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Auf der wirtschaftspolitischen Agenda steht aktuell die Frage, wie die nationale Regionalpolitik nach dem Auslaufen des Solidarpakts II nach 2019 gestaltet werden sollte. Nun wird diskutiert, wie strukturschwache Regionen ab 2020 deutschlandweit regionalpolitisch gefördert werden können. Gerade das Handwerk leistet einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in solchen Regionen und sollte zukünftig in der Regionalförderung stärker berücksichtigt werden.

Ein jüngst im Auftrag von Bund und Ländern erstelltes Gutachten schlägt die Schaffung eines umfassenden und integrierten Regionalfördersystems vor, durch das nicht Ostdeutschland speziell, sondern strukturschwache Räume im Allgemeinen in den Blick genommen würden.1 Ziel ist die Schaffung von möglichst gleichwertigen Lebensverhältnissen im ganzen Bundesgebiet. Im Mittelpunkt des Ausgleichsanliegens steht die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Dabei handelt es sich um das zentrale Instrument der Regionalpolitik in Deutschland, deren Bedeutung künftig sogar noch zunehmen könnte. Denn derzeit wird die wirtschaftsnahe GRW-Förderung mit ihrem speziellen Fokus auf strukturschwache Räume in erheblichem Maße durch die Strukturpolitik der Europäischen Union (EU) ergänzt. Da sich ein EU-Austritt Großbritanniens negativ auf den EU-Haushalt auswirken dürfte, ist nicht ausgeschlossen, dass mittel- bis längerfristig auch die Regionalförderung in Deutschland durch den „Brexit“ ungünstig beeinflusst wird – etwa, wenn die Förderfähigkeit von Regionen neubewertet wird oder eine allgemeine Senkung der verfügbaren Fördermittel, z.B. im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), erfolgt.

Das Handwerk in der bisherigen GRW-Förderung

Einen Schwerpunkt der GRW bildet die Förderung von Investitionen der gewerblichen Wirtschaft. Zentrales Kriterium ist das Vorliegen eines „Primäreffekts“, wonach nur Betriebe mit einem überregionalen Absatzradius förderfähig sind. Dies sind sie in der Regel, wenn die hergestellten Güter und erbrachten Leistungen überwiegend mindestens 50 km entfernt von der Gemeinde, in der die Betriebsstätte liegt, abgesetzt werden. Diese Bedingung beruht auf der klassischen exporttheoretischen Überlegung, dass überregional agierende Unternehmen zusätzliche Beschäftigung und zusätzliches Einkommen in ihren Standortregionen generieren und so das Gesamteinkommen im entsprechenden Fördergebiet langfristig erhöhen.2

Die GRW stellt dabei nicht zuletzt auch ein mittelstandspolitisches Förderinstrument dar, weil in der Praxis viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gefördert werden. Ihre typischen Größennachteile kommen der Annahme nach besonders in strukturschwachen Räumen zum Tragen.3 Gleichwohl ist ein bedeutendes Teilsegment des Mittelstands von der GRW-Förderung in weiten Teilen ausgeklammert: die KMU-dominierte Handwerkswirtschaft.4 In erster Linie ergibt sich dies unmittelbar aus der räumlich begrenzten Absatz­orientierung der handwerklichen KMU. 2012 waren beispielsweise gerade einmal 5,1% aller deutschen Handwerksunternehmen auf Auslandsmärkten tätig.5 Eine Auswertung des KfW-Mittelstandspanels zeigt in diesem Zusammenhang entsprechend, dass der Absatz von handwerklichen KMU weitaus stärker auf das unmittelbare regionale Umfeld konzentriert ist als im nicht-handwerklichen Teil des KMU-Sektors (vgl. Tabelle 1). Fast ausschließlich auf den Nahbereich konzentriert sind dabei die Gesundheits- und Lebensmittelhandwerke und die Handwerke für den privaten Bedarf. Aber auch im Bau- und Ausbaugewerbe, dem Kfz-Handwerk und bei den Handwerken für den gewerblichen Bedarf herrscht ein stark lokal-regionaler Absatzradius vor.6 Aufgrund dieser lokal-regionalen Verankerung der handwerklichen KMU, die sich neben der räumlich begrenzten Absatzorientierung auch in regional ausgerichteten Bezugsverflechtungen und einer häufigen Fokussierung auf regionale Ausbildungsstellen- und Arbeitsmärkte äußert, gehören damit weite Teile der Handwerkswirtschaft von vornherein nicht zur Zielgruppe der GRW.

Tabelle 1
Bedeutung des lokal-regionalen Absatzmarktes für kleine und mittlere Unternehmen1 2014
  Anteil des Unternehmensumsatzes in %, der auf das regionale Umfeld2 entfiel
KMU aus dem Handwerk 74,6 N = 4218
Nicht-handwerkliche KMU 60,8 N = 5992

1 Maximal 499 Beschäftigte (Vollzeitäquivalente) einschließlich Inhaber; differenziert nach Handwerkseigenschaft. 2 Bis ca. 50 km um den Hauptsitz des Unternehmens.

Quelle: J. Thomä: Die Rolle von Handwerksunternehmen für die volkswirtschaftlichen Funktionen des Mittelstands, Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung 11, Göttingen 2016, S. 15; auf Basis des KfW-Mittelstandspanels 2015.

Daneben betrifft die im GRW-Koordinierungsrahmen7 aufgeführte Positivliste der grundsätzlich förderfähigen Güter und Dienstleistungen zwar auch eine Reihe von Handwerkszweigen. Jedoch hängt die Investitionsförderung in der Praxis gewöhnlich von einem bestimmten Mindestinvestitionsvolumen ab, das für handwerkliche Kleinst- und Kleinbetriebe oft zu hoch ist. Daneben sind wichtige Teile der Handwerkswirtschaft entweder explizit (Mehrheit des Bau- und Ausbaugewerbes) oder de facto (Lebensmittelgewerbe)8 von der Förderung ausgeschlossen.

Räumliche Verteilung von Handwerksunternehmen

Aufgrund ihrer lokal-regionalen Verankerung sind Handwerksunternehmen in die Entwicklung von Regionen stark eingebunden, etwa indem sie regionale Ausbildungsstellenmärkte stabilisieren oder weil sie durch ihre Einbindung in regionale Innovationssysteme dynamisierend wirken. Volkswirtschaftlich betrachtet ist hierbei die breite, dezentrale Verteilung der Handwerksunternehmen im Raum entscheidend.9 Denn hierdurch sind diese überdurchschnittlich häufig auch in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen vertreten, die im besonderen Interesse der Regionalpolitik stehen. Ein Zusammenspiel von Daten der Handwerkszählung und des Unternehmensregisters mit unterschiedlichen Raumabgrenzungen auf Kreisebene erlaubt einen Abgleich der räumlichen Verteilung von Handwerks- mit der von Nicht-Handwerksunternehmen (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2
Räumliche Verteilung von Handwerks- und Nicht-Handwerksunternehmen 2013
aggregierte Daten für alle Landkreise in Deutschland in %
  Siedlungsstruktur
von Regionen1
Räumliche
Lage von Regionen2
Strukturelle
Situation von
Regionen3
Problem-
regionen
  ländlich städtisch peripher zentral überdurchschnittlich ländlich, peripher, überdurchschnittlich schrumpfend
schrumpfend wachsend
Hand- werks- unternehmen

38,3 61,7 29,3 70,7 16,7 17,9 11,0
Nicht- Hand- werks- unternehmen


28,6 71,4 21,2 78,8 10,7 22,8 6,6
Alle Unternehmen 30,1 69,9 22,4 77,6 11,6 22,2 7,3
N (Landkreise) 199 202 152 249 72 69 52

1 Siedlungsstrukturmerkmale: Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten, Einwohnerdichte der Kreisregion, Einwohnerdichte der Kreisregion ohne Berücksichtigung der Groß- und Mittelstädte. 2 Durchschnittlich erreichbare Tagesbevölkerung der Gemeinden (Bevölkerung plus Pendlersaldo). 3 Vergleich von sechs Strukturindikatoren mit entsprechendem Bundeswert im Zeitraum 2008/2009 bis 2013: Bevölkerungsentwicklung, jährlicher Wanderungssaldo, Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung, Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, Entwicklung der Arbeitslosenquote, Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen.

Quelle: J. Thomä: Die Rolle von Handwerksunternehmen für die volkswirtschaftlichen Funktionen des Mittelstands, Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung 11, Göttingen 2016, S. 16; auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts (Handwerkszählung, Unternehmensregister) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Laut Handwerkszählung des Statistischen Bundesamts gab es 2013 in Deutschland insgesamt 578 013 Handwerksunternehmen. Mehr als ein Drittel davon (38,3%) war im ländlichen Raum ansässig. Im nicht-handwerklichen Teil der deutschen Wirtschaft lag die entsprechende Quote nur bei 28,6%. Ergänzt wird diese siedlungsstrukturelle Verortung des Handwerks durch die zentral-periphere Unternehmensverteilung in der deutschen Wirtschaft. Mit 29,3% sind Handwerksunternehmen demnach überproportional häufig in peripher und damit ungünstiger gelegenen Räumen ansässig. Ähnlich stellt sich das Bild im Falle schrumpfender Regionen dar. Mit 16,7% entfielen 2013 vergleichsweise viele Handwerksunternehmen auf solche Räume, die beim bundesweiten Vergleich verschiedener sozio-ökonomischer Entwicklungsindikatoren unterdurchschnittlich abgeschnitten haben. Nur folgerichtig ist somit die Tatsache, dass der Anteil der Handwerksunternehmen, der auf Problemregionen (Kreise mit ländlicher Siedlungsstruktur, peripherer Lage und gleichzeitig starker Schrumpfung) entfällt, im gesamtwirtschaftlichen Vergleich ebenfalls relativ hoch ausfällt (11% versus 6,6%). Interessant ist dabei der Umstand, dass sich die überproportionale Verteilung auf ländlich-periphere, strukturschwächere Regionen durch alle Bereiche des Handwerks zieht.10 Besonders stark ausgeprägt ist sie in den Bauhandwerken, im Zulieferer- und Investitionsgüterhandwerk, im Lebensmittelgewerbe und im Kfz-Handwerk.

Ein handwerksinterner Vergleich von verschiedenen Regionalindikatoren ergänzt dieses Bild (vgl. Tabelle 3). Die Kennziffern zur Unternehmensdichte zeigen zunächst, dass 2013 mit Werten von 8,5 bzw. 8,7 in ländlichen bzw. peripheren Räumen im Durchschnitt mehr Handwerksunternehmen auf 1000 Einwohner kamen als in städtischen bzw. zentralen Regionen. In schrumpfenden Räumen und insbesondere in Problemregionen liegt die Unternehmensdichte mit durchschnittlich 9,1 bzw. 9,3 sogar noch höher. Trotz der überdurchschnittlichen Unternehmensdichte liegt dagegen in schrumpfenden Räumen und Problemregionen die Beschäftigtendichte (Handwerksbeschäftigte je 1000 Einwohner) mit 65,4 leicht unter dem Gesamtdurchschnitt (vgl. Tabelle 3). Dies lässt darauf schließen, dass die in strukturschwachen Räumen ansässigen Handwerksunternehmen vergleichsweise klein sind. Für eine ausgeprägte Kleinbetriebsstruktur der Handwerkswirtschaft gerade in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen spricht zudem der Indikator zum jährlichen Handwerksumsatz je Einwohner: Mit durchschnittlich rund 5800 Euro erwirtschafteten die in schrumpfenden Räumen und Problemregionen vergleichsweise zahlreich vertretenen Handwerksunternehmen 2013 in der Summe weniger Umsatz je Einwohner als das Handwerk in entwicklungsstärkeren Regionen.

Tabelle 3
Regionalindikatoren zur Handwerkswirtschaft 2013
aggregierte Daten für alle Landkreise in Deutschland
Raumabgrenzung1 Handwerksunternehmen je 1000 Einwohner Handwerksbeschäftigte je 1000 Einwohner Handwerksumsatz je Einwohner in Euro
Insgesamt 7,7 66,2 6718
Ländlicher Raum 8,5 71,8 7280
Städtischer Raum 6,8 60,6 6164
Periphere Regionen 8,7 73,0 7408
Zentrale Regionen 7,1 62,1 6302
Überdurchschnittlich schrumpfende Regionen 9,1 65,4 5820
Überdurchschnittlich wachsende Regionen 7,1 63,3 6910
Problemregionen (ländlich, peripher, überdurchschnittlich schrumpfend) 9,3 65,4 5751

1 Für Erklärungen zu den einzelnen Raumabgrenzungen siehe Tabelle 2.

Quelle: J. Thomä: Die Rolle von Handwerksunternehmen für die volkswirtschaftlichen Funktionen des Mittelstands, Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung 11, Göttingen 2016, S. 17; auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts (Handwerkszählung, Unternehmensregister) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Die regionale Funktion der Handwerksunternehmen

Aus der starken Präsenz des Handwerks in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen resultiert ein wichtiger Beitrag zum regionalpolitischen Ausgleichsanliegen, räumliche Disparitäten abzubauen, um möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands zu erreichen. Die Rolle der handwerklichen KMU ist dabei vielfältiger Natur, und die allgemeine Ausbildungs- und Innovationsfunktion des Handwerks kommt hier besonders zum Tragen. Die Bewerberbefragungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) haben beispielsweise gezeigt, dass die regionale Mobilität von Interessenten an Ausbildungsstellen, die maximal über einen Hauptschulabschluss verfügen, sehr niedrig ist.11 Junge Menschen mit einer entsprechenden schulischen Vorbildung dominieren mit Abstand unter den Ausbildungsanfängern im Handwerk.12 Die wesentliche Rekrutierungsquelle für den handwerklichen Ausbildungsbereich speist sich also aus Personen, die zwar eher schlechte berufliche Startchancen haben – weshalb eine erfolgreiche Integration in berufliche Ausbildung für sie umso wichtiger ist –, die dabei jedoch häufig eine besonders enge Bindung an ihre Heimatregion auszeichnet. Indem das Handwerk diesem Personenkreis auch in strukturschwachen Räumen unterschiedliche Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, trägt es folglich zur Verringerung von regionalen Disparitäten im Bereich der Humankapitalbildung bei.

Unter Innovationsgesichtspunkten ist wichtig, dass die große Zahl an KMU, die auch ohne eigene Forschung und Entwicklung (FuE) innovieren, vorrangig auf lokalen und regional eng abgegrenzten Märkten agieren.13 Unter regionalpolitischen Gesichtspunkten ist dieser Umstand von besonderem Interesse. Verschiedene Untersuchungen haben die wichtige und häufig unterschätzte Rolle aufgezeigt, die nicht-forschungs- und -wissensintensive Branchen und Unternehmen für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft spielen. Diese Studien machen zudem deutlich, dass KMU hieran einen besonders hohen Anteil haben.14 Ein bedeutender Beitrag zur Innovationsfunktion des deutschen Mittelstands geht daher auch von den innovativen KMU aus, die entweder keine eigene FuE betreiben oder dies nur mit einer geringen Intensität tun. Viele von ihnen sind in der lokal-regional ausgerichteten Handwerkswirtschaft zu finden. Daher nehmen gerade handwerkliche KMU in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen eine wichtige Stellung im Innovationssystem ein. Denn aufgrund der funktionsräumlichen Arbeitsteilung sind solche Räume benachteiligt, weil es recht wenige Unternehmen aus forschungs- und wissensintensiven Branchen gibt. Und falls ein entsprechendes Unternehmen dennoch vor Ort vertreten ist, dann häufig nur in Form von ausgelagerten betrieblichen Funktionen mit geringer Innovationsrelevanz (z.B. Produktion und Montage). Demgegenüber stellt sich die Lage im Handwerk anders dar. Weil die Mehrzahl der handwerklichen KMU immer noch einzelbetrieblich organisiert ist, handelt es sich hier nicht nur um „verlängerte Werkbänke“. Ihr Innovationspotenzial (vor allem im Hinblick auf die Adoption und Diffusion neuer Technologien) kommt in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen voll zum Tragen. Dies reduziert dort die negativen Folgen der funktionsräumlichen Arbeitsteilung.15

Daneben leisten handwerkliche KMU einen unmittelbaren Beitrag zum regionalpolitischen Ausgleich, indem sie in strukturschwachen Räumen eine allgemeine Versorgungsaufgabe vor allem für private Haushalte, aber auch für gewerbliche und öffentliche Auftraggeber erfüllen.16 Durch ihr Angebot an Gütern und Dienstleistungen tragen Handwerksunternehmen in entsprechenden Regionen erheblich zur Aufrechterhaltung der Lebens- und Standortqualität bei. Gleichzeitig gehen von der Handwerkswirtschaft wichtige regionale Einkommenseffekte aus. Dies zum einen, weil das Handwerk aufgrund seiner hohen Arbeits- und Fachkräfteintensität die Palette der Beschäftigungsmöglichkeiten erweitert – was wiederum den Menschen in diesen Gegenden langfristige Erwerbs- und Lebensperspektiven vor Ort eröffnet. Da Handwerksunternehmen zum anderen eng mit ihrem lokal-regionalen Umfeld über Absatz- und Bezugsverflechtungen verbunden sind, verbleibt das durch sie generierte Einkommen häufig innerhalb der Region (z.B. weil Vorleistungen intraregional bezogen werden oder weil erwirtschaftete Gewinne wieder in der Standortregion für investive und konsumtive Zwecke verwendet werden). Zudem sind in strukturschwachen Räumen auch solche Handwerke überproportional vertreten, die nicht nur einen lokal-regionalen Absatzradius haben, sondern häufig zusätzlich in nennenswertem Maße auf überregionalen bzw. internationalen Märkten aktiv sind (vor allem aus dem Bau- und Ausbaugewerbe, handwerkliche Zulieferer, Investitionsgüterhersteller und das Kfz-Handwerk).17 Im Sinne der Exportbasistheorie geht von vielen Handwerksunternehmen der entsprechenden Gewerke somit der genannte Primäreffekt aus, da sie das verfügbare Gesamteinkommen in ihrer Region durch Schaffung von zusätzlichen Einkommensquellen erhöhen.

Die beschriebenen regionalen Einkommenseffekte kommen auch deshalb zum Tragen, weil Handwerksunternehmen in konjunkturellen Krisenzeiten tendenziell länger an ihren Arbeitskräften festhalten als nicht-handwerkliche (Groß-)Unternehmen.18 Zudem gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit von Existenzgründungen im Handwerk im gesamtwirtschaftlichen Vergleich überdurchschnittlich groß ist.19 In der Summe tragen Handwerksunternehmen daher in ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen erheblich zur nachhaltigen Einkommensentstehung bei, was wiederum die potenziellen Einkommensunterschiede zwischen unterschiedlich stark aufgestellten Räumen mildert.

Fazit

Weite Teile des lokal-regional ausgerichteten Handwerks zählen derzeit nicht zur Zielgruppe der GRW-Regionalförderung. Gleichzeitig stellen Handwerksunternehmen ein endogenes Entwicklungspotenzial von ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen dar, das in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. Insofern ist die Kritik von Rudolph (1997) daran, dass im Rahmen der GRW aus exporttheoretischen Überlegungen nur Investitionen von überregional aktiven Unternehmen förderfähig sind, nach wie vor aktuell.20 Die Kritik am Kriterium der Überregionalität entzündet sich z.B. daran, dass die unterstellte Ausschließlichkeit des Wirkungszusammenhangs zwischen überregionalem Absatz und der Einkommens- und Beschäftigungsentwicklung in einer Region fraglich ist. Denn dadurch werden intraregionale Kreisläufe ausgeblendet, die durchaus vergleichbare Entwicklungsimpulse hervorrufen können. Dies dürfte gerade in strukturschwachen Räumen der Fall sein, in denen handwerkliche KMU überproportional vertreten sind. Daneben fallen die mit einer Förderung von überregional agierenden Unternehmen erhofften Multiplikatoreffekte in der Praxis oft geringer aus als vermutet, weil die intraregionalen Verflechtungen von exportierenden Unternehmen mitunter schwach ausgeprägt sind. Innerhalb des Fördergebietes können sich die angestrebten Einkommens- und Beschäftigungseffekte dann nicht voll entfalten.21

Mit Blick auf die Ausgestaltung der Regionalpolitik zur Förderung von strukturschwachen Räumen ab 2020 spricht somit vieles dafür, auch handwerkliche KMU grundsätzlich in die regionale Entwicklung einzubeziehen und ihr Potenzial für die Förderung von ländlich-peripheren, strukturschwächeren Regionen auszuschöpfen. Häufig begegnet man dem Argument, dass die Förderung der endogen orientierten Unternehmenslandschaft zu Wettbewerbsverzerrungen auf lokalen Absatzmärkten führen würde und daher nur Unternehmen unterstützt werden sollten, die tatsächlich Standortalternativen haben. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass unter den Letzteren gerade jene Unternehmen sind, für die eine räumliche Verlagerung ihres Produktionsstandortes bzw. einzelner Teilprozesse infrage kommt. In diesen Fällen ist der angestrebte regionale Entwicklungsimpuls (etwa im Hinblick auf die Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen im Fördergebiet oder die Anhebung der regionalen Innovationskraft) nicht immer nachhaltig. Ein starres Festhalten am Kriterium der Überregionalität würde daher auch in Zukunft eine im Wesenskern industriepolitische Ausrichtung der deutschen Regionalpolitik bedeuten.

Eine stärkere Berücksichtigung von Handwerksunternehmen im regionalpolitischen Förderkonzept der Gemeinschaftsaufgabe sollte keineswegs auf eine nicht-überschaubare Erweiterung des Kreises potenzieller Förderadressaten nach dem „Gießkannenprinzip“ hinauslaufen. Eine Aufgabe bzw. Lockerung des Kriteriums der Überregionalität würde jedoch die Möglichkeiten erheblich erweitern, gerade in strukturschwachen Räumen das Entwicklungspotenzial von bestimmten Handwerksunternehmen zu heben, z.B. indem ihnen bei vielversprechenden Projektideen über die Innovationsschwelle geholfen würde. Ein Vorschlag aus dem eingangs zitierten Gutachten zur zukünftigen Ausgestaltung der Regionalpolitik deutet in diese Richtung. Demnach sollte die GRW neben der klassischen Investitionsförderung in Zukunft verstärkt ihr Augenmerk auch auf die Unterstützung von regionaler Netzwerkbildung, Interaktionen zwischen Wissenschaft und KMU, Gründungsförderung sowie allgemein von FuE und Innovation richten – und zumindest in diesen Bereichen dann der Primäreffekt als GRW-Förderkriterium entfallen.22 Dies wäre ein Schritt zur stärkeren regionalpolitischen Berücksichtigung von Handwerksunternehmen und damit zur nachhaltigen Förderung strukturschwacher Räume in Deutschland.

  • 1 Vgl. GEFRA/RUFIS: Aufgaben, Struktur und mögliche Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Systems zur Förderung von strukturschwachen Regionen ab 2020, Münster, Bochum 2016.
  • 2 Vgl. ebenda, S. 101; Koordinierungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“: Regionalpolitischer Bericht der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ 2016, S. 19 f.
  • 3 Vgl. ebenda, S. 23.
  • 4 Im Folgenden vgl. J. Thomä: Die Rolle von Handwerksunternehmen für die volkswirtschaftlichen Funktionen des Mittelstands, Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung, Nr. 11, Göttingen 2016, S. 15 ff.
  • 5 Vgl. K. Müller: Strukturentwicklungen im Handwerk, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Bd. 98, Duderstadt 2015, S. 74.
  • 6 Vgl. ebenda, S. 75.
  • 7 In der Version ab 4.8.2016.
  • 8 Nahrungs- und Genussmittel werden zwar in der Positivliste der förderfähigen Güter genannt, aber nur mit der Einschränkung, dass diese für den überregionalen Versand bestimmt oder geeignet sind.
  • 9 Vgl. A. Rudolph: Die Bedeutung von Handwerk und Kleinunternehmen für die Regionalpolitik. Eine theoretische und empirische Betrachtung, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Bd. 51, Duderstadt 1997, S. 104 ff.
  • 10 Vgl. J. Thomä, a.a.O., S. 26 f.
  • 11 Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009, Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, Bonn 2009, S. 83 ff.; dies.: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2016, Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, Bonn 2016, S. 101.
  • 12 Mit 49,8% lag ihr Anteil 2014 z.B. deutlich höher als im zweiten großen Ausbildungsbereich Industrie und Handel (24,8%); vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung, a.a.O., 2016, S. 165.
  • 13 Vgl. C. Rammer et al.: Innovationen ohne Forschung und Entwicklung: Eine Untersuchung zu Unternehmen, die ohne eigene FuE-Tätigkeit neue Produkte und Prozesse einführen. Studien zum deutschen Innovationssystem, Nr. 15-2011, Mannheim, Karlsruhe 2010, S. 9 und S. 156 f.
  • 14 Vgl. ebenda; O. Som et al.: Zukunftspotenziale und Strategien nichtforschungsintensiver Industrien in Deutschland – Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Arbeitsbericht, Nr. 140, Berlin 2010; O. Som, E. Kirner (Hrsg.): Low-tech innovation, Competitiveness of the German Manufacturing Sector, Heidelberg u.a.O. 2015.
  • 15 Vgl. A. Rudolph, a.a.O., S. 119 f.
  • 16 Im Folgenden vgl. ebenda, S. 78 ff. und S. 126 f.
  • 17 Vgl. J. Thomä, a.a.O., 2016, S. 19 und S. 26 f.
  • 18 Vgl. J. Thomä: Das Handwerk – ein Konjunkturstabilisator?, in: H.-U. Küpper (Hrsg.): Lehren aus der Krise. Auswirkungen und Konsequenzen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 für den Handwerksbereich, München 2010, S. 19-75; ders.: Das Handwerk als Stabilisator der konjunkturellen Entwicklung?, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 2, S. 127-132, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2011/2/das-handwerk-als-stabilisator-der-konjunkturellen-entwicklung/ (22.11.2016).
  • 19 Vgl. T. Hagen, K. Kohn, K. Ullrich: KfW-Gründungsmonitor 2011, Dynamisches Gründungsgeschehen im Konjunkturaufschwung, Jährliche Analyse von Struktur und Dynamik des Gründungsgeschehens in Deutschland, Frankfurt a.M. 2011, S. 36 und S. 39; T. Hagen, G. Metzger, K. Ullrich: KfW-Gründungsmonitor 2012. Boom auf dem Arbeitsmarkt dämpft Gründungsaktivität, Jährliche Analyse von Struktur und Dynamik des Gründungsgeschehens in Deutschland, Frankfurt a.M. 2012, S. 59 und S. 122; K. Müller: Stabilität und Ausbildungsbereitschaft von Existenzgründungen im Handwerk, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Bd. 94, Duderstadt 2014, S. 92 ff.
  • 20 Vgl. A. Rudolph, a.a.O.
  • 21 Vgl. ebenda, S. 250 ff.
  • 22 Vgl. GEFRA/RUFIS, a.a.O., S. XII und S. 198 ff.

Title:The Role of Craft Enterprises for Regional Development

Abstract:The Joint Federal/Länder Scheme for the Improvement of Regional Economic Structures is a core instrument of German regional policy. Currently, large parts of the skilled crafts sector are not eligible for funding. However, craft enterprises play an important role for economic and social stability in less developed regions. The several examples given in this paper refer to vocational education and training, non-R&D-based innovation, the satisfaction of local demand for goods and services and various effects on regional income development. In light of this, it is argued that regional policy could place a stronger emphasis on craft enterprises in the future.

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DOI: 10.1007/s10273-016-2071-4