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Der Aufschwung in Deutschland hält bereits seit mehr als fünf Jahren an. Er hat allerdings an Fahrt eingebüßt. Dies hat sowohl nachfrageseitige als auch produktionsseitige Gründe. Zum einen hat sich das Auslandsgeschäft im Einklang mit der Verlangsamung der Konjunktur in den wichtigsten deutschen Absatzmärkten abgeschwächt. Zum anderen sehen sich Unternehmen zunehmend Engpässen gegenüber, vor allem bei Arbeitskräften und beim Bezug von Vorleistungsgütern. Überlagert wird dies durch Probleme in der Automobilindustrie im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Prüfverfahrens WLTP. Aufgrund der hohen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Branche hinterlassen diese sichtbare Spuren beim Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts. Die Umstellungsprobleme dürften aber im Winterhalbjahr überwunden werden. Hinzu kommen Impulse aufgrund von finanzpolitischen Maßnahmen, die zum Jahresbeginn 2019 in Kraft treten.

Der Aufschwung in Deutschland geht in sein sechstes Jahr. Eine tragende Säule ist die Binnenwirtschaft, die vom starken Beschäftigungsaufbau und von niedrigen Zinsen angeregt wird. Zu Jahresbeginn war die Auslastung der Produktionskapazitäten sehr hoch, sie nahm seither allerdings nicht weiter zu (vgl. Abbildung 1). Dies hat sowohl nachfrageseitige als auch produktionsseitige Gründe. Zum einen sind die Auftragseingänge seit Jahresanfang 2018 in der Tendenz rückläufig, auch weil sich die Konjunktur in den wichtigsten deutschen Absatzmärkten im ersten Halbjahr verlangsamt hat. Zwar hat der Aufschwung in den USA wegen des starken Impulses der Finanzpolitik noch einmal an Schwung gewonnen, und in China legte die Produktion weiter deutlich zu. Allerdings hat die konjunkturelle Dynamik im Euroraum merklich an Fahrt verloren, besonders ausgeprägt in Frankreich und in Italien.

Zum anderen sehen sich Unternehmen zunehmend Engpässen gegenüber, vor allem bei Arbeitskräften und Vorleistungsgütern. Dafür spricht auch, dass die Produktion das hohe Tempo von 2017 nicht mehr gehalten hat, obwohl die Auftragsbücher nach wie vor gut gefüllt sind. Auffällig ist gegenwärtig, dass sich der Anteil der vom ifo Institut befragten Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, die angeben, dass ihre Produktion durch Arbeitskräftemangel und fehlende Vorleistungen behindert wird, historische Höchststände erreicht (vgl. Abbildung 2). Auch im Baugewerbe dürften derzeit vor allem Kapazitätsengpässe einer stärkeren Ausweitung der Produktion entgegenstehen. So befindet sich die Auslastung nahe an ihren historischen Höchstständen, und die Firmen berichten verstärkt von Arbeitskräftemangel und Materialknappheit (vgl. Abbildung 3). Vor diesem Hintergrund haben die Preise für Bauleistungen bereits spürbar angezogen; in den ersten beiden Quartalen 2018 lag der Deflator der Bruttowertschöpfung bereits um jeweils etwa 7 ½ % höher als im Vorjahr.

Abbildung 1
Indikatoren zum Auslastungsgrad der deutschen Wirtschaft
Indikatoren zum Auslastungsgrad der deutschen Wirtschaft

Quellen: Statistisches Bundesamt; ifo Konjunkturumfragen; Berechnungen der Institute. © GD Herbst 2018.

Abbildung 2
Verarbeitendes Gewerbe: Anteil der von Knappheiten berichtenden Unternehmen
Verarbeitendes Gewerbe: Anteil der von Knappheiten berichtenden Unternehmen

Quelle: ifo Institut, Konjunkturumfragen. © GD Herbst 2018.

Abbildung 3
Bauhauptgewerbe: Anteil der von Knappheiten berichtenden Unternehmen
Bauhauptgewerbe: Anteil der von Knappheiten berichtenden Unternehmen

Quelle: ifo Institut, Konjunkturumfragen. © GD Herbst 2018.

Im Sommer wurde das konjunkturelle Bild durch starke Produktions- und Lieferschwankungen im Automobilsektor überlagert. Wegen Engpässen bei der Zertifizierung nach dem neuen Prüfverfahren WLTP, die für alle ab dem 1. September 2018 neu zugelassenen Fahrzeuge erforderlich ist, wurden beträchtliche Lager aufgebaut und zeitweise Produktion und Lieferungen gestoppt. Angesichts des großen Gewichts der Automobilindustrie wird sich dies gesamtwirtschaftlich bemerkbar machen; im dritten Quartal 2018 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich um 0,1 % gegenüber dem Vorquartal zugenommen haben. Die Institute gehen davon aus, dass Probleme mit der Fahrzeugzertifizierung im Schlussquartal im Wesentlichen überwunden werden können. Damit dürfte das BIP im vierten Quartal 2018 wieder kräftig expandieren.

Zur Prognose der deutschen Wirtschaft

Auf dem Arbeitsmarkt deuten die gestiegenen Vakanzzeiten offener Stellen und ein höherer Lohndruck darauf hin, dass das Arbeitsangebot immer weniger in der Lage ist, die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen. Entsprechend wird sich wohl der Beschäftigungsaufbau im Verlauf des Prognosezeitraums allmählich abschwächen. Im Jahr 2018 dürfte die Zahl der Erwerbstätigen um 590 000 Personen über dem Vorjahr liegen. In den Jahren 2019 und 2020 geht der Zuwachs dann auf 420 000 bzw. 310 000 Personen zurück (vgl. Tabelle 1). Zum einen wird es zunehmend schwieriger, offene Stellen mit Arbeitslosen zu besetzen; der Rückgang der Arbeitslosigkeit verringert sich von 190 000 in diesem Jahr voraussichtlich auf 140 000 im kommenden Jahr und 120 000 im Jahr 2020. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,2 % im laufenden Jahr und 4,8 % bzw. 4,5 % in den beiden Folgejahren. Zum anderen wird das Erwerbspersonenpotenzial weniger stark zunehmen als bisher. Die positiven Trends bei der Partizipation und der Zuwanderung vermögen in immer geringerem Maße den alterungsbedingten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials auszugleichen.

Aufgrund der hohen Arbeitskräfteknappheit dürften die Löhne weiter kräftig steigen. Die tariflichen Monatsverdienste werden nach einem Plus von 2,6 % in diesem Jahr in den Jahren 2019 und 2020 voraussichtlich um durchschnittlich jeweils 2,7 % angehoben. Die effektiven Lohnzahlungen dürften stärker zulegen als die Tariflöhne, da übertarifliche Lohnbestandteile zur Gewinnung neuer Arbeitnehmer und Bindung vorhandener Arbeitskräfte an Bedeutung gewinnen.

Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
  2015 2016 2017 2018 2019 2020
Reales Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 1,7 2,2 2,2 1,7 1,9 1,8
Erwerbstätige im Inland in 1000 Personen 43 071 43 642 44 269 44 860 45 280 45 590
Arbeitslose in 1000 Personen 2 795 2 691 2 533 2 340 2 200 2 085
Arbeitslosenquote der Bundesagentur für Arbeit1 in % 6,4 6,1 5,7 5,2 4,8 4,5
Verbraucherpreise2 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 0,3 0,5 1,8 1,8 2,0 1,9
Lohnstückkosten3 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) 1,7 1,2 1,5 2,3 2,2 1,8
Finanzierungssaldo des Staates4            
in Mrd. Euro 23,9 28,7 34,0 54,0 42,0 41,0
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts 0,8 0,9 1,0 1,6 1,2 1,1
Leistungsbilanzsaldo            
in Mrd. Euro 271,4 268,8 257,7 251,0 245,0 261,0
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts 8,9 8,5 7,9 7,4 7,0 7,1

1 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit).  2 Verbraucherpreisindex (2010 = 100).  3 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde.  4 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).

Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2018 bis 2020: Prognose der Institute. © GD Herbst 2018.

Der private Konsum wird in dem geschilderten Arbeitsmarktumfeld weiterhin kräftig zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen. Zudem werden die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in den kommenden beiden Jahren spürbar von der Finanzpolitik befördert, unter anderem durch Korrekturen am Einkommensteuertarif und durch die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zusätzlichen Auftrieb erhalten die verfügbaren Einkommen 2019 durch den kräftigen Anstieg der monetären Sozialleistungen, wofür insbesondere die Leistungsausweitung bei der Mütterrente und eine erneut deutliche Erhöhung der Altersrenten maßgeblich sind. Bei alledem werden die Verbraucherpreise wohl leicht beschleunigt zulegen. Die Inflationsrate steigt von 1,8 % in diesem Jahr auf 2,0 % bzw. 1,9 % in den kommenden beiden Jahren. Während dabei der derzeit die Inflationsdynamik dominierende Einfluss der Energiepreise ausläuft, steigt die Kerninflation deutlicher.

Die Investitionstätigkeit dürfte im Prognosezeitraum angesichts der sehr hohen Kapazitätsauslastung und der guten Finanzierungsbedingungen ebenfalls recht kräftig bleiben. Einer stärkeren Ausweitung dürfte nicht zuletzt entgegenstehen, dass der Aufschwung allmählich an Kraft einbüßt und die Engpässe am Arbeitsmarkt hoch bleiben. Vor allem behindern Kapazitätsengpässe weiter die Bautätigkeit und dürften sich in einem weiterhin sehr kräftigen Auftrieb der Baupreise niederschlagen. Die deutschen Ausfuhren werden wohl erst am Jahresende wieder Fahrt aufnehmen. Hierbei spielen Nachholeffekte bei den Kfz-Ausfuhren nach Abschluss der Zertifizierung von Neuwagen eine maßgebliche Rolle. Im weiteren Prognosezeitraum dürften die außenwirtschaftlichen Impulse im Einklang mit einer sich allmählich abschwächenden Weltkonjunktur nicht mehr so kräftig ausfallen.

Für den gesamten Prognosezeitraum erwarten die Institute deutliche Finanzierungsüberschüsse des Staates. Im laufenden Jahr wird der Überschuss 54 Mrd. Euro (1,6 % in Relation zum BIP) betragen und damit einen neuen Höchstwert erreichen. Die Finanzpolitik wird zu Beginn des Jahres 2019 die Konjunktur anregen. Staatliche Transferleistungen und Ausgabenprogramme werden ausgeweitet sowie Arbeitnehmer entlastet. Deshalb wird der Finanzierungssaldo auf 41 Mrd. Euro (1,1 % in Relation zum BIP) im Jahr 2020 abschmelzen. Den strukturellen Finanzierungssaldo beziffern die Institute 2018 auf 43 Mrd. Euro (1,3 % in Relation zum Produktionspotenzial). In den kommenden zwei Jahren wird er in etwa bei der Hälfte liegen. Der Bruttoschuldenstand des Staates im Verhältnis zum BIP dürfte 2018 auf rund 60 % sinken. Im Jahr 2019 wird er den Maastricht-Referenzwert unterschreiten. Im Jahr 2020 dürfte er rund 55 % betragen.

Alles in allem dürfte die Wirtschaftsleistung im Jahr 2018 um 1,7 % zunehmen. Im kommenden Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft stimuliert durch die Finanzpolitik mit 1,9 % etwas stärker zulegen als 2018. Der für das Jahr 2020 prognostizierte Anstieg des BIP um 1,8 % überzeichnet die konjunkturelle Dynamik aufgrund einer hohen Zahl von Arbeitstagen; im Verlauf nimmt der Zuwachs weiter ab. Somit dürfte der Aufschwung nach und nach an Kraft verlieren. Allerdings wird die Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten wohl fortbestehen.

Konjunkturrisiken sind größer geworden

Die Risiken für die deutsche und die internationale Konjunktur haben sich gegenüber dem Frühjahr vergrößert. Insbesondere das Vordringen des Protektionismus stellt eine Gefahr dar. So droht eine weitere Zuspitzung des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Im Verhältnis zwischen der EU und den USA ist zwar inzwischen eine Entspannung eingetreten. Aufgrund der hohen Verflechtung der Wertschöpfungsketten würden aber stärkere Handelsbarrieren zwischen den USA und China die Produktionskosten überall auf der Welt steigen lassen und auch deutsche Unternehmen treffen. Zudem hat sich im bisherigen Jahresverlauf gezeigt, dass es die protektionistische Außenwirtschaftspolitik der USA nicht bei Drohungen belässt. Einen Gefahrenherd stellen auch die Krisen in Argentinien und in der Türkei dar, insbesondere wenn sie einen Vertrauensverlust gegenüber weiteren Schwellenländern auslösten und sich deren Finanzierungsbedingungen noch deutlich stärker verschlechterten als aufgrund der steigenden US-Zinsen ohnehin angelegt.

Spezielle Risiken für die Konjunktur in Europa resultieren aus der Möglichkeit eines ungeordneten Austritts Großbritanniens aus der EU und aus der gewachsenen Gefahr einer Schuldenkrise in Italien. In der Prognose ist unterstellt, dass Großbritannien die EU im März 2019 geordnet verlässt und eine Übergangsphase vereinbart wird, sodass bis zum Ende des Prognosezeitraums keine Hindernisse im Handel mit der EU entstehen. Allerdings scheinen die Verhandlungen derzeit kaum Fortschritte zu machen, so dass ein ungeordneter „No Deal“-Ausstieg ohne Übergangsphase weiterhin möglich ist. Die deutsche Wirtschaft dürfte als Folge eines solchen Szenarios für ihren drittgrößten Exportmarkt in besonderem Maße in Mitleidenschaft gezogen werden. Im Falle Italiens sind Konflikte mit den fiskalischen Regeln der Europäischen Union zu befürchten, falls die Regierung ihre expansiven finanzpolitischen Vorhaben in großem Stil umsetzen wird. Dies könnte Zweifel an der finanzpolitischen Stabilität Italiens verstärken und zu einem Wiederaufflammen der Eurokrise führen.

Title:Upturn Loses Momentum – World Economic Climate Grows Harsher

Abstract:The economic upturn in Germany is entering its sixth year but is losing momentum due to both demand and supply side factors. On the one hand, Germany’s key sales markets have weakened in line with the slowdown in world trade. On the other hand, a growing number of firms face production side bottlenecks, especially in terms of labour and sourcing intermediate goods. This coincides with problems in the automotive industry related to the introduction of the new World Harmonised Light Vehicle Test Procedure (WLTP), which has affected gross domestic product (GDP) growth due to the branch’s economic weight. These adjustment problems, however, should be overcome over the course of the winter. Fiscal stimuli will also take effect as of the beginning of 2019. After 1.7 % growth this year, GDP will increase at rates of 1.9 % in 2019 and 1.8 % in 2020.


DOI: 10.1007/s10273-018-2357-9