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Im Juliheft 2015 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz von Henning Klodt und Stefanie Lang zum Treaty Shopping. Sebastian Dullien weist auf eine seiner Auffassung nach fehlerhafte Darstellung des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen Deutschland und Pakistan aus dem Jahre 1959 hin und die Autoren erläutern ihren Standpunkt in einer Erwiderung.

Treaty Shopping beim Investorenschutz – eine Replik

Von Sebastian Dullien

Henning Klodt und Stefanie Lang analysierten die Problematik der Standortgestaltung bei internationalen Investorenschutzabkommen mit Investoren-Staats-Schlichtungsmechanismen (ISDS).1 Dabei zeigten sie überzeugend eine Reihe von Problemen auf, für die sie Reformbedarf feststellen.

Jenseits dieser sehr wertvollen und interessanten Forschung findet sich aber in dem Beitrag leider auch die Wiederholung eines bereits ohnehin weit verbreiteten Irrtums über die Ursprünge des ISDS. So behaupten Klodt und Lang mit Verweis auf einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung, der erste Vertrag der Welt mit einem solchen ISDS-Mechanismus sei ein bilaterales Investitionsschutzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan aus dem Jahre 1959. Anhand dieses Abkommens erläutern die beiden Autoren, wie der ISDS-Mechanismus funktioniert und wie wichtig er für internationale Direktinvestitionen in Länder mit fragwürdiger Rechtsstaatlichkeit sei. „Ohne einen solchen Vertrag hätten Siemens et al. vermutlich erst gar nicht in Pakistan investiert“2, heißt es in ihrem Beitrag.

Tatsächlich aber enthält das Investitionsschutzabkommen zwischen Pakistan und Deutschland aus dem Jahr 1959 gerade kein Investoren-Staats-Schlichtungsverfahren. Stattdessen heißt es in Artikel 11 des Vertrages: „(1) Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder die Anwendung dieses Vertrages nehmen die Parteien zur Herbeiführung einer Lösung in freundschaftlichem Geist Konsultationen auf. (2) Kann eine Lösung nicht erzielt werden, so wird die Meinungsverschiedenheit, (a) wenn beide Parteien damit einverstanden sind, dem Internationalen Gerichtshof, (b) anderenfalls auf Antrag einer Partei einem Schiedsgericht unterbreitet [Kursivsetzung durch den Autor].“3 In Artikel 1 des Abkommens wird zudem „Partei“ als „Vertragsstaat“ definiert.

Mit anderen Worten: In dem deutsch-pakistanischen Investitionsschutzabkommen findet sich ein Staats-Staats-Schlichtungsmechanismus, gerade aber kein Investor-Staats-Schlichtungsmechanismus.4 Gerade die weit kritisierte Möglichkeit, dass ein Investor, der sich vermeintlich durch neue Regulierungen geschädigt fühlt, selbständig gegen die ausländische Regierung vorgehen und dabei auch durchaus fragwürdige Forderungen vorbringen kann, ist in dem deutsch-pakistanischen Abkommen nicht gegeben. Alle Dispute müssen über die beteiligten Regierungen ausgetragen werden. Exzesse, wie sie zuletzt für den ISDS-Mechanismus kritisiert wurden, wie etwa die Klage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen die Regierung Australiens, die mit einem Gesetz die Verwendung von Tabaklogos auf Zigarettenpackungen untersagt hatte, wären mit einer solchen Regel höchstwahrscheinlich nie vor einem Tribunal gelandet, weil man sich kaum vorstellen könnte, dass sich die US-Regierung derart zum Handlager der Tabakkonzerne hätte machen lassen.

Nun könnte man meinen, dass dies eine kleine Ungenauigkeit und deshalb nebensächlich sei. Allerdings wird der deutsch-pakistanische Vertrag mit den vermeintlichen ISDS-Klauseln in der aktuellen politischen Debatte immer wieder als Verteidigung solcher ISDS-Klauseln für das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP herangeführt. So wird mit Verweis auf das Abkommen gerne argumentiert, dass es ISDS-Verträge seit Jahrzehnten gäbe, ohne dass es größere Probleme mit ihrer Anwendung gegeben habe. Auch wird mit Verweis auf den vermeintlich deutschen Ursprung des ISDS-Mechanismus versucht, der Kritik aus Deutschland an solchen Abkommen die Legitimation zu entziehen. So kommentierte der portugiesische Europa-Staatssekretär Bruno Maçães deutsche Wünsche nach Nachbesserungen an den ISDS-Regeln im EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA mit den Worten, er sei „überrascht, wenn Länder, die ISDS erfunden haben, es nun als böse ansehen“5.Die seriöse wissenschaftliche Literatur zu dem Thema ist sich nicht einig, welcher bilaterale Vertrag tatsächlich erstmalig ISDS-Klauseln enthielt. Unumstritten ist allerdings, dass es zu einer weiten Verbreitung nach der Aufnahme entsprechender Klauseln in das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Mexiko und Kanada Anfang der 1990er Jahre gekommen ist. Allerdings häufen sich seitdem auch die Probleme mit solchen Abkommen. Angesichts der gesamten Stoßrichtung des Beitrags von Henning Klodt und Stefanie Lang sollte man den beiden Autoren nicht den Versuch der Argumentation mit unlauteren Motiven unterstellen. Sie sind wohl Opfer einer Fehlinformation aus der Süddeutschen Zeitung geworden und haben nur ungewollt zur Verbreitung beigetragen. Allerdings sollte dieser Fall eine Lehre sein, dass auch Ökonomen gelegentlich gut beraten wären, rechtliche Originaltexte zu Rate zu ziehen.

  • 1 H. Klodt, S. Lang: Treaty Shopping beim Investorenschutz, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015) H. 7, S. 482-486, http://www.wirtschaftsdienst.eu/archiv/jahr/2015/7/treaty-shopping-beim-investorenschutz/ (3.8.2015).
  • 2 Ebenda, S. 483.
  • 3 Aus: „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan zur Förderung und zum Schutz von Kapitalanlagen“, unterzeichnet am 25.11.1959. Der deutsche Volltext des Vertrages lässt sich einsehen in der Veröffentlichung Nations Unies – Recueil des Traités, 1963, S. 24-43.
  • 4 Siehe hierzu auch Europäische Kommission: Investor-State Dispute Settlement Provisions in the EU’s International Investment Agreements, Vol. 2 – Studies, EXPO/B/INTA/2014/08-09-10, Brüssel 2014, S. 81.
  • 5 F. Bermingham: TTIP: Germany Accused of Hypocrisy over Opposition to ISDS Clause, in: International Business Times, 6.11.2014, http://www.ibtimes.co.uk/ttip-germany-accused-hypocrisy-over-opposition-isds-clause-1473566 (23.7.2015).

Treaty Shopping beim Investorenschutz – eine Erwiderung

Von Henning Klodt, Stefanie Lang

Der von uns erwähnte Vertrag zwischen Pakistan und Deutschland aus dem Jahr 1959 war allen verfügbaren Quellen zufolge tatsächlich der erste internationale Vertrag, in dem es um den Schutz privater Investoren vor willkürlicher Behandlung durch Staaten, in denen sie ihre Direktinvestitionen tätigen, geht. Auch die Regelung, dass derartige Streitigkeiten vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen werden können, ist dort bereits enthalten. Wir hatten die Vermutung geäußert, dass die Bereitschaft deutscher Investoren, ihr Kapital nach Pakistan zu bringen, durch diesen Vertrag vermutlich befördert worden ist. Daraus hatten wir abgeleitet, Investorenschutz sei nicht nur für die Unternehmen aus den Herkunftsländern von Direktinvestitionen vorteilhaft, sondern auch für die Gastländer der Direktinvestitionen. „Ohne einen solchen Vertrag hätten Siemens et al. vermutlich erst gar nicht in Pakistan investiert“1, hatten wir in unserem Beitrag geschrieben, und diese Aussage halten wir nach wie vor für plausibel.

Sebastian Dullien weist zutreffend darauf hin, dass in diesem „Stammvater aller Investorenschutzverträge“ nicht Unternehmen, sondern nur Staaten klageberechtigt waren. Insofern handelte es sich damals noch nicht um ein ISDS (Investor State Dispute Settlement), sondern sozusagen um ein SSDS (State State Dispute Settlement). Für diesen klärenden Hinweis danken wir.

Wir möchten Dulliens Hinweis zum Anlass für die Frage nehmen, ob es vielleicht eine gute Idee sein könnte, im Rahmen des TTIP und anderer internationaler Verträge zu SSDS zurückzukehren. Gar so abwegig ist diese Idee nicht, denn auch im Rahmen der langjährig erprobten Streitschlichtung im Rahmen der WTO sind nur Staaten und nicht Unternehmen klageberechtigt. Solch eine Regel könnte durchaus zu einem deutlichen Rückgang internationaler Streitverfahren beitragen. Dem steht allerdings der gewichtige Einwand entgegen, dass Fragen von Recht und Gesetz nahezu zwangsläufig in ein politisches Abwägungskalkül hineingezogen würden. Ob damit der Rechtsfindung tatsächlich gedient wäre oder ob der Investorenschutz auf diese Weise eher zum wohlfeilen Tauschobjekt im Kuhhandel der internationalen Diplomatie würde, mag jeder für sich beantworten.

Dullien teilt offenbar unsere Einschätzung, nach der es in jüngerer Zeit zu einem zunehmenden Missbrauch durch internationale Konzerne gekommen ist – unter anderem durch das von uns thematisierte „Treaty Shopping“. Als Auslöser dafür sieht er nicht zuletzt den NAFTA-Vertrag zwischen Kanada, den USA und Mexiko, der 1994 in Kraft getreten ist. Für seine Vermutung spricht sicherlich das unverkennbare Bestreben der US-Seite, im TTIP-Vertrag mit der Europäischen Union ein ISDS nach ihrem Gusto zu verankern. Wir haben allerdings bei unserem (nicht repräsentativen) Stöbern in den Prozessakten vieler ISDS-Verfahren keine Hinweise dafür gefunden, dass das Treaty Shopping unter dem NAFTA-Regime bisher besonders ausgeprägt war. Tatsächlich konnten wir nur einen einschlägigen Fall identifizieren, und zwar die Klage der US-amerikanischen Tochter des kanadischen Rohstoffunternehmens Lone ­Pine gegen Kanada. Ganz vorn beim Treaty Shopping steht nach unseren Recherchen die Internationale Energiecharta, die ursprünglich darauf abzielte, die osteuropäische Energiewirtschaft für westeuropäische Investoren attraktiv zu machen, die mittlerweile aber für manche geradezu skurrile Klagebegehren herhalten muss.

Insgesamt halten wir nach wie vor den internationalen Investorenschutz für eine sinnvolle Institution, die aber dringend der Fortentwicklung bedarf. Damit der Investorenschutz reifer und erwachsener werden kann, müssen die Unwägbarkeiten der Schiedssprüche dringend reduziert werden. Dafür bedarf es nicht nur der Einführung einer Revisionsinstanz, sondern auch einer größeren Kontinuität in der personellen Besetzung der Gerichte und ihrer Rechtsprechung zur Fortentwicklung des internationalen Investitionsrechts. Wir haben uns dabei für die Errichtung eines Internationalen Investitionsgerichtshofs ausgesprochen, aber es gäbe sicherlich auch andere institutionelle Arrangements, mit denen man dem anvisierten Ziel näherkommen könnte. Freuen wir uns auf die Fortsetzung der Debatte.

Title:Treaty Shopping in Investor-State Dispute Settlements – Reply and Response

Abstract:Reply: The article by Klodt and Lang uses the Germany-Pakistan bilateral investment treaty from 1959 as an example of a treaty with investor-state dispute settlement (ISDS) provisions. Dullien insists that this treaty only contains a state-state-dispute settlement provision. Response: Klodt and Lang repeat that the above-mentioned treaty is the first to treat investment matters, but they concede that it is more of a state-state-dispute settlement process. They cast doubts on the preferability of such settlements.


DOI: 10.1007/s10273-015-1868-x

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