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Die Finanzmarktregulierung ist auch eine Frage sozialer Nachhaltigkeit. Ist sie unzureichend, können Ungleichgewichte verschärft werden: privaten Gewinnen stehen dann soziale Verluste gegenüber. Trotz der Finanzmarktkrise profitieren Vermögende stärker von Anlagen auf den Finanzmärkten. Deren Regulierung sollte sich auf eine bessere Gläubigerhaftung, die Vermeidung von Moral Hazard sowie die Bekämpfung von Too-big-to-fail-Problemen und kurzfristig orientierten Vergütungssystemen konzentrieren.

Als die Vollversammlung der Vereinten Nationen auf ihrem Gipfeltreffen vom 25. bis 27. September 2015 (United Nations Sustainable Development Summit) 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals) mit zahlreichen Unterpunkten beschloss, war auch das Thema Finanzmarktregulierung Gegenstand eines dieser Ziele.1 Aus dem thematischen Kontext des Zielkataloges ergibt sich, dass dieser Aspekt unter dem Ziel „Reduce inequality within and among countries“ eingeordnet wurde.

Im Hinblick auf das vielfach verwendete Drei-Säulen-Modell der ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit wird die Finanzmarktregulierung also im Rahmen der Sustainable Development Goals primär unter dem Gesichtspunkt sozialer Nachhaltigkeit betrachtet. Diese Einordnung wirkt auf den ersten Blick überraschend, denn schließlich werden unzureichend regulierte Finanzmärkte zumeist als Quelle ökonomischer Instabilität und daher als Gefahr für eine effiziente Kapitalallokation angesehen. Daher erschiene es naheliegend, in erster Linie die Gefahren für die ökonomische Nachhaltigkeit, d.h. die Gewährleistung langfristig tragfähiger Finanzierungsmodalitäten, in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Sichtweise kommt auch in vielen Publikationen zu diesem Thema zum Ausdruck.2 Gleichwohl hat die Einordnung als Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit ebenfalls ihre Berechtigung, die sich aus den vielfach beobachteten Auswirkungen des Finanzsystems auf die Einkommensverteilung und die sozialen Strukturen der Gesellschaft ergibt.3

Der Blick auf die empirischen Fakten zeigt zunächst, dass die Wirtschaftsstruktur entwickelter Volkswirtschaften seit einigen Jahrzehnten durch eine zunehmende Bedeutung des Finanzsektors gekennzeichnet ist (vgl. für die USA Abbildung 1).4 Ausdruck der gestiegenen Wertschöpfung im Finanzsektor sind unter anderem ein drastischer Anstieg der Handelsvolumina an den Börsen, insbesondere im Derivate-Bereich, sowie vielfältige Produktinnovationen in der Finanzbranche. So ist der Umsatz an den weltweiten Finanzmärkten zwischen 1991 und 2007 vom etwa 16fachen des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf knapp das 70fache gestiegen, wobei der mit Abstand größte Teil des Anstiegs auf das Segment der Derivate entfiel.5 Hinzu kommt eine immer stärkere Bedeutung der Finanzmärkte für die Steuerung und Kontrolle von Unternehmen. Robert Shiller beschreibt diese Entwicklung als Übergang zum Finanzkapitalismus („Financial Capitalism“) als neuer Ausprägungsform der Marktwirtschaft.6 Damit verbunden sind erhebliche soziale Implikationen, vor allem im Hinblick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung sowie – mittelbar – die Chancengerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft.

Abbildung 1
Anteil der Wertschöpfung des Finanzsektors am BIP der USA
in %
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Quelle: US Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis (20.10.2015).

Abkoppelung der Vermögensvermehrung von der Übernahme persönlicher Risiken

Zunächst ist festzustellen, dass die Expansion des Finanzsektors in den vergangenen Jahrzehnten durch einen Rückgang der Übernahme persönlicher Haftung für auftretende Verluste gekennzeichnet war.7 Am Beginn dieser Entwicklung stand die Umwandlung der großen US-amerikanischen Investmentbanken von Partnerschaften mit persönlicher Haftung in Kapitalgesellschaften, die – neben regulatorischen Reformen und technologischen Innovationen – eine der Initialzündungen für das Wachstum des Investmentbanking darstellte.8 Schließlich war die Kapitalbeschaffung durch die Emission von Aktien wesentlich einfacher als die Suche nach neuen Partnern, die bereit waren, mit ihrem persönlichen Vermögen für die Bank einzustehen. Auf diese Weise traten an die Stelle persönlich haftender Partner angestellte Investmentbanker, die gewillt waren, deutlich höhere Risiken einzugehen, da ihnen im Verlustfall maximal ein Wegfall ihrer Boni drohte.

Da die zunehmende Komplexität des Finanzsektors systemische Risiken entstehen ließ, wurde die individuelle Verantwortung noch weiter reduziert. So bildeten sich Finanzkonzerne, die als „too big to fail“ galten, mit der Folge, dass im Krisenfall öffentliche Institutionen einspringen mussten, die die aufgetretenen Verluste ganz oder teilweise übernahmen. Zudem führte die Antizipation staatlicher Rettungsmaßnahmen dazu, dass im Finanzsektor noch höhere Risiken eingegangen wurden, da die Entscheidungsverantwortlichen davon ausgingen, künftige Verluste auf andere abwälzen zu können (Moral Hazard). Aus der antizipierten „impliziten Staatsgarantie“ wurde somit eine „self-fulfilling prophecy“, mittels derer sich individuelle Risiken einzelner Investoren in systemische Risiken verwandelten, die nur der Staat tragen konnte. Auf diese Weise ergaben sich für Investoren attraktive neuartige Möglichkeiten der Kapitalvermehrung auf Kosten Dritter.

Verstärkt wurde dieser Trend durch die scheinbare Risikofreiheit von Staatsanleihen, die unter anderem darin zum Ausdruck kam, dass diese Papiere im Rahmen der Bankenaufsicht von der Eigenkapitalunterlegungspflicht und der Anrechnung auf Großkreditgrenzen befreit waren und noch immer sind. Vermeintlich risikolose Zinsen auf Staatsanleihen wurden zugleich zu einer Benchmark für die Entwicklung weiterer Finanzprodukte, insbesondere durch Verbriefung von Kreditforderungen, die gemäß dem Urteil anerkannter Ratingagenturen gleichfalls als sehr risikoarm galten. Auch hierbei führte in vielen Fällen die erwartete Risikofreiheit zur Entstehung systemischer Risiken, mit der Folge, dass ein erheblicher Teil der aufgetretenen Verluste nicht von den Investoren, sondern von der öffentlichen Hand getragen wurde.

Die Folge dieser Eigendynamiken im Finanzsektor war eine systematische Marktverzerrung, wodurch die Funktion der Marktwirtschaft zur Begrenzung von Vermögenszuwächsen regelmäßig ausgeschaltet wurde. Dadurch verloren die Marktprozesse zugleich ihre Fähigkeit zur Herausforderung bzw. Überwindung etablierter Besitzstände, da es vermögenden Akteuren erleichtert wurde, ihre Finanzaktiva trotz widriger Umstände zu bewahren und die Kosten ihrer Vermögenssicherung auf andere abzuwälzen. Der Marktwettbewerb, der von Franz Böhm als „das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“9 bezeichnet worden war, wurde somit zu einem Instrument der Besitzstandswahrung etablierter Akteure. Damit einher ging eine Verminderung der Aufstiegsmöglichkeiten anderer, die – insbesondere durch Steuerzahlungen – die Kosten für die Sicherung der Ansprüche etablierter Vermögensinhaber tragen mussten.

Wettbewerbsvorteile für Inhaber großer Vermögen

Die dargelegte Marktverzerrung wird in der Praxis regelmäßig dadurch verstärkt, dass es Inhabern großer Vermögen überproportional besser gelingt, an den Gewinnmöglichkeiten haussierender Finanzmärkte teilzunehmen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass vermögende Haushalte im Regelfall stärker in Aktien und Immobilien investieren als Besitzer kleiner Ersparnisse und daher von Wertzuwächsen an den Kapitalmärkten überdurchschnittlich stark profitieren.10 Hinzu kommen bessere Beratungsmöglichkeiten durch elitäre Privatkundenberater oder Privatbanken, die ihre Dienste exklusiv für Kunden mit Millionenvermögen anbieten. Auch die Diversifizierungsmöglichkeiten bei der Vermögensanlage nehmen mit der Höhe des Vermögens zu. So ließ sich beispielsweise in den Jahren der Finanzmarktkrise seit 2007 beobachten, dass in Deutschland Besitzer größerer Immobilienvermögen regelmäßig von hohen Wertsteigerungen profitieren konnten, während Kleinsparer, die sich für dieses Anlagesegment interessierten, auf offene Immobilienfonds angewiesen waren, die sich vielfach als Verlustbringer entpuppten.11

Es zeigt sich also, dass steigende Skalenerträge, die bei der Vermögensverwaltung durch Investmentfonds vielfach nachgewiesen wurden, auch auf der Ebene der individuellen privaten Vermögensanlage ein Thema sind.12 Daher erscheint der unter anderem von Shiller geäußerte Vorschlag, durch staatliche Fördermaßnahmen möglichst viele Haushalte zu Besitzern von Kapitalvermögen zu machen, im Hinblick auf den Abbau von Ungleichheit nur begrenzt zielführend, wenn man unterschiedliche Möglichkeiten der Vermögensvermehrung berücksichtigt.13

Verteilung von Verdienstmöglichkeiten

Die „implizite Staatsgarantie“ für große Banken erschloss zugleich lukrative Verdienstmöglichkeiten in der Finanzbranche, von denen vor allem (Finanz-)Mathematiker, Physiker und quantitativ ausgerichtete Ökonomen profitieren konnten. In diesem Kontext kam es durch Wettbewerb zu weiteren Dynamisierungsprozessen. So ergaben sich beispielsweise bei der Gestaltung von immer komplexeren Verbriefungstransaktionen interessante Verdienstpotenziale für die beteiligten Investmentbanker, Anwaltskanzleien und Ratingagenturen. Infolge dessen mussten auch andere Finanzmarktakteure entsprechendes Know-how aufbauen, wenn sie die neu entstandenen Produkte verstehen und an zukunftsträchtigen Marktentwicklungen partizipieren wollten. So waren auch andere Banken genötigt, sich diesem Trend anzuschließen und Experten aus dem Investmentbanking einzustellen, wenn sie die Renditeerwartungen ihrer Investoren erfüllen wollten. Das führte zu einer weiteren Aufwärtsbewegung der Gehälter und Boni in diesem Marktsegment.

Besonders fatal war diese Entwicklung in Verbindung mit einer zunehmenden Verkürzung des Zeithorizontes der Akteure, die durch entsprechende Boni-Systeme gefördert wurde. So wurden Boni in der Regel ausschließlich am Erfolg des jeweiligen Geschäftsjahres bemessen, so dass erhebliche Anreize zur Ausblendung mittelfristiger Risiken bestanden. Und in der Tat zeigte sich in den Jahren der Krise ab 2007, dass die meisten der verantwortlichen Akteure ihre persönlichen Gewinne längst gesichert hatten, als die öffentliche Hand die Verluste ihrer Finanzinstitute auffangen musste. Auch unter dem Gesichtspunkt der Allokationseffizienz hatte dieser Trend problematische Auswirkungen. So kam es zu einer Fehlallokation in dem Sinne, dass Ressourcen aus der Realwirtschaft in den Finanzsektor umgeleitet wurden.14 Diese Tendenz hatte bereits James Tobin mit deutlichen Worten beschrieben.15

Dabei lässt sich eindeutig von einer Fehlallokation sprechen, da inzwischen durch zahlreiche Studien nachgewiesen wurde, dass eine übermäßige Expansion des Finanzsektors negative Auswirkungen auf das Wachstum der jeweiligen Volkswirtschaft insgesamt hat. So wurde gezeigt, dass bei der Überschreitung nachweisbarer Schwellenwerte ein weiteres Wachstum des Finanzsektors regelmäßig zu einer Verringerung des Produktivitätsfortschritts im realwirtschaftlichen Sektor führt.16 Die ermittelten Schwellenwerte sind dabei von Land zu Land unterschiedlich und hängen vor allem von institutionellen Faktoren, wie der Qualität der Banken- und Finanzaufsicht, ab. Neben der Ressourcenfehlallokation spielt dabei eine Rolle, dass mit dem zunehmenden Wachstum des Finanzsektors ein überproportionaler Anstieg systemischer Risiken einhergeht, der im Krisenfall entsprechende soziale Kosten zur Folge hat.17

Rückkehr patrimonialer Gesellschaftsstrukturen?

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich seit einigen Jahrzehnten in vielen entwickelten Volkswirtschaften eine Verschärfung der Einkommens- und Vermögensverteilung beobachten lässt, die unter anderem von Thomas Piketty und Joseph Stiglitz kritisiert wurde.18 Stiglitz stellte für die USA neben einer zunehmenden Ungleichheit zugleich eine neuartige Verfestigung der sozialen Schichtung fest, die ihn dazu brachte, von einer Transformation der US-amerikanischen Gesellschaft in eine „Erboligarchie“ zu sprechen.19 Diese Kritik machte er daran fest, dass er neben einer starken Persistenz des Reichtums einer kleinen Bevölkerungsschicht zugleich eine deutliche Verringerung der Aufstiegsmöglichkeiten von Menschen mit einkommensschwachem familiären Hintergrund diag­nostizierte. Auch wenn man die Radikalkritik von Stiglitz nicht teilt, lassen sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden Einkommens- und Vermögenskonzentration in vielen entwickelten Volkswirtschaften Gefahren für die Verwirklichung von Chancengerechtigkeit nicht verleugnen. So droht eine zumindest partielle Rückkehr zu patrimonialen Gesellschaftsstrukturen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass nicht die individuelle Leistung, sondern primär ererbtes Vermögen (wie in früheren Zeiten die ererbte Standeszugehörigkeit) über den jeweiligen Status und die Aufstiegschancen des Einzelnen entscheidet.20 Eine solche Entwicklung zeigt sich als klarer Widerspruch zu den Grundprinzipien bürgerlich-liberaler Gesellschaften, die sich gerade durch das Versprechen auszeichnen, dass ein gesellschaftlicher Aufstieg durch eigene Leistungen möglich ist und dass andererseits auch etablierten Akteuren die Gefahr eines (zumindest relativen) sozialen Abstiegs droht. Auch im Hinblick auf die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit im Sinne einer Angleichung der Verwirklichungschancen, wie sie insbesondere von Amartya Sen postuliert wird, erweist sich eine derartige Entwicklung als klarer Rückschritt.21

Ausdruck dieser Problematik ist auch das von Thomas Piketty thematisierte quasi-automatische Wachstum großer Vermögen mit Zuwachsraten oberhalb der Wachstumsrate des BIP. So lässt sich diese Entwicklung – neben anderen Faktoren – auch darauf zurückführen, dass die Verlustrisiken für Besitzer großer Vermögen durch Eigendynamiken im Finanzsektor und „implizite Staatsgarantien“ signifikant zurückgegangen sind.22 Schließlich sind die von Piketty beobachteten hohen Renditen nicht naturgegeben, sondern vielmehr ein Resultat der Rahmenbedingungen bei der Vermögensvermehrung. Daher überrascht es nicht, dass eine Freistellung von Investoren von wesentlichen Haftungsrisiken mit einem Anstieg der durchschnittlich erzielten Renditen auf ein Niveau oberhalb des BIP-Wachstums einhergeht.

Gefahren für den sozialen Frieden

Darüber hinaus haben insbesondere die Proteste der Occupy-Bewegung deutlich gemacht, dass die Exzesse im Finanzsektor eine weitere Gefahr mit sich bringen: den Verlust des sozialen Friedens. So zeigt die Geschichte regelmäßig, dass eine Verletzung elementarer Vorstellungen von Verteilungs- und Chancengerechtigkeit gravierende gesellschaftliche Auswirkungen haben kann. Darauf hatte bereits Gustav Schmoller, einer der Protagonisten der Historischen Schule der Nationalökonomie Ende des 19. Jahrhunderts, mit drastischen Worten hingewiesen.23

Dies gilt insbesondere dann, wenn hohe Einkommen, die aufgrund negativer externer Effekte unter Gemeinwohlgesichtspunkten nicht gerechtfertigt erscheinen, mit unzureichenden Aufstiegs- und Entwicklungschancen anderer zusammenfallen. Dann besteht die Gefahr, dass diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln verweigern, wenn sie die Erwartung aufgegeben haben, selbst jemals davon zu profitieren. So sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Normen wie der Schutz rechtmäßig erworbenen Eigentums respektiert werden, wenn die Normadressaten zum großen Teil nicht damit rechnen können, jemals selbst zu den Nutznießern dieser Normen zu gehören. Aus diesem Grund birgt die öffentliche Wahrnehmung, dass im Finanzsektor Gewinne auf Kosten anderer Wirtschaftssektoren und zulasten der öffentlichen Hand erzielt werden, während sich gleichzeitig die Zukunftsperspektiven weniger gut ausgestatteter Mitbürger verschlechtern, einen brisanten sozialen Sprengstoff.

Finanzmarktregulierung als Instrument für mehr Nachhaltigkeit

Im Folgenden soll kurz skizziert werden, wie eine Finanzmarktregulierung aussehen sollte, die im Sinne der Sustain­able Development Goals zu mehr Nachhaltigkeit beiträgt. Die Hauptaufgabe einer solchen Regulierung muss darin liegen, die aufgezeigten Verantwortungsdefizite und Eigendynamiken im Finanzsektor zu überwinden. Dazu gehört vor allem, dass Verluste, die aus Investitionsentscheidungen resultieren, von den Verursachern getragen werden und nicht auf andere abgewälzt werden können. Hier zeigt sich also ein ähnlicher Handlungsbedarf wie bei der Internalisierung externer Effekte im Bereich ökologischer Schäden.

Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Eindämmung der Too-big-to-fail-Problematik durch eine Neu-Etablierung des Haftungsprinzips im Finanzsektor. So muss vor allem sichergestellt werden, dass auch Großbanken im Krisenfall geordnet abgewickelt werden können, ohne dass der Steuerzahler Verluste übernehmen muss. Deutschland ist auf diesem Weg bereits vorangeschritten durch die Verabschiedung eines Restrukturierungsgesetzes für Banken im Jahre 2010. Auch für den Euroraum wurde inzwischen die Einführung eines Single Resolution Mechanism (SRM) beschlossen, der eine geordnete und einheitliche Abwicklung von Banken im Insolvenzfall unter Federführung einer europäischen Behörde (Single Resolution Board, SRB) vorsieht. Kernbestandteil dieser Abwicklungsregelungen ist eine Haftungskaskade, die vorschreibt, dass Verluste zunächst von den Eigenkapital- und Fremdkapitalgläubigern getragen werden, bevor gegebenenfalls ein von allen Banken zu füllender Abwicklungsfonds einspringt. So soll sichergestellt werden, dass der Zugriff auf öffentliche Mittel tatsächlich die „Ultima Ratio“ bleibt.

Die beschlossenen Regelungen zielen auf eine Unterbindung von Moral Hazard ab und gehen zweifellos in die richtige Richtung. Wichtig ist jedoch, dass die vorgesehene Haftungskaskade im Krisenfall tatsächlich umgesetzt wird, denn es ist abzusehen, dass bei Schieflagen im Bankensektor regelmäßig Druck auf die Politik zur Übernahme von Verlusten entstehen wird.24 So kommt es darauf an, dass die politischen Entscheidungsträger sich dem bereits absehbaren Lobbydruck im Krisenfall widersetzen und Ausnahmeregelungen nicht zur gängigen Praxis werden. Diese Gefahr lässt sich auch an den Reaktionen der großen Ratingagenturen auf die neue Gesetzeslage ablesen: So ist einerseits festzustellen, dass die Ratings von Banken seit der Verabschiedung der neuen Regeln vielfach nach unten korrigiert wurden, mit der ausdrücklichen Begründung, dass staatliche Hilfen nun deutlich unwahrscheinlicher geworden seien.25 Andererseits unterstellen die Ratingagenturen bei vielen Banken nach wie vor eine gewisse Wahrscheinlichkeit staatlicher Hilfsmaßnahmen, was zu einer Verbesserung der jeweiligen Ratingnoten führt.26 Hieran zeigt sich, dass bei der Beseitigung „impliziter Staatsgarantien“ weiterhin Handlungsbedarf besteht.

Zudem müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ein geordneter Umgang mit Überschuldungssituationen im staatlichen und privaten Sektor gewährleistet ist. Dazu gehören insbesondere Mechanismen, die im Krisenfall eine Reduzierung der Schuldenlast auf Kosten der Gläubiger ermöglichen, ohne dass die Stabilität des Finanzsystems gefährdet ist und deshalb Verluste sozialisiert werden. Ein Ansatzpunkt für die Bewältigung von Schuldenkrisen im öffentlichen Sektor sind Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses, CACs), wie sie seit Anfang 2013 für sämtliche Staatsanleihen von Euroländern mit mehr als einem Jahr Laufzeit vorgeschrieben sind. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, den Grundsatz der Investorenverantwortung dadurch zu stärken, dass weitere Schlupflöcher geschlossen werden, die im Krisenfall zu einer Auszahlung privater Investoren auf Kosten von Steuerzahlern führen können. Im Hinblick auf die im Zuge der Krise eingerichteten Unterstützungsmechanismen innerhalb des Euroraums, vor allem den European Stability Mechanism (ESM), muss vermieden werden, dass diese dazu verwendet werden, um private Gläubiger aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Dieses Ziel verfolgt ein Vorschlag der Deutschen Bundesbank, der vorsieht, dass im Falle von Hilfsmaßnahmen aus Mitteln des ESM eine automatische Verlängerung der Laufzeiten ausstehender Staatsanleihen um drei Jahre erfolgen sollte, um auszuschließen, dass diese Mittel zu einer Auszahlung privater Gläubiger verwendet werden.27

Zur Erleichterung des Umgangs mit Überschuldungssituationen bedarf es ferner einer verbesserten Eigenkapitalausstattung von Banken. Auf diesem Wege muss sichergestellt werden, dass Banken im Krisenfall besser als in der Vergangenheit dazu in der Lage sind, Verluste zu absorbieren und dadurch die Verantwortung für die Folgen ihrer Geschäfte zu übernehmen. Dieser Zielsetzung dient die Verschärfung der Eigenkapitalunterlegungspflichten im Rahmen von Basel III, die derzeit weltweit umgesetzt wird. Eine offene Baustelle ist allerdings die weiterhin fehlende Eigenkapitalunterlegung für Ausleihungen an öffentliche Schuldner. Hier wäre es an der Zeit, die Vorschriften auf globaler und europäischer Ebene so umzugestalten, dass auch diese Positionen mit haftendem Eigenkapital unterlegt und auf Großkreditgrenzen angerechnet werden.28 Daher ist es zu begrüßen, dass dieses Thema inzwischen auf die Agenda des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht gelangt ist.29

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Unterbindung kurzfristig orientierter Vergütungssysteme in Banken, um Fehlanreizen für Entscheidungsträger vorzubeugen. Diese Zielsetzung findet sich in einer EU-Richtlinie30 aus dem Jahr 2010 und wurde in Deutschland durch das „Gesetz über die aufsichtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen“ sowie die „Institutsvergütungsverordnung“ umgesetzt. Kernbestandteil dieser Normen ist eine Koppelung variabler Gehaltsbestandteile an den langfristigen Erfolg. So dürfen Boni nur noch mit einer zeitlichen Verzögerung von drei bis fünf Jahren ausgezahlt werden, wobei für den Fall später auftretender Verluste die Möglichkeit eines nachträglichen Einbehalts (sogenannte „Clawback-Klausel“) vorzusehen ist. Diese Regel geht zweifellos in die richtige Richtung, da die Ausschüttung kurzfristiger Boni ohne Berücksichtigung mittelfristiger Risiken deutlich erschwert wird. Eine tatsächliche Symmetrie von Gewinnchancen und Verlustmöglichkeiten ist damit jedoch weiterhin nicht gegeben, da potenziell unbegrenzten Verdienstmöglichkeiten nach wie vor lediglich das Risiko eines teilweisen Einbehalts von Boni gegenübersteht. Somit besteht unverändert die Gefahr, dass Verträge mit hohen Boni-Verheißungen Bankmanager oder Investmentbanker zum Eingehen hoher Risiken verleiten. Eine derartige Asymmetrie könnte nur dann vermieden werden, wenn Entscheidungsträger im Verlustfall tatsächlich – zumindest bis zu einer gewissen Obergrenze – mit ihrem Privatvermögen haften würden. Eine solche Regelung würde bedeuten, dass man sich dem früher im Investmentbanking praktizierten Partnerschaftsmodell wieder annähern würde, das zugleich als implizite Risikobremse gewirkt hat. Hier wäre also ein Schritt zurück in die Vergangenheit durchaus sinnvoll.

Die Bekämpfung nachhaltigkeitsgefährdender Eigendynamiken im Finanzsektor bedeutet zudem, dass die Funktion der Finanzbranche als Dienstleister für die Realwirtschaft gesichert werden muss.31 Hierbei kommen der neuen europäischen Banken- und Finanzaufsicht wichtige Aufgaben zu. So muss insbesondere sichergestellt werden, dass die im Finanzsektor praktizierten Geschäftsmodelle tatsächlich auf der Wertschöpfung zum Vorteil des Kunden beruhen und Geschäftspraktiken, die primär auf die Schaffung von Intransparenz bzw. die Verschleierung von Risiken abzielen, unterbunden werden.

Fazit

Alle hier dargestellten Regulierungsansätze lassen sich unter einer Zielsetzung zusammenfassen: Es gilt, den Finanzsektor so zu regulieren, dass Eigendynamiken, die zu problematischen Auswirkungen auf die Einkommens- und Vermögensverteilung sowie die Kapitalallokation führen können, so weit wie möglich unterbunden werden. Der wesentliche Ansatzpunkt dafür ist die Stärkung der Verantwortung von Investoren für ihre Investitionsentscheidungen durch eine entsprechende Verlustzuweisung.

Dabei liegt auf der Hand, dass auf diese Weise nicht sämtliche Ursachen für die Verschärfung der Ungleichheit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung in den vergangenen Jahrzehnten beseitigt werden können. Hierzu bedarf es weiterer Maßnahmen, die von einer Verbesserung der Aus- und Fortbildungssysteme über Strukturreformen in verschiedenen Branchen bis hin zu staatlicher Umverteilung reichen können. Der Beitrag der Finanzmarktregulierung sollte in diesem Kontext darin liegen, problematische Auswirkungen des Finanzsektors im Hinblick auf die Einkommens-, Vermögens- und Chancenverteilung zu verhindern. Nur so lässt sich gewährleisten, dass sozial- und gesellschaftspolitische Maßnahmen auf anderen Ebenen nicht durch gegenläufige Entwicklungen im Finanzsektor konterkariert werden.

Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar und gibt nicht notwendigerweise Positionen der Deutschen Bundesbank wieder.

  • 1 Sustainable Development Goals im Internet: http://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/ (21.10.2015).
  • 2 Vgl. A. Wieandt: Nachhaltigkeit. Unternehmerisches Handeln in globaler Verantwortung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 64. Jg. (2011), S. 771-776; T. Nguyen: Nachhaltige Finanzmarktpolitik, in: M. von Hauff, T. Nguyen (Hrsg.): Nachhaltige Wirtschaftspolitik, Baden-Baden 2013, S. 351-381.
  • 3 Vgl. auch B. Emunds: „Finance“ hat goldenen Boden, in: Forum Wirtschaftsethik, Nr. 2/2015, S. 2-7.
  • 4 Vgl. zu entsprechenden Daten R. Greenwood, D. Scharfstein: The Growth of Finance, in: Journal of Economic Perspectives, 27. Jg. (2013), Nr. 2, S. 3-28.
  • 5 Vgl. S. Schulmeister: Handelsdynamik und Preisschwankungen auf Finanzmärkten und das Stabilisierungspotential einer Finanztransaktionssteuer, in: WIFO-Monatsbericht, Nr. 8/2008, S. 607-626.
  • 6 R. Shiller: Finance and the Good Society, Princeton 2012, S. 12.
  • 7 Vgl. auch C. Hecker: Werte und Institutionen im Wettbewerb. Wirtschaftspolitik, Moral und Verantwortung unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Wandels, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 64. Jg. (2015), H. 2, S. 139-170.
  • 8 Vgl. H. Kaufman: On Money and Markets. A Wall Street Memoir, New York u.a.O. 2000, S. 85-98; R. Shiller, a.a.O., S. 174-177.
  • 9 F. Böhm: Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht (Hrsg.): Kartelle und Monopole im modernen Recht, Karlsruhe 1961, Bd. 1, S. 22.
  • 10 Vgl. K. Adam, P. Tzamourani: Distributional consequences of asset price inflation in the euro area, Deutsche Bundesbank, Discussion Paper, Nr. 27/2015.
  • 11 Vgl. dazu beispielsweise R. Haimann: Offene Immobilienfonds. Riskante Anlage, in: Sparkasse, 127. Jg., H. 11, S. 6 f.
  • 12 Vgl. B. G. Malkiel: Asset Management Fees and the Growth of Finance, in: Journal of Economic Perspectives, 27. Jg. (2013), H. 2, S. 97-108.
  • 13 Vgl. R. Shiller, a.a.O., S. 209-218.
  • 14 Vgl. A. Korinek, J. Kreamer: The redistributive effects of financial deregulation: wall street versus main street, BIS Working Paper, Nr. 468 (2014).
  • 15 „We are throwing more and more of our resources, including the cream of our youth, into financial activities remote from the production of goods and services, into activities that generate high private rewards disproportionate to their social productivity.“ Vgl. J. Tobin: On the efficiency of the financial system, in: Lloyds Bank review, Nr. 153 (1984), S. 14.
  • 16 Vgl. S. G. Cecchetti, E. Kharroubi: Why does financial sector growth crowd out real economic growth?, BIS Working Paper, Nr. 490 (2015); R. Sahay et al.: Rethinking Financial Deepening: Stability and Growth in Emerging Markets, IMF Staff Discussion Note, 15/08 (2015); J. Arcand, E. Berkes, U. Panizza: Too Much Finance?, IMF Working Paper, Nr. 12/161 (2012).
  • 17 Vgl. R. G. Rajan: Has Financial Development Made the World Riskier?, NBER Working Paper, Nr. 11728 (2005).
  • 18 Vgl. J. E. Stiglitz: The Price of Inequality, London u.a.O. 2012; T. Piketty: Capital in the Twenty-First Century, Cambridge, MA 2014. Vgl. dazu auch die aktuelle OECD-Studie: In It Together: Why Less Inequality Benefits All, Paris 2015.
  • 19 Vgl. J. E. Stiglitz: Das Ende des Amerikanischen Traums. Die Vereinigten Staaten auf dem Weg zur Erboligarchie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 57. Jg. (2012), H. 12, S. 37-49.
  • 20 Vgl. unter anderem J. Flemmig: Kapitalismus im Jahre 2100: Rückkehr zu patrimonialen Strukturen oder doch Euthanasie des Rentiers?, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 44. Jg. (2015), H. 9, S. 503-509.
  • 21 Vgl. A. K. Sen: The Idea of Justice, Cambridge, MA 2009. Vgl. dazu auch C. Hecker: „Soziale Gerechtigkeit“ als Befähigungsgerechtigkeit – Subsidiarität, Verantwortungsfähigkeit und Eigenverantwortung im Rahmen liberaler Ordnungspolitik und christlicher Gesellschaftsethik, in: ORDO, 64. Jg. (2013), S. 99-133.
  • 22 Vgl. C. Hecker: Wer gewinnen will, muss haften! Was Thomas Piketty von Martin Luther lernen könnte, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Nr. 11/2014, S. 614-618.
  • 23 „Der Nagel zum Sarg jeder bestehenden Eigentumsverteilung ist der um sich greifende Glaube, (…) dass zwischen den verschiedenen Leistungen der Einzelnen und ihren wirtschaftlichen Resultaten – ihrem Einkommen eine zu große, zu ungerechte Disharmonie sei.“ G. Schmoller: Die sociale Frage und der preußische Staat, in: Preußische Jahrbücher, 33. Jg. (1874), S. 334.
  • 24 Vgl. M. Fehr, S. Wettach: „Es wird Konflikte geben“, Interview mit Dr. Elke König, Chefin des Einheitlichen Europäischen Abwicklungsmechanismus, in: Wirtschaftswoche vom 9.10.2015.
  • 25 Vgl. A. Aboubakar: Neue Ratingmethode für Banken bei Moody’s, in: Börsen-Zeitung vom 26.3.2015, S. 18.
  • 26 Y. Osman: Miserables Zeugnis. Die Ratingagentur Fitch stuft vor allem die Commerzbank schlechter ein, in: Handelsblatt vom 21.5.2015, S. 32.
  • 27 Vgl. K. Wendorff, A. Mahle: Staatsanleihen neu ausgestalten – für eine stabilitätsorientierte Währungsunion, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 9, S. 604-608.
  • 28 S. Lautenschläger: Eine Bankenunion für Europa: Welcher Bauplan ist der richtige?, in: ifo Schnelldienst, Nr. 1/2013, S. 3-9.
  • 29 Vgl. B. Neubacher: „Ja, da gibt es Argwohn“. Im Interview: William Coen, in: Börsenzeitung vom 28.10.2015.
  • 30 Capital Requirements Directive III, CRD III, Richtlinie 2010/76/EU.
  • 31 Vgl. auch C. Hecker: Wenn aus Kontingenz Notwendigkeit wird. Die neue Welt der Finanzmärkte und die alten Warnungen Martin Luthers, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, 59. Jg. (2015), S. 191-204.

Title:Financial Markets and (Social) Sustainability: An Ambivalent Relationship

Abstract:In the catalogue of “Sustainable Development Goals” approved by the UN General Assembly in September 2015, financial market regulation is mainly described as an issue of social sustainability. This classification is appropriate because inadequate regulation leads to imbalances between profits and liability, as private gains are accompanied by social costs. Consequently, the distribution of wealth and income deteriorates inasmuch as people with high fortunes tend to have more opportunities to benefit from investments in capital markets. Financial market regulation, aiming to prevent such a development, should mainly focus on fighting moral hazard, limiting too­-big­-to-­fail problems and banning short­-term-oriented remuneration structures in banks.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1953-9