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Die Globalisierung schreitet voran und nimmt Einfluss auf die Einkommensverteilung zwischen Ländern und innerhalb von Ländern. Die Erforschung dieses Zusammenhangs hat sich weiterentwickelt und bietet verbesserte und nuanciertere Erklärungen als die frühen Ansätze von Adam Smith und David Ricardo, doch deren grundlegenden Einsichten in die Vorteile der globalen Arbeitsteilung bleiben unverändert relevant. Mit der Globalisierung 2.0 werden nicht mehr nur Endprodukte gehandelt. Die moderne Weltwirtschaft tauscht Komponenten, Zwischenprodukte und Dienstleistungen. Deren Produktionsstufen siedeln sich zumeist in qualifikationsärmeren Ländern an, was zu einer erhöhten Lohnungleichheit innerhalb der Länder führt. Jüngste Fortschritte in der internationalen Handelstheorie liefern ein weitergehendes Verständnis der Einflüsse auf die Einkommensverteilung.

Als Adam Smith seine grundlegende Arbeit über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen schrieb, ging es ihm nicht nur um die Verteilung des Wohlstands zwischen den Nationen, wie sein Buchtitel besagt, sondern auch um die Verteilung der Einkommen innerhalb der Nationen. Sein Argument für den Freihandel war, dass die globale Arbeitsteilung und die sich daraus ergebende Spezialisierung der Volkswirtschaften auf ihre Aktivitäten mit einem absoluten Vorteil das Pro-Kopf-Einkommen auf der ganzen Welt erhöht. Er veranschaulichte das Argument für die Spezialisierung mit dem Beispiel einer Fabrik, die Stecknadeln herstellt. In zeitgemäße Worte gefasst kam Smiths Inspiration für seine Unterstützung der globalen Arbeitsteilung vom internen Arbeitsmarkt eines örtlichen Arbeitgebers. Im einleitenden Kapitel seines Buchs, nur ein paar Absätze später, zog er dann das Beispiel des örtlichen Arbeitgebers und sein Argument zur Arbeitsteilung dazu heran, die Ungleichheit und Armut innerhalb von Nationen zu behandeln, und bot eine klare Schlussfolgerung: „Die erhebliche Vervielfältigung der Erträge aller verschiedenen Wirtschaftszweige, infolge der Arbeitsteilung, bringt in einer gut regierten Gesellschaft den universellen Reichtum hervor, der sich bis in die untersten Schichten des Volkes erstreckt.“1

Smiths Aussage berührt eine Reihe von Fragen, die den Diskurs über die Globalisierung bis heute betreffen. Die gerechte Verteilung der Wohlfahrtsgewinne aus dem internationalen Handel, einschließlich auf Personen mit niedrigerem Einkommen, ist keine ausgemachte Sache. Sowohl die jüngsten Fortentwicklungen der Handelstheorie als auch empirische Forschungsarbeiten kommen zu unterschiedlichen Vorhersagen. Interessanterweise hat Adam Smith selbst die Bedeutung sozialer Entscheidungen in einer „gut regierten Gesellschaft“ hervorgehoben. Mit anderen Worten, es kann aktive politische Interventionen erfordern, um sicherzustellen, dass sich der gewonnene Wohlstand tatsächlich bis auf die unteren Einkommensschichten erstreckt. Der Außenhandel verbessert den globalen Einsatz ungleich verteilter Technologien und Ressourcen. Letztlich liegen die globalen Unterschiede in Fertigungsverfahren und Ungleichheiten in Fertigungskenntnissen der Wohlstandsmehrung zugrunde, die durch internationale Spezialisierung und Handel entsteht. Zu den wichtigsten Ressourcen eines Landes zählen die Kenntnisse seiner Arbeitskräfte. Umgekehrt bestimmt die Ungleichheit der Erträge innerhalb der Länder, also die Verteilung der Einkommen und Einkommensrisiken, die soziale Akzeptanz des wirtschaftlichen Wandels und der Globalisierung. Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern ist daher eine zentrale Determinante der Globalisierung und wird ihrerseits von der Globalisierung geprägt.

Globale Ungleichheit

Während sich ein großer Teil des aktuellen öffentlichen Diskurses über die Globalisierung und Einkommensungleichheit auf Besorgnisse über die Einkommensungleichheit innerhalb der Länder bezieht, ist es für die Diskussion der Globalisierung sinnvoll, auch einen Blick auf die globale Ungleichheit zu werfen. Wenn wir vom Weltraum aus auf unseren Planeten blickten, würden wir uns fragen, wie häufig zwei zufällig gewählte Erdbewohner ähnliche Einkommen haben. Ein statistisches Maß für die globale Einkommensungleichheit ist der Theil-Index. Er hat die attraktive Eigenschaft, dass er in eine innerstaatliche Komponente und eine zwischenstaatliche Komponente aufgeteilt werden kann und die Summe der beiden Komponenten das weltweite Theil-Maß der globalen Ungleichheit ergibt. Der partielle Theil-Index für die Ungleichheit zwischen Nationen gleicht der Auswahl eines Paares typischer Erdbewohner aus zwei beliebigen Ländern und misst deren Einkommensunterschiede, während der partielle Theil-Index für die Ungleichheit innerhalb von Nationen ein Bewohnerpaar eines typischen Landes der Erde heranzieht und deren erwartete Einkommensunterschiede bestimmt.

Abbildung 1
Globale Ungleichheit der Einkommensverteilung
Globale Ungleichheit der Einkommensverteilung

Anmerkungen: Stichprobe von Ländern mit vergleichbaren Einkommensmaßen (Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Norwegen, Schweden, Südkorea, Großbritannien, USA, Ägypten, Bangladesch, Brasilien, Chile, China, Elfenbeinküste, Ghana, Indien, Indonesien, Kenia, Mexiko, Pakistan, Peru, Philippinen, Polen, Russische Föderation, Südafrika, Thailand, Tschechische Republik, Tunesien, Türkei, Ungarn), basierend auf Daten der OECD.

Quelle: C. Morrisson, F. Murtin: Vers un monde plus égal?, in: Revue d’économie du développement, 20. Jg. (2012), H. 2, S. 5-30, Tabelle 3.

Morrisson und Murtin bieten eine umfassende empirische Analyse der globalen Ungleichheit mit Theil-Indizes für die Einkommensungleichheit innerhalb und zwischen Nationen bis 2008 (vgl. Abbildung 1).2 Die Ungleichheit zwischen den Nationen ist seit Jahrhunderten kontinuierlich gestiegen (schon vor 1870), hat aber Anfang der 1990er Jahre eine deutliche Wende erfahren. Diese Wende fällt zeitlich mit großen Schritten der Globalisierung zusammen: mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der anschließenden Reintegration der osteuropäischen Länder und der Russischen Föderation in den Welthandel, mit der Öffnung Chinas, mit Indiens großen Reformen des Binnen- und Außenhandels sowie mit zahlreichen Handelsliberalisierungen in Lateinamerika und anderswo. Die Gleichzeitigkeit der Öffnung des Außenhandels mit anderen innenpolitischen Reformen und wirtschaftlichen Veränderungen macht es natürlich nur schwer möglich, die Umkehrung der Ungleichheit zwischen den Nationen der Globalisierung allein zuzuschreiben. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Erfolge und der Armutsreduzierung vor allem in China und Indien erscheint jedoch kaum vorstellbar, wenn sich diese Länder nicht auch den Weltmärkten geöffnet hätten.

Die Ungleichheit innerhalb der Nationen nimmt jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg wieder zu, wenn auch mit einer relativ langsameren Geschwindigkeit als die Ungleichheit zwischen den Ländern bis 1990. Der Zeitraum von 1870 bis 2008 umfasst drei unterschiedliche Perioden: eine erste Welle der Globalisierung und ein relativ schnelles Wirtschaftswachstum von 1870 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 mit einer Konvergenz der Produkt- und Faktorpreise auf der ganzen Welt; eine mittlere Phase der Deglobalisierung und des langsamen Wirtschaftswachstums zwischen den beiden Weltkriegen; und eine zweite Welle der Globalisierung und eines relativ schnellen Wirtschaftswachstums seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 2008.3 Interessanterweise fallen die beiden Perioden der Globalisierung – die vor 1914 und die nach 1945 – mit der zunehmenden innerstaatlichen Ungleichheit zusammen, während die mittleren Jahre einen Rückgang aufweisen. Williamson argumentierte, dass beide Globalisierungsperioden von intensiven Debatten darüber begleitet waren, wer durch die Globalisierung gewonnen und verloren hat, und belegte, dass die frühere Globalisierungsperiode bis 1914 weit vor der Deglobalisierung zwischen den beiden Weltkriegen in einen Rückzug aus den offenen Weltmärkten mündete. Williamson warnte, dass die erste Welle der Globalisierung durch die Schaffung von Einkommensdisparitäten den Keim für ihren eigenen Untergang pflanzte und dass die derzeitige Zunahme der Einkommensungleichheit erneut die Unterstützung der Globalisierung untergraben könnte.4 Wie Abbildung 1 zeigt, summiert sich die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Nationen 2008 zu einer niedrigeren globalen Ungleichheit in der Welt als in den letzten Jahren der ersten Welle der Globalisierung (1910). Die Wähler betrachten jedoch nicht die weltweite Ungleichheit vom Weltraum aus, ihre Besorgnis betrifft hauptsächlich die Ungleichheit innerhalb ihrer Nationen.

Im Querschnitt der Länder sind Volkswirtschaften mit enger gewobenen sozialen Sicherheitsnetzen tendenziell offener für den internationalen Handel. Oder, wie Rodrik es ausgedrückte, offenere Volkswirtschaften haben größere Staatssektoren. Er zeigte, dass die Korrelation für unterschiedliche Maße der staatlichen Ausgaben und in Ländergruppen mit niedrigem und hohem Pro-Kopf-Einkommen gilt und nicht einfach durch andere Faktoren zu erklären ist.5 Die Korrelation klärt jedoch nicht, ob offene Volkswirtschaften den Wohlstand schaffen, der es diesen Ländern dann erlaubt, sich gewichtigere Sozialstaaten zu leisten, oder ob größere Staatssektoren die Umverteilung von Einkommen sicherstellen, um die Ungleichheit zu lindern und ihren Bürgern eine Versicherung gegen wirtschaftliche Risiken zu gewährleisten, sodass die Bürger dann weitergehende Globalisierung akzeptieren, oder in welchem Ausmaß beides zutrifft.

Internationaler Handel und Lohnungleichheit

Die frühe Handelstheorie ist eine Anwendung der Idee der Arbeitsteilung in Smiths Stecknadelfabrik auf die Arbeitsteilung zwischen Nationen. Während Adam Smith zunächst noch den absoluten Vorteil von Wirtschaftszweigen innerhalb eines Landes als die treibende Kraft der globalen Spezialisierung betrachtete, wies David Ricardo darauf hin, dass jede Nation nur eines komparativen (relativen) Vorteils in einem einzigen Wirtschaftszweig bedarf, damit der internationale Handel allen Teilnehmerländern zugute kommt.6 In unserem Haushalt ist es meine Ehefrau, die in jeder einzelnen Aktivität einen absoluten Vorteil hat: sie ist besser in der Organisation der Zeitpläne, besser in der Erziehung unserer Kinder, besser in der Finanzplanung und besser in der Gartenarbeit. Sie hat den absoluten Vorteil in jeder einzelnen Aktivität. Wie es der Zufall will, bin ich bei Gartenarbeit und Finanzplanung relativ rascher als in den anderen notwendigen Tätigkeiten unserer Familie. Wenn ich mich nach Ricardos Logik des komparativen Vorteils auf die Gartenarbeit und Finanzplanung spezialisiere, und die anderen beiden Aktivitäten meiner Frau überlasse, in denen sie den komparativen Vorteil hat (über ihren absoluten Vorteil in jeder einzelnen Tätigkeit hinaus), dann ist unser Haushalt besser gestellt.

Im Welthandel ist der komparative Vorteil nur vorübergehender Natur und kann sich in wenigen Jahrzehnten oder sogar wenigen Jahren aufbauen und ähnlich schnell vergehen.7 Zu einem gegebenen Zeitpunkt entfällt auf die fünf wichtigsten Exportindustrien einer Nation (aus insgesamt 130 Branchen) der Großteil ihrer Ausfuhren aus. Wie viele dieser Exportindustrien sind Neuankömmlinge an der Spitze? Die empirische Antwort für die letzten fünf Jahrzehnte lautet: Drei der fünf führenden Exportindustrien waren zwei Jahrzehnte zuvor noch nicht dabei; Neuankömmlinge stellen beständig die Mehrheit der Exportindustrien. Dieser ständige Wechsel der komparativen Vorteile schafft Gewinner und Verlierer, aber er bedingt auch, dass die Top- oder Bottom-Wirtschaftszweige von keiner Nation für die Ewigkeit festgeschrieben sind. Jede Nation erzielt einen höheren Wohlstand zu jedem beliebigen Zeitpunkt, wenn sich die Nation auf den komparativen Vorteil spezialisiert und das Produkt im Welthandel tauscht. Wenn eines Tages Maschinen mit künstlicher Intelligenz den absoluten Vorteil in jeder Aktivität über uns Menschen haben – von mathematischen Berechnungen über die Fertigung von Gütern bis hin zu kreativen Handlungen – haben wir Menschen immer noch einen komparativen Vorteil in mindestens einer Aktivität, schlichtweg per Definition des komparativen (relativen) Vorteils. Sowohl die intelligente Maschine als auch wir Menschen werden von unserer Spezialisierung auf diese Aktivität und dem anschließenden Handel profitieren.8 Komparative Vorteile könnten die grundlegende Ursache dafür sein, dass der technologische Wandel bis heute die Gesamtbeschäftigung nicht wesentlich verringert hat und wohl auch in Zukunft nicht verringern wird: Der technische Fortschritt verändert lediglich die Arbeitsaufgaben, auf die sich der Mensch spezialisiert.

Das Prinzip des komparativen Vorteils besagt nicht nur, dass der Handel für alle teilnehmenden Nationen von Vorteil ist, sondern sagt auch vorher, dass freie und offene Märkte dazu führen werden, dass Nationen sich auf die Aktivität mit ihrem komparativen Vorteil spezialisieren. Der Grundsatz des komparativen Vorteils sagt jedoch nichts über die Verteilung der Handelsgewinne innerhalb der Nationen aus.

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung liefert ein natürliches Maß der Ungleichheit innerhalb eines Landes als Nebenprodukt: die sogenannte Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Nationaleinkommen (Kapitaleinkommen machen den Rest des Nationaleinkommens aus). In seinem jüngsten wirtschaftlichen Ausblick berichtet der Internationale Währungsfonds, dass der Arbeitskräfteanteil in den meisten Industrieländern seit den 1980er Jahren und in vielen Schwellenländern seit den 1990er Jahren gesunken ist.9 Die Spitzenverdiener eines Landes erhalten viel Aufmerksamkeit und ein beträchtlicher Teil ihres Einkommens stammt aus Kapitalerträgen. Autor weist jedoch darauf hin, dass die Einkommensungleichheit auch stark von den Veränderungen beeinflusst wird, die für die „anderen 99 Prozent der Bürger“10 von Bedeutung sind, hauptsächlich aufgrund der mit höherer Bildung und kognitiven Fähigkeiten verbundenen Lohnprämien. Es ist daher wichtig, näher zu betrachten, was hinter der Lohnquote steckt, und die Ungleichheit der Lohneinkommen zu analysieren. Die Lohnunterschiede werden zum Teil durch die sogenannte Hochschul-Lohnprämie getrieben, d. h. durch die zusätzliche Vergütung, die ein Hochschulabsolvent im Vergleich zu einem Abiturienten oder Realschulabsolventen bezieht. Aber es gibt viele weitere Determinanten, die zur Lohnungleichheit beitragen, und die Globalisierung kann die Lohnprämien und diese weiteren Determinanten verschieben. Die Lohnungleichheit ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil die Mehrheit der Haushalte den größten Teil ihrer Einkommen aus Lohneinkommen erzielt. Wie hängt der Außenhandel mit der Lohnstreuung innerhalb der Nationen zusammen?

Es gibt vier Hauptlinien des wirtschaftlichen Denkens, die unser Verständnis der Auswirkungen des Außenhandels auf die Einkommensungleichheit innerhalb der Nationen leiten.

  1. Man kann das Prinzip des komparativen Vorteils auf die Wirtschaftszweige oder Berufe einer Nation anwenden und zwischen den Ressourcen (Produktionsfaktoren) unterscheiden, die den Produktmix der Nation herstellen. Die Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitskräfte gehören zu den entscheidenden Ressourcen für den Wohlstand. Das klassische Paradigma sagt in diesem Fall voraus, dass die relativ knappen Ressourcen einer Nation (knapp im Vergleich zu ihrer Verfügbarkeit in anderen Ländern) durch den Freihandel in der Regel verlieren, während die relativ reichlichen Ressourcen eines Landes ein höheres Realeinkommen erzielen.
  2. Moderne Formen des Welthandels fördern die Bildung globaler Wertschöpfungsketten: das Offshoring von Fertigungsstufen, die zuvor gebündelt an einem Ort stattfanden. Offshoring kann die Ungleichheit innerhalb der Nationen rund um den Erdball erhöhen.
  3. Individuelle Unternehmen sind, über die Rolle von deren Wirtschaftszweigen hinaus, wesentliche Triebkräfte für moderne Handelsformen; vorherrschende Unternehmen bestimmen Export- und Importvolumina und bilden globale Wertschöpfungsketten. Die vorherrschenden globalisierten Unternehmen sind oft auch Hochlohnfirmen. Die globale Arbeitsteilung zwischen Unternehmen oder Betrieben kann zu einer Verschiebung der Lohnungleichheit innerhalb der Nationen in Abhängigkeit davon führen, ob die Beschäftigung in globalisierten Hochlohnunternehmen mehr oder weniger konzentriert ist.
  4. Die Globalisierung betrifft auch die Entscheidungen der Unternehmen und Betriebe hinsichtlich ihrer internen Arbeitsmarktorganisation, wobei das Ausmaß der betriebsinternen Arbeitsteilung vom Grad der Globalisierung des Arbeitgebers abhängt. Globalisierte Unternehmen gleichen Adam Smiths Stecknadelfabrik mit spezialisierten Berufen, und die Lohnstreuung innerhalb von Betrieben und Berufen variiert systematisch mit ihren organisatorischen Entscheidungen.

Diese vier Grundlinien des ökonomischen Denkens unterscheiden sich in ihrer empirischen Relevanz für die Globalisierung heute und auch in ihren Vorhersagen für die globale Einkommensungleichheit.

Globale Arbeitsteilung zwischen Wirtschaftszweigen und Berufen

Als Eli F. Heckscher und sein Doktorand Bertil Ohlin am Ende des Ersten Weltkriegs und in den 1920er Jahren ihre Erweiterung des Ricardianischen Modells des komparativen Vorteils und der globalen Spezialisierung ausarbeiteten, fügten sie eine neue Dimension hinzu. Anstatt über eine einzelne Ressource und verschiedene Technologien zwischen Wirtschaftszweigen und Nationen nachzudenken, wie Ricardo, suchten sie nach einem Ursprung der komparativen Vorteile, der nicht einfach von bestimmten Technologien angetrieben wurde. Stattdessen gingen sie davon aus, dass sich Fertigungstechnologien so rasch in der ganzen Welt ausbreiteten, dass es auf zwei andere Arten von Merkmalen ankommt: eine länderspezifische Eigenschaft, nämlich wie knapp einzelne Ressourcen in einer Nation sind, und eine Eigenschaft der Wirtschaftszweige, nämlich wie intensiv die Fertigungsverfahren einer Branche (unter ihrer weltweit verfügbaren Fertigungstechnologie) bestimmter Ressourcen bedürfen.11 Aus dieser Erweiterung von Ricardos Prinzip des komparativen Vorteils ergaben sich zwei tiefe Einsichten.

  • Die ungleiche Verteilung der Ressourcen auf der ganzen Welt führt zu einem klaren Spezialisierungsmuster. Eine Nation hat ihren komparativen Vorteil in den Wirtschaftszweigen, die sich intensiv auf ihre relativ reichlichen Ressourcen verlassen.
  • Die Faktoreinkommen werden sich tendenziell auf der ganzen Welt ausgleichen. Als Heckscher und Ohlin die konzeptuellen Implikationen ihrer Ideen diskutierten, schrieben sie über eine globale Tendenz, derzufolge die ressourcen-spezifischen Einkommen in der ganzen Welt konvergieren würden, sobald Technologien überall verfügbar wären.12

Stolper und Samuelson erarbeiteten ein wichtiges mathematisches Gegenstück zu dieser Einsicht: Im Heckscher-Ohlin-Modell mit zwei Ländern, zwei Wirtschaftszweigen und zwei Ressourcen (Produktionsfaktoren) verliert die knappe Ressource einer Nation real, während die relativ reichliche Ressource gewinnt.13 In Verallgemeinerungen zu mehr als zwei Wirtschaftszweigen und Ressourcen haben Forscher später gezeigt, dass die relativ knappen Ressourcen im Mittel reale Einkommensverluste erleiden, aber die Vorhersage ist nicht mehr eindeutig, welche Ressource genau verlieren oder gewinnen wird. Wir wissen nur, dass einige Ressourcen einen Rückgang des auf sie entfallenden Realeinkommens erfahren werden. Aus Ricardos Prinzip des komparativen Vorteils wissen wir jedoch, dass die Nation als Ganzes ihren Wohlstand insgesamt steigert,14 sodass wir daraus schließen können, dass die Gewinner die Verlierer im Prinzip mehr als kompensieren können und dennoch mit globaler Spezialisierung und Handel besser gestellt sind. Aber die Märkte werden diese Umverteilung nicht durchführen. Gesellschaften müssen Wege finden, Einkommen umzuverteilen, um die Verlierer durch Zuwendungen, Steuervergünstigungen und andere Mittel zu entschädigen.

So tiefgründig und schön wie Heckscher-Ohlins Erweiterung des Ricardianischen Modells ist, eine wichtige Vorhersage, die Stolper und Samuelson für dieses Modell erarbeiteten, scheitert häufig empirisch: Arbeitseinkommen für knappe und reichliche Ressourcen bewegen sich nicht in den vorhergesagten Richtungen. Vor allem für Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen im Vergleich zu den Industrieländern weniger qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind, prognostiziert das Modell, dass die Löhne der Geringqualifizierten zu den hochqualifizierten Arbeitern aufholen, während die relativ knappen Hochqualifizierten in Entwicklungsländern reales Einkommen verlieren. In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten passierte zumeist das Gegenteil: Die Lohnprämie für hochqualifizierte Arbeitnehmer wie Hochschulabsolventen stieg in vielen Entwicklungsländern, während sich diese Volkswirtschaften weiter globalisierten.15 Nur für die Industrieländer hat das Stolper-Samuelson-Theorem die Dinge richtig vorhergesagt: Die relativ reichhaltige Ressource sind hochqualifizierte Arbeitskräfte in Ländern mit hohem Einkommen, und die Lohnprämie für Hochqualifizierte stieg in den Industrieländern ebenso wie anderswo. Die zunehmende Lohnungleichheit in Entwicklungsländern widerspricht Heckscher-Ohlins Ausweitung des klassischen Paradigmas.

Offshoring und die globale Arbeitsteilung zwischen Fertigungsstufen

Wenn Globalisierung die Lohnungleichheit global korrekt vorhersagen soll, muss eine andere Form der Globalisierung die Arbeitsmärkte antreiben. Smith, Ricardo, Heckscher und Ohlin dachten vor allem an die Globalisierung 1.0, als Nationen Endprodukte gegen Endprodukte tauschten – etwa Wein gegen Tuch wie in Ricardos eigenem ursprünglichen Beispiel. Für die frühen Handelsökonomen operierten die Stecknadelfabriken, Weinberge und Tuchfabriken an einem einzigen Ort. Das änderte sich mit der Globalisierung 2.0 seit mindestens Mitte des 19. Jahrhunderts für bestimmte Güter wie Textilien, aber vielleicht schon weit früher.16 Wir haben herausgefunden, wie man Ressourcen an verschiedenen Orten der Welt in den Produktionsprozess einfügen kann, von Fertigungsstufe zu Fertigungsstufe, und damit begonnen, Komponenten und Zwischenprodukte oder Dienstleistungen von einer frühen Fertigungsstufe irgendwo auf der Welt zu einer späteren Produktionsstufe anderswo auf der Welt zu befördern. Heutzutage kann der Ursprung eines Produkts in mehreren Ländern liegen und seine Komponenten haben möglicherweise mehrfach dieselben Landesgrenzen überschritten. Das Design des iPhones stammt aus Kalifornien, dessen Mikroprozessoren aus Japan, dessen Gehäuse und Hauptmontage wurden in China oder Brasilien hergestellt, und das verkaufsreife Paket kommt von einem Apple-Geschäft in Ihrer Nähe. Diese Bildung globaler Wertschöpfungsketten ist eine Form der Globalisierung 2.0; im Englischen heißt die Bildung von Wertschöpfungsketten auch Offshoring, im Französischen wird sie gerne Délocalisation genannt. Zunehmende Ungleichheit innerhalb der Nationen kann eine Folge der Bildung solcher globaler Wertschöpfungsketten sein.

Offshoring ist im Wesentlichen eine Neuanordnung der Standorte von Fertigungsstufen rund um den Globus. Stellen Sie sich Fertigungsstufen als Bücher und ihre Standorte als Bücherregale vor. Als ich mir vor kurzem ein Buch von meinem Büronachbarn, einem Mathematiker und Wirtschaftstheoretiker, auslieh, merkte er an, dass ich das Buch nicht so bald zurückgeben müsse. Denn in dem Moment, als ich es von seinem Regal genommen und auf mein Regal gestellt hatte, stieg seiner Auffassung nach die durchschnittliche Buchqualität in unseren beiden Regalen an. Damit brachte er nicht nur seine eher geringe Wertschätzung für die Qualität meiner üblichen Lektüre zum Ausdruck, er brachte auch ein Beispiel für eine jüngere Theorie des Offshorings vor. Mit einem ähnlichen theoretischen Argument erklären Handelsökonomen die zunehmende Ungleichheit innerhalb einer Nation durch Globalisierung 2.0.17

Wie Bücher in ihrer Qualität variieren, so unterscheiden sich die Fertigungsstufen in der Intensität ihres Bedarfs an Fachkräften. Wenn die Industrieländer relativ reich an qualifizierten Arbeitskräften sind, ist die Lohnprämie für hochqualifizierte Arbeiter in Ländern mit hohem Einkommen niedriger als in Schwellenländern. Daher siedeln sich die qualifikationsintensiven Fertigungsstufen in Industrieländern an; im Buchbeispiel füllen sich die Regale meines Theorienachbarn mit den hochwertigen Exemplaren. Wenn die Offshoring-Kosten sinken, weil Transport- und Kommunikationstechnologien den Handel mit Komponenten und Zwischenprodukten oder Dienstleistungen vorantreiben und erleichtern, werden die ersten Fertigungsstufen von Industrieländern in Entwicklungsländer abwandern. Im Vergleich zu den typischen Fertigungsstufen eines Industrielands sind die ersten ins Ausland verlagerten Fertigungsstufen des Industrielands relativ intensiv in niedrig qualifizierten Arbeitskräften; im Buchbeispiel verlagert sich das relativ dümmste Buch vom Regal meines Theorienachbarn auf mein Regal und die durchschnittliche Qualität seines Buchregals verbessert sich. Doch im Vergleich zur durchschnittlichen Qualifikationsintensität der Fertigungsstufen, die sich bereits in den Entwicklungsländern befinden, sind die neu ankommenden Fertigungsstufen relativ qualifikationsintensiv. Wenn das Buch meines Kollegen in meinem Buchregal ankommt, verbessert sich auch die durchschnittliche Buchqualität auf meinem Regal, denn sein dümmstes Buch ist klüger als mein Durchschnittsbuch. Das wirtschaftliche Gegenstück zur Buchqualität ist die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. So wie sich die Buchqualität in beiden Regalen verbessert, steigt die Nachfrage nach Fachkräften sowohl in der Offshore- als auch in der Onshore-Wirtschaft. Als Folge steigt die Lohnungleichheit innerhalb der Nationen überall auf der Welt. Empirische Forschungsarbeiten konnten nachweisen, dass dieser Mechanismus den Anstieg der Lohnprämie für hochqualifizierte Arbeitnehmer in den USA vor der Jahrhundertwende gut erklären kann, und die Vorhersage eines gleichzeitigen Anstiegs der Lohnungleichheit in den Offshore-Volkswirtschaften lässt den Mechanismus realistisch erscheinen.

Die Hauptkomponente der Lohnungleichheit ist jedoch nicht die Ungleichheit zwischen Wirtschaftszweigen, Berufen oder Fertigungsstufen, sondern vielmehr die Lohn­ungleichheit innerhalb der Wirtschaftszweige und Berufe. In diesem Sinne bietet das Offshoring-Modell zwar eine nützliche Erklärung, berücksichtigt aber möglicherweise nicht den Hauptverdächtigen. Eine Quelle für die Lohnunterschiede innerhalb von Wirtschaftszweigen und Berufen ist die Lohndifferenz zwischen Unternehmen für gleichermaßen qualifizierte Arbeitnehmer. In der Stecknadelbranche sind nicht alle Stecknadelhersteller gleich. Einige Stecknadelfabriken sind produktiver als andere.

Globale Arbeitsteilung zwischen Unternehmen

Vor etwa einem Jahrhundert begannen Ökonomen, empirisch mit verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten zu arbeiten, die sowohl die individuellen Arbeiter als auch deren individuelle Unternehmen oder Betriebe im Querschnitt und im Zeitablauf identifizieren. Diese Ökonomen konnten dokumentieren, dass größere Unternehmen höhere Löhne für Arbeitnehmer mit derselben beobachteten Bildung, derselben Dauer der Betriebszugehörigkeit und anderen ebenfalls identischen Merkmalen zahlen. Im Jahr 1911 zeigte z. B. Moore für italienische Textilarbeiterinnen, dass Arbeitgeber mit höheren Erlösen höhere Löhne an ihre Arbeiterinnen zahlten, mehr Arbeiterinnen anstellten, eine geringere Belegschaftsfluktuation aufwiesen und ihren Arbeiterinnen kürzere Arbeitstage erlaubten.18 Diese Merkmale des Arbeitsmarkts haben sich nicht wesentlich verändert: Noch heute zahlen größere Unternehmen höhere Löhne und bieten großzügigere Leistungen.

Tabelle 1
Bestandteile der Residuallohn-Varianz am Beispiel Deutschlands
in %
  Log-Residuallohn Exponentieller Log-Residuallohn
Anteil an der Lohnvarianz 1996-2014 1996-2014 1999 2006 2012
innerhalb der Wirtschaftszweige1 88 . . . .
innerhalb der Berufe 84 87 91 85 85
innerhalb der Betriebe 71 76 83 73 72
innerhalb der Betriebe und Hierarchien 65 69 77 65 63
innerhalb der Betriebe und Berufe 54 58 61 52 53

Anmerkungen: Log-Residual-Tageslohn geschätzt mit einer gewöhnlichen Mincer-Regression, exponentiert in den vier rechten Spalten. Zu den Mincer-Regressoren gehören demografische und Bildungsmerkmale sowie Jahres-, Branchen- und Regionalindikatoren, R2 = 53 %.

1 Mincer-Regression ohne Branchenindikatoren, R2 = 42 %. Organisationshierarchien (Definition vgl. L. Caliendo, F. Monte, E. Rossi-Hansberg: The Anatomy of French Production Hierarchies, in: Journal of Political Economy, 123. Jg. (2015), H. 4, S. 809-852) und Berufe basieren auf 357 dreistelligen KldB-88-Kategorien.

Quelle: S. O. Becker, H. Egger, M. Koch, M.-A. Muendler: Tasks, Occupations, and Wage Inequality in an Open Economy, Januar 2018, University of California, San Diego, unveröffentlichtes Manuskript, basierend auf deutschen verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten (LIAB) 1996-2014.

Tabelle 1 zeigt eine Aufschlüsselung der Quellen der Lohnstreuung aus solchen verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten in jüngerer Zeit am Beispiel Deutschlands. Die Angaben stammen aus den deutschen Sozialversicherungsdaten und spiegeln somit die Lohnungleichheit in der gesamten Wirtschaft wider. Bevor man die Varianz des Tageslohns in arbeitgeberbezogene Komponenten zerlegt, ist es sinnvoll, sich Klarheit über die arbeitnehmerseitigen Merkmale zu verschaffen, die hinter der Lohnstreuung stecken. Mincer spezifizierte eine Regression des Logarithmus des Lohns auf Arbeitnehmermerkmale, um zu verstehen, welcher Anteil der Lohnvariation auf beobachtete Bildungsmerkmale und andere Arbeitnehmereigenschaften zurückgeht.19 Die Anwendung einer solchen Regression auf die deutschen Sozialversicherungsdaten zwischen 1996 und 2014 zeigt, dass 53 % der Lohnvariation auf demografische, Bildungs- und andere Merkmale der Arbeiternehmer sowie auf Jahres-, Branchen- und Regionalindikatoren zurückgehen. Während die oben besprochenen Theorien sich weitgehend auf diese beobachteten Arbeitnehmereigenschaften beziehen, gilt das vornehmliche Interesse der neueren Handelstheorien der anderen Hälfte der Lohnvarianz, dem unerklärten Teil. Tabelle 1 betrachtet daher den sogenannten Residuallohn, also den Teil des (exponentiellen) Log-Tageslohns, den herkömmliche Variablen in einer Mincer-Regression nicht erklären können.

Die Varianz ist ein grundlegendes Maß für die Ungleichheit und lässt sich in zwei additive Bestandteile zerlegen, wenn man Gruppen von Individuen betrachtet: erstens die Abweichung der Einkommen vom Durchschnittseinkommen der einzelnen Gruppen und zweitens die Abweichung der Gruppen-Durchschnittseinkommen voneinander. Tabelle 1 verfolgt solche Zerlegungen Schritt für Schritt und untersucht die Quellen der Streuung des Residuallohns nach und nach. (Eine Aufschlüsselung der Varianz des Log-Gesamtlohns ist ziemlich ähnlich, ebenso wie die Varianz-Aufschlüsselung des in der ersten Spalte ausgegebenen einfachen Residuallohns.) Wie die erste Spalte zeigt, erklären Abweichungen zwischen Wirtschaftszweigen 12 % der Residuallohn-Varianz, aber 88 % bleiben unerklärt. Die mit der Branchendispersion erklärbaren 12 % der Residuallohn-Varianz sind jener Teil der Lohnstreuung, den die Theorien auf Branchenebene unter dem klassischen Paradigma höchstens erklären können. Die verbleibenden 88 % der Residuallohn-Varianz kommen innerhalb der Wirtschaftszweige zustande. Anstatt wirtschaftliche Aktivitäten mit Wirtschaftszweigen gleichzusetzen, kann man unter dem klassischen Paradigma auch an Berufe denken, auf die sich Nationen spezialisieren. Aber auch Berufe erklären nicht viel Lohnvariabilität, 84 % der Residuallohn-Varianz entfallen auf Lohnunterschiede innerhalb von Berufen, nicht zwischen den Berufen.

Lohnunterschiede zwischen den Betrieben hingegen erklären mehr: 29 % der gesamtwirtschaftlichen Residuallohn-Varianz, also mehr als ein Viertel, ergeben sich aus Lohnunterschieden zwischen den Betrieben. Im Laufe der Zeit, wie die rechten Spalten zeigen, nimmt der innerbetriebliche Teil der Residuallohn-Varianz ein wenig ab. Diese Abnahme bedeutet, dass die Lohnunterschiede zwischen den Betrieben im Lauf der Zeit wichtiger für die Residuallohn-Varianz werden. Daher gebührt den Betrieben und Arbeitgebern als Agenten der Globalisierung ein besonderes Interesse bei der Aufklärung von Arbeitsmarktwirkungen der Globalisierung.

Wenn Betriebe zusätzlich in ihre Organisationshierarchien aufgespalten werden, sind 35 % der Residuallohn-Varianz erklärbar, also mehr als ein Drittel. Diese Statistiken widerlegen die gängige Ansicht, dass das Lohngefälle zwischen leitenden Angestellten und anderen Arbeitnehmern – der oft zitierte Einkommensunterschied zwischen Spitzenmanagern und einfachen Fabrikarbeitern – ein Hauptgrund für die Lohnungleichheit sein könnte. Der Lohnunterschied zwischen Geschäftsleitung und Arbeitnehmern kann nur sechs zusätzliche Prozentpunkte erklären (die Minderung der unerklärten Komponente von 71 % auf 65 %). Der Großteil der Lohnstreuung ergibt sich aus Lohn­unterschieden innerhalb der Berufe einer Betriebsstätte. Wenn Arbeitnehmer in Betriebe und Berufe eingeteilt werden, dann sind 46 % der Residuallohn-Varianz berücksichtigt. Umgekehrt betrachtet geht mehr als die Hälfte der Residuallohn-Varianz (54 %) auf Lohnunterschiede innerhalb von betrieblichen Arbeitsplätzen (Betrieben und deren Berufen) zurück.

Diese dominante Komponente innerhalb der betrieblichen Arbeitsplätze steht nicht im Zusammenhang mit dem Lohngefälle zwischen Führungskräften und anderen Beschäftigten und ist auch nicht durch Theorien erklärbar, die die Zuordnung von Arbeitnehmern zu Betrieben und deren Berufen untersuchen. Auf diese vorherrschende Komponente der Lohnunterschiede innerhalb der betrieblichen Arbeitsplätze wird weiter unten noch zurückzukommen sein, wenn es um die Gegenstücke zur Stecknadelfabrik in der modernen Volkswirtschaft gehen wird. Die Zuweisung von Arbeitnehmern zu betrieblichen Arbeitsplätzen (Betrieben und deren Berufen) erklärt in vielen Ländern einen wesentlich höheren Anteil der Lohnstreuung als die Zuordnung von Arbeitnehmern zu Betrieben allein. In einer Übersicht über die Erkenntnisse zur Lohnstruktur in und zwischen Betrieben auf der ganzen Welt kommen Lazear und Shaw zu dem Schluss, dass die Lohnstruktur vor allem von der innerbetrieblichen Zuweisung von Arbeitern zu Arbeitsplätzen und weniger von der Zuordnung von Arbeitern zu Betrieben oder Unternehmen abhängt.20

Im Hinblick auf die Lohnunterschiede zwischen Arbeitgebern, auf die in den letzten zwei Jahrzehnten 29 % der Gehaltsvariabilität in Deutschland entfallen, bieten jüngere Handelstheorien neue Erklärungen. Im Mittelpunkt der neueren Ansätze zur Globalisierung auf Unternehmens­ebene steht ein Rahmenwerk von Marc J. Melitz, in dem verschieden produktive Unternehmen über die Teilnahme am Exportmarkt entscheiden: Angesichts von Fixkosten des Zutritts zu ausländischen Absatzmärkten und angesichts variabler Handelskosten entscheiden sich nur die produktiveren und damit profitableren Unternehmen für den Export.21

Helpman, Itskhoki und Redding bauen auf dem Rahmenwerk von Melitz auf und kombinieren es mit einem Search-und-Matching-Modell des Arbeitsmarkts, das auf Diamond, Pissarides und Mortensen sowie Pissarides zurückgeht.22 Das kombinierte Modell ermöglicht es Help­man et al., die arbeitsmarkt-relevanten Konsequenzen der Globalisierung zu untersuchen und zu zeigen, dass produktivere Unternehmen Arbeitskräfte mit umfassenderen Kenntnissen und Fähigkeiten anziehen und dass produktivere Unternehmen den zusätzlichen Überschuss aus dem Export mit ihren Arbeitnehmern durch höhere Lohnzahlungen teilen, im Gegensatz zu gleichqualifizierten Arbeitnehmern bei Nicht-Exporteuren.23

Abbildung 2
Beschäftigung in Exportunternehmen und Lohnstreuung
Beschäftigung in Exportunternehmen und Lohnstreuung

Anmerkungen: Relative kontrafaktische Standardabweichung der logarithmierten Löhne in Abhängigkeit vom Beschäftigungsanteil der Exportunternehmen im simulierten Modell. Modellparameter werden konstant auf deren für 1994 geschätzten Werten gehalten, mit Ausnahme der variablen Handelskosten, die zwischen einem prohibitiv hohen Wert und einem vernachlässigbar geringen Wert über die dargestellte Bandbreite des Beschäftigungsanteils der Exportunternehmen entlang der waagerechten Achse variieren. Der graue Punkt zeigt das Ungleichheitsniveau im geschätzten Modell von 1994 an (die entsprechende Standardabweichung der logarithmierten Löhne beträgt 0,46).

Quelle: E. Helpman, O. Itskhoki, M.-A. Muendler, S. J. Redding: Trade and Inequality: From Theory to Estimation, in: Review of Economic Studies, 84. Jg. (2017), H. 1, S. 357-405, basierend auf brasilianischen verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten 1986-2001 (RAIS).

In diesem erweiterten Modell führt die Streuung der gegebenen Unternehmensproduktivitäten und der gegebenen Arbeitnehmerfähigkeiten zu einem Grundniveau der Lohn­ungleichheit innerhalb der Nation, das in Abbildung 2 auf 1 normiert ist. Die Abbildung basiert auf Schätzungen einer erweiterten Version des Modells von Helpman et al. für die brasilianische Wirtschaft durch Helpman, Itskhoki, Muendler und Redding.24 Wenn kein einziges brasilianisches Unternehmen globalisiert ist (kein Unternehmen exportiert), dann befindet sich die Wirtschaft in Abbildung 2 im Ursprung (Nullbeschäftigung bei Exporteuren) und die Lohnungleichheit nimmt den Basiswert 1 an. Im anderen Extrem ist jedes brasilianische Unternehmen globalisiert (100 % der Beschäftigten arbeiten in Exportunternehmen), und die Lohnungleichheit ist ungefähr wieder auf dem Basisniveau von 1, da die Streuung der gegebenen Unternehmensproduktivitäten und Arbeitnehmerfähigkeiten zum selben Grad von Lohnungleichheit führen. Wenn alle Unternehmen exportieren, dann gibt es keine exportgetriebenen Lohnunterschiede zwischen den Unternehmen mehr. Für ein mittleres Niveau der Handelskosten hingegen befindet sich die brasilianische Wirtschaft rechts vom Ursprung auf der waagrechten Achse, aber links vom Maximum; einige Unternehmen exportieren und andere nicht. Dann geht der umgewandelte Exportüberschuss, den Exportunternehmen erzielen, nur an die Arbeitnehmer, die bei den Exporteuren beschäftigt sind. Die Lohn­ungleichheit ist daher höher als am Ursprung und höher als in der vollständig globalisierten Wirtschaft im anderen Extrem. Daher muss es zwischen den beiden Extremen auf der waagrechten Achse ein Spitzenniveau der Lohnungleichheit irgendwo zwischen der Nullglobalisierung und der vollständigen Globalisierung geben. Bei welchem Beschäftigungsanteil genau die Wirtschaft das Spitzenniveau der Lohnungleichheit erreicht, hängt von den örtlichen Bedingungen und den weltwirtschaftlichen Gegebenheiten ab. Im brasilianischen Fall von 1994 (dargestellt mit dem grauen Punkt in Abbildung 2) hatte die Wirtschaft die Spitzenungleichheit noch nicht erreicht.

Von der Spitze an erhält ein Land jedoch eine doppelte Vergütung, wenn es weiter globalisiert: Die Nation erzielt einen höheren Gesamtwohlstand, weil ihre Spezialisierung im Rahmen des internationalen Handels voranschreitet, und die Nation erlebt, dass die Lohnungleichheit wieder unter das Maximalniveau fällt. Die Konsequenzen sind tiefgreifend. Wenn es um die Lohnunterschiede zwischen Unternehmen für ansonsten gleichqualifizerte Arbeitnehmer geht, kann ein Globalisierungskritiker, der eine Zunahme der Ungleichheit von der Globalisierung zur Linken des Ungleichheitsgipfels befürchtet, immer mit dem Argument zurückgewiesen werden, dass das Land schlichtweg noch nicht hinreichend globalisiert ist. Durch eine hinreichend weitgehende Globalisierung wird die Lohnungleichheit unter das Spitzenniveau fallen.

Globalisierung und betriebsinterne Arbeitsteilung

Die bisher diskutierten klassischen und neuen Handelstheorien bieten keine Erkenntnisse zu den ökonomischen Bedingungen innerhalb der betrieblichen Arbeitsplätze und über die vorherrschende Komponente der Lohndispersion innerhalb von Betrieben und deren Berufen (unterste Zeile von Tabelle 1). Um einen empirischen Einblick in die wirtschaftlichen Entscheidungen zu erhalten, die sich auf die Löhne innerhalb von Betrieben und deren Berufen auswirken, ist es nützlich, auf Adam Smith und sein Beispiel der Stecknadelfabrik zurückzukommen: „Die Herstellung einer Stecknadel ist in etwa achtzehn verschiedene Arbeitsschritte unterteilt. Fabrikarbeiter können an einem Tag mehr als achtundvierzigtausend Stecknadeln herstellen. Aber wenn sie alle getrennt und unabhängig voneinander gearbeitet hätten, hätten sie sicher nicht einmal zwanzig, vielleicht nicht einmal eine Nadel an einem Tag zustande gebracht.“25

Tabelle 2
Zahl der Arbeitsaufgaben am Arbeitsplatz
Arbeitsaufgaben Alle Erwerbspersonen Leitendes Personal
Herstellen von Waren 0,19 0,15
Reparieren, Instandsetzen 0,36 0,31
Bewirten, Beherbergen, Speisen bereiten 0,28 0,30
Transportieren, Lagern, Versenden 0,45 0,34
Messen, Prüfen, Qualität kontrollieren 0,60 0,63
Informationen sammeln, dokumentieren 0,75 0,92
Einkaufen, Beschaffen, Verkaufen 0,47 0,50
Programmieren, Systemanalyse 0,10 0,18
Einsatz von Rechtskenntnissen 0,52 0,69
Beraten und Informieren 0,84 0,95
Ausbilden, Lehren, Unterrichten, Erziehen 0,51 0,70
Versorgen, Bedienen, Betreuen von Menschen 0,27 0,35
Werben, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit 0,40 0,55
Organisieren, Planen und Vorbereiten 0,65 0,80
Überwachen, Steuern von Anlagen 0,35 0,28
Zahl der Arbeitsaufgaben (von 15) 6,66 7,58

Anmerkung: berichtete Häufigkeiten (nach inverser Stichprobengewichtung).

Quelle: S. O. Becker, H. Egger, M. Koch, M.-A. Muendler: Tasks, Occupations, and Wage Inequality in an Open Economy, Januar 2018, University of California, San Diego, unveröffentlichtes Manuskript, basierend auf Daten der Erwerbstätigenbefragung 2012 (BIBB-BAuA).

Systematische Erwerbstätigenbefragungen erfassen seit 1979 rund 0,1 % aller Erwerbstätigen in Deutschland im Abstand von etwa sieben Jahren und erheben deren Arbeitsaufgaben am Arbeitsplatz während ihrer Arbeitszeit (und viele andere Aspekte ihres Berufslebens). Aus diesen Umfragen lassen sich 15 verschiedene Arbeitsaufgaben — tatsächliche Tätigkeiten — zeitkonsistent herleiten.26 Diese Aufgaben ähneln Adam Smiths Idee von Arbeitsschritten, obwohl sie im Detail naturgemäß gröber sind als die Stecknadel-spezifischen Arbeitsschritte und sich auf weitere Berufe beziehen als nur die Herstellung von Stecknadeln.27 In Tabelle 2 sind die 15 zeitkonsistenten Arbeitsaufgaben aufgeführt, wie sie in der deutschen Erwerbsbevölkerung 2012 zu beobachten waren. Die häufigsten Aufgaben in allen Berufen sind organisatorische und informative Tätigkeiten: Koordinationsaufgaben, Beratungsaufgaben, Informationsbeschaffung und Inspektionsaufgaben. Leitende Angestellte führen im Schnitt eine von 15 Arbeitsaufgaben mehr als der durchschnittliche Mitarbeiter aus.

Abbildung 3 zeigt die Zahl der Arbeitsaufgaben, die Mitarbeiter in einer Betriebsstätte an ihren Arbeitsplätzen (in ihren Berufen) ausführen, und bezieht diese Zahl auf die Betriebsgröße (Beschäftigung). Adam Smiths Beschreibung der Stecknadelfabrik zeigt sich auch deutlich in den zeitgenössischen deutschen Daten. In größeren Betrieben ist die Bandbreite der Arbeitsaufgaben, die ein Arbeitnehmer in einem bestimmten Beruf ausführt, schma­ler als in kleineren Betrieben. Mit anderen Worten, die innerbetriebliche Arbeitsteilung ist umso feiner, je größer die Betriebsstätte ist, und größere Betriebe sind aus vorhergehenden empirischen Arbeiten dafür bekannt, dass sie mehr Berufe anbieten und produktiver sind. Eine mögliche Erklärung der feineren Arbeitsteilung in größeren Betrieben ist, dass Betriebe mit Kontrollkosten konfrontiert sind, die sich bei einer feineren Arbeitsteilung erhöhen, da sie spezialisiertere Berufe koordinieren müssen, sodass sich nur produktivere und damit rentablere Unternehmen eine feinere Arbeitsteilung leisten.

Abbildung 3
Zahl der Arbeitsaufgaben am Arbeitsplatz nach Betriebsgrößen
Zahl der Arbeitsaufgaben am Arbeitsplatz nach Betriebsgrößen

Anmerkungen: Vorhersage der Zahl der Arbeitsaufgaben minus Zahl der Arbeitsaufgaben1 bis 4 nach Betriebsgrößenklassen unter Berücksichtigung von Branchen-, Regional- und Berufsindikatoren sowie Arbeitnehmermerkmalen. Dargestellte Zahl der Arbeitsaufgaben ist die Differenz zur kleinsten Betriebsgrößenklasse (vier oder weniger Arbeitnehmer). Grobe, mittelstarke und feine Linien repräsentieren die Konfidenzintervalle von 99 %, 95 % und 90 %.

Quelle: S. O. Becker, H. Egger, M. Koch, M.-A. Muendler: Tasks, Occupations, and Wage Inequality in an Open Economy, Januar 2018, University of California, San Diego, unveröffentlichtes Manuskript, basierend auf Daten der Erwerbstätigenbefragung 1999, 2006, 2012 (BIBB-BAuA).

Wie lässt sich die Lohnungleichheit innerhalb von Betrieben und Berufen auf diese Einsichten zurückführen, und wie lassen sich die Erkenntnisse mit der Globalisierung in Verbindung bringen? Was die Lohnungleichheit anbetrifft, so zeigt Abbildung 4 die Streuung der Residuallöhne (gemessen mit dem Logarithmus des Variationskoeffizienten des täglichen Residuallohns) innerhalb der betrieblichen Arbeitsplätze (innerhalb von Betrieben und deren Berufen). Die Abbildung bezieht diese Streuung der Residuallöhne innerhalb der betrieblichen Arbeitsplätze auf die Betriebsgröße (Beschäftigung). Größere Betriebe sind produktiver (wie aus vorhergehenden Forschungsarbeiten bekannt ist), sie teilen ihren Arbeitsfluss in mehr Berufe auf als kleinere Betriebe (wie aus vorhergehenden Forschungsarbeiten ebenfalls bekannt ist), sie ordnen ihren Arbeitnehmern schmalere Aufgabenbereiche zu (vgl. Abbildung 3), und sie weisen in ihren Berufen eine höhere Lohnungleichheit auf (vgl. Abbildung 4). Eine konsistente Erklärung dieser Einsichten ist, dass Arbeitnehmer, die sich auf weniger Aufgaben spezialisiert haben, bei ungenügender Eignung für den Aufgabenbereich kostspielige Verluste für den Arbeitgeber verursachen können, wenn sie Fehler machen. Umgekehrt können Arbeitnehmer, die mit schmaleren Aufgabenbereichen betraut sind, bei guter Eignung für die Aufgabenspanne eine erhöhte Arbeitsleistung erbringen. Die Fabrik gibt einen Teil des so erzielten Überschusses an ihre Arbeitnehmer in Form von leistungsbezogenen Löhnen weiter, sodass die Löhne innerhalb von betrieblichen Berufen stärker variieren können, je schmaler die Aufgabenspanne ist.

Abbildung 4
Residuallohn-Varianz in Betrieben und deren Berufen nach Betriebsgrößen
Residuallohn-Varianz in Betrieben und deren Berufen nach Betriebsgrößen

Anmerkungen: Vorhersage des logarithmierten Variationskoeffizienten (VK) des Tages-Residuallohn (exponentielles Mincer-Residuum). Log-Residual-Tageslohn geschätzt mit einer gewöhnlichen Mincer-Regression. Zu den Mincer-Regressoren gehören demografische und Bildungsmerkmale sowie Jahres-, Branchen- und Regionalindikatoren. Variationskoeffizient berechnet für Tages-Residuallöhne innerhalb von Betrieben und deren Berufen (betrieblichen Arbeitsplätzen). Ergebnisse sind Unterschiede zur kleinsten Betriebsgrößenklasse (vier oder weniger Arbeitnehmer). Dicke, mittlere und dünne Linien repräsentieren die Konfidenzintervalle von 99 %, 95 % und 90 %.

Quelle: S. O. Becker, H. Egger, M. Koch, M.-A. Muendler: Tasks, Occupations, and Wage Inequality in an Open Economy, Januar 2018, University of California, San Diego, unveröffentlichtes Manuskript, basierend auf deutschen verknüpften Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Daten (LIAB) 1996-2014.

Die Verbindung von Adam Smiths Stecknadelfabrik zur Globalisierung folgt dann einer ähnlichen Logik wie im beschriebenen neuen Handelsmodell mit verschieden produktiven Unternehmen von Melitz.28 Produktivere Betriebe wählen die Globalisierung und exportieren. Der zusätzliche Überschuss aus den Exporten ermöglicht es den Exportunternehmen, eine feinere Aufteilung ihrer gesamten Aufgabenbereiche zu erreichen, und die Lohnungleichheit innerhalb der globalisierten Betriebe und ihrer Berufe nimmt zu. Becker et al. erarbeiten die Implikationen eines solchen Modells der globalisierungsinduzierten innerbetrieblichen Arbeitsteilung. Sie zeigen, dass, wenn die Arbeitsleistung der Arbeiternehmer sensibel auf die Bandbreite des Aufgabenbereiches reagiert, die Lohnungleichheit innerhalb von Betrieben auf der ganzen Welt zunimmt, da die globalisierten und ungleicheren Betriebe größere Anteile der Produkt- und Arbeitsmärkte einnehmen. Während die Einkommensungleichheit auf der ganzen Welt zunehmen kann, erhöht der Fortgang der globalen Arbeitsteilung zwischen Nationen, zwischen Arbeitgebern über Branchen hinweg und innerhalb von Arbeitgebern und deren Berufen den globalen Wohlstand.29

Abschließende Bemerkungen

Das klassische Außenhandelsparadigma, das auf komparativen Vorteilen auf der Ebene von Wirtschaftszweigen und unterschiedlichen Ressourcenknappheiten beruht, bietet klare Vorhersagen für die induzierte Lohnungleichheit innerhalb der Nationen, aber die Vorhersagen werden in der Praxis nicht bestätigt: Die Lohnungleichheit in qualifikationsarmen Nationen sollte sinken, aber das Gegenteil war der Fall, als sich die Schwellenländer in den letzten Jahrzehnten den Weltmärkten öffneten. Dagegen geht es bei der Globalisierung 2.0 nicht mehr allein um den Austausch von Endprodukten auf globalen Gütermärkten, wie es während der Globalisierung 1.0 noch der Fall war. Die Welt handelt heute in großem Maße Komponenten und Zwischenprodukte sowie Dienstleistungen, nachdem Wirtschaftszweige die Wertschöpfungsketten in Fertigungsstufen zerlegt haben, die anderswo auf dem Erdball und weit von der Endmontage entfernt angesiedelt werden können. Wenn sich die Fertigungsstufen aus relativ qualifikationsreichen in qualifikationsärmere Offshore-Volkswirtschaften verlagern, befinden sie sich tendenziell am unteren Ende der Qualifikationsintensität in den von ihnen verlassenen Volkswirtschaften, aber am oberen Ende der Qualifikationsintensität in den Ländern, in denen sie sich ansiedeln. Offshoring führt daher tendenziell zu einem Anstieg der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften rund um den Globus und damit zu einer steigenden Ungleichheit der Löhne innerhalb aller beteiligten Länder.

Eine Aufschlüsselung der Quellen der Lohnungleichheit innerhalb der Länder zeigt jedoch, dass die meisten Lohn­unterschiede nicht zwischen Wirtschaftszweigen oder Fertigungsstufen, sondern zu einem großen Teil innerhalb der Wirtschaftszweige und zwischen Unternehmen auftreten, und zu einem noch größeren Teil innerhalb von Betrieben und Berufen zu beobachten sind. Andere Aspekte der Globalisierung 2.0 verdienen daher eine weitere Überprüfung. Die Lohnunterschiede zwischen Betrieben gehen auf größere und stärker globalisierte Unternehmen zurück, die ihren Arbeitnehmern trotz ähnlichen Bildungsniveaus und ähnlicher weiterer Merkmale höhere Löhne zahlen. Wenn sich einige, aber nicht alle Unternehmen globalisieren, teilen die globalisierten Unternehmen ihren zusätzlichen Überschuss aus der Globalisierung mit ihren Arbeitnehmern und erhöhen die Lohnungleichheit bis zu einem gewissen Höchststand. Wenn die Wirtschaft erst einmal ausreichend in die Weltmärkte integriert ist und viele Unternehmen global agieren, wird die Lohnungleichheit durch die weitere Globalisierung jedoch wieder gemindert, denn sobald ein Großteil der Unternehmen globalisiert ist, fallen die Lohnunterschiede zu den wenigen nicht-globalisierten Unternehmen kaum mehr ins Gewicht. Die Globalisierung einzelner Unternehmen wirkt sich daher auch auf die innerstaatliche Ungleichheit aus. Ein letzter Mechanismus trägt tendenziell ebenfalls zur Erhöhung der Lohnungleichheit innerhalb der beteiligten Länder bei. Wenn Unternehmen sich globalisieren, nehmen sie auch eine feinere Arbeitsteilung im Sinne von Adam Smiths Stecknadelfabrik vor. Daten für Deutschland (wo die berufsinterne Spezialisierung der Arbeitnehmer auf Arbeitsaufgaben systematisch erhoben wird) zeigen, dass spezialisiertere Betriebe auch eine höhere innerbetriebliche Lohnstreuung aufweisen. Als Konsequenz führt die Globalisierung von Betrieben zu mehr innerstaatlicher Ungleichheit, da Betriebe mit höherer Lohnungleichheit innerhalb ihrer Berufe größere Anteile am Arbeitsmarkt einnehmen.

Wie genau die Folgen der weiteren Globalisierung die Einkommensungleichheit zwischen und in den beteiligten Nationen beeinflussen wird, ist letztlich eine empirische Frage. Wie gewichtig ist jeder einzelne der verschiedenen Mechanismen, durch die die Globalisierung im weiteren Verlauf auf die Einkommensverteilung Einfluss nimmt? Jüngste Fortschritte in der Außenhandelstheorie ermöglichen uns ein detailliertes Verständnis der Einkommens­ungleichheit und ihrer Quellen. Während die Folgen für die Einkommensungleichheit innerhalb der Nationen von der Art der Globalisierung abhängen, bleibt die grundlegende Erkenntnis, dass wirtschaftliche Veränderungen – sei es die Globalisierung, der technologische Wandel oder die Veränderungen im Verbraucherverhalten – Gewinner und Verlierer schaffen. Die damit verbundenen Einkommens- und Beschäftigungsrisiken beeinträchtigen die Akzeptanz des wirtschaftlichen Fortschritts. Es ist unsere Aufgabe als Bürger, als Teilnehmer am gesellschaftlichen Dialog und am politischen Prozess, den Wohlstand, den die freien Märkte erzeugen, mit dem Bedürfnis einer gerechten Verteilung in Einklang zu bringen.

* Ich bin meinen Koautoren dankbar, deren gemeinsame Arbeiten Teil dieses Berichts sind: Sascha O. Becker, Hartmut Egger, Gordon Hanson, Elhanan Helpman, Nels Lind, Oleg Itskhoki, Michael Koch und Steve Redding. Natürlich sind alle Fehler allein meine eigenen.

  • 1 A. Smith: An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, Printed for W. Strahan and T. Cadell, London 1776, reprinted by A. M. Kelley, New York 1966, Bd. 1, Kapitel I.
  • 2 Vgl. C. Morrisson, F. Murtin: Vers un monde plus égal?, in: Revue d’économie du développement, 20. Jg. (2012), H. 2, S. 5-30. Ihre vollständige Zeitreihe beginnt im Jahr 1730.
  • 3 Für historische Analysen dieser Perioden vgl. z. B. J. G. Williamson: Globalization, Convergence, and History, in: Journal of Economic History, 56. Jg. (1996), H. 2. S. 277-306; K. H. O’Rourke, J. G. Williamson: Globalization and history: The evolution of a nineteenth-century Atlantic economy, Cambridge und London 1999; R. Findlay, K. H. O’Rourke: Power and Plenty: Trade, War, and the World Economy in the Second Millennium Princeton Economic History of the Western World series, Princeton und Oxford 2007; und R. Baldwin: The Great Convergence: Information Technology and the New Globalization, Cambridge und London 2016.
  • 4 Vgl. J. G. Williamson: Globalization, Labor Markets and Policy Backlash in the Past, in: Journal of Economic Perspectives, 12. Jg. (1998), H. 4, S. 51-72.
  • 5 Vgl. D. Rodrik: Why Do More Open Economies Have Bigger Governments?, in: Journal of Political Economy, 106. Jg. (1998), H. 5, S. 997-1032.
  • 6 Vgl. A. Smith, a. a. O.; D. Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxation, 3. Aufl., London 1821.
  • 7 Vgl. G. H. Hanson, N. Lind, M.-A. Muendler: The Dynamics of Comparative Advantage, NBER Working Paper, Nr. 21753, November 2015.
  • 8 Die Idee, dass komparative Vorteile die Interaktion von Mensch und Maschine in einem Zeitalter der künstlichen Intelligenz steuern werden, geht auf ein Buchprojekt von Ronald Davies am University College Dublin zurück.
  • 9 Vgl. International Monetary Fund: Understanding the Downward Trend in Labor Income Shares, in: World Economic Outlook: Gaining Momentum, Vol. 1 of Handbooks in Economics, Washington DC, April 2017, Kapitel 3, S. 1-52, von M. C. Dao, M. Das, Z. Koczan, W. Lian.
  • 10 Vgl. D. H. Autor: Skills, Education, and the Rise of Earnings Inequality Among the „Other 99 Percent“, in: Science, 344. Jg. (2014), H. 6186, S. 843-851.
  • 11 Vgl. E. F. Heckscher, B. Ohlin: Heckscher-Ohlin trade theory, übersetzt, herausgegeben und eingeleitet von H. Flam und M. J. Flanders, Cambridge MA und London 1991; B. Ohlin: Interregional and International Trade, 39. Jg. (1952), 2. Aufl., Harvard Economic Studies, Cambridge 1931, Kapitel 6, S. 91-113.
  • 12 Ebenda.
  • 13 Vgl. W. F. Stolper, P. A. Samuelson: Protection and Real Wages, in: Review of Economic Studies, 9. Jg. (1941), H. 1, S. 58-73.
  • 14 Vgl. D. Ricardo, a. a. O.
  • 15 Vgl. P. K. Goldberg, N. Pavcnik: Distributional Effects of Globalization in Developing Countries, in: Journal of Economic Literature, 45. Jg. (2007), H. 1, S. 39-82.
  • 16 Für einen historischen Forschungsbericht dazu vgl. z. B. R. Juhász, C. Steinwender: Drivers of Fragmented Production Chains: Evidence from the 19th Century, Columbia Universität, Juli 2017, unveröffentlichtes Manuskript (präsentiert am NBER Summer Institute 2017).
  • 17 Für eine formale Erklärung der Idee vgl. R. C. Feenstra, G. H. Hanson: Foreign Investment, Outsourcing, and Relative Wages, in: R. C. Feenstra, G. M. Grossman, D. A. Irwin (Hrsg.): The political economy of trade policy: Papers in honor of Jagdish Bhagwati, Cambridge, London 1996, Kapitel 6, S. 89-127.
  • 18 Vgl. H. L. Moore: Laws of Wages: An Essay in Statistical Economics, New York 1911.
  • 19 Vgl. J. Mincer: Schooling, experience, and earnings, New York 1974.
  • 20 Vgl. E. P. Lazear, K. L. Shaw: Wage Structure, Raises, and Mobility: An Introduction to International Comparisons of the Structure of Wages Within and Across Firms, in: E. P. Lazear, K. L. Shaw (Hrsg.): The Structure of Wages: An International Comparison, Chicago, London, Mai 2009, Kapitel 1, S. 1-57.
  • 21 Vgl. M. J. Melitz: The Impact of Trade on Intra-Industry Reallocations and Aggregate Industry Productivity, in: Econometrica, 71. Jg. (2003), H. 6, S. 1695-1725.
  • 22 Vgl. E. Helpman, O. Itskhoki, S. J. Redding: Inequality and Unemployment in a Global Economy, in: Econometrica, 78. Jg. (2010), H. 4, S. 1239-1283; P. A. Diamond: Aggregate Demand Management in Search Equilibrium, in: Journal of Political Economy, 90. Jg. (1982), H. 5, S. 881-894; C. A. Pissarides: Short-run Equilibrium Dynamics of Unemployment Vacancies, and Real Wages, in: American Economic Review, 75. Jg. (1985), H. 4, S. 676-690; D. T. Mortensen, C. A. Pissarides: Job Creation and Job Destruction in the Theory of Unemployment, in: Review of Economic Studies, 61. Jg. (1994), H. 3, S. 397-415.
  • 23 Vgl. E. Helpman, O. Itskhoki, S. J. Redding, a. a. O.
  • 24 Vgl. E. Helpman, O. Itskhoki, M.-A. Muendler, S. J. Redding: Trade and Inequality: From Theory to Estimation, in: Review of Economic Studies, 84. Jg. (2017), H. 1, S. 357-405. Capuano und Schmerer schätzen das Modell für Deutschland, vgl. S. Capuano, H.-J. Schmerer: Trade and Unemployment Revisited: Do Institutions Matter?, in: World Economy, 38. Jg. (2015), H. 7, S. 1037-1063.
  • 25 Vgl. A. Smith, a. a. O.
  • 26 Vgl. S. O. Becker, M.-A. Muendler: Trade and Tasks: An Exploration Over Three Decades in Germany, in: Economic Policy, 30. Jg. (2015), H. 84, S. 589-641.
  • 27 Diese Arbeitsaufgaben sind Tätigkeiten am Arbeitsplatz, die beschreiben, was Arbeitnehmer während ihrer Arbeit tun. Das Multitasking in diesen Arbeitsbereichen steigt von durchschnittlich weniger als zwei Arbeitsaufgaben pro Arbeitsplatz 1979 auf mehr als sieben Arbeitsaufgaben 2006. Im Gegensatz dazu liegt einem großen Teil der Forschungsarbeiten für die USA die ONET-Datenbank zugrunde, aus der sich die routinemäßige Natur von Berufen, die manuellen Geschicklichkeitsanforderungen von Berufen und die kognitiven Anforderungen von Berufen ersehen lassen. Diese sogenannten Tasks kumulieren sich nicht im natürlichen Sinne von Adam Smiths Arbeitsschritten.
  • 28 M. J. Melitz, a. a. O.
  • 29 S. O. Becker, H. Egger, M. Koch, M.-A. Muendler: Tasks, Occupations, and Wage Inequality in an Open Economy, Januar 2018, University of California, San Diego, unveröffentlichtes Manuskript.

Title:International Trade, Labour Markets and the Global Distribution of Incomes

Abstract:As globalisation progresses, it moves the income dispersion between and within countries. Research into the nexus between globalisation and inequality has evolved and provides improved and more nuanced explanations beyond Adam Smith and David Ricardo’s earlier explanations. Nonetheless, their principal insights into the benefits from the global division of labour remain as relevant as ever. With globalisation 2.0, it is no longer just final products that are being exchanged. The modern world economy trades components, intermediates and services. Their manufacturing stages are often located in less skilled countries, leading to heightened wage inequality within countries. Recent advances in international trade theory provide further detailed understanding of the income dispersion brought about by wage differentials between more and less globalised firms, on the one hand, and caused, on the other hand, by the globalisation-induced division of labour between occupations within firms and the accompanying wage dispersion.


DOI: 10.1007/s10273-018-2277-8