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Rentenvorrang erst im Nachhinein!

Von Enzo Weber

Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II werden nur gewährt, wenn der Lebensunterhalt nicht anderweitig bestritten werden kann. Vorrang gegenüber Grundsicherung hat auch die Rente: Wenn ein Leistungsbezieher das Alter von 63 Jahren erreicht und bei mindestens 35 Versicherungsjahren Anspruch auf eine Rente für langjährig Versicherte hat, muss er diesen Anspruch geltend machen. Das hat zwei gewichtige Nachteile: ein geringeres Rentenniveau sowie ein vorzeitiges Ende der Berufstätigkeit.

Durch die üblichen Rentenabschläge von 0,3% pro Monat erhöht sich das Risiko, während des Rentenbezugs auf ergänzende Grundsicherungsleistungen angewiesen zu sein. Wenn die Regelaltersgrenze auf 67 Jahre gestiegen ist, beträgt die Rentenminderung bei Inanspruchnahme mit 63 Jahren 14,4% – und das Rentenniveau ist ja ohnehin demografisch unter Druck. Eine Unbilligkeitsverordnung regelt Ausnahmen von der vorgezogenen Inanspruchnahme der Altersrente. Darunter fallen aufstockende Beschäftigte, Personen, die eine baldige Erwerbstätigkeit glaubhaft und verbindlich nachweisen können sowie jene, die zeitnah eine abschlagsfreie Rente erhalten. Die Koalitionsarbeitsgruppe zur Flexi-Rente hat eine Ergänzung vorgeschlagen, durch die Grundsicherung im Alter infolge von Rentenabschlägen vermieden werden soll. Offenbar führen alle Ausnahmen aber zu einer Ungleichbehandlung gegenüber jenen, die nicht ausgenommen sind und damit zum Renteneintritt verpflichtet werden – und zu entsprechender Unsicherheit.

Noch schwerer als die Abschlagsproblematik wiegt aus Arbeitsmarktsicht, dass mit der verpflichtenden Inanspruchnahme der Rente die Berufstätigkeit der Betroffenen vorzeitig beendet wird. Wer einmal in Rente ist, wird sich kaum noch bei der Arbeitsagentur zur Vermittlung melden oder eine sozialversicherungspflichtige Stelle antreten – höchstens einen Minijob. Dies lässt sich an Hand der Integrierten Erwerbsbiographien des IAB zeigen: Von allen Langzeitarbeitslosen, die von 2008 bis 2012 mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausschieden (möglicherweise in Rente), kehrten weniger als hundert pro Jahr bis zur Regelaltersgrenze noch einmal in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zurück. Dem Arbeitsmarkt werden also Arbeitskräfte entzogen. Auch im Hinblick auf den demografischen Wandel ist das zu vermeiden.

Sicherlich sind die Arbeitsmarktchancen von 63-jährigen Grundsicherungsbeziehern relativ niedrig. Aber mit der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze verlängert sich der Zeitraum, in dem sie vor dem Rentenalter noch erwerbstätig sein könnten, auf immerhin vier Jahre. Wäre es also nicht möglich, den vorzeitigen Renteneintritt zu vermeiden, aber den Vorrang von Rentenansprüchen vor Sozialleistungen zu erhalten? Doch, und zwar dann, wenn der Vorrang erst im Nachhinein geltend gemacht wird! Man würde also die Pflicht zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente abschaffen und stattdessen bei Erreichen der Regelaltersgrenze prüfen, wie viel Grundsicherungsleistungen seit dem Alter von 63 gezahlt wurden. Wäre die Rente sofort in Anspruch genommen worden, läge dieser Betrag entsprechend niedriger. Die Summe, die durch vorzeitigen Rentenbezug hätte gespart werden können, überweist die Rentenversicherung dann an den Bund. Zur Vereinfachung könnte man auch mit Pauschalen arbeiten. Finanziell wäre die Nachrangigkeit der Grundsicherung gewahrt. Möchte man auch die Rentenversicherung finanziell neutral stellen, könnte ein Abschlag auf die Rente berechnet werden, der über eine durchschnittliche Rentenbezugsdauer dem Ausgleichsbetrag entspricht. Inwieweit das geschieht und welche Ausnahmen gelten sollen, wäre wie bisher eine politische Entscheidung. Niemand müsste schlechter gestellt werden als im Status quo. Ganz im Gegenteil: Der Vorschlag vermeidet verpflichtende vorzeitige Renteneintritte und ist dabei finanziell neutral – oder sogar vorteilhaft, wenn Betroffene wieder eine Beschäftigung aufnehmen und so Einkommen wie auch Rentenansprüche erhöhen. Und natürlich könnten jeder, der die Voraussetzungen erfüllt, nach wie vor freiwillig mit 63 in Rente gehen.

Betriebliche Altersvorsorge: Kosten abwägen!

Von Tim Köhler-Rama

Bundesministerin Nahles hat jüngst das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ vorgelegt. Die Grundidee des Modells besteht darin, den Tarifpartnern die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Altersvorsorge (BAV) zu übertragen. Die zentrale rentenpolitische Verteilungsfrage „Auf wie viel Lohn soll für die Altersvorsorge verzichtet werden?“ würde auf die Tarifverhandlungen verlagert. Ein kluger Schachzug von der Ministerin, der außerdem den Nebeneffekt hat, dass die Rentendiskussion nicht immer nur um das sinkende Rentenniveau und die Misere in der privaten Vorsorge (Riesterrente) kreist. Wird das „Sozialpartnermodell“ umgesetzt, bestünde der Vorteil für die Arbeitgeber darin, dass sie aus der Haftung für die Betriebsrenten befreit wären. Sie würden den Beitrag zur BAV an einen Versorgungsträger abführen und hätten danach mit der Betriebsrente für ihre Beschäftigten nichts mehr zu tun. Rückstellungen für Betriebsrenten, deren Höhe vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen stark angestiegen ist und die Eigenkapitalbasis der Unternehmen schwächen, würden aus den Bilanzen verschwinden. Im Ergebnis wären die Arbeitgeber nicht nur von den Haftungsrisiken befreit, sondern hätten auch vollkommene Kostensicherheit im Hinblick auf die Betriebsrenten ihrer Beschäftigten. Künftig würde der von den Tarifpartnern gemeinsam verwaltete Versorgungsträger die Haftung für die Betriebsrente übernehmen, allerdings nur in Höhe der eingezahlten Beiträge. Um diese Haftung übernehmen zu können, muss der Versorgungsträger sich seinerseits gegen das Insolvenzrisiko versichern. Für die Beschäftigten bedeutet der Vorschlag im Ergebnis den Ausstieg aus der alten Welt der „Leistungszusage“, in der noch eine bestimmte Höhe einer Betriebsrente garantiert worden war. Künftig gäbe es nur noch die „Beitragszusage“, d.h. nur die eingezahlten Beiträge wären garantiert. Die tatsächliche Höhe der künftigen Betriebsrente hinge einzig und alleine von der künftigen Kapitalmarktentwicklung ab. Hier gilt ein einfaches Gesetz: Je mehr Garantien zugesagt werden, desto höher die Kosten und desto geringer die Rendite. Dieses Grundprinzip gilt für jedes kapitalgedeckte Altersvorsorgesystem.

Gegenüber der rein privaten Altersvorsorge betrifft die betriebliche Altersvorsorge größere Versichertenkollektive. Das macht den Risikoausgleich für die Versicherten kos­tengünstiger. Es bleibt aber das Problem der zu geringen Verbreitung der BAV: Zur Lösung hatte ein Rechtsgutachten das sogenannte „Opting-Out-Verfahren“ vorgeschlagen. Außerdem wird in dem Gutachten für einen gesetzlich garantierten Arbeitgeberzuschuss zur BAV plädiert, da der Arbeitgeber bei der Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge spart. Zusätzlich sollen die Beschäftigten wie bei der Riester-Förderung eine staatliche Zulage erhalten. Schließlich plädiert das Gutachten noch für die Einführung von Freibeträgen bei der Grundsicherung für Betriebsrenten. Die Reformdiskussion zur BAV befindet sich allerdings noch ganz am Anfang. Wenn am Ende der Staat mehr Geld in die betriebliche Altersvorsorge stecken muss und die Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich gleichermaßen an der Finanzierung beteiligen sollen, stellt sich allerdings auch grundsätzlich die Frage nach der Vorteilhaftigkeit der BAV gegenüber dem System der Gesetzlichen Rentenversicherung. In Zeiten anhaltend niedriger Zinsen und steigender Löhne hat die Gesetzliche Rentenversicherung in den letzten Jahren (wieder) stark an Attraktivität gewonnen. Der Vorschlag der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der BAV ist originell und wenn er umgesetzt wird, könnten die BAV und die kapitalgedeckte Altersvorsorge insgesamt daraus gestärkt hervorgehen. Je mehr allerdings der Ausbau der BAV den Beschäftigten und den Steuerzahler kostet, desto eher wird auch künftig das wichtigste Alternativszenario diskutiert werden: Die Wiederanhebung des Rentenniveaus in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Helikoptergeld: Reputation entscheidend

Von Thomas Mayer

Die Diskussion über Helikoptergeld zeigt, dass unser bestehendes Geldsystem schwer angeschlagen ist. Möglicherweise wird es nicht überleben. Helikoptergeld könnte seinen Niedergang beschleunigen. Es könnte aber auch den Systemwechsel zu einem Geld einleiten, das sich allein auf Reputation stützt.

Im Kreditgeldsystem entsteht Geld durch die Vergabe von Krediten. Giralgeld wird durch private Banken geschaffen, indem diese den Kreditnehmern die geliehene Summe auf dem Girokonto gutschreiben. Auch Zentralbankgeld entsteht durch Kreditvergabe, indem die Zentralbank privaten Banken Zentralbankgeld gegen Sicherheiten leiht. Im Kreditgeldsystem ist Geld also immer durch Forderungen gedeckt. Ohne Kreditwachstum gibt es in diesem System kein Wachstum der Geldmenge, keine Inflation und meist auch kein Wirtschaftswachstum. Die Banken sind aber gegenwärtig zu schwach, um neue Kredite in größerem Umfang zu vergeben. Und die Staaten, Haushalte und Unternehmen sind zu hoch verschuldet, um viel neue Schulden aufzunehmen. Da helfen auch keine Null- und Negativzinsen. Mit ihrer Geldpolitik erzeugen die Zentralbanken daher statt Konsumentenpreisinflation nur neue Blasen an den Finanzmärkten.

Helikoptergeld wird nicht gegen Forderungen, sondern als eigenständiger Wert erzeugt. Natürlich wird eine Zentralbank nicht frisch gedruckte Geldscheine aus einem Helikopter werfen wollen. Sie kann aber den Banken aus dem Nichts geschaffenes Zentralbankgeld mit der Maßgabe zuweisen, dass diese dagegen Giralgeld schaffen und es allen Bürgen zu gleichen Teilen auf dem Girokonto gutschreiben. Buchungstechnisch taucht auf diese Weise geschaffenes Helikoptergeld als negative Eigenkapitalposition auf der Aktivseite der Bilanz der Zentralbank auf. Man könnte es Reputationsgeld nennen, weil sein Wert ganz allein davon abhängt, ob die Nutzer erwarten, dass sie dieses Geld gegen andere Dinge tauschen können. Auch Gold ist Reputationsgeld. Sein praktischer Nutzen ist begrenzt. Dennoch will man es haben, weil man erwartet, dass es sich leicht gegen andere Dinge eintauschen lässt. Würde die EZB den Bürgern im Euroraum Helikop­tergeld direkt zuweisen, dann wäre dies eine geldpolitische Maßnahme und damit nach ihren Statuten erlaubt.

Vertrauen in Reputationsgeld entsteht nur, wenn die Nutzer von seinen Funktionen als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung überzeugt sind. Der Emittent darf nicht die Verschlechterung der Geldfunktionen zum Ziel erheben. Das wäre, als wollte er Autos verkaufen, die so konstruiert sind, dass sie durchrosten. Dafür würde er keine Käufer finden. Deshalb hinge die Wertschätzung von Helikoptergeld durch die Nutzer davon ab, ob seine Einführung als Systemwechsel begriffen würde. Würde der „Abwurf“ dagegen nur als eine weitere Maßnahme zur Erhöhung der Inflation verstanden, dann könnte das Vertrauen in die Stabilität des Geldes schnell kippen.

Reputationsgeld muss so knapp gehalten werden, dass man Anstrengungen zu seinem Erwerb unternimmt. Dies wird nur tun, wer daran glaubt, dass ihm Geld als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung nützt. Damit Geld knapp bleibt, darf die Geldmenge nicht beliebig, sondern nur nach festgelegten Regeln erhöht werden. Dabei könnte der Geldmengenzuwachs an alle Geldnutzer gleich verteilt werden. Helikoptergeld hätte so eine neutrale Verteilungswirkung, während im Kreditgeldsystem nur diejenigen begünstigt werden, die sich verschulden können. Reputation wird am besten unter Wettbewerbsbedingungen erworben. Reputationsgeld sollte daher nicht im staatlichen Monopol, sondern im Wettbewerb verschiedener Anbieter geschaffen werden. Dadurch könnte es seine Funktionen als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung optimal erfüllen und wäre nicht der Willkür der Politik unterworfen.

Korruption im Gesundheitswesen: Nachbesserungsbedarf erkennbar

Von Klaus Jacobs

Vor vier Jahren hatte ein Urteil des Bundesgerichtshofs eine Strafbarkeitslücke im Bereich der Gesundheitsversorgung offenbart. Niedergelassene Vertragsärzte konnten von Pharmaunternehmen Geld dafür annehmen, dass sie ihren Patienten Arzneimittel dieser Unternehmen verordneten, ohne dass sich die Ärzte wegen Bestechlichkeit oder die Arzneimittelhersteller wegen Bestechung strafbar machten. Wenn der Gesetzgeber Korruption im Gesundheitswesen für strafwürdig hielte, urteilte damals der Bundesgerichtshof, müsse er für entsprechende Straftatbestände sorgen, die eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglichten. Das ist nunmehr geschehen, denn der Bundestag hat im April 2016 das „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ verabschiedet. Aus Verbrauchersicht kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Schritt als überfällig zu begrüßen ist, und zwar sowohl aus der Patienten- als auch aus der Versichertenperspektive. So war die bislang bestehende Lücke zur strafrechtlichen Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen grundsätzlich geeignet, das Vertrauen der Patienten in die ärztliche Integrität zu unterminieren, die gewährleisten soll, dass Behandlungs- und Verordnungsentscheidungen ausschließlich am Patientenwohl ausgerichtet sind. Zugleich waren aber auch die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung durch potenzielle Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot betroffen, wonach Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen.

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, sind Verbraucherinteressen bei berufsbezogenen Selbstverwaltungskörperschaften generell nicht sonderlich gut aufgehoben. Das liegt grundsätzlich in deren Natur, zu der ein ausgeprägtes Interesse an Ermittlungen gegen schwarze Schafe innerhalb des eigenen Berufsstands in der Regel nicht zu passen scheint, sofern überhaupt ausreichende Ermittlungsbefugnisse vorhanden sind. Dieses Defizit ist nunmehr behoben, zumal es sich bei dem im Strafgesetzbuch neu geschaffenen Tatbestand der Korruption im Gesundheitswesen um ein Offizialdelikt handelt. Das heißt, dass die Staatsanwaltschaft von Amts wegen verpflichtet ist, Ermittlungen aufzunehmen, wenn entsprechende Verdachtsmomente vorliegen, und nicht nur auf Antrag eines begrenzten Kreises potenzieller Antragsteller. Allerdings hat sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen können, die flächendeckende Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften nach dem Vorbild von Bayern, Hessen und Thüringen zu befürworten, wie es angesichts des hochkomplexen wie dynamischen Sozialversicherungsrechts nicht nur zweckmäßig, sondern geradezu geboten erscheint.

Dies verweist darauf, dass es sich bei dem Gesetz am Ende um einen Kompromiss handelt, um den bis zuletzt kräftig gerungen wurde. Dass es nicht ein reines Ärztestrafrecht darstellt, sondern alle Heilberufe einbezogen wurden, ist aus Verbrauchersicht grundsätzlich positiv. Problematisch sind dagegen weitreichende Ausnahmen für Apotheker, die sonst keine Gelegenheit versäumen, auf ihre Stellung als Heilberufler zu verweisen. Speziell bei der Abgabe von Arzneimitteln gibt es einen großen Entscheidungsspielraum, innerhalb dessen es zu maßgeblichen Marktbeeinflussungen kommen kann. Es ist deshalb unverständlich, dass dieser potenziell korruptionsträchtige Tatbestand im letzten Moment aus dem Gesetz gestrichen wurde. Somit ist mit dem Gesetz zwar ein wichtiger erster Schritt im Verbraucherinteresse erfolgt, aber schon jetzt Nachbesserungsbedarf erkennbar.


DOI: 10.1007/s10273-016-1975-3

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