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Mit „Dieselgate“ hat sich der Umstieg auf Elektroautos beschleunigt. Den ab 2020 in der Europäischen Union (EU) verschärften CO2-Vorgaben für die Autobauer fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Nach der Regulierung dürfen neue Personenkraftwagen (Pkw) im Mittel nur noch 95 g CO2/km ausstoßen. Wird der Grenzwert überschritten, muss der Hersteller empfindliche Strafen zahlen. Die Regulierung setzt einen ungewohnten Preismechanismus in Gang. Elektroautos werden für die Autobauer bis zu einem gewissen Volumen um mehr als 10 000 Euro pro Fahrzeug wertvoller als der Preis, den sie am Markt erzielen.

Mit der EU-Verordnung Nr. 443 von 23. April 2009 wurde festgelegt, dass die durchschnittlichen CO2-Emissionen aller neuen Pkw in der EU ab 2015 den Grenzwert von 130 g CO2/km nicht überschreiten dürfen. Zur Einordnung: Ein Ausstoß von 130 g CO2/km entspricht einem Benzinverbrauch von 5,5 l/100 km. Zusätzlich gilt nach der EU-Verordnung, dass ab 2019 die Nichteinhaltung der Grenzwerte ab der ersten Emissionseinheit mit Strafzahlungen von 95 Euro pro Gramm belegt wird. Ergänzt wurde der Richtwert durch einen Gewichtsfaktor. Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte es seinerzeit so aus, dass der Familienwagen doch mehr verbrauchen dürfe als der Kleinwagen. Durch den Gewichtsfaktor ist es deutschen Premiumherstellern wie Mercedes oder BMW möglich, im Durchschnitt mehr als 130 g CO2/km pro Pkw auszustoßen, während Fiat oder Peugeot-Citroen aufgrund kleinerer Fahrzeuge weniger zugestanden wird.

Trotz anfänglichem Protest der Autoindustrie konnte der Grenzwert von 130 g CO2/km von allen Autobauern mit konventionellen Antrieben, die sich nahezu vollständig aus Diesel- und Ottomotoren zusammensetzen, erfüllt werden. Strafzahlungen fielen keine an. Dann kam Ende 2015 „Dieselgate“. Der vorsätzliche Verstoß gegen Umweltgesetze in den USA durch den VW-Konzern leitet den Ausstieg aus dem Diesel ein. Schnell wurde auch in Europa klar, dass selbst neuste Diesel-Pkw deutlich mehr Stickoxide im Alltagsfahrbetrieb ausstoßen als erlaubt. Die Diskussion um Dieselfahrverbote und die Abschaffung der Steuervorteile für Dieselkraftstoff ließen die Verkaufszahlen und Marktanteile von Diesel-Pkw einbrechen. Zusätzlich steigen die Produktionskosten bei Diesel-Pkw, da eine teurere Abgasreinigung eingesetzt werden muss. Hersteller, wie Volvo, kündigten an, in die Entwicklung von Diesel-Pkw nicht mehr zu investieren. Mit dem Rückgang der Verkäufe verliert der Diesel zusätzlich seine Scale Economies. Kurzum, die unerwartete Dieselkrise baute neuen und unerwarteten Druck bei der Einhaltung der CO2-Grenzwerte auf.

Nach EU-Verordnung 443/2009 gilt zudem ab Januar 2020 ein verschärfter Grenzwert von 95 g statt 130 g CO2/km. Der strenge Grenzwert korrespondiert mit einem Benzinverbrauch von 4,0 l/100 km. Ohne Dieselgate hätte die Branche die neuen Grenzwerte mit hoher Wahrscheinlichkeit durch einen Mix aus konventionellen Antrieben und Hybrid-Fahrzeugen bewältigen können. Nach Dieselgate und dem anhaltenden Trend zu immer mehr energieintensiven sportlichen Geländewagen (SUV) sind die 95 g-CO2-Anforderungen ohne alternative Antriebe – sprich Elektroautos – für die Autobauer nicht mehr erfüllbar. Hinzu kommt, dass der neue Grenzwert von 95 g CO2/km nach 2025 weiter verschärft wird. Ohne rein elektrische Pkw, die in den nächsten Jahren so gut wie ausschließlich durch batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) gestellt werden, sind die Regulierungen nicht mehr erfüllbar. Dabei gehen BEV als Null-Emissions-Fahrzeuge (lokal emissionsfrei) in die Berechnung der CO2-Werte ein. Für die deutschen Autobauer stellt sich die Erschwernis ein, dass der Gewichtsfaktor ab 2020 deutlich abgeschwächt wird. Der Familienwagen wird dem Kleinwagen nahezu gleichgestellt.

Wie die neue Ausgangssituation für die Autobauer wirkt, beschreibt ein einfaches Modell. Dabei vernachlässigen wir zunächst den Gewichtsfaktor für den Familienwagen und die „Übergangspfade“. In der späteren Simulationsrechnung sind diese Nebenbedingungen selbstverständlich integriert. Das Modell unterstellt, dass ein Autobauer jährlich 100 000 Pkw-Neuwagen in der EU verkauft und die Fahrzeuge im Durchschnitt 130 g CO2/km emittierten. Der Anteil der BEV sei Null. Beim künftigen Grenzwert von 95 g CO2/km liegt dann pro Pkw eine Überschreitung von 35 g CO2 vor, die jährliche Strafzahlungen von 332,5 Mio. Euro auslöst. Auch für Autobauer ist dies eine erhebliche finanzielle Belastung. Würde der Autobauer seinen Produktmix so verändern, dass er 1000 BEV und 99 000 konventionelle Fahrzeuge mit CO2-Emissionen von 130 g CO2/km anbietet, würde das Durchschnittsfahrzeug bei Emissionen von 128,7 g CO2/km liegen und sich die Strafzahlungen um 12,35 Mio.Euro reduzieren. Damit hat jedes BEV einen Zusatzwert von 12 350 Euro über dem Marktpreis, den der Autobauer erzielt.

Der Autobauer kann im Modell die Strafzahlung gänzlich vermeiden, wenn er den Produktmix für die 100 000 Neuwagen verändert und 73 077 konventionelle Pkw mit 130 g CO2/km und 26 923 BEV-Modelle, die definitionsgemäß lokal emissionslos fahren, absetzt. Dabei besitzt jedes BEV bis zur Absatzmenge von 26 923 BEV für den Autobauer den Zusatzwert von 12 350 Euro.

Abbildung 1
Zusatzwert batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV)durch Regulierung
Zusatzwert batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV)durch Regulierung

Quelle: eigene Berechnungen.

Ab dem 26 924-sten BEV sinkt der Zusatzwert auf Null, vorausgesetzt es gibt keine Möglichkeit, die „Zielverbesserungen“ auf einem Markt für CO2-Emissionen zu verkaufen (vgl. Abbildung 1). Der Modell-Mechanismus wird deutlich, wenn wir statt 130 g CO2/km von einem Flottendurchschnitt von nur 120 g CO2/km ausgehen. Jetzt gilt ein Zusatzwert pro BEV von 11 400 Euro bis zur Grenze von 20 833 BEV. Ab dem 20 834-ten BEV sinkt der Zusatzwert des zusätzlichen BEV auf Null. Abbildung 1 spielt ein drittes Beispiel mit einem CO2-Flottenwert von 110 g CO2/km durch. In diesem Fall sinkt der Zusatzwert des BEV auf 10 450 Euro bis zur Angebotsmenge von 13 636. Ab dem 13 637-sten BEV fällt der Zusatzwert auf Null.

Die Regulierung erzeugt für BEV Zusatzwerte durch vermiedene Strafzahlungen, die deutlich über 10 000 Euro pro Fahrzeug für den Autobauer liegen können. Einfache Elektroautos, wie etwa der Renault ZOE, werden für 25 000 Euro im Markt angeboten. Angewendet auf unser Beispiel würde das bedeuten, dass ein solcher Elektro-Kleinwagen für den Autobauer dann nicht 25 000 Euro, sondern in Summe 35 000 Euro an Wert darstellen würde. Dabei gilt, je stärker die CO2-Emissionen im Flottendurchschnitt in der Ausgangslage vom künftigen Grenzwert 95 g CO2/km abweichen, umso höher ist der Zusatzwert für den Autobauer und umso mehr BEV müssen angeboten werden, um Strafzahlungen zu vermeiden. Bereits an diesem einfachen Modell wird erkennbar, dass es ökonomisch wenig sinnvoll ist, wenn der Autobauer nicht alles daran setzen würde, die entsprechende Zahl an Elektroautos zu verkaufen.

Ein zweites Argument verstärkt den Druck auf die Autobauer, bis 2020 eine entsprechende Zahl an reinen Elektroautos (BEV) zu verkaufen. Wird ein Autobauer zu Strafzahlungen „verurteilt“, ist dies gleichbedeutend damit, dass er die Klimaziele verletzt. Wer würde sich bei der großen Markenauswahl im Automarkt beim Neuwagenkauf für ein Modell entscheiden, bei dem der Nachbar ihn als Klimafrevler ansieht. Zu dem Zusatzwert durch die Regulierung muss also noch eine Art Reputationsstrafe in die Rechnung des Autobauers eingehen.

„Wenn der Umstieg auf umweltschonende E-Autos gelingen soll, kann der Verbrennungsmotor Diesel nicht auf alle Zeiten weiter wie bisher subventioniert werden“, sagte VW-Chef Müller dem „Handelsblatt“ am 10.12.2017. Das Interview löste eine breite Diskussion auch unter den Autobauern aus. „Sinn und Zweck der Dieselsubventionen“ müsse mit Blick auf die Einführung von umweltschonenderen E-Autos hinterfragt werden. Abstriche bei den Diesel-Subventionen, dafür Anreize für Elektroautos wären „das richtige Signal. Das würden wir aushalten, ohne gleich Existenzängste haben zu müssen“, so Müller weiter. Man gewinnt den Eindruck, Müller argumentiert im vorstehenden Modell.

Unser einfaches Modell soll jetzt in einer Simulation auf den EU-Automarkt umgelegt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen sind die CO2-Emissionen der Neuwagen im deutschen Automarkt 2017. Die Autobauer können sich als Gruppen veranlagen lassen, d. h. nicht der CO2-Wert der Marke ist ausschlagend, sondern der Hersteller bzw. der Gruppenwert als Ganzes. So haben etwa die Neuwagen der BMW Group 2017 in Deutschland im Durchschnitt 127,5 g CO2/km emittiert. Die Deutschland-Werte des Jahres 2017 wurden mit einem EU-Faktor auf die EU28-Länder hochgerechnet. Nach dieser Umrechnung kommt die BMW Group in der EU auf nur 123,8 g CO2/km pro Neuwagen, weil im deutschen Markt der Produktmix stärker auf größeren Fahrzeugen liegt.

Das von der BMW-Group zu erreichende Ziel, um Strafzahlungen nach 2020 zu vermeiden, liegt bei 99,6 g CO2/km, weil CO2-Werte mit dem Gewichtsfaktor „bereinigt“ werden. Die Berechnung erfolgt nach EU-Verordnung 443/2009 mit einem Sockelbetrag von 95 g CO2/km. Der Zusatzbetrag, der den Sockelbetrag erhöht oder verringert, beträgt ab 2020 statt 0,0457 g dann 0,0333 g CO2 je kg Masse. Damit lassen sich Zielwerte, wie in Tabelle 1 dargestellt, berechnen.

Tabelle 1
Batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) und Zusatzwerte
CO2-Ziele 20231 Hybridfahrzeuge2 Strafzahlung ohne BEV Zahl
BEV3
Zusatz-wert eines BEV
g CO2/km Mio. Euro in Euro
BMW Group 99,6 110,1 1 090 93 000 11 900
Mercedes-Smart 102,5 115,6 1 248 101 000 12 400
VW-Gruppe 96,7 107,5 3 980 347 000 11 400

Markenindividuelle Ziele, um Strafzahlungen nach 2020 zu vermeiden. Annahme eine Anteils von 85 % für 48-Volt-Hybridfahrzeuge.  3 BEV, die abgesetzt werden müssen, um den EU-Grenzwert zu erreichen und Strafzahlungen zu vermeiden.

Quelle: CAR Universität Duisburg-Essen.

Die Simulation unterstellt, dass die Struktur der Neuwagenverkäufe zwischen den Marken gleich bleiben, aber gleichzeitig das Gewicht der Fahrzeuge der deutschen Autobauer wegen der SUV-Welle stärker steigt als bei den anderen Herstellern. Zusätzlich gehen wir davon aus, dass die Struktur der Pkw-Verkäufe zwischen den Märkten (Länder-Portfolio) gleich bleibt. Nach 2020 wird ein EU-Automarkt von 16,1 Mio. Pkw unterstellt (14,6 Mio. im Jahr 2016). Hauptgrund für das Wachstum sind die nicht-gesättigten Pkw-Märkte in den neuen EU-Staaten. Den Autobauern steht neben den konventionellen Otto- und Dieselantrieben als zusätzliche Innovation der sogenannte 48-Volt-Hybrid zur Verfügung. Damit lassen sich Kraftstoff-Einsparungen in der Spitze von 20 % erzielen. In der Simulation sind die 48-Volt-Hybrid-Einsparungen mit 13 % angesetzt. Der Hybrid zeichnet sich durch eine größere Lithium-Ionen-Batterie aus, die ausschließlich durch Rekuperation geladen wird. Die Kosten für die Technologie werden auf 500 Euro bis 800 Euro pro Fahrzeug geschätzt. Damit kommt der 48-Volt-Benziner-Hybrid auf Verbrauchswerte, die auf dem Niveau von reinen Dieselantrieben liegen.

Die EU-Grenzwerte wirken bei den gegebenen Technologien ähnlich wie eine Elektroautoquote. Für die EU ergibt sich nach der Simulation ein jährlicher Bedarf von 1,45 Mio. Elektroautos, d. h. 9 % aller Neuwagen, wenn der Grenzwert erreicht werden soll. Für die BMW Group errechnet sich in der Simulation ein BEV-Anteil von 8,5 % oder 93 000 BEV (vgl. Tabelle 1). Ein ehrgeiziges Ziel, aber die Modell-Initiativen von BMW stützen die Zahl. Die Simulation zeigt auch, dass es essenziell für Mercedes ist, Smart als reine Elektromarke zu etablieren. Die Planungen bei Mercedes sehen vor, ab 2019 den Kleinwagen Smart ausschließlich als Elektroauto zu verkaufen. Legt man die heutigen Verkaufszahlen von Smart zugrunde – knapp 100 000 Neuwagen in der EU –, wären auch die anspruchsvollen Mercedes-Smart-Grenzwerte erreichbar.

Unter den deutschen Autobauern investiert die VW-Gruppe am massivsten in Elektromobilität. Insgesamt hat die VW-Gruppe nach 2020 einen Europa-Bedarf von jährlich knapp 350 000 BEV. Neben den ersten 500 Reichweitenstarken BEV von Audi (2018) und Porsche (2019), rollt der VW-Konzern über alle Marken mit hohem Druck seine Elektromobilität aus. Die EU-Grenzwerte von 95 g CO2/km sind nach Dieselgate der entscheidende Politikparameter für den Durchbruch der Elektromobilität in Europa.

Die BMW Group müsste etwa ohne BEV mit jährlichen Strafzahlungen von 1,09 Mrd Euro, Mercedes-Smart mit 1,248 Mrd. Euro und der VW-Konzern mit 3,98 Mrd. Euro rechnen. Damit liegt der Zusatzwert eines BEV in der BMW Group bzw. der VW-Gruppe bei 11 900 Euro bzw. 11 400 Euro. Bei Mercedes-Smart steigt der Zusatzwert gar auf 12 400 Euro. Da die Zusatzwerte unabhängig von der Größe von Elektroautos sind, ist es für die Autobauer sinnvoll, preisgünstige und nicht ganz so reichweitenstarke Klein- und Kompaktfahrzeuge anzubieten.

Da nach der EU-Verordnung 443/2009 2020 jeder Neuwagen mit weniger als 50 g CO2/km bei der Ermittlung der CO2-Ziele als 2,0 Pkw, im Jahre 2021 als 1,67 Pkw, im Jahre 2022 als 1,33 Pkw und erst ab dem Jahr 2023 als ein Pkw, in die Berechnung der Regulierung eingeht, ist ein systematischer Hochlauf der Elektroautos ab 2020 zu erwarten, der 2023 mit geschätzten 1,45 Mio. BEV einem BEV-Anteil von 9 % entspricht. China ist mit seiner Elektroauto-Quote zwar schneller, aber die EU folgt in hohem Tempo. Gleichzeitig hat die EU-Kommission am 8.11.2017 Vorschläge zur weiteren Verbesserung von CO2-Emissionen für die Zeit von 2020 bis 2030 vorgestellt. Danach sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 30 % verbessert werden, was CO2-Werten von 67 g CO2/km entsprechen würde. Zusätzlich gilt, dass die sogenannten Real Driving Emissions mit in die Regulierung aufgenommen werden und die heutigen „Laborzertifizierungen“ ergänzen. Auch dies bedeutet weitere Verschärfungen der Vorgaben, die nur durch einen größeren Anteil an BEV einzuhalten sind. Die EU steuert auf das Elektroauto zu. Der Markthochlauf startet durch die Regulierung ab 2020. Dabei besitzen die Elektroautos einen hohen Zusatzwert für Unternehmen, der für deutschen Autobauer gut 10 000 Euro über dem Marktpreis der Fahrzeuge liegt. Mit dem Elektroauto gehen wir in eine neue Ära der Mobilität. Umso wichtiger ist, dass sich auch Europa um den zentralen Baustein des Elektroautos kümmert und eine leistungsfähige Zell- und Batterie-Kompetenz aufbaut.


DOI: 10.1007/s10273-018-2255-1

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