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Die Digitalisierung hat neue Kanäle für Finanztransaktionen eröffnet, die sich für Banken als echte Konkurrenz erweisen können. Digitale Beratungsangebote und Crowdlending bieten den Kunden Chancen, ihr Vermögen unabhängig von Banken zu verwalten und Kredite untereinander zu vergeben. Dafür benötigen sie vor allem klare und verständliche Informationen. Bei der Übernahme von Bankdienstleistungen durch Nichtbanken besteht allerdings die Gefahr, dass ein unregulierter Bereich entsteht. Wird dieser aber zu stark reguliert, könnten innovative Dienstleistungen im Keim erstickt werden. Die neuen Technologien erweitern zudem die Spielräume, um die Kreditwürdigkeit von Kunden zu überprüfen. Dies wird von den Aufsichtsbehörden noch nicht ausreichend beachtet.

Schumpeter im Zeitraffer – FinTechs als Prüflabor und Experimentierfeld

Die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen ist derzeit einer der stärksten Treiber für die Entwicklung der Kreditwirtschaft. Wie in anderen Branchen – Musik, Handel, Verlage – wurde der Trend zunächst unterschätzt. Aber mit der explosionsartigen Verbreitung der Smartphones werden die etablierten Banken nun aus immer mehr Richtungen mit zuvor ungeahnter Dynamik immer heftiger attackiert. Immer stärker zeigt sich die disruptive Kraft neuer Anbieter in der Finanzwirtschaft, die den Schumpeterschen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ forcieren. So sollen derzeit geschätzt 12 000 Start-ups – sogenannte „FinTechs“ – weltweit in die Domäne der klassischen Banken vordringen wollen.

Dabei schälen sich vier FinTech-Typen heraus. Sie setzen erstens bei Zahlungsverkehrslösungen an; allein PayPal verzeichnet über 20 Mio. Kunden in Deutschland. Zweitens verbreiten sich Kreditplattformen wie auxmoney, auf denen insbesondere Privatpersonen Fremdkapital auch in kleinen Beträgen und für ungewöhnliche Projekte und Laufzeiten erhalten. Über FinTechs im Bereich Crowdfunding wie Seedmatch ist es – drittens – mittlerweile möglich, außerhalb der Börse Unternehmensanteile oder hybrides Kapital zu platzieren. Und Plattformen wie eToro übertragen viertens das Facebook-Prinzip auf die Vermögensanlage, indem Private in ihren Depots die Entscheidungen erfolgreicher Trader spiegeln können.

Etablierte Anbieter unter Handlungsdruck

Für die etablierten Anbieter bringen die FinTechs vier miteinander verwobene Gefahren mit sich:

  • Zunächst einmal droht ein direkter Verlust von Erträgen. Dies betrifft vor allem den Zahlungsverkehr, der sowohl vom Gebührenaufkommen bei den meisten Häusern besonders gewichtig und durch die von PayPal etc. entfaltete Dynamik besonders bedroht ist. Ertragsverluste sind perspektivisch, aber auch bei Personalkrediten im Retail-Segment zu befürchten. Und wenn eine größere Zahl von Start-ups sich über Plattformen für Beteiligungskapital finanzieren würde, könnte man interessante Potenzialkunden verlieren.
  • Noch schwerer aber wiegt zweitens die Verringerung des Kundenkontakts, die die Möglichkeiten des Cross Selling deutlich einschränkt. Die Interaktionspunkte – vor allem im stationären, aber auch im telefonischen Vertrieb – haben sich in den letzten Jahren zumindest im Privatkundengeschäft ohnehin schon reduziert. Diese Tendenz wird deutlich verschärft.
  • Drittens verlieren Banken – auch im Zusammenhang damit – in dramatischer Weise Kundeninformationen. Vor allem gilt dies für den Zahlungsverkehr, auf dessen Basis die Konsum- und Investitionsgewohnheiten des Kunden in einzigartiger Weise nachvollzogen werden konnten.
  • Und viertens wird auch der Druck auf die Konditionen weiter zunehmen, da die Preistransparenz der Kunden noch weiter steigt. Bei standardisierten Anlage- und Finanzierungsprodukten ist sie ohnehin schon gegeben, sie weitet sich aber in bisher eher intransparente Bereiche wie stark individuelle Kreditformen oder Unternehmensbeteiligungen hinein aus.

Erfüllt sich daher nun die Prognose von Bill Gates „Banking is necessary, banks are not“ aus dem Jahre 2000? Werden Banken als Intermediäre überflüssig? Wird damit sogar die düstere Prophezeiung des ehemaligen Deutsche-Bank-Vorstands Ulrich Cartellieri an Dramatik übertroffen, der den Banken schon 1991 eine Zukunft als „Stahlindustrie“ voraussagte? Nach einer im April 2016 publizierten Untersuchung von McKinsey werden die deutschen Banken in den nächsten Jahren allein aufgrund der Digitalisierung Gewinneinbußen von ca. 7 Mrd. Euro pro Jahr erleiden – zusätzlich zu den gleichzeitig anfallenden Belastungen durch Niedrigzinsphase und Veränderungen in der Regulierung.1

Untaugliche Abwehrversuche

Der Finanzintermediär „Bank“ steht also unter erheblichem Handlungsdruck. Wie reagieren die etablierten Banken auf diese Herausforderung? Die Statements vieler Branchenvertreter (und ihrer Berater) durchzieht eine eher defensive Grundhaltung, wie drei Beispiele zeigen:

  • Orientiert an Unternehmen wie Apple oder Google werden „Walled-Garden-Strategien“ empfohlen. Damit sind in sich geschlossene, digitale Ökosysteme gemeint, die eine starke Kundenbindung durch exklusive Vertriebsmodelle anstreben. Die digitalen Inhalte, bestimmte mobile Endgeräte und deren Software sind dann nur für einen beschränkten Kundenkreis zugänglich. Idealerweise muss der Kunde die Plattform nicht mehr verlassen, um z.B. die Gesamtheit seiner Finanzdienstleistungen abzuwickeln. Die Übertragung des Hausbankprinzips in das digitale Zeitalter bedeutet für den Nachfrager ohne Zweifel Bequemlichkeit („Alles aus einer Hand“), Zeitersparnis und auch Sicherheit, zudem einen für ihn beherrschbaren Grad an Komplexität. Gelingt es dem Anbieter, den Kunden aufgrund von technischen Inkompatibiltäten und Schnittstellenproblemen innerhalb der „eingezäunten Gärten“ zu halten, fällt es ihm leichter als in offenen Systemen, Produkte und Dienstleistungen zu monetisieren.

Doch was für die Apple-Welt funktionieren mag, muss für Finanzdienstleistungen kein Erfolgsmodell sein. Es sind erhebliche Zweifel angebracht, ob über eine solche, gerade vom Zahlungsverkehr ausgehende Strategie der Abschottung gegenüber den FinTechs tatsächlich nachhaltige Kundenbindung möglich ist. Das Gefühl des Lock-in und damit verbundener hoher Wechselkosten widerstrebt dem Autonomiestreben vieler Nachfrager. Es wäre nicht mehr zeitgemäß, ließen sich die Konto- und Depotdaten nicht in beliebige Software für das persönliche Finanzmanagement ­hineinladen. Und für Firmenkunden gilt erst recht, dass sie nur schwer akzeptieren würden, im Zahlungsverkehr technisch von nur einem Anbieter abhängig zu sein. Über Einzäunungsstrategien lassen sich somit „Geiseln“ nehmen, aber keine zufriedenen Kunden gewinnen oder halten.

  • In ihrer Kommunikation stellen etablierte Banken immer stärker ihre Diskretion im Umgang mit sensiblen, kundenbezogenen Daten heraus. Bei ihnen sei man sicher, dass kein Verkauf der Daten an Dritte oder für unternehmensfremde Zwecke stattfinde. Sicherlich hat das Thema Datensicherheit nach den jüngsten Pannen bei mehreren großen Kreditinstituten und den Fällen von Cybercrime deutlich an Bedeutung gewonnen. Furcht vor Datenmissbrauch, -spionage oder -sabo­tage hegen Umfragen zufolge indes eher die Kunden ab ca. 30 Jahren. Für jüngere Internetnutzer spielt diese Thematik eine eher untergeordnete Rolle. Sie gehen nach eigenen Angaben vergleichsweise sorglos mit persönlichen Daten um und geben sie auf unterschiedlichsten Plattformen preis. Zudem genießen gerade bei ihnen Anbieter wie Amazon, PayPal, Apple oder ­Google ein ähnlich hohes Vertrauen in Punkto Zuverlässigkeit und Sicherheit wie klassische Banken. Und PayPal belegte schon 2013 nach der Zahlung per Rechnung den zweitbesten Wert, wenn nach der Bezahlmethode mit dem höchsten Sicherheitsgefühl gefragt wurde. Die Kommunikation von Sicherheit ist für die „Alten“ also unbedingt notwendig, aber gerade im Kampf um jüngere Kunden keine „Trumpfkarte“.
  • FinTechs – so ist vielfach aus der Branche zu hören – könnten nur deshalb so aufblühen, weil der Regulator sie noch nicht in sein engmaschiges Korsett gezwängt habe, unter dem die etablierten Banken aufgrund der damit verbundenen Kostenbelastungen und eingeschränkten Freiheitsgraden entsprechend ächzten. Bankenaufsicht als „weißer Ritter“? Wohl eher nicht, denn tatsächlich haben große Internetkonzerne wie Facebook mit seinen 1,3 Mrd. Nutzern weltweit, aber auch Apple, Google und PayPal längst Banklizenzen erhalten. Sie trauen es sich also zu, (noch weitere) Finanzgeschäfte zu betreiben, obwohl sie dann das regulatorische Normengerüst beachten müssen. Der Einkauf entsprechender Spezialisten dürfte angesichts ihrer Finanzkraft keine ernsthafte Barriere darstellen. Insofern verschafft die Regulatorik den etablierten Banken vielleicht einen zeitlichen Vorsprung, bildet aber keinen dauerhaften Schutzwall.

Um ihre Existenz zu sichern, müssen die etablierten Anbieter statt dieser untauglichen Abwehrversuche ihren Kunden Nutzen- und/oder Kostenvorteile gegenüber den aufkommenden FinTechs verschaffen. Zu diesem Zweck sollten sie die neuen digitalen Spieler als (1) Prüflabor für das Kundenverhalten und (2) Experimentierfeld für eine moderne Absatzpolitik nutzen.

Prüflabor für Kundenverhalten

Ein besonders starkes Wachstum verzeichnet derzeit das Peer-to-Peer-Lending, die kollektive Bereitstellung eines Kredits an eine Privatperson durch eine Gruppe von Investoren über eine Online-Plattform. Die Aufgabe, finanzielle und persönliche Informationen der Kreditsuchenden auszuwerten, um eine Investitionsentscheidung zu treffen, fällt den Investoren hierbei selbst zu. Ein Plattformbetreiber könnte die generelle Sichtbarkeit persönlicher Informationen von potenziellen Kreditnehmern in den Kreditgesuchen einschränken, sofern dies eine positive Auswirkung auf das Investitionsverhalten der Kreditgeber hätte.

Um die Frage zu beantworten, welche Informationen für die Investoren ausschlaggebend sind, wurden 2015 im Rahmen eines am ikf institut für kredit- und finanzwirtschaft durchgeführten Experiments Investitionsentscheidungen von Anlegern auf einer Peer-to-Peer-Lending-Plattform simuliert.2 Die Probanden (432 Studierende der Wirtschaftswissenschaft) hatten ein persönliches Investitionsbudget von 1000 Euro zur Verfügung. Als Investitionsobjekte standen 15 reale Peer-to-Peer-Kreditgesuche von der Plattform auxmoney sowie ein generisches Bankkonto mit einer Verzinsung von 0,8% p.a. zur Auswahl.

Im Gegensatz zu existierenden Studien zum Peer-to-Peer-Lending, die meist auf der Auswertung frei verfügbarer, historischer Transaktionsdaten der US-Plattform Prosper beruhen,3 erlaubte ein innovatives Forschungsdesign eine gezielte Variation des verfügbaren Informationsniveaus für unterschiedliche Gruppen von Anlegern. Von jeder Kreditprojekt-Karte wurden hierfür vier verschiedene Versionen erstellt. Version 1 (Basisdaten) enthielt die Projektnummer, den Zinssatz p.a., den Kreditbetrag, den prozentualen Anteil des bereits durch andere Investoren aufgebrachten Kreditbetrags, die Laufzeit und das durch den Plattformbetreiber erteilte Bonitätsrating. In Version 2 (Finanzdaten) waren zusätzlich Selbstangaben der Kreditnehmer zu monatlichen Einnahmen und Ausgaben sichtbar. Ab Version 3 (Freitexte) hatten die Anleger Zugriff auf die Freitexte der Kreditsuchenden zum Verwendungszweck des Geldes. In Version 4 (Foto) war zusätzlich das vom Kreditnehmer gewählte Foto sichtbar. Mithilfe von Varianzanalysen wurde die Auswirkung des für die vier Probandengruppen zugänglichen Informationsniveaus auf ihr Investitionsverhalten analysiert. Zielvariablen waren hierbei unter anderem der insgesamt in Kreditprojekte investierte Betrag, die für die Investi­tionsentscheidung benötigte Zeit, der Diversifikationsgrad sowie die Neigung, in Projekte bestimmter Ratingklassen zu investieren.

Informationsökonomisch betrachtet existieren zwischen Anleger und Kreditsuchendem Informationsasymmetrien hinsichtlich der Frage, ob ein Kreditnehmer gewillt und fähig sein wird, die vereinbarten Zins- und Tilgungszahlungen wie vereinbart zu leisten. Dementsprechend lässt sich theoriebasiert die Erwartung formulieren, dass bei steigender Informationsverfügbarkeit und der folglich besser möglichen Qualitätseinschätzung der Kreditprojekte die Investitionsbereitschaft der Anleger steigt. Die Ergebnisse des Experiments offenbaren indes einen gegenteiligen Effekt: Je mehr Informationen verfügbar sind, desto weniger Geld investieren die Probanden in Kreditprojekte und desto mehr Geld fließt auf das Bankkonto. Auf höheren Informationsniveaus hatten demnach die persönlichen Informationen über die Kreditnehmer eine überwiegend abschreckende Wirkung, die die Investitionsbereitschaft in Peer-to-Peer-Kredite insgesamt verringert.

Gilt beim Peer-to-Peer-Lending also stets „weniger ist mehr“? Im Zuge der projektbezogenen Analyse konnten zusätzlich vier Treiber für die Investitionsaktivität identifiziert werden:

  • Anleger werden von hoher monatlich verfügbarer Liquidität auf Seiten der Kreditnehmer angezogen. Projekte, bei denen der Saldo aus monatlichen Einnahmen, Ausgaben und der zukünftigen Kreditrate besonders hoch ist, erfahren einen signifikanten Anstieg des Investitionsvolumens zwischen Gruppe 1 (Basisdaten) und Gruppe 2 (Finanzdaten). Die Signalisierung des eigenen ökonomischen Status unterstützt den Vertrauensaufbau und reduziert informationsökonomisch die Gefahr der Existenz verdeckter Eigenschaften des Kreditnehmers.
  • Investoren benachteiligen diejenigen, die eine Förderung für nicht-existenzielle Verwendungszwecke anstreben. Bei Projekten, deren Verwendungszweck beispielsweise die Renovierung eines Badezimmers oder ein ausgiebiger Familienurlaub ist, sinkt die Investitionsbereitschaft signifikant zwischen Gruppe 2 (Finanzdaten) und Gruppe 3 (Freitexte) ab. Es tritt ein Kontrasteffekt zwischen dem negativ bewerteten Verwendungszweck und anderen, zuvor positiv evaluierten Informationen auf.
  • Investoren sind dann bereit, auch in Projekte mit schlechten Bonitätsratings zu investieren, wenn der Verwendungszweck die berufliche Selbständigkeit oder Ausbildung des Kreditnehmers ist. Hier zeigt sich mit der Sichtbarkeit der Freitexte ein signifikanter Anstieg bei den Investitionen. Dies lässt sich einerseits damit erklären, dass die Anleger Kreditnehmern mit einem nachvollziehbaren Geschäftskonzept eine höhere Wahrscheinlichkeit zusprechen, die getroffenen Kreditvereinbarungen auch einzuhalten. Andererseits handelte es sich bei den Probanden selbst um Studierende, die sich aktuell in der Ausbildung befinden und damit ein Gefühl der Verbundenheit mit denjenigen Kreditsuchenden empfinden könnten, die die Finanzierung ihrer Ausbildung anstreben. Wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Geschäftspartnern ist ein nachgewiesener Treiber von Beziehungsqualität und für den Aufbau von Vertrauen.
  • Sind nur wenige Informationen verfügbar, neigen die Anleger dazu, sich in ihren Entscheidungen am Verhalten anderer Investoren – ausgedrückt durch den im Kreditgesuch einsehbaren bisherigen Finanzierungsgrad des Projekts – zu orientieren. Unter der Annahme, dass alle vorherigen Investoren Zugang zu den identischen Informationen als Entscheidungsgrundlage hatten, ist dies als irrationales Herdenverhalten einzustufen. Die Sichtbarkeit eines Fotos führte indes bei keinem der im Experiment eingebundenen Kreditprojekte zu einer signifikanten Auswirkung auf den durchschnittlichen Investitionsbetrag.

Von weiterführender experimenteller Forschung und Einblicken darin, welche Informationen von Anlegern tatsächlich wahrgenommen werden und für diese im Kontext von Finanzentscheidungen relevant sind, können etablierte Banken profitieren – vor allem hinsichtlich der Gestaltung der eigenen Produktkommunikation gegenüber Kunden. Die Forschungsergebnisse helfen zudem bei der Fundierung der Verbraucherschutzdiskussion zwischen Banken und Regulierungsverantwortlichen über die Angemessenheit und den Umfang von Dokumentationspflichten. Des Weiteren werden Wege zur Weiterentwicklung von Ratingverfahren aufgezeigt. Peer-to-Peer-Lending-Plattformen integrieren unter anderem das Surf-Verhalten von Kreditnehmern im Internet (z.B. zu welcher Tageszeit die Webseite besucht wurde, wie viel Zeit vor dem Ausfüllen des Kreditantrags mit dem Lesen von Informationsmaterial verbracht wurde) als bonitätsrelevante Merkmale in ihren Ratingalgorithmus. Zusätzliche Forschung zur Trennschärfe solcher Items hätte wiederum einen Mehrwert für klassische Banken, die das Geschäft mit Online-Krediten ausbauen.

Experimentierfeld für moderne Absatzpolitik

Eine Analyse der Geschäftsmodelle erfolgreicher FinTechs kann den etablierten Banken Hinweise geben, wie sie ihre Kosten- und/oder Nutzenpositionierung gegenüber den Zielkunden verbessern können. Diese wiederum lassen sich – möglicherweise zunächst in Kooperation mit einzelnen FinTechs – am Markt testen. Obwohl die Schlussfolgerungen hieraus bankindividuell unterschiedlich ausfallen dürften, zeichnen sich generelle Herausforderungen in folgenden Punkten ab:

  • Fundierung: Eine wesentlich intensivere Analyse der Kundendaten muss die Grundlage für ein effektiveres und effizienteres Marketing schaffen. Sie erlaubt erst die Identifikation von in ihren Problemlagen und Einstellungen homogeneren Kundensegmenten.
  • Individualität: Amazon macht es vor: Auch im sogenannten Mengengeschäft sind durch die Nutzung von Kundendaten individuellere Ansprachen und Produktempfehlungen als in der Vergangenheit möglich, um Streuverluste in der Kommunikation zu verringern. Banken als Informationsintermediäre verfügen traditionell über einen großen Pool von Kundeninformationen, insbesondere aus dem Zahlungsverkehr heraus. Diese bislang viel zu wenig genutzten Daten müssen künftig im Rahmen der regulatorischen Vorgaben mit wesentlich mehr Nachdruck ausgewertet werden.
  • Nähe: Der schon lange begonnene und sich nun dramatisch beschleunigende Bedeutungsverlust des Filialvertriebs erzwingt speziell gegenüber jüngeren Zielgruppen den Aufbau digitaler Relations, um den Kundenkontakt zu halten. Banken müssen eine attraktivere Art der Kommunikation und insbesondere über soziale Netzwerke den Weg auf die Smartphones der Kunden finden.
  • Tempo: FinTechs zeichnen sich dadurch aus, dass sie für den Verkauf vergleichbarer Produkte deutlich weniger Zeit als etablierte Spieler benötigen. Eine für den Kunden auch tatsächlich erlebbare höhere „Grundschnelligkeit“ der Banken setzt vor allem eine umfassende Vernetzung der Absatzkanäle voraus. Unabhängig davon, ob der Kunde in der Filiale, über das Telefon/den Videochat oder sein Smartphone Leistungen nachfragt oder Informationen eingeholt hat: Sämtliche Kontakte müssen Eingang in das Customer Journey finden, das allen Ansprechpartnern in der Bank zu gleicher Zeit in gleicher Qualität zur Verfügung steht. Dies erspart es dem Kunden, seine Bedarfssituation immer wieder neu schildern zu müssen.
  • Einfachheit: Sowohl die Bankprodukte selbst als auch die Vertriebswege lassen noch zu viel Inside-out-Denken erkennen. FinTechs punkten hingegen mit schlanken, intuitiv erfassbaren Lösungen und Informationsangeboten. Banken müssen daher die Usability viel stärker in den Vordergrund ihrer Absatzbemühungen stellen und sich durch in den Augen des Kunden smarte Apps profilieren. Die Direktbanken haben dies als wesentliches Element ihres Geschäftsmodells bereits erkannt und umgesetzt. Weniger Barock, mehr Bauhaus!
  • Controlling: Umfangreichere und schneller verfügbare Daten erlauben Banken dann auch aussagekräftigere Performanceanalysen mit Bezug auf einzelne Kunden, Standorte und Betreuer. Diese müssen konsequenter genutzt werden, um Art und Umfang der Kundenbindungsaktivitäten, (Des-)Investitionen in die unterschiedlichen Absatzkanäle sowie die Höhe der erfolgsorientierten Vergütungen festzulegen.

In vielen Banken werden demnach eine weitgehend neu aufgesetzte IT-Landschaft und eine radikale Neugestaltung der Vertriebskanäle notwendig sein. Damit werden aber zugleich tiefgreifende strukturelle Veränderungen in den Geschäftsmodellen – auch der Sparkassen und Genossenschaftsbanken – einhergehen müssen. Denn die für die Investitionen notwendigen Mittel lassen sich angesichts der im Durchschnitt der Kreditwirtschaft ohnehin seit Jahrzehnten rückläufigen Grundrentabilität nur durch zusätzliche Erträge aus beratungsintensiven, eigenkapitalschonenden Geschäften wie dem Vermögensmanagement und der Altersvorsorge gewinnen. Hierfür innovative, engagierte und integre Mitarbeiter zu gewinnen, dürfte bei aller Digitalisierung die zentrale Herausforderung für die Kreditwirtschaft sein.

  • 1 M. Frühauf: Deutsche Banken vor dramatischem Wandel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.4.2016.
  • 2 Vgl. zum Folgenden F. Prystav: Personal information in peer-to-peer loan applications: Is less more?, in: Journal of Behavioral and Experimental Finance, 9. Jg. (2016), S. 6-19.
  • 3 Vgl. z.B. M. Herzenstein, S. Sonenshein, U. M. Dholakia: Tell me a good story and i may lend you money: The role of narratives in peer-to-peer lending decisions, in: Journal of Marketing Research, 48. Jg. (2012), Supplement, S. S138-S149.

Überlegungen zur Regulierung des Crowdlending: Kreditgeschäft im neuen Gewand?

Über die Risiken im Schattenbankensektor machen sich Politik und Aufsicht seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 Gedanken, nehmen begriffliche Präzisierungen und Abgrenzungen vor und entwickeln Regularien zur Begrenzung der Risiken, die aus den Aktivitäten der Schattenbanken erwachsen können. Der Zusammenbruch des Subprime-Marktes und die damit verbundene Verlustübertragung auf die Banken als Sponsoren der Zweckgesellschaften, die Subprime-Kredite verbrieft hatten, waren Auslöser dafür, die besonderen Risiken zu betrachten, die aus dem Schattenbanksektor resultieren können. In diesem Sommer hat es zur Regulierung des Sektors noch eine Konsultation der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)1 zur Umsetzung einer Leitlinie der European Banking Authority (EBA) über Obergrenzen der Banken für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen gegeben, auf die im Übrigen äußerst kritische Stellungnahmen eingegangen sind.2

Als Schattenbanken bezeichnet man Unternehmen, die im Finanzsektor außerhalb des streng regulierten Bankensektors agieren und Kreditintermediationsleistungen erbringen, also einen Transfer von Kreditrisiken bewirken oder unterstützen. Zu den Schattenbanken rechnet man nicht nur die gerade erwähnten Verbriefungsvehikel, sondern insbesondere auch Geldmarktfonds, die im kurzfristigen Bereich Banken ihre Mittel zur Verfügung stellen, und Alternative Investment-Kreditfonds. Letztere dürfen seit dem Inkrafttreten des „OGAW V-Umsetzungsgesetzes“ im März 2016 unter bestimmten Voraussetzungen auch selbst Darlehen vergeben und nicht nur in bereits bestehende Kreditforderungen investieren.3

Die BaFin definiert in ihrer Konsultation zur Umsetzung der EBA-Guidelines Schattenbanken als „Unternehmen, die eine oder mehrere Kreditvermittlungstätigkeiten ausüben und bei denen es sich nicht um ausgenommene Unternehmen handelt.“ Dabei werden die sogenannten „ausgenommenen Unternehmen“ einzeln aufgelistet, darunter neben Kreditinstituten unter anderem auch Versicherungsunternehmen, Wertpapierfirmen, Zahlungsinstitute, E-Geld-Institute, sprich (ausreichend) regulierte Finanzmarktakteure. Unternehmen der FinTech-Branche werden zwar nicht explizit vom Anwendungsbereich der Schattenbankregulierung ausgenommen. Die vielfältigen Geschäftsmodelle der FinTech-Unternehmen jedoch ohne weiteres mit dem Schattenbanksektor in Verbindung zu bringen, kann zu voreiligen und unangemessenen Schlüssen führen, was im Folgenden am Beispiel des Crowdlending gezeigt werden soll.

Kreditintermediation „à la FinTech“?

Beschäftigt man sich mit innovativen Geschäftsmodellen der Kreditintermediation aus dem sogenannten FinTech-Bereich, könnte auf den ersten Blick die Frage virulent werden, ob mit den aufstrebenden FinTech-Unternehmen in Deutschland und weltweit möglicherweise neue Spielarten des Schattenbankwesens entstehen. Dies betrifft insbesondere die Geschäftsidee des Crowdfunding in der Variante des Crowdlending (Lending-based Crowdfunding). Das Crowdfunding (auch Schwarmfinanzierung) setzt unmittelbar am klassischen Bankgeschäft an, wobei Kapital über eine internetbasierte Plattform von mehreren Geldgebern zur Finanzierung eines Vorhabens eingesammelt wird. Sowohl Geldgeber als auch Geldnehmer können private Personen oder Unternehmen sein. In der Variante des Crowdlending geht es um die Vermittlung eines Darlehens über eine internetbasierte Plattform; es handelt sich also nicht um ein spendenbasiertes, sondern um ein kreditbasiertes Crowdfunding. Sofern das Crowdlending über unabhängige Plattform-Betreiber angeboten wird, liegt tatsächlich ein Fall der Kreditintermediation außerhalb des klassischen Bankensektors vor. Doch ist das Crowdlending tatsächlich auch ein Fall für die Schattenbankregulierung?

Im Zentrum steht die Frage, inwieweit FinTech-Unternehmen, die mit Crowdlending-Diensten auf den Markt kommen, einer besonderen Regulierung bedürfen. Letztlich geht es hierbei um Kreditgeschäfte im klassischen Sinn, auch wenn sie im FinTech-Gewand anscheinend neu daherkommen. Doch was heißt FinTech genau? FinTech-Unternehmen entwickeln mit Hilfe technologiebasierter Systeme spezialisierte und besonders kundenorientierte Dienstleistungen, um den allgemeinen Trend der Digitalisierung und Personalisierung auch im Bankensektor aufzugreifen bzw. voranzubringen.4 Eine abschließende FinTech-Definition oder gar einen klar definierten Kanon von hierbei in Betracht kommenden Geschäftsmodellen gibt es nicht, und es wird wohl angesichts der laufenden dynamischen Entwicklung dieses Sektors auch nicht so bald eine solche Definition geben.5 Allein aus diesem Grund erscheint es problematisch, die Fragen der Schattenbankregulierung ohne weiteres auf den FinTech-Sektor zu übertragen. Vielmehr bedarf es insbesondere im Bereich des Crowdlending einer präzisen Analyse des jeweiligen Geschäftsmodells um zu klären, ob der Ansatz der Schattenbankregulierung passend und angemessen ist oder ob nicht herkömmliche Regulierungsansätze ausreichten.

Funktionsweisen des Crowdlending

Beim Crowdlending geht es regelmäßig um die Vermittlung von Darlehen über eine geeignete Internet-Plattform zwischen Wirtschaftssubjekten, die Kreditmittel nachfragen, und einem Kreditinstitut als Darlehensgeber. Die Plattformen, die entweder Privatpersonen oder kleinere und mittlere Unternehmen ansprechen und dementsprechend auch auf kleinere oder größere Beträge abzielen, schalten sich dazu in die Wertschöpfungskette der Kreditintermediation an einer bestimmten Stelle ein, an der sie eine besondere Leistung erbringen.6 Wenn ihre Aktivität einen ökonomischen Ertrag erbringen soll, dann muss die um ihre Aktivität angereicherte Plattform gegenüber dem etablierten Intermediationsprozess einen ausreichenden Transaktionsvorteil erzielen. Solch ein Vorteil kann beispielsweise in einem intelligenten digitalen Screening-System des Crowdlenders bestehen, der in bestimmten Kreditnehmersegmenten durch die digitale und damit besonders umfassende oder geschickte Selektion der Kreditnehmer eine präzisere Einstufung der Kreditnehmer nach ihrer Bonität erreichen kann als die Scoring-Tools der etablierten Banken. Mit der neuen Technik können dann möglicherweise auch Kreditnehmer und Kreditvolumina zum Zuge kommen, die für die etablierten Geschäftsbanken zu kleinteilig oder zu risikoreich sind.

Mit Hilfe des besonderen Screening-Tools kommt in die zunächst traditionell erscheinenden Aktivitäten der Plattformen also ein typisches Element hinein, das man den FinTech-Aktivitäten zurechnen kann. FinTech-Unternehmen bewegen sich zumeist im Umfeld bekannter Finanzdienstleistungen, insbesondere Zahlungsverkehrs- und Vermögensanlageleistungen, die sie in intelligenter Weise auf die Kundenbedürfnisse zuschneiden. Ihre Produkte und Prozesse zeichnen sich häufig durch ihre Simplizität und durch die besondere „Kundenfreundlichkeit der Dienstleistungen (Convenience)“7 aus.

Crowdlending wird von den FinTech-Unternehmen in der Weise organisiert, dass auf einer Internet-Plattform Privatpersonen oder junge Unternehmen, die einen Kredit benötigen, ihre Kreditwünsche anmelden und beschreiben können. Die möglichen Anleger verschaffen sich einen Überblick über die Kreditnachfrager und wählen aus, ob und in welche verfügbaren Projekte sie ihre regelmäßig kleineren Geldbeträge investieren wollen. Finden sich genügend Anleger für eine spezifische Nachfrage nach Kreditmitteln, so vermittelt die Plattform den Abschluss des Kreditvertrages an eine lizensierte Bank. Die Bank wiederum, die über eine Erlaubnis nach § 32 KWG verfügt, veräußert den Rückzahlungsanspruch aus dem Kreditvertrag in Teilforderungen an einzelne Anleger durch Forderungskaufverträge und tritt ihre Kreditforderung gegenüber dem Kreditnehmer an die Anleger ab. Eventuell erfolgt die Weiterveräußerung des Rückzahlungsanspruchs über einen im Eigentum der Internet-Plattform stehenden „Intermediär“, der die jeweiligen Teilforderungen an die Anleger veräußert.

Schon dem Begriff „Crowd“ lässt sich entnehmen, dass das Modell für den Fall konzipiert ist, dass viele Anleger vielen Kreditnehmern gegenüberstehen. Da zumindest in Deutschland bei den Anlegern aber eine erhebliche Zurückhaltung gegenüber Direktanlagen existiert, werden Forderungen auch en bloc an Kapitalsammelstellen wie Versicherungen oder Pensionskassen abgetreten, die in Kreditrisiken investieren wollen, ohne aber selbst die Kreditentscheidung zu treffen und selbst den Kredit herauszulegen.8

Regulierungslücke nicht in Sicht

Wie sehen nun die finanzaufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen für das Crowdlending auf dem deutschen Markt aus? Auch wenn jedes Geschäftsmodell letztlich einer Einzelfallprüfung bedarf, so können doch bevorzugte Modelle und Standards der Strukturierung und vertraglichen Ausgestaltung des Crowdlending unter Berücksichtigung etwaiger finanzaufsichtsrechtlicher Erlaubnispflichten identifiziert werden. Entsprechend hat auch die BaFin aufsichtsrechtliche Hinweise zum Crowdlending veröffentlicht, in denen sie ihren Regulierungsansatz und insbesondere in Betracht kommende Erlaubnispflichten erörtert.9

Bei ihren Hinweisen geht die BaFin unter Berücksichtigung verschiedener in der Praxis auftretender Varianten des Crowdlending davon aus, dass der Plattformbetreiber selbst keine Kredite an Kreditnehmer vergibt, sondern diesbezüglich mit einem Kreditinstitut kooperiert, das über eine Erlaubnis für Bankgeschäfte nach § 32 Abs. 1 S. 1 KWG verfügt. Dies ist ein zentraler Aspekt bei der Betrachtung des Crowdlending unter dem Blickwinkel der Schattenbankregulierung, da sich die Frage aufdrängt, wo denn eigentlich der Ansatzpunkt für eine Regulierung als Schattenbank liegen soll. Aufgrund der typischerweise vorliegenden Kooperation von Crowdlending-Plattform und sogenannter „White-Label-Bank“, die ihre Lizenz und ihre für die Kreditvergabe wesentlichen Systeme, Strukturen und Prozesse zur Verfügung stellt, findet im Ergebnis gerade keine Kreditintermediation außerhalb des (klassischen) Bankensektors statt. Die Kreditvergabe auf Grundlage der Banklizenz nach § 32 KWG ist vielmehr voll reguliert.

Auch wenn die Crowdlending-Plattform für die Vermittlung der Kreditnehmer – für die die BaFin regelmäßig eine Erlaubnis der Plattform nach § 34c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GewO ausreichen lässt − sowie der Anleger zuständig ist und auf der Ebene des Produktvertriebs in der Regel im Vordergrund steht, so ist sie für die Kreditvergabe selbst gerade nicht letztverantwortlich. Sie fungiert bezüglich der Kreditvergabe vielmehr als sogenannter „Outsourcing“-Partner der Bank, dessen Einbindung gemäß § 25b KWG streng reguliert ist. Die Auslagerungsleistungen, die die Crowdlending-Plattform bzw. deren Betreiber gegenüber der Bank erbringt, beinhalten typischerweise nicht nur die Verwaltung der Kredite (Forderungsverwaltung, Mahnwesen), sondern auch die Durchführung und Steuerung des Kreditprozesses (einschließlich der geldwäscherechtlichen Identifizierung der Kreditnehmer). Zum Kreditprozess gehören im Wesentlichen die Datenverarbeitung, das Scoring bzw. die Vorbereitung der Kreditvergabe, die Kreditvergabe selbst sowie die Abwicklung des Vertragsschlusses. Selbst wenn der Plattformbetreiber im Rahmen der Auslagerung auch für das Fällen der Kreditentscheidung zuständig ist, dürfte dies aufsichtsrechtlich zulässig sein, solange er sich strikt an die Kreditvergabekriterien der Bank hält. Als Outsourcing-Partner der Bank ist der Plattformbetreiber nach bankaufsichtsrechtlichen Vorgaben im Übrigen strikt an die Weisungen der Bank gebunden und muss auf Verlangen auch Prüfern der Bank, insbesondere Prüfern der Innenrevision, Geldwäschebeauftragten und Compliance-Beauftragten, sowie den Prüfern der BaFin Rechenschaft ablegen.

Ausblick

In welchem Umfang zukünftig ein zusätzlicher Regulierungsbedarf der Crowdlending-Plattformen entstehen könnte, lässt sich nicht abschließend beurteilen, solange die Entwicklungsdynamik der FinTech-Unternehmen anhält. Aus ökonomischer Perspektive sollten dabei die FinTech-Unternehmen bei der Entwicklung und Ausübung ihrer innovativen Produkte und Prozesse nicht behindert werden, aber auch die für andere Marktteilnehmer und insbesondere Banken geltenden Sicherheitsstandards bei der Kreditvergabe und im weiteren Kreditbearbeitungsprozess dürfen nicht unterlaufen werden. Für eine solche problematische Entwicklung scheint es momentan zumindest aus deutscher regulatorischer Perspektive keine konkreten Anhaltspunkte zu geben: Die BaFin vertritt nicht den sogenannten „sandboxing“-Ansatz wie die britischen Aufsichtsbehörden10, sondern verfolgt klar den Ansatz „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“.11 Für die Regulierung bleibt darüber hinaus eine größtmögliche Transparenz das Gebot der Stunde, um mögliche entstehende Risiken adäquat einschätzen zu können. Transparenz ist aber auch für den aufstrebenden FinTech-Markt von großer Relevanz: Verlässliche Regulierungsstandards sowie Kommunikationsangebote seitens der Aufsicht, die junge Unternehmen bei der adäquaten Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle begleiten, sind wesentlich, um den Bankensektor fit für die digitale Zukunft zu machen.

  • 1 BaFin: Konsultation 5/2016 vom 22. Juni 2016: Entwurf eines Rundschreibens über Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen. Der Entwurf bezieht sich auf die im Dezember 2015 von der European Banking Authority erlassenen EBA Guidelines on limits on exposures to shadow banking (EBA/GL/2015/20). Zur Entwicklung der Diskussion um die Regulierung von Schattenbanken vgl. T. Adrian, A. B. Ashcraft: Shadow Banking Regulation, Federal Reserve Bank of New York, Staff Report 559, April 2012, und zum Regulierungsansatz im Grünbuch Schattenbankwesen der EU-Kommission von 2012 B. Rudolph: Funktionen, Risiken und Regulierung von Schattenbanken, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung ­zfbf, 64. Jg. (2012), S. 846-867. Auf das Grünbuch von 2012 bezieht sich auch die Mitteilung der EU-Kommission zum „Schattenbankwesen – Eindämmung neuer Risikoquellen im Finanzsektor“ vom 4.9.2013. Bezüglich zentraler internationaler/europäischer Regulierungsvorhaben der letzten Jahre wird auf die Übersicht/Hinweise in den EBA-Guidelines EBA/GL/2015/20 (Kap. 2: „Background and rationale“) verwiesen.
  • 2 Vgl. z.B. das Schreiben des Verbands der Auslandsbanken in Deutschland e.V. „konsultation-05-15@bafin.de“ an die BaFin vom 8. Juli 2016.
  • 3 Vgl. zur bereits zuvor eingeführten Änderung der Verwaltungspraxis der BaFin T. P. Bernau, O. Glück: Neue Möglichkeiten für Kreditfonds, GSK Update vom 19.5.2015. Die Änderung hatte nach Aussage des Ausschusses für Finanzstabilität in seinem Dritten Bericht an den Deutschen Bundestag vom Juni 2016, S. 29, noch keine tatsächliche Ausweitung der Darlehensvergabe durch Alternative Investment-Kreditfonds zur Folge.
  • 4 Vgl. hierzu auch die Begriffserläuterung seitens der BaFin, W. Danker: FinTechs: Junge IT-Unternehmen auf dem Finanzmarkt, vom 15.1.2016.
  • 5 Vgl. allerdings die Arbeitsdefinition der EBA in ihrer Opinion of the European Banking Authority on lending-based crowdfunding EBA/Op/2015/03 vom 26.2.2015, S. 8. In diesem Dokument werden auch alternative Varianten des Geschäftsmodells des kreditbasierten Crowdfunding vorgestellt und es werden die Risiken identifiziert, die mit dem Crowdlending verbunden sind (insbesondere Kreditrisiken, Betrugsrisiken, Informationsrisiken, Rechtsrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken des Gläubigers). Schließlich werden bestehende und potenzielle Regulierungsmaßnahmen diskutiert, die zur Begrenzung der identifizierten Risiken eingesetzt werden können.
  • 6 Der international übliche und früher auch von der BaFin bei der Darstellung der Kreditvermittlungsplattformen verwendete Begriff Peer-to-Peer-Lending (P2P-Lending) ist zumindest in Deutschland insoweit missverständlich, als die Kredite selbst von einer Partnerbank der Plattform herausgelegt werden. Vgl. auch U. Mitschke: „Kreditauktionen“ im Internet und die bankaufsichtsrechtliche Erlaubnispflicht der Beteiligten, in: BaFin Journal, 05/07, S. 3-5.
  • 7 Bundesverband deutscher Banken: Antworten des Bankenverbandes auf die Fragen des Ausschusses Digitale Agenda für das Fachgespräch „Digitalisierung der Finanzbranche“ vom 11.11.2015, S. 3.
  • 8 Vgl. O. Streiter: Studie zeigt Interesse von Profi-Investoren an Crowdlending, Lending School vom 9. Juni 2015. Streiter berichtet von einer US-Studie über das wachsende Interesse institutioneller Investoren an Crowdlending; O. Kaya weist im Deutsche Bank EU-Monitor: Mittelstandsfinanzierung im Euroraum, 13. 1. 2015, S. 14 darauf hin, dass „Schattenbanken zunehmend im Peer-to-Peer-Kreditgeschäft und weiteren Formen der Kreditvergabe an KMUs aktiv werden.“ Eine kapitalmarktorientierte Weiterentwicklung des Crowdlending hat FinTex Capital im März 2016 mit der Emission eines Bonds über P2P-Darlehen präsentiert. Als Assetseite des Bond-Vehikels wurden Kreditforderungen erworben, die über Europas führende Crowdlending-Plattformen entstanden sind. Die Bondemission ermöglicht es Pensionsfonds, Versicherungsunternehmen sowie vermögenden Privatpersonen und Family Offices, sich „in großem Stil auf P2P-Plattformen zu engagieren.“ Vgl. DGAP-News vom 22.3.2016: FinTex Capital: Fintex Capital startet als institutioneller Anleger im Bereich Crowdlending. Die EU-Kommission ist im Übrigen der Auffassung, dass Crowdfunding generell das Potenzial hat, „auf lange Sicht zu einer der wichtigsten Finanzierungsformen für KMU zu werden.“ Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3. Mai 2016 zur Veröffentlichung ihres Berichts über den europäischen Crowdfunding-Sektor: EU Commission Staff Working Document vom 3.5.2016: „Crowdfunding in the EU Capital Markets Union“.
  • 9 Vgl. BaFin: Auslegungsschreiben zum Crowdlending vom 9.10.2015; sowie: Vortrag von J.-P. Bußalb, O. Fußwinkel beim BaFin-Tech 2016 „Crowdfunding und aufsichtsrechtliche Pflichten“. Im Folgenden soll vor allem die Erlaubnispflicht gemäß Kreditwesengesetz für das Kreditgeschäft in den Blick genommen werden, nicht jedoch die weiteren möglichen Erlaubnispflichten und Vorgaben, die sich z.B. aus einem etwaigen Anbieten oder Vermitteln von Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG ergeben können. Auch auf etwaige Erlaubnispflichten nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten wird nicht näher eingegangen, zumal die BaFin davon ausgeht, dass die Crowdlending-Plattformen bei einer reinen Vermittlungstätigkeit, wie oben beschrieben, regelmäßig keine Zahlungsverkehrsdienstleistungen erbringen.
  • 10 Vgl. insbesondere das Projekt „Project Innovate“ der Financial Conduct Authority FCA, das zur „Regulatory sandbox“ folgendes ausführt: „The regulatory sandbox aims to create a ‘safe space’ in which businesses can test innovative products, services, business models and delivery mechanisms in a live environment without immediately incurring all the normal regulatory consequences of engaging in the activity in question.“ https://www.the-fca.org.uk/firms/project-innovate-innovation-hub/regulatory-sandbox (27.6.2016). Auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA „befürwortet die Schaffung einer neuen Bewilligung für Finanzinnovatoren sowie eines bewilligungsfeien Entwicklungsfelds (Sandbox)“, FINMA News vom 17.3.2016. Zu den unterschiedlichen regulatorischen Maßnahmen in der Europäischen Union vgl. EU Commission Staff Working Document vom 3.5.2016: „Crowdfunding in the EU Capital Markets Union“.
  • 11 Vgl. diese Aussage des Präsidenten der BaFin Felix Hufeld anlässlich der Jahrespressekonferenz der BaFin 2016 am 10.5.2016. Dies entspricht auch anderen aktuellen Verlautbarungen/Veröffentlichungen der BaFin zu diesem Thema, siehe z.B. BaFin-Artikel von W. Danker, a.a.O. mit weiteren Nachweisen.

Nicht-professionelle Investoren in der digitalen Welt

Aufgrund der Komplexität finanzieller Informations- und Entscheidungssituationen haben nicht-professionelle Investoren meist einen hohen Informationsbedarf sowohl bezüglich der Analyse ihrer eigenen wirtschaftlichen und finanziellen Situation heute und in Zukunft als auch hinsichtlich der potenziellen Problemlösungen. Die Mehrheit dürfte aufgrund ihres hohen Informationsbedarfs sowie der geringen Absicherung durch Vermögen besonders auf eine qualitativ hochwertige Exploration, Aufklärung und Empfehlung angewiesen sein. Qualitativ hochwertig bedeutet in diesem Kontext dabei primär, Informationen zu erhalten, die angesichts der verfügbaren Kenntnisse und Erfahrungen (Kompetenzen) und der individuellen Bedarfssituation benötigt werden. In der Praxis sind Beratungssituationen dabei regelmäßig unter anderem durch eine Informations- und Entscheidungsüberlastung des Kunden gekennzeichnet (information overload, choice overload).1

Vor diesem Hintergrund sind die Entwicklungen in der digitalen Welt zu analysieren und einzuschätzen. Hilfreich ist dabei, stets auch einen Blick auf die Entwicklung der Digitalisierung in der Finanzwirtschaft zu behalten. Bereits seit den 1990er Jahren und besonders im Retail Banking wurde eine umfassende Digitalisierungsoffensive gestartet: Briefbanken als Nischenanbieter wurden von flächendeckenden Direktbanken oder Online-Banken abgelöst, Filialbanken bieten seither auf der Basis digitaler Datenverarbeitung Selbstbedienungssysteme (Geldausgabe, Überweisungen, Kontoauszüge etc.) an, Online-Broker kaufen und verkaufen scheinbar beratungsfrei Wertpapiere und andere Anlageformen, und privatwirtschaftliche Internet-Börsen erlauben ein weltweites Trading.2 Der Finanzbereich kann damit als prototypisch für die fortschreitende Digitalisierung der Geschäftsmodelle von Dienstleistungsanbietern gelten, deren Produkte die finanziellen Basis- und Zusatzbedarfe3 der meisten Bürger unmittelbar und existenziell betreffen oder mittelbar tangieren.

Online-Beratungs- und Informationsangebote

Online-Beratungs- und Informationsangebote lassen sich anhand der sich in der Praxis regelmäßig überlappenden Phasen Exploration, Aufklärung und Empfehlung des Informations- und Beratungsprozesses sowie der Regulierungsvorgaben charakterisieren:4 In der Explorationsphase sollen Informationen über Kundenbedürfnisse und -situation ermittelt werden, um diesen Lebenslagen entsprechend aufklären und beraten zu können (vgl. z.B. Wertpapierhandelsgesetz WpHG § 31 (4)). Die Aufklärungsphase baut auf der Explorationsphase auf. Charakteristisch für die Aufklärung ist, dass der Kunde zu deren Beginn in der Regel nicht konkret sagen kann, was er wissen will, weil ihm unklar ist, welche Informationen ihm fehlen. Die Aufklärung entwickelt sich daher in der konkreten Situation. Zum Gegenstand hat sie einen Tatsachenkomplex wie z.B. eine Versicherung oder ein Anlageprodukt, dessen Risiko- und Chancenpotenzial dem Kunden durch die Mitteilung von Tatsachen verdeutlicht werden soll (Information). In der Empfehlungsphase kommt es zur eigentlichen Beratung. Neben der Mitteilung von Fakten enthält diese auch deren Bewertung und Beurteilung nach Maßgabe der individuellen Eignung (Bewertung) (vgl. z.B. WpHG § 34 (2a)). Im Rahmen der Digitalisierung lässt sich derzeit gut beobachten, dass neue Geschäftsmodelle meist nur Teilbereiche des Informations- und Beratungsprozesses als lukrativ erachten und nur einzelne Fragmente der Wertkette anbieten, was von den etablierten Anbietern als disruptiv wahrgenommen wird. Aktuell ist erkennbar, dass der Schwerpunkt sogenannter FinTechs auf einfachen standardisierten Empfehlungen mit nur rudimentärer Exploration und Aufklärung liegt.5

Die Digitalisierung der Finanzberatung wird dabei als Chance verstanden, bereits in der Exploration im Wege der Selbst-Erforschung online – leichter als im stationären Kontakt – die Möglichkeit zu eröffnen zu ermitteln, in welcher Ausgangssituation, in welcher Lebensphase und in welchem Entscheidungsanlass man steht. Dies ist dann regelmäßig damit verbunden, dass mit eher heuristischen Werkzeugen und nicht mit scheingenauen Expertentools für die eigene persönliche Situation vor jeglicher Produkt­entscheidung (Kauf, Verkauf, Vertragsänderung/-auflösung) erkennbar wird, ob und warum man möglicherweise eine Finanzberatung braucht, welcher Nutzen von einer Beratung erwartet werden kann, welche Informationen zur Analyse und Entscheidungsvorbereitung man selbst sammeln und bereitstellen könnte und welche Beratungsangebote welche Voraussetzungen und Konsequenzen haben.6 Hierzu könnten gut gestaltete, qualitativ hochwertige Produktinformationen, die im Internet verfügbar sind, einen Beitrag leisten, gegebenenfalls auch erst in der Phase der Aufklärung.7 Die EU-Kommission argumentiert im aktuellen Grünbuch ähnlich: „... das Vertrauen der Verbraucher, dass ihre Interessen geschützt sind, ... [kann] nur dann erreicht werden, wenn Dienstleistungen und Produkte verständlich sind: Deshalb sollten Informationen über ihr Funktionieren, ihren Preis und ihre Merkmale im Vergleich zu denen anderer Produkte in einer für den Verbraucher verständlichen Weise zur Verfügung stehen.“8

Ein wesentlicher Vorteil des Digital Advice besteht gundsätzlich also darin, lösungs- und zielgruppenorientiert auf dem dazu passenden Zugangskanal (Internet, Apps, Social Media) die notwendigen Informationen zur Selbst-Exploration und Selbst-Aufklärung bereitzustellen. Beide Beratungselemente ersetzen also, zumindest teilweise, das „Wie“ (know your customer) und gegebenenfalls dann auch das „Was“ (know your product) stationärer analoger Prägung. Zudem ist die analoge Beratungswelt längst digitalisiert, von der Erfassung der persönlichen Daten im Desktop oder Notebook des Beraters über die elektronische Vermittlung der Produktinformationen bis hin zur standardisierten Empfehlung entsprechend den eingesetzten Algorithmen.9

Fünf verschiedene Typen digitaler Beratungssysteme

Es können fünf verschiedene Typen digitaler Beratungssysteme als Geschäftsmodelle identifiziert werden (Business to Consumer B2C), die für nicht-professionelle Investoren in der digitalen Welt zur Verfügung stehen:10

  • Vollautomatisiertes Vermögensmanagement: Nutzung einfacher Tools, die nur eine simplifizierte und standardisierte Benutzererfahrung voraussetzen, einschließlich vereinfachter Anlageregeln und -empfehlungen aufgrund zuvor ermittelter einfacher Anlegerprofile und Risikotoleranzen (grundsätzlich honorar- oder provisionsbasiert möglich; Financial Planning und Asset Allocation). Hier wird auch von sogenannter automatisierter Finanzberatung oder einem Robo-Advisor gesprochen.11 Ist das Geschäftsmodell nicht nur auf eine einzelne oder einmalige Anlageempfehlung ausgerichtet, sondern auf fortlaufende Vermögensverwaltung, dann handelt es sich um eine automatisierte Finanzportfolioverwaltung.
  • Beraterunterstütztes Vermögensmanagement: Vollautomatisierte Variante unter assistierender Nutzung eines (virtuellen) Ratgebers (Telefon, E-Mail), der einfache Schritte des Financial Planning ebenso zeigt wie regelmäßige Anregungen zur Gestaltung und Überarbeitung des Portfolios gibt (grundsätzlich honorar- oder provisionsbasiert möglich; Financial Planning und Asset Allocation). Auch diese Variante wird als sogenannte automatisierte Finanzberatung oder als Robo-Advice kategorisiert. Ist das Geschäftsmodell nicht nur auf eine einzelne oder einmalige Anlageempfehlung ausgerichtet, sondern auf fortlaufende Vermögensverwaltung, dann handelt es sich um eine automatisierte Finanzportfolioverwaltung.
  • Social Trading: Internet-Plattformen, auf denen (potenzielle) Nutzer die Investments vorgeblich erfolgreicher Anleger in einer unterschiedlich definierten Anleger- und Vorbild-Community für ihr eigenes Portfolio spiegeln können. Anleger werden damit quasi zu „Followern“ Dritter, sogenannte „Trader“ bzw. „Signal Provider“. In diesem Kontext sind insbesondere auch Performance-Überlegungen in mittlerer oder längerer Frist von Inte­resse, in etwa vergleichbar zu aktiv verwalteten Fonds.12 Grundsätzlich wird auch diese Variante zur sogenannten automatisierten Finanzberatung gerechnet.
  • Produktübergreifende und produktspezifische Vergleichsportale, oft in Verbindung mit vereinfachten Anlageregeln und -empfehlungen aufgrund zuvor selbst zu ermittelnder einfacher Anlegerprofile und Risikotoleranzen (grundsätzlich honorar- oder provisionsbasiert möglich). Solche Plattformen sind mit der automatisierten Finanzberatung eng verwandt, da diese zumindest im Bereich der Selbst-Exploration und Selbst-Aufklärung einen Einfluss haben und durch selektive Voreinstellungen und Mustervorgaben auch Empfehlungscharakter entfalten.13
  • Internetbasierte Kredit- und Wagnisfinanzierung (Crowd­funding, Schwarmfinanzierung): Nutzer können auf einer Online-Plattform in einem spezifischen Umfeld Darlehen (Crowdlending), oft Mikro-Darlehen, vergeben oder erhalten und Projektbeteiligungen eingehen, ebenfalls oft im Mikro-Format (Crowdinvesting), teilweise mit hohem Eigenkapitalcharakter. Die digitale Welt schafft hier neue Formen der Projektfinanzierung, entweder in einer eher eigenkapitalähnlichen oder in einer eher fremdkapitalähnlichen Struktur.14 Neben diesen Mischformen mit dem Fokus equity-based (Crowdinvesting) oder lending-based (Crowdlending) werden auch Finanzierungsmodelle angeboten, die im Rahmen der Finanzierungsstruktur weniger die monetäre Komponente, sondern vor allem nicht-finanzielle und emotionale Aspekte herausheben (reward-based), die bis zu einer reinen Spendenorientierung reichen können (donation-based). Das jeweilige Geschäftsmodell der Plattform bedingt unter anderem, inwieweit es sich um Anlage- oder Abschlussvermittlung oder Platzierungsgeschäfte für Dritte handelt.

Die Grenzen zwischen stationären Beratungssystemen und Varianten des Digital Advice verschwimmen längst. Dies lässt sich zum einen auf die überschaubaren Varianten des Zugangs als auch auf die beschränkten Prozess­elemente (Exploration, Aufklärung, Empfehlung) zurückführen. Gegenwärtig scheinen die Informationskomponenten (Exploration, Aufklärung), Transaktionsverbilligung und -beschleunigung sowie Konten-Management-Aspekte zu dominieren. Die Verschränkung der digitalisierten Angebote bei Erhalt der stationären Elemente könnte sich aus Sicht der Bürger als Informations- und Beratungssuchende durchaus als vorteilhaft erweisen, wenn es attraktiv erscheint, multiple Nutzungsmöglichkeiten mit wenigen Instrumenten zu erreichen (Omni-Kanal-Flexibilität).15

Die digitale Finanzberatung mit Selbst-Exploration, Selbst-Aufklärung und modularen, standardisierten Empfehlungen zeigt grundsätzlich Potenzial, insbesondere hinsichtlich des Interesseweckens für die persönlichen Finanzen, der initiativen Stärkung der Beschäftigung mit den eigenen Finanzen oder der Vorinformation sowie eines potenziellen Vergleichs der Informationen und Empfehlungen für wesentliche Finanzentscheidungen.16 Damit dies gelingen kann, braucht es eine systematische, strukturierte und standardisierende Regulierung für alle wesentlichen Finanzprodukte nicht-professioneller Investoren und nicht die heutige zersplitterte und überregulierende Form.17

Bedingungen für optimale Handhabung

Auf dieser Basis (notwendige Bedingung) ergeben sich aus heutiger Perspektive einige wenige hinreichende Bedingungen, deren Gewährleistung dazu führen kann, dass viele nicht-professionelle Investoren Geldanlegen als digital einfach, transparent, preiswert und gut geschützt wahrnehmen und nutzen.

  • Die digitalen Informations- und Beratungsangebote müssen einfach und transparent die Interessenlage und das Geschäftsmodell des Anbieters/der Plattform erkennen lassen: Finanzinformationen, Finanztests oder Finanzproduktvergleiche müssen einfachen und strengen Regeln von der Entstehung und Aufbereitung bis hin zur Publikation unterliegen, die laufend zu überprüfen sind, z.B. Information über Geschäftsmodell und finanzielle Beziehungen, insbesondere Provisionen; keine Werbung mit dem Stichwort „kostenlos“ oder ähnlich, wenn die Honorierung im Preis der verglichenen Produkte eingerechnet ist; keine Werbung mit dem Stichwort „preisgünstig“ oder ähnlich, wenn nicht alle Angebote am Markt einbezogen werden. Sind die Kriterien und Vergleichsmethoden öffentlich zugänglich und durch Dritte nachprüfbar? Sind die Aussagen eines Vergleichs maßgeblich für die wesentlichen Eigenschaften einer Finanzdienstleistung?18
  • Qualitativ hochwertige digitale Information und Beratung werden nicht kostenlos nur dadurch, dass sie einfach über das Internet verfügbar sind. Preiswert können sie dennoch sein, da wesentliche Kostenkomponenten der analogen Welt reduziert werden. Um aber preiswerte und hochwertige Angebote überhaupt entdecken und selektieren zu können, braucht es einen flächendeckend funktionierenden Wettbewerb. Jeder Ansatz einer Bildung (kleiner) Oligopole, wie heute bereits bei Vergleichsportalen oder Social Media zu beobachten, sollte frühzeitig unterbunden werden und insbesondere eine Portierung und endgültige Löschung der persönlichen Daten leicht möglich sein. Das aktuelle Grünbuch der EU-Kommission äußert sich daher auch nur vorsichtig: „Die Digitalisierung kann dazu beitragen, das Preisniveau zu senken und die Vergleichbarkeit der Produkte zu verbessern, so dass die Verbraucher besser in der Lage sind, fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen.“19
  • Die beiden Themen Sicherheit und Datenschutz sollten mit höchster Priorität behandelt werden, um das Vertrauen der Bürger zu gewinnen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie lassen willentlich oder unbeabsichtigt und oft unbewusst persönliche Daten entstehen, die Dritte, z.B. die Eigentümer der Geschäftsmodelle der Unternehmen der anbietenden Wirtschaft oder Entscheidungsträger staatlicher Einrichtungen, verwerten können und wollen.20 Diese persönlichen Daten besitzen oft einen institutionellen, sozialen, und/oder ökonomischen Wert, den alle Akteure, grundsätzlich also auch die nicht-professionellen Investoren, individuell oder kollektiv als Verhandlungsgegenstand einsetzen können sollten. Entscheidend scheint hier zu sein, wie einfach, verständlich und klar erkennbar ist, dass die genutzten Angebote aus den persönlichen Daten bezahlt werden (auch durch die Weitergabe an Dritte) und ob es im Ablehnungsfall außer der Nicht-Nutzung des Dienstes Möglichkeiten der Vermeidung sowie Lösungsalternativen gibt. Hierzu gehört auch die einfache, klare und verständliche Kennzeichnung, inwiefern persönliche Daten zur direkten oder indirekten persönlichen, geografischen und technikabhängigen Preisdifferenzierung (z.B. abhängig vom genutzten Zugang/device) verwendet werden (sollen). Gleichermaßen betrifft dies die Kennzeichnung hinsichtlich der (IT-)Sicherheit einschließlich der Deklaration der erwarteten und verpflichtenden Mitwirkung des Zahlers oder der Informations- und Ratsuchenden.21

Der Finanzbereich kann als prototypisch für die fortschreitende Digitalisierung der Geschäftsmodelle von Dienstleistungsanbietern gelten, deren Produkte die finanziellen Basis- und Zusatzbedarfe der meisten Bürger unmittelbar und existentiell betreffen oder mittelbar tangieren. Mit einem Timelag lassen sich die Entwicklungen im Finanzbereich auch im Handel nachvollziehen und in jüngerer Zeit auch im Bereich Gesundheit und Mobilität, mit gut vergleichbaren (potenziellen) Strukturveränderungen. Aufgrund der Vorreiterrolle des Finanzbereichs in der fortschreitenden Digitalisierung scheint es daher essenziell, in diesem Kontext einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, der geeignet ist, das Vertrauen der Bürger in die Digitalisierung zu stärken und anschließend als Vorlage für die weiteren Geschäftsbereiche fungieren kann.

  • 1 A. Oehler: Behavioral Economics und Verbraucherpolitik: Grundsätzliche Überlegungen und Praxisbeispiele aus dem Bereich Verbraucherfinanzen, in: BankArchiv, 59. Jg. (2011), S. 707-727; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung unter einer Digitalen Agenda, Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, Berlin 2015.
  • 2 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.
  • 3 A. Oehler: Privat vorsorgen: Wohnt jedem Anfang ein Zauber inne?, Interdisziplinärer Workshop Private Altersvorsorge, Universität Gießen/Universität Marburg, 25./26. Juni 2015.
  • 4 A. Oehler: Behavioral Economics und Verbraucherpolitik, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.
  • 5 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, Berlin 2016; ders.: Digitale Finanzberatung braucht standardisierte Produktinformationen, in: Der Neue Finanzberater, 2016, H. 1, S. 15.; vgl. auch Europäische Kommission: Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden, COM(2015) 630 final, Brüssel 2015.
  • 6 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.
  • 7 A. Oehler: Behavioral Economics und Verbraucherpolitik, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; ders.: Digitale Finanzberatung braucht standardisierte Produktinformationen, a.a.O.; ders.: Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt; in: P. Kenning, A. Oehler, L. Reisch, C. Grugel (Hrsg.): Verbraucherwissenschaften – Rahmenbedingungen, Forschungsfelder und Institutionen, Wiesbaden, erscheint 2016.
  • 8 Europäische Kommission: Grünbuch, a.a.O.
  • 9 A. Oehler: Behavioral Economics und Verbraucherpolitik, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; vgl. auch A. Oehler, M. Horn, S. Wendt: Was taugt die Finanzberatung durch Robo-Advisors wirklich?, in: Der Neue Finanzberater, 2016, H. 2, S. 28-29.
  • 10 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.; ders.: Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt, a.a.O.
  • 11 Vgl. auch A. Oehler, M. Horn, S. Wendt: Was taugt die Finanzberatung durch Robo-Advisors wirklich?, a.a.O.
  • 12 Vgl. die erste wissenschaftliche empirische Analyse dazu A. Oehler, M. Horn, S. Wendt: Benefits from social trading? Empirical evidence for certificates on wikifolios; Research in Behavioral Finance Conference 2016, Amsterdam, September 15-16, in: International Review of Financial Analysis, 46. Jg. 2016, S. 202-210.
  • 13 A. Oehler: Alles digital? Innovative Geschäftsmodelle im digitalen Zahlungsverkehr und Verbraucherpolitik, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 12, S. 817-821; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.
  • 14 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Formen des Crowdfunding: Handlungsbedarf für die Verbraucherpolitik?, Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen, Berlin 2016; ders.: Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt, a.a.O.
  • 15 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.
  • 16 Ebenda.
  • 17 A. Oehler: Behavioral Economics und Verbraucherpolitik, a.a.O.; ders.: Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt, a.a.O.; ders.: Stellungnahme zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) BT-Drucksache 18/7482 – März 2016 –, Bamberg.
  • 18 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.; ders.: Der technologische Wandel: Herausforderungen in der Digitalen Welt, a.a.O.; vgl. auch J. Tauber: Fehlende Transparenz gefährdet digitales Potential, in: Versicherungsmonitor, 23.2.2016; A. Oehler: Testen der Tester?: Grundsätze ordnungsgemäßen Testens!, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 6, S. 444-447.
  • 19 Europäische Kommission: Grünbuch, a.a.O., S. 2.
  • 20 A. Oehler: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O.
  • 21 Ders.: Digitale Welt und Finanzen. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, a.a.O.; ders.: Digitale Welt und Finanzen. Zahlungsdienste und Finanzberatung, a.a.O. ; vgl. auch A. Oehler, M. Horn, S. Wendt: Digitale Zahlungsdienste: Chinese Walls 2.0 oder Trennung?, in: DIVSI Magazin, erscheint demnächst; Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet DIVSI: Daten – Ware und Währung, Hamburg 2014; M. Schneider: DIVSI Studie „Daten – Ware und Währung“; in: DIVSI magazin, 2014, H. 4, 14-16.

Kreditwürdigkeitsanalysen im Zeitalter von Big Data: Innovation oder Revolution?

In der Finanzbranche lässt sich im Augenblick ein bedeutsamer Wissenssprung beobachten: Durch die Entstehung massiver Datenmengen (Big Data) und den Einsatz neuer Analyseverfahren (Machine Learning, Data Mining) kann die Kreditwürdigkeit von Kunden anscheinend sehr viel genauer als bisher prognostiziert werden. Die neuen Analysemethoden erlauben tiefe Einblicke in die Verbraucherpsyche jedes Einzelnen, seine Zahlungsfähigkeit, Wechselwilligkeit und Offenheit für neue Angebote. Dies verändert nicht nur den Wettbewerb auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette in der Kreditwirtschaft, sondern stellt die Politik, Aufsichtsbehörden und Verbraucher vor erhebliche Herausforderungen.

Der digitale Kunde: Vom Schnappschuss zur 360º-Sicht

Informationsasymmetrien zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern prägen seit jeher Kreditmärkte und können zu Phänomenen des moralischen Risikos, der Kreditrationierung oder der adversen Selektion führen. Reputationssysteme sind ein Instrument, um Informationsasymmetrien zu begegnen. Die Reputationsformation in Kreditmärkten findet heute durch die Erstellung von Kreditprofilen über Privatpersonen und die Anwendung von Kreditrisikomodellen (Scoring-Modellen) automatisiert statt.1 Verfahren zur Kreditwürdigkeitsanalyse werden nicht nur intern durch Finanzdienstleister (beispielsweise Banken, Kreditkartenunternehmen) entwickelt, sondern auch von externen Anbietern wie Kreditauskunfteien oder FinTechs bereitgestellt. Diese übernehmen damit die wichtige Funktion der Informationsintermediation in Kreditmärkten. Kundenanalysen werden nicht nur für unterschiedliche Produkte (unter anderem Konsumenten- und Hypothekarkredite), sondern auch für die verschiedenen Phasen des Kundenlebenszyklus entwickelt. Die dafür neuerdings eingesetzten Analyseverfahren unterscheiden sich erheblich von den bislang eingesetzten. Dies soll zunächst in Kürze erläutert werden.

Traditionelle Verfahren der Kreditwürdigkeitsschätzung, also des Risikos des Zahlungsausfalls, darunter lineare Diskriminanzanalysen oder logistische Regressionen, eignen sich für die Analyse strukturierter Datensätze, die wohldefiniert in Zeilen und Spalten organisiert sind. Hierzu gehören beispielsweise die individuelle Zahlungsgeschichte einer Person, existierende Schuldenbeträge, Länge der Kreditgeschichte, der Mix der Kreditprodukte und die neu aufgenommenen Kredite.2 Die Gewichtung dieser Einflussfaktoren variiert je nach Person und hängt von der insgesamt zur Verfügung stehenden Datenbasis ab. Der Einsatz von Scoring steigert durch Zeit- und Aufwandsersparnis die Profitabilität des Kreditgebers und erhöht insgesamt die Korrelation von Zins und Ausfallsrisiko.3 Verbesserungen in der Präzision der Vorhersage lassen sich also in Profitabilitätszuwächse und Wettbewerbsvorteile umsetzen.

Im Vergleich zu den neuerdings eingesetzten Analyseverfahren erweckt das traditionelle Scoring den Eindruck des Einsatzes einer umgrenzten Datenbasis, einer überschaubaren Zahl von Variablen4 und einer vergleichsweise großen Transparenz in der Methodik. Die Anwendung solcher Verfahren auf massive Datenmengen ist aber selten effizient.

In vielen Wirtschaftsbereichen müssen heute hochfrequente und hochdimensionale Datensätze analysiert werden (z.B. Mobilfunkdaten, Smartcard-Daten). Diese Datensätze können außerdem eine Netzwerkstruktur aufweisen und/oder in Textvarianten vorliegen (SMS, Posts auf Facebook, Twitter, LinkedIn). Je nach Bereich unterscheiden sich die Datenstruktur und Akkumulationsgeschwindigkeit dieser Datensätze erheblich von bislang bekannten Datensätzen, auch von jenen, die für das Scoring verwendet wurden. Big Data wird deshalb bekanntermaßen anhand der drei großen Vs charakterisiert: sehr großes, in Tera- und Petabytes gemessenes Volumen, Geschwindigkeit der Akkumulation (Velocity) und Varianz. Diese Datensätze beinhalten nicht nur soziale Parameter (Kontaktnetze), sie können Stimmungen und Eigenschaften abbilden, die in traditionellen Datensätzen zu Zahlungsverhalten nicht oder nur rudimentär enthalten sind.

Für die Analyse massiver Datenmengen müssen neue Verfahren angewendet werden, darunter Machine Learning und Data Mining. Im Folgenden sollen diese nur kurz skizziert werden, auf die Feinheiten der Abgrenzung kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Bei Machine Learning handelt es sich um ein Teilgebiet der Forschung zur künstlichen Intelligenz. Der Begriff umfasst Analysemethoden mit Algorithmen, die von der Datenbasis iterativ lernen und so die Modellanpassung automatisieren. Beim Data Mining steht der Prozess der Mustererkennung, einschließlich Korrelationen und Anomalien, im Vordergrund. Diese Verfahren nutzen identifizierte Muster, um künftige Ereignisse von Interesse zu prognostizieren, z.B. die Antwort eines Kunden auf Werbung oder seine Zahlungsunfähigkeit.

Diese Verfahren eröffnen die Möglichkeit, tausende neuer Variablen für die Kreditwürdigkeitsprüfung zu verwenden.5 Zu diesen gehören nicht nur Daten aus sozialen Netzen, Internet-Suchanfragen oder Kreditprofilen, sondern auch Mobilfunkverhalten oder öffentliche statistische Kenngrößen wie die Kriminalität im angegebenen Wohnbezirk. Hinzugenommen werden können Variablen, die abbilden, wie schnell der Interessent das Online-Formular ausfüllt, ob er das vertragliche Kleingedruckte liest6 oder welche Computerschriften auf dem Computer gespeichert sind.7 Ob und inwiefern diese neuen Verfahren besser als angestammte Verfahren sind, wird in der Literatur kontrovers diskutiert, wobei valide empirische Vergleiche eher rar sind.8

Für Unternehmen der Finanzbranche werden zunehmend Kenngrößen interessant, die mehr spiegeln als die Ausfalls- oder Betrugswahrscheinlichkeit eines Kunden.9 Hier versprechen Big Data und ihre Analyse tiefe Einblicke in die Verbraucherpsyche jedes Einzelnen, seine Zahlungsfähigkeit, Wechselwilligkeit oder Offenheit für neue Angebote.10 Im Marketing lässt sich die Marschrichtung der Anbieter von Analyseverfahren bereits beobachten: Ziel ist es, eine aussagekräftige 360°-Sicht des Kunden zu erhalten. Produkte dieser Art werden von US-amerikanischen Firmen bereits beworben. So offeriert die Firma Clario ein „360 degree customer profile“ und Experian spricht von einem „universal customer profile“. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass auch online und bislang offline existierendes Verhalten in den Profilen konsolidiert wird.11 Dieser technologische Fortschritt intensiviert den Wettbewerb, er ermöglicht Produkt- und Preispersonalisierung, zeigt aber auch, dass die traditionellen Finanzdienstleister und Informationsintermediäre unterschiedlich betroffen sind.

Wettbewerbsintensivierung durch FinTechs: Komplementäre oder Substitute?

Vor diesem Hintergrund lassen sich im Augenblick drei große Trends in der Informationsintermediation in Kreditmärkten erkennen. Der erste Trend bezeichnet den bereits angeklungenen Paradigmenwechsel von der Kredit-Beauskunftung (credit reporting) hin zu einer 360°-Kunden-Beauskunftung (consumer reporting). Neben dem Kreditrisiko rücken die Profitabilität und damit weitere Eigenschaften (Zahlungswilligkeit) in den Vordergrund. Dies geht einher mit der sukzessiven Ausdehnung der Datenbasis unter Einbezug von immer mehr persönlichen Informationen. Während Anfang der 1990er Jahre vermehrt alternative Daten12 einbezogen wurden, gilt heute das Mantra „alle Daten sind Kreditdaten“.13 Start-ups, die in diesem Bereich tätig sind, stellen ihre Geschäftsmodelle typischerweise in den Zusammenhang von Kredit­rationierung und dem verminderten Zugang zu Krediten marginalisierter oder junger Bevölkerungsgruppen (vgl. Webseiten von ZestFinance, Kreditech und First Access, um nur einige zu nennen).

Die steigende Zahl von Eintritten in den Markt für Kreditwürdigkeitsanalysen ist der zweite große Trend. So befeuern Venture Capital Fonds im Augenblick die Unternehmensgründungen in diesem Markt. FinTechs sind vor allem dann als Komplementäre zu traditionellen Finanzinstituten zu sehen, wenn sie keine Überschneidung mit deren traditionellen Geschäftsfeldern haben. Gleiches gilt für die Entwicklung externer Kreditrisikomodelle: Solange Finanzinstitute kein Interesse an diesem Geschäftsfeld haben, stellen FinTechs für sie keine Konkurrenz dar. Letzteres ist aber sehr wohl der Fall für Kreditauskunf­teien. Hier ist zu beobachten, dass selbst ein Unternehmen wie Facebook ein Patent auf eine Methode hält, die zur Kreditwürdigkeitsschätzung benutzt werden kann.14 Konkurrenz für Finanzinstitute könnte sich aus den neuen Geschäftsmodellen auf der Stufe der Kreditvergabe ergeben, wie im dritten Trend zu beobachten ist.

Der dritte Trend ist die Entstehung gänzlich neuer Geschäftsmodelle, darunter Peer-to-Peer-Plattformen (z.B. Prosper, Lending Club oder Smava), die nur aufgrund des vergrößerten Zugangs zu Kreditwürdigkeitsanalysen existieren können. Diese Plattformen können Finanzinstitute in der Kreditvergabe potenziell komplett ersetzen, vor allem dann, wenn die Kunden jenen der Banken im demografischen und Risikoprofil immer ähnlicher werden.15 Die Betonung liegt hier allerdings auf Kreditvergabe, denn auf andere Funktionen der Finanzinstitute, beispielsweise auf Kontoführung oder den Zahlungsverkehr, müssen die Kunden der Plattformen nach wie vor zurückgreifen.

Neue Herausforderungen für Aufsichtsbehörden durch Big Data

Es ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie Aufsichtsbehörden ihren Pflichten angesichts dieser Entwicklungen gerecht werden können. Dies betrifft einerseits Behörden, die für die Finanzmarktüberwachung (insbesondere Bankenüberwachung) zuständig sind, andererseits aber auch Verbraucherschutz- oder Datenschutzbehörden.

Zum einen müssen die Risikoimplikationen der angewandten Modelle sehr viel stärker als bisher verstanden werden, darunter fällt auch die Integrität der Datenbasis und der eingesetzten Modelle. Dies wird durch die Komplexität erheblich erschwert, ist aber notwendig, wenn es beispielsweise um Basel-II-Compliance geht. Zum anderen muss geprüft werden, ob und inwiefern externe Anbieter dieser Verfahren von den bestehenden Gesetzen erfasst werden.16

Ob Unternehmen ihre Versprechen gegenüber Verbrauchern halten (z.B. Daten robust anonymisiert werden) ist eine Frage im Schnittbereich des unlauteren Wettbewerbs und des Datenschutzes. So könnte bei manchen Unternehmen der Anreiz bestehen, Datenschutzgesetze zu umgehen, indem Datensätze scheinbar anonymisiert werden. Unternehmen sollten aber durch das Reduzieren ihrer Datenschutz-Compliance-Kosten nicht ungerechtfertigterweise einen Wettbewerbsvorteil erhalten.

Ungesetzliche Diskriminierung von Kunden, ob direkt oder indirekt, auf Basis der Daten fällt in den Bereich der zuständigen Aufsichtsbehörde (z.B. Datenschutzbehörde in Deutschland oder Federal Reserve Board in den USA). Auch hier ist fraglich, ob die behördlichen Kapazitäten im Moment ausreichen, um eine effektive Überprüfung der Marktteilnehmer zu gewährleisten.

Der Schutz des Verbrauchers: Unmöglich im Zeitalter von Big Data?

Eingangs wurde auf die bestehenden Informationsasymmetrien, die den Kreditmarkt seit jeher prägen, eingegangen. In klassischen Kreditmarktmodellen mit asymmetrischer Information wird davon ausgegangen, dass Kreditnehmer mehr über ihr Risikoverhalten wissen als der Kreditgeber. Durch die neuen Analysemethoden könnten sich solche Informationsasymmetrien umkehren – ein in der Literatur als „Inversion der Privatsphäre“ bekanntes Phänomen.17 So könnte ein Unternehmen einen Kunden sehr viel besser einschätzen als dieser sich selbst. Dieser Wissenssprung erlaubt es, einen größeren Teil der Rente aus der Transaktion mit Kunden zu extrahieren.18 Für den Datenschutz ergeben sich durch Big Data schwerwiegende Veränderungen:

  • Auskunftspflicht: Das Volumen der Daten sowie angewandte Datentransformationen (vor Aufnahme der Variablen in ein Modell) dürften von Verbrauchern kaum verstanden werden;
  • Recht auf Korrektur: Wenn weder das Volumen verarbeitet, noch Datentransformationen verstanden werden können, wird die Prüfung der Integrität der Datenbasis durch den Verbraucher stark erschwert;
  • Logik der automatisierten Entscheidung: Es besteht quasi eine komplette Intransparenz der Verfahren aufgrund des Datenvolumens, der Datentransformationen und der Komplexität der Modelle;
  • Ökonomische Diskriminierung: Die Abwesenheit von Daten (beispielsweise durch das Fehlen eines Facebook-Profils) könnte sich negativ auf die Kreditwürdigkeitsprüfung auswirken und entweder eine Hürde für den Zugang zur Finanzdienstleistung werden oder ihre Konditionen verschlechtern.

Zwar ist der Datenschutz bezüglich Kreditinformationen in den USA und bezüglich persönlicher Daten in Deutschland gesetzlich geregelt, jedoch auf sehr unterschiedliche Weise.19 Die novellierten Versionen des Bundesdatenschutzgesetzes in Deutschland oder des Fair Credit Reporting Act in den USA bieten im Augenblick keine adäquaten Antworten auf die aktuellen Entwicklungen.

Schluss

Viele der technologischen Entwicklungen, die im Finanzsektor der USA im Bereich der Kreditvergabe zu beobachten sind, haben Deutschland noch nicht erreicht. Im Augenblick sind hierzulande Big-Data-Analysen unter Einbezug von Profilen aus sozialen Netzen, Internet-Suchverhalten oder Mobilfunknetzen nicht verbreitet. Dies liegt zum einen am Regulierungsrahmen, der durch das Bundesdatenschutzgesetz vorgegeben ist, zum anderen aber auch an der großen Reserviertheit der deutschen Verbraucher gegenüber solchen Methoden. Es lässt sich allerdings festhalten, dass die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf den Wettbewerb in der Kreditwirtschaft und die Verbrauchersouveränität nur verstanden werden können, wenn die Aufsichtsbehörden dem Maschinenraum der Unternehmen einen Besuch abstatten.

  • 1 Ein Überblick über die Thematik wird in N. Jentzsch: Financial Privacy – An International Comparison of Credit Reporting Systems, Heidelberg 2007, gegeben. Credit ratings zu Unternehmen oder Ländern wird hier nicht diskutiert.
  • 2 Diese Faktoren werden für die Berechnung des in den USA am weitesten verbreiteten FICO-Scores verwendet, vgl. http://www.myfico.com/crediteducation/whatsinyourscore.aspx.
  • 3 L. Einav, M. Jenkins, J. Levin: The impact of credit scoring on consumer lending, in: RAND Journal of Economics, 44. Jg. (2013), Nr. 2, S. 249-274.
  • 4 Vgl. auch Diskussion in S. Lessmann, H.-V. Seow, B. Baesens, L. C. Thomas: Benchmarking state-of-the-art classification algorithms for credit scoring: A ten-year update, 2015, https://lirias.kuleuven.be/bitstream/123456789/497988/1/Credit+scoring+benchmark+-+R1+-+2015-02-23.pdf.
  • 5 Grundsätzlich wird für die neuen Methoden eine andere Terminologie verwendet, aus Platzgründen wird dies hier ignoriert und die Terminologie der klassischen Ökonometrie verwendet.
  • 6 Dies wird von der Firma ZestFinance benutzt, vgl. auch M. Hurley, J. Adebayo: Credit Scoring in the Era of Big Data, in: The Yale Journal of Law and Technology, 18. Jg. (2016), S. 148-216.
  • 7 Dies wird von Kreditech benutzt, vgl. auch K. Seibel: Big-Data-Scoring – Gegen Kreditech ist die Schufa ein Schuljunge, in: Die Welt vom 17.4.2015.
  • 8 Vgl. auch S. Lessmann et al., a.a.O.; sowie D. J. Hand: Classifier technology and the illusion of progress, in: Statistical Science, 21. Jg. (2006), Nr. 1, S. 1-14; A. A. Masyutin: Credit Scoring based on social network data, in: Business Informatics, 3. Jg. (2015), Nr. 33, S. 15-23.
  • 9 L. C. Thomas, R. W. Oliver, D. J. Hand: A survey of the issues in consumer credit modelling research, in: Journal of the Operational Research Society, 56. Jg. (2005), S. 1006-1015.
  • 10 Die U.S. Marketing-Firma Acxiom offeriert 3000 verschiedene Verbraucher-Reaktionsprognosen (sogenannte propensities), beispielsweise die Neigung eine Marke gegenüber einer anderen zu präferieren, vgl. P. Tucker: Has Big Data Made Anonymity Impossible?, MIT Technology Review, 2013, https://www.technologyreview.com/business-report/big-data-gets-personal/.
  • 11 M. Hurley, J. Adebayo, a.a.O., S. 158, Fußnote 6.
  • 12 Der Ausdruck „alternative Daten“ subsummiert alle Daten, die in den vergangenen Jahrzehnten nicht standardgemäß für die Kreditwürdigkeitsprüfung verwendet wurden, z.B. Zahlungsprofile von Privatpersonen bei Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgern oder Telekommunikationsunternehmen.
  • 13 Zitat aus J. R. Koren: Some lenders are judging you on much more than finances, 2015, http://www.latimes.com/business/la-fi-new-credit-score-20151220-story.html.
  • 14 Patent „Authorization and authentication based on an individual’s social network“ US 9100400 B2, http://www.google.si/patents/US9100400.
  • 15 N. Barasinska, N. Jentzsch, D. Schäfer: Internet-Kreditplattformen ziehen immer mehr traditionelle Kreditnehmer an, in: DIW Wochenbericht, Nr. 36, 2011, S. 3-9.
  • 16 Diese Diskussion kann aus Platzgründen leider nicht vertieft werden.
  • 17 Y. Gurevich, E. Hudis, J. M. Wing: Inverse Privacy, in: Communications of the ACM, 59. Jg. (2016), Nr. 7, S. 38-42.
  • 18 A. Ghose, K. W. Huang: Personalized Pricing and Quality Customization, in: Journal of Economics & Management Strategy, 18. Jg. (2009), Nr. 4, S. 1095-1135.
  • 19 Ein Vergleich von Gesetzen und Regulierungen findet sich in N. Jentzsch, a.a.O.

Title:New Financial Technologies – Banking Market in Motion

Abstract:Digitalisation opens new channels for financial transactions. Crowdlending and Digital Advice offer additional opportunities for customers to manage their assets. In the banking market, “FinTechs” are the most notable example of what Schumpeter described as “creative destruction”. They could threaten the existence of established banks. Therefore the banks should use the FinTechs as a testing laboratory for customer behavior and testing ground for a more modern marketing policy. This environment gives rise to concerns that there may develop an unregulated area of shadow banks. But it should be considered that a level playing field has to be ensured and that innovative processes and products are not stalled. A potential advantage of Digital Advice is that consumers can have the possibility to access the relevant information they need to make their financial decisions. Consumers, in turn, are only able to benefit from this advantage if competition between financial service providers leads to a supply of clear and comprehensible information about financial products and an appropriate degree of data security. The rise of Big Data analyses in retail banking allows a more precise estimation of creditworthiness risk as well as a consumer’s willingness-to-pay, propensity to switch and responsiveness to marketing offers. This not only impacts on competition, it represents major challenges for policymakers, authorities and consumers alike.

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DOI: 10.1007/s10273-016-2028-7

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