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Die Überschüsse des öffentlichen Gesamthaushalts haben 2017 abermals einen Rekordstand erreicht (36,6 Mrd. Euro laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung). Auch der Haushalt des Bundes wies, trotz der Rückerstattung der Kernbrennstoffsteuer, einen positiven Saldo auf. Die Koalitionsgespräche von CDU/CSU und SPD fanden damit vor dem Hintergrund prall gefüllter Kassen bei Bund und Sozialversicherungen statt, was zu einer Vielzahl expansiver Maßnahmen im Koalitionsvertrag führte. Allein die prioritären Maßnahmen, wie die Reduktion des Solidaritätszuschlags, die Anhebung des Kindergeldes und die Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose („sozialer Arbeitsmarkt“), sollen nach Berechnungen, die in die Koalitionsverhandlungen einflossen, den Bund während der Legislaturperiode mit 46 Mrd. Euro belasten. Zahlreiche andere Maßnahmen sind mit Prüfaufträgen versehen.1 Ferner wird der „Digitalpakt Schule“ mit 5 Mrd. Euro ausgestattet; für den flächendeckenden Breitbandausbau sind bis zu 12 Mrd. Euro vorgesehen, die durch die Auktion neuer Funklizenzen gedeckt werden sollen. Sofern die Einnahmen tatsächlich in besagtem Umfang entstehen, hätten die Maßnahmen finanzwirtschaftlich keine Budgetwirkung zur Folge. Die konjunkturelle Wirkung wäre fraglich, da zwar die Staatsausgaben steigen, aber dem Unternehmenssektor Mittel entzogen würden. Zudem sieht der Koalitionsvertrag mehrere sehr umfangreiche Maßnahmen vor, die von den Sozialversicherungen finanziert werden sollen. Hierzu zählen insbesondere Rentenerhöhungen, aber auch die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung.

In der Konjunkturprognose, wie sie jüngst von den Instituten vorgelegt wurde,2 ist es von zentraler Bedeutung, die politischen Rahmenbedingungen adäquat abzubilden. Dazu gehört es, die Impulse der Finanzpolitik zu quantifizieren. Derzeit sind zwar viele Maßnahmen im Koalitionsvertrag benannt und quantifiziert, aber viele Details, wie z. B. die Verteilung des Mittelabflusses auf der Zeitachse, nicht definiert. Bei Maßnahmen, die nicht direkt den Bundeshaushalt betreffen, liegen im Koalitionsvertrag zumeist keine Quantifizierungen vor. Zudem müssen, um einen gesamtstaatlichen Fiskalimpuls herzuleiten, die Verflechtungen mit den anderen Gebietskörperschaften, also Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen, berücksichtigt werden. Die Quantifizierung, die die Institute im Rahmen der Gemeinschaftsdiagnose vorgenommen haben, versucht, all diese Aspekte zu berücksichtigen, blendet aber viele Ungewissheiten aus. So können Vorhaben im Laufe des Gesetzgebungsprozesses einen anderen Charakter und Umfang bekommen. Zudem könnten angesichts des Bekenntnisses zur „Schwarzen Null“ und der grundgesetzlichen Vorgaben der Schuldenbremse gerade in der mittleren Frist Maßnahmen angesichts dieses Finanzierungsvorbehalts entfallen. In Anbetracht der hohen Rücklagen im Bundeshaushalt und der weiterhin sprudelnden Steuereinnahmen für 2018 und 2019 ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Finanzierungsvorbehalt bindet. Sollte sich die wirtschaftliche Dynamik merklich abkühlen und die Zahlungen an die EU im Zuge des Brexits merklich steigen, könnte die Anhebung der Freigrenze beim Solidaritätszuschlag im Jahr 2021 in Konflikt mit der „Schwarzen Null“ treten. In der Quantifizierung der Maßnahmen des Koalitionsvertrags (in dieser Darstellung bis einschließlich 2022, dem Ende des mittelfristigen Prognosezeitraums) wird unterstellt, dass der Finanzierungsvorbehalt nicht bindend wirkt.

Tabelle 1
Finanzpolitische Maßnahmen des Koalitionsvertrags1
Belastungen (–) und Entlastungen (+) des gesamtstaatlichen Haushalts in Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr
2018 2019 2020 2021 2022
Steuern und Sozialbeiträge2
Weitere Erhöhung des Kinderfreibetrags bei der Einkommensteuer 0 -0,2 -0,2 -0,5
Abbau der kalten Progression (im Zwei-Jahres-Rhythmus) -1,3 0 -1,4 -0,1
Steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum -0,2 -0,2 0 0 0
Schrittweises Abschmelzen des Solidaritätszuschlags -10,0 -0,4
Senkung Beitragssatz Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte -1,5 -1,6 -0,1 -0,1 -0,1
Erhöhung der Forschungsausgaben auf 3,5 % des BIP -0,5 -0,3 -0,3 0
Änderung bei Bemessungsgrundlage in der GKV -0,2 0 0 0
Parität beim Zusatzbeitrag zur GKV -0,4 0 0 0
Investive Maßnahmen (Summe) -2,6 -2,4 4,0
Zusätzliche Mittel für die Kinderbetreuung -0,5 -0,5 0
Monetäre Transfers
Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro/Monat ab dem 1. Juli 2019 -0,8 -0,9 0 0
Erhöhung des Kindergeldes um 15 Euro/Monat ab dem 1. Januar 2021 -2,3 0
Erhöhung des Kinderzuschlags -0,1 -0,2 0 0 0
Aufstockung des BAföG -0,1 -0,2 0 0 0
Aufstockung der Mütterrente -1,8 -1,7 -0,1 -0,1
Grundrente -1,2 -0,1 0 0
Sonstige Maßnahmen
Aufstiegsfortbildung in der beruflichen Bildung -0,1 -0,1 0 0 0
Mehrausgaben für Verteidigung und Entwicklungshilfe -0,2 -0,3 -0,1 -0,2 0,3
Zusätzliche Mittel für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt -1,1 -0,2 -0,2 0,9
Regionale Strukturpolitik -0,3 -0,1 0 0 0
Ländliche Räume -0,3 -0,1 0 0 0
Insgesamt -2,8 -13,2 -6,5 -16,8 4
In Relation zum BIP in % -0,1 -0,4 -0,2 -0,4 0,1
Insgesamt (Belastungen gegenüber 2017) -2,8 -16 -22,5 -39,3 -35,3
Kumuliert -2,8 -18,8 -41,3 -80,6 -115,9

1 Ohne makroökonomische Rückwirkungen.  2 Die Wirkungen der Steuerrechtsänderungen beziehen sich auf das Kassenjahr.

Quelle: Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2018: Deutsche Wirtschaft im Boom – Luft wird dünner, 2018, http://gemeinschaftsdiagnose.de/2018/04/19/gemeinschaftsdiagnose-fruehjahr-2018-deutsche-wirtschaft-im-boom-luft-wird-duenner/ (3.5.2018)

Im laufenden Jahr dürften die haushaltswirksamen Maßnahmen, die auf den Koalitionsvertrag zurückgehen, nur gering sein, da der Gesetzgebungsprozess typischerweise eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Die Gemeinschaftsdiagnose rechnet mit einer Mehrbelastung von 2,8 Mrd. Euro, wobei eine Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung bereits zum 1.7.2018 unterstellt wurde (vgl. Tabelle 1). Der jüngsten Berichterstattung folgend ist allerdings eine Absenkung erst zum 1.1.2019 wahrscheinlich, sodass 2018 keine wesentlichen Konjunkturimpulse vom Koalitionsvertrag zu erwarten sind. 2019 soll dann eine Vielzahl an Projekten insbesondere im Steuer- und Transfersystem umgesetzt werden. Rentenleistungen werden im Zuge der sogenannten Mütterrente II, die laut aktueller Berichterstattung nicht wie in der Gemeinschaftsdiagnose angenommen Mitte 2018, sondern zu Jahresbeginn 2019 startet, und der Einführung der Grundrente, die entgegen der Annahme der Gemeinschaftsdiagnose erst im Herbst 2019 und nicht zu Beginn einsetzen dürfte, ausgeweitet. 2019 ist angesichts des anstehenden Progressionsberichts mit einer Verschiebung des Einkommensteuertarifs zu rechnen, obgleich auch hier die Terminierung noch offen ist. Die Wiedereinführung der Parität in der Gesetzlichen Krankenversicherung schlägt hingegen nur in dem Maße zu Buche, in dem die öffentliche Hand als Arbeitgeber auftritt. Allerdings ist damit zu rechnen, dass die mit der Parität einhergehende Erhöhung des Arbeitnehmerentgelts in den anstehenden Tarifverhandlungen einfließen und zu Überwälzungsversuchen führen wird. Zusammen mit investiven Maßnahmen rechnen die Institute der Gemeinschaftsdiagnose für 2019 insgesamt mit einem deutlichen Impuls gegenüber dem Vorjahr von ca. 13 Mrd. Euro (0,4 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – BIP). Für 2020 erwarten die Institute hingegen, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrags keinen merklichen zusätzlichen Impuls im Vergleich zum Vorjahr bringt, da ein Großteil der Maßnahmen 2019 auf den Weg gebracht wird. Anlaufverzögerungen im investiven Bereich, die den sofortigen Abruf der Mittel erschweren, dürften aber dazu führen, dass 2020 dennoch etwas mehr verausgabt wird.

Die Anhebung der Freigrenze beim Solidaritätszuschlag und der Ausgleich der kalten Progression führen 2021 zu merklichen Mindereinnahmen. Ferner soll das Kindergeld erneut erhöht werden. Insgesamt steigt im Wahljahr 2021 die Budgetbelastung im Vergleich zum Vorjahr um rund 17 Mrd. Euro (0,4 % des BIP), und damit stärker als in den vorangegangen Jahren. 2022, also jenseits der aktuellen Legislaturperiode, sinkt die Belastung der öffentlichen Haushalte durch Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag, weil einige Projekte zeitlich befristet sind und nach Ablauf der Legislaturperiode auslaufen dürften. Allerdings sind die zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte im Vergleich zu 2017 mit 35,3 Mrd. Euro weiterhin enorm. Viele Maßnahmen, etwa die Ausweitung der Rentenleistungen oder die Absenkung des Solidaritätszuschlags, haben dauerhaften Charakter. Kumuliert über die gesamte mittlere Frist, rechnen die Institute mit zusätzlichen Belastungen von 115,9 Mrd. Euro.

Die Maßnahmen des Koalitionsvertrags dürften eine nicht unerhebliche Wirkung auf die Konjunktur in Deutschland entfalten. Die im Rahmen der Gemeinschaftsdiagnose herangezogenen Modelle zeigen nahezu im Gleichklang eine merkliche Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität an. Bei einer wie hier angenommenen Umsetzung der Maßnahmen des Koalitionsvertrags würde die gesamtwirtschaftliche Produktion das Produktionspotenzial 2021 um 0,7 bis 1 Prozentpunkt stärker überschreiten als ohne die Maßnahmen. Da aktuelle Schätzungen darauf hindeuten, dass sich die Wirtschaft in Deutschland bereits in der Überauslastung befindet, wirkt die Finanzpolitik somit wohl prozyklisch.


DOI: 10.1007/s10273-018-2303-x