Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Das zweite Anpassungsprogramm für Griechenland ist gescheitert, nachdem es bereits mehrfach modifiziert und erweitert worden war. In den Verhandlungen im Juni 2015 konnten sich Griechenland und „die Institutionen“ nicht auf die Fortführung und damit den geordneten Abschluss des zweiten Anpassungsprogramms einigen. Im Gegensatz dazu wurden die Anpassungsprogramme für Irland und Portugal planmäßig beendet und beide Länder konnten an die Kapitalmärkte zurückkehren. Von einem generellen Scheitern der Rettungsprogramme kann also nicht die Rede sein. Vielmehr stellt sich die Frage, weshalb sie in manchen Ländern erfolgreich waren und in anderen nicht.

In der Literatur zu den Anpassungsprogrammen, wie sie etwa vom Internationalen Währungsfonds (IWF) durchgeführt worden sind, wird häufig die „Ownership“ als zentrale Bedingung für das Gelingen eines Programms diskutiert. „Ownership“ ist dabei zwar nicht eindeutig definiert, bezeichnet aber im Wesentlichen eine unterstützende, positive Grundhaltung der Entscheidungsträger eines Landes, in dem das Anpassungsprogramm stattfindet, gegenüber dem Anpassungsprogramm.1 Nach Bird und Willett2 geht es dabei weniger um die Durchsetzbarkeit möglicher Maßnahmen als vielmehr um die Akzeptanz dieser Maßnahmen. Bemerkenswert ist der Hinweis, dass es nicht nur um die Einstellung der aktuellen Regierung, sondern um eine breitere Unterstützung in den relevanten Teilen der Gesellschaft geht. „Ownership“ ist somit mit dem Begriff der politischen Unsicherheit verbunden. Die Zusagen der Regierung innerhalb eines Programms haben eine größere Zuverlässigkeit, wenn entweder die Regierung selbst „fest im Sattel“ sitzt oder der wesentliche Teil der Opposition diese Zusagen mitträgt bzw. mittragen würde, sodass nicht befürchtet werden muss, dass eingeleitete Reformmaßnahmen bei nächster Gelegenheit revidiert werden.

Eine besondere Bedeutung dürfte der „Ownership“ im Kontext der Schuldenkrise im Euroraum zukommen, weil zumindest im Falle Griechenlands die Schuldenkrise mit der Frage des Verbleibs im Euroraum verbunden wurde. Die vom damaligen Ministerpräsidenten Papandreou in Aussicht gestellte – dann aber nach Einwirken der europäischen Partner nicht durchgeführte – Volksabstimmung Ende 2011 hat die Alternative genau so benannt: Entweder das Anpassungsprogramm wird bejaht oder es erfolgt der Austritt aus dem Euroraum. Die Frage, welche Währung in Zukunft gelten wird, ist von erheblicher Bedeutung für die Investitionsentscheidungen der Privatwirtschaft. Folglich liegt der Schluss nahe, dass mangelnde „Ownership“ bzw. Unsicherheit über die „Ownership“ auf die wirtschaftliche Aktivität übertragen wird.

Dieser Zusammenhang könnte auch die fehlerhaften Prognosen, die im Zuge der Anpassungsprogramme der Institutionen bezüglich der wirtschaftlichen Dynamik erstellt wurden, erklären. Vermutlich wurden in den Prognosen keine Annahmen über mangelnde „Ownership“ und resultierende politische Unsicherheitsshocks gemacht. Dies würde die viel diskutierte Rolle der Fehleinschätzung der Fiskalmultiplikatoren zumindest relativieren.

Die Anpassungsprogramme und ihre Revisionen

Im Mai 2010 wurde das erste Anpassungsprogramm für Griechenland gestartet, finanziert durch bilaterale Kredite der anderen Länder des Euroraums und des IWF. Der griechische Staat verpflichtete sich im Gegenzug, fiskalische Maßnahmen im Umfang von 11% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und verschiedene Strukturreformen durchzuführen, wobei kurz vor Programmbeginn die griechische Regierung bereits Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von 5,5% in Relation zum BIP auf den Weg gebracht hat. Bereits 2011 wurde klar, dass das erste Programm nicht hinreichend sein würde, da zum einen die Schuldenlast höher war als im Mai 2010 angenommen (es kam zu einer Revision um knapp 12 Prozentpunkte) und zum anderen die Rezession deutlich tiefer ausfiel als in den Planungen des ersten Anpassungsprogramms angenommen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Anpassungsprogramme und ihre Revisionen für Griechenland, Irland und Portugal

32477.png

Quelle: Ameco; eigene Darstellung.

Das zweite Programm, das überwiegend von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) finanziert wurde, ersetzte das erste und startete Anfang 2012. Auftakt war ein „freiwilliger“ Forderungsverzicht der privaten Gläubiger, die ihre ausstehenden Anleihen gegen Anleihen geringeren nominalen Wertes und höherer Laufzeiten eintauschten. Zugleich wurden die Planungen über fiskalische Maßnahmen angepasst, sodass nun Konsolidierungsmaßnahmen in den Jahren von 2010 bis 2014 von über 30% in Relation zum BIP anvisiert wurden. Die Anforderungen an Griechenland wurden bereits im Verlauf des ersten Programmes sukzessive erhöht, mit dem Ziel, die Budgetziele zu erreichen. Insgesamt haben sich im Verlauf der Jahre 2010 und 2011 die fiskalischen Anforderungen relativ zum BIP nahezu verdoppelt.

Die merklichen Revisionen der Programmvorgaben gingen Hand in Hand mit der steten Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmendaten und des Konjunkturausblicks. Wurde anfangs z.B. für 2011 mit einer Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von gut 2½% gerechnet, ging das BIP nach jüngsten Zahlen in jenem Jahr um nahezu 9% zurück. Die wirtschaftliche Krise übertraf auch die Planzahlen des zweiten Anpassungsprogramms, sodass dieses im Verlauf wiederum angepasst wurde, indem durch ein Schuldenrückkaufprogramm für griechische Staatsanleihen der Schuldenstand gesenkt wurde und zudem die Laufzeiten und die Zinsforderungen für die Hilfskredite angepasst wurden. Die 2013 von der Europäischen Kommission veröffentlichten Revisionen des Anpassungsprogramms weisen hingegen kein starkes Auseinanderlaufen der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung von den Planzahlen auf. So wurde z.B. der BIP-Zuwachs für 2014 – und somit das Ende der Rezession – recht genau vorhergesagt bzw. sogar leicht unterschätzt. Die weitere Entwicklung (für 2015) wurde aus heutiger Sicht wieder zu positiv eingeschätzt, was aber Gegenstand eines der folgenden Abschnitte sein soll.

Irland war mehr oder weniger der Vorreiter in der Finanz- und Schuldenkrise. Bereits 2007 machten sich die Folgen einer platzenden Immobilienblase bemerkbar, sodass die irischen Banken 2008 rasch in Schieflage gerieten, als sich zudem die Lage auf den internationalen Finanzmärkten zuspitzte. Der irische Staat übernahm einen Großteil des überdehnten Bankensektors und baute dadurch eine beträchtliche Staatsschuld auf, während das Land infolge der geplatzten Immobilienblase und des Einbruchs im Welthandel zeitgleich in eine tiefe Rezession rutschte. Als Reaktion begann die irische Regierung bereits 2009 mit erheblichen Konsolidierungsmaßnahmen. Trotz dieser Maßnahmen konnten die Finanzierungsbedingungen nicht substanziell gebessert werden, sodass Irland Ende des Jahres 2010 in ein Anpassungsprogramm eintrat, das sowohl vom EFSF und dem IWF, als auch von Großbritannien und Norwegen finanziert wurde. Im ersten Programmplan wurden zusätzlich zu den bereits durchgeführten Konsolidierungsmaßnahmen weitere Maßnahmen für die Jahre 2011 bis 2014 im Umfang von knapp 9% in Relation zum BIP geplant, also jahresdurchschnittlich etwas über 2% in Relation zum BIP. Die Zahlen des IWF aus dem Jahr 2014 weisen einen Umfang der Konsolidierungsmaßnahmen von etwa 9½% in Relation zum BIP aus. Bedenkt man eventuelle Überhänge aus den Jahren 2009 und 2010, spricht dies für eine ziemlich genaue Planumsetzung. Diese hat auch eine Entsprechung in den Planzahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Entwicklung des Bruttoschuldenstands.

Das Anpassungsprogramm für Portugal startete 2011. Zunächst waren fiskalische Maßnahmen im Umfang von gut 10% in Relation zum BIP für 2011 bis 2014 vorgesehen. Auch in Portugal kam es zu einer Aufwärtsrevision des Schuldenstands und die wirtschaftliche Entwicklung verlief schwächer als in den ersten Plänen zum Anpassungsprogramm projiziert (vgl. Abbildung 1). Die Revisionen waren weniger stark als im Falle Griechenlands, doch wurden auch in Portugal zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen durchgeführt, sodass zwischen 2011 und 2014 der Umfang der Maßnahmen etwa 17½% in Relation des BIP ausgemacht haben. Zudem wurden 2013 die Laufzeiten der EFSF-Kredite zum Teil deutlich angehoben. Im Jahr 2014 wurde das Anpassungsprogramm beendet und Portugal refinanziert sich seither vollständig an den Kapitalmärkten.

Um zu erläutern, warum gerade in Griechenland (und weniger in den anderen Programmländern) die Programmzahlen wiederholt die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung so dramatisch überschätzt haben, bieten sich mehrere Erklärungen an, die sich nicht ausschließen:

  • Erstens wird darauf verwiesen, dass die Wirkung der Konsolidierungspolitik auf die ökonomische Aktivität falsch eingeschätzt wurde. So weisen Blanchard und Leigh darauf hin,3 dass der IWF in seinen Prognosen den sogenannten Fiskalmultiplikator unterschätzt haben dürfte.
  • Zweitens könnte das Ausmaß der Krise schlicht unterschätzt worden sein. Ein Indiz ist die bereits erwähnte Revision des Bruttoschuldenstands. Eine Unterschätzung der Krise hätte aber auch vorgelegen, wenn die Bedeutung steter öffentlicher Defizite für die strukturelle Ausrichtung der griechischen Wirtschaft falsch eingeschätzt wurde, wenn also das wirtschaftliche Potenzial Griechenlands viel stärker von den öffentlichen Defiziten abhinge als in den anderen Ländern.4
  • Drittens besteht die Möglichkeit, dass Griechenland im Verlauf der Anpassungsprogramme von zusätzlichen, nicht vorhergesehenen Schocks getroffen wurde. Anhaltspunkt für diese These ist die relative politische Instabilität Griechenlands.

„Ownership“, politische Unsicherheit und latente Wechselkursrisiken

In allen drei Ländern fanden während der Anpassungsprogramme große Demonstrationen von Gegnern der Konsolidierungsmaßnahmen statt. Gegner der Konsolidierungspolitik in einer wahrnehmbaren Größenordnung gab und gibt es somit in allen drei Ländern. Zu Generalstreiks kam es allerdings nur in Griechenland und Portugal.

In Griechenland war zudem die Frage der Konsolidierung in viel größerem Ausmaß als in Portugal und Irland zwischen den jeweils führenden politischen Parteien (in Regierung und Opposition) umstritten. Die jeweiligen griechischen Regierungen dürften in einem deutlich größeren Ausmaß als in den anderen beiden Ländern mit der Frage der Legitimation der Konsolidierungspolitik konfrontiert worden sein. Ausdruck hierfür ist unter anderem, dass der damalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou Ende 2011 ein Referendum über die Konsolidierungspolitik in Aussicht stellte. Dieses wurde allerdings abgesagt – auch auf Druck der europäischen Partner, die zu diesem Zeitpunkt erhebliche Ansteckungsrisiken für die Eurozone befürchteten – was eine Regierungskrise nach sich zog. Schließlich wurde eine Expertenregierung unter Loukas Papadimos gebildet. Im Mai 2012 kam es zu vorgezogenen Neuwahlen, die keine klaren Mehrheiten hervorbrachten. So war im Juni 2012 erneut ein Urnengang erforderlich, aus dem eine Koalitionsregierung unter Antonis Samaras hervorging. Mitte 2013 zog sich einer der Koalitionspartner aus der Regierung zurück, sodass die beiden verbleibenden Parteien die Regierungsarbeit fortsetzten. Infolge der gescheiterten Wahlen für ein neues Staatsoberhaupt Ende 2014 wurden vorgezogene Parlamentswahlen Anfang des Jahres 2015 unausweichlich. Zählt man die Übergangsregierung von Mitte 2012 mit, hat Griechenland seit Beginn der Krise nun den fünften Ministerpräsidenten. Keine der drei Wahlen in diesem Zeitraum wurde turnusgemäß durchgeführt.

Deutlich anders waren die Verhältnisse in Irland. Zwar kam es auch hier zu einem Regierungswechsel während der Krise, doch war diese an turnusmäßige Wahlen gekoppelt. Zudem hatten die Wahlen nicht den Charakter, die Konsolidierungsmaßnahmen grundsätzlich infrage zu stellen. In Portugal wurde während der Krise 2011 vorgezogen gewählt, weil der damals amtierende Ministerpräsident für die Konsolidierungspolitik keine Mehrheit in der eigenen Partei fand. Allerdings befürwortete die führende Oppositionspartei grundsätzlich die Konsolidierungspolitik, sodass es zwar mehr politische Spannungen gab als in Irland, aber die Wahlen die grundsätzliche Orientierung der Politik nicht infrage stellten. Dies spiegelt sich vermutlich auch in der verglichen mit Griechenland deutlich geringeren Volatilität an den Anleihenmärkten im Nachgang der Wahlen wider, die z.B. anhand quadrierter Tagesrenditen gemessen werden kann (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Quadrierte Tagesrenditen von Staatsanleihen
Zehnjährige Restlaufzeit
  Griechenland Portugal Irland
Durchschnitt 2010 bis 2015 5,30 1,27 0,54
Drei Folgetage nach Wahlen 39,89 0,09 0,05
Verhältnis 7,52 0,07 0,10

Quelle: Thomsen Reuters Datastream; eigene Berechnungen.

Griechenland war somit im Hinblick auf die Konsolidierungspolitik mit Abstand das instabilste der drei Länder. Da weite Teile der Gesellschaft und viele der politischen Parteien den Anpassungsprogrammen mit großer Skepsis gegenüberstanden, bestand großer Zweifel über deren Fortgang. Diese fehlende „Ownership“ in Griechenland dürfte jedoch nicht nur Zweifel an dem Fortgang der Anpassungsprogramme, sondern auch Zweifel an der wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere am Verbleib in der Währungsunion induziert haben. Politische Unsicherheit wirkt schon für sich genommen typischerweise negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung.5 Im Falle Griechenlands dürfte dieser Effekt besonders ausgeprägt gewesen sein, da der Nexus zwischen Reformprogramm und Verbleib im Währungsraum zusätzlich noch latente Wechselkursrisiken provoziert haben dürfte.

Waren die Fiskalmultiplikatoren falsch?

Blanchard und Leigh6 haben auf eine mögliche Fehleinschätzung der Fiskalmultiplikatoren in den Prognosen des IWF in der europäischen Schuldenkrise hingewiesen. In ihrer Arbeit wurde der Prognosefehler des BIP der Jahre 2010 und 2011 in den IWF-Prognosen für europäische Länder auf die jeweils zuvor erwarteten Veränderungen des strukturellen Budgetsaldos regressiert. Die Prognosefehler korrelieren stark negativ mit den erwarteten Veränderungen des strukturellen Budgetsaldos, woraus die Autoren ableiten, dass die Fiskalmultiplikatoren unterschätzt wurden und Verbesserungen des strukturellen Budgetsaldos die Konjunktur stärker belasteten als erwartet. Die Ergebnisse erweisen sich als ausgesprochen robust gegenüber einer Vielzahl von Kontrollvariablen und Varianten. Allerdings existiert dieser Zusammenhang nur in dem genannten Zeitraum und nur für Europa. Für andere Zeiträume und für andere Ländergruppen liegen entweder schwächere oder gar keine Korrelationen vor. Dies deutet darauf hin, dass es sich um ein Artefakt handeln könnte.7

Tatsächlich werden diese Ergebnisse mit Blick auf den Euroraum vor allem von zwei Beobachtungen getrieben, nämlich für Griechenland und Deutschland, wobei übrigens die für Deutschland prognostizierte Verschlechterung des strukturellen Budgetdefizits gar nicht eingetreten ist. Ohne diese Beobachtungen verringert sich die Korrelation zwischen erwarteter Budgetsaldoveränderung und Prognosefehler erheblich. In der Ausgangsspezifikation für den gesamten Euroraum nimmt der Absolutwert des geschätzten Steigungskoeffizienten der Regressionsgeraden einen Wert über eins an und das R2 beträgt rund 0,7 (vgl. Abbildung 2). Betrachtet man hingegen nur die Beobachtungen ohne Griechenland und Deutschland, sinkt der Absolutwert des geschätzten Steigungskoeffizienten der Regressionsgeraden auf etwas über 0,5, während das Bestimmtheitsmaß R2 auf unter 0,3 sinkt.

Abbildung 2
Prognostizierte Veränderung des strukturellen Defizits und BIP-Prognosefehler

31905.png

y = kumulierter BIP-Prognosefehler des IWF für 2010 und 2011.
x = prognostizierte Veränderung des strukturellen Defizits im gleichen Zeitraum.

Quelle: eigene Berechnungen.

Betrachtet man die drei Länder mit Anpassungsprogrammen genauer, zeigt sich, dass in der Tat für Griechenland eine starke Reduktion des strukturellen Budgets prognostiziert war, um 5,3 Prozentpunkte, und zugleich die BIP-Entwicklung stark überschätzt wurde, nämlich um über 7 Prozentpunkte (Verhältniswert: -1,35). Für Portugal wurde eine Verbesserung des strukturellen Budgets von 1,3 Prozentpunkten erwartet und das BIP um 1,2 Prozentpunkte überschätzt (Verhältniswert: -0,95). Schließlich wurde für Irland eine Verbesserung des strukturellen Budgetsaldos um 3,2 Prozentpunkte prognostiziert, während sich die Prognose des BIP sogar als leicht zu pessimistisch herausstellte (Verhältniswert: 0,09). Der Zusammenhang zwischen Budgetkonsolidierung und Fehlprognosen ist folglich unter den Ländern mit Anpassungsprogrammen nicht eindeutig. Möglich ist, dass Irland stärker vom Aufschwung des Welthandels profitieren konnte als die beiden anderen Länder. Bemerkenswert bleibt aber, dass zumindest die Reihenfolge der Verhältniswerte mit der politischen Stabilität korrespondiert.

Die Vermutung liegt nahe, dass die vermeintliche Fehleinschätzung des Fiskalmultiplikators, wie Blanchard und Leigh sie schätzen, zumindest teilweise auf nicht antizipierte politische Unsicherheitsschocks zurückgeht. Es erscheint naheliegend, dass politische Unsicherheitsschocks mit der Intensität der Konsolidierungsmaßnahmen korrelieren. Schließlich wird mangelnde Reformakzeptanz vermutlich erst dann offenbar, wenn solche Maßnahmen durchgeführt werden bzw. werden sollen. Zudem ist denkbar, dass auch die Reformakzeptanz selbst von der Intensität der Konsolidierungsmaßnahmen abhängt.

Die Krise in Griechenland 2014/2015

Griechenland stand 2014 vor der konjunkturellen Wende (vgl. Abbildung 3). Viele Konjunkturindikatoren deuteten auf eine merkliche Besserung der Lage 2014 hin. Zugleich hatte der griechische Staat im Verlauf des Jahres 2014 zweimal erfolgreich Anleihen am privaten Kapitalmarkt platziert. Auch wenn das Volumen der zweiten Anleiheauktion im Juli hinter den Erwartungen zurückblieb, lag die Verzinsung mit 3,5% bei zweijähriger Laufzeit in einem moderaten Bereich. Von Juli bis September hatte sich die Stimmung am Sekundärmarkt zudem verbessert, sodass ein planmäßiger Abschluss des zweiten Anpassungsprogramms im Spätsommer des Jahres 2014 denkbar erschien.

Abbildung 3
Indikatoren für die Entwicklung Griechenlands

31915.png

Durch die politische Instabilität hat sich der Ausblick Ende des vergangenen Jahres deutlich eingetrübt. Die Situation auf den Sekundärmärkten griechischer Staatsanleihen verschlechterte sich bereits ab Oktober 2014 (vgl. Abbildung 3). Als dann deutlicher absehbar wurde, dass der Verlauf der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2014 Neuwahlen des Parlaments nach sich ziehen könnte, trübte sich auch die Stimmung vor allem der Verbraucher und Unternehmen ein, die in den Monaten zuvor deutlich zugelegt hatte (Abbildung 3 Mitte). Zwar erholte sich die Verbraucherstimmung kurzzeitig im Februar, sodass der ESI-Indikator leicht zulegte, doch sank die Stimmung auf Seiten der Industrie weiter (IC-Indikator). Beide Indikatoren ließen in den Folgemonaten weiter nach. Zudem setzte im Dezember 2014 erneut eine Liquiditätsflucht aus Griechenland ein, die sich ausweislich der Target2-Salden im Januar 2015 spürbar verschärfte.

Der Verlauf der Krise in den jüngsten Monaten belegt die Bedeutung politischer Stabilität für das Vertrauen der Kapitalmärkte, aber auch der Konsumenten und Unternehmen. Die Zuspitzung der Krise ist schwerlich auf die Auswirkungen unerwarteter intensiver Konsolidierungsmaßnahmen zurückzuführen, sondern vermutlich auf die Unsicherheit über die politische Zukunft Griechenlands. Die Frage nach dem Verbleib im Euroraum wurde bereits im Winter 2014 im Zuge der Neuwahldebatte intensiv diskutiert und hat sich bis in den Sommer 2015 zugespitzt.

Fazit

Die Ursachen dafür, dass die Anpassungsprogramme für Griechenland gescheitert sind bzw. immer wieder deutlich nachgearbeitet werden mussten, während es im Falle Irlands nahezu planmäßig und im Falle Portugals zwar mit Revisionen, aber insgesamt erfolgreich ablaufen konnte, dürften vielfältig sein. Die Länder sind in ihren Wirtschaftsstrukturen sehr verschieden, ebenso gibt es deutliche Unterschiede in den Ausprägungen der Krise. Eine grundsätzlich falsche Einschätzung des Fiskalmultiplikators durch die Institutionen dürfte hingegen nicht ursächlich sein. Vielmehr ist in den Blick zu nehmen, dass die Krisenbewältigung in den Ländern vor sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Hintergründen stattfand. Während die Konsolidierungsmaßnahmen z.B. in Irland von einer breiten politischen Mehrheit getragen wurden und es keine größeren politischen Verwerfungen gab, wechselte in Griechenland der Ministerpräsident im Verlauf der Anpassungsprogramme mehrfach. Es gab Massenproteste und Generalstreiks. Die Zustimmung zu den Anpassungsprogrammen war in Griechenland zumeist mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Diese mangelnde „Ownership“ in Griechenland dürfte, nicht zuletzt wegen der Verquickung des Erfolgs der Anpassungsprogramme mit dem Risiko, den Währungsraum zu verlassen, die wirtschaftliche Erholung stark belastet haben.

Nicht auszuschließen ist allerdings, dass „Ownership“ selber endogen ist: Der Umfang eines Anpassungsprogramms kann die „Ownership“ negativ beeinflussen, sodass Erfolge ausbleiben. Der ausbleibende Erfolg beeinträchtigt wiederum die „Ownership“ zusätzlich, woraus sich weitere Zielverfehlungen ergeben. Dies erzwingt gleichzeitig eine Programmverlängerung und -verschärfung. Griechenland könnte hierfür einen Hinweis geben, schließlich wurde nicht gleich nach Beginn der Anpassungsprogramme eine Regierung gewählt, die diese ablehnt und die Ablehnung auch klar gegenüber den Geldgebern artikuliert, sondern die Mehrheiten haben sich erst im Verlauf der Ereignisse entsprechend verschoben.

Was kann man für die Architektur der Rettungsschirme im Euroraum schlussfolgern? Die Frage der „Ownership“ und die Bedeutung politischer Stabilität für die wirtschaftliche Dynamik dürfte das Problem des „moral hazard“ für Finanzhilfen im Euroraum relativieren, da der Anreiz für eine Regierung gering sein dürfte, auf eine so instabile Situation hinzulenken, die ein Anpassungsprogramm mit dem damit verbundenen Verlust an nationaler Souveränität erfordert.8 Vielmehr stellt sich die Frage, ob „Ownership“ vorausgesehen werden kann. Eine hohe „Ownership“ würde die Wahrscheinlichkeit des Programmerfolgs erhöhen und die Geldgeber müssten die Reformmaßnahmen weniger streng überwachen.9 Es ist allerdings fraglich, ob zum einen „Ownership“ hinreichend gut vorhergesehen werden kann und ob zum anderen eine Prognose der „Ownership“ hinreichend objektivierbar ist, um schwerwiegende Entscheidungen in einem Staatenverbund darauf aufbauen zu können.

Es dürfte also nicht operational sein, die Rettungsschirme nur konditional bei gegebener „Ownership“ agieren zu lassen – auch wenn dies vielleicht wünschenswert wäre. Wenn Zuspitzungen wie derzeit in Griechenland verhindert werden sollen, stellt sich folglich die Frage, ob die Rettungsschirme überhaupt zum Schutz von Altgläubigern hohe Kredite an Staaten vergeben sollten. Wesentliches Motiv, die Altgläubiger zu schützen, war 2010 die Sorge um die Finanzstabilität. Sofern es gelingt, z.B. im Rahmen der entstehenden Bankenunion durch entsprechende Haftungsregeln im Bankensektor und einer koordinierten Bankenaufsicht,10 die Folgen einer Staatsinsolvenz für das Geldsystem auf nicht mehr systemgefährdendes Maß zu minimieren, dürfte es vertretbar werden, zum einen gleich zu Beginn der Schuldenkrise einen Schuldenschnitt gegenüber privaten Gläubigern durchzuführen und zum anderen die Rettungsschirme zielgenauer zum Schutz der Finanzstabilität – nämlich vordringlich als Bankenrettungs- oder -abwicklungsfonds – einzusetzen. Dadurch würden die Risiken für die öffentlichen Gläubiger reduziert und die Rettungsschirme hätten dann als „zu Rettende“ nicht mehr souveräne Staaten vor sich, sondern nunmehr private Banken. Die von der Staatsinsolvenz betroffenen Staaten wiederum müssten dann eigenständig Maßnahmen ergreifen, um ihre Haushalte auszugleichen.11 Die öffentlichen Gläubiger müssten ihrerseits nicht mehr von außen auf Konsolidierungsmaßnahmen und deren Einhaltung drängen, da sie sich nicht mehr in erheblichem Ausmaß engagieren würden. Die Frage der „Ownership“ würde sich nicht mehr stellen.


Die Autoren danken Salomon Fiedler, Klaus-Jürgen Gern, Henning Klodt und Stefan Kooths für hilfreiche Hinweise und wertvolle Diskussionen.

  • 1 Vgl. S. Khan, M. S. Sharam: IMF Conditionality and Country Ownership of Programs, IMF Working Paper, Nr. 01/142, Kiel 2001.
  • 2 G. Bird, T. D. Willett: IMF Conditionality, Implementation and the New Political Economy of Ownership, in: Comparative Economic Studies, 46. Jg. (2004), H. 3, S. 423-450.
  • 3 O. Blanchard, D. Leigh: Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers, in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 3, S. 117-120.
  • 4 Irland hatte und hat eine vergleichsweise starke außenwirtschaftliche Verflechtung. Die wirtschaftliche Aktivität konnte dadurch deutlich schneller positiv auf reale Abwertungen reagieren.
  • 5 Vgl. N. Bloom: The Impact of Uncertainty Shocks, in: Econometrica, 77. Jg. (2009), H. 3, S. 623-685.
  • 6 Vgl. O. Blanchard, D. Leigh, a.a.O.
  • 7 Europäische Kommission: European Economic Forecast – Autumn 2012, European Economy, Nr. 7, 2012; J. Boysen-Hogrefe et al.: Weltkonjunktur kommt nur allmählich in Schwung, in: Weltkonjunktur und deutsche Konjunktur im Sommer 2013, Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 524/525, Kasten 2.
  • 8 Vgl. auch J. Boysen-Hogrefe: Für einen Schuldenschnitt und gegen den Rettungsschirm? Argumente auf dem Prüfstand, Kiel Policy Brief, Nr. 29 (2011).
  • 9 A. H. Meltzer: The Report of the International Financial Institution Advisory Commission, Report to the US Congress chaired by A.H. Meltzer, 2000.
  • 10 Vgl. hierzu: D. Snower et al.: Kieler Krisen-Kompass: Ein Gesamtpaket zur Überwindung der Krise im Euroraum, Kiel Policy Brief, Nr. 58 (2013).
  • 11 Neben der Funktion als Bankenrettungs- und -abwicklungsfonds könnten die Rettungsschirme hier vorübergehend die Haushaltslage der von der Staatsinsolvenz betroffenen Staaten stützen, insbesondere um der Situation zu begegnen, dass vorübergehend der Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten ist, vgl. die von Sinn und Carstensen diskutierten Kassenverstärkungskredite: H.-W. Sinn, K. Carstensen: Ein Krisenmechanismus für die Eurozone, in: Ifo Schnelldienst, Sonderausgabe 2010. Die daraus resultierenden Risiken für die öffentlichen Gläubiger dürften vergleichsweise gering sein, schließlich wurden in den aktuellen Programmen nur kleinere Anteile der Kredite für die laufenden Staatsausgaben aufgewendet, also zur Übergangsfinanzierung von laufenden Budgetdefiziten.

Title:Rescue Programmes and “Ownership” – a Comparison of Ireland, Portugal and Greece

Abstract:While euro area adjustment programmes in Ireland and Portugal were successfully completed – more or less in accordance with projections – the second adjustment programme for Greece failed, with substantial deviations between target figures and economic reality. To determine causes for the success or failure of adjustment programmes, the authors compare the three countries with regard to the economic and political environment, programme intensity and “ownership”. They also discuss the role of political uncertainty in the widely discussed under-estimation of fiscal multipliers and in the Greek crisis of 2015. Finally, the authors address possible implications for the future design of rescue mechanisms in the euro area.


DOI: 10.1007/s10273-015-1862-3

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.