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Bedingungsloses Grundeinkommen: Zulasten des Sozialstaats

Von Gerhard Bosch

Immer mehr Konzernchefs aus dem Silicon Valley und jetzt auch aus Deutschland schlagen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle vor. Wie soll man das nur verstehen? Ist ihnen über Nacht die Erleuchtung gekommen, die plötzliche Erkenntnis, dass man mit Personalabbau, Tarif- und Steuerflucht, Sozialabbau und radikalem Wirtschaftslobbyismus die Gesellschaft spaltet? Will man diesem Treiben endlich ein Ende setzen und einen radikalen Wandel zu einer gerechteren Gesellschaft einleiten? Wohl kaum! Die Sonntagspredigt soll am Tun in der Woche nichts ändern, sondern nur die Gemüter beruhigen. Dazu muss sie vage bleiben und Träume ansprechen. Der Drogeriechef Götz Werner spielt meisterhaft auf diesem Klavier, wenn er paradiesische Zustände verspricht und Hartz IV als offenen Strafvollzug bezeichnet. Man glaubt es kaum: Die zahlengetriebenen Manager, die die Rendite aller ihrer Unternehmensaktivitäten genau kennen und gerne vorrechnen, wie verschwenderisch der Sozialstaat ist, interessieren sich beim Grundeinkommen auf einmal nicht mehr für die genauen Kosten. Das gehört zur Strategie! Ja nicht zu viel Konkretes, das schmälert nur die Zahl der Jünger. Götz Werner verkündigt wie ein Wanderprediger seit 20 Jahren die gleiche Idee, ohne sie einmal durchgerechnet zu haben, wozu er ja ausreichend Mittel hat.

Zahlen stören da nur. Sie bringen einen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen, wie eine Nacht in der Ausnüchterungszelle. Gewährt man jedem Bürger im Monat ein Grundeinkommen von 800 Euro, summiert sich das schon auf 800 Mrd. Euro pro Jahr. Das ist mehr als das gesamte deutsche Sozialbudget. Götz Werner will das über die Mehrwertsteuer finanzieren. Gleichzeitig sollen die meisten Sozialleistungen und alle anderen Steuern – vor allem die bei Spitzenverdienern ungeliebte progressive Einkommensteuer – abgeschafft werden. Da sind wir schnell bei einem Mehrwertsteuersatz von 150%. Das Pfund Butter kostet dann nicht mehr 3 Euro, sondern mehr als das Doppelte. Vom Grundeinkommen bleibt dann nicht mehr viel. Vor allem aber ist der Sozialstaat futsch, da es nur noch für eine Basisversorgung reicht. Für Renten und Pensionen über 800 Euro, eine berufliche Weiterbildung für Arbeitslose, teure Behandlungen bei Krankheit, die Reha nach einem Unfall und vieles mehr reicht das Geld nicht mehr. Dass man ein solches neoliberales Programm sogar in Kirchen predigen darf und dabei noch den Beifall der Arbeitslosen und der verunsicherten Mittelschicht bekommt, ist eine große demagogische Leistung. Das muss ich sportlich einfach anerkennen.

Leider lösen sich aber die gesellschaftlichen Verteilungskonflikte nicht in Luft auf und es regnet kein Manna vom Himmel. Die Telekom- und Siemens-Chefs wären glaubwürdiger mit einem Vorschlag zu einem neuen Sozialpakt, mit dem man die soziale Schere schließen und die kommende Rationalisierungswelle bewältigen kann. Da gibt es genügend ungelöste soziale Probleme, um wirklich Gutes zu tun. So könnten sich die großen Unternehmen gemeinsam dafür einsetzen, dass die Beschäftigten ihrer zahlreichen Subunternehmer einschließlich der vielen neuen Click- und Crowdworker angemessen bezahlt werden und dafür über allgemeinverbindliche Tarifverträge ein Ordnungsrahmen geschaffen wird. Oder sie qualifizieren vorausschauend die besonders gefährdete Gruppe der Geringqualifizierten für neue Tätigkeiten. Aber das und vieles mehr geht natürlich an den Geldbeutel. Dann schon lieber ein Grundeinkommen, mit dem man die Verantwortung bedingungslos auf den Staat abwälzen kann.

Bundesfernstraßen: Privatisierung wäre effizienter

Von Werner Rothengatter

Bereits im 19. Jahrhundert plädierte der französische Verkehrsingenieur Jules Dupuit für ein privatwirtschaftliches Management für Straßen und Eisenbahnen. Verkehrsnetze sollten von den Nutzern eigenwirtschaftlich finanziert werden und nicht vom Steuerzahler. Die zunehmende Erkenntnis, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland massiv unterfinanziert ist und unterlassene Erhaltungsmaßnahmen tatsächlich zu eklatanten Ausfällen bei Brücken, Straßen und Schienenwegen führen, hat die Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßen wieder belebt. Die Daehre-Kommission hatte die Finanzierungslücke allein für die Erhaltung der Bundesfernstraßen auf jährlich 1,3 Mrd. Euro beziffert. Ein nutzerfinanzierter Fonds könnte die laufende Finanzierung durch Gebühren sicherstellen, wobei dieser den Vorschlägen der EU- und der Fratzscher-Kommission folgend das anlagensuchende Kapital von Finanzgesellschaften für eine Beteiligung an der Verkehrsinfrastruktur nutzen könnte.

Eine Privatisierung soll vor allem ein privatwirtschaftliches Management der Infrastruktur ermöglichen, so dass eine überjährige Finanzierung von Investitionen und die Verteilung von Investitionsmitteln nach wirtschaftlicher Dringlichkeit anstatt nach politischem Proporz möglich wird. Vor allem die Ersatzinvestitionen lassen sich nach rein ökonomischen Kriterien planen und durchführen. Die Bundesfernstraßen ließen sich wie bereits zuvor die Bundeseisenbahnen aus dem Haushalt lösen, von dessen engen, den wirtschaftlichen Betrieb der Netze behindernden Zwängen befreien und Kreditaufnahmen – unberührt von Stabilitätskriterien – realisieren. Solche Überlegungen haben das Finanzministerium bewogen, die alten Privatisierungsideen wieder aufleben zu lassen.

Die Argumente dagegen sind so alt wie die Ideen: Nutzergebühren sind sozial ungerecht, weil sie die unteren Einkommensschichten härter treffen. Aber: Dies gilt auch für die Verkehrsbesteuerung und in weiten Teilen für Tarife des öffentlichen Verkehrs. Sozialer Ausgleich lässt sich mit anderen Mitteln besser erreichen. Die Entscheidungen für die Infrastruktur werden dem Parlament entzogen. Aber: Neu- und Ausbau werden weiter auf Grundlage des Bundesverkehrswegeplans und der Bedarfspläne parlamentarisch entschieden. Wie die Begünstigung von Investitionen in Wahlkreisen hochrangiger Politiker zeigt, wäre eine stärkere Ausrichtung an wirtschaftlichen Gesichtspunkten angezeigt. Die Bundesländer verlieren wichtige Kompetenzen. Aber: Das System der Auftragsverwaltung der Länder für den Bund hat sich als teuer und ineffizient erwiesen. Die Planungskosten liegen weit oberhalb der Bundeszuweisung von 3%, so dass einige Bundesländer sogar Planungskapazitäten abgebaut haben und nicht in der Lage sind, zugewiesene Bundesmittel termingerecht zu verplanen und zu verausgaben. Privatfinanzierung ist teurer als öffentliche Finanzierung. Aber: Dieses vom Bundesrechnungshof vorgebrachte Argument beruht auf der fraglichen Annahme, dass die öffentliche Hand mindestens so effizient plant wie die Privatwirtschaft und auf dem Kapitalmarkt niedrigere Zinsen bezahlen muss. Die Erfahrung mit PPP-Projekten beim Ausbau von Bundesautobahnabschnitten hat gezeigt, dass keine Zeit- und Kostenüberziehungen aufgetreten sind, während dies bei vielen öffentlichen Projekten massiv der Fall war. Die private Finanzierung macht dabei Kosten transparent, die bei öffentlicher Finanzierung im allgemeinen Haushalt verschwinden. Volksvermögen wird irreversibel veräußert. Aber: Der Einfluss privater Investoren hängt vom Privatisierungsmodell ab. Das Modell der österreichischen ASFINAG ist z.B. eine Fernstraßengesellschaft privaten Rechts im öffentlichen Eigentum. Sie entscheidet über Erhaltung und Unterhalt nach wirtschaftlichen Maßstäben und setzt die parlamentarisch verabschiedeten Aus- und Neubauplanungen um. Dafür nimmt sie staatlich garantierte Kredite zu besten Zinsbedingungen auf, die bis 2047 abgebaut werden müssen, so dass der politische Appetit auf Straßeninvestitionen eine wirksame interne Bremse findet.

Manager-Boni: Anreize für Nachhaltigkeit

Von Axel Halfmeier

Das Versagen des Managements bei Volkswagen und der Deutschen Bank wirft erneut die Frage auf, wie man das Leitungspersonal großer Unternehmen zu nachhaltigerem Verhalten bewegen kann. Naheliegend ist zunächst der Austausch der Personen. Allerdings zeigen Studien, dass die Leitungsebene vor allem von Männern mit ausgeprägtem individuellen Machtstreben erreicht wird, so dass hier oft nur ein rücksichtsloses Alpha-Männchen gegen ein anderes ausgetauscht wird – allenfalls darf man auf eine langsame Veränderung über die Frauenquoten in Vorstand und Aufsichtsrat hoffen. Wichtiger ist es, Anreizstrukturen zu schaffen, die ein an Grundsätzen der Nachhaltigkeit orientiertes Verhalten fördern. Die Drohung mit Sanktionen scheint dabei kaum zu wirken: Eine Verhaltenssteuerung durch persönliche Haftungsrisiken von Vorstand und Aufsichtsrat ist bisher nur schwer feststellbar. Auch der zwingende Selbstbehalt bei der Directors-and-Officers-Versicherung scheint wirkungslos, zumal er meist durch eine weitere Selbstbehaltsversicherung ausgehebelt wird. Generell besteht bei Sanktionsdrohungen das Problem, dass die betreffenden Personen regelmäßig ihre persönlichen Kompetenzen überhöht einschätzen (overconfident), so dass sie auch starke Sanktionsdrohungen nicht als für sich relevant wahrnehmen. Daher sind bei der Verhaltenssteuerung eher positive Anreize erfolgversprechend. Das betreffende Personal ist gerade wegen seiner Fokussierung auf den finanziellen Erfolg durchaus gewillt, im Interesse eigener finanzieller Vorteile sein Verhalten anzupassen. Erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile gehören daher zum Standard bei allen Unternehmen in Dax und MDax. Die aktuelle „Vergütungsstudie 2016“ von PWC und Goethe-Universität zeigt dies deutlich.

Allerdings weist diese Studie auch auf ein Problem in Deutschland hin: Die Auszahlung der Boni erfolgt überwiegend in Geld, so dass aus Sicht des Empfängers die Entwicklung des Unternehmens nach der Auszahlung irrelevant wird. Die Autoren der Studie schlagen daher vor, die variable Vergütung stärker in Form von Aktien zu gewähren, für die eine bestimmte Haltefrist gilt. So wäre die zukünftige und nachhaltige Entwicklung des Unternehmens dem Bonusempfänger nicht gleichgültig. Aber auch zur Nachhaltigkeit im gesamtgesellschaftlichen Sinne enthält die Vergütungsstudie 2016 neue Ideen. Mit der Umsetzung der Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie (CSR-Richtlinie) treten heute auch ökologische und soziale Belange bei der Betrachtung der Unternehmensentwicklung auf den Plan. Daraus ergibt sich zumindest die Möglichkeit, die variable Vergütung auch von Indikatoren nachhaltiger Entwicklung abhängig zu machen, etwa der ökologischen Wirkung der Unternehmenstätigkeit.

Die Rede von der „nicht-finanziellen Berichterstattung“ ist allerdings irreführend. In Wahrheit geht es hier durchaus um Kosten, aber eben um solche, die das Unternehmen nicht selber trägt, sondern die es erfolgreich an die Umwelt und die Gesellschaft ausgelagert hat – man denke etwa an die von der Autoindustrie verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden. Für die Anreizwirkungen wäre es sinnvoller, diese Kosten durch Besteuerung oder Haftung in das Unternehmen zu internalisieren. Dann würde schon die normale Rechnungslegung diese Kosten berücksichtigen und es entstünden betriebswirtschaftliche Anreize, sie zu reduzieren. Der Umweg über angeblich „nicht-finanzielle“ Aspekte verschleiert nur diesen Zusammenhang. Aber immerhin: Auch wenn die CSR-Berichterstattung nur ein Mittel zweiter Wahl ist, könnten daraus Indikatoren für ein kompetentes und gesellschaftlich verantwortliches Handeln entwickelt werden, an denen die Vergütung des Managements in Zukunft zumindest auch gemessen werden könnte.

Verbraucherschutz: Rechtslücken schließen

Von Jutta Gurkmann

Mit der Einführung der Verbandsklage für Verbraucherverbände begann vor mehr als 50 Jahren ein neues Kapitel kollektiver Rechtsdurchsetzung. Verbraucherverbände erhielten das Recht, im kollektiven Interesse Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mittels Unterlassungsklagen abzustellen. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Klagerecht erweitert: Auch Verstöße gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Verletzungen verbraucherschützender Vorschriften und später Datenschutzverstöße kamen auf die Agenda. Inzwischen nehmen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Verbraucherzentralen das Klagerecht rund 1000 Mal im Jahr wahr, um Fehlverhalten am Markt abzustellen und Grundsatzfragen klären zu lassen – und Verbraucherschutz ganz konkret voranzutreiben. Diese zivilen Kontrollrechte sind wichtig und haben sich bewährt. Verbände sind unabhängig von staatlichen Einrichtungen, aber dennoch nicht neutral. Sie sind klare Interessenvertreter von Verbrauchern.

Trotz aller positiver Entwicklung: Es gibt noch Lücken im kollektiven Rechtsschutz, die geschlossen werden müssen: Zum einen fordert der vzbv seit langem die Einführung der Musterfeststellungsklage. Wenn ein Unternehmen Verbraucher schädigt, hängen Ersatzansprüche der Verbraucher häufig von komplizierten Rechtsfragen ab. Wenn sehr viele Verbraucher betroffen sind, sollten solche Rechtsfragen einheitlich und verbindlich für alle Betroffenen in einem Rechtsstreit geklärt werden können. Zum anderen brauchen wir zur Abschöpfung von Unrechtsgewinnen eine Reform der bislang kaum praktikablen Abschöpfungsansprüche. Und schließlich müssen Behörden dort eingreifen und für funktionierenden sowie lauteren Wettbewerb sorgen, wo Verbände an ihre Grenzen kommen. Dort müssen den zuständigen Behörden auch Entschädigungs- und Abschöpfungsbefugnisse eingeräumt werden.

Insbesondere in der digitalen Welt haben wir es mit komplexen Märkten zu tun. Eine rasante technische Entwicklung geht hier mit neuen Fragen zu Marktdominanz, Verbraucher- und Datenschutz einher. Diese Gemengelage macht die Dinge sehr kompliziert. In diesem Bereich könnte das Bundeskartellamt eine große Hilfe sein. Es könnte durch behördliche Ermittlungsbefugnisse und Sektoruntersuchungen gezielt Lücken im Verbraucher- und Wettbewerbsrecht schließen. Ein Beispiel zeigt den Bedarf: Hotelplattformen finanzieren sich teilweise auch dadurch, dass Anbieter gegen gesonderte Zahlungen bessere Rankingplätze in den Ergebnislisten erhalten. Derart erkaufte Rankingplätze sind in den bekannten Fällen für Verbraucher nicht als solche erkennbar. Dies kann Verbraucher in ihrer Entscheidung stark beeinflussen. Versteckte Zahlungen wie diese sind für Außenstehende wie den vzbv oft nur in Ausnahmefällen nachvollziehbar. Und selbst wenn: Dem vzbv fehlen dann meist die Möglichkeiten, diese Zahlungen systematisch nachzuweisen. Doch nur so könnte der Verband ein zivilrechtliches Verfahren anstrengen.

Derzeit wird überlegt, dem Bundeskartellamt neue Aufgaben im Verbraucherrecht einzuräumen. Dadurch könnte es seine Erfahrungen und behördlichen Durchsetzungsbefugnisse auch im Interesse des Verbraucherschutzes anwenden. Das Bundeskartellamt hätte im vorgenannten Beispiel aufgrund seiner weiterreichenden Ermittlungsbefugnisse die Möglichkeiten, solch unlautere Praktiken nachzuweisen und per Anordnung zu untersagen. Es geht hierbei nicht um einen Systemwechsel, sondern vielmehr darum, Lücken im kollektiven Rechtsschutz gezielt zu schließen. Denn eine intelligente Kombination von zivilrechtlichen und behördlichen Elementen könnte den Verbraucherschutz entscheidend stärken.


DOI: 10.1007/s10273-016-2064-3

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