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Das Jahr 2015 war weltwirtschaftlich und weltpolitisch ein schwieriges Jahr. Der selbsttragende, investitionsgetriebene Aufschwung, der die Weltwirtschaft endgültig aus der Krise führen sollte, ist ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Weltwirtschaft bleibt angesichts der tiefgreifenden Unsicherheit weiter sehr fragil und verwundbar gegenüber unerwarteten Ereignissen. Ob Griechenland, China, Russland, der Ölpreisverfall, die Flüchtlingskrise oder die Terroranschläge: Das Jahr hat viele Ereignisse gebracht, die Politik und Märkte gleichermaßen in Atem gehalten haben. Angesichts dieser Häufung von Krisen und Konflikten stellt sich die Frage, ob es sich lediglich um eine zufällige Koinzidenz handelt oder ob alle diese Ereignisse eine gemeinsame tiefere Ursache haben.

Nach den Jahren der Globalisierung und der weltweiten Finanzkrise 2008 ist die Welt erkennbar in Unordnung geraten. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass sieben Jahre nach der Finanz- und Wirtschaftskrise viele der geopolitischen Konflikte und ökonomischen Ungleichgewichte von der Politik nicht hinreichend adressiert worden sind. Die Märkte haben im vergangenen Jahr viele der politisch und ökonomisch ungelösten Probleme getestet, Anpassungsbedarf offengelegt, Erwartungen korrigiert. Die Unsicherheit über den fudamentalen Zustand der Weltwirtschaft aber ist geblieben und hat eine enorme Volatilität erzeugt. Vor diesem Hintergrund wird 2016 ein richtungsweisendes Jahr: Werden mit Reformen, Konsolidierung und Investitionen strukturelle Ungleichgewichte abgebaut und die Grundlagen für zukünftiges Wachstum der Weltwirtschaft gelegt oder treibt die Weltwirtschaft in Unsicherheit, Renationalisierung und Protektionismus? Im Blickpunkt 2016 werden die USA mit der Zinswende und den Wahlen, Europa mit einem möglichen „Brexit“ und vor allem die Schwellenländer stehen.

Abbildung 1
Leitzinsen in den USA, 2006-2015
in %
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Quelle: Macrobond, HWWI (2015).

Mit der ersten Erhöhung der Leitzinsen in den USA seit fast zehn Jahren (vgl. Abbildung 1) hat die US-Notenbank, die Federal Reserve (Fed), gewissermaßen das „offizielle“ Ende der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise markiert – zumindest für die größte und wichtigste Volkswirtschaft der Welt, von der vor mehr als sieben Jahren mit dem Platzen der Immobilienblase und der Insolvenz von Lehman Brothers die globale Finanzkrise ausging. Im Jahresverlauf kam es an den Märkten vielfach zu Turbulenzen, die den lange angekündigten und erwarteten Ausstieg der Fed aus der Krisenpolitik immer wieder aufgeschoben haben. Zu fragil war die Lage der Weltwirtschaft angesichts der Griechenland-Krise oder der deutlichen Wachstumsverlangsamung in China. Schließlich aber zeigte sich zum Jahresende die US-Wirtschaft in einer so robusten Verfassung, dass der schon Ende 2014 erwartete Zinsschritt schließlich von der Fed vollzogen worden ist, letztlich auch, um die Glaubwürdigkeit ihrer Kommunikationsstrategie zu schützen.

Neuer Wachstumspfad?

Weltzinsniveau und Zinsstruktur richten sich typischerweise nach den US-Zinsen als Referenzwert für sämtliche Anlageklassen, da die USA als größte Volkswirtschaft mit dem US-Dollar als Hauptreservewährung maßgeblich die globalen Finanzmärkte bestimmen. Alle anderen Länder müssen einen Aufschlag auf die US-Zinsen zahlen, um Kapital anzuziehen. Die weltweiten Kapitalströme könnten sich mit der US-Zinswende nach Richtung, Umfang und Struktur verschieben, zum Teil sogar umkehren, was besonders für einige Schwellenländer, gerade die rohstoffreichen Länder, die unter dem Preisverfall von Energie- und Industrierohstoffe 2015 stark gelitten haben und ihr Leistungsbilanzdefizit durch kurzfristige Kapitalimporte finanzieren müssen, ein Problem darstellen würde. Angesichts der nach wie vor fragilen Weltwirtschaft und auch vor dem Hintergrund der im November 2016 anstehenden US-Wahl wird die Fed die Zinswende in diesem Jahr sehr vorsichtig vollziehen, voraussichtlich mit einem, maximal zwei weiteren Zinsschritten.

In der Eurozone hat EZB-Präsident Mario Draghi zwar das Ankaufprogramm verlängert, jedoch in geringerem Ausmaß, als dies von den Märkten erwartet worden war. Insoweit ist für den Jahresverlauf 2016 eine geringere geldpolitische und konjunkturelle Entkopplung zwischen den USA und der Eurozone zu erwarten, als dies bislang angenommen worden war. Auch wenn die ökonomischen, politischen und institutionellen Ursachen der Eurokrise nach wie vor nicht gelöst sind, besteht dennoch die Hoffnung, dass sich mit dem aufkommenden Wachstum in den Krisenländern die Eurozone in diesem Jahr stabiler zeigt. Das größte Risiko kommt von einem Land, das kein Mitglied der Eurozone ist: Großbritannien. Ein möglicher „Brexit“ könnte die Fliehkräfte in Europa angesichts von Schulden- und Flüchtlingskrise weiter verstärken und die politische Balance innerhalb Europas verschieben.

2015 sind viele Schwellenländer, darunter vor allem China, Russland und Brasilien, in zum Teil große Probleme geraten, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Vor allem von den Schwellenländern gehen auch in diesem Jahr die größten Risiken für die Weltwirtschaft aus. Zwar haben die Märkte ihre Wachstumserwartungen für viele Schwellenländer schon 2015 nach unten korrigiert, von Russland oder Brasilien drohen aber weiterhin negative Überraschungen (vgl. Abbildung 2). Neben den zyklischen Wachstumsabschwächungen existieren in diesen Ländern erhebliche strukturelle Probleme. Institutionelle Reformen stehen ebenso an wie Investitionen in Forschung und Entwicklung zur Erschließung neuer Quellen wirtschaftlichen Wachstums.

Abbildung 2
BIP-Wachstum: Welt und Schwellenländer
konstante Preise, Jahresrate in %
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Quelle: IMF: World Economic Outlook, HWWI.

Nach dem unruhigen Jahr 2015 ist das Jahr 2016 ein wichtiges Jahr für den Übergang der Weltwirtschaft aus der Krise auf einen neuen langfristigen Wachstumspfad. Die strukturellen Probleme und ökonomischen Ungleichgewichte müssen gelöst bzw. abgebaut werden, um für eine höhere private Investitionstätigkeit die erforderliche fundamentale Orientierung zu geben. Weltweit haben Zentralbanken die Zinsen gesenkt, um die Kosten der Krise zu strecken und um Zeit für strukturelle Reformen zu gewinnen. „Zeit“ ist indes so günstig geworden, dass strukturelle Reformen und notwendige Marktbereinigungen weiter in die Zukunft verschoben worden sind. Auf diese Weise bläht die Geldpolitik geplatzte Blasen nur wieder auf und erzeugt damit zukünftig weiteren Korrekturbedarf.

Die Kombination aus Schuldenüberhang und Nullzinspolitik bzw. die fehlende Koordination von Geld- und Fiskalpolitik verzerrt die geldpolitische Transmission und lenkt die Liquidität in Vermögenspreise, nicht in kreditfinanzierte Investitionen. Die geringe private und öffentliche Investitionstätigkeit schwächt derweil kurzfristig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und mittelfristig das Potenzialwachstum der Weltwirtschaft. Der Internationale Währungsfonds warnt vor diesem Hintergrund vor einer säkularen Stagnation, einer längeren Periode niedrigen Wachstums, und fordert Investitionen in „high-quality“ Infrastruktur. Investitionsbedarf gäbe es indes genügend: in digitale ebenso wie in Verkehrsinfrastruktur, in Umwelt- und Klimatechnologie ebenso wie in Bildung und Forschung. Die Klimaverhandlungen von Paris könnten – jenseits der Implementierung von Instrumenten – vor allem für private Investitionen in Nachhaltigkeit und einen neuen Technologiepfad ein wichtiges Signal sein.

Alles in allem kann 2016 ein ruhigeres, weniger volatiles Jahr für die Weltwirtschaft werden als 2015, wenngleich bei weiterhin sehr moderatem Wachstum. Nach den Turbulenzen des vergangenen Jahres scheinen die Risiken kalkulierbarer geworden zu sein. Die Politik muss 2016 weiter die strukturellen Probleme angehen, aus dem Krisenmanagement allmählich aussteigen, realwirtschaftliche Orientierung zurückgeben und so die seit 2008 existierende weltweite Vertrauenskrise zugunsten eines globalen Aufschwungs beenden.


DOI: 10.1007/s10273-016-1929-9