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Klimaschutzprogramm: Klimaschutzgesetz ist nötig

Von Claudia Kemfert

Die Erwartungen waren hoch, sehr hoch. Fridays for future, scientists for future, entrepreneurs for future und wie sie alle heißen waren auf den Straßen in der ganzen Welt, Millionen waren unterwegs. Klimaschutz soll endlich beherzt umgesetzt werden, und zwar überall auf der Welt, auch in Deutschland. Zeitgleich hat das deutsche Klimakabinett das Klimaschutzprogramm 2030 präsentiert. Es bleibt leider weit hinter den Erwartungen zurück. Es wurde nicht das formuliert, was klimapolitisch notwendig, sondern was politisch durchsetzbar ist.

Positiv ist, dass es konkrete Sektorziele gibt, die jährlich von einem Expertenrat überprüft und an europäischen Zielen ausgerichtet werden. Zudem soll richtigerweise der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller und intensiver vorangehen – leider hat man aber die Abstandsregeln für Windenergie beibehalten. Der Ausbaudeckel für Solarenergie wird abgeschafft. Außerdem sind ab 2026 keine neuen Ölheizungen erlaubt und die energetische Gebäudesanierung wird finanziell stärker unterstützt. Auch der Schienenverkehr soll genauso wie die Ladeinfrastruktur und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) stärker finanziell gefördert werden. Schade ist, dass man an der schwarzen Null so streng festhält. In Zeiten von drohender Rezession und niedrigen Zinsen garantieren Klimaschutzinvestitionen eine dauerhaft nachhaltige, innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Selten waren die Bedingungen so gut, den Klimaschutz als Wirtschaftsmotor für eine nachhaltige Zukunft stärken zu können. Die Chance wird vertan.

Weniger positiv ist: Die Emissionsminderungsziele bis 2030 werden mit den beschlossenen Maßnahmen nicht erreicht werden können. Vor allem im Verkehrssektor werden die Klimaziele deutlich verfehlt. Die Emissionsminderungslücke aufgrund unzureichender Maßnahmen beträgt bis zu 55 Mio. t CO2. Der gewählte CO2-Preis wird daran kaum etwas ändern, er ist viel zu niedrig, um eine Lenkungswirkung zu erreichen: 3 Cent pro Liter Preiserhöhung in zwei Jahren (!) entsprechen den täglichen Schwankungen des Benzinpreises an der Zapfsäule. Dafür wird keiner sein Auto stehen lassen oder auf umwelt- und klimaschonende Varianten umsteigen. Wenn gleichzeitig auch noch die Pendlerpauschale erhöht wird, konterkariert man nicht nur die Klimaziele, sondern es bekommen nun Vielfahrer Extra-Geld ohne Gegenleistung. Statt einer Pendlerpauschale wäre ein Mobilitäts-Geld für echte nachhaltige Mobilität sinnvoller gewesen. Statt 10 Euro pro t CO2 wären 35 Euro Einstiegspeis notwendig gewesen. Dieser hätte sich auf 80 Euro bis 2025 erhöhen müssen, um die Emissionen in ausreichendem Maß zu senken. Die Vermeidungskosten im Verkehrssektor (und auch im Gebäudesektor) sind sehr hoch (180 bis 240 Euro pro t CO2). Dieser homöopathische CO2-Preis ist ein Witz. Schlimmer noch: Statt umweltschädliche Subventionen abzubauen, werden diese sogar noch erhöht. Man hat es versäumt, das Dieselprivileg abzubauen, eine Klima-Maut einzuführen oder die Kerosinsteuer zu erhöhen. Die Zielverfehlung ist somit vorprogrammiert, wir müssen in Europa Zertifikate zukaufen, das wird Milliarden Euro kosten. Wenig Klimaschutz für viel Geld, das erhöht nicht gerade die Akzeptanz.

In der Summe kann man somit festhalten, dass das Klimaschutzprogramm nicht der große Wurf ist, der angekündigt wurde. Wenn man wohlwollend ist: Es ist ein Anfang. Es bedarf nun vieler weiterer Schritte: Der Kohleausstieg muss rasch angegangen, die Windenergie-Abstandsregelung abgeschafft, die klimaschädlichen Subventionen heruntergefahren werden, und man muss gerade im Verkehrsbereich deutlich mehr tun, um Klimaschutz endlich umzusetzen. Ein Klimaschutzgesetz ist eine notwenige Bedingung, um die Klimaziele bis 2030 tatsächlich zu erreichen. Keinesfalls sollte das ohnehin wenig ambitionierte Klimpaket weiter abgeschwächt werden, Sektorziele und die jährliche Überwachung sind essenziell. Die Fridays-for-Future-Bewegung wird weitermachen müssen, so viel ist sicher.

Geldpolitik der EZB: Differenzierte Betrachtung

Von Ulrike Neyer

Im September 2019 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Zinssatz auf ihre Einlagefazilität von -0,4 % auf -0,5 % gesenkt. Sie hat damit den „Strafzins“ erhöht, den Banken auf ihre Guthaben bei der EZB zahlen müssen. Ferner hat sie die Wiederaufnahme ihres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) beschlossen. Für eine Bewertung dieser Beschlüsse ist das gesamtwirtschaftliche Umfeld zu betrachten, in dem die EZB diese Entscheidungen getroffen hat: Das Wirtschaftswachstum im Euroraum hat sich merklich abgeschwächt. Die Wachstumsaussichten sind mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, wobei die Abwärtsrisiken stark überwiegen (Handelskonflikte, Brexit). Die aktuelle, aber auch die projizierte Inflationsrate sowie die mittelfristigen Inflationserwartungen liegen unter dem Zielwert der EZB. Dies verlangt typischerweise nach einem expansiven geldpolitischen Impuls. Die Geldpolitik steht damit derzeit jedoch vor einem Dilemma. Signifikante Zinssenkungen sind nicht möglich, da die EZB-Zinssätze bereits seit längerem bei null, bzw. im negativen Bereich liegen. Die EZB agiert damit schon relativ nah an ihrer effektiven Zinsuntergrenze. Zudem nehmen mit der Dauer der extremen Niedrigzinsphase die unerwünschten Nebenwirkungen zu. Wie sind die geldpolitischen Beschlüsse der EZB vor diesem Hintergrund zu bewerten?

Die minimale Senkung des Einlagesatzes muss im Zusammenhang mit der gleichzeitig vorgenommenen Einführung des zweistufigen Systems bei der Verzinsung von EZB-Guthaben gesehen werden. Die Einführung dieses Systems befreit einen Teil der von den Banken bei der EZB gehaltenen Guthaben von dem negativen Zinssatz. Im Durchschnitt dürfte damit die Belastung der Banken, die aus der negativen Verzinsung ihrer EZB-Einlagen resultiert, gesunken sein. An der Grenze ist die Belastung jedoch leicht gestiegen. Damit hat der Anreiz der Banken, über eine Ausweitung ihrer Kreditvergabe ihre teuren, hohen Guthaben bei der EZB zumindest zu einem geringen Teil abzubauen, leicht zugenommen. Diese geldpolitische Maßnahme im Doppelpack ist somit positiv zu bewerten. Eine Signalwirkung geht auch von dem aktivierten APP aus. Auf eine weitere Eintrübung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds kann die EZB grundsätzlich mit einer Erhöhung der Ankaufvolumina schnell reagieren. Dieses Signal ist jedoch teuer: Die Wirkung dieses Instruments ist umstritten, und die möglichen negativen Nebenwirkungen sind hoch. Sein Einsatz in dem derzeitigen makroökonomischen Umfeld, das weit von einem Krisenszenario entfernt ist, überzeugt daher nicht.

Eine interessante Änderung hat es beim Forward Guidance, also bei der Kommunikation zur langfristigen Ausrichtung der Geldpolitik, gegeben. So koppelt die EZB ihre geldpolitischen Beschlüsse nicht mehr an einen bestimmten Zeitraum, sondern an einen bestimmten Zustand. Dieses ist in einem Umfeld, das durch ein extrem hohes Ausmaß an Unsicherheit geprägt ist, überzeugend. Das Vertrauen der Bevölkerung ist ein entscheidendes Asset einer Zentralbank. Die Kommunikation der EZB (und der Bundesbank) zu den letzten geldpolitischen Beschlüssen hat nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die EZB zu stärken – im Gegenteil. Hinzukommt, dass nach der Sitzung des Zentralbankrats Mitglieder dieses Gremiums öffentlich und offensiv kommunizierten, diese Entscheidungen nicht zur Gänze mitgetragen zu haben. Ein Zentralbankrat, der geldpolitische Beschlüsse stärker konsensorientiert herbeiführt und diese dann überzeugend kommuniziert, wäre für eine Untermauerung des Vertrauens der Bevölkerung in die europäische Institution „EZB“ vorteilhaft.

China: Chinas Sozialkreditsystem

Von Britta Kuhn

Chinas Führung will das Verhalten aller Bürger, Unternehmen, Regierungseinheiten und sonstigen Institutionen überwachen, bewerten und verbessern. Laut offiziellen Angaben soll ein Anreizsystem aus Belohnungen und Strafen gesellschaftlich, wirtschaftlich und rechtlich erwünschtes Verhalten fördern und zu mehr Vertrauen führen. Zu den genannten Zielen zählen diffuse soziale Tugenden wie „Zuverlässigkeit“ und „Aufrichtigkeit“, aber auch ökonomische Verbesserungen, etwa beim Schutz geistigen Eigentums oder in puncto Lebensmittelsicherheit. Nicht zuletzt sollen Politik und Verwaltung weniger korrupt handeln. Erste Pilotprojekte des Sozialkreditsystems starteten ab 2003. Seit 2014 treibt Chinas mächtiger Anführer Xi Jinping das System zügig voran. Ab 2020 soll es landesweit funktionieren. Bisher kommen die Daten überwiegend aus öffentlichen Stellen wie Ministerien, Ämtern und der Zentralbank. Ziel ist eine umfassende Überwachung in Echtzeit. Dafür will der Staat möglichst eng mit privaten Datensammlern und weiteren IT-Firmen zusammenarbeiten. In der Millionenmetropole Zhengzhou nutzt die Polizei z. B. Gesichtsscanner des Megvii-Unternehmens Face++. Megvii greift seinerseits auf staatliche Datenpools zurück, um sein Deep-Learning-Programm Brain++ zu füttern. Auch die privaten Finanzdienstleister Tencent Credit und Ant Financials Sesame Credit sind an Bord. Wen z. B. die Sesame-Kreditscoring-App positiv bewertet, kann kautionsfrei eine Wohnung mieten. Firmen, die Emissionsziele verletzen oder ihre Produkte zu spät liefern, zahlen höhere Steuern oder erhalten schlechtere Kreditkonditionen. Ihre Repräsentanten dürfen unter Umständen keine Hochgeschwindigkeitszüge mehr benutzen, ihre Kinder keine Privatschulen besuchen.

In Deutschland rufen die Überwachungspläne einhellig Horrorvisionen hervor. Ist es einer brutalen Unterdrückung politisch Andersdenkender geschuldet, dass in der Volksrepublik der große Aufstand bisher ausblieb? Diese Auslegung könnte zu einfach sein: Chinas Geistesgeschichte und Traditionen weichen stark von den liberalen Idealen hierzulande ab. Gerade gebildete und reiche Chinesen betonen, dass die Pläne vertrauenssteigernd und disziplinierend auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wirken könnten. Ins selbe Horn blasen unermüdlich Chinas gelenkte Medien. Auch Datenschutz-Befürchtungen spielen in der gesellschaftspolitischen Debatte bisher keine ernsthafte Rolle – eher im Gegenteil: Das neue System dient als ökonomischer Hoffnungsträger hinsichtlich Big Data und Echtzeitüberwachung. Chinesische IT-Firmen liegen auf diesem Gebiet schon heute weltweit vorne – etwa bei Gesichtserkennung und Verkehrsüberwachung.

Besteht aus westlicher Sicht nun Grund zur Panik? Dagegen spricht, dass viele Probleme einer Umsetzung der Überwachungspläne im Wege stehen. So ist keinesfalls ausgemacht, dass Alibaba & Co. ihre Daten vollständig zur Verfügung stellen werden. Auch gibt es bisher nur dezentrale Ratings und diese Daten lassen sich noch nicht ohne weiteres aggregieren. Oft liegen sie sogar nur in Papierform vor oder erfordern persönliche Inspektionen. Unklar ist auch, wie die Regierung mit vielfältigen oder gar widersprüchlichen Bewertungen umgehen wird. Ferner könnten widerspenstige lokale Regierungsebenen und Betriebsstätten, Datendiebstahl und -missbrauch den Erfolg beeinträchtigen. Vertiefte Handelskonflikte drohen, falls chinesische Auslandsaktivitäten in das System eingespeist würden – z. B. Alibabas internationale Daten. Bisher plant die Regierung zwar angeblich „nur“ die Anwendung im Inland. Aber auch das könnte westliche Firmen und Institutionen vor Ort vergraulen und Neuansiedlungen abschrecken.

Arzneimittelmarkt: Globales Handeln erforderlich

Von Stefan Greß

Das globale Phänomen wachsender Resistenzen gegen die Wirkung von Antibiotika hat viele Ursachen. Der weltweit verbreitete Einsatz von Antibiotika in Landwirtschaft und Tierhaltung gehört ebenso dazu wie die häufig nicht bedarfsgerechte Verordnung von diesen Arzneimitteln in der medizinischen Versorgung. Auftretende Resistenzen führen dazu, dass Antibiotika gegen viele Keime nicht mehr wirken. In der Folge müssen erkrankte Patienten Konsequenzen in Form eines deutlich erschwerten Krankheitsverlaufs bis hin zur Lebensgefahr in Kauf nehmen.

Als letztes Mittel in dieser Situation kommen sogenannte Reserve-Antibiotika ins Spiel. Diese Präparate sollen nur im äußersten Notfall verordnet werden, weil sich Resistenzen parallel zum Einsatz von Antibiotika entwickeln. Patienten sind daher darauf angewiesen, dass die Arzneimittelhersteller in regelmäßigen Abständen neue Antibiotika entwickeln. Das ist keine neue Erkenntnis, daher fördert beispielsweise die Europäischen Union die Forschung in diesem Bereich durch Public-Private-Partnerships. Der internationale Pharmaverband hat darüber hinaus im Jahr 2016 eine Allianz gegen Antibiotikaresistenz gegründet, an der sich nach eigenen Angaben mehr als 100 Arzneimittelhersteller und deren Verbände beteiligen. In einer Deklaration verpflichten sich die Mitglieder der Allianz, in die Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren und diese möglichst breit zugänglich zu machen. Gleichzeitig werden Regierungen, Kostenträger und internationale Organisationen nachdrücklich aufgefordert, die finanziellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung neuer Antibiotika zu verbessern.

Besonders nachhaltig scheint das Engagement dieser Industrieallianz allerdings nicht gewesen zu sein. Nach kürzlich veröffentlichten Recherchen des Norddeutschen Rundfunks ist fast die Hälfte der an der Allianz beteiligten Unternehmen nicht oder nicht mehr in der Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika aktiv. Besonders schwer wiegt die Tatsache, dass sich zunehmend große Hersteller aus der Antibiotika-Forschung zurückziehen. Bayer, Aventis, Abbott und Bristol-Myers Squibb gehören genauso dazu wie kürzlich auch AstraZeneca, Sanofi, Novartis sowie Johnson & Johnson. Kleine und mittlere Hersteller forschen weiter an der Entwicklung von Reserve-Antibiotika. Diesen fehlt aber häufig die notwendige Finanzkraft, um ein Mittel bis zur Zulassung bringen zu können. Der weltweite Antibiotikanachschub ist damit ernsthaft gefährdet.

Der zentrale Grund für den Ausstieg vor allem der großen Hersteller aus der Antibiotika-Forschung liegt darin, dass Reserve-Antibiotika nur in Notfällen verordnet werden sollen. Außerdem entwickeln sich Resistenzen mitunter so schnell, dass neue Antibiotika bei Markteinführung bereits nicht mehr wirken. Die Hersteller argumentieren deshalb, dass sie die hohen Kosten für Einwicklung und Markteinführung nicht refinanzieren können. Sie fordern zur Behebung dieses Marktversagens zusätzliche finanzielle Anreize. Diese könnten etwa in Mindesterstattungspreisen bei der Markteinführung in Kombination mit Mindestabnahmemengen durch die Kostenträger bestehen. Es ist allerdings gesundheitspolitisch zumindest diskutabel, ob Beitrags- bzw. Steuerzahler zur Subventionierung der generell durchaus profitabel agierenden multinationalen Arzneimittelhersteller verpflichtet werden könnten und sollten. Sinnvoller und vor allem verursachergerechter wäre es daher, die Gewinne der in diesem Bereich nicht forschenden Arzneimittelhersteller zu besteuern und aus den Erlösen finanzielle Anreize zur Forschung und Markteinführung von Reserve-Antibiotika zu finanzieren. Diese Maßnahme kann ihre volle Wirkung allerdings nur entfalten, wenn die global agierenden Hersteller mit einer ebenso global abgestimmten Strategie der Nationalstaaten konfrontiert werden.


DOI: 10.1007/s10273-019-2512-y

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