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Wie gut die makroprudenzielle Krisenprävention mittlerweile sein mag, wie viel wir aus der letzten Krise gelernt haben mögen: Es wird immer eine nächste, den vorangegangenen ähnliche und doch wiederum andersartige Krise geben. Diese Furcht treibt zurzeit viele Zentralbanken um, denn es droht ein Szenario, in dem die nächste Krise kommt, ohne dass die letzte schon vollständig überwunden wäre. Ihre Krisenstrategie bestand darin, die Ansteckungsgefahren dadurch zu reduzieren, dass man die Gläubiger weitgehend vor Kreditausfällen geschützt, die Vermögenspreise durch niedrige Zinsen und Aufkaufprogramme gestützt und die Tragfähigkeit der Schulden wiederhergestellt hat. Dadurch haben sich die Zentralbanken in ein Dilemma gebracht: Einerseits hätten die Zinsen unter normalen Umständen konjunkturell schon lange wieder angehoben werden sollen, andererseits droht den Banken und Staaten weiter ein unkalkulierbares Zinsänderungsrisiko. Der Nexus zwischen Staaten und Banken sowie zwischen Immobilienpreisen und Bankkrediten stellt nach wie vor ein hohes Risiko für die Geldpolitik dar. Das gilt weniger für die Federal Reserve Bank (Fed) als für die Europäische Zentralbank (EZB). Während die US-Banken aus der Krise quasi herausgewachsen sind, verzögert sich die Konsolidierung der Euro-Banken nicht zuletzt aufgrund der strengeren, kurzfristig Wachstum restringierenden, in Zukunft mehr Stabilität verleihenden Regulierung.

Zwar hat die EZB zuletzt eine weniger expansive Geldpolitik angekündigt, dennoch gilt, dass sie am etwaigen Ende des Aufschwungs immer noch vor dem Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik steht. Ein kompletter Zins­zyklus ist übersprungen worden, während die Fed zuletzt die Zinsen nochmal erhöht hat und vermutlich die Zinswende eher beschleunigen als verlangsamen wird. Eine solche De-Synchronisierung des globalen Finanzzyklus würde im Falle einer neuerlichen Krise die Politikkoordination zwischen den großen Währungsräumen, insbesondere zwischen den USA, der Eurozone und der Gruppe der Schwellenländer, deutlich erschweren.

Die Ursachen für die durchaus missliche und nicht ungefährliche Situation liegen zehn Jahre zurück, als die Zentralbanken die Märkte mit ihrer Forward-Guidance-Strategie aus der Krise und sich selbst womöglich in ein Dilemma manövrierten, nachdem die durch die ultralockere Geldpolitik erkaufte Zeit womöglich unzureichend genutzt worden ist, entsprechende fiskalpolitische Reformen durchzuführen. Die makroökonomische Stabilität hinge dann unverändert am Tropf der Geldpolitik. Die Nachwirkungen der globalen Finanzkrise vor rund zehn Jahren neigen sich in den USA indes dem Ende entgegen, sodass die Fed aus ihrem Krisenmanagement ausgestiegen und zu ihrer gewohnten geldpolitischen Steuerung zurückgekehrt ist. Anders in der Eurozone, wo die EZB nach wie vor wesentliche Stabilisierungsfunktionen übernimmt. Gleichzeitig jedoch ist die Inflation auf ihr Zielniveau von unter, aber nahe 2 % zurückgekehrt. Vor diesem Hintergrund ist eine Normalisierung der Geldpolitik der EZB wahrscheinlich, aber angesichts der ökonomischen und politischen Fragilität der Eurozone nicht ohne Risiken. Denn die Effektivität der Geldpolitik wäre derzeit bei Nullzinsen und einem Schuldenüberhang im Falle einer neuerlichen Krise außerordentlich gering. Auch die Fähigkeit vieler Staaten, Banken zu retten, ist angesichts eher gestiegener als abgebauter Schulden überschaubar.

Abbildung 1
Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts in den USA und in der Eurozone
Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts in den USA und in der Eurozone

Quelle: OECD 2018.

Abbildung 2
Entwicklung der Leitzinssätze in den USA und in der Eurozone (Quartalssätze)
Entwicklung der Leitzinssätze in den USA und in der Eurozone (Quartalssätze)

Quellen: Bundesbank; Federal Reserve 2018.

Zur De-Synchronisierung: Das Risiko, dass es zu einem schnelleren Zinsanstieg in den USA kommt als die Weltwirtschaft derzeit verkraftet, ist relativ hoch. Obwohl sich die US-Wirtschaft nahe der Vollbeschäftigung befindet, ist die Fiskalpolitik nach wie vor sehr expansiv ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund kann es zu Überhitzungserscheinungen kommen und eine stärker kontraktive Reaktion der Geldpolitik provozieren. Insbesondere im US-Wahljahr 2020 könnte sich der Konflikt materialisieren, bedenkt man, dass die amtierende Trump-Regierung ein Interesse daran hat, die gute Konjunktur mindestens bis zur Wahl zu verlängern, um die Chancen der Wiederwahl zu erhöhen. Der hierdurch beschleunigte Zinsanstieg in den USA könnte die Zinsdifferenz zu anderen wichtigen Wirtschafts- und Währungsräumen, darunter die Eurozone und einige Schwellenländer, gefährlich erhöhen.

Die EZB könnte dann wegen ihrer Rolle in der Euro-Schuldenkrise nahezu einen kompletten Zinszyklus auslassen und mit sehr niedrigen Zinsen in einen erneuten Konjunkturabschwung gehen, was angesichts der beschleunigten Zinswende in den USA zu einer Entkopplung im globalen Finanzzyklus führen könnte. Es ist davon auszugehen, dass die Eurozone in Bezug auf die Schuldentragfähigkeit in Verbindung mit nachlassender konjunktureller Dynamik auf Zinserhöhungen noch nicht uneingeschränkt vorbereitet ist. Insbesondere die wirtschaftliche und politische Situation in Italien bereitet in Verbindung mit dem hohen Schuldenstand und weiteren Defiziten der öffentlichen Haushalte große Sorgen. Vor diesem Hintergrund kann schon der für 2019 angekündigte Ausstieg aus den Aufkaufprogrammen einen kritischen Übergang erzeugen.

Insgesamt war die Fed, wenngleich sie unter gänzlich anderen Bedingungen agierte, deutlich erfolgreicher als die EZB bei der Krisenbewältigung. Letztere stand zudem vor der Aufgabe, die Europäische Währungsunion zusammenzuhalten, was eine zusätzliche Restriktion in der geldpolitischen Strategie bedeutete. In Abbildung 1 ist dargestellt, dass die Politik der Fed das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) – gelegentlich auch als Alternative zum sogenannten Inflation Targeting diskutiert – deutlich schneller anheben konnte als die Europäische Zentralbank: Die Summe aus Inflationsrate und realem Wachstum betrug im Durchschnitt 4 % p. a. in den USA, aber nur 2 % in der Eurozone. Solange die Inflationsrate unter dem Zielwert bleibt, ist der Anstieg des nominalen BIP, also der realen Einkommen und des Preisniveaus, ein äquivalentes, in seiner Steuerung womöglich adäquateres Ziel als das Inflation Targeting.

Abbildung 3
Swan-Diagramm: internes und externes Gleichgewicht in den USA und in der Eurozone
Swan-Diagramm: internes und externes Gleichgewicht in den USA und in der Eurozone

Quelle: eigene Darstellung.

Entsprechend konnte die Fed nicht nur den Ausstieg aus dem Quantitative Easing, sondern zudem die echte Zinswende deutlich schneller einleiten (vgl. Abbildung 2). Genau hierin liegt eine Gefahr: Bis 2020 könnte sich angesichts der US-Wahl die expansive Fiskalpolitik fortsetzen und für eine Überhitzung sorgen, der die Fed mit einer beschleunigten Zinswende entgegentreten müsste.

Zugleich ist der unterschiedliche Policy-Mix in den USA und in der Eurozone bedenklich. Während in den USA eine expansive Fiskalpolitik und eine gegensteuernde Geldpolitik die US-Wirtschaft in ein Leistungsbilanzdefizit bei gleichzeitiger Überbeschäftigung drücken, sorgen eine weiter expansive Geldpolitik und gleichzeitig kontraktive Fiskalpolitik für eine Kombination aus leichter Unterbeschäftigung und steigendem Leistungsbilanzüberschuss (vgl. Abbildung 3). Der jeweilige Policy-Mix in den USA und in der Eurozone erschwert zugleich die internationale Koordination zwischen den USA und der Eurozone. Diese Situation könnte sich als äußerst gefährlich erweisen, sollte es in absehbarer Zeit zu einer neuerlichen Krise kommen. Dann könnte die Kombination aus Schuldenüberhang und Nullzinsgrenze insbesondere für die Eurozone zu einer großen Belastung werden. Die nächste Krise kommt bestimmt. Dieses Mal könnte sie die Politik weniger gut gerüstet treffen als vor zehn Jahren, als die internationale Politikkoordination wesentlich zur Bekämpfung der globalen Krise beitrug. Sollte es dazu kommen, hilft nur noch schlichtes und massives Quantitative Easing, das immer mehr zu einem konventionellen Instrument der Geldpolitik wird.

Henning Vöpel
voepel@hwwi.org

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DOI: 10.1007/s10273-018-2363-y

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