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Die gute konjunkturelle Lage der deutschen Volkswirtschaft bietet der Bundesregierung hervorragende Möglichkeiten, Deutschland für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. Was sind die drängendsten Probleme? Der demografische Wandel erfordert Maßnahmen zur Erhöhung des Arbeitskräftepotenzials, die Digitalisierung ist in vielen Bereichen voranzutreiben, auf ihre Folgen muss sich die Politik aber einstellen. Energiewende, Weiterentwicklung der EU, Globalisierung und Verteilungsfragen stehen ebenfalls zur Debatte. Dabei gilt es, die Balance zwischen einem soliden finanzpolitischen Kurs einerseits und wachstumsfreundlichen Reformen andererseits zu wahren.

Regierungsbildung 2017: große Herausforderungen, große Chancen

Selten waren die konjunkturellen Voraussetzungen bei der Bildung einer neuen Bundesregierung so günstig wie heute. Die Bundestagswahlen haben die Chance darauf eröffnet, dass ein neu formiertes Koalitionsbündnis eine gute Balance zwischen Kontinuität und Neujustierung der Wirtschaftspolitik finden könnte. In Europa ist im Laufe dieses Jahres die Erwartung darauf gewachsen, dass eine sinnvolle Erneuerung des europäischen Integrationsprozesses gelingen kann. Gleichzeitig sieht sich die deutsche Volkswirtschaft mit einer Reihe großer, langfristig bedeutsamer Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen der demografische Wandel, der von der Digitalisierung der Wirtschaft ausgelöste Strukturwandel, die notwendige Festigung der Europäischen Währungsunion, die Frage der Weiterentwicklung der Europäischen Union und weltweit gestiegene protektionistische Tendenzen. Die aktuellen Rahmenbedingungen bieten beste Voraussetzungen für die neue Bundesregierung, gute Antworten auf diese Herausforderungen zu finden und schlechte zu vermeiden.1

Begünstigende Umstände

Die konjunkturelle Lage in Deutschland ist außerordentlich gut. Zusätzlichen Rückenwind geben die Entwicklungen auf der europäischen und globalen Ebene. Insgesamt ergibt sich dadurch eine außerordentlich günstige Basis für kluge wirtschaftspolitische Weichenstellungen:

  • Aufschwung in Deutschland: Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einem robusten Aufschwung.2 Mit prognostizierten Wachstumsraten von 2,0% und 2,2% für 2017 bzw. 2018 wird das Wachstum voraussichtlich oberhalb des geschätzten Potenzialwachstums von 1,4% bleiben (vgl. Abbildung 1). Der Aufschwung ruht auf einem breiten binnenwirtschaftlichen Fundament. Schon seit Jahren leisten die privaten Konsumausgaben kräftige Wachstumsbeiträge, gestützt von der hohen Beschäftigung und den damit verbundenen Einkommen. Mittlerweile spielen zudem die Investitionen wieder eine stärkere Rolle. Weitere Auftriebskräfte sind die wirtschaftliche Erholung des restlichen Euroraums und eine expansive Wirtschaftspolitik. Im Zuge dieser Entwicklung wird allerdings die Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten weiter steigen, die expansive Geld- und Fiskalpolitik wirken somit prozyklisch. Dies steigert das Risiko von Fehlallokationen und wird die Wachstumsdynamik im Zeitverlauf etwas dämpfen. Die Reallöhne sind in den Jahren des Aufschwungs bereits deutlich stärker gestiegen als die Produktivität (vgl. Abbildung 2). Ein flächendeckender Fachkräfteengpass konnte jedoch nicht zuletzt durch die hohe Nettozuwanderung bisher verhindert werden.
  • Weltwirtschaft im Aufwind: Die Weltwirtschaft befindet sich ebenfalls im Aufschwung.3 Dafür ist mitverantwortlich, dass sich wichtige Befürchtungen nicht bewahrheitet haben, die noch vor einem Jahr zu einer Investitionszurückhaltung geführt hatten. China konnte das hohe Wachstumstempo halten, und in den USA haben sich die Ankündigungen einer stark protektionistisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik nicht materialisiert. Ebenso ist in Großbritannien nach dem Brexit-Votum ein starker Wachstumseinbruch ausgeblieben. Schließlich haben sich die schlimmsten Befürchtungen, dass europakritische Parteien in zentralen Staaten Europas die Oberhand gewinnen könnten, zunächst zerschlagen. Insbesondere die fortgeschrittenen Volkswirtschaften befinden sich im Aufschwung. Die Arbeitslosigkeit sinkt länderübergreifend (vgl. Abbildung 3). Dazu hat die konjunkturelle Belebung des Euroraums maßgeblich beigetragen. Ursächlich dafür sind nicht zuletzt strukturelle Anpassungen während der Krise. Mit prognostizierten Wachstumsraten von 2,3% und 2,1% für die Jahre 2017 bzw. 2018 wird der Euroraum weiterhin kräftig wachsen und in die Normalauslastung zurückkehren. Dennoch bleiben das Produktivitätswachstum und damit die mittelfristigen Wachstumsaussichten verhalten.
  • Aufbruchstimmung in Europa: Schließlich verleihen die Diskussionsangebote des französischen Präsidenten Macron der neuen Bundesregierung Rückenwind, um die europäische Integration gemeinsam voranzutreiben. Diese Bemühungen können auf den Reformen der vergangenen Jahre aufbauen, mit denen die Architektur des Euroraums bereits gefestigt wurde. Nun geht es „lediglich“ noch um deren Vervollständigung. Doch allem voran sollten neue Weichenstellungen im Hinblick auf die Balance von Eigenverantwortung und Risikoteilung wohldurchdacht sein.
Abbildung 1
Produktionspotenzial und Produktionslücke1
Produktionspotenzial und Produktionslücke

1 Schätzungen des Sachverständigenrates. 2 Referenzjahr 2010, saisonbereinigte Werte; der Kalendereffekt wird jedoch berücksichtigt. 3 Prognose des Sachverständigenrates.

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen: Sachverständigenrat.

Herausforderungen

Deutschland sieht sich in den kommenden Jahren mit einer Reihe ernsthafter Herausforderungen konfrontiert, sowohl auf heimischer als auch auf internationaler Ebene. Im Vergleich zur Bedeutung dieser Themen tritt der in den vergangenen Jahren vielfach im Mittelpunkt stehende Verteilungsdiskurs in den Hintergrund.4

  • Normalisierung der Geldpolitik: Das Wachstum im Euroraum wird nach wie vor von der äußerst expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gestützt. Die jüngst beschlossene Verlängerung der Anleihekäufe führt angesichts der steigenden Wachstums- und Inflationsdynamik sogar zu einer Ausweitung des Expansionsgrads. Daher ist eine Normalisierung der Geldpolitik angezeigt.5
  • Demografischer Wandel: In Deutschland wird sich der demografische Wandel im kommenden Jahrzehnt beschleunigen und das Arbeitskräftepotenzial schmälern. Die Alterung wird den Arbeitsmarkt deutlich verändern. Schon jetzt fällt es den Unternehmen zunehmend schwer, offene Stellen zu besetzen. Zusätzlich werden im Zuge der Alterung die Kosten für Alterssicherung, Gesundheit und Pflege steigen.
  • Digitalisierung: Die deutsche Volkswirtschaft steht vor einer umfassenden Digitalisierung und damit vor einem erheblichen Strukturwandel. Vor allem erfordert die zunehmende Verwendung sensibler persönlicher Daten große Anstrengungen im Hinblick auf Datensicherheit, Datenschutz und Sicherstellung von Privatheit, ohne gleichzeitig Effizienzgewinne unnötig auszubremsen.
  • Europäische Integration: Die aktuell in Europa geführten Diskussionen um eine mögliche Verbesserung der Architektur des Euroraums verdeutlichen die Komplexität der Verbindung einer gemeinsamen Währung mit national souveräner Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Die heterogenen Präferenzen innerhalb Europas sind eine ausgemachte Stärke, erschweren jedoch die Suche nach der richtigen Architektur.
  • Protektionismus: Die mit dem internationalen Handel verbundene Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung hat weltweit zu einem deutlichen Wohlstandsanstieg und einem drastischen Rückgang der absoluten Armut geführt.6 Doch eine steigende Ungleichheit der Markteinkommen innerhalb der Volkswirtschaften7 und die Konzentration der Anpassungslasten auf bestimmte Regionen und Sektoren8 haben in den vergangenen Jahren zunehmende protektionistische Tendenzen motiviert.9
Abbildung 2
Lohnwachstum und Verteilungsspielraum
Lohnwachstum und Verteilungsspielraum

1 Nominale Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmerstunde. 2 BIP je Erwerbstätigenstunde. 3 Für das geschätzte Inflationsziel wird in Anlehnung an T. Bletzinger, V. Wieland: Lower for longer: The case of the ECB, in: Economics Letters, 159. Jg. (2017), H. C, S. 123-127, ein Wert von 1,75% angenommen.

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen: Sachverständigenrat.

Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft

Die neue Bundesregierung muss auf diese Herausforderungen gute Antworten finden, damit die deutsche Volkswirtschaft in der digitalisierten Weltwirtschaft der Zukunft weiterhin ihre Rolle finden und den Wohlstand der Bevölkerung sichern kann.

  • Solide öffentliche Haushalte: In der Finanzpolitik gilt es, den durch die gute Einnahmesituation eröffneten fiskalischen Spielraum prioritär für solche Reformen einzusetzen, die das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft steigern können.10 Dazu zählen Maßnahmen, die zu einem wachstumsfreundlicheren Steuersystem führen, wie etwa ein Abbau der Diskriminierung von Eigenkapital bei der Unternehmensbesteuerung. Insgesamt sollten höhere Ausgaben für Investitionen ohne eine Erhöhung der Staatsquote bewerkstelligt werden; stattdessen sollte die Ausgabenstruktur entsprechend verändert werden.

Zudem sind Steuer- und Beitragszahler zu entlasten. Dabei sollte insbesondere über die Mehrbelastung durch die Kalte Progression bei der Einkommensteuer in Abstimmung mit der allmählichen Abschaffung des Solidaritätszuschlags entschieden werden. Angesichts der verringerten strukturellen Arbeitslosigkeit sollte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung reduziert werden. Die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung oder der energetischen Gebäudesanierung sowie das Baukindergeld laden hingegen zu Mitnahmeeffekten ein.

  • Nachhaltige soziale Sicherung: Die Tragfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung sollte durch eine Reihe von Maßnahmen gestärkt werden. Insbesondere bleibt es nach wie vor sinnvoll, in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) das gesetzliche Renteneintrittsalter an die Entwicklung der ferneren Lebenserwartung zu koppeln. Die GRV könnte analog zur betrieblichen Altersversorgung dadurch weiterentwickelt werden, dass beim Bezug von Grundsicherung im Alter ein Freibetrag anrechnungsfrei gestellt wird. Von einer erneuten Ausweitung der Mütterrente ist dringend abzuraten, da dies die Tragfähigkeitslücke zulasten der nachfolgenden Generationen noch vergrößern würde.
Abbildung 3
Arbeitslosenquoten im Vergleich
Arbeitslosenquoten im Vergleich

1 Berechnet anhand der Gewichtung über den Anteil an den Erwerbstätigen im Vorjahr.

Quellen: Eurostat; OECD; eigene Berechnungen: Sachverständigenrat.

Die Verbesserung der wirtschaftlichen Effizienz der Gesundheitsversorgung ist ein wichtiger Schlüssel zur Stärkung der Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung. Effizienzpotenziale ergeben sich durch den Abbau der Grenzen zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern, durch größere Strukturanpassungen im Kranken­haussektor, durch eine bessere Steuerung der Patienten durch das Gesundheitssystem und allgemein durch eine konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens.

  • Steigerung des Arbeitskräftepotenzials: Erstens sollte das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft werden.11 Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Etablierung lebenslangen Lernens könnten die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren erhöhen. Vor allem sollte bei einem Ausbau der Kinderbetreuung großes Augenmerk auf die Betreuungsqualität und den mit der Betreuung einhergehenden Bildungsanspruch gelegt werden. Zudem gilt es, bei den Anstrengungen zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit und der Integration von anerkannten Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt nicht nachzulassen.

Zweitens könnten die Möglichkeiten zur Erwerbsmigration für Fachkräfte mit beruflicher Ausbildung – nicht nur in ausgewiesenen Mangelberufen – aus Drittstaaten ausgeweitet werden, um damit den zunehmenden Fachkräfteengpässen durch einen Ausbau des Arbeitskräftepotenzials entgegenzuwirken. Ebenso können zeitlich befristete Aufenthaltstitel zu Arbeitssuche und zur Aufnahme einer Berufsausbildung sinnvoll sein. Ein Einwanderungsgesetz könnte die bestehenden Regelungen zur Zuwanderung transparent und systematisch bündeln und signalisieren, dass Deutschland sich gegenüber einer geordneten Erwerbsmigration stark öffnet.12 Schließlich sind drittens Bildungs- und Weiterbildungsanstrengungen zu erhöhen, um die Erwerbsbevölkerung auf die digitale Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten.

  • Chancen der Digitalisierung: Die Politik sollte den mit der Digitalisierung einhergehenden Strukturwandel in mehrfacher Hinsicht unterstützen. Erstens könnte die Einrichtung einer Digitalisierungskommission innovationshemmende Regulierungen identifizieren. Zweitens sollte der Staat sein eigenes Verwaltungshandeln konsequent digitalisieren. Drittens sollten in der Bildung und Weiterbildung vor allem die allgemeinen Kompetenzen gestärkt werden. Viertens gilt es, einen flexiblen Arbeitsmarkt sicherzustellen, der raschen Strukturwandel zulässt. Dazu gehören die Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitszeitverträgen und ein modernes Arbeitszeitgesetz. Schließlich könnte fünftens die stärkere Öffnung der Dienstleistungsbereiche gegenüber dem Wettbewerb bessere Chancen für den erfolgreichen Strukturwandel schaffen.
  • Marktwirtschaftliche Energiewende: Schließlich sollte die Energiewende auf Basis eines einheitlichen CO2-Preises vorangetrieben werden. Ein europäisches Vorgehen im Rahmen eines konsequent auf alle Emittenten erweiterten Emissionshandelssystems wäre dabei einem nationalen Preis für Treibhausgas-Emissionen vorzuziehen. Ein einheitlicher CO2-Preis würde zu einer effektiven Kopplung der Sektoren Strom, Verkehr und Wärme führen und so die Energiewende volkswirtschaftlich effizient organisieren. Aufgrund der höheren Nutzungskosten für fossile Energieträger ergäbe sich zudem ganz automatisch ein Kohleausstieg bei der Stromerzeugung.

Weiterentwicklung Europas

Die Weiterentwicklung der Architektur des Euroraums und der Europäischen Union können nur dann sinnvoll gelingen, wenn zwei grundlegende Prinzipien beachtet werden: das Prinzip der Subsidiarität und das Haftungsprinzip.

  • Nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik: Bei allen Bemühungen um eine Stärkung der Architektur des gemeinsamen Währungsraums bleibt es nach wie vor erforderlich, dass die Mitgliedstaaten ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eigene Reformanstrengungen stärken. Zudem haben die Konsolidierungsbemühungen vieler Mitgliedstaaten jüngst an Kraft verloren, obwohl ihre Schuldenstände in Relation zum Bruttoinlandsprodukt noch weit über der 60%-Grenze liegen. Um eine höhere Bindungswirkung zu erreichen, könnte es sinnvoll sein, die Komplexität des europäischen Regelwerks für öffentliche Finanzen abzubauen. Eine Ausgabenregel könnte auf die Veränderung der Primärausgaben abzielen, eine Defizitregel auf die Veränderung des strukturellen Finanzierungssaldos. Im Euroraum könnte beispielsweise der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) die unabhängige Überwachung des vereinfachten Regelwerks gewährleisten.
  • Architektur des Euroraums: Vorschläge zur Einrichtung einer gemeinsamen Fiskalkapazität können unerwünschte Anreize für die nationale Wirtschaftspolitik setzen, während ihre zusätzliche Wirkung zum Ausgleich konjunktureller Schwankungen begrenzt ist. Dies gilt angesichts der Heterogenität der Institutionen des Arbeitsmarkts für eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung genauso wie angesichts der Haushaltsautonomie der souveränen Mitgliedstaaten für ein gemeinsames Budget für den Euroraum oder einen europäischen Finanzminister.

Gleichzeitig demonstrieren diese Überlegungen, dass der ESM als dauerhafter Krisenmechanismus ein wesentliches Architektur-Element des Euroraums ist. Das Instrument der makroökonomischen Anpassungsprogramme sollte jedoch durch die Einführung eines Mechanismus für eine geordnete Umstrukturierung von Staatsschulden ergänzt werden. Zudem könnte es sinnvoll sein, dem ESM ein zusätzliches Mandat in der Krisenprävention zu verleihen.

Eine vollständige Banken- und Kapitalmarktunion ist ein wesentlicher Bestandteil eines widerstandsfähigen gemeinsamen Währungsraums.13 Bevor an weitere Integrationsschritte, beispielsweise die Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung, zu denken ist, müssten die bestehenden Risiken im Finanzsystem reduziert werden: beispielsweise müssten die hohen Bestände an notleidenden Krediten im Bankensektor abgebaut, die Privilegierung staatlicher Schulden in der Bankenregulierung aufgehoben und die Glaubwürdigkeit des Abwicklungsregimes für Banken erhöht werden.

  • Europa und die Welt: Folgt man den beiden Kernprinzipien, dann ergeben sich viele fruchtbare Einsatzfelder für ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Dazu gehören multilaterale Vereinbarungen und Freihandelsabkommen im Bereich des Außenhandels, die Vollendung des gemeinsamen Binnenmarkts, die Errichtung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarkts, Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung, die Bekämpfung von Fluchtursachen und die Sicherung der Außengrenzen bei der Flüchtlingsmigration, die Terrorismusbekämpfung und der Klimaschutz.

Deutschland hat aus dem Anstieg der internationalen Arbeitsteilung seit den 1990er Jahren in besonders großem Ausmaß Wohlfahrtsgewinne realisiert.14 Der gestiegene Außenhandel hat für Deutschland viele zusätzliche Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe mit sich gebracht.15 Somit hat gerade Deutschland sehr viel zu verlieren, sollten protektionistische Tendenzen weiter um sich greifen. Die neue Bundesregierung steht daher vor der Aufgabe, gemeinsam mit den europäischen Partnern die internationalen Organisationen zu stärken und die Offenheit der Märkte über ein regelbasiertes Handelssystem weiter zu fördern. Erhebliches Potenzial für Handelsliberalisierungen gibt es dabei bei den nicht-tarifären Handelshemmnissen sowie im Dienstleistungssektor und beim digitalen Handel.

Regionale und sektorale Anpassungsprozesse sollten mit den bewährten vorhandenen Instrumenten abgefedert werden. Deutschland verfügt über ein gut funktionierendes Steuer- und Transfersystem – und einen regional stark umverteilenden Länderfinanzausgleich. Die Unterstützung Deutschlands für die Reform der europäischen Entsenderichtlinie ist das falsche Signal, da sie sich gegen die Dienstleistungsfreiheit des gemeinsamen Marktes wendet und offensichtlich vor allem dazu dient, osteuropäische Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Die neue Bundesregierung sollte ihr Augenmerk viel eher auf die Steigerung der allgemeinen Anpassungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Unternehmen an den Strukturwandel legen.

*Dieser Artikel stützt sich vor allem auf die intensive Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Besonderer Dank gilt Jochen Andritzky und Sebastian Breuer für die konstruktive Durchsicht des Manuskripts.

  • 1Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik: Jahresgutachten 2017/18, Wiesbaden 2017.
  • 2 Ebenda, Kapitel 3: Zunehmende Überauslastung der deutschen Wirtschaft.
  • 3 Ebenda, Kapitel 2: Internationale Konjunktur: Weltwirtschaft im Aufwind.
  • 4 Ebenda, Kapitel 9: Einkommensungleichheit: Eine tiefergehende Analyse.
  • 5 Ebenda, Kapitel 4: Geldpolitische Wende und nachhaltige Wirtschaftspolitik im Euro-Raum.
  • 6 Ebenda, Kapitel 7: Protektionismus verhindern, Strukturwandel unterstützen.
  • 7 C. Lakner, B. Milanovic: Global income distribution: From the fall of the Berlin wall to the great recession, in: World Bank Economic Review, 30. Jg. (2016), H. 2, S. 203-232.
  • 8 D. H. Autor, D. Dorn, G. H. Hanson: The China syndrome: Local labor market effects of import competition in the US, in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 6, S. 2121-2168.
  • 9 Internationaler Währungsfonds: Global Trade: What is behind the Slowdown?, IMF World Economic Outlook October 2016, Washington DC.
  • 10 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., Kapitel 6: Solide Finanzpolitik gerade in guten Zeiten.
  • 11 Ebenda, a.a.O., Kapitel 8: Arbeitsmarkt: Fachkräftesicherung im digitalen Wandel.
  • 12 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Neuordnung der Einwanderungspolitik. Ein Einwanderungsgesetzbuch für Deutschland, Positionspapier, Berlin, Oktober 2017.
  • 13 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., Kapitel 5: Finanzmärkte: Lücken in der Regulierung, steigende Risiken.
  • 14 G. Felbermayr, J. Gröschl, B. Jung: Wohlfahrtseffekte der Handelsliberalisierung, Expertise für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Arbeitspapier, Nr. 03/2017, Wiesbaden.
  • 15 W. Dauth, S. Findeisen, J. Suedekum: The rise of the East and the Far East: German labor markets and trade integration, in: Journal of the European Economic Association, 12. Jg. (2014), H. 6, S. 1643-1675.

Chancen der Digitalisierung ergreifen und Energiewende auf den richtigen Weg bringen

Die Wirtschaft in Deutschland steht gut da. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem so niedrigen Niveau wie seit den 1980er Jahren nicht mehr und die konjunkturelle Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern ist gut. Die Exporte steigen, die deutschen Unternehmen können sich überzeugend an den Weltmärkten behaupten. Diese beachtliche wirtschaftliche Lage stellt eine Momentaufnahme dar. Sie darf nicht davon ablenken, dass, um den Wohlstand zu halten und zu steigern, die ökonomischen Herausforderungen immens sind.

Die prägenden Entwicklungen sind dabei bekannt. Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden sich im Arbeitsangebot und in den Sozialversicherungen niederschlagen. Die Energiewende als deutsche Antwort auf die drohende Klimaerwärmung wird das Wirtschaftssystem umkrempeln. Und diese Strukturänderungen werden beschleunigt durch die Digitalisierung, die sich bereits massiv auf unseren Alltag auswirkt. Dies passiert vor dem Hintergrund der sich ändernden Weltordnung, mit einem stark wachsenden China, einen sich in die Nabelschau zurückziehenden USA, und einer Europäischen Union, die nach Finanz- und Wirtschaftskrise erst langsam wieder an Fahrt gewinnt und mit dem Brexit einen neuen Rückschlag erlitten hat.

Die kommende Bundesregierung wird sich diesen Herausforderungen stellen müssen. In einigen Bereichen sind Diagnose und Handlungsoption offensichtlich, da wird es auf die politische Umsetzung ankommen. So ist bei stetig wachsendem Lebensalter zwingend, das sich dieses auch in steigender Lebensarbeitszeit niederschlagen wird. In anderen Bereichen ist bereits die Diagnose uneindeutig, und mögliche Maßnahmen sind kontrovers. Ob etwa eine europäische Einlagenversicherung oder eine europäische Arbeitslosenversicherung einen Beitrag zur Stabilisierung in Europa werden leisten können, ist unklar und in jedem Fall eine Frage der Ausgestaltung. Der Grundgedanke, dass Entscheidung und Haftung in einer Hand liegen sollten, ist aber auch hier ein guter Leitsatz.

Bei manchen Themen sind die Missstände schon heute ersichtlich und ein weiteres Aufschieben der Problembewältigung ist nicht zu rechtfertigen. So besteht bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern noch großer Aufholbedarf.1 Und die selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung in der Klimapolitik werden wohl verfehlt, während gleichzeitig die Kosten der Energiewende immer weiter steigen.2 Der zukünftige Erfolg von Deutschlands Unternehmen – insbesondere in den exportstarken Sektoren Automobilbau, Maschinenbau sowie chemische Industrie – steht und fällt mit der kosteneffizienten Umsetzung der Energiewende und der baldigen Adaption an die Digitalisierung in diesen Branchen.

Digitalisierung der Wirtschaft sowie Forschung und Entwicklung fördern

In der vergangenen Legislaturperiode wurde bereits einiges getan, um die Wirtschaft für die digitalen Themen zu sensibilisieren und sie bei deren Umsetzung zu unterstützen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) tun sich, trotz zahlreicher positiver Beispiele, häufig aber immer noch schwerer mit der digitalen Transformation als Großunternehmen. Ein wichtiges Handlungsfeld ist hier die Weiterbildung, insbesondere bei Datensicherheit und im Umgang mit digitalen Geräten in der Unternehmenspraxis.3 Auch wenn dies zunächst Aufgabe der Unternehmen ist, so kann doch die Kommunikation von Best-Practice-Beispielen und die transparente Information über Bildungs-Fördermöglichkeiten dazu beitragen, dass sich KMU mit dem Thema des digitalen Wandels beschäftigen. Außerdem bleibt die Auseinandersetzung mit digitalen Geschäftsmodellen wichtig – sowohl für Unternehmen, um die Potenziale der Digitalisierung vollständig nutzen zu können, als auch für die Politik. Hierbei gilt es, den bereits von der vorherigen Bundesregierung angestoßenen Prozess, einen an die Besonderheiten der digitalen Plattform- und Datenökonomie angepassten Ordnungsrahmen zu entwickeln, fortzuführen.4

Mit der Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Digitalisierung in Unternehmen, die das Zusammenspiel von Technik und Humankapital sinnvoll unterstützen, kann der Staat wichtige Weichen für zukünftiges Wachstums- und Innovationspotenzial setzen. Ein wichtiges Instrument ist die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE).5 FuE von Unternehmen sind wesentliche Voraussetzungen für technologischen Fortschritt und anhaltendes Produktivitätswachstum. Bisher werden in Deutschland innovative Unternehmen durch direkte Projektförderung vom Staat unterstützt. In vielen Ländern werden Firmen aber bereits bei ihren Investitionen in Innovationen vom Staat gefördert. Eine mit der Lohnsteuer verrechenbare Steuergutschrift für Unternehmen würde den Standort Deutschland stärken.6 Die Vorteile einer Steuergutschrift sind dabei leicht ersichtlich. Der sofortige Liquiditätseffekt kommt forschenden Firmen direkt zugute und würde insbesondere Unternehmen mit geringen finanziellen Mitteln helfen.

Digitalisierung in Verwaltung und Gesundheitswesen beschleunigen

Die öffentliche Hand sollte aber nicht nur andere Bereiche bei ihrer Modernisierung unterstützen, sondern auch sich selbst und ihre Gestaltungsmöglichkeiten modernisieren. So wird es eine Aufgabe der neuen Bundesregierung sein, die Digitalisierung im öffentlichen Sektor mit höherem Tempo voranzubringen. Beim E-Government liegt Deutschland laut dem diesjährigen Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft der Europäischen Kommission unverändert unterhalb des EU-Durchschnitts auf Rang 20.7 Beim elektronischen Behördenkontakt oder bei der Nutzung von elektronischen Formularen hängt Deutschland weit hinterher. Die Bundesregierung sollte mit gutem Beispiel vorangehen, ihre Verwaltungsabläufe zu digitalisieren und damit zeigen, dass sie das Thema der digitalen Transformation wirklich ernst nimmt. Hier ist ein Kulturwandel in den Behörden nötig. Zudem sollte soweit möglich und nötig eine Anschlussfähigkeit an die Behörden auf Landes- und Kommunalebene berücksichtigt werden, damit die Umsetzung digitaler Lösungen nicht an Verwaltungsgrenzen scheitert. Ein wichtiger Schritt zum E-Government ist eine umfassende Modernisierung der Registerlandschaft.8

Auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen, das durch den Staat auf vielfältige Art geprägt wird, ist stark ausbaufähig. Einer ZEW-Studie zufolge ist das Gesundheitswesen der einzige Sektor in Deutschland, der im Jahr 2017 noch das Attribut „niedrig digitalisiert“ erhält.9 Das ist unbefriedigend. Denn die Digitalisierung von Praxen, Krankenhäusern und Versicherungen könnte Herausforderungen wie Kostendruck, Fachkräftemangel und demografischen Wandel mildern. Andere Länder sind bei der Implementierung schon viel weiter. Bei diesem Strukturwandel kommt insbesondere den Krankenkassen eine wichtige Rolle zu. Sie sollten im Wettbewerb untereinander die Digitalisierung als Chance ergreifen, bessere Leistungen anzubieten, um für die Versicherten attraktiver zu werden. Doch dem ist nicht so. Gerade hier weist der Wettbewerb große Defizite auf, wie mehrere Gutachten aufzeigen.10 So verhindert asymmetrische Regulierung bei den gesetzlichen Krankenkassen, die entweder unter Landes- oder unter Bundesaufsicht stehen, ein Level Playing Field. Falsche Anreize motivieren zu Risikoselektion und Manipulation der Diagnosen statt einem Wettbewerbsverhalten im Interesse der Versicherten. Und bei den privaten Krankenversicherungen ist Bestandskundenwechsel noch immer nicht möglich, was zusätzlich den Markteintritt erschwert. Der Gesetzgeber hat hier in der nächsten Legislaturperiode einiges zu tun.

Arbeitsmarkt bei der Digitalisierung unterstützen

Eine zentrale Aufgabe wird es sein, den Arbeitsmarkt für die Herausforderungen der Digitalisierung fit zu machen. Gemäß aktuellen Studien führt die Digitalisierung im Arbeitsmarkt weniger zu einem Gesamtbeschäftigungsrückgang, sondern vielmehr zu einem strukturellen Wandel sowie sich verändernden Anforderungen.11 Zur Unterstützung der notwendigen Anpassungsprozesse auf der Arbeitsangebotsseite ist es daher notwendig, Bildungsinhalte zu modernisieren, die Bildungsqualität zu erhöhen und die Weiterbildung, auch die außerbetriebliche, zu fördern. Dabei gilt es vor allem, die Gruppen in den Fokus zu nehmen, die aufgrund geringer Qualifikationen besonders gefährdet sind, im digitalen Wandel den Anschluss zu verlieren.

Energiewende effizienter gestalten durch CO2-Preise und Sektorenkopplung

Deutschland wird seine klimapolitischen Ziele für 2020 voraussichtlich nicht erreichen. Die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik, die bisher immer eine Vorreiterrolle bei internationalen Klimaverhandlungen eingenommen hat, ist bedroht. Dieses Scheitern ist dabei nicht eine Konsequenz des zu geringen Mitteleinsatzes – die Belastung durch die Energiewende ist bereits sehr hoch.

Zahlreiche Probleme und Fehlsteuerungen im bestehenden System stehen einer effizienten Energiewende entgegen. So spiegeln die Preise für Strom nicht die tatsächlichen Knappheiten wider und verfehlen somit ihre Lenkungswirkung. Während zum Beispiel Haushalte rund 30 Cent pro Kilowattstunde zahlen, bekommen die Erzeuger nur ein Zehntel davon. Schwankende Einspeisung und schwankender Verbrauch bringen die Netze an die Grenze der Belastbarkeit, aber die Kunden – auch leistungsgemessene Kunden aus Gewerbe und Industrie – spüren weder die Knappheiten noch den Überschuss im Netz, da weder zeitlich noch räumlich hinreichend Preisdifferenzierung vorherrscht. Der hohe Anteil an fixen Umlagen für Netze und erneuerbare Energien überdeckt die Preisausschläge, die im kurzfristigen Stromhandel Angebot und Nachfrage koordinieren.

Die Digitalisierung und die Elektromobilität könnten die Nachfrage nach Strom eigentlich stützen. Aber Speicher, Netze oder flexibler Verbrauch stehen bisher nicht ausreichend zur Verfügung, nicht zuletzt weil fehlende Preissignale keine Anreize schaffen. Im Ergebnis verfehlt ein weiterer Zubau an erneuerbaren Energien den ökologischen Nutzen, den er in einem flexiblen System leisten könnte.

Die neue Bundesregierung sollte daher eine grundlegende Überprüfung bestehender Ziele und Maßnahmen vornehmen und den Ausbau der Energiewende fokussieren. Die Maßnahmen müssen sich vor allem am ökologischen Nutzen messen, nämlich der Treibhausgasminderung. Dabei ist die Interaktion nationaler und europäischer Energie- und Klimapolitik zu berücksichtigen. Europäische Regulierungsinstrumente wie der Emissionshandel müssen wieder stärker als zuletzt Teil deutscher Energie- und Klimapolitik werden.

Eine wesentliche Herausforderung wird die Sektorenkopplung werden. Die Treibhausgasemissionen im Bereich Transport und Verkehr verzeichnen nach wie vor einen Anstieg. Mit der nationalen Plattform Elektromobilität wurden alle relevanten Marktteilnehmer zusammengezogen, um insbesondere Elektrofahrzeuge erfolgreich in Deutschland durchzusetzen. Die Fördermaßnahmen laufen, die Mittel zum Ausbau der Ladesäulen und zum Kauf der Elektrofahrzeuge werden im verstärkten Maße beantragt. Die Konkurrenzfähigkeit der Elektromobilität im Vergleich zu konventionellen Antrieben hängt aber in nicht unwesentlichem Maße an der preislichen Konkurrenzfähigkeit des Stroms. Um ein Level Playing Field zwischen den verschiedenen Antrieben zu schaffen, ist die Einbindung des Sektors Verkehr in den europäischen Emissionshandel eine sinnvolle Maßnahme.12

Technologieoffene Ausschreibungen vermehrt nutzen

Neben der angemessenen Bepreisung der Externalität – CO2-Preise durch den europäischen Emissionshandel (EU ETS), gegebenenfalls gestützt durch Mindestpreise – sollte mehr Technologieoffenheit und mehr verursachergerechte Belastungen die Energiepolitik bestimmen. Ein Schritt dahin wäre, die Förderung erneuerbarer Energien vermehrt über technologieneutrale Ausschreibungen durchzuführen. Der Umwelt und dem Nutzer von Strom aus regenerativen Anlagen ist es gleich, ob dieser aus Windenergieanlagen an Land, Windenergieanlagen auf See, Solaranlagen oder Biomasseanlagen erzeugt wird.

Bei hohen Ausbaukosten für das Stromnetz, und einer zunehmend skeptischen Einstellung der Menschen gegenüber einem weiteren Ausbau des Stromnetzes, spielt es aber eine Rolle, wo Anlagen für erneuerbare Energien errichtet werden. Um die richtigen Anreize für den regionalen Zubau zu setzen, ist es sinnvoll, wenn Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien ein Netzentgelt entrichten. Dieses Netzentgelt wird dort höher, wo durch den Zubau der erneuerbaren Anlagen die Notwendigkeit eines Netzausbaus induziert wird. Anlagen werden deshalb eher dort errichtet werden, wo auch der Strombedarf ist. Simulationen zeigen hohe Wohlfahrtsgewinne durch diese Maßnahme.13

Fazit

Deutschland geht es wirtschaftlich gut. Viele Faktoren, die diese gute Lage mit verursachen, werden aber nicht von Dauer sein. Der durch die schwache Wirtschaftslage in Teilen Europas niedrig gehaltene Eurokurs, die niedrigen Zinsen als Folge der expansiven Geldpolitik der EZB, und auch die gute demografische Situation, bei der die Babyboomer noch im Arbeitsleben stehen, sind temporärer Natur. Neue Herausforderungen stehen an. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2050 sowie der Weg hin zu einer digitalen Ökonomie werden gewaltige Umwälzungen mit sich bringen. Umso wichtiger ist es, in der neuen Legislaturperiode diese temporär günstigen Umstände zu nutzen, um die richtigen Weichen zu stellen.

  • 1 Vgl. Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Acatech, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Fraunhofer ISI, ZEW: Innovationsindikator 2017; http://www.innovationsindikator.de/2017/home/#!/home (8.11.2017)..
  • 2 Vgl. z.B. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Fünfter Monitoring-Bericht zur Energiewende. „Die Energie der Zukunft“, Berlin 2015.
  • 3 TNS Infratest, ZEW: Monitoring-Report Wirtschaft Digital 2016, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Berlin 2016.
  • 4 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Weissbuch Digitale Plattformen. Digitale Ordnungspolitik für Wachstum, Innovation, Wettbewerb und Teilhabe, Berlin 2017.
  • 5 Vgl. z.B. ZEW in Kooperation mit der Universität Mannheim: Steuerliche FuE-Förderung, Studie im Auftrag der Expertenkommission Forschung und Innovation, Mannheim, Februar 2017.
  • 6 Ebenda.
  • 7 Europäische Kommission: Europe’s Digital Progress Report 2017, 2017 Country Profile Germany, https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/scoreboard/germany (8.11.2017).
  • 8 McKinsey: Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren, im Auftrag des Nationalen Normenkontrollrats, Berlin, Oktober 2017.
  • 9 TNS Infratest, ZEW: Monitoring-Report Kompakt Wirtschaft Digital 2017, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Berlin 2017.
  • 10 Vgl. Monopolkommission: Stand und Perspektiven des Wettbewerbs im deutschen Krankenversicherungssystem, Sondergutachten 75, 2017; Wissenschaftlicher Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesversicherungsamt: Sondergutachten zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Bonn 2017.
  • 11 Vgl. z.B. ZEW: Herausforderungen der Digitalisierung für die Zukunft der Arbeitswelt, ZEW policy brief, Nr. 16-08, Mannheim 2016.
  • 12 Vgl. Monopolkommission: Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, Sondergutachten 77, 2017.
  • 13 Vgl. Monopolkommission: Energie 2017, a.a.O.; V. Grimm et al.: Regionalkomponenten bei der EE-Vergütung, Gutachten im Auftrag der Monopolkommission, Juni 2017.

Nach der Bundestagswahl: Herausforderungen der Globalisierung für die kommende Bundesregierung

Auf den ersten Blick scheint die Wirtschaft in Deutschland in ausgezeichneter Verfassung zu sein. Der zweite Blick enthüllt Haarrisse, die sich zu weiten drohen und Stabilität und Dynamik der deutschen Volkswirtschaft ernsthaft gefährden. Die Herausforderungen für die kommende Bundesregierung sind also wirtschaftspolitisch weitaus größer als sie zunächst erscheinen. Die Rede ist von dem sich ausbreitenden Denken in nationalistisch-völkischen Kategorien. Dies hat eine wirtschaftspolitische Dimension, die sich je nach Land als „America first“, Brexit oder dem Austritt aus der EU oder mindestens dem Euroraum zeigen kann. All diese politischen Strömungen zeigen eine ablehnende Haltung gegenüber der Globalisierung so wie sie bisher war. Diese wird als ein Elitenprojekt beschrieben, das der breiten Masse des Volkes schadet. Eine solche Einstellung würde, wenn mit den entsprechenden Machtmitteln ausgestattet, zu einer Abkehr von der bisher allgemein vertretenen weitgehenden Offenheit der wirtschaftlichen Beziehungen führen und damit die Wirtschaftspolitik in Deutschland zu einem radikalen Kurswechsel zwingen. Abgrenzung und Abschottung träten an die Stelle eines offenen Wirtschaftsraums – mit weitreichenden Folgen für die außenwirtschaftlichen Beziehungen.

Die Bundestagswahl hat der AfD, die in eine solche nationalistisch-völkische Strömung einzuordnen ist, keine solche Macht verschafft. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie eine künftige Bundesregierung mit diesen durch das Wahlergebnis dennoch ermutigten Haltungen, die zudem in abgemilderter Form auf andere Parteien übergreifen, wirtschaftspolitisch umgeht. Dies ist schon deshalb dringend erforderlich, weil ein weiterer Zuwachs an Stimmen für diese Politik bekämpft werden muss und weil sich in anderen Ländern, die bedeutsame Handelspartner Deutschlands sind, die Macht bereits durchaus in diese Richtung verschoben hat. Als Beispiele können in dieser Hinsicht nicht nur die USA, sondern auch Ungarn, Polen und zuletzt Österreich und Tschechien dienen.

Im Zusammenhang mit diesen gravierenden politischen Rahmenbedingungen, aber auch als eigenständige wirtschaftspolitische Aufgaben, sind trotz der derzeit insgesamt guten Wirtschaftslage damit erhebliche Herausforderungen zu bewältigen. Es gilt, den ökologischen Umbau forciert fortzuführen, den Investitionsmangel zu überwinden, das Vertrauen in das System der sozialen Sicherung – speziell die Altersvorsorge – zu steigern und nicht zuletzt die Ungleichheit an Einkommen und Vermögen zu vermindern. Dies alles wird aber nur tragfähig sein, wenn man die Vorhaben in einem transnationalen Kontext angeht. Es geht folglich um eine wirtschaftspolitische Neugestaltung der Globalisierung, die deren Akzeptanz wiederherstellt.

Die Schattenseiten der Globalisierung

Globalisierung wird heute vielfach als Bedrohung empfunden. Das in der ökonomischen Theorie seit Ricardo tief verankerte Argument, dass Freihandel dem allseitigen Nutzen dient, wird zunehmend in Zweifel gezogen. Viele Menschen erkennen für sich keine Vorteile des Freihandels mehr, sondern erfahren diesen als Druck auf Löhne und als verminderte Arbeitsplatzsicherheit.1 In der Tat ist in der ökonomischen Theorie seit langem bekannt, dass die Vorteile des Freihandels nicht voraussetzungslos sind. Schon seit dem Stolper-Samuelson-Theorem2 ist bekannt, dass nicht alle Produktionsfaktoren in gleicher Weise vom Handel profitieren. Abgeleitet lässt sich behaupten, dass jene profitieren, die in exportstarken Wirtschaftszweigen arbeiten. Das heißt aber, dass umgekehrt jene zurückfallen, die in Wirtschaftsbereichen arbeiten, in denen viele Güter importiert werden.

Stiglitz und Newberry3 zeigen sogar, dass Handel im Vergleich zur Autarkie Verlierer erzeugt (sub-pareto-optimal ist), wenn es bei der Produktion bestimmter Güter hohe Risiken gibt. Die Risiken, die sich durch den Handel verstärken, veranlassen Produzenten, sich stärker auf die Produktion weniger riskanter Güter zu höheren Preisen zu fokussieren. Dies wiederum geht zu Lasten der Konsumenten, die damit durch Handel verlieren. Auch Paul Samuelson, der in seinen älteren Veröffentlichungen die Vorteile des Freihandels betont, zeigte in einer späten Publikation4 ein Beispiel auf, bei dem sich keine Vorteile des Handels gegenüber der Autarkie zeigen lassen. Dies ist der Fall, wenn einer der Handelspartner technologisch so stark aufholt, dass der andere seine komparativen Vorteile nicht mehr zur Geltung bringen kann. Hier hatte er wohl das Verhältnis von China zu den USA vor Augen.

Diese schon lange bekannten Überlegungen zeigen, die Vorteile des Freihandels ergeben sich für den einzelnen nicht von alleine. Handelspolitik auf das Aufheben von Handelsschranken zu beschränken, wäre unter diesen Umständen naiv bis fahrlässig. Es ist offenkundig, dass Freihandel zu Verteilungsproblemen führen kann, einer Begrenzung von Risiken bedarf und eine Volkswirtschaft einem intensiven technologischen Wettbewerb aussetzt, der – sollen sich Einkommen dynamisch entwickeln – erfolgreich bestanden werden will. Diese Überlegungen gelten erst recht, wenn man sich die jüngsten Debatten um Freihandelsabkommen vor Augen führt. Denn diese Abkommen erweitern den Freihandelsbegriff um die Abwesenheit unterschiedlicher, politisch motivierter Regulierungsmaßnahmen. Jeder Unterschied in den Regulierungen wird somit im Grundsatz als ein Hindernis für Handel interpretiert, das zu rechtfertigen ist. Zu den oben genannten Voraussetzungen kommt auf diese Weise noch ein Regulierungswettbewerb, der insbesondere Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte unter Druck setzen kann. Dies alles gilt ganz allgemein, aber es gilt insbesondere für den Handel im europäischen Binnenmarkt und noch stärker im Euroraum, der im Handel weitgehend dereguliert ist. Daher treten hier sowohl die Vorteile des Handels, aber auch die damit verbundenen Friktionen besonders markant hervor. Es ist daher kein Zufall, wenn die rechtspopulistischen Parteien in Europa die Gegnerschaft zum Euro oder gar zur gesamten EU als gemeinsames Merkmal aufweisen.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ergibt sich als zentrale wirtschaftspolitische Aufgabe der künftigen Bundesregierung, die Auswirkungen der Globalisierung und der verstärkten transnationalen Integration neu zu gestalten. Deren Vorteile müssen für die breite Masse der Bevölkerung spürbar werden. Ansonsten droht die Akzeptanz für den Euro oder die EU zu schwinden, und Deutschland erfährt einen Brexit-artigen Rückfall in wirtschaftlichen Nationalismus, der sich nur verheerend auswirken kann. Um dies zu vermeiden, ist aber ein Umsteuern nicht nur in der Handelspolitik selbst erforderlich, sondern auch in der Arbeitsmarktpolitik sowie der Fiskal- und Steuerpolitik.

Deutschlands Rolle in der Weltwirtschaft neu begründen

Eine wichtige Aufgabe ist es, den Integrationsprozess in der EU vom Regulierungswettbewerb zu lösen. Bislang war Integration durch die höchste Priorität für Handelsintegration gekennzeichnet. Tatsächlich treten damit aber nicht nur die Unternehmen mit ihren Produkten und Beschäftigten unmittelbar zueinander in Konkurrenz, sondern auch die politisch determinierten Regulierungssysteme der Mitgliedstaaten. Das betrifft die Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie die Steuergesetzgebung. So wurde der Arbeitsmarkt zwar immer als unabhängige nationale Angelegenheit betrachtet. Faktisch wird durch die intensivierte Handelsintegration der EU aber auch der Arbeitsmarkt europäisiert. Damit konkurrieren schließlich Löhne und Arbeitsmarktkonditionen der Mitgliedstaaten unmittelbar miteinander und setzen die Beschäftigten unter Druck. Ausgründungen, um niedrigere Lohnkosten oder für sie günstigere Arbeitsmarktregulierungen zu nutzen, gehören seither zum Standardrepertoire international agierender Unternehmen. Dies übt Druck auf die Beschäftigten aus und erzeugt Verunsicherung. Die wirtschaftliche Machtbalance hat sich so zulasten der Beschäftigten verschoben. Es ist kein Wunder, wenn dies zur abnehmenden Akzeptanz von EU und Euroraum führt, selbst wenn diese in der Summe gesamtwirtschaftliche Wohlstandsgewinne erzeugen. Schon aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, diese Art von Wettbewerb zumindest zu begrenzen. Anpassungen und Aufweichungen derartiger Regulierungen aus Gründen der wirtschaftlichen Integration, die aber von der Bevölkerung nicht wirklich gewollt werden, erzeugen das Gefühl eines politischen Kontrollverlustes, das auch zu populistischem Protestverhalten führt.5

Durch die angestrebte Reform der Entsenderichtlinie, die die Entlohnung mittelfristig an die Gegebenheiten des Arbeitslandes anpasst, dürfte ein erster Schritt in Richtung eines begrenzten Lohnwettbewerbs gemacht werden. Weitere Maßnahmen, die verhindern, dass Unternehmen Arbeitsmarktregulierungen umgehen, müssen folgen. Dazu gehört es auch, die Flucht aus Mitbestimmungsregelungen und das Umgehen von Mindestlöhnen durch Scheinselbständigkeit einzudämmen. Grundsatz muss sein, dass jedes Unternehmen, das in Deutschland produziert, unabhängig von der Rechtsform die Regulierungen beachten muss. Das gilt selbstverständlich reziprok für alle anderen Mitgliedstaaten.

Die gleiche Logik sollte im Einklang mit den Vorschlägen des französischen Präsidenten auf die Steuerpolitik angewendet werden. Hier gilt es, insbesondere eine Unternehmensteuerreform auf europäischer Ebene zu erreichen, die die Anreize für ein steuerrechtsbedingtes Ausweichen von Unternehmen vermindern. Eine gemeinsame europäische Lösung ist noch nicht erkennbar, da gerade die Gemeinsamkeit das „Geschäftsmodell“ einiger Mitgliedstaaten wie Irland, Luxemburg und den Niederlanden gefährdet, durch relative Steuervorteile Unternehmenssitze anzulocken. In diesem Kontext lässt sich von der US-amerikanischen Diskussion lernen, in der das Territorialprinzip stark propagiert wurde. Das bedeutet, die Unternehmen werden dort besteuert, wo sie ihre Umsätze erzielen und dort steuerlich entlastet, wo ihre Produktionskosten anfallen. Auf diese Weise wird der rechtliche Firmensitz weitgehend irrelevant. Das sollte steuerrechtlich motivierte Verlagerungen z.B. nach Irland uninteressant machen. Solange es noch keine Einigung über eine gemeinsame europäische Unternehmensbesteuerung gibt, wäre dies eine gangbare Zwischenlösung, die auch eine neue Bundesregierung anstreben könnte.

Binnenwirtschaftliche Verteilungsprobleme angehen

Die Veränderungen der wirtschaftlichen Balance haben aber in nicht geringem Ausmaß nationale Ursachen, die folglich auch im nationalen Kontext veränderbar sind. Eine wesentliche Ursache in Deutschland ist der schwindende Abdeckungsgrad von Tarifverträgen. Dieser ist teilweise wirtschaftspolitisch bedingt, da die Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch die erforderliche Zustimmung aller Tarifparteien unnötig erschwert wurde. Dies hat zur Erosion der tarifvertraglichen Lohnbildung beigetragen und damit die Lohnzuwächse und die mit ihnen verbundene Teilhabe am Wohlstandszuwachs geschwächt. Eine Umkehrung der Zustimmungsregelung, nach der Tarifabschlüsse nur dann nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden können, wenn alle Tarifparteien widersprechen, kann hier Abhilfe schaffen.

Wohl nirgends zeigt sich die veränderte Balance wirtschaftlicher Macht stärker als in der geweiteten Ungleichheit von Einkommen und Vermögen. Dies ist nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit oder der sozialen Sicherung ein Problem, sondern wie jüngere Untersuchungen zeigen6 ein Faktor, der wirtschaftliche Dynamik lähmen kann. Was aber wären wirksame Maßnahmen? Neben der verbesserten Verhandlungsmacht auf dem Arbeitsmarkt sind steuerliche Maßnahmen unumgänglich. Hier ist in erster Linie eine weitere Reform der Erbschaftsteuer zu nennen, bei der hohe Vermögen gleich welcher Art progressiv besteuert werden sollten. Die Reform dürfte nach einem zu erwartenden Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ohnehin unumgänglich sein. Mit einer wirksamen Erbschaftsteuer könnte der überaus hohen Vermögenskonzentration in Deutschland entgegengetreten werden.

Eine weitere Quelle der Einkommens- und Vermögenskonzentration ist Immobilienbesitz. Dieser basiert insbesondere in Ballungsgebieten auf einer Art Monopolrente, da Boden letztlich nicht beliebig vermehrbar ist. Die Besteuerung dieser Monopolrenten könnte durch eine Bodenwertsteuer geschehen, die Spekulationsgewinne teilweise abschöpfen könnte und zugleich, da sie unabhängig von der Art der Bebauung eines Grundstücks erhoben werden sollte, die effiziente Nutzung vorhandenen Raums lohnend macht. Das Aufkommen aus einer solchen Steuer wäre besonders sinnvoll angelegt, wenn es zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus genutzt würde, was sich gleichzeitig dämpfend auf die Wohnungsmieten auswirken würde.

Deutschland muss mehr investieren

All dies wäre weitgehend sinnlos, wenn die Wirtschaft in Deutschland nicht weiter produktiv wachsen und damit Beschäftigungsmöglichkeiten sichern würde. Hier stellen sich weitere wesentliche Herausforderungen für die künftige Bundesregierung. Produktives Wachstum erfordert private wie öffentliche Investitionen und somit unternehmerische wie gesellschaftliche Risikobereitschaft. An beidem mangelte es in den vergangenen Jahren. Im Ergebnis waren die privaten und insbesondere die öffentlichen Investitionen zu niedrig und die Produktivitätszuwächse flachten sich ab. Gerade letzteres begrenzt den realen Wohlstandszuwachs der kommenden Jahre. Von daher ist es dringend erforderlich, den Investitionsprozess wieder in Gang zu bringen. Der Anstoß muss dabei von den öffentlichen Investitionen ausgehen. Dieser muss nicht einmal sehr stark sein, da es primär nicht um einen Konjunkturimpuls, sondern um einen Modernisierungsimpuls geht. Ein einstelliger Milliardenbetrag pro Jahr der Legislaturperiode dürfte genügen. Finanzielle Mittel hierfür sind hinreichend vorhanden, ohne dass die Gefahr bestünde, gegen die Bestimmungen der Schuldenbremse zu verstoßen. Diese Vorhaben müssten Vorrang vor allen anderen Ausgabenwünschen und Steuersenkungsplänen haben.

Dieser fiskalische Impuls sollte vor allem der ökologischen Modernisierung einschließlich einer verbesserten Infrastruktur für die Wende bei Energieverbrauch und Mobilität dienen. Hierzu gehört der flächendeckende Aufbau einer digitalen Infrastruktur. Die Mittel für Bildung sollten gleichfalls aufgestockt werden; sie zählen aber nicht als Investitionen.

Die höheren öffentlichen Investitionen werden auch den privaten Investitionsprozess anregen. Damit könnte ein nennenswerter Impuls für eine modernisierte Wirtschaft entstehen. Der Impuls wird aber versanden, wenn zentrale Rahmenbedingungen nicht erfüllt sind. Dazu gehört zum einen, dass die mit den Modernisierungen verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen von der Bevölkerung auch akzeptiert werden. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die Unsicherheit der Veränderungen von der Sicherheit eines sozialen Netzes flankiert wird. Es gilt somit auch das Sozialsystem vor allem im Hinblick auf Zugang, Leistung und Finanzierung inklusiver zu gestalten. Das ist nichts anderes als der Weg in die Bürgerversicherung.

Die zweite Voraussetzung ist, dass die europäische Integration auf sicherere Pfeiler gestellt wird. Notwendig sind institutionelle Reformen wie die Umgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds, der so mit finanziellen Ressourcen und ökonomischer Kompetenz ausgestattet wird, dass er künftige Krisen im Währungsraum glaubhaft überwinden helfen kann. Er sollte unter der gemeinsamen Kontrolle des Europäischen Rates und des Europaparlaments stehen. Dies wäre zumindest für die laufende Legislaturperiode ein erster wichtiger Schritt, um die europäische Integration zu stabilisieren. Es wäre auch ein doppeltes Symbol. Deutschland würde zeigen, dass es weiterhin auf die europäische Integration und Offenheit setzt und dass die Globalisierung im Interesse breiter Bevölkerungsschichten gestaltet werden kann.

  • 1 T. Ferguson, B. Page: 2017: The Hinge of Fate? Economic and Social Populism in the 2016 Presidential Election. A Preliminary Exploration, paper presented at INET Conference, Edinburgh 2017; C. Dippel, R. Gold, S. Heblich, R. Pinto: Instrumental Variables and Causal Mechanisms: Unpacking The Effect of Trade on Workers and Voters, NBER Working Paper 23209, 2017.
  • 2 W. F. Stolper, P. A. Samuelson: Protection and Real Wages, in: Review of Economic Studies, 9, 1941, S. 70.
  • 3 D. Newberrry, J. Stiglitz: Pareto Inferior Trade, in: Review of Economic Studies, 51. Jg. (1984), H. 1, S. 1.
  • 4 P. Samuelson: Where Ricardo and Mill Rebut and Confirm Arguments of Mainstream Economists Supporting Globalization, in: Journal of Economic Perspectives, 18. Jg., H. 3, S. 135-146.
  • 5 R. Hilmer, B. Kohlrausch, R. Müller-Hilmer, J. Gagné: Einstellung und soziale Lebenslage. Eine Spurensuche nach Gründen für rechtspopulistische Orientierung, auch unter Gewerkschaftsmitgliedern, Working Paper der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 44, Juli 2017.
  • 6 J. Ostry, A. Berg, C. G. Tsangarides: Redistribution, Inequality, and Growth, IMF Staff Discussion Note 14/02, Washington DC 2014; OECD: In It Together: Why Less Inequality Benefits All, OECD Publishing, Paris 2015.

Was gehört auf die finanzpolitische Agenda des Bundes nach den Wahlen?

Die vergleichsweise guten Eckwerte des Bundeshaushalts erwecken den Eindruck, dass der neuen Regierung ein erheblicher finanzpolitischer Spielraum offensteht. Allerdings reflektieren sie zu einem erheblichen Teil eine hohe und wachsende Steuerbelastung. Zur Wahrung der Steuergerechtigkeit und aus Gründen der politischen Glaubwürdigkeit sind Reformen auf der Einnahmenseite erforderlich, die zu Mindereinnahmen führen und den finanziellen Spielraum des Bundes deutlich einschränken würden. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Rentenversicherung besteht weiterhin erheblicher finanzpolitischer Reformbedarf. Zudem ist der Bundeshaushalt wachsenden Begehrlichkeiten nicht nur der Bundespolitik ausgesetzt, sondern auch von Ländern und Kommunen und auf europäischer Ebene werden Ansprüche formuliert. Auf europäischer Ebene ist die neue Bundesregierung zusätzlich gefordert, der Tendenz einer zunehmenden Vergemeinschaftung der Finanzpolitik durch eine klare Positionierung zu begegnen, welche die Glaubwürdigkeit der bestehenden Regelungen und die finanzpolitische Eigenverantwortung der EU-Mitgliedstaaten stärkt.

Verführerischer Haushaltsüberschuss

Die neue Regierung kann auf einer erfolgreichen Haushaltspolitik des Bundes aufbauen. Da es in den vergangenen Jahren gelungen ist, den Haushalt auszugleichen und einen Haushaltsüberschuss zu erzielen, konnte die Schuldenstandsquote – nach dem Anstieg durch die Finanz- und Wirtschaftskrise – wieder zurückgeführt werden. Von daher könnte es ohne größere Anstrengungen gelingen, die Schuldenbremse und die europäischen Vorgaben für den Schuldenstand einzuhalten. In der politischen Diskussion werden bereits verschiedene Euro-Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe gehandelt, die in der neuen Legislaturperiode scheinbar beliebig disponiert werden können. Abgesehen davon, dass es sich hier um Steuermittel handelt, die nur dann für Mehrausgaben genutzt werden sollten, wenn tatsächlich entsprechende Bedarfe vorliegen, bestehen bei genauerer Betrachtung Anpassungs- und Reformerfordernisse, die den Spielraum der neuen Regierung deutlich begrenzen.

Die günstige Entwicklung beim Defizit des Bundes wurde neben dem politischen Willen der vergangenen Regierung zum Haushaltsausgleich durch Faktoren angetrieben, die nicht unmittelbar von der Finanzpolitik bestimmt sind. Nicht nur hat das niedrige Zinsniveau zu der mäßigen Entwicklung der Ausgaben beigetragen. Auch die Steuereinnahmen haben sich seit Jahren unerwartet positiv entwickelt. Dies reflektiert nicht nur die gute Konjunktur sondern auch eine hohe und wachsende Steuerbelastung, bei der eigentlich Anpassungen erforderlich wären, die zu erheblichen Mindereinnahmen führen würden.

Anpassungen bei Steuern und Rentenversicherung

Diese nötigen Anpassungen betreffen zum einen die Einkommensteuer. Deutschland hat mit dem Formeltarif eine vom Ansatz her sehr anspruchsvolle Regelung zur Verteilung der Steuerlast, indem es abgesehen vom „Reichenbalkon“, eine kontinuierliche Progression vorsieht. Die Tarifgestaltung basiert auf der Vorstellung, dass die Steuerlast möglichst wenig von politischer Willkür bestimmt und möglichst gerecht verteilt werden soll. Da aber der Tarif nominal fixiert ist, löst sich der Anspruch einer gerechten Besteuerung bei Wachstum und Inflation schleichend auf. Zwar wird der Grundfreibetrag regelmäßig angepasst. Die für die Belastung ebenfalls relevanten Eckwerte der Progressionszonen sind indessen nur sporadisch und seit über zehn Jahren kaum noch angepasst worden. Gerade auch vor dem Hintergrund der mit massivem Einsatz verfolgten Bestrebungen der EZB, die Inflation zu befeuern, erscheint es überfällig, den Tarif zu korrigieren und insgesamt „auf Räder zu stellen“, d.h. für die Zukunft automatische Anpassungen vorzusehen. Dies erfordert Entlastungen bei den mittleren Einkommen, die besonders starke Effekte auf die Einnahmen haben.

Ein zweiter „Problemfall“ ist der Solidaritätszuschlag, der nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II seine politische Rechtfertigung eingebüßt hat. Auch aus juristischer Sicht gibt es Zweifel an einer fortgesetzten Erhebung dieser Ergänzungsabgabe, die nach der Wiedervereinigung eingeführt wurde, um die Finanzausstattung in den neuen Ländern zu sichern und die Angleichung der Lebensverhältnisse zu fördern. Zwar sieht die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine Fortsetzung erheblicher Transfers aus dem Bundeshaushalt vor. Schätzungen der Mehrbelastung belaufen sich auf immerhin 100 Mrd. Euro im Zeitraum zwischen 2020 und 2029. Aber diese Transfers fließen in den allgemeinen Finanzausgleich und keineswegs nur in die östlichen Bundesländer. Eine Rechtfertigung für die Fortsetzung des Solidaritätszuschlags lässt sich daraus nicht ableiten.

Angesichts der sehr hohen Belastung des Bundeshaushalts durch Sozialausgaben ist es dringend erforderlich, die Sozialversicherungssysteme zu stärken. Wegen des fortschreitenden demografischen Wandels und der steigenden Lebenserwartung ist insbesondere damit zu rechnen, dass die zu erwartenden Renten für die heute Erwerbstätigen gering ausfallen. Der Bundeszuschuss wird daher weiter steigen, wenn es nicht gelingt, die Dauer der Erwerbstätigkeit behutsam – aber konsequent – zu steigern. Die Regierungskoalition der vergangenen Legislaturperiode hat diesen realen Datenkranz bewusst ignoriert und so die Dringlichkeit der erforderlichen Anpassungen erhöht. Geeignete Vorschläge existieren. So fordert der Sachverständigenrat für Wirtschaft seit Jahren eine automatische Anpassung der Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung.

Erosion der politischen Verantwortlichkeiten

Allerdings ist in den vergangenen Jahren der politische Druck auf den Bundeshaushalt gewachsen, und die Forderung nach Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik gerät immer mehr in den Hintergrund. Im politischen Diskurs hat es sich inzwischen zu einem Allgemeinplatz entwickelt, die immer wieder zu Tage tretenden Mängel in der Bereitstellung öffentlicher Leistungen den vermeintlich zu geringen Investitionsausgaben der öffentlichen Hand und einer mangelnden Finanzausstattung zuzuschreiben. Wie wirksam diese Argumentationslinie ist, um gegen alle Bedenken öffentliche Mittel des Bundes zu mobilisieren, zeigt sich im föderalen Kontext. Auch wenn die Verantwortung für einen Großteil der öffentlichen Investitionen bei Ländern und Kommunen und damit außerhalb des Zugriffs der Bundesregierung liegt, hat man sich in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht gescheut, sogar das Grundgesetz zu ändern, um unter dem Deckmantel einer Steigerung von Investitionen Finanzmittel des Bundes an die Länder und Kommunen ausschütten zu können. Ähnlich verläuft die Diskussion auch in anderen Feldern wie der Bildung.

Inzwischen sind die finanziellen Zugeständnisse des Bundes an die Länder und Kommunen auch für Experten wie den Bundesrechnungshof kaum noch zu überblicken. Dass es durch die zahlreichen Programme tatsächlich zu einer Verbesserung der Leistungen beispielsweise in der Bildung kommt, ist mehr als zweifelhaft, weil sich an den Zuständigkeiten nichts ändert. Die Folge ist aber eine Erosion der politischen Verantwortlichkeiten in der Bundesrepublik. Dies erscheint besonders problematisch, weil viele aktuelle Herausforderungen der Politik konsequentes Handeln von Ländern und Kommunen erfordern. Dies gilt für die Integration von Migranten ebenso wie für die wachsende Anspannung auf dem Wohnungsmarkt. Je drängender diese Probleme werden, desto stärker werden die Forderungen, Bundesmittel bereitzustellen. Wird diesen Forderungen gefolgt, steigen aber die Möglichkeiten der Länder und Kommunen von ihrer Verantwortung abzulenken.

Vergemeinschaftung europäischer Finanzpolitik

Massiven Begehrlichkeiten sind die Finanzen des Bundes auch im europäischen Kontext ausgesetzt. Dies ist nicht neu. Allerdings verschieben sich die Gewichte in der EU mit dem Brexit. Deutschland ist hier in einer zunehmend schwierigen Situation. Ihm ist einerseits an einer vernünftigen Einigung mit Großbritannien besonders gelegen, nicht zuletzt weil Großbritannien ein wichtiger Handelspartner ist. Die erheblichen finanziellen Forderungen der EU gegenüber Großbritannien, die erfüllt werden müssen, sollen beschlossene Programme weitergeführt werden, belasten andererseits die Verhandlungen. Und so wächst der Druck auf Deutschland, einen größeren Anteil am EU-Haushalt zu tragen.

Im Hinblick auf die Währungsunion werden Forderungen nach Transfers aus Deutschland zunehmend als föderale Instrumente maskiert. Europa ist zwar kein Föderalstaat, und es besteht zumindest außerhalb Deutschlands auch keine Bereitschaft zu dem mit einer echten Föderalisierung verbundenen Souveränitätsverzicht. Dennoch werden unbekümmert Eurobonds, eine europäische Finanzfazilität, eine europäische Einlagensicherung, eine europäische Arbeitslosenversicherung und dergleichen mehr gefordert. Deutschen Vorbehalten begegnet man bestenfalls durch die Erfindung komplizierter Regelungen und Institutionen, die aber unter politischem Druck mit Verweis auf eine vermeintliche Alternativlosigkeit bedenkenlos beiseite geräumt werden. Und obwohl Deutschland durch die EZB-Politik schon jetzt erheblichen finanzpolitischen Risiken ausgesetzt ist, wird die Weigerung Deutschlands, sich an einer weiteren Vergemeinschaftung der Finanzpolitik zu beteiligen, zunehmend als anti-europäische Position ausgelegt. Angesichts der Komplexität der europäischen Finanzpolitik tendiert die Diskussion in Deutschland dazu, sich diese oberflächliche Kritik zu eigen zu machen. Hier muss die neue Bundesregierung mit einer klaren Positionierung gegenhalten und die bei der Schaffung der Währungsunion vereinbarte Eigenverantwortung der EU-Mitgliedstaaten für ihre Finanzpolitik wieder ins Zentrum der Diskussion rücken.

Kurs 2030: Wirtschafts- und Finanzpolitik zukunftssicher machen

Deutschland befindet sich wirtschaftspolitisch in einer ausgezeichneten Verfassung – mit einem hohen Beschäftigungsniveau und in dieser Höhe nie dagewesenen Steuereinnahmen. Die Politik sollte sich daher in der nächsten Legislaturperiode nicht nur darauf konzentrieren, den Status quo kurzfristig abzusichern. Vielmehr geht es darum, den Kompass auf das Jahr 2030 und darüber hinaus auszurichten und die Langfristaufgaben einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik anzugehen.

Die Herausforderungen für eine langfristig orientierte Wirtschaftspolitik sind dabei erheblich:

  • Die Digitalisierung droht deutschen Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie durch neue disruptive Geschäftsmodelle ihre Erfolgsgrundlage zu entziehen. Sie gefährdet durch die neuen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und Expertensystemen gleichzeitig die Beschäftigungsbasis der fachlich qualifizierten Mittelschichten unserer Gesellschaft. Zudem schafft sie neue Herausforderungen in Hinblick auf Kapitalkonzentration sowie Besteuerung der Wertschöpfung. Eine digitalisierungsfeste Wirtschaftspolitik kann sich daher nicht nur auf den Ausbau von Breitband-Infrastruktur beschränken. Sie muss Antworten auf die Transformation von industriellen Schlüsselsektoren, neue Grundlagen der Besteuerung sowie effektive Instrumente zur Wettbewerbssicherung in der digitalen Ökonomie entwickeln.
  • Eine demografiefeste und gerechte Alterssicherung wird mit dem jetzigen Rentensystem und der alleinigen Hoffnung auf konstantes Wirtschaftswachstum nicht zu erreichen sein. Es braucht alternative Modelle für eine ökonomische (Grund-)Sicherung, die allen Teilen der Gesellschaft zugänglich sind, und gesellschaftlich gemeinsam getragene Vorstellungen von einem würdevollen Altern.
  • Fragen der gerechten Gestaltung von Gesellschaft stellen sich aber nicht nur auf nationaler Ebene. Viel bedenklicher ist die Gefahr einer wachsenden europäischen und globalen Schere zwischen Arm und Reich. Die damit einhergehenden Abschottungs- und Ausgrenzungstendenzen sind der Motor für Nationalismus und Populismus und gefährden moderne Demokratien in ihrem Kern. Die ökonomische Organisation europäischer und globaler Solidarität wird daher eine der Kernherausforderungen langfristiger Wirtschaftspolitik. Eine Wirtschaftspolitik, die sich allein auf die nationale Stabilisierung der exportbasierten deutschen Volkswirtschaft konzentriert, wird der europäischen und globalen Verantwortung Deutschlands nicht gerecht. Es gilt daher Ernst zu machen mit finanz- und wirtschaftspolitischen Instrumenten, die Grundlage für europäischen und globalen Ausgleich sind. Besondere Aufmerksamkeit muss dabei dem Klimawandel und seinen globalen gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen geschenkt werden.
  • Für die Beherrschung des globalen Klimawandels sind die nächsten 15 Jahre von entscheidender Bedeutung. Die Umsetzung einer konsequenten Klimapolitik im wirtschafts- und industriepolitischen Vorreiterland Deutschland wird mitentscheiden, ob der klimagerechte Umbau der Weltwirtschaft auch global die nötige Dynamik behält.

Durch die hervorragende wirtschaftliche Situation in Deutschland eröffnet sich für die nächste Legislaturperiode die Chance, diese Langfristaufgaben beherzt anzugehen. Alle diese Herausforderungen werden sich dabei nur bewältigen lassen, wenn drei grundlegende Themenkomplexe adressiert werden:

  1. Die Etablierung eines erweiterten Wohlstandsmaßes, das wirtschaftlichen Fortschritt nicht allein auf materielles Wachstum reduziert,
  2. ein Umbau der staatlichen Finanzierung, der auf neue und zukunftsfeste Finanzierungsquellen setzt,
  3. eine Weiterentwicklung der Transfersysteme auf nationaler und internationaler Ebene, die den Dynamiken von Digitalisierung und drohender gesellschaftlicher Spaltung gerecht wird.

Um diese grundlegenden Reformen vorzubereiten, bedarf es konzeptioneller, diskursiver und experimenteller Erprobungsräume, die in der nächsten Legislaturperiode engagiert aufgebaut werden sollten.

Alternatives Wohlstandsmaß etablieren

Schon in den Jahren 2011 bis 2013 diskutierte eine Enquete-Kommission des deutschen Bundestages zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Sie suchte nach langfristigen wirtschaftspolitischen Perspektiven für eine Welt innerhalb planetarischer Grenzen und entlang eines erweiterten Fortschrittsverständnisses. Die Enquete-Kommission ist letztlich am politischen Lagerstreit gescheitert, obwohl es in allen Parteien damals schon aufgeklärte Stimmen gab, die sich um entsprechende Langfristperspektiven bemühten. Die Neuorganisation des parteipolitischen Kompasses in den Zeiten einer möglichen Jamaika-Koalition sowie die sich heute sehr viel stärker abzeichnenden disruptiven Effekte einer zunehmenden Digitalisierung legen es nahe, die damalige Debatte wieder aufzugreifen.

Die Tatsache, dass sich ein Großteil des Wohlstandseffektes der Digitalisierung (ubiquitärer und oft kostenloser Informations- und Unterhaltungszugang, intensivere persönliche Vernetzung) kaum im Bruttosozialprodukt abbildet,1 nährt auch von dieser Seite Zweifel am Leitindikator Bruttosozialprodukt für die Messung der Lebensqualität einer Volkswirtschaft. Es wird deutlich, dass das Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt in entwickelten Wohlstandsgesellschaften ein immer unzureichenderer Prädiktor für die Lebensqualität in der Gesellschaft insgesamt ist.

Dennoch verharrt Wirtschaftspolitik heute in einer eindimensionalen Fixierung auf diesen Leitindikator. Für eine aufgeklärte wirtschaftspolitische Debatte wäre es von zentraler Bedeutung, ein alternatives Wohlstandsmaß zum verbindlichen Orientierungspunkt politischer Entscheidungen zu machen. Diese Chance wurde im Nachgang der damaligen Enquete-Kommission verpasst. Dabei liegen von der OECD mit ihrem Better Life Index und dort regelmäßig gemessenen elf Wohlstandsdimensionen2 oder dem Nationalen Wohlstandsindex3 längst alternative Indikatoren vor, deren sehr gute Messbarkeit und Operationalisierung auf nationaler, regionaler, aber auch lokaler Ebene nachgewiesen sind. Ein solches Maß würde auch eine neue Grundlage für die Debatte über einen gerechten und in planetarischen Grenzen verallgemeinerbaren globalen Wohlstand ermöglichen. Deutschland kann und sollte hier eine Vorreiterrolle spielen. Die verbindliche Ausrichtung auf einen solch veränderten Kompass wäre ein wichtiger Ausgangspunkt, um über die Ziele von Wohlstandspolitik in einer sich durch Digitalisierung, demografischen und ökologischen Wandel radikal verändernden Welt in neuer Differenziertheit zu diskutieren.

Staatsfinanzierung umbauen

Ein zweiter zentraler Baustein langfristig orientierter Wirtschaftspolitik muss eine veränderte Basis für die staatliche Finanzierung sein. Solange die Besteuerung des Faktors Arbeit ein zentraler Baustein der Steuerbasis bleibt, setzt dies falsche Anreize für den notwendigen ökonomischen und ökologischen Strukturwandel.

Ein Steuersystem muss sich in folgende Richtungen entwickeln:

  • Es muss konsequente ökologische Steuerungssignale senden.
  • Es muss eine angemessene Antwort auf zunehmend (internationale) digitale Wertschöpfung geben.
  • Es muss verstärkte Anreize für reale statt finanzwirtschaftlicher Wertschöpfung schaffen.

Das Projekt einer ambitionierten CO2-Bepreisung, die auf kontinuierlich steigende CO2-Preise setzt, gehört auf die politische Agenda in der nächsten Legislaturperiode. Sie muss begleitet werden von einem konsequenten Abbau aller ökologisch bedenklichen Subventionen. Nur so verbinden sich richtungssichere ökologische Steuerungs- und Innovationsanreize mit einer zukunftsfähigen Besteuerungsbasis. Längst wird auch auf internationaler Ebene über eine noch stärkere Staatsfinanzierung über CO2- und Ressourcen-Steuern diskutiert. Treiber sind dabei zunehmend Finanzminister, die auf eine verlässliche und vor Steuerflucht sichere Besteuerungsbasis setzen.4

Gleichzeitig gilt es, Besteuerungsgrundlagen zu definieren, die der Dynamik einer zunehmend digitalen Wertschöpfung gerecht werden: Nur wenn für die national erbrachten Formen der Wertschöpfung von Unternehmen wie Facebook, Google oder Amazon verlässliche Besteuerungsgrundlagen definiert werden, kann der schleichende Verlust staatlicher Handlungsfähigkeit in einer globalisierten digitalen Ökonomie verhindert werden. Gleiches gilt für die Wertschöpfung automatisierter Produktion. Wenn Arbeitseinkommen als Besteuerungsgrundlage an Relevanz verliert, müssen geeignete Formen der Kapitalbesteuerung an seine Stelle treten.

Schließlich bedürfen auch Finanz- und Immobilientransaktionssteuer weiter der Aufmerksamkeit. In Zeiten des Liquiditäts- und Kapitalüberhangs bei mangelnden realwirtschaftlichen Investitionsalternativen bleibt die Gefahr von Spekulationsblasen äußerst hoch. Ihnen die Dynamik zu nehmen und gleichzeitig einen weiteren Baustein für künftige Staatsfinanzierung zu schaffen, scheint sinnvoll.

Transferleistungen national und international auf neue Basis stellen

Die bestehenden, auf Erwerbsarbeitsleistung basierenden Sozialsysteme der Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung kommen heute national an ihre Grenze. In anderen europäischen Ländern treten die Herausforderungen zum Teil noch verschärfter auf. Der soziale Sprengstoff wird sich durch den demografischen Wandel und den durch die Digitalisierung ausgelösten Strukturwandel weiter vergrößern. Es bietet sich daher an, über neue Strukturen der sozialen Sicherung in den modernen Wissensgesellschaften nachzudenken, in denen ein Großteil industrieller und digitaler Wertschöpfung automatisiert passiert, während gleichzeitig für die öffentlich finanzierten personennahen Dienstleistungen, z.B. im Bereich der Kinderbetreuung, der Bildung, der Pflege kaum ausreichend Mittel zur Verfügung stehen. Neue Formen der Finanzierung dieser Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber auch der finanziellen, leistungsunabhängigen Grundsicherung werden eine bedeutendere Rolle spielen müssen. Der Umbau der Staatsfinanzierung und die Sicherstellung dieser Leistungen sind dabei eng miteinander verknüpft.

Neue Formen des Transfers sind aber nicht nur im nationalen Bereich nötig. Es wird künftig darum gehen, Antworten auf die Herausforderungen gesamteuropäischer Sozial- und Transferpolitik zu geben. Auf globaler Ebene stellt sich die Aufgabe insbesondere im Umgang mit den globalen Folgen des Klimawandels, der von den reichen Industriestaaten verursacht wurde, deren Folgen aber insbesondere viele Länder des globalen Südens zu ertragen haben. Mit dem im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen im Jahr 2009 auf den Weg gebrachten Internationalen Klimafonds wurde hier ein erstes Instrument geschaffen. Dies sind alles Gründe, warum der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ 2016 einen transformativen Staatsfonds vorgeschlagen hat.5 Gespeist aus einer Nachlasssteuer sowie Erträgen aus CO2-Steuern und Emissionshandel soll er Beiträge zur globalen Klimafinanzierung leisten, aber auch zur nationalen sozial- und strukturpolitischen Flankierung umfassender Transformationsprozesse Finanzierungsbeiträge liefern.

Zukunftslabore schaffen

Die hier vorgeschlagene Agenda ist ein Umbauprogramm, das tief in die heutige Struktur der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingreift. Doch ist die Arbeit an solchen grundlegenden Reformen nicht vermeidbar. Darum ist es wichtig, dass in der kommenden Legislaturperiode erste (richtungssichere) Reformen auf den Weg gebracht werden: Hierzu gehören die Weiterentwicklung einer robusten CO2-Bepreisung und der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen.

Daneben gilt es, die konzeptionellen, diskursiven und politischen Grundlagen dafür zu schaffen, in kommenden Legislaturperioden sehr viel weitergehende Reformen auf den Weg zu bringen. Ansatzpunkte hierfür wären:

  • Die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Wirtschafts- und Finanzpolitik der Zukunft“. Eine solche Enquete-Kommission könnte für das oben skizzierte Umbauprogramm die konzeptionellen Grundlagen und konkrete Politikvorschläge erarbeiten.
  • Der Aufbau heterodoxer ökonomischer Think-Tank-Kapazität zur Erarbeitung alternativer Konzepte. Die hier vorgeschlagenen Themen werden im konventionellen Wissenschaftssystem bisher nur unzureichend bearbeitet. Gerade das Nachdenken über alternative Wirtschafts- und Finanzpolitik braucht eine ausreichende Vielfalt von Analysen und Vorschlägen. Hierzu sollten die Kapazitäten im Wissenschaftssystem erhöht werden: durch das Auflegen entsprechender Forschungsprogramme, aber auch durch den Ausbau institutioneller Kapazität für alternative ökonomische Ansätze.
  • Die Schaffung nationaler und internationaler Experimentierräume. Das vorgeschlagene Reformprogramm ist in seiner Ausgestaltung, seinen Wirkungen und seiner politischen Akzeptanz nur dann adäquat einzuschätzen, wenn Möglichkeiten und der Mut zu realen Experimenten und Experimentierräumen bestehen. Die föderale Struktur in Deutschland, aber auch in Europa bieten dafür ideale Voraussetzungen. Erste Experimente z.B. zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens weisen hier in die richtige Richtung. Sie sollten auch für andere der vorgeschlagenen Reformbausteine erwogen werden.

Title:What Are the Biggest Challenges For Economic Policy After the German Bundestag Elections?

Abstract:Even though Germany’s economy is currently going strong, the country still faces enormous challenges if it wants to maintain and increase this prosperity. The new government should take this opportunity to set the course for the future by encouraging the digitalisation of the economy and the society as well as by ensuring that the ongoing energy transition is sustainable and efficient. Other challenges include the adverse effects of globalisation on parts of society and the uneven distribution of income and wealth. But the actual magnitude of the government’s room to manoeuver is up for debate. The new government’s fiscal space might be more limited than it seems, since an automatic adjustment of the income tax to inflation and growth is required to end the bracket creep. Given that transfer programmes are being phased out, the federal income tax surcharge to finance German unification also needs to be abolished. Further budget pressure stems from the pension system and from demands by state and local as well as European governments. The new German government should use the next governing period to initiate fundamental reforms of economic and fiscal policy that will provide adequate answers to long-run challenges.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2213-3

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