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Der Blick auf eine angemessene Wettbewerbsordnung hat sich im Laufe der Jahrzehnte vielfach gewandelt. Dazu trugen sowohl der technologische Wandel als auch ein tieferes Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge bei. Aktuell muss die Wettbewerbspolitik das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) an die Herausforderungen anpassen, die durch die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft – auch im Rahmen der Sharing Economy – entstehen.

„Gerade auf dem engen Markt Europas wird die Entwicklung zur Automation die Marktwirtschaft vor ganz neue Aufgaben stellen, bei denen auch das Modell des Wettbewerbs Korrekturen erfahren wird.“1 Das Zitat aus einem Beitrag im Wirtschaftsdienst aus dem Jahr 1957 beschreibt sehr treffend die Entwicklung, der sich die Wettbewerbsregeln im Laufe der Zeit immer wieder ausgesetzt sahen. Heute ist es die zunehmende Digitalisierung, die die Wettbewerbspolitik vor neue Herausforderungen stellt. Dabei gilt es, Nutzer vor Irreführung und Datenmissbrauch zu schützen und gleichzeitig eine unternehmerische Freiheit zu gewährleisten, auf deren Grundlage sich Wachstums- und Innovationspotenziale entfalten können.2 Wie die Wettbewerbspolitik an die Digitalisierung angepasst werden kann, ist derzeit Gegenstand der neunten GWB-Novelle. In diesem Beitrag sollen die Angemessenheit der Novelle untersucht werden, ebenso wie die neuen Aufgaben für die Wettbewerbspolitik, die sich durch das Aufkommen der Sharing Economy stellen.

In den 100 Jahren seit seinem Bestehen hat der Wirtschaftsdienst die Entwicklungen der Wirtschaftspolitik aufmerksam begleitet. Gegründet mit dem Ziel, die deutsche Wirtschaft in Kriegszeiten über wirtschaftliche Entwicklungen im Ausland zu informieren, bezieht sich der Wirtschaftsdienst mit seinen Diskussionsbeiträgen bis heute auf aktuelle wirtschaftspolitische Vorgänge im In- und Ausland. Der Umgang mit Kartellen und Marktmacht genoss dabei eine besondere Aufmerksamkeit.

So wurde etwa bereits 1917 ein Gesetzesvorschlag Frankreichs mit dem Zweck der „Einrichtung eines Monopols für Brasil-Kaffee in Frankreich“ über mehrere Ausgaben hinweg kritisch begleitet. Ein Autor schrieb dazu: „Der Wunsch, den französischen Einfluss in Brasilien wieder herzustellen, den deutschen zu verdrängen, ist ganz ausdrücklich der Vater dieses Monopolgedankens – nicht der finanzielle Gesichtspunkt, der angesichts der allgemeinen Finanzlage für Monopole immer stärker spricht.“3

Als 1957 das nach dem zweiten Weltkrieg erlassene Dekartellierungsgesetz der Alliierten durch das GWB abgelöst wurde, begleitete der Wirtschaftsdienst auch diese Entwicklung. Verschiedene Stimmen aus Wissenschaft, Politik, Industrie und Gewerkschaften kamen zu Wort. Das Gesetz, das an anderer Stelle als „Grundgesetz der Marktwirtschaft“4 bezeichnet wird, fand auch im Wirtschaftsdienst seine Würdigung: „Das Ereignis bezeichnet eine gewisse Zäsur im Wirtschaftsdenken unserer Zeit, die erkennen läßt, daß jahrzehntelanges geistiges Ringen um einen ökonomischen Problemkomplex schließlich doch einen gewissen Niederschlag in der wirtschaftspolitischen Praxis zu verzeichnen hat.“5

Die Novellierungen des GWB in den folgenden Jahren hatten verschiedene Änderungen zum Gegenstand, die einem ähnlich intensiven Diskurs zwischen Politik, Ökonomie und Lobbyisten ausgesetzt waren. Zentrale Aspekte waren dabei unter anderem die Einrichtung einer Fusionskontrolle sowie die Angleichung an das europäische Wettbewerbsrecht. Regelmäßiger Kommentator der Änderungen war der Wirtschaftsdienst, teils mit einiger Weitsicht: „Die vierte Novelle zum GWB wird daher mit Sicherheit nicht die letzte GWB-Novelle sein!“6

Aktuell, zum 100. Geburtstag des Wirtschaftsdienst, steht die neunte Novelle des GWB an, die bis Ende des Jahres 2016 in Kraft treten soll.7 Ein wichtiger Punkt der anstehenden Novelle wird die Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) in nationales Recht sein. Hierdurch soll die private Kartellrechtsdurchsetzung gestärkt werden. Zudem sollen Lücken im Bereich der Bußgeldhaftung für Unternehmen bei Kartellverstößen geschlossen werden. Durch eine Angleichung der deutschen Regelungen an die Haftungsgrundsätze des EU-Rechts soll verhindert werden, dass sich Unternehmen ihrer Bußgeldhaftung durch Vermögensverschiebungen und Umstrukturierungen entziehen können.

Die Novelle soll aber vor allem der voranschreitenden Digitalisierung sowie mit dieser einhergehenden internet- und datenbasierten Geschäftsmodellen Rechnung tragen. Die Digitalisierung der Wirtschaft hat das Potenzial, zu einer der großen Herausforderung der Wettbewerbspolitik sowie der Wirtschaftspolitik zu werden. Das Bundeswirtschaftsministerium regt bereits den Aufbau einer Digitalagentur an, zum „nachhaltigen Aufbau von Digitalisierungskompetenzen in ökonomischer, rechtlicher und technischer Dimension.“8 Die EU-Kommission und das Bundeskartellamt ermitteln gegen die Großen der Internetökonomie, Google und Facebook, mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Marktmacht. Auch der Umgang mit den neuen Wettbewerbern aus dem Bereich der Sharing Economy hat schon vielerorts die Gerichte und den Gesetzgeber beschäftigt.

Neunte GWB-Novelle – Berücksichtigung digitaler Plattformen

Wesentliches Ziel der neunten GWB-Novelle ist eine effizientere Anwendung des Kartellrechts auf digitale Plattformen.9 Insbesondere soll eine wirksame Fusionskontrolle sowie der Schutz vor Marktmachtmissbrauch sichergestellt werden.10

Zur Gewährleistung einer effektiven Missbrauchskontrolle sieht der Referentenentwurf zunächst eine gesetzliche Klarstellung vor, dass ein Markt auch bei einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung bestehen kann.11 Hierdurch sollen auch Geschäftsmodelle erfasst werden, bei denen Leistungen unentgeltlich angeboten werden. Relevant ist dies vor allem mit Blick auf mehrseitige Plattformen, bei denen häufig eine Nutzergruppe kein monetäres Entgelt zu entrichten hat, etwa weil die Finanzierung des Dienstes über Online-Werbung erfolgt. Die Kartellbehörden haben in ihrer neueren Fallpraxis das Vorliegen eines Marktes zwar auch bei unentgeltlichen Leistungsbeziehungen bereits bejaht. Eine gesetzliche Konkretisierung erscheint allerdings mit Blick auf die Rechtsprechung zweckmäßig, da diese die Annahme eines Marktes in der Vergangenheit verneint hatte.12

Darüber hinaus ist die Aufnahme von Kriterien zur Bewertung der Marktstellung von Unternehmen geplant, die bei Vorliegen mehrseitiger Märkte und Netzwerke besonders berücksichtigt werden sollen.13 Hierbei handelt es sich um (1) direkte und indirekte Netzwerkeffekte, (2) die parallele Nutzung mehrerer Dienste (Multi-Homing) und den Wechselaufwand für die Nutzer, (3) Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten, (4) den Zugang zu Daten sowie (5) den innovationsgetriebenen Wettbewerbsdruck. Der Vorschlag scheint im Wesentlichen auf den Empfehlungen des Arbeitspapiers des Bundeskartellamts „Marktmacht von Plattformen und Netzwerken“ zu beruhen.14 Eine Konkretisierung der gesetzlichen Marktmachtkriterien ist zwar nicht zwingend erforderlich, eine gesetzliche Klarstellung dürfte mit Blick auf die Kartellrechtsanwendung allerdings auch nicht schaden, sofern durch die explizite Nennung einzelner Kriterien die Relevanz weiterer Kriterien in der kartellrechtlichen Prüfung nicht untergraben wird. So spiegeln die Kriterien (1) bis (3) lediglich drei der nach Evans und Schmalensee insgesamt fünf relevanten Kriterien für eine Marktkonzentration bei Plattformmärkten wider.15 Der ebenfalls relevante Differenzierungsgrad (zwischen Plattformen) sowie etwaige Überlastungsgefahren bzw. Nutzungsbeschränkungen, etwa in Form der Heterogenität der Nutzer, werden nur in der Entwurfsbegründung genannt.16 Davon abgesehen ist eine stärkere Berücksichtigung des Zugangs zu Daten in der kartellrechtlichen Prüfung aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Daten als Inputfaktor grundsätzlich sinnvoll, insbesondere im Zusammenhang mit Netzwerk­effekten. Ähnliches gilt für das Kriterium des innovationsgetriebenen Wettbewerbsdrucks, da die Marktmacht von digitalen Unternehmen aufgrund des häufig hohen Innovationsdrucks im Internet begrenzt sein kann. Beide Kriterien sind allerdings nicht ausschließlich mit Blick auf mehrseitige Märkte und Netzwerke von Bedeutung. Insofern wäre unter Umständen eine ausdrückliche Nennung in § 18 Abs. 3 GWB vorzugswürdig.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der GWB-Novelle ist schließlich die geplante Einführung eines zusätzlichen, subsidiären Aufgreifkriteriums in der Fusionskontrolle in Form des Wertes der Gegenleistung.17 Der Referentenentwurf sieht vor, dass zukünftig die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle auch dann Anwendung finden, wenn der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 350 Mio. Euro beträgt, vorausgesetzt, dass die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss weltweit Umsatzerlöse von insgesamt mehr als 500 Mio. Euro erzielt haben. Außerdem muss mindestens ein beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz in Höhe von mindestens 25 Mio. Euro und kein anderes beteiligtes Unternehmen einen Inlandsumsatz von mehr als 5 Mio. Euro erzielt haben. Von den letztgenannten muss zudem mindestens ein Unternehmen im Inland tätig sein oder voraussichtlich tätig werden. Durch das zusätzliche Aufgreifkriterium soll eine fusionskontrollrechtliche Prüfung auch in Fällen ermöglicht werden, in denen ein umsatzstarkes Unternehmen ein Unternehmen mit nur geringen Umsätzen, aber einem hohem Marktpotenzial übernimmt. Eine Ergänzung der Aufgreifkriterien um ein am Transaktionsvolumen orientiertes Kriterium hatte zuvor bereits die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zu digitalen Märkten empfohlen.18 Die Einführung einer solchen zusätzlichen Aufgreifschwelle ist zur Schließung von Lücken in der Fusionskontrolle zu begrüßen. Teilweise vorgebrachte Bedenken, dass durch ein solches Aufgreifkriterium die Entwicklung von Start-ups in Deutschland behindert und ein „Anti-Exit-Gesetz“ geschaffen werde, das Investoren abschrecke, sind aufgrund der Höhe der Schwellen und in Anbetracht einer ergebnisoffenen Prüfung unbegründet.

Entwicklung der Sharing Economy

Die Digitalisierung und die zunehmende Verbreitung von Plattformmärkten haben nicht nur Folgen für die Anwendung des Kartellrechts. Vielmehr macht es die Entstehung von neuen Geschäftsmodellen erforderlich, die in vielen Wirtschaftsbereichen bestehenden spezifischen Regulierungsvorschriften auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der sogenannten Sharing Economy oder auch kollaborativen Wirtschaft.19 Zwar existiert keine einheitliche Definition für die Sharing Economy, grob lassen sich ihr allerdings solche Unternehmen zuordnen, die über eine digitale Plattform temporäre Nutzungsrechte zur gemeinsamen, häufig sequenziellen Nutzung von Gütern oder Dienstleistungen vermarkten. Dessen ungeachtet besteht eine große Heterogenität in den Geschäftsmodellen. Relevante Unterscheidungsmerkmale sind unter anderem die involvierte Nutzerschaft (Privatpersonen oder Unternehmen), die Entgeltlichkeit des Angebots sowie die Form der Preissetzung (durch die Plattform oder die Nutzer).

Aufgrund der Heterogenität der Sharing Economy sind keine genauen Aussagen zu ihrem Umfang möglich. Eine im Auftrag der Europäischen Kommission von PricewaterhouseCoopers durchgeführte Studie, die vor allem Angebote für Privatpersonen berücksichtigt, schätzt, dass sich die über kollaborative Plattformen erzielten Einnahmen in fünf Schlüsselbereichen (Unterkünfte, Personenbeförderung, Dienstleistungen für private Haushalte, freiberufliche und technische Dienstleistungen sowie Schwarmfinanzierung) im Jahr 2015 mit ca. 3,6 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt haben.20 Der Bruttoumsatz der über diese Plattformen erfolgten Transaktionen ist demnach von ca. 15,9 Mrd. Euro (2014) auf ca. 28 Mrd. Euro (2015) gestiegen.

Im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen vor allem P2P(„Peer-to-Peer“)-Plattformen, auf denen Privatpersonen Güter oder Dienstleistungen kommerziell anbieten. Diese Plattformen haben mit einem „Teilen“ im altruistischen Sinne dementsprechend nur wenig gemein. Zwar ist das Teilen bzw. der Handel zwischen Privatpersonen für sich genommen nicht neu. In den letzten Jahren ist es allerdings zu einem teilweise rasanten Wachstum digitaler Vermittlungsdienste gekommen, sodass Privatpersonen heute Güter und Dienstleistungen in einem bisher unbekannten Ausmaß anbieten können und zunehmend in Konkurrenz zu gewerblichen Anbietern treten. Wesentliche Treiber dieser Entwicklung sind die durch die Digitalisierung gesunkenen Transaktionskosten, insbesondere in Form von Such- und Informationskosten, sowie die Lösung von Vertrauensproblemen, vor allem durch die Etablierung von Bewertungs- und Reputationssystemen.

Für die Wettbewerbspolitik stellen diese P2P-Dienste, auf denen Privatpersonen als Anbieter kommerziell tätig sind, eine Herausforderung dar. Prominente, besonders von der Entwicklung solcher Vermittlungsplattformen betroffene Wirtschaftsbereiche sind das Beherbergungs- sowie das Transportgewerbe. Anbieter für Kurzzeitvermietungen wie Airbnb, Wimdu und 9flats ermöglichen es Privatpersonen, ihre Wohnungen oder einzelne Zimmer kurzzeitig zu vermieten. Unternehmen wie Uber, Lyft oder Wundercar geben unter anderem Privatpersonen die Möglichkeit, mit ihrem privaten Pkw individuelle Personenbeförderung zu betreiben.21 Die mit dem Markteintritt dieser Dienste einhergehende Erhöhung der Angebotsvielfalt sowie der zusätzliche Wettbewerbsdruck auf traditionelle Anbieter sind aus Wettbewerbssicht zwar grundsätzlich positiv zu bewerten. So zeigen beispielsweise Studien zu den Auswirkungen von Uber und Airbnb in den USA, dass diese Dienste oftmals nicht nur günstiger als traditionelle Anbieter sind, sondern letztere auf den Markteintritt ihrerseits auch mit Qualitätssteigerungen oder – sofern möglich – Preissenkungen reagiert haben.22 Da diese Plattformen bzw. die dort tätigen Privatpersonen allerdings in der Regel in Märkte eintreten, in denen für etablierte Anbieter häufig spezifische Regulierungsvorschriften bestehen, können gleichzeitig Wettbewerbsprobleme aufgrund einer asymmetrischen Regulierung auftreten. Traditionelle Anbieter beklagen insofern nicht immer zu Unrecht unfaire Wettbewerbsbedingungen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine pauschale Übertragung der für traditionelle Anbieter bestehenden Regulierungsvorschriften auf die in der Regel weniger regulierten neuen Dienste angezeigt ist. Vielmehr sollte zur Vermeidung regulatorischer Schieflagen mit Blick auf alle betroffenen Unternehmen geprüft werden, welche Regulierungen erforderlich sind.23 Eine künstliche Fragmentierung des Marktes sollte vermieden werden.

Aus Wettbewerbssicht besteht für den Gesetzgeber mit Blick auf die Sharing Economy somit in zweierlei Hinsicht Handlungsbedarf. Zum einen sollte ein für die neuen Angebote geeigneter Ordnungsrahmen geschaffen werden. Ziel sollte sein, die neuen Dienste auf eine rechtssichere Basis zu stellen und ein etwaiges Marktversagen, das insbesondere infolge von Informationsasymmetrien oder externen Effekten auftreten kann, durch eine angemessene Regulierung zu adressieren. Insbesondere ist zu vermeiden, dass Anbieter auf Vermittlungsplattformen durch die Umgehung sinnvoller Regelungen, wie etwa von Sicherheitsvorschriften, ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile erlangen. Für Vermittlungsdienste für Privat- bzw. Gelegenheitsfahrer bedeutet dies beispielsweise, dass Vorschriften zur Verkehrssicherheit der Pkw, zur Eignung der Fahrer sowie zu etwaigen Versicherungsvorschriften eingeführt werden sollten, wie dies in vielen Regionen der USA bereits heute der Fall ist.24 Für die kurzzeitige Vermietung von Privatwohnungen könnte zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Wohnungsmärkte eine Obergrenze für die Zahl der im Jahr vermietbaren Tage festgelegt werden, wie sie z.B. in San Francisco oder Amsterdam existiert. Totalverbote sind demgegenüber, wie auch die Europäische Kommission kürzlich in ihren Leitlinien zur kollaborativen Wirtschaft festgestellt hat, nur als letztes Mittel zu rechtfertigen, sofern das Erreichen der spezifischen im Allgemeininteresse liegenden Ziele nicht durch weniger weitreichende Maßnahmen möglich ist.25 Sinnvoll kann, je nach Art der Tätigkeit, auch die Festlegung von Schwellenwerten bzw. Bagatellgrenzen zur Abgrenzung von privaten und gewerblichen Anbietern sein.26 Sofern spezifische Regelungen an das Vorliegen der Gewerblichkeit gebunden sind, würden diese dann erst bei Überschreiten der entsprechenden Grenzen Anwendung finden.

Abgesehen von solchen regulatorischen Anforderungen ist sicherzustellen, dass die Anbieter auf Vermittlungsplattformen ihren jeweiligen Steuerpflichten nachkommen. Dies betrifft vor allem die Versteuerung der Einkünfte sowie gegebenenfalls die Abführung von Umsatz- und Gewerbesteuern. Da die Transaktionen von den Unternehmen der Sharing Economy digital erfasst werden, besteht hier zwar grundsätzlich eine hohe Transparenz. Dessen ungeachtet könnte die Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden und Unternehmen der Sharing Economy verbessert werden. Ein Beispiel hierfür ist Estland, wo nach Angaben der Europäischen Kommission die Steuererklärung für über Plattformdienste vermittelte Privatfahrer vereinfacht werden soll, indem die Plattformbetreiber die für die steuerlichen Zwecke relevanten Daten an die Steuerbehörden weiterleiten, die wiederum die Steuerformulare für die Steuerzahler im Voraus ausfüllen.27 Mit Blick auf die Erhebung und Abführung spezifischer Steuern und Abgaben, etwa im Beherbergungssektor, erscheinen zudem freiwillige Vereinbarungen zwischen Plattformdiensten und den betroffenen Städten zielführend, wie sie etwa in San Francisco getroffen wurden.

Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sollte schließlich eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Regulierung traditioneller Anbieter erfolgen. Überkommene, zur Behebung eines Marktversagens nicht mehr notwendige Regulierungen sollten konsequent abgebaut werden. Eine solche Rückführung der Regulierung kann vor allem aufgrund des technologischen Fortschritts angezeigt sein. Ein Beispiel hierfür ist die viel zitierte Ortskundeprüfung im Taxi- und Mietwagengewerbe, die in Zeiten von Navigationsgeräten weitgehend überholt ist.

Schlussbemerkung

In den 100 Jahren seit Bestehen des Wirtschaftsdienst hat sich unser Blick auf die angemessene Wettbewerbsordnung vielfach gewandelt, sei es durch technologischen Wandel, sei es durch ein tieferes Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge, oder durch beides. Aktuell ist es die Digitalisierung der Wirtschaft, die es notwendig macht, altbekannte Kenntnisse zu hinterfragen sowie Regeln zu ändern und anzupassen. Wie bereits bei der Einführung des GWB im Wirtschaftsdienst festgestellt wurde: „Die endgültig letzte Schlacht dürfte noch nicht geschlagen sein.“28


Ich bedanke mich bei Carina Fugger, ZEW, und Nils-Peter Schepp, Monopolkommission, für die ausgezeichnete Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Beitrags.

  • 1 Kommentar eines unbekannten Autors zur Kartellpolitik „in Sicht des technischen Fortschritts“. Erschienen in: Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) (Hrsg.): Wirtschaftspolitische Wirkungen des Kartellgesetzes: Divergierende Meinungen über die Schlagkraft eines „wirtschaftlichen Grundgesetzes“, in: Wirtschaftsdienst, Hamburg, 37. Jg. (1957), H. 8, S. 423-429.
  • 2 H. Schweitzer, T. Fetzer, M. Peitz: Digitale Plattformen: Bausteine für einen künftigen Ordnungsrahmen, ZEW Discussion Paper, Nr. 16-042, 2016.
  • 3 Unbekannter Autor: Ein Kaffeemonopol für Brasilien und Frankreich, in: Wirtschaftsdienst, 2. Jg. (1917), H. 4, S. 59-60. Außerdem erwähnt in: Wirtschaftsdienst, 2. Jg. (1917), H. 7, S. 99 und H. 9, S. 144.
  • 4 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Wettbewerbsrecht, http://www.bmwi.de/DE/Themen/Wirtschaft/Wettbewerbspolitik/ wettbewerbsrecht.html (30.6.2016).
  • 5 Kommentar eines unbekannten Autors zur Entstehung des Kartellgesetzes. Erschienen in: Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv ­(HWWA) (Hrsg.): Wirtschaftspolitische Wirkungen des Kartellgesetzes, a.a.O.
  • 6 I. Schmidt: Hauptprobleme der vierten GWB-Novelle: Wettbewerbspolitik, in: Wirtschaftsdienst, 58. Jg. (1978), H. 2, S. 71-77.
  • 7 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Referentenentwurf vom 1. Juli 2016, Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (9. GWB-ÄndG), http://www.bmwi.de/DE/Themen/wirtschaft,did=772498.html (7.7.2016).
  • 8 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Grünbuch Digitale Plattformen, 30. Mai 2016, S. 60.
  • 9 Ebenda, S. 48 f.
  • 10 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Referentenentwurf vom 1. Juli 2016 ..., a.a.O., S. 1. Vgl. auch Zeitgespräch „Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft“, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 4, S. 231-248.
  • 11 Ebenda, S. 10.
  • 12 Das Oberlandesgericht Düsseldorf war in einer Entscheidung aus 2015 noch davon ausgegangen, dass nur die entgeltliche Seite von Hotelbuchungsportalen einen Markt bildet (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 9. Januar 2015, Az. VI Kart 1/14 (V), Rn. 43).
  • 13 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Referentenentwurf vom 1. Juli 2016 ..., a.a.O., S. 10 f.
  • 14 Bundeskartellamt: Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, Arbeitspapier, Juni 2016.
  • 15 D. S. Evans, R. Schmalensee: The Industrial Organization of Markets with Two-Sided Platforms, in: Competition Policy International, 3. Jg. (2007), Nr. 1, S. 151-179.
  • 16 Aufgrund der Nennung dieser Kriterien in der Entwurfsbegründung ist allerdings davon auszugehen, dass diese bei der kartellrechtlichen Prüfung berücksichtigt werden sollen.
  • 17 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Referentenentwurf vom 1. Juli 2016 ..., a.a.O., S. 20.
  • 18 Monopolkommission: Sondergutachten 68, Wettbewerbspolitik: He­rausforderung digitale Märkte, Baden-Baden 2015, Tz. 451 ff.
  • 19 Hierzu vor allem die Beiträge in „Zur Diskussion gestellt: Die Modelle Uber und Airbnb: Unlauterer Wettbewerb oder eine neue Form der Sharing Economy?“, in: ifo Schnelldienst, 67. Jg. (2014), Nr. 21, S. 3-26; sowie „Zeitgespräch: Ökonomie des Teilens – nachhaltig und innovativ?“, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 2, S. 87-105; Ferner W. Eichhorst, A. Spermann: Sharing Economy: Mehr Chancen als Risiken?, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 6, S. 433-439.
  • 20 PricewaterhouseCoopers (PwC): Assessing the size and presence of the collaborative economy in Europe, Studie im Auftrag der Generaldirektion Wachstum, April 2016, S. 7. Siehe hierzu auch Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 2. Juni 2016, Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, COM(2016) 356 final, S. 2. Die Europäische Kommission versteht unter der kollaborativen Wirtschaft „Geschäftsmodelle, bei denen Tätigkeiten durch kollaborative Plattformen ermöglicht werden, die einen offenen Markt für die vorübergehende Nutzung von Waren oder Dienstleistungen schaffen, welche häufig von Privatpersonen angeboten werden.“
  • 21 Der Dienst UberPop wurde in Deutschland aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Personenbeförderungsgesetz im März 2015 vom Landgericht Frankfurt verboten (LG Frankfurt, Urteil vom 18. März 2015 – 3-08 O 136/14). Dieses Verbot wurde vom Oberlandesgericht Frankfurt im Juni 2016 bestätigt (OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Juni 2016 – 6 U 73/15). Gegen das Urteil kann noch Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.
  • 22 R. Smart, B. Rowe, A. Hawken, M. Kleiman, N. Mladenovic, P. Gehred, C. Manning: Faster and Cheaper: How Ride-Sourcing Fills a Gap in Low-Income Los Angeles Neighborhoods, Studie im Auftrag von Uber, Juli 2015; S. Wallsten: The Competitive Effects of the Sharing Economy: How is Uber Changing Taxis?, Technology Policy Institute, Working Paper, Juni 2015; G. Zervas, D. Proserpio, J. W. Byers: The Rise of the Sharing Economy: Estimating the Impact of Airbnb on the Hotel Industry, 27. Januar 2016.
  • 23 Monopolkommission: Sondergutachten 68 ..., a.a.O., Tz. 597 f.
  • 24 Vermittlungsdienste für Privatfahrer werden in den USA in der Regel als Transportation Network Companies bezeichnet. Die Regulierungsanforderungen variieren allerdings zwischen den Bundesstaaten bzw. Städten. Zum Ordnungsrahmen in Kalifornien siehe California Public Utilities Commission, Basic information for transportation network companies and applicants, http://www.cpuc.ca.gov/uploadedFiles/CPUC_Public_Website/Content/Licensing/Transportation_Network_Companies/BasicInformationforTNCs_7615.pdf (24.6.2016).
  • 25 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 2. Juni 2016 ..., a.a.O., S. 5.
  • 26 W. Eichhorst, A. Spermann, a.a.O., S. 439.
  • 27 Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 2. Juni 2016 ..., a.a.O., S. 16.
  • 28 K. Kühne: Konsequenzen des Kartellgesetzes, in: Wirtschaftsdienst, 37. Jg. (1957), H. 8, S. 439-448.

Title:Competition Policy in the Digital Age

Abstract:A key aim of the ninth revision of the German Act against Restraints of Competition (GWB), intended to come into effect at the end of 2016, has been to address the current economic development induced by digitisation. Digitisation has the potential to become one of the most challenging developments for both competition policy and economic policy. This article evaluates the adequacy of the revision based on an economic analysis of the evolving market structures. These include two-sided markets and network effects, which require revision of the criteria for the evaluation of competition in markets. In addition, this article discusses the effects of the sharing economy on existing market structures, and the necessity to establish an appropriate regulatory framework and to eliminate possible market failures.


DOI: 10.1007/s10273-016-2020-2