigen Großbetrieben, beispielsweise einem Autohersteller, und eine Clusterbildung, zu der einerseits eine Vielzahl von kleinen, mittleren und größeren Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen gehörte, die unmittelbar oder mittelbar mit dem Großbetrieb vernetzt waren, und andererseits eine Vielzahl von kleineren und größeren Unternehmen regionaler oder auch überregionaler Struktur, die die Güter und Dienstleistungen für die Beschäftigten des gesamten Clusters herstellten, deren Konsum und die Infrastruktur sicherstellten. Zu einem solchen Cluster gehörten auch wissenschaftliche Einrichtungen, Forschungs- und Entwicklungszentren, Unternehmensberatungen usw. Durch die Kopplung der Einkommen an die Produktivität wuchsen nicht nur die Nachfrage nach wichtigen Produkten, die der Cluster für den interregionalen Export herstellte; es wuchs auch der gesamte Zuliefer- und Dienstleistungsbereich und die die Konsumnachfrage bedienende lokale Wirtschaft. Die Dynamiken der verschiedenen Teile des Clusters verstärkten sich, es gab Synergieeffekte.

Das Regime wirtschaftlicher Entwicklung im globalisierten Finanzmarktkapitalismus unterscheidet sich hiervon grundsätzlich. Dabei geht es nicht nur um die Globalisierung, es geht um die überregionale Verfasstheit der Produktions- und Innovationsnetzwerke überhaupt. Das erste Beispiel für diesen Entwicklungstyp konnten wir am Wandel der Agrarwirtschaft in Ostdeutschland studieren.7 Die ostdeutsche Landwirtschaft ist hochproduktiv und macht gute Gewinne, weil sie sich in den 1990er Jahren aus den lokalen Landwirtschaftsclustern entbettet und in die Netzwerke der globalisierten Lebensmittelwirtschaft integriert hat. Sie hat damit feste Absatzmärkte, nutzt das überregional verankerte Innovations-, Marketing- und Managementpotenzial und produziert vor Ort zu minimalen Kosten Produkte, die anderswo weiterverarbeitet und abgesetzt werden. Die Wertschöpfungsketten sind sehr kurz, aber äußerst effektiv. Die Kehrseite ist ein drastisch reduzierter Arbeitskräftebedarf. Der größte Teil der Gewinne fällt bei wenigen Betrieben vor Ort und eben in den überregionalen Lebensmittelnetzwerken an und landet letztlich in deren Steuerungszentralen irgendwo auf der Welt. Für die regionale Wirtschaftsentwicklung in den ländlichen Räumen Ostdeutschlands ist diese Landwirtschaft fast bedeutungslos, sie trägt kaum zu den Einkommen und Investitionen bei und indiziert kaum Folgeentwicklungen im Verarbeitungsbereich oder bei den Vorleistungen.

Ganz analoge Fragmentierungen sind beim Aufbau der erneuerbaren Energien zu beobachten, vor allem bei den großen Windparks. Auch hier wird eine Ressource, die Fläche, die zum Ernten der Windenergie benötigt wird, aus dem lokalen Zusammenhang herausgelöst und in das Netzwerk der Energiewirtschaft integriert, ohne dass die Bevölkerung vor Ort daran beteiligt wäre. Nur wenige profitieren von Flächenpachten, aber auch die Flächen werden zunehmend von überregionalen Akteuren, Fonds, Unternehmen oder Anlegern, erworben. Und die Gewerbesteuern werden durch entsprechende Gestaltung der Planungskosten und den „verlustreichen“ Weiterverkauf der Anlagen, wenn sie in die Gewinnzone kommen, weitgehend vermieden. Auch die Windenergie ist daher ein Beispiel fragmentierter Wirtschaftsentwicklung, ein Vehikel der Ausbeutung peripher gelegener Ressourcen durch überregional aufgestellte Verwertungsnetzwerke.

Der mit der deutschen Vereinigung verbundene Umbau der Wirtschaft im Osten fiel nun gerade in die Zeit des Übergangs zu diesem neuen Regime wirtschaftlicher Entwicklung. Der partielle Abbau der alten staatssozialistisch-fordistischen Wirtschaftsstrukturen und der Neuaufbau unter Regie westdeutscher Unternehmen und global aufgestellter Investoren hatte zwangsläufig zur Folge, dass Filialstrukturen dominieren, Forschungs- und Entwicklungspotenziale aus dem Westen genutzt und im Osten abgebaut oder nicht aufgebaut wurden. Betriebe wurden aufgekauft, um die Kunden zu übernehmen, die Produktion aber wurde eingestellt oder reduziert und auf Zulieferungen umgestellt. Die Konzernzentralen blieben im Westen, die Betriebe sind im Mittel deutlich kleiner. Neu zu erschließende oder aufzubauende Ressourcen wurden von vornherein in die Netzwerke der Großunternehmen eingeordnet. Die Fragmentierung war eine notwendige Folge des Um- und Neuaufbaus unter den inzwischen herrschenden Bedingungen der Globalisierung und Finanzialisierung.

Soziale Folgen

Die demografische Schrumpfung ist eine gravierende Folge der fragmentierten wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland. Wirtschaftliche und demografische Tendenzen kombinieren und verfestigen sich zu Abwärtsspiralen – dies kennzeichnet die Mehrzahl der ostdeutschen Regionen. Die entscheidenden Punkte sind Abwanderung, Selektivität der Abwanderung und Rückgang der Geburten, letzteres selbst überwiegend eine Folge der Abwanderung junger Frauen. Die Bevölkerung in den neuen Bundesländern ist bislang um fast 20% geschrumpft, prognostiziert sind fast 40% bis 2050. Noch dramatischer ist die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung durch die Selektivität der Abwanderung: vor allem wandern erfolgsorientierte junge Erwachsene mit guten Erwerbsaussichten ab, darunter überdurchschnittlich viele Frauen.

Diese Abwanderungseffekte sind extrem ungleich verteilt. Während auch in Ostdeutschland einige Regionen prosperieren und wachsen, verlieren andere große Teile der erwerbsfähigen Bevölkerung, zuweilen fast die gesamte aktive junge Erwerbsgeneration. Zurück bleibt die nicht abwanderungsfähige und -willige Restbevölkerung – in der Regel jene, die wenig in einen selbsttragenden Aufschwung einzubringen haben. Dies wiederum führt zu Fachkräftemangel und zum Wegzug von Betrieben, sinkenden lokalen Einkommen, sinkender Nachfrage, weiterer Abwanderung usw. Derart verödete Städte und Dörfer finden man schon jetzt in Ostvorpommern und Nordbrandenburg.

Die Fragmentierung besteht vor allem darin, dass die Regionen sich gegensätzlich entwickeln. Beispielsweise sind Jena, Dresden, Potsdam und Leipzig prosperierende Standorte, denen abgehängte Regionen mit Abwärtsspiralen gegenüberstehen, z.B. in Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder der Lausitz, um nur einige zu nennen. Im Osten überwiegen Regionen mit Abwärtsentwicklungen, während diese im Westen (noch?) in der Minderheit sind.

Auch innerhalb eines insgesamt wirtschaftlich schwachen Bundeslandes wie Mecklenburg-Vorpommern beobachten wir Fragmentierungen. So weisen Rostock, Schwerin, Güstrow oder Greifswald durchaus eine positive wirtschaftliche Dynamik auf, aber weniger als 100 km entfernt finden sich Städte und Dörfer ohne jede selbsttragende Wirtschaft, die zum Teil vollständig von Transfers abhängen. Die Landesregierung in Schwerin hat dafür die Kategorie „Ländliche Räume mit besonderen demografischen Herausforderungen“ eingeführt, wobei die Abwärtsspiralen in diesen Regionen durch die Kombination wirtschaftlicher und demografischer Komponenten erklärt werden müssen. Eine unterkritische Einwohnerdichte stellt die Tragfähigkeit der Infrastruktur infrage, die Bevölkerung sinkt, der Frauenanteil liegt deutlich unter, der Seniorenanteil über dem Durchschnitt, die Kaufkraft der Bevölkerung und der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter gehen weiter zurück.

Soziale Fragmentierung zeigt sich vor allem daran, dass die Teilhabechancen verschiedener Bevölkerungsteile, also Einkommen, Beschäftigungsmöglichkeiten, Zugang zu Bildung, Infrastruktur usw., sich in gegensätzlicher Richtung entwickeln. Bei stagnierendem Durchschnittseinkommen gibt es auch lokal steigende Einkommen und wachsende Teilhabemöglichkeiten auf der einen Seite, während große Teile der Bevölkerung sinkende Einkommen und sich verschlechternde Lebensbedingungen hinnehmen müssen. Der bis in die 1970er Jahre geltende „Fahrstuhleffekt“ – die unteren Einkommen steigen genauso oder sogar stärker als die oberen Einkommen – gilt nicht mehr, stattdessen ist eine sich öffnende Schere ein typisches Merkmal. Überflüssige sind eine neue Kategorie des sozialen Abstiegs, die direkt aus der sozialen Segregation und Fragmentierung folgt.

Fazit

Die Deutsche Einheit hat die gravierenden Probleme der DDR-Wirtschaft beseitigt, aber die Ziele, einen selbsttragenden Aufschwung und gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, nicht erreicht. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass dies auf dem einmal eingeschlagenen Pfad in den nächsten Jahren gelingen könnte, vielmehr spricht alles dafür, dass sich der derzeitige Abstand weiter verfestigt. Insofern ist die Bilanz zwiespältig.

Fragt man, ob das Wirtschaftsmodell der vereinigten Bundesrepublik insgesamt nachhaltig funktionsfähig und den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist, fällt die Antwort noch ungünstiger aus. Der Erfolg basiert auf Exportüberschüssen, die durch einen wachsenden Billiglohnsektor, durch Lohndumping und Verschuldung des Auslands erkauft wurden, erzielt mit in der Masse nicht nachhaltig produzierten Exportgütern. Die Möglichkeit, wirtschaftliche Erfolge durch Außenhandelsüberschüsse zu erreichen und Arbeitslosigkeit zu exportieren, ist durch die Grenzen der Verschuldung ausländischer Käufer deutscher Produkte begrenzt, ebenso durch die Aufnahmefähigkeit der Finanzmärkte für die daraus abgeleiteten Schuldtitel und die Leidensfähigkeit der Bevölkerung in den Defizitländern.

Die Umstellung auf ökologische Industrie, Landwirtschaft, Infrastruktur und Konsum ist, kaum begonnen, wieder zurückgedreht worden. Regionale und soziale Disparität und Segregation wachsen, der Anteil armer und auf Sozialtransfers angewiesener Menschen steigt, während Unternehmen und Oberschicht zum Teil so viel verdient haben, dass sie über einen Wandel nicht mehr nachdenken können. Selbst die Energiewende, die anfangs als der Auftakt zu einer zukunftsfähigen Erneuerung der Industriegesellschaft erscheinen konnte, wird derzeit den Energiekonzernen als Beute, als Abfindung für den Ausstieg aus der Kernenergie, hingeworfen.

Neoliberalismus, Sozialabbau und „Reformen“ haben die vereinigte Bundesrepublik in Bezug auf ihr wirtschaftliches Regulationssystem weniger zukunftsfähig werden lassen, als sie es 1989 noch war. Daran ist zwar nicht Ostdeutschland schuld, aber Ostdeutschland ist Teil dieser Degeneration des Teilhabekapitalismus. Und die Verwerfungen im sozialen, ökologischen und wirtschaftsregulatorischen Bereich sind hier gravierender als im Westen. Nimmt man den notwendigen Umbruch zu einer innovativen, ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaftsweise zum Maßstab – eine Perspektive, die zumindest gedanklich auch 1990 schon zur Debatte stand und die durch die deutsche Vereinigung einen besonderen Schub hätte bekommen können – dann muss man von einem Scheitern reden.


Quellen der Daten soweit nicht anders angegeben: U. Busch: Ostdeutschland: Aufholen, ohne einzuholen, in: U. Busch, M. Thomas: 25 Jahre Deutsche Einheit. Facetten einer unvollendeten Integration, Berlin 2015 (im Erscheinen). Ich danke Ulrich Busch für Hinweise und die Möglichkeit, Daten aus seiner Publikation zu nutzen.

  • 1 Vgl. U. Busch, R. Land: Teilhabekapitalismus. Aufstieg und Niedergang eines Regimes wirtschaftlicher Entwicklung am Fall Deutschland 1950 bis 2010. Ein Arbeitsbuch, Norderstedt 2013, S. 194 ff., insbesondere Kapitel 3: Ostdeutschland: Vom staatssozialistischen Fordismus der DDR zur ostdeutschen Transfergesellschaft; U. Busch, R. Land: Kapitel 5: Ostdeutschland, in: Forschungsverbund Sozioökonomische Berichterstattung (Hrsg.): Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. Teilhabe im Umbruch, zweiter Bericht, 2012, S. 153-183.
  • 2 B. Nölting, M. Thomas, R. Land: Energie im Osten. Die Energiewende als Chance, in: D. Keppler, B. Nölting, C. Schröder (Hrsg.): Neue Energie im Osten – Gestaltung des Umbruchs, 2011.
  • 3 U. Busch, a.a.O.; U. Ludwig: Der unvollendete Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft. Gesamtwirtschaftliche Befunde, in: Berliner Debatte Initial, Nr. 2/2015; H. Simons: Transfers und Wirtschaftswachstum. Theorie und Empirie am Beispiel Ostdeutschlands, Marburg 2009.
  • 4 Vgl. R. Land: Es gibt keine einfache Lösung. Die Umgestaltung der ostdeutschen Industrie im Kontext der globalen Krise moderner Wirtschafts- und Lebensweise, in: W. Schulz, L. Volmer: Entwickeln statt abwickeln. Wirtschaftspolitische und ökologische Konzepte für die fünf neuen Länder, Berlin 1992; ders.: Ostdeutschland – fragmentierte Entwicklung, in: Berliner Debatte Initial, Nr. 6/2003; ders. (Hrsg.): Zur Lage in Ostdeutschland. Bericht des Netzwerkes und Innovationsverbundes Ostdeutschlandforschung, in: Berliner Debatte Initial, Nr. 5/2006; ders.: East Germany 1989 – 2010: A Fragmented Development, in: K. Jarausch (Hrsg.): United Germany. Debating processes and prospects, Oxford, New York 2013, S. 104-118.
  • 5 U. Busch, a.a.O.
  • 6 Das Konzept der Fragmentierung wurde nicht zufällig zuerst für Entwicklungsländer im Zeitalter der Globalisierung von Fred Scholz entwickelt, vgl. F. Scholz: Perspektiven des Südens im Zeitalter der Globalisierung, in: Geografische Zeitschrift, 88. Jg. (2000), H. 1; und ders.: Fragmentierung – Realität der Globalisierung, in: Berliner Debatte Initial, Nr. 1/2012; unabhängig davon für Ostdeutschland in R. Land: Ostdeutschland – fragmentierte Entwicklung …, a.a.O.
  • 7 R. Land, A. Willisch: Transformation des Produktionsmodells der Agrarwirtschaft (Ostdeutschland und Polen). Die Anwendung eines industriesoziologischen Konzepts in der Agrarsoziologie, in: L. Hinners-Tobrägel (Hrsg.): Tagung Landwirtschaftliche Unternehmen in der Transformation, Halle (Saale), Kiel 2002; ders.: Die neue Landwirtschaft und die Dörfer. Gibt es noch Chancen für die ländliche Entwicklung?, Vortrag am 16./17.3.2005 in Potsdam-Michendorf, in: Mobiles Beratungsteam – Tolerantes Brandenburg (Hrsg.): Hightechlandwirtschaft und sterbende Dörfer – Chancen und Probleme der Zivilgesellschaft in den ländlichen Räumen Ostdeutschlands, Dokumentation der Fachtagung, http://www.rla-texte.de.
 

Angleichung und Distanz – Deutschland 25 Jahre nach der Wiedervereinigung

Während viele westdeutsche Politiker und Wissenschaftler der DDR noch Stabilität und Zukunft attestierten, hatte sich schon längst eine allgemeine Perspektivlosigkeit in der Bevölkerung der DDR bis weit in den Funktionärskorps der SED verbreitet. Die einen – die Mehrheit der Bevölkerung – wollten nicht mehr, die anderen – die Führungskader in Partei, Staat und Gesellschaft – konnten nicht mehr. Spätestens mit der Massenflucht und den Massendemonstrationen im Sommer/Herbst 1989 war das Ende der DDR vorgezeichnet. Der von der Bevölkerung erzwungene Fall der Mauer bildete dabei den Schlusspunkt.

Die DDR stand 1989/1990 kurz vor dem Bankrott: Die staatliche Autorität zerfiel und täglich gingen Tausende in den Westen. Ohne finanzielle Hilfe der Bundesrepublik hätte die DDR nur mit einem massiven Sozialabbau und einer generellen Verschlechterung der Lebenssituation fort­existieren können. Angesichts der schnellen Wiedervereinigung und der schon 1990 einsetzenden Finanztransfers in Höhe von insgesamt etwa 60 Mrd. DM ist die nicht nur auf dem Feld der Ökonomie katastrophale Schlussbilanz der DDR den meisten Betrachtern aus dem Sinn geraten.

Das Eingeständnis des wirtschaftlichen Scheiterns

In den Erinnerungen vieler Ostdeutscher mutierte die DDR nach ihrem Ende zu einem lebenswerten Sozialstaat.1 In der Rückschau werden einzelne, zumeist positive Aspekte des „gelebten Lebens“ herausgegriffen und als typisch für die DDR insgesamt herausgestellt.2 Mehr oder weniger unbewusst wird dadurch die Lebenswelt zum Schutzschild des Systems – der sozialistischen Diktatur –, das so schlecht nicht gewesen sein kann, wenn der Einzelne auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann.

Doch die Realität war eine andere: Die Wohlstandslücke gegenüber der Bundesrepublik verbreiterte sich kontinuierlich, im Kern blieb die DDR-Wirtschaft bis zum Schluss eine Mangelwirtschaft.3 Die Wirtschaftskraft erreichte 1989 etwa 33% und die Produktivität etwa 27% des westdeutschen Niveaus.4 Günter Mittag, seit den 1960er Jahren in maßgeblichen Funktionen für die DDR-Wirtschaft zuständig, fasste in einem Spiegel-Interview knapp ein Jahr nach der Wiedervereinigung die wirtschaftliche Situation in der Endphase der DDR mit drastischen Worten zusammen: „Man denke nur, angesichts der schwierigen Lage in der Sowjetunion, was heute hier los wäre, wenn es die DDR noch gäbe. Unbeschreiblich. Da läuft es mir heiß und kalt über den Rücken. Mord und Totschlag, Elend, Hunger. Es reißt mir das Herz kaputt. Mein Wunsch ist, Vertrauen in die Zukunft zu schaffen. Das ist wichtig. Jeder Mensch braucht Zuversicht, braucht etwas, woran der sich festhalten kann.“5 Das knappe Fazit des für den Absturz der DDR-Wirtschaft obersten Verantwortlichen lautete: „Das sozialistische System insgesamt war falsch.“6

Nach dem erzwungenen Rücktritt von Erich Honecker hoffte sein Nachfolger Egon Krenz, die Volkswirtschaft modernisieren und die DDR retten zu können. In einer Analyse der Abteilung Volkswirtschaft des Ministeriums für Staatssicherheit gehen die Autoren von einem Investitionsbedarf von zwei jährlichen Nationaleinkommen, d.h. etwa 500 Mrd. Mark (der DDR), aus. Eine durchgreifende Modernisierung sei zudem nicht in wenigen Jahren möglich, sondern würde sich über einen längeren Zeitraum erstrecken müssen. Hiermit müssten tiefe soziale Einschnitte einhergehen.7

Der Streit um die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

Angesichts des nicht abreißenden Übersiedlerstroms von der DDR in die Bundesrepublik und der desolaten Lage dort ließ Bundeskanzler Helmut Kohl ab Dezember 1989 im Bundesfinanzministerium Pläne für eine Wirtschafts- und Währungsunion vorbereiten. Zu den maßgeblichen Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium gehörten der spätere Bundespräsident Horst Köhler und der spätere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. Sie plädierten für eine paritätische Umstellung der Löhne und Geldbestände, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Löhne nicht schneller als die Produktivität stiegen.8 Im Finanzministerium sah man seinerzeit nur die Alternative: „Entweder die Zuwanderung administrativ stoppen, wie es Lafontaine verlangte, und die Einheit auf unabsehbare Zeit verschieben, oder aber die Währungs- und Wirtschaftseinheit sofort, die staatliche Einheit bald darauf wagen, und die ostdeutsche Wirtschaft überwiegend in westdeutscher Regie und mit westdeutschem Kapital sanieren.“9

Zum damaligen Zeitpunkt betrug der offizielle Umtauschkurs DDR-Mark zu D-Mark für West-Ost-Reisende 1:3, der Umtauschkurs im Reisedevisenfonds, mit dem die Bundesrepublik Ost-West-Reisende finanziell unterstützte, 1:1 für die ersten 100 D-Mark und 1:5 für die zweiten 100 D-Mark. Der Banknotenkurs im Freiverkehr lag indes bei 1:8 bis 1:9. Die DDR bewertete in ihrer Bilanzierung und in ihrem Zahlungsverkehr mit dem Ausland 1 D-Mark mit etwa 4 Mark der DDR.10

Das Anfang Februar 1990 erstmals von Bundeskanzler Kohl vorgestellte Konzept für eine baldige Währungs- und Wirtschaftsunion zielte auf drei Aspekte: die Eindämmung der Übersiedlung, die kurzfristige Stabilisierung der DDR sowie die Unterstützung der DDR-CDU im bevorstehenden Wahlkampf. Allein mit der Ankündigung konnte die Abwanderung tatsächlich eingedämmt werden. Während im Februar 1990 noch knapp 64 000 und im März etwas über 46 000 Menschen die DDR verließen, waren es im April nur noch knapp 25 000.

Mit der Aussicht auf eine schnelle Währungs- und Wirtschaftsunion hatte Bundeskanzler Kohl die deutschlandpolitische Initiative wieder an sich gerissen. Dadurch entstand eine Sogwirkung, der sich niemand mehr entziehen konnte. Mit dem Angebot, die D-Mark in der DDR einzuführen, legte der Kanzler gleichsam den Magneten der westdeutschen Wirtschaftsmacht auf den Tisch, von dem sich Konrad Adenauer schon in den 1950er Jahren den entscheidenden Impuls für die Einheit Deutschlands erhofft hatte.

Die von Lothar de Maizière geführte „Allianz für Deutschland“ gewann nicht zuletzt durch die Unterstützung der bundesrepublikanischen CDU den Wahlkampf und stellte die erste und einzige frei gewählte DDR-Regierung. Sie forderte die Erweiterung der Wirtschafts- und Währungsunion um eine Sozialunion, und einen Währungsumtausch von 1:1. Am 18. Mai 1990 unterzeichneten Vertreter der beiden deutschen Staaten den Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion und am 1. Juli 1990 wurde die D-Mark in der DDR eingeführt. Die Modalitäten des Staatsvertrages, insbesondere die Umstellung von Löhnen und kleinerer Sparguthaben im Verhältnis 1:1, führte zu massiver Kritik von Vertretern der Bundesbank und namhaften Ökonomen.11

Die von westdeutscher Seite unterstützten Gewerkschaften konnten zur gleichen Zeit deutliche Lohnerhöhungen durchsetzen und konterkarierten damit die Pläne des Bundesfinanzministeriums. Löhne ebenso wie Renten stiegen in der DDR schon seit Ende 1989 ohne Rücksicht auf den Produktivitätsstand und die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Für die ostdeutschen Unternehmen bedeutete dies einen Kostendruck, den sie nicht kompensieren konnten. Die Folge war ein historisch beispielloser Einbruch der Produktion.12

Der Wohlstandssprung

Mit der Entscheidung der Bundesregierung, einen sozialen und konsumorientierten Vereinigungspfad einzuschlagen, waren hohe Kosten vorprogrammiert. Sie belaufen sich bis zum heutigen Tag nach diversen Schätzungen auf 1,6 bis 2 Billionen Euro netto.13 Hierdurch gelangen jedoch eine soziale Abfederung des Transformationsprozesses und eine weitgehende Wohlstandsangleichung zwischen Ost und West.

Unter Berücksichtigung fortbestehender regionaler Kaufkraftunterschiede erreichen die ostdeutschen Haushaltseinkommen inzwischen durchschnittlich etwa 85% bis 90% des Westniveaus.14 Das BIP je Einwohner liegt bei gut 70% und die Produktivität bei knapp 80% des Westniveaus.15 Doch seit Mitte der 1990er Jahre holt Ostdeutschland kaum noch auf. Allerdings ist in den letzten Jahren eine regional differenzierte Entwicklung zu beobachten. Prosperierende ostdeutsche Regionen erreichen das untere westdeutsche Niveau, schwächere fallen weiter zurück. Dennoch sind weiterhin die regionalen Differenzen deutlich niedriger als im Westen. Die noch bestehende durchschnittliche Einkommenslücke wird von ostdeutscher Seite, insbesondere von der Partei „Die Linke“, fortgesetzt beklagt. Übersehen werden dabei die regionalen Unterschiede im Westen, die zum Teil höher als die zwischen Ost und West ausfallen. Selbst die Lohndifferenz zwischen Angestellten und Beamten bei gleicher Tätigkeit im öffentlichen Dienst ist höher als der Ost-West-Unterschied.16

Die eigentliche Dimension der Wohlstandsentwicklung nach 1990 wird erst in einer historischen Perspektive deutlich. Die ostdeutschen Haushalte starteten zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung kaufkraftbereinigt in etwa auf einem Niveau, das ein durchschnittlicher westdeutscher Haushalt Jahrzehnte zuvor erreicht hatte. Mitte der 1990er Jahre waren sie ungefähr im westlichen Wohlstand Ende der 1980er Jahre angelangt. In kurzer Zeit vollzog sich also ein staatlich initiierter und unterstützter Wohlstandssprung von mehr als 20 Jahren.17 Nur mühsam entwickelte sich das entsprechende wirtschaftliche Fundament, um diese Entwicklung abzusichern. Nach Berechnungen des ifo Dresden hängt die Ost-Wirtschaft dem Westen weiterhin 30 Jahre hinterher.18 Ein Ende der Transfers ist insofern auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht in Sicht.

Die Transformation einer zentral geleiteten Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft konnte sich nicht an historischen Vorbildern orientieren und musste daher gleichsam aus dem Stand erfolgen. Als naiv entpuppte sich schon bald die Vorstellung, allein die Übertragung von Institutionen und Ordnungsprinzipien würde marktwirtschaftliches Verhalten hervorbringen, denn dabei blieben die Mentalität der Akteure, ihre Erfahrungen und Erwartungen unberücksichtigt. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen und ökologischen Schlussbilanz der DDR und einiger falscher Weichenstellungen dauert die ökonomische Konsolidierung länger als erwartet und die Transformationskosten fallen höher als gehofft aus.

Fortbestehende teilungs- und vereinigungsbedingte sozioökonomische Unterschiede

Die schnelle und umfassende Privatisierung der Staatsbetriebe durch die Treuhandanstalt führte zu sozialen Verwerfungen, die durch Frühverrentungen, Umschulungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zum Teil sozial abgefedert wurden. Die hohe Arbeitslosigkeit, die erst in den letzten Jahren deutlich abgebaut werden konnte, war jedoch nicht nur vereinigungsbedingt. Die DDR-Wirtschaft hatte ihre Produktivitätsschwäche durch einen hohen Einsatz von Arbeitskräften kompensiert. Darüber hinaus mussten Betriebe und andere Arbeitgeber aufgrund des Rechts auf Arbeit und der zentralistischen Arbeitskräftelenkung Werktätige einstellen, die eigentlich „überflüssig“ waren. Arbeitsmarktexperten errechneten 1990 eine verdeckte Arbeitslosigkeit von etwa 15%.19

Darüber hinaus resultierte die über zwei Jahrzehnte vergleichsweise deutlich höhere Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland auch aus der höheren Erwerbsquote von Frauen und dem geringeren Anteil von Teilzeitbeschäftigten. Zwar glichen sich die Anteile in den letzten Jahren stark an, aber immer noch ist in den neuen Ländern die Teilzeitquote insbesondere bei Frauen niedriger und die Erwerbsquote höher als in Westdeutschland.20 Die Motive für die Teilzeitarbeit fallen unterschiedlich aus. Im Westen entscheiden sich viele Mütter für eine Teilzeitstelle, um ihr Kind betreuen zu können. Im Osten liegt der Grund in einem Mangel an Vollzeitarbeitsplätzen.21

In der DDR sollten Mütter so schnell wie möglich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und ihr Baby möglichst schon im ersten Lebensjahr in die Krippe geben. Diese Prägung hat sich gehalten. Die Erwerbstätigenquoten von ostdeutschen Müttern mit Kleinkindern liegen weiterhin deutlich über der von entsprechenden westdeutschen Müttern.22 Die wöchentliche Arbeitszeit ostdeutscher Mütter betrug 2013 durchschnittlich 33 Stunden, die westdeutscher Mütter 25 Stunden.23

Die Erwerbs- und Einkommenskonstellationen unterscheiden sich 25 Jahre nach der Einheit ebenfalls noch. Dem männlichen Familienernährermodell im Westen steht das familiäre Zwei-Verdiener-Modell im Osten gegenüber. Die klassische männliche Ernährerfamilie existiert aktuell zwar auch im Westen nur bei einer kleinen Minderheit, liegt aber weiterhin doppelt so hoch wie im Osten (West: 20%; Ost: 10%). Unterschiedlich fallen auch die Anteile von gemeinsam vollzeitbeschäftigten Partnern aus. In den neuen Ländern ist dies bei über 40% der Partnerschaften der Fall, im Westen bei nicht einmal 30%.

Auch bei den innerfamiliären Einkommensrelationen gibt es erstaunliche Kontinuitäten und aktuelle Unterschiede. Im Osten beteiligten sich zum Ende der DDR Frauen mit 32% am Haushaltsnettoeinkommen, im Westen mit nicht einmal 20%. Im letzten Erhebungszeitraum nach der Wiedervereinigung trugen Frauen im Osten knapp 39% zum Einkommen bei, im Westen nur 28%. In Ostdeutschland verdienen in jedem zweiten Paarhaushalt beide Partner annähernd gleich viel, im Westen ist dies nur bei jedem dritten Haushalt der Fall. In etwa jedem vierten ostdeutschen Partnerhaushalt trägt die Frau laut Einkommens- und Verbrauchsstichprobe das meiste Geld zum Haushaltseinkommen bei, im Westen sind es mit knapp 10% deutlich weniger.24 Diese Entwicklung dürfte nicht ohne Auswirkungen auf die Partnerschaft sein, da sich in beiden Landesteilen zumindest in den Köpfen der meisten Männer die traditionelle Verdienstrelation gehalten hat.

Fortbestehende politische und mentale Unterschiede

Der anfänglich breite politische und mentale Graben hat sich – allerdings verkleinert – bis zum heutigen Tag gehalten. Es sind Differenzen im Wahlverhalten, im politischen und ehrenamtlichen Engagement sowie in den Einstellungen zu Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu beobachten. Auf diesen Feldern ist in den vergangenen 25 Jahren nur mühsam etwas zusammengewachsen. Zwar veränderten sich seit 1990 Einstellungen in die eine oder andere Richtung und näherten sich manchmal sogar an, aber der Graben existiert weiterhin.

Die neuen Institutionen sind bis zum heutigen Tag vielen Ostdeutschen fremd geblieben. Die Ernüchterung über die Realität führte nicht nur bei ewig Gestrigen zu einer Renaissance sozialistischen Gedankenguts, wonach die kapitalistische Bundesrepublik von sozialer Kälte beherrscht werde, auch Normalbürger sehen sich als vom Westen bzw. vom Kapitalismus unterdrückt und ausgebeutet.

Eine kapitalismuskritische bis antikapitalistische Grundhaltung ist in den letzten Jahren auch im Westen festzustellen. So stimmten bei einer Umfrage im Jahr 2014 63% der Ostdeutschen und 61% der Westdeutschen der Behauptung zu: „Unsere Demokratie ist keine echte Demokratie, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen haben“25. Eine nennenswerte Minderheit in Ost und West hält den Kapitalismus für den Grund nahezu allen Übels in der Welt. 41% im Osten und 31% im Westen bejahen das Statement „Der Kapitalismus führt zwangsläufig zu Armut und Hunger“ und sogar 43% im Osten und 36% im Westen glauben, der Kapitalismus führe zwangsläufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen.26 Hiervon profitierte vor allem „Die Linke“, die bei Wahlen ihren relativen Stimmenanteil in Ostdeutschland verdoppeln konnte, sich auch im Westen ausbreitete und seit 2013 stärkste Oppositionspartei im Bundestag ist.

Ostdeutsche sind seit Anfang der 1990er Jahre empfänglicher für extremistische und populistische Parteien. Diese erzielten nicht nur bei Landtagswahlen, sondern auch bei der Bundestagswahl deutlich bessere Ergebnisse als im Westen. Bei der letzten Wahl im Herbst 2013 erreichten rechtsextreme Parteien im Osten einen Zweitstimmenanteil von knapp 3% gegenüber etwa 1% im Westen. Die neugegründete Alternative für Deutschland (AfD) erhält in den neuen Ländern ebenfalls deutlich mehr Zuspruch als in den alten. Der Erfolg links- und rechtspopulistischer Parteien, die z.B. bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen zusammen 30,8% bzw. 38,8% der Stimmen auf sich vereinten, resultiert offenbar aus dem weiterhin hohen Grad an allgemeiner und konkreter Unzufriedenheit und einem weit verbreiteten Sozialneid von Personen, die meinen, sie kämen zu kurz im Leben. Hierauf gründet auch der zwischenzeitliche Erfolg von Pegida und Co. im Osten.

In ihren Wahlmotiven und Erwartungen an die von ihnen bevorzugten Parteien liegen Ostdeutsche viel dichter zusammen als die Bewohner der alten Länder, wobei Wert­orientierungen zum Teil noch deutlich von den Erfahrungen im realen Sozialismus geprägt sind. In vielerlei Hinsicht haben Ostdeutsche mit ihren Landsleuten, selbst wenn diese für eine andere Partei votieren, immer noch mehr gemeinsam als mit den westdeutschen Wählern der gleichen Partei. Außerdem ähneln sich die Parteien in ihren speziell auf Ostdeutschland zugeschnittenen Vorstellungen stärker als im Westen, wo Wahlkämpfe deutlich polarisierter geführt werden.

Die Zufriedenheit mit der praktizierten Demokratie als beste Staatsform stieg in Ostdeutschland seit der Jahrtausendwende zwar kräftig an, liegt laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach mit 40% aber weiterhin erheblich unter dem westdeutschen Niveau von 74%.27 Eine Annäherung sehen wir bei der Akzeptanz des Wirtschaftssystems. Diese ist in den neuen Ländern von 10% im Jahr 2005 (West: 27%) auf 44% im Jahr 2013 (West: 49%) gestiegen. Dieser Anstieg ist höchstwahrscheinlich dem Abbau der Arbeitslosigkeit und dem gefestigten Wohlstandsniveau im Osten zu verdanken.

Weiterhin ist das rechtsextreme Personenpotenzial im Osten deutlich größer und es gibt in den neuen Ländern etwa doppelt so viele rechtsextreme Gewalttaten wie in den alten. Auch die Ausländerfeindlichkeit ist – trotz niedrigerem Ausländeranteil – erheblich stärker verbreitet. Als in Hoyerswerda und Rostock Anfang der 1990er Jahre Jugendliche Ausländer gewalttätig angriffen, während sich die Polizei zurückhielt, wurde einer erstaunten und entsetzten westdeutschen Öffentlichkeit vor Augen geführt, was in der DDR im Verborgenen geschlummert hatte, dort nicht thematisiert werden durfte und erst nach der Wiedervereinigung unter den Bedingungen einer freiheitlichen Gesellschaft zum Ausbruch kam. Öffentliche Verwahrlosung, höhere Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren im Kern schon vor 1989 stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik.

Eine weit verbreitete rechtsextreme Szene und vor allem gewaltbereite Skinhead-Gruppen gab es bereits vor der Vereinigung, auch wenn die SED das offiziell leugnete. Erst nach dem Fall der Mauer sprach die DDR-Kriminalpolizei von reaktionär-militaristischen und neofaschistischen Gruppen und Personen, die sich radikalisiert hätten und die zu „Keimzellen für terroristische Verbindungen“ werden könnten. Das rassistisch motivierte mutmaßliche Mördertrio des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) machte diese Spekulation Jahre später zur traurigen Realität.28

Verrohung und Gleichgültigkeit sind aber auch Folgen des radikalen sozialen Wandels nach der Vereinigung. Viele Menschen wurden aus überschaubaren sozialen Milieus und planbaren Lebensverläufen herausgerissen. Alte Sicherheiten, auch wenn sie zuvor als einengend empfunden worden waren, verschwanden und hinterließen eine Leerstelle. Die neue Freiheit setzte vorerst vermeintlich keine Grenzen. Auf sich allein gestellt, fehlte vielen Jugendlichen das Gefühl, gebraucht und anerkannt zu werden. In der alleingelassenen Jugend, die keine Vorbilder und Autoritäten mehr hatte, konnten rechtsextreme Rattenfänger Fuß fassen. Die schon vorhandene gewaltbereite rechtsextreme Szene breitete sich rasch aus und hat sich bis zum heutigen Tag in mehreren Generationsschüben gehalten.

Nirgendwo unterscheiden sich die Haltungen ost- und westdeutscher Bundesbürger stärker als in Glaubensfragen. Während im Westen trotz rapide sinkender Anteile religiös eingestellte und kirchlich gebundene Menschen die absolute Mehrheit in der Bevölkerung ausmachen, ist im Osten eine sehr breite Mehrheit konfessionslos. Die von der SED seit den frühen 1950er Jahren auch mit brachialen Mitteln betriebene Entchristianisierung hat sich insofern fortgesetzt. In keinem postsozialistischen Land ist die Zahl der Atheisten so hoch wie auf dem ehemaligen Territorium der DDR.

Fortbestehende wechselseitige Vorurteile

In der subjektiven Wahrnehmung gibt es auch heute noch eine „Mauer in den Köpfen“, die sich im letzten Jahrzehnt sogar verfestigt hat. In der jüngsten Umfrage aus Brandenburg bejahen diese Annahme 60% der Befragten insgesamt und auch eine absolute Mehrheit der 18- bis 29-Jährigen.29

Wechselseitige Vorurteile existieren weiterhin. Westdeutsche halten Ostdeutsche für unzufrieden, misstrauisch, ängstlich und zurückhaltend, umgekehrt charakterisieren Ostdeutsche die Westdeutschen als arrogant, nur aufs Geld bezogen, selbstbewusst und oberflächlich. Diese Stereotypen sind auch bei Jüngeren anzutreffen. Dabei gibt es eine Ost-West-Schieflage, d.h. Westdeutsche billigen den Ostdeutschen deutlich mehr positive Eigenschaften zu als Ostdeutsche den Westdeutschen. Auch fallen die Negativbewertungen durch Ostdeutsche intensiver aus. Noch stärker differiert das Selbstbild. Während sich die Westdeutschen mehr negative als positive Eigenschaften zuordnen, sehen sich die Ostdeutschen vor allem positiv.30

Der Anteil derjenigen in Ost und West, die mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen sieht, sank zwar im letzten Jahrzehnt, liegt aber laut Allensbach immer noch über dem Anteil derjenigen, die mehr Gemeinsamkeiten sehen (45% gegenüber 18% und 27% gegenüber 26%). Zugenommen hat dagegen die Identifikation der neuen Bundesbürger mit Deutschland. Seit 2010 fühlt sich im Osten ebenso wie im Westen eine knappe bzw. breite Mehrheit in erster Linie als Deutscher und nicht als Ost- oder Westdeutscher. Bei den Jüngeren sind es sogar knapp drei Viertel und damit ebenso viele wie in Westdeutschland. Absolute Mehrheiten in beiden Landesteilen betonen, es habe keinen Sinn mehr, auf die Unterschiede zwischen Ost und West hinzuweisen.

Erstaunlich einig sind sich Ost- und Westdeutsche bei der Antwort auf die Frage, ob es Unterschiede in der Mentalität zwischen Menschen gibt, die in den alten und den neuen Bundesländern aufgewachsen sind. 86% im Westen und 90% im Osten bejahten dies in einer Umfrage von YouGov im Jahr 2014.31 Bei den jüngeren Generationen liegen die Anteile zwar etwas niedriger, aber mit 77% (18 bis 24 Jahre) und 83% (25 bis 34 Jahre) immer noch erstaunlich hoch. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem einer Umfrage von Allensbach aus dem Jahr 2007,32 bei der gut bzw. knapp jeder Zweite in West und Ost angab, Ost- und Westdeutsche würden sich in der Mentalität und in der Art zu denken und zu fühlen unterscheiden. Jeder Dritte im Westen und sogar knapp 60% im Osten sahen darüber hinaus eine Differenz in der Auffassung, was man im Leben für wichtig hält.

So verschieden sich die Deutschen in Ost und West in der wechselseitigen Wahrnehmung vorkommen mögen und es tatsächlich zumindest bei den älteren Generationen auch sind, so ähnlich werden sie von außen gesehen. Die gemeinsamen, als typisch deutsch erachteten Züge treten in der Außenbetrachtung stärker hervor als die Differenzierungen und Gräben.

Jüngere Generationen werden zwar weiterhin auch in ihrem Familienkreis geprägt, aber ihre Werte und Vorstellungen sind – wie die Shell-Jugendstudien ausweisen – in etwa gleich. Allenfalls im Blick auf die untergegangene DDR unterscheiden sie sich. Aus Mitleid mit den Eltern, die ihnen diese Sicht vermitteln, sehen ostdeutsche Jugendliche die sozialistische Diktatur vor allem als sozialen Staat und solidarische Gesellschaft und blenden die diktatorischen Seiten aus. Westdeutsche dagegen haben mehrheitlich keinen Zweifel am Diktaturcharakter der DDR.33 Das wiedervereinigte Deutschland ist aber für breite Mehrheiten der jungen Generation in beiden Landesteilen ein positiver und verbindender Bezugspunkt.

Positiver Blick auf die Wiedervereinigung

Die positiven Seiten des Wiedervereinigungsprozesses werden oft übersehen, die negativen überbetont. So gerät aus dem Blick, dass Umwelt und Infrastruktur umfassend saniert bzw. modernisiert wurden. Viele nahezu zerstörte ostdeutsche Innenstädte erstrahlen in neuem Glanz. Aber auch die einzelnen Menschen profitieren von der schnellen Wohlstandsangleichung und der Verbesserung des Gesundheitswesens. Die Lebenserwartung, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in Ostdeutschland deutlich niedriger lag als in Westdeutschland, liegt bei Frauen inzwischen auf annähernd gleichem Niveau und bei Männern nur noch etwa ein Jahr auseinander.

Während die Ostdeutschen immer schon mit sehr breiter Mehrheit die Wiedervereinigung eher mit Freude als mit Sorge sahen, hat sich der diesbezügliche Anteil in Westdeutschland erst in den letzten zehn Jahren erhöht. Inzwischen sind sich die Deutschen einig, dass die Wiedervereinigung ein Grund zur Freude ist. Im Herbst 2014 teilten 67% im Westen und 72% im Osten dieses Gefühl.34

Der Blick auf andere europäische Länder, die immer noch mit den Nachwirkungen der Finanz- und Bankenkrise 2007 ff. zu kämpfen haben, zeigt, wie erfolgreich Deutschland trotz der hohen materiellen Kosten die Wiedervereinigung wirtschaftlich und politisch geschultert hat. Daran ändern auch fortbestehende Unterschiede zwischen Ost und West nichts. Die derzeit noch vorhandenen insbesondere teilungsbedingten Gräben in erfahrungs- und systemgeprägten Mentalitäten und Werten können in den nächsten Jahren aber nur zugeschüttet werden, wenn andere Erfahrungen und Einstellungen akzeptiert werden, solange diese nicht an den Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft rütteln. Gegenseitiges Verständnis setzt freilich die Bereitschaft voraus, das andere zu verstehen und sich gemeinsam für den Fortbestand einer freiheitlich-demokratischen Ordnung und pluralistischen Gesellschaft einzusetzen.

Viele Ostdeutsche empfinden weiterhin die Kritik an der sozialistischen Diktatur als Angriff auf ihre Person. Sie differenzieren nicht zwischen System und Lebenswelt und fordern mehr Anerkennung auch für das System. Doch die kann und darf es pauschal nicht geben. Der individuellen Lebensleistung gebührt Anerkennung, unabhängig davon, in welchem System die Person gelebt hat. Gerade an dieser Differenzierung mangelt es bis zum heutigen Tag. Westdeutsche rechnen sich die Überlegenheit ihres Systems auch persönlich zu und werten gleichzeitig Ostdeutsche gemeinsam mit ihrem alten System ab. Erst wenn dieses Missverständnis ausgeräumt ist, kann das Zusammenwachsen ohne individuelle oder sogar kollektive Kränkungen gelingen. Dabei darf jedoch die notwendige Delegitimierung der sozialistischen Diktatur nicht zugunsten der Anerkennung individueller Lebensleistungen aufgegeben werden.

Ein geschärfter Blick auf die Entwicklung in den letzten 25 Jahren und die derzeitige Lebenssituation einer sehr breiten Mehrheit in Ost und West verdeutlicht, dass trotz fortbestehender, aber geringer werdender materieller Unterschiede und wechselseitigen Vorurteilen die Wiedervereinigung eine Erfolgsgeschichte ist!

  • 1 Die Weichzeichnung der DDR durch ältere Ostdeutsche wird in Schulen und insbesondere Familien auch an jüngere Generationen weitergegeben; vgl. M. Deutz-Schroeder, K. Schroeder: Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West-Vergleich, Stamsried 2008.
  • 2 Vgl. die Kommentare zu den Ergebnissen der in Fußnote 1 genannten Studie, in: M. Deutz-Schroeder, K. Schroeder: Oh, wie schön ist die DDR. Kommentare und Materialien zu den Ergebnissen einer Studie, Schwalbach am Taunus 2009.
  • 3 Vgl. K. Schroeder: Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, Berlin 2010, S. 91 ff.
  • 4 Vgl. O. Schwarzer: Sozialistische Zentralplanwirtschaft in der SBZ/DDR. Ergebnisse eines ordnungspolitischen Experiments (1945-1989), Stuttgart 1999, S. 166; sowie generell zum Zustand der DDR-Wirtschaft: W. Merkel, S. Wahl: Das geplünderte Deutschland, Bonn 1991.
  • 5 Vgl. „Es reißt mir das Herz kaputt“, Spiegel-Gespräch mit dem ehemaligen DDR-Wirtschaftslenker Günter Mittag über seine Politik und seine Fehler, in: Der Spiegel, Nr. 37/1991, S. 104, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13491339.html (1.6.2015).
  • 6 Ebenda.
  • 7 Die Analyse ist abgedruckt in: K. Schroeder: Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990, Köln, Weimar, Wien 2013, S. 1032 ff.
  • 8 Vgl. T. Sarrazin: Die Entstehung und Umsetzung des Konzepts der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion, in: T. Waigel, M. Schell (Hrsg.): Tage, die Deutschland und die Welt veränderten. Vom Mauerfall zum Kaukasus. Die deutsche Währungsunion, München 1994, S. 160 ff.
  • 9 Zitiert nach D. Grosser: Zeit der Führung. Konsens und Konflikt um die Wiedervereinigungspolitik 1989/90, in: P. März (Hrsg.): 40 Jahre Zweistaatlichkeit in Deutschland. Eine Bilanz, München 1999, S. 307.
  • 10 Vgl. G. Haller: Das Wort „Anschluss“ war tabu; einige persönliche Erinnerungen, in: T. Waigel, M. Schell (Hrsg.), a.a.O., S. 152 f.
  • 11 Vgl. K. Schroeder: Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung, Stamsried 2006, S. 162 ff.
  • 12 Vgl. W. Heering, K. Schroeder: Transformationsprozesse in ostdeutschen Unternehmen. Akteursbezogene Studien zur ökonomischen und sozialen Entwicklung in den neuen Bundesländern, Berlin 1995, S. 154 ff.
  • 13 Vgl. J. Ragnitz: Die Kosten der Einheit?, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/; sowie M. Greive: Wie ehrlich ist die Bilanz der Einheitskosten?, Welt online vom 8.5.2014.
  • 14 Vgl. IWH-Pressemitteilung 21/2014, S. 1; sowie M. Roos: Einkommensunterschiede im vereinten Deutschland: Nominal versus real, in: Wirtschaftstheoretische Beiträge, Nr. 4/2004, Universität Dortmund.
  • 15 Dabei wird Berlin den neuen Ländern zugeschlagen. Bleibt Berlin außer Betracht, liegen die entsprechenden Anteile jeweils einige Prozentpunkte niedriger.
  • 16 Vgl. K. Schroeder: Das neue Deutschland ..., a.a.O., S. 152 ff.; sowie M. Fuchs et al.: Die regionalen Unterschiede in Deutschland sind groß, in: IAB-Kurzbericht, Nr. 17/2014.
  • 17 Vgl. K. Schroeder: Die veränderte Republik ..., a.a.O., S. 264 ff.
  • 18 Vgl. J. Ragnitz: Wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland: Stand und Perspektiven, ifo Dresden 2014.
  • 19 Vgl. J. Gürtler, W. Ruppert, K. Vogler-Ludwig: Verdeckte Arbeitslosigkeit in der DDR, München 1990, S. 43.
  • 20 Vgl. E. Holst, A. Wieber: Bei der Erwerbstätigkeit der Frauen liegt Ostdeutschland vorn, in: DIW-Wochenbericht, Nr. 40/2014, S. 967 ff.
  • 21 Vgl. Destatis: Alles beim alten: Mütter stellen Erwerbstätigkeit hinten an, Pressemitteilung vom 4.3.2010.
  • 22 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ausgeübte Erwerbstätigkeit von Müttern, Berlin 2012, S. 25.
  • 23 Vgl. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung vom 12.5.2015, 171/15.
  • 24 Vgl. Statistisches Bundesamt: Wirtschaftsrechnungen. Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte, Fachserie 15, Lehrheft 4, Wiesbaden 2010.
  • 25 Vgl. K. Schroeder, M. Deutz-Schroeder: Gegen Staat und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland – eine empirische Studie, Frankfurt a.M. 2015, S. 568.
  • 26 Vgl. ebenda, S. 557 ff.
  • 27 Vgl. das Interview mit dem Demokratieforscher Michael Lühmann, in: Freie Presse vom 29.1.2015.
  • 28 Vgl. K. Schroeder: Das Erbe des SED-Staates, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.12.2014; sowie B. Wagner: Rechtsradikalismus in der Spät-DDR. Zur militant-nazistischen Radikalisierung. Wirkungen und Reaktionen in der DDR-Gesellschaft, Berlin 2014.
  • 29 Vgl. M. Kaufmann: „Mauer in den Köpfen“ noch vorhanden, Märkische Allgemeine Zeitung, maz-online vom 6.1.2014, http://www.maz-online.de/Brandenburg/Mauer-Ost-West-Unterschiede-Umfrage (1.6.2015).
  • 30 Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: Wertewandel Ost, IfD-Umfrage 10084, 10098, 2014.
  • 31 Vgl. „So denken die Deutschen über die Einheit“, in: Bild online, http://www.bild.de/politik/inland/tag-der-deutschen-einheit/umfrage-so-denken-ossis-und-wessis-37977120.bild.html (5.6.2015).
  • 32 Vgl. die Dokumentation des Beitrages von Dr. Thomas Petersen: Blühende Landschaften, in: FAZ vom 22.9.2010.
  • 33 Vgl. K. Schroeder, M. Deutz-Schroeder, R. Quasten, D. Schulze Heuling: Später Sieg der Diktaturen? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und Urteile von Jugendlichen, Frankfurt a.M. u.a.O. 2012.
  • 34 Vgl. die Dokumentation des Beitrages von Dr. Thomas Petersen: Das Ende der „Mauer in den Köpfen“, Institut für Demoskopie Allensbach, IfD-Umfrage 11032 vom November 2014.

Title:Twenty-Five Years of German Unity – a Success Story?

Abstract:Twenty-five years after reunification, economic fundamentals between East Germany and West Germany continue to differ. Massive financial transfers could not close the significant “prosperity gap” between the two former countries, but they did reduce it noticeably. This is most obvious with respect to indicators such as GDP per capita and unemployment. Fast convergence is unlikely to occur, as economic development is strongly driven by technology that might generate economies of scale, thereby favouring regions which are already well developed. Therefore, economic policy should no longer aim at convergence but rather at economic growth. Despite considerable progress, more structural change will be necessary for further convergence. Furthermore, the decades-long division generated fundamental political and psychological differences, which continue to be felt. One important factor in the continued economic disparity between the two is that East Germany has had to follow the West German development path, which only makes the catching up process more difficult.


DOI: 10.1007/s10273-015-1837-4