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In diesem Jahr werden die US-Ökonomen William D. Nordhaus und Paul M. Romer mit dem Schwedischen Reichsbankpreis für Wirtschaftswissenschaften zu Ehren von Alfred Nobel für ihre bahnbrechende Forschung in den Bereichen Klimawandel und Innovation ausgezeichnet. Ihre Forschung habe zu einem besseren Verständnis von nachhaltigem Wirtschaftswachstum im Zusammenhang mit Klimawandel und technischem Fortschritt beigetragen. Dieser Beitrag würdigt die Forschung von Paul M. Romer.

Der Nobelpreis für Paul M. Romer ist durch bedeutende Beiträge zur Ökonomie und Wirtschaftspolitik begründet. Ich greife einen Impuls heraus, der die Wachstumstheorie verändert hat, und einen, der die Politik in den Entwicklungsländern entscheidend beeinflussen könnte. Interessanterweise ist der Beitrag zur Wachstumstheorie als bahnbrechend anerkannt, er wird auch als Begründung des Preises genannt.1 Die Erklärung des Tempos des technischen Fortschritts in einem Modell (Endogenisierung) war zum Zeitpunkt der Publikation als Gegensatz zur damals dominierenden Theorie revolutionär. Heute scheint das Modell aber aus Wohlfahrtssicht zumindest ergänzungsbedürftig, da die Richtung des technischen Fortschritts unbeachtet bleibt, aber unterschiedliche soziale und ökologische Effekte hat. Der politikorientierte Vorschlag, mit Charter Cities einen Schnellstart für Wachstum in konflikt­reichen Regionen zu versuchen, ist sehr umstritten. Er hat aber das Potenzial, Länder und ihre Bevölkerung in einer Generation durch Wachstum aus der Armut zu befreien und eine disruptive Völkerwanderung zu unterbinden.

Die neue Wachstumstheorie

Romer ist es gelungen, dem Tempo des technischen Fortschritts den Charakter eines Naturereignisses zu nehmen.2 Technologie ist durch die von ihm forcierten Modelle nun das Produkt von menschlicher Arbeit, Firmenstrategie und Wirtschaftspolitik. Die wichtigste Triebkraft von Wachstum ist Humankapital; es zeichnet sich durch eine Eigenschaft aus, die es von anderen Gütern unterscheidet: Bildung, Ideen und Innovationen verlieren bei ihrem Gebrauch nicht an Wert – im Gegenteil. Mit der Breite der Anwendung steigt ihr Nutzen, sie haben „dynamische externe Effekte“. Es sei sogar beliebig, meint Romer, welchen Pfad man einschlägt. Bleibt eine Gesellschaft konsequent auf einem Weg, so entwickeln Ideen immer größere Kraft.

Dass ein Weg konsequent verfolgt werden sollte, spiegelt sich auch im Vorschlag Romers für Charter Cities etwa in Afrika. Ihr Vorbild – die wirtschaftlichen Sonderzonen in Ostasien – sind fast zufällig und unter rechtlich problematischen Verhältnissen entstanden. Durch konsequente Anwendung neuer Regeln – Marktwirtschaft und Technologieimport – wurden sie dennoch zum Turbo der Armutsbekämpfung und für die Rückkehr Chinas zur größten Wirtschaftsnation der Welt. Die ökonomische Wachstumstheorie hat schon vor Romer den Vorteil neuer Technologien gekannt: nur wenn es gelingt, mit gleichen Inputs zunehmend höhere Leistungen zu erbringen, wird die Gesellschaft reicher, Hunger und Armut können beseitigt werden. Rohstoffreichtum kann hilfreich sein (aber auch ein Faulbett; vgl. „Dutch Disease“), Bevölkerungswachstum erhöht die Wirtschaftsleistung, aber in der Regel nicht das Pro-Kopf-Einkommen. In der alten exogenen oder neoklassischen Wachstumstheorie fiel dieser Fortschritt wie „Manna vom Himmel“, geschenkt von einer anderen Macht, in dem Tempo, das dieser beliebt.

Die „endogene“ Wachstumstheorie, die von Romer entscheidend geprägt wurde, verwandelt das Gottesgeschenk in ein menschliches Produkt. Die Akteure und Institutionen des Wirtschaftssystems, Marktformen, Wettbewerb, die Offenheit der Märkte sowie der Staat bestimmen zusammen das Wachstumstempo.3 Triebkraft ist das Gewinnstreben der Wirtschaftssubjekte, gesteuert durch „Rahmenbedingungen“, nicht durch die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden. Instrumente sind Humankapital und neue Ideen. Im Gegensatz zum physischen Kapital haben sie keine abnehmenden Grenz­erträge, verlieren durch Nutzung nicht ihren Wert, sondern gewinnen. Humankapital ist eine beeinflussbare und veränderbare Größe. Modelle in der modernen Wachstumstheorie werden oft mathematisch komplex und mit unrealistischen Annahmen (über Gleichgewichte, die im Sekundentakt erreicht werden) versehen. Aber Romer hat mit seiner innovativen Modellklasse ermöglicht, dass viele Situationen modelliert werden können, wenn Vorleistungen sowie Zwischenprodukte heterogen sind. Alles wird gestaltet von optimierenden Wirtschaftssubjekten, nicht mehr von Gott.

Wohin die Reise geht

Der Erfolg der neuen nun endogenen Theorie wird gemessen an der produzierten Menge, am Wachstum des BIP pro Kopf. Hier kann Qualität berücksichtigt werden, nicht aber Dinge, die keinen Marktpreis haben. Freizeit, Lebenserwartung, Zufriedenheit, Gesundheit und andere Komponenten von Wohlfahrt sind ausgeschlossen. Das ist nicht leicht zu ändern, weil es ja Ziel ist zu erklären, wie die Technologie das Wachstumstempo bestimmt. Problematisch ist, dass die Basismodelle der endogenen Wachstumstheorie agnostisch bezüglich der Richtung des technischen Fortschritts sind. Implizit wird der technische Fortschritt mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität gleichgesetzt. Energie- und Rohstoffproduktivität werden in der Regel nicht beachtet. Das entspricht der Priorität der Wirtschaftspolitik heute, vor allem den Anstieg der Arbeitsproduktivität zu forcieren, was angesichts von Arbeitslosigkeit und Ungleichheit nicht optimal ist. Zur Begrenzung der Klimaerwärmung wäre es besser, wenn die Nutzung fossiler Energie und der Rohstoffverbrauch relativ zum Output stark sinken würden. Arbeitsproduktivität erzeugt ebenso wie Rohstoffproduktivität einen Verteilungsspielraum (Wohlfahrtspotenzial), aber erhöht auch den Wachstumszwang. Wenn die Arbeitsproduktivität um 3 % steigt, muss das Bruttoinlandsprodukt um 3 % wachsen, damit die Beschäftigung nicht zurückgeht. Eine kräftige Erhöhung der Ressourcenproduktivität (inklusive Energieeffizienz) ist die Voraussetzung für die Reduktion der Treibhausgase um 80 %, wie sie von 190 Ländern im Vertrag von Paris (COP 21) versprochen wurde, um die Klimaerwärmung auf maximal 2° C zu begrenzen.

Kasten 1
Paul M. Romers Beiträge zur ökonomischen Forschung (Auswahl)

P. M. Romer: Increasing Returns and Long-Run Growth, in: Journal of Political Economy, 94. Jg. (1986), H. 5, S. 1002-1037.

P. M. Romer: Growth based in Increasing Returns to Specialization, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, 77. Jg. (1987), H. 2, S. 56-62.

P. M. Romer: Endogenous Technological Change, in: Journal of Political Economy, 98. Jg. (1990), H. 5, S. S71-S102.

P. M. Romer: Two Strategies for Economic Development: Using Ideas and Producing Ideas, in: Proceedings of the World Bank Annual Conference of Development Economics, 1992, Washington DC 1993.

P. M. Romer: New Goods, Old Theory, and the Welfare Costs of Trade Restrictions, in: Journal of Development Economics, 43. Jg. (1994), H. 1, S. 5-38.

P. M. Romer: Preferences, Promises, and the Politics of Entitlement, in: V. R. Fuchs (Hrsg.): Individual and Social Responsibility: Child Care, Education, Medical Care, and Long-Term Care in America, Kapitel 7, Chicago 1996.

C. I. Jones, P. M. Romer: The New Kaldor Facts: Ideas, Institutions, Population, and Human Capital, in: American Economic Journal: Macroeconomics, 2. Jg. (2010), H. 1, S. 224–245.

P. M. Romer: The Mathiness in the Theory of Economic Growth, in: American Economic Review, 105. Jg. (2015), H. 5, S. 89-93.

Technischer Fortschritt müsste „umgelenkt“ werden,4 von der heute im Mittelpunkt stehenden Arbeitsproduktivität zur Einsparung von Ressourcen. Dies könnte und sollte in einer endogenen Wachstumstheorie berücksichtigt werden. Preise von Inputs und Lenkungssteuern auf Produkte, aber auch Institutionen und Innovationspolitik können einen Beitrag liefern.5 In der Wirtschaftspolitik hat der Umdenkprozess begonnen und ist mit den „Beyond-GDP-Konzepten“ und den „Sustainable Development Goals“ eingetreten. In den Modellen könnte die Zielgröße etwa durch Abzüge und Zuzählungen zum BIP geändert oder durch ein Zielbündel ersetzt werden.

Charter Cities in der Wüste

Abseits der Modellwelt beweist Romer sein Interesse an gesellschaftlichen Veränderungen und Armutsbekämpfung mit seinem Vorschlag, in instabilen, wirtschaftlich rückständigen Ländern Sonderwirtschaftszonen nach dem Vorbild von China einzurichten.6 Lange ein Stiefkind der Globalisierung, wird Afrika wegen seines Rohstoffreichtums und der stark wachsenden und jungen Bevölkerung heute ein hohes Wachstumspotenzial zugesprochen. Das Wachstum wird aber durch interne Konflikte, Diktaturen und Korruption behindert, ebenso durch fehlende Industrialisierung und Technologie. Ein schneller Aufbau von Infrastruktur, Handelswegen und Firmengründungen kann nicht erwartet werden. Die Rahmenbedingungen sind brüchig und unattraktiv für internationale Investoren. Romer schlägt deswegen vor, in heute unbewohnten Gebieten Grundstücke zu erwerben und darauf Charter Cities zu gründen. Hierbei soll die jeweilige Regierung des Staates ein Stück unbesiedeltes Land auswählen und an ein ausländisches Land abgeben und unter deren Legislative, Judikative und Exekutive stellen. Es wäre natürlich auch denkbar, diese Fläche an supranationale Gebilde wie die EU oder auch die Vereinten Nationen zu geben, die dann den entsprechenden rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmen setzen und garantieren müssten. Aus den Charter Cities könnten in relativ kurzer Zeit Städte und Wirtschaftszentren mit einer Bevölkerung von 10 Mio. Personen werden. In Charter Cities können schneller und gezielter Regeln und Institutionen geändert werden, auch innerhalb eines Landes mit instabiler Regierung und schlechten Institutionen. Diese Zonen würden dann rasch wachsen, zu Millionenstädten werden und auf die übrigen Landesteile ausstrahlen, wie Hongkong und Shenzen in Ostasien.

Die Zentren sollten unter dem Schutz der Vereinten Nationen stehen, Partnerschaften mit Industrieländern und Beobachtung durch internationale Organisationen seien notwendig, damit die neuen Regeln konsequent angewendet werden, und die notwendige Sicherheit für Investoren erreicht wird. Beeindruckend und richtig scheint das Argument von Romer zu sein, dass in neuen Zonen Regeln akzeptiert würden, die in anderen Regionen nie Zustimmung finden würden, wie etwa Knappheitspreise für den Verkehr (Zonenmaut, „congestion pricing“).

Der Zusammenhang zwischen der Idee der Charter Cities und den endogenen Wachstumsmodellen ist schwer zu erkennen. Er könnte darin liegen, dass immer dann ein kräftiges sich selbstverstärkendes Wachstum entsteht, wann immer ein Pfad konsequent und mit voller Energie eingeschlagen wird. Und Erfolg wächst in Charter Cities wie auch in Wachstumsmodellen mit der Offenheit der Märkte: Charter Cities mit neuen Regeln strahlen in die Nachbarschaft aus und Wachstumszentren werden immer größer.

Das Potenzial kann gehoben werden

Die Kritik beginnt mit dem Vorwurf des Neokolonialismus, weil Territorien erworben werden, auf denen dann „amerikanische Multis“ ungehindert mit billigen Arbeitskräften produzieren können.7 Zudem wird das Charter-City-Konzept als paternalistisch kritisiert, weil es davon ausgeht, dass Entwicklungsländer sich nicht selbst helfen können.8 Es könnte auch in die Nähe von Verträgen gestellt werden, die autokratische Regime dafür bezahlen, dass sie Flüchtlinge in Lagern internieren und ihre Weiterreise nach Europa verhindern (Beispiel Türkei).

Viele dieser Punkte sind berechtigt, sie werden auch gegen das Konzept von Marshallplänen für Afrika eingebracht, mit denen internationale Organisationen oder beispielsweise die deutsche Bundesregierung Afrika „helfen“ wollen.9 Aber die Kritik ist überzogen. Es geht darum, wie man Wachstum unter extrem ungünstigen Rahmenbedingungen in Ländern mit Armut, Bevölkerungsexplosion, fehlender Industrie und ineffizienter Landwirtschaft starten kann. In vielen Ländern sind gleichzeitig die politischen Systeme instabil, korrupt und undemokratisch, Stammeskonflikte und Kriegshandlungen flammen immer wieder auf.

Wichtig wäre es bei Vorschlägen für Charter Cities und Marshallplänen zu erkennen, dass viele Entwicklungsländer und besonders die Afrikanische Union selbst Konzepte entwickelt haben,10 die menschlichen und natürlichen Ressourcen besser zu nutzen und politische Stabilität zu schaffen.11 Es wäre auch zu verlangen, dass die USA und Europa zuerst die Hindernisse beseitigen, mit denen sie noch heute die Entwicklung in den betroffenen Ländern bremsen und zu politischen Konflikten und Krisen beitragen: dazu zählen Waffenexporte, durch Subventionen verbilligte Agrarprodukte, Mithilfe beim illegalen Kapitalexport. Alle diese Interventionen übertreffen quantitativ die sogenannte „Entwicklungshilfe“ (Official Development Assistance – ODA). Internationale Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds könnten hier viel mehr Aufklärung leisten und Druck erzeugen. Dies gilt auch für ökonomische „Chefberater“, die unabhängiger als leitende Direktoren sind und kontraproduktive Aktivitäten und Interventionen der Industrieländer kritisieren können.

Der Import von Technologien kann ein Vorteil sein, aber die importierten Technologien müssen auf ihre Anwendbarkeit unter anderen Umständen überprüft und dann modifiziert werden.12 Breite und anwendungsorientierte Ausbildung sind eine Grundbedingung, die auch in Charter Cities im Vordergrund stehen sollte. Wieder ist die Richtung des technischen Fortschritts nicht gleichgültig. Arbeitsproduktivität ist nicht das Ziel. Das Wichtigste ist vielmehr Ressourcenschonung, Nutzung erneuerbarer Energie, Verbesserung der Institutionen und der Governance. Charter Cities sollten Experimentierlabors für neue Technologien und soziale Innovationen sein, Experimente sind wichtiger als fertige Konzepte von internationalen Ökonomen und Organisationen.

Partnerschaften mit anderen Ländern erzeugen Glaubwürdigkeit für Investoren, doch es sollten Partnerschaften auf Augenhöhe sein. Konzepte müssen in den Entwicklungsländern entworfen werden. Starthilfe bei Bildung und Finanzierung von Schulen könnten der Beitrag der Industrieländer sein. Die Programme sollten gemeinsam von den Zielländern, von internationalen Organisationen, von der Zivilgesellschaft des Landes, aber auch von Ex-Patriots kontrolliert werden.13 Sonderzonen sollten befristet sein, sie sollen von Akteuren und Zivilgesellschaft in dem Land, in dem sie liegen, mitgestaltet werden und sie sollen nicht nur für den Export arbeiten. Bei Stabilisierung der Lage müssen sie in die Verwaltung des Landes zurückgegeben werden.

Vom Theoretiker zum Politikberater

Romers theoretische Arbeit ist bahnbrechend, er hat die Wachstumstheorie revolutioniert, indem er das Tempo des technischen Fortschritts erklärt hat. Die neue endogene Theorie erkennt Investitionen in Humankapital als wichtiger als Infrastrukturinvestitionen. Den Umstieg von materiellen Investitionen zu immateriellen haben viele Keynesianer, aber auch Anhänger des Harrod-Domar-Modells noch nicht geschafft. Die EU fördert in Südeuropa einseitig „Autobahnen in das Nichts“ und „Kathedralen in der Wüste“ und forciert praxisnahe Ausbildung und Gründungszentren zu wenig.14 Ein Fehler der endogenen Theorie bleibt, dass der technische Fortschritt unabhängig von seinem Einfluss auf Lebensqualität, Ungleichheit und Klima modelliert wird. Die Vergabe des Nobelpreises gleichzeitig an einen Umweltökonomen ist daher ein guter, aber nicht als solcher begründeter Schachzug der Vergabekommission. Gesellschaftliche Zielsetzungen von Lebensqualität bis zu Nachhaltigkeit verschwinden bei Romer hinter mathematischer Perfektion.15

Mit dem Wechsel in die Weltbank hat Romer den Versuch unternommen, sein Wissen in der internationalen Politik und besonders in Ländern mit Entwicklungsbedarf anzuwenden. Mit dem Vorschlag von Charter Cities hat er eine vielleicht etwas naive Kopie des chinesischen Erfolgsweges versucht, ohne zu erkennen, dass

  1. die Entwicklungsländer eine eigenständige Entwicklung wünschen und dafür auch Konzepte haben;16
  2. sie Technologien führender Länder nicht kopieren, sondern modifizieren müssen;
  3. nicht fertige Ideen das wichtigste sind, sondern die Fähigkeit, Ideen zu entwickeln, wenn sie dauerhaftes, hohes und wohlfahrtsorientiertes Wachstum wollen;
  4. die Richtung des technischen Fortschritts nicht gleichgültig ist, sondern Fortschritt an der Lebensqualität und an den Grenzen des Planeten gemessen werden sollte.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass Europa durch seine Vergangenheit als Kolonialmacht und die USA durch militärische Interventionen und die Gestaltung der Globalisierung durch ihre Konzerne nicht mit fertigen Konzepten willkommen sind, sondern sich den Status der „Partnerschaft auf Augenhöhe“ erst schrittweise erarbeiten müssen.

Der Wunsch für die dritte Phase

Romer hat als mathematisch orientierter Nationalökonom die Wissenschaft revolutioniert. Die endogene Wachstumstheorie ist trotz mancher Übertreibung und „hektischer“ Gleichgewichtssuche eine große Innovation. Der technische Fortschritt, der unser Leben entscheidend verbessert, wird aus dem Verhalten von Firmen, Institutionen und Individuen erklärbar, auch wenn in der Regel nicht modelliert wird, ob er sozialen und ökologischen Zielen dient. Mit dem Abstecher in die politische Position als Chefökonom der Weltbank hat Romer gezeigt, dass er sein Wissen auch anwenden will. Mit der Idee der Charter Cities hat er eine kreative Option für eine scheinbar ausweglose Situation aufgezeigt. Sie müsste allerdings stärker die endogenen Kräfte der betroffenen Regionen einbeziehen. Konzepte dafür sind vorhanden, ebenso die Kritik an der Entwicklungshilfe des alten paternalistischen Typus.

Mit dem Nobelpreis könnte eine dritte Phase in der Tätigkeit von Romer beginnen, nach der reinen Theorieorientierung und dem etwas holprigen Einstieg in die Wirtschaftspolitik. In dieser Phase könnten von ihm selbst oder von der von ihm beeinflussten wissenschaftlichen Gemeinschaft gesellschaftliche Ziele und partnerschaftliche Prozesse stärker in die Modelle eingebaut werden. Politische Sensibilität und gemeinsame Arbeiten oder Forschung in Entwicklungsländern könnten den kreativen Vorschlägen zu breiterer Akzeptanz verhelfen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zu einer wohlfahrtsorientierten Wirtschaftspolitik, die auch Ungleichheit, Klimawandel und breitere Nachhaltigkeitsziele in Industrie- und in Entwicklungsländern einbezieht. Diesen Weg haben andere Nobelpreisträger von Paul Samuelson bis Kenneth Arrow vorgezeigt.

* Der Autor dankt Fritz Breuss, Gerhard Clemenz, Jesus Cuaresmo Crespo, Gunther Tichy, Fabian Unterlass, Serguei Kaniovski für Kritik, und Irene Langer und Rainer Brunnauer für wissenschaftliche Assistenz.

  • 1 Royal Swedish Academy of Sciences: Economic Growth, Technological Change, and Climate Change, Scientific Background on the Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2018, Stockholm 2018.
  • 2 P. M. Romer: Increasing Returns and Long-Run Growth, in: Journal of Political Economy, 94. Jg. (1986), H. 5, S. 1002-1037; P. M. Romer: Growth based in Increasing Returns to Specialization, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, 77. Jg. (1987), H. 2, S. 56-62; P. M. Romer: Endogenous Technological Change, in: Journal of Political Economy, 98. Jg. (1990), H. 5, S. S71-S102.
  • 3 Für einen Überblick vgl. P. Aghion, P. Howitt: Endogenous Growth Theory, Cambridge MA 1998.
  • 4 Für einen breiten wirtschaftspolitischen Ansatz (redirecting technical progress) vgl. K. Aiginger: New Dynamics for Europe: Reaping the Benefits of Socio-ecological Transition, WWWforEurope Executive Summary, Wien, Brüssel 2016, http://Synthesis-Summary.foreurope.eu (7.11.2018). Wie der technische Fortschritt in verschiedene Richtungen gelenkt werden kann, analysieren Acemoglu et al. mit Modellen, die auf Romer basieren, vgl. D. Acemoglu: Directed Technical Change, in: Review of Economic Studies, 69. Jg. (2002), H. 4, S. 781-809; D. Acemoglu, P. Aghion, L. Bursztyn, D. Hemous: The Environment and Directed Technological Change, in: American Economic Review, 102. Jg. (2012), H. 1, S. 131-166. Lohnquote und Ungleichheit sind hier von der Substitutionselastizität zwischen hoch qualifizierter und unqualifizierter Arbeit abhängig und technische Innovationen können auf grüne Technologien (unter anderem durch staatliche Eingriffe) umgelenkt werden.
  • 5 Ein explizit als Erweiterung des Modells von Romer bezeichnetes endogenes Wachstumsmodell präsentieren Van Ton und Yetkiner, vgl. A. Van Ton, I. H. Yetkiner: An endogenous growth model with embodied energy-saving technical change, in: Review of Energy Economics, 25. Jg. (2003), H. 1, S. 81-103. Sie modellieren den Energieverbrauch als Zwischenprodukt, das durch energiesparende Innovationen heterogen wird. Wenn reale Energiepreise steigen, sinkt das Wachstumstempo. Wenn allerdings die mit steigenden Preisen verbundenen Steuereinnahmen für eine Förderung von Innovationen verwendet (recycled) werden, dann können Wachstum und Energieeffizienz steigen. Die Schlussfolgerung, dass nachhaltiges Wachstum durch eine Kombination einer aktiven Energie- und Innovationspolitik möglich ist, zeigt das Potenzial, das durch Erweiterung der Modelle von Romer zu heben ist.
  • 6 P. M. Romer: Why the World needs Charter Cities, TED-Konferenz, 2009.
  • 7 A. Chakrabortty: Why our jobs are getting worse, in: The Guardian vom 31.8.2010.
  • 8 J. Pennekamp: Der Stadtplaner als Welt-Retter, in: Handelsblatt vom 12.5.2010; J. Shikwati: Africa‘s development has to come from inside of Africa, in: Deutsche Welle vom 13.9.2017, http://www.dw.com/en/james-shikwati-africas-development-has-to-come-from-inside-of-africa/a-40482899 (7.11.2018).
  • 9 F. J. Radermacher: Global Marshall Plan, Ökosoziales Forum Europa, Wien, September 2004; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Afrika und Europa – Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft, Bonn 2017; Senat der Wirtschaft: Migration, Nachhaltigkeit und ein Marshall Plan mit Afrika, University of Ulm (in cooperation with the Club of Rome), 2016, http://www.faw-neu-ulm.de/wp-content/uploads/2016/11/2016-11-Denkschrift-Bundesregierung-kurz.pdf (7.11.2018). Für das Entwicklungspotenzial Afrikas vgl. auch Internationaler Währungsfonds: Africa Rising: Building to the Future, http://www.africa-rising.org/ (7.11.2018); und World Economic Forum: The future of jobs and skills in Africa: Preparing the region for the fourth industrial revolution, Genf, Mai 2017, http://www3.weforum.org/docs/WEF_EGW_FOJ_Africa.pdf (7.11.2018), wo die Chancen Afrikas in der „vierten industriellen Revolution“ analysiert werden.
  • 10 African Union: Agenda 2063, Addis Abeba 2018.
  • 11 Vgl. P. Collier: Let‘s stop preaching to Africa, in: Deutsche Welle vom 28.12.2016; S. Franks: Stereotyping Africa: from impoverishment to „Africa Rising“, City of London University, https://www.city.ac.uk/news/2015/october/stereotyping-africa-from-impoverishment-to-africa-rising (7.11.2018); K. Hughes: EU-Africa relations: Strategies for a renewed partnership, Friends of Europe, Mai 2017, http://www.friendsofeurope.org/sites/default/files/media/uploads/2017/05/Friends-of-Europe-EU-Africa-report-FINAL.pdf (7.11.2018); K. Aiginger: Die Globalisierung verantwortungsbewusst und europäisch gestalten, Policy Crossover Center: Vienna – Europe, Policy Brief, Nr. 2, 2017; K. Aiginger: European Partnership Policy: Fostering dynamics and fighting root causes of flight, Policy Crossover Center: Vienna – Europe, Policy Brief, Nr. 3, 2017.
  • 12 Romer wirft die Frage auf, ob es für Entwicklungsregionen erfolgreicher sei, Ideen zu importieren oder selbst zu produzieren. Als Erfolgsbeispiel für den Import von Ideen (ohne hohen Bedarf an Investitionen) nennt er Mauritius. Das Gegenbeispiel ist Taiwan, das mit teilweisen Importrestriktionen und aktiver Industriepolitik eigene Technologien entwickelt oder importierte weiterentwickelt hat. Diese Idee kann auch mit der Idee der Umlenkung des technischen Fortschritts verbunden werden. Die Adaption der Technologien durch das Entwicklungsland sollte stärker lokale Gegebenheiten berücksichtigen (Verfügbarkeit von Arbeit und Potenzial für dezentrale erneuerbare Energie und alternative landwirtschaftliche Methoden), vgl. P. M. Romer: Two Strategies for Economic Development: Using Ideas and Producing Ideas, in: Proceedings of the World Bank Annual Conference of Development Economics 1992, Washington DC 1993.
  • 13 K. Aiginger, H. Handler: Fostering a dynamic and stable neighborhood for Europe, in: Review of Economics & Finance, 14. Jg. (2018), H. 2, S. 39-54.
  • 14 Auch in der Fiskalpolitik erlaubt die Goldene Regel Budgetdefizite, wenn sie für physische Investitionen ausgegeben werden, während Industrieländer eher durch immaterielle Investitionen das Wachstum beschleunigen, vgl. K. Aiginger: Silberne statt Goldene Regel: Kritik und Ergänzung zum „Investitionsplan“ für Europa, Ökonomenstimme vom 5.12.2014, http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2014/12/silberne-statt-goldene-regel-kritik-und-ergaenzung-zum-investitionsplan-fuer-europa/ (7.11.2018).
  • 15 Romer kritisiert die Dominanz der Mathematik in P. M. Romer: The Mathiness in the Theory of Economic Growth, in: American Economic Review, 105. Jg. (2015), H. 5, S. 89-93.
  • 16 Vgl. African Union, a. a. O.

Title:Explaining Speed But Not Direction – A Critical Evaluation of Two Important Contributions by Nobel Laureate Paul M. Romer

Abstract:The prize honours the ground-breaking theoretical contribution of Paul M. Romer who found that the speed of growth is no longer exogenous but depends on economic forces. The drivers of growth are human capital, ideas and innovation; these differ from conventional goods due to the fact that their effect is not limited by decreasing returns, but rather grows with use. Romer‘s model, and practically all models of endogenous growth theory, do not differentiate whether technical progress is labour or resource saving – a distinction that makes an important difference in welfare and climate policy. In his policy agenda, Romer proposes creating “charter cities” to stimulate growth in countries with unstable governments, as in the East Asia example. While this could rapidly reduce poverty, it is important to pay attention to the adaption of imported technologies to local preferences and ownership of the developing regions.


DOI: 10.1007/s10273-018-2367-7

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