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Die viel zitierte neue Welle der Digitalisierung (4.0) zielt auf die Vernetzung der virtuell-digitalen und physischen Welt sowie das maschinelle Lernen in der Wirtschaft ab. Dies läuft einerseits auf eine neue Organisation und Arbeitsteilung in der Produktion – auch zwischen Mensch und Maschine – hinaus, und andererseits darauf, neue Ideen und neue Wertschöpfung aus den Möglichkeiten der Digitalisierung und der Nutzung großer Datenmengen zu entwickeln. Für die Arbeit und den Arbeitsmarkt birgt dies großes Veränderungspotenzial.

Eine Studie, die die Wirkungen der 4.0-Digitalisierung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt in einem umfassenden Szenario analysiert, haben das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Berufsbildung und die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung vorgelegt.1 Befürchtungen, die Arbeit ginge uns aus, werden nicht bestätigt: Beim Beschäftigungsbestand zeigen sich keine wesentlichen Änderungen. Es kommt allerdings zu deutlichen Bewegungen: So würde es durch Wirtschaft 4.0 im Jahr 2025 rund 1,5 Mio. im Basisszenario noch vorhandene Arbeitsplätze nicht mehr geben, dafür aber 1,5 Mio. zusätzliche an anderer Stelle (vgl. Abbildung 1). Der Bedarf an komplexen und hoch komplexen Tätigkeiten nimmt um rund 800 000 zu, während er bei Helfern (-60 000), aber vor allem auf der Ebene der fachlichen Tätigkeiten (-770 000) zurückgeht (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 1
Verlorene und gewonnene Arbeitsplätze im Vergleich zur Basisprojektion
Verlorene und gewonnene Arbeitsplätze im Vergleich zur Basisprojektion

1 In 63 Wirtschaftszweigen, 50 Berufsfeldern, 4 Anforderungsniveaus.

Quelle: IAB-Forschungsbericht, 13/2016 (vgl. Fußnote 1).

Abbildung 2
Erwerbstätige nach Anforderungsniveau im Vergleich zur Basisprojektion
Erwerbstätige nach Anforderungsniveau im Vergleich zur Basisprojektion

Quelle: IAB-Forschungsbericht, 13/2016 (vgl. Fußnote 1).

Dies spiegelt wider, dass sich die Anforderungen in der Arbeitswelt ändern werden. Die meisten Berufe werden dabei keineswegs verschwinden, sich aber doch deutlich wandeln. Gerade bei vielen Jobs auf der berufsbildenden Ebene zeigen sich hohe Anteile von Routinetätigkeiten (vgl. Abbildung 3), die vergleichsweise leicht programmierbar sind. Das macht größere Änderungen der Aufgabenzusammensetzung wahrscheinlich. Insgesamt werden Produktions-, Wissens-, Vertriebs- und Entwicklungsarbeit enger zusammenwachsen. Die berufliche Aufgabenverteilung wird damit weniger trennscharf. Gleichzeitig können Hierarchien flacher werden. Statt auf formale Autorität wird es stärker auf themenspezifische Netzwerke und Informationsflüsse ankommen. All das ändert auch berufliche Rollenbilder.

Abbildung 3
Anteil der Tätigkeiten, die schon heute potenziell von Computern erledigt werden könnten

Quelle: K. Dengler, B. Matthes: Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt: Substituierbarkeitspotenziale von Berufen in Deutschland, IAB-Forschungsbericht, Nr. 11, 2015.

Für die faktische Wirkung der Digitalisierung auf die Arbeitswelt ist auch entscheidend, wie gut der Wandel hier angenommen werden kann. Die zentrale Rolle kommt dabei der Bildung und Weiterbildung zu. Gerade die deutschen Stärken im berufsbildenden System und seiner Verzahnung von Theorie und Praxis müssen weiterentwickelt werden, um Menschen aus- und weiterzubilden, die die Umsetzung von Wirtschaft 4.0 formen können. Oft orientieren sich Ausbildungsinhalte an eher engen Berufsbildern und einem konkreten Arbeitsumfeld, was die Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit im Erwerbsleben begrenzen kann. Neben digitalen Inhalten wird es wichtig sein, Kompetenzen wie konzeptionelles und kreatives Denken, Kommunikationsfähigkeit sowie Prozessverständnis und Abstraktionsfähigkeit zu vermitteln, damit die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung effektiv genutzt werden können.2

Bei sich ändernden und erhöhenden Anforderungen wird nach der Erstausbildung die Weiterbildung entscheidend werden, um Kompetenzen laufend weiterzuentwickeln. Beispielsweise stellt eine aktuelle IAB-Studie3 auf Basis der IAB-Stellenerhebung fest, dass Betriebe mit Digitalisierungstrend gerade zusätzliche Fähigkeiten aus Kursen von neuem Personal häufiger verlangen. Deutlich steigender Weiterbildungsbedarf im Hinblick auf die Digitalisierung ergibt sich auch aus der IAB-ZEW-Betriebsbefragung „Arbeitswelt 4.0“.4 Bildungspolitik ist im Wesentlichen mit der Erstausbildung befasst, Arbeitsmarktpolitik mit Arbeitslosen. Der technologische Umbruch muss aber von den aktuell Beschäftigten bewältigt werden. Benötigt wird daher eine Weiterbildungspolitik.

Unter der Bezeichnung 4.0 gilt die gerade einsetzende Digitalisierung als die nächste industrielle Revolution. Zumindest wird es eine weitere Welle der Automatisierung und einen Umbruch der technologischen Möglichkeiten geben. Die letzten Beispiele für solche Wellen des strukturellen und technologischen Wandels betrafen ab den 1970er Jahren die Entwicklung weg von herkömmlicher Fabrikarbeit sowie die Computerisierung. Dabei gelang es nicht, einen massiven Aufbau von Arbeitslosigkeit vor allem von Niedrigqualifizierten zu verhindern (vgl. Abbildung 4). Zwar ist die technologische Entwicklung dafür nicht allein verantwortlich, sie erzeugte jedoch einen Anpassungsdruck, der nicht innerhalb einiger Jahre bewältigt werden konnte.

Abbildung 4
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote

Quelle: D. Söhnlein, B. Weber, E. Weber: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten, Aktuelle Daten und Indikatoren, IAB, 2016.

Dies gilt es bei der nächsten Welle des technologischen Fortschritts zu vermeiden. Derzeit liegt das Entlassungsrisiko auf einem Rekordtief, nach den Szenarioergebnissen muss dieser Zustand aber nicht anhalten, die Dynamik dürfte steigen. Mit dem strukturellen und beruflichen Wandel kämen entsprechende Anforderungen auf die aktive Arbeitsmarktpolitik zu. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass gerade die Verfestigung einmal entstandener Arbeitslosigkeit zum Problem wird.5 Dies bedeutet, dass Arbeitsmarktpolitik präventiv wirken muss. Es ist unwahrscheinlich, dass eine öffentliche Arbeitsmarktpolitik, die grundsätzlich Arbeitslosmeldungen abwartet, die kritischen Auswirkungen des digitalen Umbruchs allein bewältigen kann. Denn sobald Arbeitslosigkeit eintritt, kann sie (neben der Mitwirkung der Arbeitslosen) nur noch auf ihre eigenen Ressourcen und Maßnahmen zurückgreifen. Setzt man vorher an, bieten sich dagegen Kooperationsmöglichkeiten im Hinblick auf betriebliche Weiterbildungsinitiativen. Die Betriebe verfügen über die Informationen zu den konkreten Bedarfen aus Produktions- und Marktsicht und sind damit zentrale Akteure in der Weiterbildung.

Der öffentlichen Politik kommt aber die Unterstützung und Förderung der Weiterbildungsaktivitäten zu. Dies umfasst vor allem eine unabhängige hochwertige Qualifizierungsberatung für Betriebe und Beschäftigte sowie eine Beteiligung an den Kosten von Maßnahmen und Arbeitsausfall. Denn Weiterbildung nutzt nicht nur dem Beschäftigten und dem Betrieb, sondern ist auch eine gesamtwirtschaftlich bedeutende Aufgabe: Investitionen in Weiterbildung sind ein Beitrag dazu, dass der digitale Wandel insgesamt positiv bewältigt werden kann und sich hochwertige Beschäftigung auf breiter Basis als Kern eines digitalen Geschäftsmodells entwickelt. Und dies wird sich genau dann durchsetzen, wenn Personal zu Verfügung steht, das in der Lage ist, neue verantwortungsvolle Tätigkeiten wahrzunehmen. Weiterbildung muss dafür auf denselben Stellenwert wie die Erstausbildung gehoben werden. Dabei kommt es auch darauf an, die in Deutschland deutlich sichtbaren Vorteile formaler Qualifikation mit flexiblem Kompetenzerwerb zu verbinden. Die Verankerung der Weiterbildung ließe sich institutionell durch ein gesetzliches System stärken, in dem möglichst allgemeingültige (auch digitale) Kompetenzstandards erarbeitet und zusätzliche Qualifizierungsleistungen nach solchen Standards formal anerkannt werden. Bei entsprechender Modularisierung könnte dies auch bis zu vollwertigen Berufsabschlüssen führen.6 Kompetenzstandards würden der Orientierung dienen, Qualitätssicherung erleichtern und bei formaler Anerkennung die Relevanz von Weiterbildung für die berufliche Entwicklung im Arbeitsmarkt erhöhen.

Insgesamt spielt sich die 4.0-Digitalisierung auf einem neuen Niveau von Abstraktion, Komplexität und Vernetzung ab, dessen Handhabung gerade in den Strukturen kleinerer Unternehmen lange kein Selbstläufer ist. Die bisherigen Stärken beim Mittelstand könnten bedroht sein, wenn die Kapazität einzelner Unternehmen für den Aufbruch zu neuen digitalen Geschäftsmodellen nicht ausreichen sollte. Das gilt auch für Weiterbildung, bei der gerade kleinere Unternehmen unterstützt werden sollten – auch und gerade mit Beratungskompetenz und dem Aufbau von Netzwerken. Weiterbildungspolitik ist hier nicht nur Arbeitsmarktpolitik, sondern sie stärkt auch die Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit der Betriebe.

Dabei darf das Engagement der Betriebe in Weiterbildung nicht durch politische Aktivitäten verdrängt werden. Es geht um eine Unterstützung und Beteiligung, nicht um eine Übernahme. Finanzielle Beteiligung der Politik ist dabei vor allem bei Weiterbildungen anzuraten, die generelle Kenntnisse und Fähigkeiten entwickeln, und könnte geringer ausfallen bei spezifischen Maßnahmen, die auf einen bestimmten Betrieb mit bestimmten Tätigkeiten zugeschnitten sind. Voraussetzung sollte eine geeignete Zertifizierung sein, die zugleich die Anerkennung der Leistungen ermöglichen würde.

Eine rein personenorientierte Weiterbildungspolitik wie etwa mit persönlichen Bildungskonten liefe Gefahr, die Unsicherheit der Betriebe über die Verfügbarkeit ihres Personals zu vergrößern und ihnen ein Stück der Kompetenz und Verantwortung für die Personalentwicklung aus der Hand zu nehmen. Gerade diese Kompetenz muss aber von politischer Seite effektiv genutzt werden. Allerdings sind Weiterbildungsmöglichkeiten nicht in jedem Betrieb und für alle Gruppen gleichermaßen gegeben. Dies gilt auch für kürzere Beschäftigungsverhältnisse. Ebenso reichen Bedarfe an beruflicher Umorientierung regelmäßig über die aktuelle Anstellung hinaus. Sind also vorhandene Weiterbildungsmöglichkeiten nicht ausreichend oder sind die angestrebten Maßnahmen nicht sinnvoll auf betrieblicher Ebene angesiedelt, sollte die Förderung auch unabhängig vom betrieblichen Kontext erfolgen. So wären insgesamt die Vorteile einer Kooperation mit betrieblicher Weiterbildungsinitiative und einer individuellen Entwicklungsförderung kombinierbar.

Eine solche Weiterbildungsstrategie wäre auf die Beteiligung vieler Akteure angewiesen. Dabei könnte die Bundesagentur für Arbeit als großflächig aufgestellte, mit beiden Arbeitsmarktseiten sowie Weiterbildungsträgern vernetzte Institution eine wichtige Rolle bei der Umsetzung übernehmen. Zurückgreifen könnte man auf Erfahrungen aus der Weiterbildungsinitiative der Bundesagentur für Arbeit WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen), der Qualifizierungsberatung des Arbeitgeber-Service und der aktuellen Pilotierung der Weiterbildungsberatung. Zu prüfen wäre, wie eine Übernahme von Aufgaben im Rahmen einer gesetzlichen Beauftragung organisiert werden kann. Insgesamt könnte das Vorgehen durch eine begrenzte Erprobung zu Evaluationszwecken fundiert werden. Da es um Weiterbildung von Beschäftigten in Betrieben geht, liegt es zunächst nahe, zur Finanzierung der Förderung Mittel der aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen gespeisten Arbeitslosenversicherung zu verwenden. Ziel wäre aber vor allem die Vermeidung struktureller Arbeitslosigkeit. Diese würde in der Grundsicherung zu Buche schlagen und damit vor allem den Bundeshaushalt belasten. Zur Finanzierung der neuen Aufgabe der Weiterbildungsförderung sollten deshalb Steuermittel wesentlich beitragen. Dies entspricht auch dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der Aufgabe.

  • 1 M. I. Wolter, A. Mönnig, M. Hummel, E. Weber, G. Zika, R. Helmrich, T. Maier, C. Neuber-Pohl: Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie – Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen, IAB-Forschungsbericht, Nr. 13/2016.
  • 2 Vgl. E. Weber: Industrie 4.0: Wirkungen auf den Arbeitsmarkt und politische Herausforderungen, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 65. Jg. (2016), H. 1, S. 66-74.
  • 3 A. Warning, E. Weber: Wirtschaft 4.0: Digitalisierung verändert die betriebliche Personalpolitik, IAB-Kurzbericht, Nr. 12/2017 (im Erscheinen).
  • 4 M. Arntz, T. Gregory, F. Lehmer, B. Matthes, U. Zierahn: Arbeitswelt 4.0 – Stand der Digitalisierung in Deutschland: Dienstleister haben die Nase vorn, IAB-Kurzbericht, Nr. 22/2016; E. Weber: Die Arbeit bleibt, in: Handelsblatt vom 2.1.2017, S. 13.
  • 5 Vgl. S. Klinger, E. Weber: Detecting Unemployment Hysteresis: A Simultaneous Unobserved Components Model with Markov Switching, in: Economics Letters, 144. Jg. (2016), S. 115-118.
  • 6 Vgl. T. Kruppe: Organisation und Finanzierung von Qualifizierung und Weiterbildung im Lebensverlauf. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2012.


DOI: 10.1007/s10273-017-2146-x