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Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist es zu einer grundlegenden Veränderung von Narrativen hinsichtlich der Gewinnerzielung von Unternehmen gekommen. Dabei wurde die neoklassische Grundidee, dass Unternehmen nach Gewinnmaximierung streben, in den Anspruch auf eine Mindesteigenkapitalrendite entsprechend dem Marktdurchschnitt transformiert. Dieser narrative Wandel trug wesentlich dazu bei, dass Kapitalmärkte an Bedeutung gewannen und Wertzuwächse verzeichnen konnten, die das Wachstum der Wirtschaftsleistung deutlich überstiegen.

„Narrative Economics“ hat sich in jüngster Zeit als neuer Ansatz zum Verständnis ökonomischer Entwicklungen, vor allem in Krisenzeiten, etabliert. So legte Robert Shiller in seiner „Presidential Address“ bei der American Economic Association Anfang 2017 dar, dass ökonomische Prozesse oft weniger durch die Fakten an sich beeinflusst werden, als durch sogenannte „Narratives“, d. h. Bilder und Interpretationen, die anhand der Fakten entstehen.1 Auch der ehemalige Governor der Bank of England, Mervin King, betonte, dass die Art und Weise, wie ökonomische Zusammenhänge in der Öffentlichkeit diskutiert werden, Rückwirkungen auf die Realität haben kann.2 Als Beispiele nannte Shiller insbesondere öffentliche Diskussionen während der Krisen der Jahre 1929 ff. sowie 2007 ff., die er als wesentliche Krisenverstärker identifizierte. Folgt man dieser Sichtweise, so empfiehlt es sich, zum besseren Verständnis der jüngsten Finanzmarktkrise auf die Jahre vor Krisenbeginn zu schauen, um im Bereich der damals vorherrschenden Narrative nach Krisenursachen zu forschen.

Shareholder Value und Eigenkapitalkosten

Im Hinblick auf öffentlichkeitswirksame Narrative im Vorfeld der jüngsten Krise fällt insbesondere eine Sichtweise auf, die seit den 1990er Jahren weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat: der sogenannte Shareholder-Value-Ansatz. Dieser Ansatz sieht die Maximierung des Unternehmenswerts im Interesse der Aktionäre als finale Aufgabe des Managements an, wurde in den 1980er Jahren in den USA maßgeblich von Alfred Rappaport entwickelt und wird seitdem weltweit propagiert.3 Die Berechtigung einer ausschließlichen Orientierung der Unternehmenspolitik am Shareholder Value ist in der Fachliteratur kontrovers diskutiert worden und soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.4 Stattdessen wird in diesem Beitrag ein anderer Schwerpunkt gelegt, der sich auf einen Teilaspekt des Shareholder-Value-Ansatzes konzentriert, und zwar auf die Ermittlung der Wertschöpfung von Unternehmen und deren Auswirkung auf handlungsleitende Narrative.

Eng mit dem Shareholder-Value-Denken ist die ebenfalls von Rappaport formulierte Ansicht verbunden, dass eine positive Wertschöpfung durch ein Unternehmen erst dann vorliege, wenn der Gewinn die Kosten des Eigenkapitals übersteige.5 Ein verbreitetes Instrument zur Messung dieser Wertschöpfung ist der sogenannte Economic Value Added (EVA), der als Differenz zwischen dem Unternehmensergebnis (Net Operating Profit After Tax, NOPAT) und den Kapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital, WACC) definiert wird:6

EVA = NOPAT – WACC.

Da sich die WACC aus den Eigen- und Fremdkapitalkosten zusammensetzen und lediglich die Kosten des Fremdkapitals vertraglich fixiert sind, stellt sich die Aufgabe einer kalkulatorischen Ermittlung der Zinsen für das Eigenkapital. Dabei wird regelmäßig ein Renditeanspruch der Aktionäre zugrunde gelegt, der im Sinne von Opportunitätskosten auf der Grundlage einer hypothetischen Alternativanlage am Kapitalmarkt ermittelt wird. Zu diesem Zweck wird argumentiert, die Aktionäre würden ihr Geld dem Unternehmen nur dann zur Verfügung stellen, wenn sie als Entgelt mindestens die durchschnittliche Kapitalmarktrendite zuzüglich einer Kompensation für die unternehmensspezifischen Risiken erhalten würden.

Die genaue Ermittlung folgt zumeist der Logik des sogenannten Kapitalgutpreismodells (Capital Asset Pricing Model), wobei die Eigenkapitalkosten (iEK ) anhand eines risikofreien Zinssatzes (i0 ), der durchschnittlichen Marktrendite eines optimal diversifizierten Aktienportfolios (iM ) sowie eines unternehmensspezifischen Beta-Faktors (β) berechnet werden.7 So wird die als Kapitalkosten interpretierte Eigenkapitalrendite folgendermaßen ermittelt:

iEK = i0 + β (iM - i0 ).

Der Beta-Faktor beschreibt dabei das unternehmensspezifische Risiko, gemessen durch die Volatilität des Aktienkurses des jeweiligen Unternehmens in Relation zum Gesamtmarkt.

In der Praxis findet der dargelegte Ansatz vor allem als Controlling-Instrument Verwendung, um im Sinne einer sogenannten „wertorientierten Unternehmenssteuerung“ Aussagen darüber zu treffen, ob einzelne Unternehmensbereiche rentabel wirtschaften bzw. Investitionen Erfolg versprechen.8 Dabei wird die Handlungsempfehlung zugrunde gelegt, dass Unternehmensbereiche, die ihre Kapitalkosten nicht erwirtschaften, geschlossen werden sollten. Verfügbares Kapital sollte stattdessen für Investitionen am Kapitalmarkt oder Rückkäufe eigener Aktien zwecks Steigerung des Börsenwerts im Interesse der Aktionäre eingesetzt werden. In dieser Logik wird der EVA oftmals als Grundlage für die Vergütungspolitik herangezogen.9 So müssen Manager, deren Geschäftsbereiche nach Abzug der Kapitalkosten ein negatives Betriebsergebnis aufweisen, mit einem Verlust ihrer Boni rechnen.

Eigenkapitalkosten als handlungsbestimmendes Narrativ

Die Aussage, dass von Wertschöpfung erst dann gesprochen werden kann, wenn das Betriebsergebnis die Eigenkapitalkosten übersteigt, stellt seit den 1990er Jahren ein zentrales Narrativ für die Kommunikation innerhalb von Unternehmen, aber auch in der Öffentlichkeit dar. So stehen Unternehmen, die „ihre Kapitalkosten nicht verdienen“, regelmäßig am Pranger der Wirtschaftspresse, wobei der Vorwurf erhoben wird, sie vernichteten das Geld ihrer Investoren.10

Auf den ersten Blick handelt es sich bei diesem Ansatz um eine Weiterentwicklung der Feststellung, dass Eigenkapitalgeber eine Rendite erwarten, die oberhalb des risikofreien Zinssatzes liegt und als Kompensation für das eingegangene Haftungsrisiko dient. Dieser Grundsatz wurde aus nationalökonomischer Perspektive unter anderem von Alfred Marshall formuliert und fand in der Folgezeit auch Eingang in das neu entstandene betriebswirtschaftliche Schrifttum.11 So galt es als Grundlage der Wirtschaftlichkeitsrechnung, dass jeder Betrieb und jede geplante Investition eine Mindestverzinsung erwirtschaften mussten. Dabei dominierte lange Zeit der durchschnittliche Fremdkapitalzins als Mindestvorgabe, wie ein Blick in die BWL-Literatur der Nachkriegszeit zeigt.12 So schlug Günter Wöhe, dessen „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ für viele Jahrzehnte zum Klassiker unter den BWL-Lehrbüchern avancieren sollte, in der ersten Auflage (1960) den Ansatz des „landesüblichen Zinses“ zur Ermittlung der kalkulatorischen Zinsen für das gesamte betriebsnotwendige Kapital vor.13 Die Abdeckung unternehmerischer Risiken sollte gemäß Wöhe ausschließlich durch Wagniszuschläge auf anderen Ebenen der Kalkulation erfolgen. Diese Sichtweise findet sich bis zur 10. Auflage des Wöhe-Lehrbuchs (1970) wieder. Danach legte Wöhe die Konditionen einer „optimalen Alternativanlage“ zugrunde, wobei er der realistischen Ermittlung dieser Alternativen eine große Bedeutung beimaß. So zog er als Vergleichsmaßstab vorzugsweise eine Investition am Immobilienmarkt heran.14 Erst mit der 19. Auflage im Jahr 1996 hielt dann die Ermittlung der Eigenkapitalkosten nach dem Capital-Asset-Pricing-Modell Einzug in diesen Klassiker der BWL-Literatur.15

So verwundert es nicht, dass der Propagierung kapitalmarktorientierter Controlling-Instrumente anfangs in akademischen Debatten großer Widerstand entgegenschlug. Dieter Schneider, Autor eines vielfach aufgelegten Lehrbuchs zu Investition und Finanzierung, wehrte sich energisch gegen „Quacksalbereien wie EVA und WACC“, wobei er unter anderem den Ansatz von Eigenkapitalkosten anhand kapitalmarkttheoretischer Kalküle kritisierte.16 Auch Harald Wedell, ein anderer Lehrbuchautor, unterzog den Ansatz von Opportunitätskosten für das eingesetzte Eigenkapital lange Zeit einer sehr kritischen Analyse.17 Als er in späteren Auflagen seines Lehrbuchs auch den EVA-Ansatz darstellte, legte er großen Wert auf die Erläuterung, dass der Betriebserfolg nach dieser Sichtweise lediglich einen Übergewinn über alternative Nutzungen des verwendeten Eigenkapitals abbildet.18

Diese akademische Kritik änderte jedoch nichts daran, dass der EVA-Ansatz und das damit verbundene Eigenkapitalkostenverständnis in der Wirtschaftspresse und bei den Anlegern einen veritablen Siegeszug antraten. In der Praxis trugen vor allem große Unternehmensberatungsfirmen dazu bei, dass das Denken in den dargestellten Kategorien zunehmenden Anklang fand. So wurden immer mehr Unternehmen nach dieser Maßgabe umstrukturiert.19

Implikationen einer kapitalmarktorientierten Eigenkapitalkostenermittlung

Betrachtet man die normativen Implikationen dieses Wandels der Erfolgsrechnung, offenbart sich ein totaler Bruch mit der betriebswirtschaftlichen Theorie der ersten Nachkriegsjahrzehnte. So galt früher ein Unternehmen als erfolgreich, das seinen Kapitalgebern eine Rendite in Höhe des Marktniveaus bescherte. Aus Sicht des kapitalmarktorientierten Shareholder-Value-Denkens erwirtschaftet ein solches Unternehmen, sofern es eine ähnliche Anfälligkeit für Konjunkturschwankungen aufweist wie der Gesamtmarkt, hingegen eine Wertschöpfung von Null, da sich der Beta-Faktor für den Gesamtmarkt auf 1 beläuft, sodass die Marktrendite als Kosten des Eigenkapitals anzusetzen ist. Eine positive Wertschöpfung kann demnach erst dann entstehen, wenn die Eigenkapitalkosten, die anhand der durchschnittlichen Marktrendite gemessen werden, übertroffen werden.

Unter dem Deckmantel betriebswirtschaftlicher Rationalität konnte sich somit ein Narrativ durchsetzen, das allen Unternehmensbereichen, die in risikoadjustierter Betrachtung eine unterdurchschnittliche Eigenkapitalrendite aufweisen, laufend Wertvernichtung unterstellt. So wird die Schließung von Unternehmen bzw. Betriebsteilen nahegelegt, auch wenn diese aus Sicht der Gewinn- und Verlustrechnung Gewinne aufweisen. Dabei wird der Anschein erweckt, das gesamte Kapital, das momentan in unterdurchschnittlich rentierenden Unternehmensbereichen angelegt ist, könne jederzeit eine Rendite in Höhe des Marktdurchschnitts erwirtschaften. Ausgeblendet wird dabei unter anderem, dass dieser Marktdurchschnitt auf Unternehmensgewinnen beruht, zu denen auch die betroffenen Bereiche, wenn auch mit unterdurchschnittlichem Erfolg, beigetragen haben.

Deutlich wird diese Veränderung von Erfolgsnarrativen unter anderem anhand einer Äußerung von Ludwig Poullain, der von 1969 bis 1977 Vorstandsvorsitzender der Westdeutschen Landesbank (WestLB) war: „Ein Gewinn ist angemessen, wenn er die Finanzierung des Wachstums aus eigener Kraft sichert, eine Dividende auf dem Niveau aller DAX-Unternehmen ermöglicht und noch einen Schnaps höher liegt, um etwaige Risiken abzudecken.“20 Aus der Sicht eines modernen, am EVA oder ähnlichen Kennzahlen orientierten Unternehmensberaters wäre ein solches Unternehmen hingegen ein klarer Sanierungsfall mit einer Wertschöpfung von Null. Der Berater würde daher empfehlen, alle unterdurchschnittlich rentierenden Bereiche umzustrukturieren bzw. stillzulegen und freies Kapital für Finanzinvestitionen oder Aktienrückkäufe einzusetzen.

Ökonomische und ethische Auswirkungen

Der Wettbewerbsdruck, der auf diese Weise laufend erzeugt wird, erscheint aus wohlfahrtsökonomischer Sicht problematisch, da realwirtschaftlichen Investitionsmöglichkeiten eine hypothetische Wertentwicklung am Kapitalmarkt gegenübergestellt wird. Schließlich ist inzwischen deutlich geworden, dass Finanzmärkte keineswegs eine objektive Kalkulation gewährleisten, sondern regelmäßig zu Übertreibungen tendieren, wenn sich unter Investoren „irrationaler Überschwang“ breit macht.21 Wenn man also Eigenkapitalkosten auf der Basis von Finanzmarktdaten ermittelt, werden spekulative Annahmen zu einem vermeintlich objektiven Kalkulationsmaßstab.

Zudem ist diese Herangehensweise aus ordnungspolitischer Sicht fragwürdig, da ein grundlegender Unterschied zwischen Eigen- und Fremdkapital verbal nivelliert wird: die Haftungsfunktion des Eigenkapitals. Wer Renditeerwartungen von Eigenkapitalgebern als Kosten bezeichnet, ignoriert die zentrale volkswirtschaftliche Funktion des Eigenkapitals als Träger von Verlusten. Dieses Problem ist nicht nur begrifflicher Natur, denn es trägt dazu bei, dass sich bei Anlegern Renditeerwartungen bilden bzw. verfestigen können, die sich langfristig als überhöht erweisen und in Krisen abrupt korrigiert werden.

Darüber hinaus zeigt sich hier ein grundlegendes wirtschaftsethisches Problem: Als Immanuel Kant den Kategorischen Imperativ formulierte, brachte er die Verpflichtung des mündigen Individuums auf den Punkt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“22 Seitdem gilt das Postulat der Verallgemeinerbarkeit als Kernprinzip verantwortungsbewussten Handelns. Im Hinblick auf die Steuerung von Unternehmen ist unschwer festzustellen, dass die ursprüngliche Forderung nach einer Eigenkapitalrendite oberhalb der Fremdkapitalzinsen zwecks Kompensation unternehmerischer Risiken problemlos verallgemeinert werden kann. Daher bot unternehmerisches Handeln, das sich an dieser Zielsetzung orientierte, Raum für die Berücksichtigung legitimer Interessen anderer Stakeholder (Arbeitnehmer, Gesellschaft etc.). Demgegenüber lässt sich die Forderung nach risikoadjustierten Renditen oberhalb des Marktdurchschnitts prinzipiell nicht verallgemeinern. Dadurch ist zugleich eine Tendenz zur Maßlosigkeit vorgezeichnet, die das Risikobewusstsein der handelnden Akteure beeinträchtigen kann.23

Daher liegt es nahe, dass unternehmerisches Handeln gemäß dieser Forderung häufig zu Konflikten führt. Diese Konflikte können sich beispielsweise durch eine Verletzung der Ansprüche anderer Stakeholder (unter anderem mittels Lohndumping oder Steuervermeidung) oder das Ausblenden von Risiken manifestieren.

Konsequenzen für das Investitionsverhalten

Die dargelegten kapitalmarktorientierten Controlling-Instrumente führen zudem zu einer systematischen Verzerrung des Investitionsverhaltens zugunsten von Finanz­investitionen. Dies ergibt sich daraus, dass die durchschnittliche Kapitalmarktrendite als jederzeit erreichbare Benchmark angesehen wird und Investitionen in Sachkapital nur dann empfohlen werden, wenn deren prognostizierte Rendite diese Benchmark übertrifft. Wenn dadurch wiederum die Marktbewertungen von Unternehmen steigen, so entsteht ein Kreislauf aus steigenden Finanzinvestitionen und boomenden Aktienkursen, ohne äquivalenten Anstieg der tatsächlichen Wirtschaftsleistung. Selbst wenn die gestiegenen Aktienkurse durch den „Tobins q-Effekt“24 vermehrte Investitionsanreize bieten, sind diese Investitionen sofort mit der Anforderung konfrontiert, die durchschnittliche Kapitalmarktrendite zu übertreffen, was sich wiederum als realwirtschaftliches Investitionshemmnis erweist.

Somit überrascht es nicht, dass die kapitalmarktorientierte Unternehmenssteuerung seit den 1990er Jahren zunächst in den USA und später auch in Deutschland mit einer Auseinanderentwicklung des Wachstums der Aktienindizes und der tatsächlichen Wirtschaftsleistung, gemessen durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP), einhergegangen ist (vgl. Abbildungen 1 und 2).

Abbildung 1
Entwicklung von Aktienkursen und Wirtschaftsleistung in den USA
Index, 1975 = 100
Entwicklung von Aktienkursen und Wirtschaftsleistung in den USA

Index, 1975 = 100

Quellen: Federal Reserve Economic Data; Ariva.de.

Abbildung 2
Entwicklung von Aktienkursen und Wirtschaftsleistung in Deutschland
Index, 1975 = 100
Entwicklung von Aktienkursen und Wirtschaftsleistung in Deutschland

Quellen: Statistisches Bundesamt; Deutsche Börse.

Für dieses Auseinanderdriften wurden inzwischen zahlreiche Gründe benannt, wie beispielsweise ein gestiegenes Investorenvertrauen aufgrund der längeren zeitlichen Distanz zur Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre oder auch ein verändertes Sparverhalten zur Finanzierung der Altersvorsorge.25 Vor dem Hintergrund des Vordringens kapitalmarktorientierter Controlling-Instrumente während dieses Zeitraums liegt es nahe, auch hierin einen Grund für den überproportionalen Anstieg der Börsenindizes zu sehen.

Darüber hinaus führte die Tatsache, dass wirtschaftlicher Erfolg nunmehr ausschließlich an der Überbietung durchschnittlicher Kapitalmarktrenditen festgemacht wurde, dazu, dass es schwieriger wurde, dauerhafte Erfolge auszuweisen. Dementsprechend stiegen die Anreize, persönliche Erfolgsbeteiligungen umgehend zu sichern, idealerweise durch Boni, die sich primär am kurzfristigen Unternehmenserfolg orientierten. Damit einher ging eine Verkürzung des Zeithorizontes unternehmerischer Entscheidungen, die sich unter anderem in einer Reduzierung der durchschnittlichen Haltedauern von Wertpapieren und in einer verstärkten personellen Fluktuation in den Führungsetagen von Unternehmen widerspiegelte.26 Es erscheint daher wenig sachgerecht, dass ausgerechnet Rappaport, der Vordenker des Shareholder-Value-Ansatzes, in einer späteren Veröffentlichung dieses Kurzfristdenken vehement kritisierte.27

Fazit

Deutlich geworden ist, dass es im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer grundlegenden Veränderung von Narrativen hinsichtlich der Gewinnerzielung von Unternehmen gekommen ist. Dabei wurde die neoklassische Grundidee, dass Unternehmen nach Gewinnmaximierung streben, in den Anspruch auf eine Mindesteigenkapitalrendite entsprechend dem Marktdurchschnitt transformiert.28 Dieser narrative Wandel trug wesentlich dazu bei, dass Kapitalmärkte an Bedeutung gewannen und Wertzuwächse verzeichnen konnten, die das Wachstum der Wirtschaftsleistung deutlich überstiegen. Mit Blick auf die damit einhergehende Verkürzung des Zeithorizontes und die Schwankungsanfälligkeit von Kapitalmärkten ist diese Entwicklung ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich ökonomische Narrative in Stabilitätsrisiken verwandeln können.

* Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors dar.

  • 1 Vgl. R. Shiller: Narrative Economics, in: American Economic Review, 107. Jg. (2017), H. 4, S. 967-1004.
  • 2 M. King: The End of Alchemy: Money, Banking and the Future of the Global Economy, London 2016, S. 310-317.
  • 3 Vgl. A. Rappaport: Creating Shareholder Value. The New Standard for Business Performance, New York 1986.
  • 4 Ein kritischer Gegenentwurf wurde insbesondere mit dem sogenannten „Stakeholder“-Ansatz vorgelegt, vgl. z. B. B. L. Parmer, R. E. Freeman, J. S. Harrison, A. C. Wicks, L. Purnell: Stakeholder theory: the state of the art, in: The Academy of Management Annals, 4. Jg. (2010), H. 1, S. 403-445.
  • 5 Vgl. A. Rappaport, a. a. O., S. 50-77.
  • 6 Vgl. zum Folgenden unter anderem G. Wöhe, U. Döring: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, München 2013, S. 191 f.
  • 7 Vgl. ebenda, S. 526 f.
  • 8 Eine frühe Darstellung dieser Konzeption in der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Literatur: Arbeitskreis Finanzierung der Schmalenbach-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Betriebswirtschaft: Wertorientierte Unternehmenssteuerung mit differenzierten Kapitalkosten, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 48. Jg. (1996), S. 543-567.
  • 9 Vgl. z. B. H. Laux: Wertorientierte Unternehmenssteuerung und Kapitalmarkt. Fundierung finanzwirtschaftlicher Entscheidungskriterien und (Anreize für) deren Umsetzung, Berlin, Heidelberg 2006, S. 491-688.
  • 10 Vgl. z. B. N. Magnusson, F. Schwartzkopff: Beste Banken verdienen gerade mal die Kapitalkosten – Studie, in: Die Welt vom 26.8.2013.
  • 11 Vgl. A. Marshall: Principles of Economics, 8. Aufl., London 1920, S. 73.
  • 12 Vgl. z. B. E. Schmalenbach: Dynamische Bilanz, Köln 1962, 13. Aufl., S. 180 f.
  • 13 Vgl. G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Berlin, Frankfurt a. M. 1960, S. 311.
  • 14 Vgl. erstmals G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Berlin, Frankfurt a. M. 1973, 11. Aufl., S. 524-527.
  • 15 Vgl. G. Wöhe: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Berlin, Frankfurt a. M. 1996, 19. Aufl., S. 911-918.
  • 16 Vgl. D. Schneider: Wider ein Controlling mit EVA und WACC (Economic Value Added und Weighted Average Cost of Capital), in: O. A. Altenburger (Hrsg.): Rechnungswesen, Revision und Steuern, Bd. 2, Wien 2008, S. 47-66.
  • 17 Vgl. z. B. H. Wedell: Grundlagen des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens, Herne, Berlin 1993, 6. Aufl., S. 329-338.
  • 18 Vgl. H. Wedell, A. A. Dilling: Grundlagen des Rechnungswesens. Lehrbuch und Online-Training mit über 50 Aufgaben, Herne 2015, 15. Aufl., S. 302 f.
  • 19 Um die Jahrtausendwende herum war davon beispielsweise Siemens betroffen, vgl. dazu den Pressebericht von R. Kohn: Gehaltsrevolution bei Siemens, in: Financial Times Deutschland vom 23.3.2001.
  • 20 L. Poullain im Gespräch mit W. von Petersdorf: „Die Banker haben die Marktwirtschaft verraten“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 5.10.2008.
  • 21 Vgl. z. B. R. Shiller: Irrational Exuberance, Princeton, Oxford 2015.
  • 22 I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders.: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Darmstadt 1998 [1786], S. 51.
  • 23 Vgl. C. Hecker: Gier und ihre Gefahren – warum die Diskussionen um Managergehälter und Bankerboni keine Neiddebatten sind, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 20. Jg. (2019), H. 1, im Erscheinen.
  • 24 Vgl. W. C. Brainard, J. Tobin: Pitfalls in Financial Model Building, in: American Economic Review, 58. Jg. (1968), H. 2, S. 99-122.
  • 25 Vgl. R. Shiller: Irrational Exuberance ..., a. a. O., S. 39-100.
  • 26 Vgl. für Deutschland J. Beyer: Die Strukturen der Deutschland AG. Ein Rückblick auf ein Modell der Unternehmenskontrolle, in: R. Ahrens, B. Gehlen, A. Reckendrees (Hrsg.): Die „Deutschland AG“. Historische Annäherungen an den bundesdeutschen Kapitalismus, Essen 2013, S. 31-56.
  • 27 Vgl. A. Rappaport: Saving Capitalism From Short-Termism. How to Build Long-Term Value and Take Back Our Financial Future, New York 2011.
  • 28 Vgl. M. Schrooten: Entwicklung des deutschen Bankensektors: traditionelle Geschäftsfelder schrumpfen, in: Wirtschaftsdienst, 98. Jg. (2018), H. 8, S. 546-549.

Title:Narratives Matter! What Happens if Expected Rates of Return are Defined as Cost of Capital?

Abstract:Since the 1980s, the idea of maximising shareholder value has led to a change in the business policies of many companies based on the perception that each business unit has to earn its cost of equity as part of its overall cost of capital. Accordingly, value creation is only considered sufficient if rates of return are above average risk-adjusted returns of the stock market. This development has increased the relevance of financial markets for investment decisions as financial investments or share buy-backs became more attractive than investments in real capital.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2382-8