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Deutschland investiert zu wenig in Bildung – darüber sind sich Wissenschaft und Medien einig. Dass diese Investitionen überwiegend öffentlich finanziert werden müssen, wird nicht bezweifelt. Die Frage ist aber, ob es mit den in der Vergangenheit getätigten Bildungsinvestitionen gelungen ist, soziale Ungleichheiten zu mildern. Vieles deutet darauf hin, dass die deutsche Bildungspolitik insbesondere bei der Verbesserung der sozialen Durchlässigkeit Defizite aufweist. Vor allem im vorschulischen Bereich sollten zusätzliche Finanzmittel eingesetzt werden, aber auch die regionale Verteilung ist zu beachten. Zudem sind Bildungsinvestitionen für die bessere Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt erforderlich.

Bildungsinvestitionen zielgerichtet ausbauen!

Deutschland investiert zu wenig in Bildung – diese und ähnliche Aussagen finden sich häufig nicht nur in Medien und gesellschaftspolitischen Debatten, sondern auch als Ergebnis internationaler Vergleichsstudien. Damit einher geht die Forderung nach höheren Bildungsinvestitionen, um auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, Bildungsungleichheiten zu reduzieren und auf individueller Ebene erfolgreiche Bildungsbiografien zu ermöglichen. Aber was besagt der internationale Vergleich tatsächlich und wo sind höhere finanzielle Mittel am effektivsten und effizientesten investiert?

Bildungsausgaben im internationalen Vergleich

Im Durchschnitt investieren die OECD-Länder vom frühkindlichen bis zum Tertiärbereich insgesamt 6,2% ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in formale Bildungseinrichtungen. Deutschland lag 2012 mit 5,3% unter diesem Vergleichswert.1 Gemessen an der Wirtschaftskraft werden für formale Bildungseinrichtungen in Deutschland also vergleichsweise wenig finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt. Auch hinsichtlich der Ausgabenentwicklung über die Zeit, liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Während der Anteil der Bildungsausgaben für formale Bildungseinrichtungen (ohne Bildungsangebote für Kinder unter drei Jahren) am BIP in Deutschland 2011 auf demselben Niveau wie 1995 lag, steigerten die OECD-Länder diesen Anteil im gleichen Zeitraum im Durchschnitt um 15% und die EU21-Länder im Mittel um 10%.2 Auch die skandinavischen Länder, die ohnehin bereits einen vergleichsweise hohen Anteil der Bildungsausgaben am BIP investierten, steigerten diesen Anteil im gleichen Zeitraum um 5%.

Bei einer Betrachtung der Ausgaben pro Kopf sieht das Bild allerdings etwas anders aus: Hier zeigt sich, dass Deutschland 2012 insgesamt 11% über dem OECD-Durchschnitt lag.3 Dies gilt jedoch nicht für alle Bildungsbereiche: Die absoluten Ausgaben pro Schüler sind in Deutschland insbesondere im Primarbereich unterdurchschnittlich. Hier liegen die Ausgaben 6% unter dem OECD-Durchschnitt. Werden im Tertiärbereich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) an Hochschulen herausgerechnet, so liegen auch hier die Ausgaben pro Studierenden knapp 3% unter dem OECD-Durchschnitt. In der Sekundarstufe I unterscheiden sich die Ausgaben pro Schüler hingegen kaum, während sie in der Sekundarstufe II über ein Viertel sowie im postsekundaren nicht-tertiären Bereich um knapp die Hälfte über dem OECD Durchschnitt liegen.4 Auch im Elementarbereich liegen die Ausgaben pro Kind inzwischen um knapp ein Viertel über dem OECD-Vergleichswert.5 Zieht man jedoch erneut die skandinavischen Länder als Vergleichsgruppe heran, so verändert sich die Bewertung deutlich: Die skandinavischen Länder wenden im Mittel pro Kopf vom Primar- bis zum Tertiärbereich 15% und im Elementarbereich 22% mehr auf als Deutschland.6

Im Bereich der frühen Bildung zeigen sich auch erhebliche Unterschiede darin, wer für die Ausgaben aufkommt. Während in Deutschland lediglich knapp 70% der Ausgaben im frühkindlichen Bereich (Kinder unter drei Jahren) von der öffentlichen Hand getragen werden, sind es in Norwegen 86% und in Finnland 91%. Bei den Bildungsangeboten für Kinder ab drei Jahren sind die Unterschiede hingegen geringer. Hier werden in Deutschland 80% aus öffentlichen Mitteln finanziert. In Norwegen liegt dieser Anteil mit 86% und in Finnland mit 89% dennoch darüber.

Eine solche Betrachtung von Bildungsausgaben und deren Vergleich mit anderen Ländern ermöglicht es die Bedeutung von monetären Ressourcen, die für Bildungsprozesse aufgewendet werden, darzustellen. Dabei sollten jedoch zwei Aspekte berücksichtigt werden. Erstens ist die Höhe der Bildungsausgaben maßgeblich von dem unterstellten Abgrenzungskonzept, d.h., welche Ausgaben zu den Bildungsausgaben gezählt werden, sowie der vorhandenen Datengrundlage abhängig.7 Zweitens, und dies ist sehr bedeutsam, ist eine Ausgabenbetrachtung immer eine reine Betrachtung von Inputgrößen und sagt noch nichts darüber aus, welche Bildungsergebnisse damit erzielt werden: Höhere Ausgaben führen nicht per se zu besseren Bildungsergebnissen. Die empirische Evidenz für einen solchen Zusammenhang zeigt allenfalls eine schwach positive Wirkung von höheren Bildungsausgaben auf Bildungsergebnisse.8

Ein schwacher Wirkungszusammenhang bedeutet jedoch wiederum nicht, dass Bildungsausgaben keine Bedeutung für Bildungsergebnisse haben. Eine adäquate Finanzausstattung des Bildungssystems ist Grundvoraussetzung, um ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot sicherzustellen. Das ist schon fast ein Gemeinplatz, der letztlich auch darin zum Ausdruck kommt, dass sich Bund und Länder auf dem nationalen Bildungsgipfel 2008 darauf verständigt haben, die Bildungsausgaben gemessen als Anteil am BIP auf 7% zu erhöhen. Allerdings hat Deutschland, nach vorläufigen Berechnungen für 2014, dieses Ziel auch sechs Jahre später immer noch nicht erreicht.9 Wenn also die Ausgaben weiter erhöht werden sollen, so ist die Frage zu stellen, in welchen Bereichen sie besonders effektiv und effizient sind.

Frühe Bildungsinvestitionen als Beitrag zur Reduktion von sozialer Ungleichheit?

Sucht man auf der Basis bildungsökonomischer Erkenntnisse nach einer Antwort auf die Frage, wann und in welcher Phase des Lebensverlaufs Bildungsinvestitionen besonders effektiv und effizient sind, so weisen viele Studien auf die hohe Effektivität und Effizienz früher Bildungsinvestitionen hin. Solche Investitionen versprechen nicht nur eine hohe Rendite, sondern können auch zu einer Reduktion früher Ungleichheiten beitragen: Die bildungsökonomische Forschung zeigt, dass insbesondere Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien von frühen Investitionen profitieren. Gezielte Ausgaben in diesem Bereich könnten somit auch zu einer Reduktion sozialer Ungleichheit beitragen. Diese Forschungsergebnisse und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen werden häufig mit den vielfältigen und sehr differenzierten Arbeiten des Nobelpreisträgers James Heckman und seinen Koautoren verbunden.10

Kritisch wird in diesem Kontext jedoch häufig angemerkt, dass zumindest ein Teil der Evidenz auf Langzeitstudien beruht, die „nur“ qualitativ hochwertige Programme für sehr selektive Gruppen von Kindern untersuchen. Es steht außer Frage, dass diese Studien einen hohen Erkenntnisgewinn haben; sicher ist aber auch richtig, dass ihre Ergebnisse nicht 1:1 auf Deutschland und nicht auf alle Gruppen von Kindern zu übertragen sind. Die bildungsökonomische Forschung der letzten Jahre hat jedoch auch weitere Evidenz zu bieten, die sich sehr viel eher auf den deutschen Kontext übertragen lässt. Dabei handelt es sich um jene Forschung, welche die Wirkung von universellen frühen Bildungs- und Betreuungsangeboten untersucht, d.h. solchen Angeboten, die grundsätzlich allen Kindern offen stehen und nicht auf spezifische Gruppen ausgerichtet sind. Neuere Studienergebnisse auf der Basis norwegischer Daten sind unter dem Gesichtspunkt einer Ungleichheitsperspektive von besonderem Interesse. Hier wird untersucht, inwiefern eine Expansion der öffentlich finanzierten Kindertagesbetreuung in Norwegen sich langfristig auf die Einkommensungleichheit ausgewirkt hat. In den Arbeiten von Havnes und Mogstad11 zeigt sich, dass die Einkommensungleichheit in Norwegen bedingt durch einen Ausbau der öffentlich finanzierten frühen Bildung und Betreuung abgenommen hat. Tatsächlich konnten von der Reform insbesondere Kinder aus dem unteren Einkommensbereich im Hinblick auf ihre späteren Einkommen profitieren, während dies bei Kindern aus höheren Einkommensgruppen nicht der Fall war.12

Darüber hinaus weist die bildungsökonomische Forschung darauf hin, dass frühkindliche Investitionen in Bildungs- und Betreuungsangebote dann besonders hohe Effekte auf kindliche „Outcomes“ erwarten lassen, wenn sie mit substanziellen Verbesserungen in der pädagogischen Qualität verbunden sind.13 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Investitionen in frühe Bildungs- und Betreuungsangebote mit hoher Qualität durchaus zu einer Reduktion von Ungleichheiten beitragen können.14 Dies heißt allerdings nicht, dass Investitionen zu einem späteren Zeitpunkt Bildungsungleichheiten nicht reduzieren können.

Der Status quo in Deutschland

Zunächst ist festzuhalten, dass sich in Deutschland im Bereich der frühen Bildung und Betreuung in den letzten Jahren, insbesondere mit dem Ausbau der Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren, sehr viel getan hat. Die öffentlichen Ausgaben im Elementarbereich sind von 1995 bis 2014 von 8,6 Mrd. Euro pro Jahr auf 20,8 Mrd. Euro gestiegen.15 Dies ist eine Entwicklung, die potenziell zu einem Abbau von sozialen Ungleichheiten beitragen kann. Allerdings ist auch festzuhalten, dass die privaten Haushalte einen Teil der Kosten dieser Bildungs- und Betreuungsangebote selbst tragen – viele Haushalte zahlen „Kita-Gebühren“. Nur 18% der Familien, deren Kinder eine Kita nutzen, haben keine damit verbundenen Ausgaben. Betrachtet man alle Haushalte, die Kita-Ausgaben haben, so zeigt sich, dass der untere Einkommensbereich am stärksten belastet ist, bei mittleren Einkommen ist die Belastung geringer, während die 10% Familien mit den höchsten Einkommen die geringste relative Belastung aufweisen.16

Inwiefern hat der Ausbau nun aber dazu geführt, dass er allen bzw. insbesondere Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen zugute kam? Empirische Befunde belegen, dass von dem Ausbau der letzten Jahre insbesondere Kinder aus bildungsnahen und einkommensstärkeren Familien profitiert haben: Beispielsweise ist die Nutzungsquote von Kindern, deren Mutter einen niedrigeren Bildungsabschluss hat, im Vergleich zu anderen Kindern im Zeitraum von 1991 bis 2012 unterproportional gestiegen.17 Mit dem im August 2013 eingeführten Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr könnten sich diese Gruppenunterschiede reduziert haben. Ergebnisse des aktuellen Bildungsberichts zeigen jedoch, dass dem eher nicht so ist: Die Nutzungsquote der Unter-Dreijährigen, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben, ist zwischen 2012 und 2015 von 19% auf 16% sogar gesunken. Im Unterschied dazu ist die Quote der Bildungsbeteiligung von Kindern, deren Eltern einen mittleren Schulabschluss haben, von 23% auf 27% gestiegen. Bei Kindern von Eltern mit einer akademischen Ausbildung ist ein noch höherer Anstieg von 31% auf 38% zu verzeichnen.18 Bildungsungleichheiten sind somit bereits bei der Nutzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote zu beobachten – zumindest im Bereich der Bildung und Betreuung für Kinder unter drei Jahren. Bei Kindern im Kindergartenalter sind solche Unterschiede nicht mehr festzustellen. Hier spricht jedoch einiges dafür, dass Kinder unterschiedlicher sozio-ökonomischer Gruppen unterschiedliche Qualitäten nutzen und Bildungsungleichheiten insofern vorliegen, als benachteiligte Gruppen teilweise eher Kindertageseinrichtungen mit schlechterer Qualität nutzen.19

Große Qualitätsunterschiede zeigen sich auch regional, sodass nicht alle Kinder in sämtlichen Regionen Deutschlands in gleichem Umfang von einer qualitativ hochwertigen frühen Bildung und Betreuung profitieren können. Immer wieder zeigen Bundesländervergleiche unterschiedlicher Qualitätsmerkmale große regionale Differenzen.20 Auch Untersuchungen weiterer Qualitätsmerkmale von Kindertageseinrichtungen in unterschiedlichen Regionen Deutschland bestätigen diesen Befund.21 Bildungsungleichheiten könnten sich somit auch aus regionalen Qualitätsunterschieden ergeben.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Qualität in Kindertageseinrichtungen, bleibt demnach fraglich, inwiefern allein eine flächendeckende Ausgabensteigerung im Kita-Bereich Bildungsungleichheiten abbauen kann. Insbesondere da bisherige Untersuchungen zeigen, dass die Bildungs- und Betreuungsangebote für Unter-Dreijährige vermehrt von Kindern aus bildungsnahen und einkommensstärkeren Haushalten genutzt werden. Vielmehr sollte eine Ausgabensteigerung mit Überlegungen einer gezielten Förderung von Kindern grundsätzlich benachteiligter Gruppen und weiteren Überlegungen, wie einheitlichere Qualitätsmindeststandards erreicht werden können, verbunden sein. Dazu sind neben Ausgaben- auch Steuerungsfragen zu diskutieren. Bei letzterem sollte es z.B. auch darum gehen, durch bessere Informationen über einen Kita-Zugang und dessen potenziellem Nutzen Bildungsungleichheiten bei der Nutzung dieser Angebote zu reduzieren. Ein weiterer beispielhafter Ansatzpunkt sind bundeseinheitliche Qualitätsmindeststandards, um die großen regionalen Qualitätsunterschiede zu verringern.22 So können Bildungsungleichheiten frühzeitig reduziert werden.

  • 1 Vgl. OECD: Education at a Glance 2015: OECD Indicators. OECD Publishing. Paris 2015, Tab. B2.1 und Tab. C2.3.
  • 2 Vgl. OECD: Education at a Glance 2014: OECD Indicators. OECD Publishing. Paris 2014, Indikator B2.2: Aufgrund der ISCED (International Standard Classification of Education) Umstellung zum Berichtsjahr 2012, ist ein konsistenter zeitlicher Vergleich nur zwischen 1995 und 2011 auf Basis der ISCED-97 möglich. Bildungsangebote für Kinder unter drei Jahren sind darin nicht enthalten.
  • 3 Ohne Berücksichtigung der Pro-Kopf-Ausgaben im Elementarbereich.
  • 4 Vgl. OECD: Education at a Glance 2015, a.a.O., Tab. B1.1a.
  • 5 Die Ausgaben für den Elementarbereich liegen nicht auf Basis von kaufkraftbereinigten Daten vor und sind in US-Dollar gemessen; vgl. ebenda, Indikator C2.3.
  • 6 Vgl. ebenda, Tab. B1.1a und Tab. C2.3.
  • 7 So zählen beispielsweise nach internationalen Konventionen Ausgaben für non-formale Bildungsangebote wie die betriebliche Weiterbildung oder Ausgaben für Horte nicht zu den Bildungsausgaben, während diese in der nationalen Berechnung zu den Bildungsausgaben mitgerechnet werden. Zudem wird ein Großteil der Ausgaben von privaten Akteuren nur sehr eingeschränkt erfasst; vgl. auch Statistisches Bundesamt: Bildungsfinanzbericht 2015, Wiesbaden 2015.
  • 8 Vgl. u.a. E. A. Hanushek: The Failure of Input-based Schooling Policies, in: The Economic Journal, 113. Jg. (2003), H, 485, F64–F98; L. Wößmann: Schooling Resources, Educational Institutions and Student Performance: the International Evidence, in: Oxford Bulletin of Economics and Statistics, 65. Jg. (2003), H. 2, S. 117-170; J.-W. Lee, R. J. Barro: Schooling quality in a cross-section of countries, in: Economica, 68. Jg. (2001), S. 465-488; C. M. Hoxby: The effects of class size on student achievement: new evidence from population variation, in: Quarterly Journal of Economics, 115. Jg. (2000), S. 1239-1285.
  • 9 Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts lag der Anteil der Bildungsausgaben am BIP (entsprechend der nationalen Abgrenzung von Bildungsausgaben) 2014 bei 6,5%. Vgl. Statistisches Bundesamt: Bildungsausgaben, Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft 2013/14, Wiesbaden 2016.
  • 10 Vgl. z.B. F. Cunha, J. J. Heckman, L. Lance, D. Masterov: Interpreting the Evidence on Life Cycle Skill Formation, in: E. A. Hanushek, F. Welch (Hrsg.): Handbook of the Economics of Education Vol. 1, S. 697-812, Amsterdam 2006; oder aktuell: S. Elango, J. L. García, J. J. Heckman, A. Hojman: Early Childhood Education, IZA Discussion Paper Series, Nr. 9476 (November 2015).
  • 11 T. Havnes, M. Mogstad: No child left behind: Subsidized child care and children’s long-run outcomes, in: American Economic Journal: Economic Policy, 3. Jg. (2011), H. 2, S. 97-129; sowie T. Havnes, M. Mogstad: Is universal child care leveling the playing field?, in: Journal of Public Economics, 44. Jg. (2015), H. 127, S. 100-114.
  • 12 Heckman und Raut simulieren, wie durch einen steuerfinanzierten Ausbau guter vorschulischer Bildungs- und Betreuungsangebote für bildungsbenachteiligte Kinder Einkommens­ungleichheiten reduziert werden können, indem unter anderem die intergenerationale Einkommensmobilität steigt. Sie zeigen, dass dies in erheblichem Umfang möglich ist. Vgl. J. J. Heckman, L. K. Raut: Intergenerational long term effects of preschool – structural estimates from a discrete dynamic programming model, in: Journal of Econometrics, 44. Jg. (2016), H. 191, S. 164-175.
  • 13 Vgl. zusammenfassend auch C. R. Ruhm, J. Waldfogel: Long-Term Effects of Early Childhood Care and Education, in: Nordic Economic Policy Review 2012: Economics of Education, S. 23-51.
  • 14 Auch die geringe bildungsökonomische Evidenz für Deutschland weist in diese Richtung; vgl. zusammenfassend K. U. Müller et al.: Evaluationsmodul: Förderung und Wohlergehen von Kindern, DIW Berlin: Politikberatung kompakt, H. 73. (2013), Kapitel 3; und neuere Studien von T. Cornelissen, C. Dustmann, A. Raute, U. Schönberg: Who benefits from universal child care? Estimating marginal returns to early care attendance, Working Paper presented at invited sessions at the EALE/SOLE in Montreal and the EEA in Mannheim (2015), die auf Daten einer Region in Niedersachsen basiert; oder C. Felfe, R. Lalive: Does Early Child Care Help or Hurt Children’s Development?, IZA Discussion Paper Series, Nr. 8484 (2014), die Daten von Schleswig-Holstein verwenden. Die internationale Literatur zusammenfassend vgl. auch J. Waldfogel: The role of preschool in reducing inequality. Preschool improves child outcomes especially for disadvantaged children, in: IZA World of Labor, Nr. 219 (2015).
  • 15 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bildungsfinanzbericht 2015, a.a.O.
  • 16 Gleichwohl sind die Unterschiede in der relativen Belastung nicht sehr groß. Die relative Belastung über die Einkommensgruppen umfasst eine Bandbreite von 3,8% bis 5,2% des monatlichen Haushaltseinkommens. Vgl. C. Schröder, C. K. Spieß, J. Storck: Private Bildungsausgaben für Kinder: einkommensschwache Familien sind relativ stärker belastet, in: DIW Wochenbericht, 2015, H. 8, 158-169.
  • 17 Vgl. P. Schober, J. Stahl: Trends in der Kinderbetreuung seit dem Mauerfall – sozioökonomische Unterschiede verstärken sich in Ost und West, in: DIW Wochenbericht, 2014, H. 40.
  • 18 Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld 2016.
  • 19 Vgl. zusammenfassend J. Stahl : Wer nutzt welche Qualität? Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer Herkunft und Kita-Qualität, DIW Roundup, 2015, H. 73.
  • 20 Vgl. z.B. die Ländermonitore der Bertelsmann Stiftung, aktuell K. Bock-Famulla, J. Lange, E. Strunz: Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2015, Gütersloh 2015.
  • 21 Vgl. W. Tietze, F. Becker-Stoll, J. Bensel, A. Eckhardt, G. Haug-Schnabel, B. Kalicki, H. Keller, B. Leyendecker: NUBBEK. Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Fragestellungen und Ergebnisse im Überblick, Berlin 2012.
  • 22 Ein Ansatzpunkt war die Bund-Länder-Konferenz „Frühe Bildung lohnt sich“ am 5. November 2015, bei der Bund, Länder, Kommunen, Arbeitgeber und Gewerkschaften eine gemeinsame Erklärung zu Investitionen in frühe Bildung unterzeichneten.

Zur Entwicklung von Bildungsausgaben und Bildungsgerechtigkeit

Zusätzliche Bildungsausgaben dienen aus ökonomischer Sicht vor allem dazu, die Wachstumschancen zu erhöhen, zu mehr Wohlstand zu führen und zu einer größeren Gerechtigkeit beizutragen. Da ein höheres Bildungsniveau zu mehr Wirtschaftswachstum und zur Vermeidung von Wertschöpfungsverlusten führt,1 stellt eine Bildungspolitik, die primär die Kompetenzen am unteren Rand der Bildungsverteilung erhöht, ohne am oberen Rand die Kompetenzen zu reduzieren, eine wichtige Maßnahme für mehr Wachstum und Verteilungseffizienz dar.2

Bildungsausgaben sind deutlich gestiegen

Auch wenn der Indikator Bildungsausgaben gemessen am Bruttoinlansprodukt häufig für Ländervergleiche oder die Entwicklung der Bildungsausgaben verwendet wird, weist er doch erhebliche Mängel auf: Die demografische Entwicklung einer Bevölkerung wird durch diese Messzahl nicht berücksichtigt.3 Daher ist es sinnvoll, die realen öffentlichen Bildungsausgaben pro Einwohner im Alter von unter 30 Jahren zu betrachten. Diese sind von 2907 Euro im Jahr 1995 auf 4206 Euro im Jahr 2010 und 4620 Euro im Jahr 2014 deutlich gestiegen (vgl. Tabelle 1). Diese Zunahme ist sowohl auf höhere Ausgaben je Bildungsteilnehmer als auch auf gestiegene Teilnahmequoten vor allem in der frühkindlichen Bildung sowie in der Hochschulausbildung zurückzuführen.4

Tabelle 1
Reale öffentliche Bildungsausgaben pro Kopf
in Relation zur Zahl der Personen im Alter unter 30 Jahren
  in Euro
1995 2907
2000 3240
2005 3472
2010 4206
2011 4348
2011 4446
2012 4480
2013, vorläufiges Ist 4562
2014, vorläufiges Ist 4620

Anmerkungen: Reale Werte berechnet mit dem BIP-Deflator. Zweiter Wert für 2011 und in den Jahren 2012 bis 2014 werden die Ergebnisse des Zensus aus dem Jahr 2011 berücksichtigt.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bildungsfinanzbericht 2015.

Ausbau frühkindlicher Bildung und Bildungsgerechtigkeit

Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zahl der Plätze in Kindertageseinrichtungen noch einmal deutlich ausgebaut worden. Positiv ist zu beurteilen, dass zwischen den PISA-Tests aus den Jahren 2003 und 2012 Jugendliche aus bildungsfernen oder migrantisch geprägten Haushalten deutlich häufiger in ihrer Kindheit einen Kindergarten besucht haben. Dies hat zur Folge, dass der Abstand in der Teilnahmequote zu anderen Kindern zurückgegangen ist.

Der Effekt einer Teilnahme an frühkindlicher Bildung auf die Kompetenzen ist in den PISA-Tests 2003 und 2012 unverändert hoch und relevant. Kontrolliert um andere Einflüsse zeigt sich, dass Kinder, die die Kindertagesstätte länger als ein Jahr besucht haben, 20 bis 30 Punkte in den verschiedenen PISA-Kompetenzbereichen mehr erzielen.5 Zeitgleich zur höheren Teilnahme von Kindern aus bildungsfernen Haushalten an frühkindlicher Bildung wurde die Risikogruppe dieser Schülerkohorten kleiner, der Effekt des sozioökonomischen Hintergrundes auf die Kompetenzen nahm ab und Jugendliche mit Migrationshintergrund konnten hinsichtlich der erreichten Kompetenzen aufholen.6

Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass weiterhin Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder von Müttern ohne Berufsabschluss und auch Kinder aus niedrigen Einkommensgruppen seltener als andere Kinder frühkindliche Betreuungs- und Förderangebote wahrnehmen7 und Kinder aus strukturell schwachen Wohngegenden eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, Einrichtungen mit guter Anregungsqualität zu besuchen.8

Ausbau der Hochschulen und Bildungsaufstieg

Auch die Bildungsausgaben im Hochschulbereich sind gestiegen. Hierbei profitierten zunächst Kinder aus Akademikerhaushalten. In den Jahren 2000 bis 2002 erreichten 50,4% der Personen aus Akademikerhaushalten einen Hochschulabschluss. In den Jahren 2012 und 2013 stieg dieser Anteil auf 64,4%. Damit zeigt sich, dass die Bildungsaufstiege vieler Haushalte aus den 1970er Jahren nachhaltig gesichert werden konnten. Aber auch der Anteil junger Menschen aus Nichtakademikerhaushalten, die eine Hochschule absolviert haben bzw. dies noch tun werden, hat zugenommen (vgl. Abbildung 1). In den Jahren 2000 bis 2002 erzielten im Durchschnitt 18,6% der Personen aus Nichtakademikerhaushalten einen Hochschulabschluss und im Durchschnitt der Jahre 2012 und 2013 waren es schon fast 23%.

Abbildung 1
Junge Akademiker aus Nichtakademikerhaushalten
25- bis 35-jährige Akademiker in % aller Personen aus Nichtakademikerhaushalten aus dieser Altersgruppe
Junge Akademiker aus Nichtakademikerhaushalten

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30.

Mehr Bildungsaufstieg in Deutschland

Ob es in Deutschland gegenwärtig mehr Bildungsaufsteiger oder -absteiger gibt, hängt unter anderem von der Definition dieser beiden Personengruppen ab. Im Bildungsbericht der OECD wird festgestellt, dass sich in Deutschland 2012 unter den 25- bis 34-jährigen Nichtstudierenden mehr Bildungsabsteiger (24%) als Bildungsaufsteiger (19%) befunden haben.9 Dieses Ergebnis wird jedoch stark durch die verwendete Abgrenzung von Bildungsauf- und Bildungsabsteigern beeinflusst. Bei den Berechnungen der OECD wird der höchste Abschluss beider Elternteile für die Einordnung der Eltern zu einer Qualifikationsgruppe herangezogen. Ein Elternpaar, von dem eine Person einen Hochschulabschluss und die andere eine berufliche Ausbildung hat, wird somit in die Gruppe der Akademiker eingeordnet, da nur der höchste Abschluss eines Elternteils für die Zuordnung entscheidend ist. Hat dieses Paar nun wiederum zwei Kinder, von denen das eine ein Studium abschließt und das andere eine berufliche Ausbildung, so wäre das eine Kind weder Bildungsauf- noch -absteiger und das zweite Kind ein Bildungsabsteiger. Obwohl die Kinder exakt die Bildungsabschlüsse der Eltern erreichen, würde ein Kind fälschlicherweise als Bildungsabsteiger und keines als Aufsteiger betrachtet. Zudem werden nur die Personen berücksichtigt, die sich nicht in einer Ausbildung befinden. In Deutschland werden aber in der Personengruppe der 25- bis 34-Jährigen noch Studierende zu finden sein, so dass der Anteil der Kinder mit hohen Bildungsabschlüssen unterschätzt wird.

Diese Verzerrung lässt sich verringern, wenn der Bildungsstand der Kinder im Verhältnis zum durchschnittlichen Bildungsstand der Eltern bewertet wird. Anger und Orth10 untersuchen den Bildungsaufstieg von Kindern anhand der PIAAC-Daten aus dem Jahr 2012. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es auf Basis dieser Datengrundlage in Deutschland mehr Bildungsaufsteiger als Bildungsabsteiger gibt (vgl. Tabelle 2). Wird der höchste Bildungsstand eines Elternteils als Referenz verwendet, so führen die Analysen mit den PIAAC-Daten bei den 30- bis 65-jährigen Personen zu dem Ergebnis, dass 25,3% als Bildungsaufsteiger und 16,7% als Bildungsabsteiger zu bezeichnen sind. Werden die Bildungsabschlüsse auf den durchschnittlichen Bildungsstand der Eltern bezogen, so sind es sogar 53,8% Bildungsaufsteiger und 14,1% Bildungsabsteiger. Bei den jüngeren Personen ist der Anteil der Bildungsaufsteiger etwas niedriger und der Anteil der Bildungsabsteiger etwas höher. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass in Deutschland der durchschnittliche Bildungsstand in der Vergangenheit angestiegen ist. Je höher jedoch schon das Bildungsniveau der Eltern ist, desto schwieriger ist ein Bildungsaufstieg für die Kinder.

Tabelle 2
Bildungsaufsteiger und Bildungsabsteiger 2012
in %
Bildungsstand der Eltern 30- bis 40-jährige Personen 30- bis 65-jährige Personen
  Bildungs-
aufsteiger
Bildungs-
absteiger
Bildungs-
aufsteiger
Bildungs-
absteiger
Höchster Bildungsstand eines Elternteils 20,8 19,4 25,3 16,7
Durchschnittlicher Bildungsstand beider Elternteile 41,4 17,9 53,8 14,1

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der PIAAC-Daten.

Formale Bildungsabschlüsse und Einkommensverteilung in Deutschland

Über einen verbesserten Zugang zu den Hochschulen sind die Bildungschancen in Deutschland also erhöht worden. Vereinzelt wird jedoch eingewendet, dass damit kein gesellschaftlicher Aufstieg verbunden ist, da Hochschulabschlüsse nicht mehr Status und Sicherheit bedeuten.11

Anger und Orth12 zeigen, dass der Zusammenhang von Bildungsabschluss und Einkommensgruppe des Haushalts in den Jahren 2000 und 2013 stabil geblieben ist. So waren Personen mit einem Sekundar-II-Abschluss (in der Regel mit abgeschlossener Berufsausbildung) im Jahr 2000 zu 63,4% in der mittleren Einkommensgruppe vertreten und im Jahr 2013 zu 64,3%. Hochschulabsolventen sind im Jahr 2000 zu 34,5% zur hohen Einkommensgruppe und im Jahr 2013 sogar zu 38,7% dieser Gruppe zuzurechnen (vgl. Tabelle 3). Ein höherer Bildungsabschluss führt weiterhin zu sehr guten Einkommenschancen, Bildungsaufsteiger können folglich auch von besseren Chancen auf hohe Einkommen profitieren.

Tabelle 3
Einkommensgruppen und Bildungsstand
in %
  Einkommen Ohne Sek.-II-Ab-schluss Sek.-II- Abschluss Meister/ Techniker Hochschulabschluss Ins­-gesamt
2000 Niedrig 38,6 24,5 21,0 16,0 25,7
Mittel 56,5 63,4 64,3 49,5 59,8
Hoch 5,0 12,1 14,8 34,5 14,4
2013 Niedrig 47,0 23,6 16,6 11,1 24,3
Mittel 49,4 64,3 64,0 50,1 58,6
Hoch 3,7 12,2 19,4 38,7 17,1

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30.

Geringere Chancen bei Bildungsabschlüssen aus dem Ausland

Migranten sind häufiger als Nicht-Migranten in den niedrigen Einkommensgruppen zu finden.13 Zu einem guten Teil kann die Einkommensposition von Migranten durch den durchschnittlich geringeren Bildungsstand erklärt werden. Bei gleicher Erwerbsbiografie, Erwerbsform und Qualifikation haben Migranten keine Einkommensnachteile bei der Entlohnung.14 Geringere Einkommen treten aber auf, wenn die Bildungsabschlüsse im Ausland erworben wurden. Dies zeigt die Regressionsanalyse basierend auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels in Tabelle 4. Am deutschen Arbeitsmarkt sind die Lohnprämien von Migranten niedriger als bei Nichtmigranten, wenn deren Abschlüsse nicht in Deutschland erworben wurden. So beträgt die Lohnprämie eines Akademikers ohne Migrationshintergrund gegenüber einem geringqualifizierten Erwerbstätigen (ohne abgeschlossene Berufsausbildung) mehr als 78%. Bei einem Migranten, der seine Bildungsabschlüsse im Ausland erworben hat, beträgt die Lohnprämie lediglich 38%. Werden die Hochschulabschlüsse in Deutschland erworben, so beträgt die Lohnprämie des Migranten hingegen 64,8%. Ähnliche Lohnmerkmale sind auch für mittlere Qualifikationen zu beobachten. Hier übersteigt die Lohnprämie von Migranten, die ihre Abschlüsse in Deutschland erworben haben, sogar diejenige der Nichtmigranten. Insgesamt zeigt sich damit, dass für die Entlohnung nicht der Migrationsstatus, sondern das Land der Ausbildung entscheidend ist. Gründe für die geringeren Einkommensperspektiven ausländischer Abschlüsse können in Kompetenzunterschieden zu deutschen Abschlüssen oder in der fehlenden Anerkennung ausländischer Abschlüsse am deutschen Arbeitsmarkt liegen.

Tabelle 4
Lohnprämien nach Migrationshintergrund 2013
  Migranten (alle Abschlüsse in Deutschland) Migranten (nicht alle Abschlüsse in Deutschland) Nichtmigranten
Sek.-II-Abschluss (Referenz kein Sek.-II-Abschluss) 0,310*** (5,74) 0,248*** (6,84) 0,293***
Hochschulabschluss (Referenz kein Sek.-II-Abschluss) 0,648*** (8,38) 0,382*** (11,43) 0,784*** (25,24)
Berufserfahrung 0,021 (1,56) -0,011(-1,05) 0,030*** (8,37)
Berufserfahrung (quadrierter Parameter) -0,0002 (-0,93) 0,0001 (0,81) -0,0005*** (-7,36)
Konstante 1,957*** (11,30) 2,456*** (16,59) 1,917*** (36,96)
R2 0,1431 0,0977 0,1528
N 494 1587 7994

Lesehilfe: Der prozentuale Lohnvorsprung eines Migranten mit Hochschulabschluss, der alle Bildungsabschlüsse in Deutschland erworben hat, im Vergleich zu einem Migranten ohne einen Abschluss der Sekundarstufe II, der ebenfalls alle Abschlüsse in Deutschland erworben hat, beträgt 64,8%.

*** = signifikant auf dem 1%-Niveau.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des SOEP v30.

Ausblick: Herausforderungen der Flüchtlingsmigration

Die Flüchtlingsmigration bedeutet für die Bildungspolitik eine neue Herausforderung, Bildungs- und Einkommenschancen zu sichern. Eine Unternehmensbefragung des IW Köln zeigt, dass 66,5% der befragten Unternehmen fehlende Deutschkenntnisse als große Hürde für die Einstellung in das eigene Unternehmen betrachten. Mit 47,6% werden auch fehlende fachliche Kompetenzen als große Hürde angesehen. Zusätzliche Bildungsausgaben für den Spracherwerb und die Nachqualifizierung sind folglich aus Sicht des Zugangs zum Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung.15

Auch Analysen von Geis et al.16 auf Basis der IAB-SOEP-Migrantenstichprobe zeigen bei Kontrolle anderer relevanter Faktoren, dass der Spracherwerb eine zentrale Rolle spielt. Die Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein, liegt bei Zuwanderern im Alter zwischen 25 und 64 Jahren, die nach ihrer eigenen Einschätzung sehr gut deutsch sprechen, um 8,5% höher und bei Personen, die schlecht deutsch sprechen, um 18,3 Prozentpunkte niedriger als bei Personen, die ihre Sprachkenntnisse im mittleren Bereich verorten. Bezogen auf eine qualifizierte Beschäftigung ist der Effekt der Sprachkenntnisse noch einmal deutlich größer.

Insgesamt bedeutet die Herausforderung der Flüchtlingsmigration, dass die frühkindliche Bildung weiter deutlich gestärkt und in den Schulen die Bedingungen für die individuelle Förderung verbessert werden sollten. Ferner bedarf es einer deutlichen Ausweitung der Berufsvorbereitung, zusätzlicher Angebote der arbeitsplatzbezogenen Grundbildung und einer deutlichen Ausweitung von Integrationskursen.17 Bezogen auf die Bildungsausgaben ist daher eine deutliche Ausweitung der realen Bildungsausgaben je Einwohner im Alter unter 30 Jahren notwendig. Deschermeier18 zeigt auf Basis der stochastischen Bevölkerungsprognose des IW Köln, dass unter Berücksichtigung der aktuellen Migrationsströme aus dem Jahr 2015 die Zahl der unter 30-jährigen Bevölkerung von 24,5 Mio. im Jahr 2014 zunächst auf knapp 24,8 Mio. im Jahr 2020 steigt. Danach sinkt sie auf 24,0 Mio. im Jahr 2025, 23,2 Mio. im Jahr 2030 und 22,6 Mio. im Jahr 2035. Für die nächsten fünf Jahre sollten die realen Bildungsausgaben folglich deutlich gesteigert werden. Ab dem Jahr 2020 sollten Qualitätsverbesserungen aus der dann entstehenden demografischen Rendite finanziert werden können. Diese führt zu einer Erhöhung der realen Bildungsausgaben je Person im Alter unter 30 Jahren um über 400 Euro, selbst wenn das Gesamtbudget real konstant bliebe (vgl. Tabelle 5).

Tabelle 5
Reale öffentliche Bildungsausgaben pro Kopf1 Modellbetrachtung
in Relation zur Zahl der Personen im Alter unter 30 Jahren
  in Euro
2014, vorläufiges Ist 4620
2020 4571
2025 4724
2030 4884
2035 5006

1 Bei konstanten realen Bildungsausgaben insgesamt.

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis von P. Deschermeier: Einfluss der Zuwanderung auf die demografische Entwicklung in Deutschland, in: IW-Trends 2/2016, S. 21-38.

  • 1 E. A. Hanushek, L. Wößmann: The Role of Cognitive Skills in Economic Development, in: Journal of Economic Literature, 46. Jg. (2008), Nr. 3, S. 607-668; O. Koppel, A. Plünnecke: Fachkräftemangel in Deutschland: Bildungsökonomische Analyse, politische Handlungsempfehlungen, Wachstums- und Fiskaleffekte, IW-Analysen, Nr. 46, Köln 2009.
  • 2 C. Anger, K. Orth: Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Eine Analyse der Entwicklung seit dem Jahr 2000, Gutachten für die Konrad Adenauer Stiftung, Köln 2016.
  • 3 I. Esselmann, A. Plünnecke: Bildungsausgaben in Deutschland im Zeitraum 1975-2010. Eine kritische Betrachtung vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit, in: J. Tremmel (Hrsg.): Generationengerechtigkeit und nachhaltige Bildungspolitik, Berlin 2014, S. 131-150.
  • 4 Ebenda.
  • 5 C. Anger, K. Orth, a.a.O.
  • 6 Ebenda.
  • 7 Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2016 – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld 2016, S. 60; N. Schmiade, C. K. Spieß: Einkommen und Bildung beeinflussen die Nutzung frühkindlicher Angebote außer Haus, in: DIW-Wochenbericht, 45/2010.
  • 8 M. Hasselhorn, S. Kuger: Wirksamkeit schulrelevanter Förderung in Kindertagesstätten, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 17. Jg. (2014), S. 299–314.
  • 9 OECD: Bildung auf einen Blick 2015, Paris 2015, S. 109.
  • 10 C. Anger, K. Orth, a.a.O.
  • 11 O. Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft – Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne, Berlin 2016.
  • 12 C. Anger, K. Orth, a.a.O.
  • 13 Ebenda.
  • 14 C. Anger, A. Plünnecke, J. Schmidt: Bildungsrenditen in Deutschland – Einflussfaktoren, politische Optionen und ökonomische Effekte, IW-Analysen 65/2010.
  • 15 W. Geis, B. Placke, A. Plünnecke: Integrationsmonitor – Ein Fortschrittsbericht, Gutachten für die INSM, Köln 2016.
  • 16 Ebenda.
  • 17 Ebenda.
  • 18 P. Deschermeier: Einfluss der Zuwanderung auf die demografische Entwicklung in Deutschland, in: IW-Trends 2/2016, S. 21-38.
 

Bildungsungleichheit und Weiterbildung

Seit der Bildungsexpansion in den 1960er Jahren ist das durchschnittliche Bildungsniveau der Bevölkerung in Deutschland erheblich angestiegen. Laut amtlicher Statistik erhöhte sich der Anteil der Schulabgänger mit Abitur zwischen 1960 und 2014 von 6% auf 53%. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Hochschulabsolventen in Westdeutschland von 47 800 auf über 400 000 Personen pro Jahr zu.1 Jedoch profitierten nicht alle gleichermaßen vom Ausbau der Realschulen, Gymnasien, Fachschulen und Hochschulen. Auch heute gibt es eine Gruppe von Personen, die von Bildungsarmut betroffen ist und deren Bildungsabschlüsse weder für den Arbeitsmarkt qualifizieren noch für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausreichend sind.2 Diese Bildungsungleichheit wird dadurch verfestigt, dass im gesamten Lebensverlauf nur manche der bildungsarmen Personen nachträglich einen formalen Bildungsabschluss erwerben. Der wachsenden Zahl an Akademikern steht somit eine beträchtliche Zahl an Geringqualifizierten gegenüber, die über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen.

Soziale Herkunft entscheidet

Hinzu kommt, dass nicht alle Personen gleichermaßen vom Risiko der Bildungsarmut betroffen sind, sondern die soziale Herkunft über den Bildungserwerb entscheidet. Kinder aus Familien mit schwachem Bildungshintergrund haben beträchtlich geringere Chancen auf einen hohen Bildungsabschluss als Kinder aus gut gebildeten Elternhäusern. Auswertungen der Daten des sozio-ökonomischen Panels zeigen, dass aktuell nur etwa jede sechste Person unter 34 Jahren aus bildungsarmen Familien eine Hochschulreifeprüfung bestanden hat, während sogar zwei Drittel der unter 34-Jährigen aus gut gebildeten Elternhäusern ein Abitur besitzen (vgl. Abbildung 1). Hierbei werden Personen, deren Eltern höchstens einen Hauptschulabschluss haben, mit Personen verglichen, von denen mindestens ein Elternteil eine Hochschulzugangsberechtigung besitzt. Ebenso haben Personen mit höherem Bildungsabschluss der Eltern weitaus bessere Chancen, einen Schulabschluss nachzuholen.3

Abbildung 1
Personen mit Abitur nach Bildungshintergrund und Geburtskohorten
in % der jeweiligen Bevölkerungsgruppe
Personen mit Abitur nach Bildungshintergrund und Geburtskohorten

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2014, Version 31, SOEP, 2015; eigene Berechnungen.

Die Beobachtung, dass Bildung von einer Generation zur nächsten weitervererbt wird, hat sich auch im Zuge der Bildungsexpansion nicht geändert: Trotz der enormen Steigerung der öffentlichen Bildungsausgaben, mit denen in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Maßnahmen finanziert wurden, um allen Personen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, haben nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen vom Ausbau des Bildungssystems profitiert. Die Wahrscheinlichkeit, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, ist für Kinder aus Akademikerhaushalten im Laufe der letzten Jahrzehnte weitaus stärker gestiegen als für Kinder mit einem Hintergrund niedriger Bildung. Auch unter Berücksichtigung von individuellen sozio-demografischen Merkmalen ist während der letzten fünf Jahrzehnte kein nennenswerter Rückgang der Bedeutung des elterlichen Bildungshintergrundes für den Schulabschluss ihrer Kinder feststellbar.4 Im internationalen Vergleich ist der geringe Grad an intergenerationaler Bildungsmobilität in Deutschland vergleichbar mit dem in den USA und deutlich kleiner als in den skandinavischen Ländern.5

Ähnlich verhält es sich für berufliche Bildungsabschlüsse: Analysen auf Basis des sozio-ökonomischen Panels zeigen, dass in der Gruppe der 26- bis unter 34-Jährigen nur jeder Zwölfte mit einem Hintergrund niedriger Bildung geschafft hat, einen Hochschulabschluss zu erlangen.6 Dagegen haben in dieser Altersgruppe knapp 40% aller Personen mit hochgebildeten Eltern einen Hochschulabschluss vorzuweisen. Die Chance auf einen Hochschulabschluss hat sich für Personen aus niedrig gebildeten Familien über die letzten Generationen sogar noch verringert, was auch in anderen Ländern, wie beispielsweise in den USA oder in Großbritannien beobachtet werden kann.7 Dieser Anstieg der Bildungsungleichheit während der letzten Jahrzehnte verdeutlicht, dass Kinder aus bildungsfernen Familien als Verlierer der Bildungsexpansion hervorgehen.

Ebenfalls sichtbar wird diese Polarisierung von Bildungschancen, wenn man ausschließlich die Gruppe der Geringqualifizierten betrachtet, die entweder keinen Schulabschluss oder einen Schulabschluss, jedoch keinen Ausbildungsabschluss erlangt haben. Personen, deren formale Ausbildung oftmals nicht ausreichend für den Arbeitsmarkt qualifiziert, kommen vorwiegend aus bildungsarmen Familien: Bei den über 25-Jährigen der Erwerbsbevölkerung (bis 64 Jahre) kommen 86% der formal Geringqualifizierten aus einem Elternhaus ohne Schulabschluss oder mit höchstens einem Hauptschulabschluss (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Soziale Herkunft von Geringqualifizierten1 2014
in %
Soziale Herkunft von Geringqualifizierten1 2014

1 Erwerbsbevölkerung über 25 Jahre ohne Schulabschluss oder mit Hauptschul- und ohne Berufsabschluss.

Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2014, Version 31, SOEP, 2015; eigene Berechnungen.

Gegen eine Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem – dass also alle Individuen entsprechend ihren Fähigkeiten gleiche Chancen für den Zugang zu Bildung haben – spricht, dass die soziale Herkunft einer Person selbst unter Berücksichtigung ihrer kognitiven Kompetenzen die Schulform und Bildungsabschlüsse beeinflusst.8

Verschiedene Erklärungsansätze

Für die intergenerationale Transmission von Bildung und die damit einhergehende Reproduktion der sozialen Herkunft gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Aus soziologischer Sicht kann sie unter anderem durch schichtspezifische Bildungsentscheidungen erklärt werden. Dabei wird zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten unterschieden:9 Der primäre Herkunftseffekt führt dazu, dass Kinder aus höheren, bildungsnahen Schichten z.B. aufgrund ihres spezifischen kulturellen Kapitals bessere Voraussetzungen haben, den Anforderungen des Schulsystems gerecht zu werden, und somit bessere Leistungen erbringen. Kinder aus bildungsfernen Schichten zeigen entsprechend schlechtere schulische Leistungen. Solche Unterschiede, die bereits vor dem Eintritt ins Bildungssystem geprägt werden, führen so zu unterschiedlichen, herkunftsspezifischen Bildungsergebnissen.

Sekundäre Herkunftseffekte beeinflussen Bildungsentscheidungen auf unterschiedliche Weise: Zum einen sind Bildungserträge nicht für alle gleich, da sie aufgrund weiterer Faktoren – wie z.B. dem Wunsch nach Statuserhalt – ebenfalls von der sozialen Position der Familie abhängen. Zum anderen spielt die tatsächliche, schichtspezifisch unterschiedliche Ausstattung an finanziellen Ressourcen eine wichtige Rolle. Sie kann unmittelbar die Realisierungsmöglichkeit beeinflussen, wie dies z.B. bei privat finanziertem Nachhilfeunterricht, Lernmitteln, Fahrtkosten oder Schul- bzw. Studiengebühren der Fall ist. Geringe finanzielle Ressourcen im Haushalt führen zudem zu dem Wunsch bzw. zur Notwendigkeit, durch Erwerbsarbeit ein Einkommen zu generieren, anstatt länger an Bildung zu partizipieren.10

Darüber hinaus kann die intergenerationale Transmission von Bildung teilweise mit der genetischen Vererbung von kognitiven und nicht-kognitiven Fähigkeiten erklärt werden.11 Kausalanalysen in der ökonomischen Literatur liefern jedoch empirische Evidenz dafür, dass sich sowohl die genetische Veranlagung als auch Umwelteinflüsse auf die individuelle Kompetenzentwicklung und den Bildungserwerb auswirken,12 so dass dem Elternhaus eine bedeutende Rolle für den Bildungserfolg zukommt.

Unterschiedliche Bildungschancen führen nicht nur dazu, dass die Arbeitsmarktchancen ungleich verteilt sind, da sich durch höhere Kompetenzen und Wissen die individuelle Produktivität erhöht und diese sich – insbesondere bei Zertifizierung formaler Qualifikationen – in höheren Löhnen und einem geringeren Arbeitslosigkeitsrisiko widerspiegelt (vgl. Abbildung 3). Darüber hinaus bleiben auch Potenziale ungenutzt, die im Zusammenhang mit Fachkräftebedarf, Digitalisierung und demografischem Wandel von Bedeutung sind. Gute Qualifikationen sind von zentraler Bedeutung für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Wohlstand.

Abbildung 3
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote

Anmerkung: Arbeitslose in % aller zivilen Erwerbspersonen (ohne Auszubildende) gleicher Qualifikation. 1 Betriebliche Berufsausbildung und Berufsfachschulausbildung sowie Fort- und Weiter­bildung an Fach-, Techniker- und Meisterschulen, ohne Verwaltungsfachhochschulen. 2 Einschließlich Verwaltungsfachhochschulen.

Quelle: K. H. Hausner, D. Söhnlein, B. Weber, E. Weber: Qualifikation und Arbeitsmarkt: Bessere Chancen mit mehr Bildung, in: IAB-Kurzbericht, Nr. 11/2015, Nürnberg 2015.

Politische Maßnahmen

Was also muss die Politik tun, um für Personen aus bildungsfernen Schichten den Zugang zu Bildung zu fördern? In erster Linie gilt es, so früh wie möglich anzusetzen. Hier stellen sich Fragen, die im allgemeinen Bildungsbereich liegen und von der frühkindlichen Bildung über die Schul- bzw. Unterrichtsform bis zur Berufsausbildung bzw. Studium reichen. Um schon in der Erstausbildung vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen, müssen Lehrmethoden überdacht und die Entwicklung nicht-kognitiver Kompetenzen, die Unterstützung von Schülern aus schwierigen sozialen Lagen und mit besonderem Förderbedarf verbessert werden. Um eine geringe Qualifizierung möglichst schon im Ansatz zu vermeiden, sollte man bereits im Rahmen der Erstausbildung Schülern helfen, höhere formale und non-formale Qualifikationen mit gezielten Ansätzen zu erreichen. Der Anteil von Schulabgängen von allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss ist mit rund 6% im Jahr 2014 immer noch hoch.13 Ohne Hauptschulabschluss existiert zunächst keine Grundlage für einen höheren Bildungsabschluss und kaum eine Chance auf die Aufnahme einer (dualen) Ausbildung. Diese jungen Menschen beenden ihre Erstausbildung als formal Geringqualifizierte. Berechnungen auf Basis des Mikrozensus zeigen, dass der Anteil der Geringqualifizierten 2013 immer noch bei 14% lag (2005: 18%). Auf Basis des Nationalen Bildungspanels lässt sich beobachten, dass etwa ein Viertel der ursprünglich Geringqualifizierten durch eine Weiterbildung im späteren Lebensverlauf einen formalen Abschluss nachgeholt haben (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 4
Status und Beginn der formalen beruflichen Qualifikation 2012/2013
in % der Erwerbsbevölkerung im Alter von 25 bis 69 Jahren
Status und Beginn der formalen beruflichen Qualifikation 2012/2013

Quelle: T. Kruppe, M. Trepesch: Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland – Endbericht, Nürnberg 2015, mimeo, eigene Darstellung auf Basis des NEPS.

Die Quote der nachgeholten formalen Bildungsabschlüsse ließe sich vermutlich deutlich steigern, da formal geringqualifiziert nicht mit Kompetenzarmut gleichzusetzen ist. Zwar ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der Anteil von Personen mit unterdurchschnittlicher kognitiver Kompetenzausstattung unter den Geringqualifizierten besonders hoch, dennoch verfügen 40% bis 50% dieser Personengruppe über durchschnittliche, hohe oder höchste kognitive Kompetenzen.14

Hier kann aktive Arbeitsmarktpolitik unterstützen. Wissenschaftlichen Analysen, die die Wirkung von Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung auf die anschließende Beschäftigungswahrscheinlichkeit der Teilnehmenden untersuchen, kommen großteils zu dem Ergebnis, dass sich die Arbeitsmarktchancen von Arbeitslosen durch die berufliche Weiterbildung im Rahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik verbessern. Maßnahmen mit Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf werden hohe und nachhaltige Wirkung bei der Eingliederung in ungeförderte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung attestiert.15 Diese positive Wirkung auf die Arbeitsmarktchancen zeigt sich auch für spezifische Gruppen, die ansonsten seltener an Weiterbildungen teilnehmen, wie beispielsweise für Geringqualifizierte.16 Allerdings sollten auch hier – wie bereits zuvor für den Schulbereich beschrieben – Lehrmethoden überprüft und nach individuellem Bedarf die Förderung kognitiver und nicht-kognitiver Kompetenzen verbessert werden.

Da individuelle Bildungsentscheidungen im Rahmen rationaler Kosten-Nutzen-Abwägungen – im Sinne der Rational-Choice-Theorie – getroffen werden,17 müssen Wege gefunden werden, die den erwarteten Nutzen einer Bildungsmaßnahme für wenig qualifizierte Personen erhöhen, um die Partizipationsentscheidung für eine Weiterbildung zu erleichtern. Geringqualifizierte benötigen oftmals weitergehende Anreize als nur die Aussicht auf höhere Kompetenzen oder ein mögliches Zertifikat am Ende der Weiterbildung. Gegebenenfalls müssen Lernmotivation und die Weiterbildungsbereitschaft, z.B. durch finanzielle Anreize, erhöht und vorherige negative Lernerfahrungen durch andere Unterrichtsformen als Frontalunterricht, z.B. durch Mentoren, kompensiert werden.

Eine Förderung der beruflichen (Weiter-)Bildung im Rahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik kann so einen bedeutenden Anteil an einer Strategie lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernens darstellen, wie es bereits die Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens formuliert hat.18 Gerade eine Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik auf Gruppen, die ansonsten aufgrund von dauerhaften Bildungsungleichheiten auch in der Weiterbildung unterrepräsentiert sind, könnte ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit auf diesem Sektor sein. Gleichzeitig würde es den Bedarfen entgegengekommen, die sich durch demografischem Wandel, Fachkräftebedarf und Digitalisierung ergeben.

Jedoch haben auch Firmen einen Anreiz, in Weiterbildung zu investieren, um im Zeitalter der Digitalisierung wettbewerbsfähig zu bleiben. Nur durch kontinuierliche Weiterbildungsmaßnahmen wird es ihnen gelingen, ihre Stellen langfristig adäquat zu besetzen. Tatsächlich wird schon ein beträchtlicher Teil der Weiterbildungsfinanzierung ganz oder teilweise von Firmen getragen. Von großer Bedeutung ist jedoch nicht nur non-formale Weiterbildung – in Kursen –, sondern auch informelle praktische Weiterbildung am Arbeitsplatz. Es ist also wichtig, dass Akteure auf allen Ebenen, von den Firmen über die Kommunen und Länder bis hin zum Bund kooperieren, Bedarfe frühzeitig ermitteln und Maßnahmen rechtzeitig einleiten.

Investitionen im Bildungsbereich – insbesondere auch im Rahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik – dürfen daher keinesfalls vernachlässigt werden. Eine effektiv eingesetzte Bildungsförderung – lebensbegleitend, möglichst früh beginnend, nicht nur, aber verstärkt auf bildungsferne Schichten gerichtet – ist langfristig die beste Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Auch in Zukunft bleibt Qualifikation der beste Schutz gegen Risiken auf dem Arbeitsmarkt.

Unser Dank gilt Patrick Sturm für die Datenaufbereitung.

  • 1 Statistisches Bundesamt: Berufliche Bildung, Fachserie 11, Reihe 4.2, 2015.
  • 2 H. Solga: Bildungsarmut und Ausbildungslosigkeit in der Bildungs- und Wissensgesellschaft, in: R. Becker (Hrsg.): Lehrbuch der Bildungssoziologie, Wiesbaden 2009, S. 395-432.
  • 3 S. Buchholz, A. Schier: New Game, New Chance? Social Inequalities and Upgrading Secondary School Qualifications in West Germany, in: European Sociological Review, 31. Jg. (2015), Nr. 5, S. 603-615.
  • 4 Vgl. G. Heineck, R. T. Riphahn: Intergenerational transmission of educational attainment in Germany – the last five decades, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 229. Jg. (2009), Nr. 1, S. 36-60.
  • 5 D. Schnitzlein: Wenig Chancengleichheit in Deutschland: Familienhintergrund prägt eigenen ökonomischen Erfolg, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 4, S. 3-9.
  • 6 Sozio-oekonomisches Panel (SOEP): Daten für die Jahre 1984-2014, Version 31, SOEP, 2015.
  • 7 P. N. Blossfeld, G. J. Blossfeld, H.-P. Blossfeld: Changes in Educational Inequality in Cross-National Perspective, in: M. J. Shanahan, J. Mortimer, M. Kirkpatrick Johnson (Hrsg.): Handbook of the Life Course (Volume II), New York u.a.O. 2016, S. 223-247.
  • 8 J. Uhlig: Ungenutzte Lernpotenziale: die Bedeutung von Lehrerempfehlung und Elternentscheidung am ersten Bildungsübergang für Underachievement, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 32. Jg. (2012), Nr. 1, S. 29-44; S. Anger: Personality and Educational Attainment, mimeo, 2016.
  • 9 R. Boudon: Education, Opportunity and Social Inequality. Changing Prospects in Western Society, New York 1974.
  • 10 Vgl. T. Kruppe: Organisation und Finanzierung von Qualifizierung und Weiterbildung im Lebensverlauf, Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2012.
  • 11 S. Anger: Die Weitergabe von Persönlichkeitseigenschaften und intellektuellen Fähigkeiten von Eltern an ihre Kinder, in: DIW-Wochenbericht, 79. Jg. (2012), Nr. 29, S. 3-12.
  • 12 L. Lochner: Intergenerational Transmission, in: L. Blume, S. Durlauf (Hrsg.): New Palgrave Dictionary of Economics, 2. Aufl., Basingstoke 2008.
  • 13 Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld 2016.
  • 14 T. Kruppe, M. Trepesch: Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland – Endbericht, Nürnberg 2015, mimeo.
  • 15 Z.B. T. Kruppe, J. Lang: Weiterbildungen mit Berufsabschluss: Arbeitslose profitieren von Qualifizierungen, in: IAB-Kurzbericht, Nr. 22/2015, Nürnberg 2015.
  • 16 S. Bernhard: Berufliche Weiterbildung von Arbeitslosengeld-II-Empfängern – langfristige Wirkungsanalysen, in: Sozialer Fortschritt (im Erscheinen).
  • 17 R. Breen, J. H. Goldthorpe: Explaining Educational Differentials: Towards a Formal Rational Action Theory, in: Rationality and Society, 9. Jg. (1997), Nr. 3, S. 275-305.
  • 18 Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens: Der Weg in die Zukunft – Schlussbericht, Bielefeld 2004.
 

Ein Plädoyer für mehr optimale öffentliche Bildungsinvestitionen

Bildung im weitesten Sinne verstanden als Erwerb von Kompetenzen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des individuellen und gesellschaftlichen Lebens. Gute Bildung ist immer knapp. Es gibt zu wenig davon. Es wird noch zu wenig in Kompetenzen investiert, die langfristig individuellen und gesellschaftlichen Nutzen bringen. Das Optimum an öffentlichen Bildungsinvestitionen wird mit einiger Wahrscheinlichkeit noch nicht erreicht.

Aber wie können öffentliche Bildungsinvestitionen optimal gestaltet werden? Die Aufgabe, optimal in Bildung zu investieren, sieht auf den ersten Blick wie ein ökonomisches Lehrbuchproblem aus, wird aber auf den zweiten Blick aufgrund von Besonderheiten von Bildungsinvestitionen zu einem hochkomplexen Vorhaben. Für dessen Steuerung gibt es keine Standardlösungen. Dennoch sind öffentliche Entscheidungsträger, darunter auch die im öffentlichen Auftrag tätigen Betreuungs- und Lehrkräfte, gefordert, in Richtung optimaler Bildungsinvestitionen zu wirken und dabei stärker als bisher auf Investitionen zu fokussieren, die langfristige Erträge erzielen und die private Bildungsaktivitäten ergänzen statt ersetzen.

In welcher Hinsicht stellen Investitionen in Menschen ein schwieriges Unterfangen dar? Ein grundlegendes Problem liegt darin, dass nirgends sonst im ökonomischen Handeln Kosten und Nutzen im Zeitablauf und nach Investoren und Nutznießern verteilt so eklatant auseinanderfallen wie bei Bildungsinvestitionen. Ein bedeutender Teil der für die Entwicklung von Kompetenzen relevanten Investitionen wird mit Beginn der Empfängnis bis ins Schulalter getätigt. Ein erheblicher Teil des aus der Entwicklung von Kompetenzen entstehenden Nutzens fällt im Erwachsenenalter an. Die Investoren und diejenigen, die den Nutzen erhalten, sind vielfach nicht identisch.

Deutschland gehört zu einer Gruppe von Ländern, die relativ umfangreiche öffentliche Bildungsinvestitionen tätigen und über ein differenziertes und vielfältiges Bildungswesen verfügen. Desintegrationstendenzen bereits unter Jugendlichen sowie eine Zunahme der Ungleichheit der Arbeitsverdienste seit Mitte der 1990er Jahre lassen jedoch vermuten, dass in Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten noch zu wenig in die Entwicklung von Kompetenzen, die langfristig Nutzen stiften, investiert wurde.1 Erst wenn die Besonderheiten von Bildung angemessen berücksichtigt werden, kann (und sollte) die Bildungspolitik stärker noch als bisher auf solche optimalen Investitionen hinwirken.

Dynamische Komplementaritäten und die Rolle der Kindheit

Der Erwerb von Kompetenzen (Gedächtnisleistung, Informationsverarbeitung, Logik, Sprache, Ausdauer, Objektpermanenz, Selbstregulation, Mitgefühl, Motorik und andere) kann als kumulativer und synergetischer Prozess verstanden werden. Dynamische Komplementaritäten schaffen eine komplexe Verbindung zwischen den Bildungsinvestitionen im Zeitablauf. Der Ertrag von Investitionen im Jugendalter hängt bereits von der Höhe und Qualität der Investitionen im Baby- und Kindesalter ab. Auch der Ertrag von Investitionen im jungen Erwachsenenalter hängt von der Höhe und Qualität der kumulierten Investitionen im Kindes- und Jugendalter ab. Diese Abhängigkeit über die Zeit kann sich bis ins Alter fortsetzen.

Ein wichtiger Teil der Ressourcen, die für Bildung aufgewendet werden, wird von erwachsenen Betreuungspersonen für Kinder und Jugendliche geleistet. Kinder und Jugendliche sind weitestgehend auf erwachsene Betreuungspersonen angewiesen. Persönlichkeit, Wohlergehen und Wohlstand der erwachsenen Betreuungsperson(en) haben weitreichende Konsequenzen für die Kompetenzentwicklung der zugehörigen Kinder und Jugendlichen.2 Investitionsdefizite in Kindheit und Jugend verursachen mit einiger Wahrscheinlichkeit Folgekosten für die Individuen und die Gesellschaft. Vernachlässigung und Gewalt in der Kindheit können beispielsweise die Anfälligkeit für Depressionen, aber auch für Infektionskrankheiten im Erwachsenenalter erhöhen. Ausreichende Bildungsinvestitionen in Kindheit und Jugend lassen langfristig jedoch hohe Erträge erwarten.

Auch im jungen Erwachsenenalter werden in der Regel nochmals signifikante Investitionen in Ausbildung und Studium getätigt, deren Art und Umfang ebenfalls mit der sozio-ökonomischen Familienumgebung variiert.3 Die empirische Forschung deutet somit auf einen sozialen Gradienten bei Bildungsinvestitionen hin, der bestehende soziale Disparitäten aus der Gegenwart in die Zukunft überträgt. Öffentliche Bildungsinvestitionen wirken dem zwar entgegen, aber nicht in ausreichendem Umfang. Schulen scheinen im Großen und Ganzen in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen zu haben, dass die beim Schuleintritt bestehende Ungleichheit in den Kompetenzen der Kinder erhalten blieb.4 Die Ungleichheit der Kompetenzen wurde nicht größer, scheint aber auch nicht verringert worden zu sein. Die öffentlichen Bildungsinvestitionen reichen für die Gruppe der Kinder, die in widrigeren Familienumgebungen aufwachsen, vielfach noch nicht aus, deren Investitionsdefizite zu kompensieren. Auch diese Kinder und Jugendlichen profitieren im Mittel zwar von öffentlichen Bildungsinvestitionen. Ihnen scheint es allerdings als Gruppe nicht zu gelingen, zu den anderen Kindern, die in einer besseren Familienumgebung aufwachsen, aufzuschließen.

Ursachen für Unterinvestitionen in Bildung

Fehlende Kreditmärkte für Investitionen in Menschen

Ein Großteil des Nutzens von Bildung fällt in der Zukunft an und hängt somit in einer freien Gesellschaft von den zukünftigen Entscheidungen der Person selbst ab. Nutzen fällt nur dann an, wenn die Person dazu bereit ist, ihre erworbenen Kompetenzen anzuwenden, wenn sie beispielsweise erwerbstätig wird oder sich in der Familie oder Gesellschaft entsprechend engagiert. Diese gesellschaftlich gewünschte Eigenverantwortlichkeit hat weitreichende Konsequenzen für Bildungsinvestitionen: sie verhindert, dass es gut funktionierende Kreditmärkte für Investitionen in Menschen, im Unterschied zu Sachinvestitionen, geben kann.

Individuen sind somit bei ihren Bemühungen, optimal in ihre Kompetenzentwicklung zu investieren, auf ihre Familienumgebung oder auf sonstige Unterstützung angewiesen. Insbesondere Kinder und Jugendliche können sich die emotionale und materielle Unterstützung für optimale Investitionen nicht selbst beschaffen. Diese Besonderheit von Bildung verstärkt die Tendenz zur Unterinvestition vor allem in von ihrer Familienumgebung her benachteiligten Gruppen von Kindern und Jugendlichen. Diese Besonderheit führt wahrscheinlich auch dazu, dass viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, aus eigener Kraft kaum optimal in ihre weitere Bildung investieren können. Auch dieser Umstand kann bestehende Ungleichheiten befördern.

Öffentliche Entscheidungsträger sollten daher darauf hinwirken, insbesondere der Gruppe von jungen Menschen, die aus eigener Kraft nicht optimal in Bildung investieren können, ausreichend emotionale und materielle Bildungsinvestitionen zur Verfügung zu stellen.

Teile der Erträge von Bildung fallen der Allgemeinheit zu

Bildungsinvestitionen im Kindes- und Jugendalter erzielen langfristige Erträge. Bislang werden diese wichtigen Investitionen überwiegend von Vätern, Müttern oder anderen erwachsenen Betreuungspersonen getätigt, die jedoch nicht im gleichen Umfang an den Erträgen beteiligt sind. Ein Teil der Erträge dieser Investitionen fällt der Allgemeinheit zu, etwa in Form einer geringeren Kriminalität, einer besseren Integration in die Gemeinschaft, höherer Steuern oder höherer Beiträge für die Sozialversicherung. Dies trägt zur Unterinvestitionen in Bildung bei, da nicht alle erwachsenen Betreuungspersonen ausschließlich altruistische Motive haben.

Mehr öffentliche Aktivitäten sind notwendig, um diese Tendenz zur Unterinvestition in der Kindheit zu kompensieren. Der Ausbau der frühkindlichen Betreuung und Bildung hat das Potenzial, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Noch ist unklar, ob diese Bemühungen ausreichen, nicht zuletzt deshalb, weil der Ausbau öffentlicher mit einem Rückgang privater Bildungsinvestitionen in diesem Bereich einhergehen kann und somit die Nettowirkung nicht absehbar ist.5

Unzureichende Zukunftsorientierung

Der zukünftige Nutzen von Bildung kann ex ante nicht exakt bestimmt werden. Die Phase, in der Bildungsinvestitionen Nutzen stiften, reicht insbesondere beim Erwerb von Kernkompetenzen ein Leben lang. Von daher spielen bei der Bewertung des zukünftigen Nutzens Zeithorizonte und -präferenzen eine wichtige Rolle. Niemand wird genau wissen, welche Anforderungen die Zukunft bringt. Optimale Bildungsinvestitionen sollten daher vor allem in die Förderung solcher Kompetenzen fließen, mit denen Menschen in die Lage versetzt werden, ein breites Spektrum an Anforderungen bewältigen und sich möglichst selbst helfen zu können.

Absehbar ist, dass in Europa und anderen Volkswirtschaften immer mehr Tätigkeiten von intelligenten Maschinen übernommen werden, dass die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung zügig voranschreiten wird und dass die Welt aufgrund sinkender Transportkosten und verbesserter Kommunikationsmittel enger zusammenrücken wird. Im Zuge dieser Entwicklungen werden wahrscheinlich grundlegende kognitive und nicht-kognitive Kompetenzen weiter an Bedeutung gewinnen, während Muskelkraft im Mittel an Bedeutung verlieren wird. Familienumgebungen und Schulen, die diese Kernkompetenzen fördern, werden demnach wichtiger.

Zwar deuten empirische Studien daraufhin, dass Bildungsinvestitionen ordentliche und zum Teil sogar außerordentliche Renditen erwirtschaften.6 Jedoch tragen fehlende eigene Ressourcen ebenso wie eine zu stark ausgeprägte Gegenwartspräferenz dazu bei, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit noch zu wenig in solche Bildung investiert wird, deren Nutzen langfristiger Natur ist, und zu viel in Bildung investiert wird, die nur einen kurzfristigen Nutzen stiftet. Erwachsene Betreuungspersonen investieren in signifikantem gesamtwirtschaftlichen Umfang in Bildung.7 Es ist aber nicht sichergestellt, dass sie den langfristigen Nutzen von Bildung immer angemessen beachten. Auch Unternehmen tätigen umfangreiche Investitionen in Bildung. Sie fokussieren dabei in der Regel auf Bildungsinhalte, die sich im Mittel in fünf bis zehn Jahre rentieren. Für längere Zeiträume werden Unternehmen in aller Regel keine Verantwortung übernehmen können.

Die Bildungspolitik sollte idealerweise die Verantwortung für die längere Frist in die Hand nehmen. Leider neigt jedoch auch die Politik immer wieder dazu, kurzfristig und wenig fokussiert zu agieren und langfristige Erträge zu vernachlässigen. Beispielsweise erhielten in der gemeinsamen Qualifizierungsinitiative für Deutschland8 nahezu alle Bereiche des Bildungswesens mehr Mittel. Trotz der erreichten Aufstockung der öffentlichen Bildungsausgaben bleibt bei einer solchen mangelnden Fokussierung die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel mit einiger Wahrscheinlichkeit bescheiden. Diese Tendenz der Politik ist durchaus erklärbar, weil sich demokratisch gewählte Institutionen und ihre Vertreter alle vier Jahre legitimieren müssen, und dies zulasten der langfristig wirksamen Investitionen gehen kann. Es wäre ein Gewinn, wenn sich die Bildungspolitik stärker als bisher auf demokratischem Weg verpflichten könnte, auf den langfristigen Nutzen von Bildung zu fokussieren.

Interdependenzen öffentlicher und privater Bildungsinvestitionen

Mehr öffentliche Bildungsausgaben und -investitionen bedeuten nicht automatisch mehr wirksame Bildungsinvestitionen in der Gesellschaft. Ob mehr öffentliche Bildungsinvestitionen mit beauftragten Betreuungs- und Lehrkräften zu mehr Gleichheit, Integration und Wachstum beitragen können, hängt entscheidend davon ab, ob die Summe aus wirksamen öffentlichen und privaten Investitionen positiv ist. Dies wiederum hängt davon ab, ob und in welchem Umfang die Privaten als Reaktion auf die Ausweitung der öffentlichen Investitionen ihre eigenen Bildungsinvestitionen reduzieren, konstant halten oder ausweiten.

Öffentliche Bildungsinvestitionen sollten so gestaltet werden, dass sie möglichst zu zusätzlichen Bildungsinvestitionen führen, etwa indem sie private Bildungsinvestitionen ergänzen oder befördern. Davon kann nach vorliegender Evidenz beispielsweise für den Schulbereich ausgegangen werden.9 Allgemein bildende Schulen, die für alle Kinder und Jugendlichen zugänglich sind, gehören wahrscheinlich zu den optimalen öffentlichen Bildungsinvestitionen, da sie langfristige Erträge erzielen und die private Investitionstätigkeit befördern.

Aktuelle Herausforderungen der Bildungspolitik

Die formalisierte Bildung erfasst immer weitere Lebens- und Arbeitsbereiche. Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert stieg die mittlere Dauer des Verbleibs im Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland von 8,5 Jahren auf über 13 Jahre,10 eine Zunahme um 53%. Die allgemeine Schulpflicht wurde von acht auf zehn Jahre ausgedehnt.11 In den letzten Jahrzehnten wurde zudem die öffentliche vorschulische Betreuung und Bildung ausgebaut. Seit dem PISA-Schock 2000 hat eine weitere recht rasante Entwicklung im Bildungswesen stattgefunden, die durch die gemeinsame Qualifizierungsinitiative für Deutschland12 beschleunigt wurde.

Derzeit verlassen bei schrumpfenden Schülerzahlen bereits fast 60% eines Abgangsjahrgangs die Schulen mit einer Studienberechtigung.13 Die schrumpfenden Schülerzahlen scheinen die Tendenz zur Höherqualifizierung zu befeuern. Im Jahr 2012 strebten bereits 53% der jungen Erwachsenen einen Hochschulabschluss an. Die Betreuungsrelation an den Schulen ist auf 14,3 Schüler pro Lehrenden gesunken und die öffentlichen Ausgaben pro Schüler sind deutlich gestiegen.14 Auch die beschlossenen Verbesserungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz sollten helfen, Kreditmarktbeschränkungen entgegenzuwirken.

Führen die gestiegenen öffentlichen Bildungsausgaben in die Richtung optimaler Bildungsinvestitionen? Davon kann ausgegangen werden, unter anderem weil die Ausgaben pro Schüler gestiegen sind und Zugangsbeschränkungen für Bildungsinvestitionen abgebaut wurden. Auch der Ausbau der frühkindlichen Betreuung und Bildung geht in Richtung optimaler Bildungsinvestitionen, wenngleich die Wirkungen aufgrund des Rückgangs privater Bildungsinvestitionen wahrscheinlich geringer als erhofft sein werden.

Um die Effizienz der Bildungspolitik weiter zu steigern, ist eine stärkere Fokussierung als bisher erforderlich. Öffentliche Investitionen sollten so gestaltet werden, dass im Mittel nachweisbare langfristige Erträge anvisiert werden, dass die private Investitionstätigkeit ergänzt und möglichst nicht ersetzt wird, und dass individuelle Investitionsdefizite in Kindheit und Jugend ausgeglichen werden. Ergänzend erscheinen begleitende wissenschaftliche Analysen zur quantitativen Abschätzung der Wirksamkeit der wichtigen Maßnahmen angebracht.

  • 1 J. Gernandt, F. Pfeiffer: Rising Wage Inequality in Germany, in: Journal of Economics and Statistics, 227. Jg. (2007), Nr. 4, S. 358-380 u.a.
  • 2 J. J. Heckman: The Economics, Technology and Neuroscience of Human Capability Formation, in: Proceedings of the National Academy of Sciences, 104. Jg. (2007), Nr. 3, S. 113250-13255; F. Kosse, F. Pfeiffer: Impatience among Preschool Children and their Mothers, in: Economics Letters, 115. Jg. (2012), Nr. 3, S. 493-495.
  • 3 R. T. Riphahn, F. Schieferdecker: The transition to tertiary education and parental background over time, in: Journal of Population Economics, 25. Jg. (2012), Nr. 2, S. 635-675.
  • 4 J. Baumert, K. S. Cortina, A. Leschinsky: Grundlegende Entwicklungen und Strukturprobleme im allgemeinbildenden Schulwesen, in: K. S. Cortina, J. Baumert, A. Leschinsky, K. U. Mayer, L. Trommer (Hrsg.): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Reinbek bei Hamburg 2008, S. 53-130.
  • 5 S. Borgloh, F. Heinemann, A. Kalb, F. Pfeiffer, K. Reuß, B. U. Wigger: Staatliche Anreize für private Bildungsinvestitionen: Effizienzanalyse, internationale Trends, Reformmöglichkeiten, ZEW Wirtschaftsanalysen, Vol. 99, Baden-Baden 2011.
  • 6 E. A. Hanushek, L. Woessmann: The Knowledge Capital of Nations – Education and the Economics of Growth, Cambridge MA 2015; F. Pfeiffer, H. Stichnoth: Fiskalische und individuelle Bildungsrenditen – aktuelle Befunde für Deutschland, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 16. Jg. (2015), Nr. 4, S. 393-411.
  • 7 S. Borgloh et al., a.a.O.
  • 8 Regierungschefs von Bund und Ländern: Aufstieg durch Bildung – Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland, Dresden 2008.
  • 9 S. Borgloh et al., a.a.O.
  • 10 C. Morrisson, F. Murtin: The Century of Education, in: Journal of Human Capital, 3. Jg. (2009), Nr. 1, S. 1-42.
  • 11 J. Baumert et al., a.a.O.
  • 12 Regierungschefs von Bund und Ländern, a.a.O.
  • 13 Kultusministerkonferenz (KMK) und die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK): Aufstieg durch Bildung – Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland, Bericht zur Umsetzung 2014, Berlin und Bonn 2014.
  • 14 Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2014 – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen, Bielefeld 2014.

Mehr Ressourcen für Bildungsinvestitionen vor Ort

Eine breite Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland befürwortet mehr Bildungsinvestitionen. Das lässt sich immer wieder an Meinungsumfragen ablesen. Fast alle politischen Parteien schreiben das regelmäßig in ihre Parteiprogramme. Besonders vor Wahlen werden diese Forderungen einem „Mantra“ ähnlich wiederholt. Da Bildungspolitik in die Zuständigkeit der jeweiligen Bundesländer fällt, trifft diese Aussage besonders auf Landtags- und Kommunalwahlen zu. Spätestens, wenn Grundschulen oder weiterführende Schulen in Kommunen und Städten geschlossen oder zusammengelegt werden, gibt es einen lokalen Aufschrei. Dass die demografische Entwicklung bei geringer Fertilität einmal zu geringeren Schülerzahlen führen würde, ist aus den Daten des Statistischen Bundesamts1 und der Entwicklung der Bevölkerungspyramide eindeutig ablesbar.

Bei den Kindern führt diese Entwicklung dazu, dass insgesamt höhere Ausgaben pro Kopf getätigt werden und das trifft mittlerweile nicht nur auf Grundschulen zu, sondern erreicht das weiterführende allgemein- und berufsbildende Schulsystem. Anders sieht es bei den „Babyboomkohorten“ aus. Die überwiegend im Erwerbsleben stehenden größten Geburtskohorten sind 2016 zwischen 50 und 55 Jahre. Der sogenannte quartäre Bildungssektor steht im Zuge des fortschreitenden demografischen Wandels und der Hartz-Reformen seither unter erheblichem Anpassungsdruck, besonders durch die verringerte Förderung zur Weiterbildung durch die Bundesagentur für Arbeit. Dies führte zu einer sinkenden Teilnehmerzahl in den Kursen und in relativ rascher Folge zu einer Verringerung der Zahl der kursanbietenden Bildungsträger.2

Bei der Beanspruchung öffentlicher Mittel konkurrieren Bildungsinvestitionen mit anderen Ausgabenzwecken. In Koalitionsverhandlungen nach Wahlen werden oft größere Bildungsinvestitionen zurückgestellt und bescheidenere Qualitätsoffensiven gestartet. Es bleiben dennoch drei große Bereiche an konkreten Bildungsinvestitionen mit nationalökonomischer Tragweite weiterhin vernachlässigt:3

  1. Weiterbildung in den Regionen: Universitäten in der Provinz haben nur sehr bedingt einen Beitrag zur Verringerung von regionalen Ungleichgewichten bei der Weiterbildungsteilnahme geführt.
  2. Schnelles Internet auch „hinterm Walde“ für kleine Dörfer sind eine Bildungsinfrastrukturleistung.
  3. Zeitressourcen frei machen für Bildungsprozesse: Online-Kurse in ländlichen Regionen zu verfolgen ist meistens keine realistische Alternative, aber wohnortnahe Bildungsträger sind dort nur schwer erreichbar.

Weiterbildung in den Regionen

Die wiederentdeckte Bedeutung der Region für Bildung und Weiterbildung ist ein einschlägiges Ergebnis der Bildungsforschung der letzten Jahre. Seit den miserablen Ergebnissen Deutschlands in den PISA-Untersuchungen haben sich nach langem politischem Lavieren gemeinsame Prüfungsstandards in einigen Schulfächern durchgesetzt. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist zunächst nur eine notwendige Bedingung, um die regionalen Unterschiede verlässlich zu dokumentieren. Schwach abschneidende Regionen sollten sogar aus nationalem Interesse einen besonderen Förderstatus bekommen. Bereits in der Schulbildung abgehängte Regionen sind schädlich für das Gemeinwesen und nicht nur eine irrationale Investitionslücke. Selbst die aktuell nachgerechneten Bildungsrenditen für berufliche Ausbildung und Hochschulabschlüsse liegen in Größenordnungen, wie sie seit einiger Zeit kaum am Kapitalmarkt zu erzielen sind.4

Im Bereich der Weiterbildung liegen die Renditen einige Prozentpunkte niedriger. Es ist aber wahrscheinlich nicht so einfach „to teach old dogs new tricks“ mit hohen Ertragsraten, wenn mehr und mehr Weiterbildung am Arbeitsplatz und mit informellem Charakter erworben wird. Zwei empirische Befunde lassen aufhorchen:

  • Erstens, im sogenannten „PISA für Erwachsene“ der OECD schnitt Deutschland mit durchschnittlichem Ergebnis ab. Aber die Zahl der Personen mit nicht ausreichenden Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben wurde bereits in der „leo. – Level-One Studie“ 2011 mit mehr als 7 Mio. Personen beziffert.5 Für Personen im Alter von 65 Jahren und älter waren die Kompetenzwerte prozentual noch niedriger, wie in der Studie „Competences in Later Life“ festgestellt wurde.6
  • Zweitens, die Weiterbildungsbeteiligung gemessen nach Bundesländern und noch kleinteiligeren „Raumordungsregionen“ zeigt über die Zeit hinweg eine relativ stabile regionale Diskrepanz zwischen den aktiven Weiterbildungsregionen wie z.B. Baden-Württemberg und Hessen und den Nachzüglern wie z.B. das Saarland und Sachsen-Anhalt.7 Noch deutlich weiter auseinander liegt die Weiterbildungsbeteiligung im Emsland, Aachen, Ostfriesland und der Altmark und den Vorbildregionen wie Stuttgart, Mittelhessen, Augsburg, Ingolstadt und Würzburg.

Die oft geäußerte strukturpolitische Empfehlung, eine vorhandene oder neuerliche Ansiedlung einer Universität habe positive „Spillover-Effekte“ für die ganze Region scheint bei den Beispielen mit besonders niedriger Weiterbildungsbeteiligung nicht zuzutreffen. Beispielsweise übt Aachen mit seiner international renommierten Universität keine Sogwirkung auf die umliegenden Regionen aus, wie die Daten und die Fallstudie zu der Region ­Aachen des Deutschen Weiterbildungsatlas nahelegen.8 Die auf dem Mikrozensus basierenden statistischen Auswertungen berechnen anhand eines multivariaten Modells, das Bildungsniveaus und andere demografische Faktoren einbezieht, die Entwicklung der zu erwartenden Weiterbildungsbeteiligung. Diese Simulation wird mit der tatsächlich beobachteten Weiterbildungsbeteiligung verglichen. Positive Beispiele wie die Region Mittelhessen und Ingolstadt zeigen, dass wirtschaftliche Dynamik in Regionen „Treiber“ mit positiven Effekten für die Weiterbildungsbeteiligung darstellen können.

Schnelles Internet auch „hinterm Walde“

Fehlende wirtschaftliche und bildungspolitische Dynamik geht oft mit mangelnden Möglichkeiten zu schnellen Internetverbindungen einher. Während es in globalisierten Bildungsmärkten und bei kostengünstigen Bildungsangeboten von renommierten Universitäten (coursera, Udacity, edX, iversity) mit ihren MOOCs-Angeboten (Massive open online courses) keine Rolle mehr spielt, wo ich daran teilnehmen möchte, bedeutet aber eine langsame, instabile Internetverbindung die Unmöglichkeit, solche Angebote erfolgreich wahrzunehmen. Mangels guter Verbindungen wird bereits die Information über Bildungs- und Weiterbildungsangebote zu einer quälenden Herausforderung.

Die Beteiligung an Weiterbildung und lebenslangem Lernen von breiten Bevölkerungskreisen steht allerdings nur in mittelbarer Verbindung zu der infrastrukturellen Voraussetzung eines schnellen Internetanschlusses. Die „digitale Spaltung“, bereits vor 15 Jahren erkannt,9 hat in vielen ländlichen Regionen 2016 eine strukturelle Benachteiligung begründet. Sie wirkt sich insbesondere auf Lernprozesse für Jugendliche und Erwachsene aus. Dabei sind berufs- und lebenserfahrene Personen wegen eventueller anderer Mobilitätseinschränkungen im ländlichen Raum stark auf Internetdienste angewiesen. Diese internetbasierten oder zumindest durch Online-Anwendungen unterstützen Weiterbildungsangebote stellen eine günstige oder heutzutage sogar unverzichtbare Weiterbildungsmöglichkeit dar. Hybride Lernformen, die eine Kombination aus Präsenzveranstaltungen und Online-Support sowie Vernetzung von in „peer-groups“ Lernenden bieten, lassen sich ohne adäquate Infrastruktur kaum bewältigen.

Die Gruppe der Migranten, die Lernangebote in anderen Sprachen nutzen oder beispielsweise die hervorragend evaluierten Online-Sprachangebote in Deutschkursen nutzen möchte, stößt in Regionen mit unzureichender Internetanbindung ebenfalls auf Barrieren. Diese Benachteiligung durch Mängel in der Infrastuktur führen nicht nur bei Migranten zu einer zusätzlichen Motivation der „Flucht“ aus ländlichen Regionen. Für eine Verbesserung der demografischen Basis in solchen Regionen gehen beide Infrastukturleistungen, schnelles Internet und Weiterbildungsangebote vor Ort, Hand in Hand.

Zeitressourcen frei machen für Bildungsprozesse

Besonders Weiterbildungsteilnehmer führen in Umfragen immer noch hauptsächlich an, dass ihnen die nötige Zeit fehle. Zu der reinen Zeit der Kursdauer, bei Online-Angeboten gleichermaßen wie bei Präsenzangeboten, addiert sich bei Letzterer die Wegezeit. Lediglich bei Kursen am Arbeitsplatz lässt sich diese Zeit einsparen, falls die Weiterbildung auf dem Betriebsgelände stattfindet. Für die große Zahl der gesellschaftlichen, kulturellen, sprachlichen, sportlichen und politischen Weiterbildungsangebote, die unbedingter Bestandteil der von der UNESCO etablierten breiten Definition von lebenslangem Lernen sind,10 entstehen Wegezeiten, die deutlich über die Kursdauer hinausgehen können. Damit wird Zeit für Weiterbildung eine sehr knappe Ressource und sollte in das Kalkül für Weiterbildungsinvestitionen mit aufgenommen werden.

Arbeits- und Weiterbildungskonten sind gute organisatorische Voraussetzungen zur Durchführung von Weiterbildung. Dies gibt es in großen und mittleren Betrieben bereits weitestgehend, aber die kleinen und Mikrobetriebe mit wenigen Mitarbeitenden und hohen Anteilen an Teilzeitbeschäftigten mit familiären Verpflichtungen brauchen umfassendere Unterstützung für die Organisation von substanzieller Fort- und Weiterbildung. Die in den skandinavischen und einigen kontinentaleuropäischen Ländern erprobten „Weiterbildungssabbaticals“ stellen eine hilfreiche Alternative zu den bestenfalls unstetigen und kurzen Weiterbildungssequenzen vieler lernentwöhnter Personen dar.11

Wir sollten im Zuge der nachholenden Bildungsanstrengungen für Migranten den Anpassungsbedarf von vielen Personen, die in Vollzeitarbeitsverhältnissen wenig Zeit für die Wahrnehmung von umfassenderen Weiterbildungsangeboten finden, nicht vergessen. Das sind Investitionen in unsere (auch europäische) Zukunft, die dringend notwendig sind. Dabei sind die Formen des lebenslangen Lernens längst nicht mehr auf Kurse bei traditionellen Anbietern beschränkt. Angebote, beispielsweise zu Themen wie Gesundheit und Ernährung, finden sich auf Bauernhöfen, in Apotheken, Krankenhäusern oder beim Facharzt.

Schlussfolgerung

Nach dem erfolgten „Brexit-Vote“ sollte die Intensivierung der politischen und gesellschaftlichen Bildung für breitere Bevölkerungskreise wieder hoch auf der bildungspolitischen Agenda stehen. Die Verringerung der Defizite bei finanziellen und (europa-)politischen Grundkompetenzen benötigt großes gesellschaftliches Engagement auf allen Ebenen des Föderalismus. Nur so lässt sich mittelfristig die Einheit Deutschlands als eine Bildungsnation erhalten. Das weitere Auseinanderdriften von Regionen bei Internetanbindung und Weiterbildungsangeboten birgt ein gesellschaftspolitisches Risiko, dem eine Weiterbildungsoffensive mit Sprachkursen, gesellschaftlicher, finanzieller und politischer Weiterbildung entgegenwirken muss. Die Tradition einer breit gestreuten privaten sowie kommunal kofinanzierten Trägerlandschaft in Volkshochschulen und konfessionellen Einrichtungen bietet trotz der Einschnitte der Hartz-Reformen eine solide Ausgangsbasis für zu intensivierende Bildungsinvestitionen.

Bildungsinvestitionen, nicht nur in die Bildung und Ausbildung von Kindern aus unterpriviligierten Elternhäusern,12 wirkt gegen wachsende soziale Ungleichheit. Eine zweite Chance kann Migranten geboten werden, aber wir sollten die großen Gruppen an Personen nicht vergessen, die sich nach jahrelangen Beschäftigungszeiten substanziell fortbilden möchten. Selbst mäßigem Wachstum kann mit allgemeinen sowie fachspezifischen Bildungsinvestitionen besonders für die erfahrenen Mitarbeitenden entgegengewirkt werden. Umfassendes, lebensweites und lebenslanges Lernen ist nötig, um Demokratiedefizite zu vermeiden und alle gesellschaftlichen Gruppen in allen Regionen auf dem Weg in die fortschreitend sich globalisierene Wirtschaft mitzunehmen.

  • 1 Statistisches Bundesamt (2016). https://www.destatis.de/bevoelkerungspyramide/#!y=2016 (29.6.2016). ebenfalls für räumliche Gliederung https://www-genesis.destatis.de/gis/genView?GenMLURL=https://www-genesis.destatis.de/regatlas/AI002-1.xml&CONTEXT=REGATLAS01 Regionalatlas Deutschland, Indikatoren des Themenbereichs „Bevölkerung“.
  • 2 Vgl. A. Martin, K. Schömann, J. Schrader, H. Kuper (Hrsg.): Deutscher Weiterbildungsatlas, Bielefeld 2015.
  • 3 Die drei zugespitzten Thesen basieren auf der Studie für die Enquête-Kommission des Landtags in Mecklenburg-Vorpommern K. Schömann et al.: Grundlagenexpertise Bildung und Arbeit im Alter 2015, https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Ausschuesse/Enquete-Kommission/KDrs-6-52.pdf (1.7.2016).
  • 4 F. Pfeiffer, H. Stichnoth: Fiskalische und individuelle Bildungsrenditen – aktuelle Befunde für Deutschland, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 16(4) (2015), S. 393-411.
  • 5 Vgl. A. Grotlüschen, W. Riekmann (Hrsg.): leo. – Level-One Studie. Literalität von Erwachsenen auf den unteren Kompetenzniveaus, Presseheft 2011, http://www.alphabetisierung.de/fileadmin/files/Dateien/Downloads_Texte/leo-Presseheft-web.pdf (1.7.2016).
  • 6 Vgl. J. Friebe, B. Schmid-Hertha, R. Tippelt: Kompetenzen im höheren Lebensalter. Ergebnisse der Studie Competences in Later Life, Bielefeld 2014.
  • 7 Vgl. A. Martin et al., a.a.O. S.37.
  • 8 Vgl. ebenda.
  • 9 E. M. Rogers: The Digital Divide, in: Convergence – The International Journal of Research into New Media Technologies, 7(4) (2001), S. 96-111. doi: 10.1177/135485650100700406
  • 10 J. Delors: Learning: The treasure within Report to UNESCO of the International Commission on Education for the Twenty-first Century, UNESCO 1996.
  • 11 Vgl. J. Offerhaus: Further Training In Germany Continuous Participation And The Impact Of Attitudes And Personality, 2014, http://d-nb.info/107215868X/34.
  • 12 R. Becker, W. Lauterbach: Bildung als Privileg − Ursachen, Mechanismen, Prozesse und Wirkungen, in: Bildung als Privileg, Wiesbaden 2016, S. 3-53.

Title:Investments in Education – Efficient Remedy For Social Inequalities?

Abstract:Despite the educational expansion since the 1960s and the rise of the average education level, there has been no significant decrease in education inequality or in its persistence across generations during the past decades in Germany. This depressing realisation is not held by all authors; some others identify positive developments in education. The explanation for underinvestment in people is that these investments generate only long-run returns. In order to reduce social inequalities, further investments in education are necessary. These investments should be target­oriented and focus on reducing inequalities in the use of early education and care institutions, as well as on increasing the quality of these institutions. Individuals with lower education levels should be especially targeted to participate in further training, because higher formal qualifications will both insulate them from labour market risks and generate a more favourable social environment for their children. Furthermore, there should be more investments into education at the regional level. Large imbalances in regional participation in further education and training highlight the lack of local universities to act as a local push factor. Fast internet access in rural areas and “freeing” time resources through sabbaticals could improve participation in lifelong learning.


DOI: 10.1007/s10273-016-2000-6