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Prognosen sind eine zentrale Richtschnur für die Wirtschaftspolitik. Ein wichtiges Merkmal für die Güte von Prognosen ist dabei neben ihrer Genauigkeit, ob sie im Durchschnitt richtig sind. Sollten Prognosen, beispielsweise für die Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP), systematisch zu optimistisch oder zu pessimistisch sein, so wären sich daran orientierende wirtschaftspolitische Maßnahmen ebenfalls systematisch falsch. Der Frage, ob Prognosen im Durchschnitt richtig sind oder ob sie systematische Prognosefehler aufweisen (bzw. verzerrt sind), sind bereits zahlreiche Studien nachgegangen. Die Mehrzahl dieser Studien kommt zu dem Ergebnis, dass Prognosen für das BIP im Durchschnitt zu optimistisch sind.1 In der Literatur wird als eine mögliche Ursache angeführt, dass Prognostiker Anreize dafür haben könnten, systematisch zu optimistische Prognose abzugeben.2 Ein anderer Grund könnte sein, dass der Einfluss von längerfristigen strukturellen Änderungen auf Konjunktur und Wachstum häufig nur sehr schwer zu identifizieren und zu quantifizieren ist. So könnte die Wachstumsverlangsamung, die in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachten war, dazu beigetragen haben, dass Prognosen systematisch zu optimistisch ausgefallen sind.3

Ein wichtiger Aspekt – der in diesem Zusammenhang bislang jedoch wenig Beachtung gefunden hat – ist, ob die systematische Fehlerkomponente bei Prognosen für das BIP vom Konjunkturzyklus abhängt. So könnten systematische Prognosefehler insbesondere an konjunkturellen Wendepunkten auftreten, da diese für gewöhnlich nur sehr schwer zu prognostizieren sind. In einer neuen Studie untersuchen wir, inwieweit systematische Prognosefehler vom Konjunkturzyklus abhängen, d.h. ob der systematische Prognosefehler in verschiedenen Konjunkturphasen unterschiedlich ist – und darauf aufbauend, wie schnell Prognostiker ihre Prognosen an konjunkturellen Wendepunkten anpassen.4 Dazu werten wir Prognosen für das BIP von Consensus Economics für 19 fortgeschrittene Volkswirtschaften von 1990 bis 2013 aus. Consensus Economics befragt monatlich eine Reihe von Prognostikern aus jedem Land nach ihrer Prognose für die Zuwachsrate des BIP für das laufende und für das kommende Jahr. Die sogenannten Consensus-Prognosen werden jeweils aus den Mittelwerten der einzelnen Prognosen gebildet. Wir differenzieren zwischen drei verschiedenen Phasen im Konjunkturzyklus: Aufschwungsphasen, Rezessionen und Erholungen.5 Zur Berechnung der Prognosefehler greifen wir auf sogenannte Echtzeitdaten zurück, um einen Einfluss späterer Datenrevisionen ausschließen zu können.

Unsere Ergebnisse bestätigen, dass Prognosen insgesamt zu optimistisch sind. Im Durchschnitt wird die Zuwachsrate des BIP um 0,4 Prozentpunkte überschätzt. Diese systematischen Prognosefehler treten besonders bei Horizonten von mehr als einem Jahr auf. Für Prognosehorizonte von weniger als einem Jahr sind die durchschnittlichen Fehler nur sehr gering und statistisch nicht mehr signifikant von Null verschieden. Wenn man nach Phasen des Konjunkturzyklus unterscheidet, zeigt sich jedoch, dass die zu optimistischen Prognosen vor allem auf Prognosen für Rezessionsjahre zurückzuführen sind (vgl. Abbildung 1). Im Durchschnitt sind Prognosen für Rezessionsjahre um mehr als 2 Prozentpunkte zu optimistisch. Für Prognosen mit einem Horizont von 24 Monaten (Prognose im Januar für das folgende Jahr) beträgt der durchschnittliche Prognosefehler sogar mehr als 4 Prozentpunkte. Ab einem Prognosehorizont von 15 Monaten, also etwa dann, wenn erste aussagekräftige Frühindikatoren für das Folgejahr eingehen, verringert sich der durchschnittliche Prognosefehler deutlich. Allerdings sind die Prognosen für Rezessionen selbst bei sehr kurzen Prognosehorizonten noch signifikant zu optimistisch. Prognosen für Erholungen sind dagegen systematisch zu pessimistisch. Im Durchschnitt sind die Prognosen für Erholungen um 0,6 Prozentpunkte zu niedrig; erst für sehr geringe Prognosehorizonte nähert sich der durchschnittliche Prognosefehler dem Wert Null an. Lediglich Prognosen für Aufschwungsphasen weisen für den gesamten untersuchten Prognosezeitraum von 24 Monaten keine signifikanten systematischen Prognosefehler auf.

Abbildung 1
Durchschnittliche Prognosefehler nach Prognosehorizont
Durchschnittliche Prognosefehler nach Prognosehorizont

Monatsdaten. Monat 24 entspricht einer Prognose, die im Januar für das Folgejahr abgegeben wurde; Monat 1 entspricht einer Prognose, die im Dezember für das laufende Jahr abgegeben wurde. Durchgezogene Linien entsprechen den Schätzergebnissen einer Regression des durchschnittlichen Prognosefehlers auf 24 Dummy-Variablen, die jeweils einen Prognosehorizont repräsentieren. Gestrichelte Linie: 95% Konfidenzbänder.

Quelle: J. Dovern, N. Jannsen: Systematic Errors in Growth Expectations over the Business Cycle, in: International Journal of Forecasting, 33. Jg. (2017), H. 4, S. 760-769.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass systematische Prognosefehler vor allem auf Rezessionsphasen zurückzuführen sind. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass der Beginn von Rezessionen nur sehr schwer zu prognostizieren ist. Damit Prognosen insgesamt unverzerrt sind, müssten sie demnach für Aufschwungsphasen systematisch zu pessimistisch sein. Da dies jedoch nicht der Fall ist, spricht viel dafür, dass Prognostiker vor allem im Blick haben, in jeder Konjunkturphase möglichst unverzerrte Prognosen vorzulegen, und weniger, dass ihre Prognosen im Durchschnitt über alle Konjunkturphasen unverzerrt sind. Zudem sprechen die Ergebnisse gegen die These, dass die in den vergangenen Jahrzehnten aufgetretene Wachstumsverlangsamung der zentrale Faktor hinter den systematisch zu optimistischen Prognosen war, da in diesem Fall auch Prognosen für Aufschwungsphasen systematisch zu optimistisch wären.

Da konjunkturelle Wendepunkte offenbar eine große Rolle für das Auftreten von systematischen Prognosefehlern spielen, betrachten wir die Entwicklung der durchschnittlichen Prognosefehler im Verlauf von konjunkturellen Wendepunkten (Beginn von Rezessionen und von Erholungen) genauer. Nach dem Beginn von Rezessionen verringern sich die durchschnittlichen Prognosefehler zwar spürbar (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Durchschnittliche Prognosefehler an konjunkturellen Wendepunkten
Durchschnittliche Prognosefehler an konjunkturellen Wendepunkten

Monatsdaten. Monat 0 entspricht dem Beginn einer Rezession bzw. einer Erholung. Linien entsprechen den Schätzergebnissen einer Regression des durchschnittlichen Prognosefehlers auf 19 Dummy-Variablen, die jeweils einen Monat vor oder nach dem Beginn einer Rezession bzw. Erholung repräsentieren. Ergebnise korrigiert für die unterschiedliche Zahl von Beobachtungen.

Quelle: J. Dovern, N. Jannsen: Systematic Errors in Growth Expectations over the Business Cycle, in: International Journal of Forecasting, 33. Jg. (2017), H. 4, S. 760-769.

Die Prognosen werden jedoch nicht im ausreichenden Maße revidiert: Selbst zwölf Monate nach dem Beginn einer Rezession sind die Prognosen noch um etwa 1 Prozentpunkt zu optimistisch. Dies spricht dafür, dass nicht nur der Beginn einer Rezession, sondern auch ihre Dauer und Tiefe sehr schwer zu prognostizieren sind. Die Verzerrung von Prognosen für Erholungen ist zwar deutlich geringer als für Rezessionen, allerdings bleibt sie nach dem Beginn einer Erholung nahezu unverändert. Selbst zwölf Monate nach dem Beginn einer Erholung ist der systematische Prognosefehler mit etwa 0,5 Prozentpunkten noch genauso hoch wie zu Beginn. Dies zeigt, dass die systematischen Prognosefehler für Erholungen nicht nur darauf zurückzuführen sind, dass der Beginn von Erholungen (bzw. das Ende von Rezessionen) nur schwer zu prognostizieren ist. Vielmehr wird offenbar auch die wirtschaftliche Dynamik bei Erholungen, die oftmals von Aufholprozessen geprägt ist und deshalb stärker ausfallen kann als in normalen Aufschwungsphasen, häufig unterschätzt.6

  • 1 Vgl. z.B. H.O. Stekler: What Do We Know About G-7 Macro Forecasts? Working Papers 2008-009, Washington DC 2008.
  • 2 I. Marinovic, M. Ottaviani, P. Sorensen: Forecasters’ Objectives and Strategies, in: Handbook of Economic Forecasting, Nr. 2, 2013, S. 690-720.
  • 3 R. Batchelor: Bias in macroeconomic forecasts, in: International Journal of Forecasting, 23. Jg. (2007), H. 2, S. 189-203; J. Dovern, J. Weisser: Accuracy, unbiasedness and efficiency of professional macroeconomic forecasts: An empirical comparison for the G7, in: International Journal of Forecasting, 27. Jg. (2011), H. 2, S. 452-465.
  • 4 J. Dovern, N. Jannsen: Systematic Errors in Growth Expectations over the Business Cycle, in: International Journal of Forecasting, 33. Jg. (2017), H. 4, S. 760-769.
  • 5 Wir identifizieren Rezessionen als Jahre mit negativen Zuwachsraten des BIP, Erholungen als Jahre unmittelbar im Anschluss an Rezessionen und alle anderen Jahre als Aufschwungsphasen.
  • 6 Vgl. z.B. J. Boysen-Hogrefe, N. Jannsen, C.-P. Meier: A Note on Banking and Housing Crises and the Strength of Recoveries, in: Macroeconomic Dynamics, 20. Jg. (2016), H. 7, S. 1924-1933.


DOI: 10.1007/s10273-017-2172-8